Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel

Der Kommissar Artur Reimer war ein schmaler, fast schwächlich aussehender Mann, der gleichwohl über bedeutende Kräfte und über einen vor nichts zurückschreckenden Mut verfügte. Er saß am Tisch und schob den blonden Schnurrbart zwischen die Lippen, was er nur tat, wenn er nachdachte.

»Ich glaube, wir haben's da mit einem dreimal Gesiebten zu tun, Lüders! Dieser Jan Lubjank hat schon etwas hinter sich – vorbestraft wegen Wilderns, Mordverdacht, Bankerott und eine Unzahl von Übertretungen in seinem Betrieb als Gastwirt. Denn das war er nebenbei immer. Die Ortsbehörde in Ravensbrok hat ihn auch jetzt wieder stark im Verdacht. Allerdings scheint er nicht mehr selber jagen zu gehen. Er kauft Wild, natürlich billig! Es muß da ein Kerl sein, der so 'ne Art Tarnkappe hat. Die Förster und Flurwächter sind überall hinter ihm her, im ganzen Gebiet. Aber gefaßt oder auch nur gesehen hat ihn noch keiner. Und dabei ist der alte Meiners aus Ravensbrok mit seinen krummen Knochen der reine Gottseibeiuns für die Ströpper! Er und Gendarm Meinshausen, die haben sich's zugeschworen, sie bringen den Wilddieb zur Strecke.

Gestern hab' ich mit dem Amtsvorsteher Kleinert gesprochen. Der ist auch überzeugt, daß der Lubjank mindestens der Abnehmer für das Wild ist, wenn er nicht doch noch heimlich selber geht. Und wenn draußen in der »Bärenhöhle« was los ist, 'ne Festlichkeit oder Tanzvergnügen, dann gibt's allemal Hasen- oder Rehbraten.«

»Ja,« nickte der Assistent, »das schwarze Mädel in der Küche, mit der muß der Wirt ganz vertraut sein. Ich hab' mich schon an sie 'rangemacht – nebenbei ist sie hübscher wie die ganzen Mariells in Ravensbrok zusammengenommen! –, aber eher bringt man einen alten verstockten Ganoven zum Reden wie die kleine Schwarze da draußen.

Ich glaube übrigens, der Lubjank ist schon da. Was meinen denn Herr Kommissar, wie Sie ihn anfassen werden – der ist hart wie Eisen. Aber eher preßt man Wasser aus einem Stein, als man aus dem was 'rausbringt. Den muß man auf die feine Fahrt nehmen!«

»Ich tu' das eigentlich nicht gern,« brummte Reimer, »das Auf-den-Schmus-nehmen, das überlasse ich lieber anderen Leuten,« er sah dabei den Assistenten an, der grinste, »aber manchmal geht es nicht anders, der Lubjank ist zu gerissen. Sie müssen aus dem Zimmer, Lüders! Natürlich bleiben Sie hinter der Tür! Obgleich ich nicht glaube, daß es uns viel nützen wird. Ich wette, der Kerl lacht jetzt schon über uns. Also holen Sie ihn mal 'rein!«

»Jawohl, Herr Kommissar.«

Der Assistent marschierte hinaus auf den Flur. Da sah er schon den Wirt der »Bärenhöhle« auf der Wartebank sitzen.

Die große, füllige Gestalt bequem angelehnt und eine Ruhe und Selbstsicherheit auf dem dunklen Gesicht, als dürfe er in jedem Augenblick vor den Richter unserer Taten hintreten, wartete der Wirt lächelnd, daß er aufgerufen würde.

Nun begrüßte er den Assistenten, wie ein Wirt einen lieben Gast, mit biederem Handschlag.

Assistent Lüders, ebensolch Filou, sagte herzlich:

»Und was bringen Sie uns, Herr Lubjank?«

»Wenn Sie's nicht wissen, Herr Lüders, ich weiß es ganz sicher nicht.«

»Na, denn man 'rein ins Vergnügen!« sagte der Assistent, die Tür öffnend. Er ließ den Wirt eintreten, er selbst blieb draußen.

