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Zehntes Kapitel

Es war so still im Hause an jenem Frühlingstag, als der Hufschlag der Pferde in der Ferne erstorben war. Noch standen alle Türen offen nach der Geschäftigkeit der Abschiedsstunde, noch stand der Tisch gedeckt, an dem Ulrik Frederik gespeist hatte; seine Serviette lag noch neben seinem Kuvert, so wie er sie zusammengeknüllt hatte, und feuchte Spuren von seinen großen Reiterstiefeln waren noch ringsumher auf dem ganzen Estrich sichtbar.

Dort bei dem großen Pfeilerspiegel hatte er sie an seine Brust gedrückt, sie zum Lebewohl geküßt und wieder geküßt und mit beschworenen Versprechungen baldigen Wiedersehns zu trösten gesucht.

Unwillkürlich trat sie vor den Spiegel, wie um zu sehen, ob der nicht sein Bild festgehalten habe, so wie sie es vor einem Augenblick, von seinen Armen umschlossen, gesehen hatte. Ihre eigene, einsame, verzagte Gestalt, ihr bleiches, verweintes Antlitz begegneten ihrem suchenden Blick hinter der glatten, blanken Fläche des Spiegels.

Unten ward das Tor geschlossen, der Diener deckte den Tisch ab, und Nero, Passando, Rumor und Delphin, seine Lieblingshunde, die eingesperrt gewesen waren, rannten mit kläglichem Gewinsel, die Spuren beschnuppernd, im Zimmer hin und her. Sie wollte sie zu sich rufen, vermochte es aber nicht vor Schluchzen. Passando, das große, rote Fuchswindspiel, kam zu ihr hin; sie kniete nieder und streichelte es und klopfte es, aber es wedelte nur zerstreut mit dem Schwanz und sah ihr mit großen Augen gerade ins Gesicht und winselte und winselte.

Jene ersten Tage – wie leer und trübselig war doch alles, wie langsam verrann die Zeit, und wie bedrückend schwer lastete die Einsamkeit auf ihr, und wie war dann die Sehnsucht dazwischen so ätzend scharf, wie Salz in einer offenen Wunde.

Ja, das waren die ersten Tage; aber als es dann nicht länger neu war und fortfuhr zu kommen, alles: die Dunkelheit und die Leere, die Sehnsucht und der Kummer, Tag für Tag, wie ein Schneewetter, wo Flocke auf Flocke fällt, eine langsam herabschwebende Schicht nach der andern, da überkam sie eine wunderliche Stumpfheit und Ruhe der Hoffnungslosigkeit, ja fast eine Gefühllosigkeit, die sich gemächlich im Schatten des Kummers zurechtsetzt.

Und dann war es plötzlich wieder ganz anders.

Alle Nerven gespannt in der höchsten Reizbarkeit, alle Adern pochend von lebensdurstigem Blut; und ihre Phantasie war so erfüllt von farbenreichen Bildern und betörenden Gesichten wie die Luft der Wüste.

In solchen Tagen war ihr zumute wie einer Gefangenen, die ungeduldig ihre Jugendzeit, Lenz auf Lenz, unfruchtbar vorbeigleiten sieht, ohne Blumen, matt und öde, beständig entschwindend, nimmer kommend. Und es war ihr, als würde ihr die Summe der Zeit zugezählt, Stunden-Heller für die Stunde, und als fiele ein jeder von ihnen mit dem Klang des Glockenschlages klirrend vor ihre Füße nieder und zerbröckelte und würde zu Staube, und da konnte sie in qualvoller Lebenssehnsucht ihre Hände ringen und schreien wie unter Folterqualen.

Selten zeigte sie sich bei Hofe oder bei ihren Verwandten; denn die Etikette erforderte, daß sie sich zu Hause hielt; und da sie nur sehr wenig dazu aufgelegt war, Besuche zu würdigen, hörten diese bald auf, und sie war sich selbst überlassen. Eine träge Mattigkeit war bald die Folge dieses einsamen Grübelns und Grämens, und ganze Tage und Nächte hintereinander blieb sie im Bett liegen und suchte sich hier in einem halb wachen, halb schlummernden Zustand zu halten, der abenteuerliche Träume zeitigte, die an Klarheit die nebelhaften Traumbilder des gesunden Schlafes weit übertrafen, so daß sie fast wie wirklich waren und einen willkommenen Ersatz für das Leben gaben, das sie entbehrte.

Tag für Tag wurde sie mehr und mehr reizbar, so daß der geringste Lärm ihr Schmerzen verursachte, und sie konnte die seltsamsten Einfälle und plötzliche, wahnsinnige Wünsche bekommen, die fast Zweifel an ihrem Verstand erwecken mußten.

Es war auch wohl nur eines Strohhalmes Breite zwischen dem Wahnsinn und diesem seltsamen Gelüst, das sie erfaßte, irgendeine verzweifelte Handlung zu begehen, nur um sie zu begehen, nicht weil sie den geringsten Grund dafür hatte, ja, es nicht einmal wirklich wünschte.

So geschah es zuweilen, wenn sie an dem offenen Fenster stand, an den Pfosten gelehnt, und in den gepflasterten Hof tief unter ihr hinabsah, daß sie ein verlockender Drang durchzuckte, sich da hinabzuwerfen, nur um es zu tun. Aber im selben Augenblick hatte sie in der Phantasie den Sprung gemacht, und sie fühlte das schneidende, kühlende Prickeln, das ein Sprung von hohen Stellen erzeugt, und sie stürzte vom Fenster in das Innerste der Stube hinein, vor Angst bebend und mit dem Bild von sich selbst, wie sie blutend da unten auf den harten Steinen lag, so deutlich vor den Augen, daß sie wieder ans Fenster treten und hinabsehen mußte, um das Bild zu verscheuchen.

