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Dreizehntes Kapitel

Während der Kommissar in ärgerlichem Grübeln wieder auf seinen Platz ging, läutete im Nebenraum, wo der Assistent saß, das Telephon. Und Reimer hörte ein paar aufgeregte Worte, dann erschien Lüders in der Tür und meldete:

»Amtsvorsteher Kleinert aus Ravensbrok ruft an, Herr Kommissar. Der alte Meiners hat einen Zusammenstoß mit einem Wilddieb gehabt. Beide sind verwundet. Der Wilderer ist stark blutend im Wald entkommen. Der Amtsvorsteher sagt: Die Sache ist sehr mysteriös. Herr Kommissar möchten doch, wenn es irgend Ihre Zeit erlaubt, gleich herauskommen.«

Der Kommissar stand auf. In seiner jetzigen, reichlich düsteren Stimmung hätte ihm nichts Lieberes passieren können, als dieser Aufruf zu einer Aktion, die möglicherweise mit der ihn gerade beschäftigenden Angelegenheit zusammenhing.

»Sie kommen mit, Lüders!«

»'wohl, Herr Kommissar! Das Dienstauto?«

Reimer nickte nur, er war schon ganz in die neue Aufgabe vertieft. Fünf Minuten später saßen sie im Auto, das der Kriminalassistent steuerte.

Es war ein wundervoll milder Apriltag.

Nach geraumer Zeit waren sie am Butenweg und hielten vor Kleinerts Häuschen, dessen blaue Läden alle weit offen standen.

Der Amtsvorsteher, sonst ruhig und gelassen, wartete schon voll Ungeduld auf den Kriminalbeamten.

Er bot aber doch höflich Kognak und Zigarren, ehe er berichtete.

»Heute, in der Frühe, hat der alte Flurhüter Meiners den Zusammenstoß mit dem Wilddieb gehabt, von dem ich Ihnen schon am Telephon sagte –«

Der Assistent sah den Kommissar an und fragte:

»Heute vormittag, Herr Amtsvorsteher? Wann kann das wohl gewesen sein?«

»So ungefähr um halb zehn.«

Reimer und Lüders blickten einander an. Der Kommissar fragte:

»Wo ist denn der alte Meiners?«

»Er liegt zu Hause und kühlt seine Wunden. Es ist nicht weiter schlimm, aber ein paar Schrote haben ihn doch gefaßt, am Arm und im Rücken. Glücklicherweise hatte er den Rucksack auf dem Buckel und darin eine Pelzweste, weil er manchmal ansitzt und dann leicht kalt wird. Wenn das nicht war, so war' er wohl nicht so davongekommen.«

»Und wer hat ihn angeschossen?«

»Ein Zigeuner, sagt er. Aber ich denke, der alte Mann kann sich da auch irren. Solche Halunken machen sich manchmal das Gesicht schwarz oder färben sich mit Nußsaft. Aber die Sache muß ganz dramatisch gewesen sein. Der Alte ist schon seit geraumer Zeit hinter dem Wilddieb her. Und heute früh, wo er schon fertig ist mit seiner Streife und nach Hause will, da findet er auf dem Sandweg wieder die Spur von dem Kerl, die er sich natürlich genau eingeprägt hat. Der linke Fuß tritt etwas nach auswärts. Ein anderer würde das kaum sehen, aber der Alte hat trotz seiner Jahre noch wahre Falkenaugen! Also nun gab's für ihn kein Ausruhen, kein Nachhausegehen mehr! Er schleicht wie solch' alter Wildkater, und wie er an eine Blöße kommt, da sieht er durch die letzten Tannen: der Mensch ist gerade dabei, ein Reh aufzubrechen.

Der Alte steht baumstill und sieht sich nach einer guten Deckung um. Da, fünf Schritt vor ihm, die hundertjährige Eiche! Da haut keine Kugel durch! Und wahrhaftig, er kriegt's fertig und kommt unhörbar 'rüber hinter die Eiche!

Aber beim letzten Schritt muß er falsch getreten haben. Wie der Alte hochatmend hinter dem Baum steht, ist der Wilderer verschwunden! Dreißig Schritt gegenüber von Meiners ist ein Fichtenhorst, noch jung, vielleicht zehnjährig, da drin muß er stecken!

Der Alte bohrt seine krallen, blauen Augen in das Nadelgewirr. Das ist zu dicht, er sieht nichts! Der Kerl steckt drin! Aber zu sehen ist er nicht.

Da kommt dem Alten eine Idee! Er nimmt seinen regenverwaschenen Filz vom Schädel und steckt ihn auf seinen Krückstock. Und dann hält er den Stock mit dem Hut genau in seiner Kopfhöhe etwas über den Rand der dicken Eiche hinaus. Der Baum hatte viel jungen Ausschlag, der drüben konnte wohl den alten Hut sehen; ob ein Gesicht darunter war, das sah er nicht, aber er glaubte es!

Und kaum guckte der Hut hervor, so knallte es drüben! Prompt sackte der Alte aufkrächzend hinter dem Baum zusammen. Aber unhörbar war er im nächsten Augenblick wieder auf den Läufen! Und wartete –

Der Ströpper ließ sich Zeit. Mißtrauisch wie der Wolf, mit dem er Ähnlichkeit hatte, lauerte er eine Zeitlang. Dann richtete er, das Gewehr schußfertig an die Schulter gesetzt, sich auf und trat aus dem Tannicht.

Der Alte, doch schon ein bißchen steif in den Knochen, mußte, um zu schießen, hinter der Eiche hervor. Und er tat's! Er hatte den Löwenmut, der dazu gehört!

Er sprang vor, schoß und warf sich mit dem Gesicht nach unten zu Boden. Das hatte er gut überlegt. Aber er war doch nicht schnell genug! Der Wilderer kriegte den ersten Schuß aus des Alten Flinte, das konnte man an dem vielen Blut sehen, das er verloren hat, aber er besaß trotzdem noch die Kraft, auf den Alten zu schießen und davonzulaufen. Vielleicht hätte man ihn eingeholt, wenn jemand dagewesen wäre, der ihn verfolgt hätte. Aber Meiners war dazu nicht imstande. Er glaubte anfangs, es war' sein Ende. Aber dann bewegte er sich, und als das einigermaßen ging, da rappelte er sich hoch und kroch bis an den Weg. Da lag er noch 'ne Stunde oder zwei, und dann kam der Ravensbroker Schlächter. Der lud ihn auf und fuhr ihn heim. Nun sitzt seine Tochter bei ihm und muß ihn mit Gewalt festhalten, der alte Feuerbrand will doch nicht im Bett bleiben!«

»Und den Wilddieb hat man nicht gefunden?«

»Nein, ich sagte Ihnen ja schon, Herr Kommissar, wir haben nicht mal eine Vermutung, wer er ist!«

Reimer wandte sich an seinen Assistenten:

»Das ist also unsere nächste Aufgabe, Lüders! Und ich sage Ihnen: Diesmal kriegen wir den Halunken!«


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