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Abteilung XII.
Über die Akademische oder Skeptische Philosophie.

Keine Frage ist philosophisch mehr und häufiger erörtert worden als die über die Beweise für das Dasein Gottes und die Widerlegung der Irrtümer der Atheisten. Dennoch streiten die frömmsten Philosophen noch immer, ob ein Mensch so verblendet sein und durch philosophisches Forschen zum Atheisten werden könne. Wie soll man diese Widersprüche aussöhnen? Die fahrenden Ritter, welche umherzogen, um die Welt von Drachen und Riesen zu reinigen, bezweifelten nie das Dasein solcher Ungeheuer.

Die Skepsis ist noch ein anderer Feind der Religion, welcher natürlich den Unwillen aller Geistlichen und tiefen Philosophen erregt, obgleich sicherlich noch Niemand einen so verrückten Menschen getroffen oder mit Jemand verkehrt hat, der gar keine Meinung und gar keinen Grundsatz über irgend etwas, sei es im Handeln, sei es im Untersuchen, gehabt hätte. Dies veranlasst natürlich die Frage: Was versteht man unter einem Skeptiker? Und wie weit kann dieses philosophische Prinzip des Zweifels und der Ungewissheit getrieben werden?

Es giebt eine Art von Skeptizismus, welcher jedem Studium und jeder Philosophie vorausgeht; Descartes und Andere haben ihn als ein oberstes Schutzmittel gegen Irrtum und übereiltes Urteilen empfohlen. Descartes fordert allgemeinen Zweifel nicht bloss an unseren früheren Meinungen und Grundsätzen, sondern selbst an unserm Erkenntnisvermögen; wir müssen uns, nach seiner Meinung, von dessen Wahrhaftigkeit vielmehr durch eine Kette von Schlüssen vergewissern, welche von einem obersten Prinzip, das nicht mehr falsch und irreführend sein kann, ausgeht. Aber es giebt weder ein solches ursprüngliches Prinzip, was den Vorrang über andere, selbstverständliche und überzeugende hätte, noch könnten wir, wenn es bestände, einen Schritt über dasselbe hinaus thun, ohne die Vermögen zu gebrauchen, denen man doch misstraut. Der Cartesianische Zweifel wäre daher, wenn er überhaupt einem Menschen möglich wäre (was offenbar nicht der Fall ist) ganz unheilbar, und kein Vernunftschluss könnte dann je über irgend etwas Gewissheit und Überzeugung verschaffen.

Aber ein solches Zweifeln in mässiger Weise kann allerdings in einem sehr vernünftigen Sinne verstanden werden, und eine notwendige Vorbereitung zu dem Studium der Philosophie sein. Es erhält die Unparteilichkeit des Urteils und befreit den Geist von den Vorurteilen, die er durch Erziehung und vorschnelles Absprechen eingesogen hat. Mit klaren und selbstverständlichen Grundsätzen zu beginnen, mit vorsichtigen und ängstlichen Schritten vorzugehen, die Schlüsse wiederholt zu prüfen und alle ihre Folgerungen sorgfältig zu überdenken: solche Mittel gestatten allerdings nur einen langsamen und allmählichen Fortschritt in unserem Systeme, aber sie sind der einzige Weg, auf dem man hoffen kann, die Wahrheit zu gewinnen und eine angemessene Festigkeit und Gewissheit in unsern Ansichten zu erreichen.

Es giebt eine Art von Skeptizismus, welcher der Wissenschaft und Untersuchung nachfolgt, wenn man entweder das Unbedingt-Trügerische der geistigen Fähigkeiten entdeckt zu haben meint, oder ihre Unfähigkeit irgend eine feste Bestimmung in all' jenen interessanten Fragen der Spekulation zu erreichen, für die man sie zu benutzen pflegt. Selbst unsere Sinne sind durch eine Gattung von Philosophen in den Streit gezogen worden, und die Regeln des gewöhnlichen Lebens sind ebenso angezweifelt worden, wie die tiefsten Prinzipien und Folgerungen der Metaphysik und Theologie. Da diese paradoxen Sätze (im Fall man sie Sätze nennen will) bei einzelnen Philosophen angetroffen werden, und Andere sie zu widerlegen versucht haben, so erregt dies unsere Wissbegierde und lässt uns nach den Gründen fragen, auf die sich beide stützen.