Minder gefährlich und von etwas anderer Natur war das Gelüst, das sie empfand, wenn sie, was zuweilen vorkam, auf ihren entblößten Arm sah und fast neugierig den Lauf der blauen und dunkelvioletten Adern unter der weißen Haut verfolgte, das Gelüst, das sie dann empfand, in seine weiße Rundung hineinzubeißen; und sie folgte wirklich ihrem Gelüst und biß wie ein grausames kleines Raubtier Mal auf Mal; aber sobald es wirklich weh tat, hielt sie gleich inne und begann, den armen, mißhandelten Arm zu streicheln.

Zu anderen Zeiten konnte sie, mitten während sie so dasaß, darauf verfallen, hineinzugehen, um sich auszukleiden, bloß um sich in eine dicke, rote, seidene Decke zu hüllen und die kühle, blanke Berührung des glatten Stoffes zu spüren oder um eine eiskalte Stahlklinge an ihrem entblößten Rücken hinabzulegen.

Solcherlei Einfälle hatte sie viele.


Nach vierzehnmonatiger Abwesenheit kehrte dann Ulrik Frederik heim.

Es war eine Julinacht. Marie konnte nicht schlafen, sie lag und lauschte dem langsam pfeifenden Sommernachtswind, beunruhigt durch allerlei beängstigende Gedanken.

Die letzten acht Tage hatte sie Ulrik Frederik jede Stunde erwartet, sein Kommen wünschend, sein Kommen fürchtend.

Würde alles wieder werden wie in alten Zeiten, vor vierzehn Monaten? – sie verneinte es den einen Augenblick und bejahte es den andern. Sie konnte ihm die Reise nach Spanien nun einmal nicht recht vergeben, sie war so alt geworden in all der Zeit, so verzagt und still, und nun kam er nach Hause, gewöhnt an Glanz und Getümmel, frischer und jugendlicher denn zuvor, und fand sie bleich und verblüht, schwer von Gemüt – schwer von Gang, gar nicht die alte, und bei der ersten Begegnung würde er so fremd und kühl gegen sie sein, und das würde sie noch verschüchterter machen, und er würde sich von ihr wenden, aber nie würde sie sich von ihm abwenden; nein, nein; sie wollte über ihm wachen wie eine Mutter, und wenn die Welt ihm zuwiderging, würde er zu ihr kommen, und sie würde ihn trösten und so gut mit ihm sein, um seinetwillen entbehren, leiden, weinen, alles um seinetwillen tun. – Dann wieder schien es ihr, daß, sobald sie ihn sähe, alles sein würde, wie es war; ja, sie stürmten durch das Gemach gleich übermütigen Pagen, lärmten und tollten, und die Wände gaben Widerklang von Gelächter und Jubel, und in den Ecken flüsterte es von Küssen.

Wie sie sich das so dachte, fiel sie in einen leichten Schlummer, und es lärmte und spielte in ihre Träume hinein; und als sie erwachte, lärmte es noch, rasche Fußtritte erklangen auf den Treppen, das Tor wurde aufgeschlagen, Türen wurden geschlossen, Wagen rasselten auf der Straße, Pferdehufe scharrten auf dem Steinpflaster.

Er ists! dachte sie, sprang auf, ergriff die große, gesteppte Bettdecke, und darin wie in einen Mantel eingehüllt, eilte sie durch die Zimmer. Im Saal hielt sie inne; da stand eine Unschlittkerze in einem hölzernen Leuchter auf dem Fußboden und brannte, ein paar von den Lichtern in den Armleuchtern waren angezündet, der Diener war vor lauter Geschäftigkeit von diesen Vorbereitungen davongelaufen. Draußen wurde gesprochen. Es war Ulrik Frederiks Stimme, sie zitterte vor Bewegung.

Die Tür ging auf, und mit dem Hut auf dem Kopf und den Mantel um sich geschlagen, stürmte er herein, wollte sie in seine Arme schließen, bekam jedoch nur ihre Hand zu fassen, denn sie fuhr zurück; er sah so fremd aus, sie kannte seine Tracht nicht, er war so braun und so voll geworden, und unter dem Mantel war er in einer seltsamen Kleidung, dergleichen sie noch nie gesehen hatte; es war die neue Mode mit langer Weste und pelzverbrämtem Frack, und die veränderte seine Figur ganz und machte ihn noch unkenntlicher.

»Marie,« rief er, »mein Herzenskind,« und er riß sie an sich, so daß ihr das Handgelenk weh tat und sie vor Schmerz stöhnte. Allein er bemerkte das nicht, er war ziemlich betrunken, denn die Nacht war nicht warm, und sie hatten in der letzten Schenke ausgiebig Rast gehalten.

Es half nur wenig, daß Marie widerstrebte, er küßte und streichelte sie wild und unbändig. Endlich entschlüpfte sie ihm doch, und mit glühenden Wangen und wogendem Busen entfloh sie in das anstoßende Gemach; da kam ihr aber der Gedanke, daß dies doch vielleicht ein gar seltsamer Empfang sei, und sie kehrte zurück.

