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Achtzehntes Kapitel

Maria war vom frühen Morgen an ohne rechte Andacht bei ihrer Arbeit. Die Mutter sagte ein über das andere Mal: »Madel! Madel! Was denkst du bloß heite?«

Und wenn dann Maria ihre blauen Augen auf das Antlitz der alten Frau heftete und Frau Renate die Träume darin las, die die Jüngere auch am Tage nicht verließen, dann nickte die Mutter nur und dachte an ihre eigene Jugend. Und schaute in sich hinein, und als Maria sie fragte, meinte sie sinnend: »Ach, Madel, 's kummt ja alles wieder! Wenn ich so alleene bin, da wuselt's um mich rum und sind alle wieder do!«

Denn Maria war ihr als einziges von acht Kindern geblieben. Die anderen sieben und ihren Mann hatte eine Pockenepidemie in wenigen Wochen hingerafft. Die Familie lebte damals noch in Schlesien, auf einem Bauerngut, das nach des Mannes Tod an dessen Bruder fiel.

Frau Renate legte eine fertige Decke zu den übrigen und meinte:

»Manchmol, do denkt a Mensch, 's geht nich mehr un is oft gar am Ende. Aber da kummt unser Herrgott un greift een' an Arm! Un wenn's eene Zeit hin is, do sikt ma' sich um und do liegt das all schon weit, weit dohinten! – Vagessen kann's a Mensch nich, aber a schleppt's durch un lebt weiter –«

Da nickte Maria, als hätte sie verstanden. Doch ihre Gedanken waren weit fort und in all' ihrer Liebe für den Mann war eine Furcht, ein Zagen, ob sie ihn auch noch ganz in ihrem Herzen hätte und daß er ihr nicht fremd geworden sei in diesen bangen Wochen.

Sie stand auf.

»Ich muß mal runtergehen, Mutter –«

Die alte Frau nickte lächelnd, sie redete nicht viel. Erst als Maria aus der Tür war, murmelte sie etwas, das wie Beschwörung und Segenswunsch klang.

Währenddessen kam ein Auto die Feldstraße herauf und bog gerade in den Butenweg ein.

Vor dem Hause des Amtsvorstehers plauderte die rotköpfige Margret mit einer Freundin. Und das Wort blieb ihnen im Mund, als Doktor Bernewitz' Wagen vor dem Hause hielt und sie in Hannes Starks elendes Gesicht blickten.

Der Anwalt stieg zuerst aus. Er fragte nach dem Herrn Amtsvorsteher.

Margret konnte kaum antworten. Sie mußte, ob sie auch nicht wollte, immer den blassen Mann ansehen, dessen Kleider um die mageren Knie schlotterten. Und jetzt stieg er ebenfalls aus dem Wagen und verbeugte sich: »Guten Tag, Fräulein Kleinert.«

Sie nickte und sagte ängstlich:

»Guten Tag.«

»Kann ich Ihren Herrn Vater sprechen, mein Fräulein? Rechtsanwalt von Bernewitz.«

Das hübsche Geschöpf bebte. Die braunen Augen kamen nicht los von dem Maler, während die Freundin verlegen davonlief.

»Ja,« stotterte Margret, »ja, kommen Sie doch bitte!«

Sie öffnete die Tür des Amtszimmers. Ihr Vater saß in seinem Lehnstuhl und schlummerte.

»Papa – die Herren wollen dich sprechen.«

Der Amtsvorsteher fuhr empor.

»Ja, ja, bitte –«

Sein Auge fiel auf Stark. Da stand er schnell auf. Aber ehe er sich zu einer Frage sammeln konnte, verbeugte sich der Anwalt; nannte seinen Namen und sagte, seine Hand auf des Malers Schulter legend:

»Ich bringe Ihnen meinen Freund Hannes Stark, Herr Amtsvorsteher. Nachdem sich seine gänzliche Unschuld erwiesen hat, ist er heute früh aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Und nun bitte ich Sie, hiervon Kenntnis zu nehmen.« Von Bernewitz reichte Herrn Kleinert den Entlassungsschein. »Wir wollten vor allen Dingen Sie, verehrter Herr Amtsvorsteher, mit dieser angenehmen Tatsache bekanntmachen!«

Herr Kleinert las das Papier zweimal durch, ehe er es dem Rechtsanwalt zurückgab. Dann trat er auf den Maler zu und reichte ihm die Hand.