Ich brauche mich hier nicht bei den allbekannten Gründen aufzuhalten, welche von den Skeptikern aller Zeiten gegen das Zeugnis der Sinne vorgebracht worden sind; sie sind aus der Unvollkommenheit und den bei vielen Gelegenheiten vorkommenden Täuschungen der Organe hergenommen; z. B. von dem scheinbar gebrochenen Ruder im Wasser; von dem verschiedenen Aussehen der Gegenstände nach ihrer verschiedenen Entfernung; von den Doppelbildern bei dem Druck des Auges und von vielen anderen Erscheinungen ähnlicher Art. Diese skeptischen Gemeinplätze beweisen nur, dass man sich auf die Sinne allein nicht verlassen kann, sondern dass ihr Zeugnis durch die Vernunft und durch Betrachtungen berichtigt werden muss, welche sich aus der Natur des Mediums, aus der Entfernung des Gegenstandes und aus dem Zustande des Organs ableiten; nur dann können sie in ihrem Gebiete als sichere Kennzeichen des Wahren und Falschen gelten. Es giebt indes noch tiefere Bedenken gegen die Sinne, die sich nicht so leicht beseitigen lassen.

Offenbar werden die Menschen durch einen natürlichen Instinkt oder eine Voreingenommenheit getrieben, ihren Sinnen zu glauben. Ohne alle Vernunftgründe, und selbst vor dem Gebrauche der Vernunft nehmen wir schon eine Welt ausser uns an, welche nicht von unserer Wahrnehmung abhängt, sondern bleiben würde, wenn auch wir und jedes sinnliche Wesen entfernt oder vernichtet würden. Selbst die Tiere werden von der gleichen Meinung geleitet und zeigen in all ihrem Vorstellen, Wollen und Thun diesen Glauben an äussere Gegenstände.

Es ist also offenbar, dass die Menschen im Dienste dieses blinden und mächtigen Naturinstinkts die ihnen durch die Sinne zugeführten Bilder immer auf äussere Gegenstände beziehen und keinen Zweifel hegen, dass das Eine nur die Vorstellung des Andern sei. Von diesem Tische, dessen Weiss wir sehen, und dessen Härte wir fühlen, glauben wir, dass er unabhängig von unserer Wahrnehmung existiert, und dass er etwas ausserhalb der Seele ist, welche ihn wahrnimmt. Unsere Gegenwart giebt ihm nicht das Dasein, und unsere Abwesenheit vernichtet ihn nicht; er bewahrt sein Dasein gleichförmig und ganz unabhängig von der Stellung verständiger Wesen, welche ihn wahrnehmen oder ihn betrachten.

Aber diese allgemeine und ursprüngliche Überzeugung aller Menschen wird durch die leichteste Berührung mit der Philosophie zerstört, die uns lehrt, dass der Seele nur ein Bild oder eine Vorstellung gegenwärtig sein könne, und dass die Sinne nur Kanäle seien, welche diese Bilder einführen, ohne einen unmittelbaren Verkehr zwischen der Seele und dem Gegenstande zu haben. Der Tisch, den wir sehen, scheint mit unserer Entfernung kleiner zu werden; aber der wirkliche Tisch, welcher unabhängig von uns besteht, erleidet keine Aenderung; es war deshalb nur sein Bild, was der Seele gegenwärtig war. Dies sind die klaren Annahmen der Vernunft, und kein Denkender hat je bezweifelt, dass die Gegenstände, welche wir betrachten, wenn wir sagen: dies Haus und dieser Baum, nur Vorstellungen der Seele sind und schwankende Bilder oder Darstellungen von Gegenständen, welche gleichförmig und selbständig bleiben.

Insoweit sind wir durch die Vernunft gezwungen, dem ursprünglichen Natur-Instinkt zu widersprechen, oder ihn zu verlassen und ein neues System in bezug auf das Zeugnis unserer Sinne anzunehmen. Hier gerät aber die Philosophie in grosse Verlegenheit, sobald sie dieses neue System rechtfertigen und die Einwürfe und den Spott der Skeptiker widerlegen will. Sie kann nicht mehr auf den untrüglichen und unwiderstehlichen Naturinstinkt zurückgehen, denn dieser führt uns zu einem ganz anderen System, was als unzuverlässig, ja als irrtümlich anerkannt ist. Die Rechtfertigung des angeblichen philosophischen Systems durch eine Reihe von klaren und überzeugenden Gründen, oder auch nur durch den Schein einer solchen Begründung, übersteigt aber alle menschliche Fähigkeit und Kraft.