Ulrik Frederik stand auf demselben Fleck, ganz verwirrt, geteilt zwischen dem Bemühen, seinen umnebelten Verstand dazu zu vermögen, das zu fassen, was hier vor sich ging, und der Anstrengung, die Halsschließe seines Mantels aufzuhaken; allein seine Gedanken und seine Hände waren gleich hilflos. Als nun Marie zurückkam und ihn von dem Mantel befreite, kam er darauf, daß das Vorhergegangene wohl Spaß sein solle, und er brach in ein schallendes Gelächter aus, schlug sich auf die Lenden, wand und krümmte sich, taumelnd wie er war, drohte Marien schelmisch und lachte vergnügt und gutmütig, hatte offenbar etwas Spaßhaftes, was er sagen wollte, fing auch damit an, konnte es aber nicht herausbringen und sank endlich, ganz aufgelöst und krampfhaft lachend, auf einen Stuhl nieder, stöhnend und keuchend von all dem Gelächter, ein glückseliges, breites Lächeln über dem ganzen Gesicht.

Nach einer Weile machte das Lächeln einem schläfrigen Ernst Platz; da erhob er sich und ging in schweigender, mißvergnügter Majestät im Zimmer auf und nieder, stellte sich schließlich am Kamin auf, vor Marie, den einen Arm in die Seite, den andern auf das Gesimse gestützt, und sah überlegen – immerwährend geschaukelt von dem starken Rausch – auf sie nieder.

Er hielt nun eine lange, unzusammenhängende Trunkenheitsrede über seine eigene Größe, über die Ehre, die ihm im Auslande erwiesen worden sei, und über das große Glück, das es für Marie als eines gemeinen Edelmannes Tochter war, einen zum Gemahl zu haben, der, wenn er gewollt hätte, eine Prinzessin von Geblüt hätte heimführen können. Er ging darauf ohne Grund dazu über, zu sagen, daß er Herr in seinem Hause sein wolle, und bedrohte Marie, sie solle so gehorsam, so gehorsam sein, er wolle kein Räsonieren anhören, nicht einen Muck, nicht einen einzigen; wie hoch er sie auch erhoben habe, so bleibe sie doch immer seine Sklavin, seine kleine Sklavin, seine süße, kleine Sklavin; und nun wurde er so sanft wie ein spielender Luchs, weinte und schmeichelte und drang mit der ganzen Hartnäckigkeit eines Betrunkenen auf sie ein, mit groben Liebkosungen und plumpen Liebesworten – unentrinnbaren, unabweislichen.

Am Morgen des nächsten Tages erwachte Marie lange vor Ulrik Frederik.

Fast mit Hass betrachtete sie die schlafende Gestalt an ihrer Seite. Ihr Handgelenk war geschwollen und ganz schmerzhaft von seinem gewaltsamen Willkommensgruß gestern Abend. Da lag er mit den kräftigen Armen unter dem starken, behaarten Nacken; sorglos, trotzig, schien es ihr, atmete die breite Brust, und es lag ein stumpfsinniges, sattes Lächeln auf den roten, feuchtglänzenden Lippen.

Sie ward bleich vor Zorn und rot vor Scham, als sie ihn ansah. Ihr nahezu fremd durch die lange Trennung, war er eingedrungen, auf ihre Liebe pochend wie auf sein Recht, übermütig sicher der ganzen Hingebung und Zuneigung ihrer Seele, wie jemand sicher ist, seine Möbel stehen zu finden, wo sie standen, als er ausging. Sicher, entbehrt worden zu sein; sicher, dass sich Sehnsuchtsklagen von ihren zitternden Lippen zu ihm in die Ferne hingeschwungen hatten; sicher, dass das Ziel aller ihrer Wünsche sein grobes Umarmen war.

Als Ulrik Frederik aufstand, fand er sie halb sitzend, halb liegend auf einer Ruhebank in der blauen Stube. Sie war bleich, die Gesichtszüge waren schlaff, die Augen niedergeschlagen, und die kranke Hand lag matt in ihrem Schoß, in ein Spitzentaschentuch eingehüllt; er griff danach, aber sie reichte ihm langsam die Linke und bog mit einem schmerzlichen Lächeln das Haupt zurück.

Ulrik Frederik küßte lächelnd die ausgestreckte Hand, machte ein paar scherzende Bemerkungen über seinen Zustand gestern Abend und entschuldigte sich damit, dass er, solange er in Spanien gewesen sei, nie einen einzigen guten Rausch gehabt habe, sintemal die Spanier kein Verständnis für das Trinken hätten; und er fügte hinzu, daß, wenn er ehrlich sein solle, er lieber den gefälschten Alikante und Malaga aus Johann Lehns Weinstube oder aus dem Bräuhahnkeller trinke, als den echten, süßen Teufelskram, den es da unten gäbe.

Marie schwieg.

Der Frühstückstisch stand gedeckt, und Ulrik Frederik fragte, ob sie nicht essen wollten.

Marie wollte nichts haben, sie bat ihn, sie zu entschuldigen; er müsse allein essen, sie habe keinen Appetit, und ihre Hand schmerze so sehr, er habe sie ganz zerquetscht.

So bekam er denn zu wissen, wie schuldig er war, und er wollte durchaus die kranke Hand sehen und sie küssen; aber Marie barg sie schnell in den Falten ihres Kleides und sah ihn an, wie er sagte, mit dem Blick einer Tigerin, die ihr wehrloses Junge verteidigt. Er bat lange, aber es half nichts; so setzte er sich denn lachend an den Tisch und aß mit einem Appetit, der Marie lebhaft mißfiel. Ruhig konnte er indessen nicht sitzen, er mußte jeden Augenblick an das Fenster laufen und hinaussehen, denn alle die heimatlichen Szenen auf der Straße waren ihm so neu und kurios; doch er hatte durch dies ewige Umherrennen bald die halbe Anrichtung ringsumher in der Stube verstreut: sein Bier stand in dem einen Fenster, das Brotmesser lag in dem andern, seine Serviette hing über der Vase auf dem vergoldeten Gueridon, und ein Kringel lag auch auf dem kleinen Tisch in der Ecke.

