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Siebzehntes Kapitel

Vor dem Gefängnisportal stand von Bernewitz' Auto. Und als Hannes Stark einstieg, zitterten ihm die Knie. Er lachte: »Nanu, ich werde doch nicht jetzt noch schlapp machen, wo alles vorüber ist?«

Der Rechtsanwalt saß am Steuer. Er hörte Starks Worte und dachte: »Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben!« Aber sagte nichts, er stellte den zweiten Gang ein und gab Gas.

Sie fuhren schnell und sprachen nicht weiter. Hingen nur jeder seinen Gedanken nach.

Stark dachte an Maria. Und bei all seiner zärtlichen Sehnsucht empfand er doch eine geheime Angst vor dem Wiedersehen. War nicht alles Unglück, das über sie beide gekommen, einzig und allein seine Schuld? Hatte er je seine wilde Leidenschaft gebändigt? Ja, war er sich nicht wer weiß wie groß und erhaben vorgekommen, wenn er mit seiner körperlichen Kraft des anderen Herr ward? Hatte er nicht diesen kleinen armseligen Menschen, den Berwin, beinahe erwürgt, damals an dem Morgen, als der Kollekteur kam, der Nathusius, und die Kunde von dem großen Gewinn brachte?

Und dann in der Nacht, in der Mordnacht – wie konnte, wie durfte er den angetrunkenen Mann allein in den nebligen Wald gehen lassen? Mußte er nicht an Berwins Seite bleiben, und wenn ihn der Reisende auch noch so sehr mit seinem Eigenwillen gereizt hatte?

Er sah ihn wieder fortgehen, zwischen den Stämmen, zwischen denen der Nebel hing, als wenn man weiße Tücher ausgespannt hatte. Wenn er, Stark, mit dem armen Menschen gegangen wäre, dann hätten sich die Ströpper wohl gehütet und nicht geschossen.

Ach, wie gern hätte er sein Unrecht an dem armen Berwin wieder gutmachen wollen. Aber der lag längst in der kalten Erde und wußte nichts mehr von Haß und Liebe. Er war ja geizig und selbstsüchtig gewesen, aber zuletzt hatte er ihm doch die dreitausend Mark gegeben – ja, die dreitausend –

Er sah den Rechtsanwalt an, der jetzt schneller fuhr und stracks geradeaus sah.

Trotz seines schnellen Fahrens und trotz angespanntem Voraussehens flogen durch Doktor von Bernewitz' Hirn auch Bilder, die mit der Wandsbecker Chaussee nichts zu tun hatten. Und sonderbar, was der Anwalt dachte, war gar nicht so weit ab von dem, was den Maler beschäftigte.

Er dachte an Maria. Und fühlte innig und unweigerlich, wie teuer sie ihm war. Aber ebenso unverrückbar empfand er auch, daß sie für ihn unerreichbar wäre. Ja, er erkannte klar, daß auch nicht der Wunsch in ihm glimmen dürfe, sie zu erringen. Das hatte mit seiner Überzeugung von Marias Treue nichts zu tun. Man weiß niemals, ob die geliebte und begehrte Frau einen Mann liebt, ehe sie ihren Widerstand aufgibt und sich dem Geliebten ganz, überläßt. Ja, es gibt wohl Männer, die es auch dann noch nicht wissen. Für von Bernewitz kam all das gar nicht in Frage. Ob sein Herz Sehnsucht nach Maria empfand oder nicht – sie stand für ihn außerhalb jeder, auch der zartesten Form einer Werbung. Er war ihr Freund und alles, was ihm sein Gewissen erlaubte, war: daß er ihr und ihrem Mann half, aus diesem dicken Lebensnebel wieder herauszufinden. Es gibt Dinge, für die sich ein anständiger Mensch nicht bezahlen läßt, in keiner Form. Und zu diesen Dingen gehörte die Hilfe, die Aldo von Bernewitz Maria geleistet hatte. Er lachte leise in sich hinein: also doch Maria!

Das war der Augenblick, in dem Hannes Stark bei den dreitausend Mark angekommen war, die der Tote ihm geschenkt und die das Gericht am Tage seiner Verhaftung konfisziert hatte.

Wo waren die dreitausend Mark? – Zweifellos in der Gerichtskasse! Und wem gehörten sie? – Doch ihm, keinem anderen!

Nachdem Riebenstedt beschworen hatte, daß Berwin sie damals in der Toilette zugebilligt hatte, konnte doch kein Zweifel mehr obwalten, daß er der rechtmäßige Besitzer war. Wie kam das Gericht dazu, sie ihm auch jetzt noch vorzuenthalten? Er fragte den Anwalt:

»Glauben Sie denn, Herr Rechtsanwalt, daß man mir die dreitausend Mark auszahlen wird, die ich von Berwin habe?«

Von Bernewitz hatte gerade da, an dem Geldpunkt, eben mit seinen Gedanken gehalten. Allerdings dachte er dabei mehr an Maria, die das Geld gut würde brauchen können. Denn daß Hannes Stark jetzt mit Schwierigkeiten würde zu kämpfen haben, daran war nach Bernewitz' Erfahrungen nicht zu zweifeln. So leicht läßt der Löwe Publikum sich seine Sensationen nicht aus den Zähnen reißen!

»Das Geld gehört Ihnen, lieber Freund, und die Justiz denkt nicht daran, sich an solchem Mammon zu bereichern. Es wird nur noch ein bißchen dauern, bis sich die Formalitäten erledigen lassen. Aber –« von Bernewitz stockte ein wenig, »es wäre ja möglich, daß Sie, lieber Herr Stark, das Geld schon eher brauchten. In dem Fall bitte ich Sie, über mich zu verfügen. Ich gebe Ihnen einfach einen Vorschuß. Denn über meine Kanzlei muß das Geld ja doch gehen.«

Das so leicht erregbare Temperament des Künstlers warf ihn förmlich hinab in eine neue Bestürzung. Borgen, anborgen sollte er den Mann, der ihm schon soviel geopfert hatte an Arbeit, Zeit und Geld? Tief atmend hob Stark die Linke wie zur Abwehr:

»Nein, um Gottes willen nicht, Herr Rechtsanwalt! Das ist zuviel! Das geht nicht! Nein, auf keinen Fall!«

»Aber ich bitte, Herr Stark –«

»Nein, nein, Herr Doktor! Das kann ich nicht! Und wenn ich selbst wollte, Maria würde es bestimmt nicht tun!«

Von Bernewitz lächelte. Und dieses milde, verzeihende und sich selbst anklagende Lächeln entwaffnete den Maler. Mit einem Schluchzen, das er mühsam überwand, sagte er leise:

»Verzeihen Sie, Herr Doktor, Sie sind zu gut. Aber – es ist so schwer – sich soviel schenken zu lassen.«

Der Anwalt nickte nur. Aber seine Gedanken eilten dem schnellen Tempo des Wagens voraus: Was würde Maria sagen, was würde sie fühlen, wenn er ihr den Liebsten heimbrachte – und war es recht, sie so unvorbereitet zu überraschen?


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