Mit welchem Grunde kann bewiesen werden, dass die Vorstellungen der Seele die Wirkungen äusserer Gegenstände seien, die, zwar ganz verschieden von ihnen, doch ihnen gleichen (wenn dies möglich ist), und dass sie weder aus der Wirksamkeit der Seele selbst, noch aus der Eingebung eines unsichtbaren und unbekannten Geistes, oder aus irgend einer anderen uns noch unbekannteren Ursache entspringen. Bekanntlich entstehen thatsächlich viele dieser Vorstellungen nicht von äusseren Gegenständen, wie dies im Traume, in der Raserei und anderen krankhaften Zuständen der Fall ist. Nichts ist unerklärlicher als die Art, in welcher ein Körper auf die Seele wirken soll, um ein Bild von sich einer Substanz von so verschiedener, ja entgegengesetzter Natur zuzuführen.

Es ist eine Thatfrage, ob die Wahrnehmungen der Sinne durch äussere ihnen gleichende Gegenstände hervorgebracht werden. Wie will man diese Frage entscheiden? Offenbar durch Erfahrung, wie bei allen anderen Fragen dieser Art. Aber hier schweigt die Erfahrung und muss es. Die Seele hat immer nur die Vorstellung gegenwärtig und kann nie deren Verknüpfung mit den Gegenständen durch Erfahrung erreichen. Die Annahme einer solchen Verknüpfung hat deshalb keinen Vernunftgrund für sich. Die Zuflucht zur Wahrhaftigkeit eines höchsten Wesens, um daraus die Wahrhaftigkeit unserer Sinne zu beweisen, ist ein überraschender Irrweg. Wenn jenes Wesens Wahrhaftigkeit hier überhaupt beteiligt wäre, so müssten unsere Sinne ganz untrüglich sein, weil es ja auch nicht einmal betrügen kann. Ich will nicht einmal erwähnen, dass, wenn die äussere Welt einmal in Frage gestellt ist, wir schwerlich Gründe finden werden, um das Dasein eines solchen Wesens oder einer seiner Eigenschaften zu beweisen.

Dies ist daher ein Gebiet, in welchem die gründlicheren und tiefer blickenden Skeptiker immer triumphieren werden, wenn sie einen allgemeinen Zweifel über alle Gegenstände des menschlichen Wissens und Forschens erheben. Wollt ihr dem Instinkt und dem Naturtrieb folgen, werden sie sagen, und der Wahrhaftigkeit der Sinne zustimmen? Aber diese führen euch zu dem Glauben, dass die blosse Vorstellung oder das empfundene Bild der äussere Gegenstand sei. Verleugnet ihr diesen Grundsatz, um die vernünftigere Meinung anzunehmen, dass die Empfindungen nur die Darstellungen von irgend etwas Äusserlichem seien? Dann verlasst ihr euren Naturtrieb und die unmittelbare Empfindung und könnt doch eure Vernunft nicht befriedigen, welche niemals einen überzeugenden Grund aus der Erfahrung dafür entnehmen kann, dass die Empfindungen mit äusseren Gegenständen verknüpft seien.

Es giebt noch eine andere ähnliche skeptische Wendung, die sich aus der tiefsten Forschung ableitet, und die unsere Aufmerksamkeit verdiente, wenn es nötig wäre, so tief zu tauchen, um Gründe und Beweise zu entdecken, die doch für einen ernsten Zweck von so geringem Nutzen sind. Alle neuen Forscher erkennen einstimmig an, dass die sinnlichen Eigenschaften der Gegenstände, wie Härte, Weichheit, Hitze, Kälte, Weiss, Schwarz u. s. w. nur von mittelbarer Natur sind, nicht in den Dingen selbst bestehen, sondern bloss als Vorstellungen in der Seele, ohne dass ein äusseres Urbild oder Muster ihnen entspricht. Wenn dies für diese Eigenschaften anerkannt wird, so muss es auch von den angeblichen ursprünglichen Eigenschaften der Ausdehnung und Undurchdringlichkeit gelten, und letztere haben nicht mehr Recht auf diesen Namen als die ersteren. Die Vorstellung der Ausdehnung wird nur durch Sehen und Fühlen erworben, und wenn alle von den Sinnen wahrgenommenen Eigenschaften nur in der Seele und nicht in dem Gegenstande sind, so gilt derselbe Schluss auch für den Begriff der Ausdehnung, welcher ganz von den sinnlichen Vorstellungen oder Vorstellungen der mittelbaren Eigenschaften abhängig ist.