Endlich wurde er fertig und setzte sich an das Fenster und saß lange und sah hinaus, mit Marie plaudernd, die ihm drüben von ihrer Ruhebank nur selten antwortete oder auch gar nicht antwortete.

Schließlich erhob sie sich und ging an das Fenster, wo er saß. Sie seufzte und sah schwermütig in die Luft hinaus.

Ulrik Frederik lächelte und drehte mit großer Beharrlichkeit seinen Siegelring am Finger herum.

»Soll ich die kranke Hand anhauchen?« sagte er in einem klagenden, mitleidigen Ton.

Marie riß das Spitzentaschentuch von der Hand, ohne ein Wort zu sagen, und fuhr fort hinauszusehen.

»Sie wird sich verkühlen, die arme Kleine«, sagte er und sah einen Augenblick auf.

Marie stützte, scheinbar gedankenlos, die kranke Hand auf das Fensterbrett und spielte mit den Fingern wie auf einem Klavikordium, vor und zurück, aus der Sonne und in den Schatten des Fensterrahmens, und aus dem Schatten heraus und wieder in die Sonne hinein, vor und zurück.

Ulrik Frederik blickte mit lächelndem Wohlgefallen auf die schöne, bleiche Hand, die wie ein munteres, geschmeidiges Kätzchen auf dem Fensterbrett spielte und sich tummelte, sich wie zum Sprunge krümmte, sich drehte und wendete, einen Buckel machte und einen Anlauf auf das Brotmesser zu nahm, den Stiel herumrollte, zurückkroch, sich flach auf das Fensterbrett hinlegte, sich langsam wieder nach dem Messer hinschlich, sich mit geschmeidigem Griff um das Heft ringelte, die Klinge hob und sie blank in der Sonne funkeln ließ, dann mit dem Messer auffuhr...

Im selben Augenblick blitzte das Messer auf seine Brust hinab, aber er parierte mit dem Arm, und die Klinge schnitt durch seine lange Spitzenmanschette in den Ärmel hinein, und er hieb es beiseite auf den Fußboden, sprang mit einem Schrei des Entsetzens auf, so daß der Stuhl zurückflog, all das in einer kurzen Sekunde, gleichsam mit einer einzigen Bewegung.

Marie war leichenblaß, sie preßte die Hände gegen die Brust, ihr Blick war steif und entsetzt, er starrte auf den Fleck hin, wo Ulrik Frederik gesessen hatte, dann senkten die Augenlider sich, ein gellendes, totes Lachen drängte sich über ihre Lippen, und sie sank auf den Estrich nieder, lautlos, ganz langsam, wie von unsichtbaren Händen gestützt.

Vorher, als sie mit dem Messer spielte, hatte sie plötzlich bemerkt, daß Ulrik Frederiks Spitzenhemd offen stand und seine Brust entblößte, und im selben Augenblick war der sinnlose Trieb in ihr entstanden, die kalte, blitzende Klinge in die weiße Brust hineinzustoßen, und sie tat es, – nicht weil sie wünschte, ihn zu töten oder auch nur zu verwunden, vielleicht nur, weil das Messer kalt und die Brust warm war, oder möglicherweise auch, weil ihre Hand krank und schwach und die Brust stark und gesund war, aber vorerst und vor allem, weil sie es nicht lassen konnte, weil ihr Wille keine Macht über ihr Gehirn oder ihr Gehirn keine Macht über ihren Willen hatte.

Ulrik Frederik stand bleich da und stützte sich mit den Handflächen auf den Frühstückstisch; er bebte so, daß der Tisch erschüttert ward und die Schüsseln gegeneinander klirrten. Furcht war sonst nicht unter seinen Eigenschaften, noch fehlte es ihm an Mut; aber dies war so ungeahnt gekommen, war so wahnsinnig unbegreiflich, daß er nur mit Gespensterfurcht an die Gestalt denken konnte, die da drüben am Fenster leblos und still auf dem Estrich lag. Burrhis Worte von der Gefahr, die in der Hand eines Weibes blitze, klangen ihm in die Ohren, er fiel aufs Knie und betete; denn alle wahrscheinliche Sicherheit, alle vernünftige Zuversicht war vom Erdenleben gewichen und alle menschliche Gewißheit auch; denn es war der Himmel selbst, der regierte, der Einfluß unbekannter Geister, der lenkte, überirdische Mächte und Zeichen, die bestimmten. Warum sollte sie ihn sonst töten wollen, warum, Gott, du Allmächtiger, warum, warum?... Weil es sein sollte. Sollte.

Fast verstohlen hob er das Messer auf, zerbrach die Klinge und warf die Stücke in den leeren Kamm.

Noch rührte Marie sich nicht.

Sie war doch nicht verwundet? nein, das Messer war ja blank, und es war kein Blut an seinen Manschetten; aber sie lag so still, so totenstill; er eilte zu ihr hin und hob sie in seinen Armen empor.

Marie seufzte, schlug die Augen auf, sah starr und tot vor sich hin, sah Ulrik Frederik an, und sie schlang ihre Arme um ihn, küßte und liebkoste ihn, sagte aber nicht ein Wort. Sie lächelte zwar ganz glücklich und froh, aber es lag eine fragende Angst in ihrem Blick, sie sah auf dem Estrich umher, als suche sie etwas, packte dann plötzlich Ulrik Frederik um das Handgelenk und befühlte seinen Ärmel, und als sie sah, daß der aufgerissen und die Manschette zerfetzt war, schrie sie vor Entsetzen.