* * *

»Nu reden wir doch mal frei von der Leber weg, lieber Lubjank,« sagte der Kommissar. »Rauchen Sie?«

Er hielt seine Tasche dem Wirt hin, und der nahm dankend die Zigarre. Der Kommissar steckte sich selbst eine an, gab dem Wirt Feuer und meinte lächelnd:

»Sie werden mich nicht für so naiv halten, daß ich Sie hierhergebeten habe« – das Gesicht mit der großen Nase verzog sich zum Lachen, und Reimer lachte mit –, »um ein Verhör mit Ihnen anzustellen, lieber Lubjank! Sie sind ein alter Wilddieb, das wissen wir beide, und die Akten,« er klopfte auf das Faszikel, »die sagen es ebenfalls! Daß Sie damals die Sache gehabt haben mit dem Jagdpächter Heidler, das war eben Pech, und daran denkt heute keiner mehr!«

Der Wirt der »Bärenhöhle« richtete sich ein wenig gerade, sein feistes Gesicht nahm einen belustigten Ausdruck an.

»Verzeihen Sie, Herr Kommissar, wovon reden wir eigentlich? Doch wohl nicht von meiner Wenigkeit? Da sind ein paar Geldstrafen, wie sie in meinem Geschäft eigentlich unvermeidlich sind. Dann hab' ich viel Unglück gehabt in meinem Leben. In der großen Geschäftsflaute mußte ich, wie so viele andere auch, vorübergehend meinen Laden zumachen. Aber ich hab' mich wieder hochgerappelt und stehe heute als geachteter Mann da! Und was die Geschichte mit dem Jagdpächter Heidler anbetrifft, na, ich sollte meinen: wenn je ein Mensch unschuldig gebüßt und gelitten hat, dann ist es der, der hier vor Ihnen sitzt! Ich will den alten Kohl nicht wieder aufwärmen, es regt mich zu sehr auf, Herr Kommissar, und wenn Sie mir weiter nichts zu sagen haben, dann ist's am besten, ich gehe wieder! Ich habe zu tun zu Hause!«

Reimer nickte.

»Eigentlich haben Sie ja recht! Und ich hätte Sie ja deshalb auch nicht kommen lassen, wenn nicht eben jetzt wieder diese Jagdsache die Gemüter beunruhigte – «

»Und da wollen Sie mich wohl als Täter in Anspruch nehmen?« fiel der Wirt dem Kommissar ins Wort. Er lachte kurz auf: »Vielleicht verhaften Sie mich gleich!«

Reimer sah den Mann aus der »Bärenhöhle« ruhig an.

»Für so töricht müssen Sie mich nun doch nicht halten, lieber Herr! Daß Sie heute nicht mehr jagen gehen, das wissen wir. Sonst hätten die Beamten da draußen Sie längst abgefaßt.«

»Na, na, Herr Kommissar, nu' machen Sie's mann hallwege! Abgefaßt hat Jan Lubjank noch keiner! Am wenigsten der alte Gichtknoten, der Meiners.«

Der Kommissar hob die Hand.

»Sachte, sachte mit die jungen Pferde! Was Sie immer noch für 'n Temperament haben, alter Freund! Wir wollen uns doch nicht aufregen!«

Reimer steckte die Zigarre wieder an, die ihm ausgegangen war. »Was ich von Ihnen will, ist etwas ganz anderes und hat mit Ihrer Person nicht das geringste zu tun! Höchstens mit Ihrer Wohnung draußen in der Heide –«

Der Kommissar sah, wie es in den von schweren Lidern überhangenen Augen des Wirtes aufglomm. Er war also auf dem rechten Wege!

»Herr Lubjank, was sollen wir denn weiter Versteck spielen! Was ich will, ist das: Sie sollen mir helfen! Wir kommen mit der Sache Berwin nicht weiter. Der Reisende ist erschossen worden. Von wem? – Das weiß keiner. Und warum? – Wegen des Geldes, das er notorisch bei sich trug? – Wieder eine große Rätselfrage! Ich neige zu der Ansicht – nein, ich will lieber mal zuerst Ihre Meinung hören, Herr Lubjank! Bei Ihrer Vorliebe für Wald und Wild haben Sie doch gewiß schon darüber nachgedacht?«