Nichts kann uns vor diesem Schlusse schützen, als die Behauptung, dass die Vorstellungen dieser Ureigenschaften durch reines Denken gewonnen werden; eine Meinung, welche indes bei genauerer Untersuchung als unverständlich, ja widersinnig sich ausweist. Die Ausdehnung, welche weder sichtbar noch fühlbar ist, kann nicht gedacht werden, und eine fühlbare oder sichtbare Ausdehnung, welche weder weich noch hart, weder weiss noch schwarz ist, geht ebenso über die menschlichen Begriffe. Es versuche jemand sich ein Dreieck überhaupt vorzustellen, welches weder gleichseitig noch ungleichseitig, weder in der Länge, noch in dem Verhältnis der Seiten bestimmt ist, und er wird bald die Widersinnigkeit der scholastischen Begriffe von reinem Denken und allgemeinen Vorstellungen bemerken.

Anm. N. Dieser Beweisgrund ist von Dr. Berkeley aufgestellt. Die Schriften dieses geistreichen Mannes geben von allen alten und modernen Philosophen die beste Anleitung zum Skeptizismus, selbst Bayle nicht ausgenommen. Er erklärt indes auf dem Titelblatt (und sicherlich aufrichtig), dass er sein Werk sowohl gegen die Skeptiker wie gegen die Atheisten und Freidenker gerichtet habe.

Seine Gründe sind vielleicht anders gemeint; allein sie führen in Wahrheit nur zu dem Skeptizismus, wie daraus erhellt, dass sie keine Antwort gestatten und keine Überzeugung hervorbringen. Ihre einzige Wirkung ist jenes plötzliche Erstaunen, jene Unentschlossenheit und Verwirrung, welche das Ergebnis des Skeptizismus sind.

Also beruht der erste philosophische Einwand gegen das Zeugnis der Sinne oder gegen die Annahme äusserer Gegenstände darauf, dass eine solche Meinung, wenn sie auf den Naturinstinkt gestützt wird, der Vernunft widerspricht; und wenn sie auf Vernunft gegründet wird, dem Naturinstinkt zuwider ist, und dabei keinen vernünftigen Beweisgrund mit sich führt, um einen unparteiischen Forscher zu überführen. Der zweite Einwand geht weiter und zeigt, dass diese Meinung sogar der Vernunft widerspricht, wenigstens wenn es als Vernunftsatz gilt, dass alle sinnlichen Eigenschaften nur in der Seele und nicht in dem Gegenstande seien. Nimmt man aber dem Gegenstande alle seine fassbaren Eigenschaften überhaupt, sowohl die ursprünglichen wie die vermittelten, so ist er gewissermassen vernichtet, und es bleibt nur ein gewisses unbekanntes und unsagbares Etwas als Ursache unserer Wahrnehmungen, ein Begriff, der so mangelhaft ist, dass kein Skeptiker ihn des Streites wert halten wird.

Hume behandelt in dieser letzten Abteilung die wichtige Frage von den Fundamentalsätzen der Wahrheit. (B. I. 65.)

Mit Recht legt Hume auf den allgemeinen Zweifel, mit dem Descartes seine Principia beginnt, keinen Wert. Man kommt damit zu gar nichts; man muss doch wieder zu irgend einem Fundamentalsatz zurückkehren, wie dies auch Descartes mit seinem Satz: Cogito ergo sum, gethan hat, obgleich auch dieser keineswegs so über alle Zweifel erhaben ist, wie Descartes meint.

Hume erörtert dann die Zuverlässigkeit der sinnlichen Wahrnehmung. Er beseitigt mit Recht die gewöhnlichen, von den Täuschungen der Sinne hergenommenen Angriffe; sie sind leicht zu widerlegen. (B. I. 73.) Von da geht Hume zu dem bekannten Einwand des Idealismus über, welcher ausspricht, dass die Seele bei dem sinnlichen Wahrnehmen nur Vorstellungen habe, ohne den mindesten Anhalt, dass auch ein ihnen entsprechender Gegenstand ausserhalb der Seele bestehe. Hume bemerkt richtig, dass kein Vernunftgrund für die Annahme solcher Gegenstände beigebracht werden könne, und dass auch die Ausflucht des Descartes, wonach man von dem höchsten Wesen eine solche absichtliche Täuschung nicht erwarten dürfe, hier nicht zureicht.