»So hab ich es doch getan,« rief sie verzweifelt aus, »ach Gott in deinem höchsten Himmel, bewahre meinen Verstand, so flehentlich bitte ich darum! – Aber warum fragst du nicht?« sagte sie zu Ulrik Frederik; »warum schleuderst du mich nicht von dir wie eine giftige Schlange! Und doch, Gott soll es wissen, ich habe weder Schuld noch Anteil an dem, was ich getan habe; es kam so über mich, es war etwas, was mich zwang; ich schwör dir bei meinem höchsten Heiligen, es war etwas, so meine Hand lenkte; aber du glaubst es nicht, wie kannst du auch?« Und sie weinte und jammerte.

Allein Ulrik Frederik glaubte ihr völlig. Das war ja die vollste Bestätigung seiner eigenen Gedanken; und er tröstete sie mit guten Worten und Liebkosungen, obwohl er ein heimliches Grauen vor ihr empfand als vor derjenigen, die ein armes, wahnwitziges Werkzeug war in der unseligen Gewalt arger Geister. Und er überwand nicht dieses Grauen, wiewohl Marie Tag für Tag all eines klugen Weibes Klugheit aufbot, um sein Vertrauen zu gewinnen. Denn hatte sie an jenem ersten Morgen in ihrem Herzen geschworen, daß Ulrik Frederik alle seine Liebenswürdigkeit entfalten und seine ganze Geduld aufbieten solle, um sie wieder zu gewinnen, so schwur ihr Benehmen nun das gerade Gegenteil; jeder Blick war eine Bitte, jedes Wort ein demütiges Versprechen, und in tausenderlei Kleinigkeiten, in Tracht und Gebärden, in schlauen Überraschungen und zarten Rücksichten gestand sie ihm, jede Stunde des Tages, ihre innige, sehnsuchtsvolle Liebe; und hätte sie nur die Erinnerung an den Auftritt jenes Vormittags zu überwinden gehabt, so wäre der Sieg ihr auch sicher gewesen.

Allein größere Feinde standen ihrer Sache entgegen.

Ulrik Frederik war als armer Prinz aus einem Lande ausgezogen, wo der mächtige Adel die unehelichen Kinder eines Königs keineswegs für mehr als seinesgleichen erachtete. Die Alleinherrschaft war noch so jung, und die Betrachtung, daß der König ein Mann war, der seine Macht dadurch erkaufte, daß er seine Macht hingab, so uralt. Der Halbgottschimmer, der in späteren Zeiten den absoluten Erbherrn umstrahlte, war, wenn auch schon entglommen, doch nur erst schwach und zart und blendete keinen, der nicht allzu nahe stand.

Aus diesem Lande zog Ulrik Frederik zu Philipp des Vierten Heer und Hof, und hier wurde er mit Geschenken und Ehrenbezeugungen überschüttet und zum Grand d'Espagne ernannt und auf gleichem Fuß mit Don Juan d'Austria behandelt; denn der König der Spanier ließ es sich angelegen sein, in seiner Person Frederik dem Dritten zu huldigen und durch überschwengliche Freigebigkeit und Gnade seiner Zufriedenheit mit der Regierungsveränderung in Dänemark und seiner Anerkennung für König Frederiks sieggekrönte Bestrebungen, in die Reihe der absoluten Herrscher einzutreten, Ausdruck zu verleihen.

Gehoben und berauscht von all diesen Ehren, die seine Auffassung von der eigenen Bedeutung gänzlich veränderten, sah Ulrik Frederik bald, daß er unverzeihlich leichtsinnig gehandelt hatte, indem er eines gemeinen Edelmannes Tochter zu seiner Gemahlin machte; und Gedanken, seine eigene Unbesonnenheit an ihr auszulassen, Gedanken, sie erhöhen zu lassen und sich von ihr scheiden zu lassen, kreuzten einander in bunter Verwirrung während der Heimreise; und als jetzt die abergläubische Furcht, daß sein Leben durch sie bedroht werde, hinzukam, faßte er den Entschluß, bis er beurteilen könne, was weiter vorzunehmen sei, sie kalt und zeremoniell zu behandeln und jeden Versuch abzulehnen, das alte, idyllische Verhältnis wieder ins Leben zurückzurufen.

Frederik der Dritte, der keineswegs ein unfeiner Beobachter war, entdeckte bald, daß Ulrik Frederik in seiner Ehe nicht sonderlich zufrieden war, und begriff auch sehr wohl den Grund, und er benutzte deswegen jede Gelegenheit, Marie Grubbe zu bevorzugen und auszuzeichnen, und überschüttete sie mit Zeichen seiner Huld und Gnade und glaubte, sie auf diese Weise in Ulrik Frederiks Augen und Gunst heben zu können; aber das half nichts, es trug nur dazu bei, ein Heer von wachsamen und neidischen Feinden rund um die Auserkorene zu schaffen.


Zu jenem Sommer, wie so oft zuvor, wohnte die königliche Familie auf Frederiksborg.

Ulrik Frederik und Marie zogen gleichfalls da hinaus, denn sie sollten behilflich sein, alle möglichen Festlichkeiten und Aufzüge zu ersinnen, die im September und Oktober stattfinden sollten, wenn der Kurfürst von Sachsen käme, um sich mit der Prinzessin Anna Sofie zu verloben.

