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Einundzwanzigstes Kapitel

Als Alice in die Werkstatt trat, war Martin Dummer fleißig, wie immer, bei der Arbeit. Die Funken sprühten, Hammerschlag dröhnte, und die junge Frau trat in die Tür, über der die Klingel schellte, ohne daß der Geselle ihr Kommen gehört hatte.

Aber plötzlich, ehe sie noch bei ihm war, schien es, als berühre den starken Menschen eine unsichtbare Hand – die Faust mit dem Hammer sank herab, und der blonde Kopf hob sich mit gespanntem Blick. Aber dann – Alice sah es wohl – kam ein weicher Glanz in das Auge, und ein Lächeln, wie bei einem jungen Knaben, flog um die Lippen des Mannes, der der Frau mit ausgestreckter Hand entgegenging.

»Sie besuchen mich?« sagte er leise, und man sah seine großen weißen Zähne zwischen den frischen Lippen. Doch dann zog er schnell die Hand zurück und putzte sie an der Werkschürze. Und lachte: »Es nützt ja nichts, ich bin ja doch schmutzig.«

Aber Alice nahm die Rechte des Gesellen, der ihr gar nicht unsauber vorkam und zu dem sie mit einem grenzenlosen Vertrauen aufsah.

»Ihr Mann ist nicht hier, Frau Müller!«

Alice winkte mit ihrer schmalen, weißen Hand.

»Ich weiß, ich weiß, Herr Dummer –«

Sie schwieg. Er sah sie voll Mitgefühl an.

Und Alice sagte leise:

»Darum komm' ich ja zu Ihnen, Herr Dummer!«

Plötzlich verdeckte sie die Augen mit der Hand, als wollte sie weinen.

Der Geselle hätte lieber mit der Hand ins Feuer gegriffen, als den Schmerz der Frau mit angesehen, die er heimlich schon so lange liebte. Alles in ihm schrie nach Zärtlichkeit. Aber einem anderen die Frau nehmen, mochte er auch noch so ein elender Kerl sein – das wollte sein Gewissen nicht! Die Stirn wurde ihm feucht, sein starkes Herz klopfte wie einer seiner großen Treibhämmer. Aber er tat nichts, er wartete, bis Alice leise sagte:

»Ach, was soll ich denn bloß tun, Herr Dummer? Ich weiß ja gar nicht, was ich anfangen soll!«

Sie umfaßte seinen Arm, als müsse sie sich an ihm festklammern.

»Was haben Sie denn, Frau Alice, was ist denn geschehen?«

Sie lehnte sich an ihn und klagte:

»Ach, ich habe ja keinen Menschen auf der Welt – keinen!«

Das war zuviel für den Gesellen. Ganz behutsam legte er den einen Arm um die zarte Gestalt und sagte innig:

»Doch, Frau Alice, einen haben Sie! Der tut alles für Sie! Aber ich weiß ja nicht, was ist – Sie müssen mir's schon sagen!«

Doch die Frau seufzte nur und zitterte.

Da nahm sie Dummer in den Arm und führte sie zu dem kleinen Kontor hin, wo ein Stuhl stand. Und auch, wenn etwa ein Kunde käme, daß er nicht gleich sehen sollte: der Geselle hatte die Frau Meisterin im Arm.

Aber Alice wollte nicht in das kleine Gelaß hinein. Kopfschüttelnd sagte sie mehrmals:

»Nein, nein, da nicht!«

Martin Dummer glaubte, sie fürchte sich, mit ihm allein zu sein. So ging er hinein und holte den Stuhl heraus.

Sie setzte sich auch. Und sah ihn mit schwimmenden Augen an und murmelte:

»Nein – nein! Ich kann es ja nicht sagen –«

»Er hat wohl was verbrochen?«

Alice nickte. Und plötzlich faßte sie sich ein Herz und sagte klar und deutlich:

»Ja, er hat das Geld genommen, von dem Berwin –«

Dummer brachte kein Wort heraus.