Hume bekämpft dann mit Recht, nach dem Vorgange Berkeley's, die Unterscheidung Locke's zwischen ursprünglichen und mittelbaren Eigenschaften, von denen letztere bloss in der Seele bestehen, jene aber auch gegenständliche Wirklichkeit haben sollen. Hume zeigt, dass, wenn man einmal den Sinnen nicht vertraut, dies für beide Arten gelten müsse. Am Schluss endlich greift Hume sogar Kant vor, indem er das unsagbare Etwas (das Kant'sche Ding-an-sich), was nach Beseitigung aller Eigenschaften übrig bleibt, für einen so mangelhaften Begriff erklärt, dass kein Skeptiker ihn des Streites wert halte; ein Urteil, was an Kant's Ding-an-sich sehr schnell durch Fichte vollzogen worden ist.

Die Philosophie kann diesen Resultaten Hume's so weit beitreten, dass für die letzten Fundamente der Erkenntnis, seien sie, welche man wolle, keine Gründe beigebracht werden können; denn sonst wären jene nicht die letzten. Bei den Fundamentalsätzen hört das Beweisen auf, weil dieses nur innerhalb des Wissens sich hält und nur halten kann, während in jenen Sätzen ein Übergang aus dem Wissen zum Sein gesetzt ist. Das weitere ist B. I. S. 65 ausgeführt. Allein daraus folgt noch nicht, dass überhaupt keine Fundamentalsätze zugelassen werden dürfen. Man muss für ihre Zulassung nur nicht logische Gründe, sondern ein Anderes fordern, und für dies Andere kann man nichts Besseres verlangen, als die Allgemeinheit und Notwendigkeit. Diese haftet aber an den Fundamentalsätzen des Realismus (B. I. 68); ihre Annahme ist deshalb zwar nur ein Glauben, aber doch so weit gerechtfertigt, als es hier dem Menschen überhaupt möglich ist. Kein anderes Prinzip hat diese Kriterien für sich; insbesondere fehlen sie bei dem Prinzip der Offenbarung, des intuitiven Wissens, der Klarheit und Deutlichkeit der Vorstellungen ( Spinoza) u. s. w.

Hume selbst bleibt hier im Schwanken; seine Untersuchung ist nicht bis zu diesem letzten Ende vorgeschritten.

Abschnitt II.

Es scheint ein übermütiges Unternehmen, wenn die Skeptiker die Vernunft durch Vernunftgründe und Beweise widerlegen wollen, und doch ist dies das grosse Ziel ihrer Untersuchungen und Kämpfe. Sie suchen Einwürfe sowohl gegen die reinen Vernunftbeweise, wie gegen die, welche die Thatsachen und das Dasein betreffen.

Der Haupteinwand gegen alle aus dem blossen Denken entnommenen Beweise wird von der Vorstellung des Raumes und der Zeit entlehnt. Beides sind Vorstellungen, welche im gewöhnlichen Leben und bei sorgloser Auffassung völlig klar und verständlich erscheinen; aber bei einer gründlichen wissenschaftlichen Untersuchung, deren Hauptgegenstand sie sind, führen sie zu durchaus verkehrten und widersprechenden Folgerungen. Es giebt keinen priesterlichen Glaubenssatz, der, zur Zähmung und Unterjochung der widerspenstigen Vernunft erfunden, den unbefangenen Sinn mehr verwirrt, als die Lehre von der unendlichen Teilbarkeit des Raumes mit ihren Folgerungen, so pomphaft sie auch von den Mathematikern und Metaphysikern mit Triumph und Jubel entwickelt werden. Eine wirkliche Grösse, die unendlich kleiner ist als jede endliche Grösse, und die unendlich kleinere Grössen als sie selbst in sich enthält, und so fort ohne Ende, das ist ein so dreistes und wunderbares Werk, dass jeder Beweis für seine Unterstützung zu schwach bleibt; denn es verletzt die klarsten und natürlichsten Grundsätze der menschlichen Vernunft.