Vorläufig war der Hofkreis da draußen ganz klein, erst gegen Ende August sollte er erweitert werden, denn alsdann sollten die Proben zu den Balletten und anderer Lustbarkeit beginnen. Es war daher sehr still, und sie vertrieben sich die Zeit, so gut sie konnten. Ulrik Frederik war fast jeden Tag auf langen Jagd- und Fischzügen, der König hatte mit seiner Drechselbank und seinem Laboratorium zu schaffen, das er sich in einem der kleinen Türme hatte einrichten lassen, und die Königin und die Prinzessinnen fertigten Kunststickereien für das bevorstehende Fest an.

In der Allee, die vom Walde zu der Pforte des kleinen Tiergartens führt, pflegte Marie Grubbe ihren Morgenspaziergang zu machen.

Sie war auch heute da.

Hoch oben in der Allee hob sich ihr krapprotes Kleid, grell leuchtend, von dem erdschwarzen Weg und dem grünen Laub ab.

Langsam kam sie näher.

Der zierliche, schwarze Filzhut, ohne andern Schmuck als eine schmale Perlenlitze und einen blitzenden, silbergefaßten Solitär an der aufgebogenen Seitenkrempe, saß leicht auf dem in schweren Locken aufgesteckten Haar. Der Robenleib saß stramm und glatt, die Ärmel waren eng bis hinab zu den Ellenbogen, dort waren sie tief aufgeschlitzt, hängend, über dem Schlitz mit Perlmutter agraffiert und mit antlitzfarbener Seide gefüttert. Eine dichtgewebte Spitzenkante verhüllte die nackten Arme. Der Robenrock, der nach hinten zu ein wenig schleppte, war an den Seiten hoch aufgerafft und fiel in gerundeten Falten vorn kurz ab und ließ einen schwarz und weiß schräg-gestreiften, seidenen Unterrock erblicken, so lang, daß der Fuß mit den schwarzgezwickelten Strümpfen und perlenspangigen Schuhen eben noch zu sehen war. In der Hand trug sie einen Fächer aus Schwanenfedern und Federn von Raben.

Dicht bei der Pforte blieb sie stehen, hauchte in ihre hohle Hand und hielt sie erst vor das eine, dann vor das andere Auge; darauf riß sie einen Zweig ab und legte die kühlen Blätter auf die heißen Augenlider; aber man konnte trotzdem sehen, daß sie geweint hatte. Dann ging sie durch die Pforte, auf das Schloß zu, kehrte wieder zurück und schlug einen Seitenweg ein.

Kaum war sie hinter den dunkelgrünen Buchsbaumhecken verschwunden, als oben in der Allee ein seltsames, gebrechliches Paar zum Vorschein kam; ein Mann, der langsam und schwankend ging wie jemand, der eben erst von einer schweren Krankheit erstanden ist, stützte sich auf eine Frauensperson in einem Mantel aus altmodischem Stoff und mit einem großen, grünen Schirm vor den Augen. Der Mann wollte schneller gehen, als er es wohl vermochte, und die Frauensperson hielt dagegen und trippelte murrend mit.

»Na, na!« sagte sie, »warte doch, daß du deine Beine mitkriegst, du stiegest ja als wie ein schiefes Rad auf einem abschüssigen Weg. Kranke Glieder müssen wie Kranke behandelt werden. Geh jetzt ruhig! Hat sie dir das nicht gesagt, die kluge Frau in Lynge. Was soll das, auf Beinen dahinstolpern, in denen nicht mehr Halt und Festigkeit ist als wie in einem alten Strohseil!«

»Herrgott, sind das aber auch Beine!« jammerte der Kranke und stand still, da die Knie unter ihm schlotterten; »jetzt ist sie ganz außer Sicht,« und er sah sehnsüchtig nach der Pforte hinauf, »ganz außer Sicht! und heut ist keine Lustfahrt, hat der Furier gesagt, und es ist so lange hin bis morgen!«

»Ja, ja, die Zeit vergeht schon, lieber Daniel, und dann kannst du heute ausruhen, dann bist du morgen um so stärker; da folgen wir ihr durch den ganzen Wald, flugs bis zu der Pforte hinab; ja, das tun wir, und jetzt gehen wir heim, und dann sollst du auf der weichen Ruhebank liegen und einen guten Krug Bier bekommen, und dann spielen wir ›Verkehrung‹, Verkehrung ist ein Brettspiel und dann kommt Reinhold Weinschänk, wenn die hohen Herrschaften abgespeist haben, und dann fragst du nach Neuigkeiten, und wir machen eine gute, ehrliche Partie Lauter, Lauter ist ein Kartenspiel. bis die Sonne zur Rüste geht, ja, das tun wir, lieber Daniel, das tun wir!«

»Ja, das tun wir, ja, das tun wir!« äffte Daniel sie nach, »du mit deinem Lauter und Spiel und Verkehrung! Wo es in meinem Herzen brennt wie Laufblei, und mein Verstand in wilder Not ist und – hilf mir an den Wegesrand, daß ich mich ein wenig setzen kann – so, so... bin ich klug, Magnille? bin ich klug? – ich bin toll wie eine Fliege in einer Flasche, wie? Heiliger Himmel, Kreuzsapperment! Das ist eines klugen Mannes Gebaren für eine mißgeborene Mißgeburt, einen elenden, elenden, rückgratbrüchigen Wicht, sich in hochtoller Liebe zu eines Prinzen Gemahlin zu verzehren; das ist klug, Magnille, sich die Augen nach ihr aus dem Kopfe zu sehnen, zu schnappen wie ein landgeschmissener Fisch, um nur einen Schimmer von ihrer Gestalt zu sehen, mit seinem Mund die Stätten zu küssen, so ihr Fuß betreten hat; das ist klug, sag ich! – ach, wären da nicht die Träume, Magnille, wo sie sich über mich beugt und ihre weiße Hand auf meine schmerzensvolle Brust legt oder so still liegt und so leise atmet und ist so kalt und verlassen und hat keinen, sie zu schützen außer mir... oder vorüberwirbelt in einem armseligen Nu, weiß wie eine nackte Lilie! – Aber das sind nichtige Träume, Rauch und Tand bloß und leere Luftblasen.«

Sie gingen weiter. Bei der Pforte blieben sie stehen.