Und Alice sprach mit einer kalten, harten Stimme, als ginge sie die Sache nichts an, und erzählte alles klarklein:

»Er ist nicht in Hamburg geblieben in der Mordnacht. Und hat auch sein Rad nicht eingestellt auf dem Bahnhof. Das stand im Lokal von Hebenstreit. Von da ist er in die Nacht rausgefahren nach Ravensbrok. Aber draußen war's so nebelig in der Heide, da mußte er das Rad führen. Und dann – und dann hat er 'n gefunden, den Berwin – Aber der war schon tot, durch den Kopf geschossen – und Arnold, mein Mann, der hat ihm das Geld weggenommen – das hat in der gelbledernen Brieftasche gesteckt – Sie wissen doch, die damals unser Fritz unter dem Sofa gefunden hat, als wir bei Ihnen im Kontor waren. Das war Berwins Tasche, da war das Geld drin gewesen. Mein Mann kam denn nachher auch, aber als Fritz ihm die Brieftasche brachte, da ist er gleich weggegangen – und seit dem Tage ist er nicht wieder nach Hause gekommen, nach Ravensbrok – bis gestern nacht, und da hat er Abschied genommen für immer –«

Die Frau saß auf dem Stuhl. Sie blickte mit leeren Augen vor sich hin. Es sah aus, als wüßte sie gar nicht, wovon sie sprach.

Der Geselle bekam es mit der Angst. Nicht daß ihn die Freveltat des Meisters in Schrecken versetzt hätte – so leicht erschrak Martin Dummer nicht! Was ihn quälte und aufregte, war allein Alices Angst und Sorge.

Und da er sie so gänzlich hilflos und – wenigstens in seiner Phantasie – dem Ärgsten preisgegeben sah, da war es ihm, als wäre sie noch ein Kind, ein armes, am Leben verzweifelndes Kind, das er schützen und vor einem schlimmen Ende bewahren müßte. Und ohne Angst und Weh aus ihrem Herzen schwanden eine Spur von Selbstsucht, nur erfüllt von der Hingabe des Liebenden, der sich selbst zum Opfer bringt, nahm er sie in seine Arme und bettete sie an die breite Brust, an der wahrlich Platz genug für eine so zarte Blume war.

»Ich bin bei Ihnen, liebe Alice, ich verlasse Sie nicht! Solange Sie es wollen, bleibe ich bei Ihnen!«

Sie küßten sich nicht. Es war nichts von Verlangen oder gar Leidenschaft in ihrer Umarmung. Martin Dummer war stolz und glücklich, daß er die geliebte Frau so halten und schützen durfte. Und Alice, die, obwohl schon längst Mutter, im tiefsten doch immer Kind geblieben war, fühlte sich so zufrieden, so geborgen im Arm dieses starken Mannes, daß und sie nur noch den Wunsch hatte, in seiner Liebe auszuruhen.

* * *

Nur die Polizeibehörde war mit solch' simplem Ausgang nicht einverstanden. Kommissar Reimer und sein Assistent Lüders setzten Telegraph und Telephon immer wieder in Bewegung. Es ist ja schließlich nicht gleichgültig, ob einer, der fünfzigtausend Mark unterschlägt, damit wegkommt oder ob dem Staat solche Summe zufällt. Außerdem muß so ein Übeltäter im Interesse der öffentlichen Moral gefaßt werden. So wußte man denn auf der Polizei auch nach kurzer Zeit, daß Arnold Müller nach Amsterdam geflohen und von dort mit einem portugiesischen Segler weitergereist war.

Das Schiff landete auch im Hafen von Portoriko. Aber dort wies der Kapitän aus seinem Logbuch nach, daß der Passagier Müller in einer Sturmnacht, weil er durchaus nicht in der Kajüte, sondern mit aller Gewalt an Deck bleiben wollte, von einer Sturzsee über Bord gespült und ertrunken wäre. Man hatte alles zu seiner Rettung aufgeboten, hatte trotz des tollen Wetters ein Boot hinabgelassen; aber in jenen Meeren gibt es Haifische, die viele Opfer fordern. So kündete das Logbuch des Portugiesen Arnold Müllers ruhmloses Ende. Und gegen ein solches Schiffsregister gibt es keinen Rekurs. –

Herr Reimer und sein Gehilfe legten die Sache Müller zu den Akten. Und auch bei denen, die den Feilenhauer sonst kannten, erregte sein Tod kein großes Bedauern.

Maria Stark faßte das in ein gutes Wort zusammen. Sie sagte:

»Die Liebe geht über das Grab hinaus. Aber wo keine Liebe war, kann auch keine Trauer sein und kein treues Gedenken. – Wohl uns, die wir lieben und geliebt werden!«

 

– Ende –


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