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Zwanzigstes Kapitel

Es war noch heller Nachmittag, als vor dem Häuschen der Witwe Winkel im Butenweg das Auto des Rechtsanwalts von Bernewitz hielt.

Maria war eben beim Bäcker gewesen und kam, den Korb am Arm, schnell daher. Der Anwalt stieg aus und wartete auf sie. Sie gingen ins Haus.

»Ich habe Ihnen etwas Erfreuliches mitzuteilen, Frau Maria.«

Sie standen einander gegenüber in der guten Stube. Die farbige und halbfertige Handarbeit lag auf Stuhl und Sofa, und Maria räumte das bestickte Linnen fort, um dem Gast Platz zu machen.

»Ich bringe die Zustimmung der Gerichtsbehörde, daß Ihr Mann die eingezogenen dreitausend Mark zurückerhält. Er kann das Geld jederzeit an der Gerichtskasse beheben.«

Mit einem Jubellaut sprang Maria auf und streckte dem Anwalt beide Hände entgegen.

Von Bernewitz nahm sie, und da er die Freude auf ihrem Hals und Antlitz aufflammen sah, fühlte er sein Herz schneller schlagen.

»Sie glauben nicht, Herr Rechtsanwalt, wie ich mich freue!« –

Er nickte nur. Der allezeit Wortsichere brauchte eine Weile, ehe er sich zurechtfand.

Maria selbst war ganz unbefangen. Frauen sind immer schwer zu ergründen. Am schwersten dann, wenn sie sich selbst nicht ganz klar über ihre Empfindungen sind. Sie war vielleicht eine Zeit bezaubert gewesen von diesem schlanken, adeligen Mann, der voller Geist und Klugheit ihr mit soviel Güte und Menschlichkeit zu Hilfe kam.

Aber nun war der zurückgekommen, dem ihr Herz von Anfang an gehörte und den sie, kaum, daß er wieder bei ihr war, auch nicht einen Augenblick weniger liebhatte.

Von Bernewitz kam ihr vor wie das Ideal eines Mannes, das Frauen in ihren einsamen Stunden erträumen. Aber der Mann, dem sie angehörte, den sie liebte und mit dem sie ihren Lebensweg gehen wollte, das war Hannes Stark! An dem hing ihr Herz, um den sorgte sie sich, wie eine Mutter und eine Geliebte. Und wahrlich, sie brauchte all' ihre Zeit und ihre ganze Kraft, um den so hart Getroffenen wieder aufzurichten!

Nur daran dachte sie, als sie hörte, er würde das Geld bekommen.

»Er denkt, ich merke es nicht, Herr Rechtsanwalt, daß er sich Sorgen macht. Aber ich möchte manchmal laut schreien, wenn ich sehe, wie er sich den Happen vom Mund abdarbt, weil er sich schämt, daß er nichts verdient und Mutter und ich das Geld heranschaffen. Aber er müßte trotzdem schon hier sein – um drei Uhr ist er fort, und jetzt ist es bald halb acht Uhr – ich habe immer Angst –«

»Daß ihm etwas passiert ist?«

»Nein, das weniger – aber er ist oft so verzweifelt.«

Von Bernewitz schüttelte den Kopf.

»Nein, Frau Maria, da verkennen Sie Ihren Mann. Der gibt das Heft nicht aus der Hand, bis er auf den Grund der Sache kommt. Da brauchen Sie keine Sorge zu haben! Naturen wie er lassen sich wohl rasch niederdrücken, aber sie sind auch ebenso schnell wieder auf den Füßen. Und jetzt, wo er Geld hat, da sollen Sie mal sehen, wie rasch er sich erholt und wie bald er seine alte Kraft wieder hat! Aber ich will gehen, sonst wundern sich die Leute, was ich solange bei Ihnen tue.«

Sie lachte.

»Ja, da haben Sie recht, lieber Herr Doktor! Die Ravensbroker, sagt meine Mutter – die übrigens auch bald kommen muß, sie ist liefern gegangen –, die haben Albenaugen, die sehen durch Mauer und Glas. Alben sind Elfen. Mutter ist Schlesierin, und die Schlesier, die wissen und kennen so allerhand Spuk und Sagen. Wenn wir abends allein bei der Lampe sitzen und arbeiten, dann erzählt sie mir, gerade als ob ich noch so 'ne lütje Deern wär' –«

»Das bist du ja auch«, sagte von Bernewitz' Blick. Doch er lächelte nur und verabschiedete sich.

Ein paar Minuten, nachdem von Bernewitz gegangen war, kam die Mutter, und sie, die ihr Kind kannte, fragte sofort:

»Was hast du bloß, Madel? Du brennst ja wie Klatschmohn!«

Maria lachte wie ein Kobold.

»Wir haben dreitausend Mark gewonnen, Mutti!«

Die alte Frau schüttelte den Kopf.

»Das kann ja wohl nicht sein, Maria?«

»Doch, Mutter, doch. Das ist so! Hannes kriegt die dreitausend Mark ausgezahlt von der Gerichtskasse. Du weißt doch, die sie beschlagnahmt haben, damals bei Berwins Tode.«

Frau Renate faltete die Hände. Ihre gläubige Seele wohnte so nahe dem Höchsten, daß Dank für solche Wohltat und stilles Gebet bei ihr eins waren. Dann besprach sie mit ihrer Tochter die mancherlei Sorgen und Nöte ihres gemeinsamen Lebens, die nun mit einem Male aufhören sollten. Und wie sie darüber noch redeten und rechneten, ging die Haustür, und der Maler kam.

Mit so schwerem Herzen er eingetreten war, die frohen Mienen der beiden Frauen, ihre zuversichtlichen Stimmen ließen ihn plötzlich Licht und Sonne sehen. Es war ja Abend, und die Lampe strahlte nicht heller als sonst. Aber Marias blaue Augen blitzten ihn an, und auch die Mutter schien etwas von ihrer Jugendlust wiedergefunden zu haben.

»Was ist denn? Was habt Ihr denn bloß?«

Als er es hörte, wurde er ganz still.

Maria hing sich an ihn, sie sah, wie er mit sich rang.

Dann befiel ihn wieder jenes nervöse Lachen, das er früher oft gehabt hatte, wenn er berauscht war. Die blonde Frau dachte schon, daß er heute in seinem Ärger getrunken hätte. Aber da sie ihre Lippen seinem Mund näherte, ward sie gewahr, daß er völlig nüchtern war.

Sie lächelte. Da sah er sie an und küßte sie. Und dann sagte er aufatmend, als könne er nun eine schwere Last von den Schultern tun:

»Es ist gut –« Er wollte fortfahren: Nun weiß ich wenigstens, wovon ich leben soll. Aber er sprach das nicht aus, er wollte ja diese beiden Menschen, die so treu zu ihm hielten, am wenigsten kränken.


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