Daniel stützte sich mit den Armen darauf und starrte zwischen den Hecken hinauf.

»Da drinnen!« sagte er.

Still und licht lag der Tiergarten, mit Sonne in der Luft und Sonne im Laub. Kiesel und kleine Scherben unten auf dem Wege warfen das Licht in zitternden Strahlenbündeln zurück, fliegende Spinngewebe blitzten durch die Luft, und welke Knospenhülsen schwebten schwirrend von den Zweigen der Buchen herab, während hoch oben an dem blauen Himmel die weißen Tauben des Schlosses sich tummelten, mit Sonnengold auf den hurtigen Schwingen.

Von einer fernen Laute klang eine lustige Tanzmelodie gedämpft herab.

»Solch ein Narr!« murmelte Daniel. »Sollte man es glauben, Magnille, daß einer, der die kostbarste Demantsperle Indiens besitzet, sie gering achten würde und Scherben von bemaltem Glas nachläuft! Marie Grubbe und – Fiedel-Karen! Ist er gescheit? Und jetzt denken sie, er jagt, weil er den Wildschützen für sich schießen läßt und heimkommt mit Bekassinen und Wachteln in Bündeln und Paaren, und derweilen lärmt und schäkert er unten in Lynge mit einer feilen Dirne, einer Kanaille – pfui, pfui, in der Hölle Pfuhl mit dem schmutzigen Kommerz! – und er ist so eifersüchtig auf das Maikätzchen, daß er seine Augen knapp einen Tag am Ende von ihr abzuwenden traut, während ...«

Es raschelte im Laub, und Marie Grubbe stand gerade vor ihm innerhalb der Pforte.

Als sie vorhin unten im Garten abbog, war sie nämlich zu der Umzäunung hinuntergegangen, wo die Elentiere und die Esromkamele jetzt gehalten wurden, und hatte sich von da nach einem Lusthaus ganz dicht an der Pforte begeben. Hier hatte sie Daniels Worte an Magnille gehört, und nun:

»Wer seid Ihr?« fragte sie, »und waren sie wahr, die Worte, so Ihr sagtet?«

Daniel hatte Mühe, sich an der Pforte aufrecht zu halten, so zitterte er.

»Daniel Knopf, wohlgeborene Madame, der tolle Daniel,« antwortete er; »kümmert Euch nicht um sein Geschwätz, das läuft ihm so über die Zunge, Gewaschenes und Ungewaschenes durcheinander, Hirnspreu und Zungengedresch, Zungengedresch und nichts weiter.«

»Ihr lügt, Daniel.«

»Ja, ja, Herrgott! sicher lüg ich, das ist glaubhaft genug, denn hier, wohlgeborene Madame,« und er zeigte auf seine Stirn, »hier ist es gleichwie eine Zerstörung Jerusalems – knickse, Magnille, knickse höflich und sag der wohlgeborenen Madame Gyldenleu, wie toll ich worden bin – sei nicht verschämt! Herrgott, wir haben ja alle unsere kleinen Fehler und Gebrechen! Sag es nur, Magnille, wir sind ja darum doch nur so verrückt, wie unser Herrgott uns macht.«

»Ist er wirklich ganz verrückt?« fragte Marie Magnille.

Magnille bückte sich verwirrt, griff nach Mariens Kleiderzipfel zwischen dem Gitterwerk der Pforte und küßte ihn und sah ganz erschreckt aus: »Ach nein, nein, das ist er nicht, Gott sei Dank.«

»Sie ist auch ...« und Daniel beschrieb mit der Hand einen Kreis in der Luft. »Wir passen aufeinander, wir zwei Verrückten, so gut wir können, nicht gerade zum besten, aber, Herrgott, Verrückte sehen, Verrückte gehen, mit gegenseitigem Beistand erreichen sie das Grab, aber über sie geläutet wird nicht, das darf nicht sein. Im übrigen Dank für freundliche Nachfrage, vielen Dank, vielen Dank und Gott befohlen!«

»Bleibt!« sagte Marie Grubbe, »Ihr seid nicht mehr verrückt, als Ihr Euch selber machet. Ihr sollt reden, Daniel; wollet Ihr, ich soll so niedrig von Euch denken, daß Ihr Zwischenträger seid zwischen ihr, die Ihr nanntet, und meinem Herrn Gemahl? Wollet Ihr das?«

»Ein armer, verrückter Mann«, jammerte Daniel und machte eine entschuldigende Bewegung mit der Hand.

»Gott verzeih Euch, Daniel, es ist ein schändlich Spiel, so Ihr treibet; ich hatte Euch für so viel, viel besser gehalten!«

»Ist das wahr, ist das wahrhaftig wahr?« rief er eifrig, und seine Augen leuchteten vor Freude, »dann bin ich wieder klug, fraget mich nur, fraget mich nur!«

»Waren sie wahr, die Worte ...?«

»Wie das Evangelium, aber ...«

»Seid Ihr dessen sicher? Ihr irret nicht?«

Daniel lächelte.