»Ich habe gleich nicht an Ihre Schuld geglaubt, Herr Stark – nicht wahr, Sie erinnern sich, daß ich Ihnen Vertrauen schenkte und Sie nur oben in die Obstkammer sperrte –« Er lächelte, drückte nochmals Starks Hand und sah ihn dabei voll an. »Raubmörder sehen so nicht aus! Aber in jedem Fall nehmen Sie meinen aufrichtigen Glückwunsch! Und Sie, Herr Rechtsanwalt, Ihnen muß man wohl noch besonders danken, daß Sie dem Recht zum Sieg verholfen haben!« Der Sprechende atmete tief. »Ich werde jedenfalls alles tun, was in meinen Kräften steht, um Herrn Stark wieder in seine bürgerliche Position hineinzuhelfen!«

Dann hatten sich die Männer nochmals die Hände gereicht. Und nun saßen der Anwalt und sein Klient wieder im Auto, das in mäßigem Tempo den Butenweg hinauffuhr.

Dem Maler war es, als hielte der brave Mann vom Amt noch immer seine Hand. Er hörte immer noch die Worte, daß man ihn wieder in seine bürgerliche Stellung hineinbringen wollte. Ja, galt er denn als Ausgestoßener? Er war doch vollkommen schuldlos! Und das Gericht hatte ihm seine Unschuld bescheinigt! Was wollte man denn noch von ihm?

Verstört sah er seinen Anwalt an. Aber da er ihn fragen wollte, sah er da unten in der Straße eine helle Gestalt – seine Maria!

Und da fiel alle Pein und alle Sorge wie Zunder von seiner Seele. Nur eine Sehnsucht, eine grenzenlose Sehnsucht erfüllte sein Herz, daß es fast zersprang.

»Maria!« sagte er laut, und Tränen flössen aus seinen armen Augen.

Der Wagen hielt. Aber Stark hatte nicht die Kraft, sich zu erheben.

Da sprang Maria zu ihm in den Wagen hinein und nahm ihn in ihre Arme. Sie schluchzte und sah in sein Gesicht, in dem noch der Jammer und die Todesangst zitterte. Er weinte nicht, nur seine Lippen bebten. Und auf das blonde Mädchen gestützt, ging er ins Haus.

Frau Renate Winkel hatte die halbe Nacht wach gelegen. Und da sie sonst schon vor sechs Uhr aus den Federn war, war nicht viel Schlaf in ihre Augen gekommen. So sehr hatte ihr Starks Rückkehr ans Herz gegriffen!

Maria hatte ihn gleich hinauf in sein Zimmer gebracht. Und Frau Renate in ihrer ersten Aufregung hatte gar nicht an das Bild gedacht! Es lag noch immer in ihrer Truhe. Wenn er nun merkte, daß es weg war – eine schreckliche Angst ergriff die alte Frau. Was sollte sie nur sagen? – Und wenn er nicht gleich darauf geachtet hatte, daß es fehlte, morgen oder übermorgen würde es ihm sicherlich auffallen!

Frau Renate wußte gar nicht, wie sie es anstellen sollte, das Bild wieder unbemerkt an seinen Platz zu bringen. Aber noch weit mehr bedrängte es ihre gläubige Seele, daß sie dem Maler, der doch ihrer Tochter Liebster war, eine solche Schandtat zugetraut hatte! Er war jähzornig und jach, wie ein Wilder, gewiß! Aber so einer ist doch noch lange kein Mörder! Wie hatte sie bloß so Böses denken und an Starks Schuld glauben können!

Die alte Frau war so unsicher und von Gewissensbissen geplagt, daß sie an diesem und dem nächsten Tage nicht den Mut aufbrachte, hinaufzugehen in Starks Zimmer und ihr Bild wieder an seinen Platz zu hängen. Sauber machen und aufräumen tat Maria bei ihrem Liebsten, er ließ niemand sonst an seine Sachen heran. So hatte Frau Renate auch gar nicht die Gelegenheit, sich von dem Bild, das ihr wie Feuer auf der Seele brannte, zu befreien. Endlich, am dritten Tage – Stark hatte seltsamerweise immer noch nichts gemerkt – Maria war drüben bei Alice Müller – war Frau Renate eine Weile allein im Haus.

Sofort war sie mit dem Bild unter der Schürze die steile Stiege hinauf und hing es wieder an seinen Platz. Ihr Herz schlug so heftig, sie mußte sich an die Tür lehnen. Dann faltete sie ihre alten Hände und bat Gott noch einmal um Verzeihung, daß sie seinem Ratschluß hatte vorgreifen und rächen und strafen wollen. – »Denn die Rache ist mein,« sagt der Herr. »Ich will vergelten!«


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