Der Wirt wiegte seinen dunklen Kopf und überdachte die Sache scheinbar. Schließlich ließ er sich so vernehmen:

»Ich habe auch schon darüber spintisiert, Herr Kommissar – selbstverständlich –, aber ich kenn' ja die Leute kaum – der Stark war manchmal draußen, und den Berwin, den hab' ich wohl auch mal gesehen. Ich erinner' mich an das merkwürdig helle Haar von dem jungen Menschen – aber kennen tu' ich den gar nicht. Von dem Stark hab' ich gehört, er soll sehr jähzornig sein. Irgendein Gast hat mal was davon erzählt – ja, jetzt erinner' ich mich auch, was. Stark und der andere sind zusammen angeln gewesen. Und da hat der andere – den Namen hab' ich vergessen – sich 'n Witz gemacht und hat 'n Salzhering, während der Stark sich mal umdrehte, an seine Angel gebunden. Und wie der Maler den rausgezogen hat, da ist er so wütend geworden, daß nicht viel gefehlt hat, und er hätte den anderen aus 'm Kahn ins Wasser geschmissen! Vom Ufer haben welche zugesehen und sind schon mit 'm Boot rangekommen, sonst hätte der Stark vielleicht damals schon ins Kaschott rein müssen!«

»Wollen Sie damit sagen, lieber Lubjank, daß dem Stark die Tat schon zuzutrauen wäre?«

»Wissen Sie, Herr Kommissar, ich möchte am liebsten gar nichts sagen. Wenn man's am eigenen Leibe erfahren hat, was Reden und Tratschen anrichten kann – wenn man weiß, wie leicht einer ins Schlamassel kommen kann – da wird man vorsichtig!«

Der Kommissar sagte:

»Ich habe geglaubt, Sie würden mir n' bißchen helfen, lieber Lubjank. Es sind ja schließlich dreitausend Mark Belohnung ausgesetzt und außerdem zehn Prozent der Summe, die wieder eingebracht wird!«

»Das wär' 'n schöner Brocken,« nickte der Wirt, »und weiß Gott, ich könnt's brauchen!« Er überlegte. »Im übrigen, man soll nichts verreden! Ich höre ja manches in meiner Einöde da draußen. Und das versprech' ich Ihnen, Herr Kommissar, ich will Augen und Ohren offen halten! Wer weiß, vielleicht können wir doch noch ein Geschäft zusammen machen!«

Er stand auf.

»Sonst ist doch nichts, Herr Kommissar?«

Der dachte im stillen: Lüg' du und der Deubel.

Aber laut sagte er:

»Nee, ich wüßte nicht, Herr Lubjank – übrigens, ja – Sie kennen den Feilenfabrikanten Arnold Müller?«

»Doch,« nickte der Wirt.

»Der war befreundet mit dem Erschossenen, nicht wahr?«

Der Wirt zuckte die Achseln. Er wußte nicht, wo der Kommissar hin wollte, und das hieß für ihn, noch vorsichtiger sein.

»Ich kenne Müller wenig. Er kommt sehr selten in mein Lokal – verkehrt wohl mehr in Hamburg, wo er ja auch seine Fabrik hat.«

Reimer nickte eifrig.

»Ja, ja! Es ist nur, weil er doch zuletzt mit dem Erschossenen zusammen war –«

»Pardon, Herr Kommissar, ich meine, das wär' der Maler Stark gewesen?«

»Richtig! Aber vorher in der Kneipe war doch Müller auch dabei!«

»Ja, vorher!« Der Wirt dehnte das Wort mit einem bösen Lächeln. »Vorher war Müller dabei! Aber nachher waren die beiden allein, der Berwin und Stark. Ja, und das kann dem Maler leicht den Kopf kosten! Aber die Justiz irrt sich eben auch manchmal! Wie damals, wo ich beinahe hätte dran glauben müssen, wegen dem Jagdpächter Heidler!«

»Sie haben recht, lieber Lubjank!« Der Kommissar ging zur Tür. »Sie haben ganz recht! Wir irren uns alle mal!«

In Gedanken setzte er hinzu: Auch der ist manchmal im Irrtum, der denkt, man kann ihm nichts anhaben!


 << zurück weiter >>