»Ist ... er heute da?«

»Ist er auf der Jagd?«

»Ja.«

»Dann, ja.«

»Was ist –,« hub Marie nach einer kleinen Pause wieder an, »was ist sie für eine Art Person, wenn Ihr es wisset?«

»Klein, wohlgeborene Madame, sehr klein, rot und weiß wie ein Traubapfel, geschwätzig und munter, mit lachendem Mund und geschäftiger Zunge.«

»Aber von was für Leuten kommt sie her?«

»Vor zwei Jahren, oder vor drittehalb, war sie mit einem französischen Valet de chambre verheiratet, der außer Landes lief und sie sitzen ließ; aber sie hatt nicht lange gesessen, als sie in Begleitung eines verschuldeten Harfenisten nach Paris auszog; und da und in Brüssel ist sie gewesen, bis sie in diesem Jahr um die Pfingstzeit wieder hierher ins Land zurückkam. Sie hat sonst einen natürlich aufgeweckten Kopf und angenehme Manieren, ausgenommen, wenn es passiert, daß sie betrunken ist; das ist nun all die Wissenschaft, die ich habe.«

»Daniel«, sagte sie und hielt unschlüssig inne.

»Daniel«, antwortete dieser mit einem seinen Lächeln, »ist Euch jetzt und ewiglich so treu wie Eure rechte Hand.'

»Wollet Ihr mir da beistehen? – Könnt Ihr einen – einen Wagen beschaffen und einen Fuhrmann, auf den Verlaß ist, sobald ich Euch Nachricht zukommen lasse?«

»Ja, ich kann, das kann ich; eine kleine Stunde nachher soll ein Wagen auf Bleidecker Hermanns Koppel an dem alten Bretterschuppen halten. Verlasset Euch nur darauf, wohlgeborene Madame.«

Marie stand einen Augenblick, als bedenke sie sich. »Wir sprechen uns noch«, sagte sie dann, nickte Magnille freundlich zu und ging.

»Ist sie nun nicht aller Schönheit Tresor, Magnille?« rief Daniel aus und starrte entzückt den Weg hinan, auf dem sie verschwunden war. »Und so adelig stolz,« fügte er triumphierend hinzu, »ach, sie würde mich mit dem Fuß wegstoßen, verächtlich ihre Ferse auf meinen Nacken setzen und mich sachte in den niedrigsten Staub treten, wenn sie wüßte, wie verwegen Daniel von ihrer Person träumt. – So brennend schön und herrlich! es schnitt mir für sie ins Herz, daß sie sich mir, mir anvertrauen mußte! Die majestätische Palme ihres Stolzes niederbeugen ... aber es ist Wonne in dem Sentiment, Magnille, Wonne des Himmelreichs, Magnilleke!«

Dann stolperten sie miteinander davon.


Daß Daniel und seine Schwester nach Frederiksborg gekommen waren, war also zugegangen: die arme ›leibhaftige Kürze‹ hatte nach der Szene im Stataf-Kruge eine wahnsinnige Liebe zu Marie Grubbe erfaßt. Eine arme, phantastische Liebe, die nichts anderes hoffte, forderte oder erwartete, als unfruchtbare Träume. Nichts weiter. Und das bißchen Wirklichkeit, das erforderlich war, um die Träume mit einem schwachen Schimmer von Leben zu färben, fand er in reichem Maße, indem er sie dann und wann, wenn die Gelegenheit sich bot, blitzflüchtig in der Nähe oder vorüberziehend in der Ferne sah. Aber als nun Gyldenlöve fortreiste und Marie niemals ausging, da wuchs seine Sehnsucht und stieg und stieg, bis sie nahe daran war, ihn wahnsinnig zu machen, und ihn endlich auf das Krankenlager warf.

Als er sich geschwächt und zugrunde gerichtet wieder erhob, war Gyldenlöve heimgekehrt; und von einer von Mariens Zofen, die in seinem Solde stand, erfuhr er, daß das Verhältnis zwischen Marie und ihrem Gemahl nicht das beste war, und diese Nachricht gab seiner unmöglichen Leidenschaft neue Nahrung und neues Wachstum, das unnatürlich üppige Wachstum einer Phantasterei. Ehe er noch seine Krankheit so weit verwunden hatte, daß er recht stehen und sich aufrecht halten konnte, reiste Marie nach Frederiksborg. Er mußte ihr folgen, warten konnte er nicht. Er sagte, er wolle zu der klugen Frau in Lynge, um völlig geheilt zu werden, und seine Schwester Magnille solle ihn begleiten, dann könne sie gleichzeitig Rat für ihre kranken Augen einholen. Das fanden Freunde und Bekannte vernünftig, und so fuhren denn Daniel und Magnille nach Lynge hinaus. Hier entdeckte er Gyldenlöves Verhältnis mit Fiedel-Karen, und hier vertraute er sich Magnille vollständig an, gestand ihr seine absonderliche Liebe, sagte ihr, daß für ihn nur Licht und Lebensodem sei, wo Marie Grubbe wäre, und beschwor sie, ihn nach dem Dorf Frederiksborg zu begleiten, damit er ihr nahe sein könne, die so ganz sein Gemüt erfüllte.

Magnille willfahrte ihm, sie mieteten sich in Frederiksborg ein und waren nun schon viele Tage lang Marie Grubbe aus der Ferne auf ihren einsamen Morgenspaziergängen gefolgt.

Und dann geschah es, daß sie einander begegneten.


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