Anm. O. Man mag über die mathematischen Punkte streiten, wie man will, so bleiben sie doch physische Punkte, d. h. Raumteile, welche weder in der Wahrnehmung noch Vorstellung noch weiter geteilt oder verkleinert werden können. Diese dem Vorstellen oder der Wahrnehmung gegenwärtigen Bilder sind unteilbar, und die Mathematiker müssen sie deshalb als unendlich kleiner gelten lassen, als irgendeinen wirklichen Raumteil. Dennoch erscheint dem Verstand nichts gewisser, als dass eine unendliche Zahl von ihnen einen unendlich grossen Raum bildet. Um wieviel mehr muss dies von der unendlichen Menge jener unendlich kleinen Raumteile gelten, die noch als unendlich teilbar angesehen werden.

Was aber die Sache noch mehr verwickelt, ist, dass dieser anscheinend widersinnige Satz auf eine Reihe der natürlichsten und klarsten Beweisgründe gestützt werden kann, und dass man die Vordersätze nicht zugeben kann, ohne auch die Folgerung anerkennen zu müssen. Nichts kann überzeugender und genügender sein als die Beweise für alle Lehrsätze über Kreise und Dreiecke. Erkennt man aber diese an, so kann man nicht bestreiten, dass der Winkel zwischen der Kreislinie und ihrer Tangente unendlich kleiner ist, als jeder geradlinige Winkel; dass ferner bei einer Vergrösserung des Durchmessers des Kreises ins Unendliche, dieser Berührungswinkel immer kleiner wird, und zwar ohne Ende, und dass der Berührungswinkel zwischen anderen krummen Linien und ihren Tangenten noch unendlich kleiner sein kann, als der zwischen der Kreislinie und ihrer Tangente, und so immer fort ohne Ende. Der Beweis dieses Satzes erscheint ebenso unerschütterlich als der, dass die drei Winkel eines Dreieckes zwei rechten gleich sind, obgleich der letztere Satz natürlich und leicht ist, und jener voll Widerspruch und Verkehrtheit. Die Vernunft scheint hier in eine Art von Staunen und Beklemmung versetzt zu sein; auch ohne die Angriffe des Skeptikers kann sie sich selbst und dem Boden, auf dem sie wandelt, nicht mehr vertrauen. Sie sucht ein helles Licht, was bestimmte Stellen erleuchtet, aber dieses Licht grenzt an die tiefste Dunkelheit; zwischen beiden steht sie selbst so verblendet und verwirrt, dass sie kaum noch über irgend Etwas sich gewiss und mit Überzeugung auszusprechen vermag.

Das Widersinnige solcher dreisten Behauptungen der abstrakten Wissenschaften wird bei der Zeit womöglich noch greifbarer als bei dem Raume. Eine unendliche Zahl von wirklichen Zeitteilen, die einander folgen, und wo einer den anderen vernichtet, erscheint als ein so offenbarer Widerspruch, dass man meinen sollte, kein Mensch, dessen Verstand durch die Wissenschaften nicht verdorben, sondern verbessert worden ist, könnte ihn je zulassen.

Dennoch kann die Vernunft nicht ruhen und still stehen, gerade mit bezug auf den Skeptizismus, in den sie durch diese anscheinenden Widersprüche und Verkehrtheiten gedrängt wird. Es ist völlig unbegreiflich, wie ein klarer Begriff Bestimmungen enthalten könne, die ihm selbst oder einem anderen klaren Begriffe widersprechen; es ist dies ein so widersinniger Satz, als sich nur erdenken lässt. Es giebt daher nichts skeptischeres, nichts zweifelhafteres und bedenklicheres, als diesen Skeptizismus selbst, der aus einigen paradoxen Sätzen der Geometrie oder Grössenlehre entspringt.

Anm. P. Vielleicht kann man diesen Widersinnigkeiten und Widersprüchen entgehen, wenn man nichts der Art, wie abstrakte oder allgemeine Begriffe im strengen Sinne zulässt. Sie sind in Wahrheit nur Einzelvorstellungen, an ein allgemeines Wort geknüpft, was gelegentlich andere Einzelvorstellungen wachruft, welche in gewisser Hinsicht der der Seele gegenwärtigen Vorstellung gleichen. So stellt man sich, wenn man das Wort Pferd hört, sofort ein schwarzes oder weisses Tier von bestimmter Grösse und Gestalt vor. Da indes das Wort auch für Tiere von anderer Farbe, Grösse und Gestalt gebraucht wird, so sind diese der Seele nicht gegenwärtigen Vorstellungen leicht herbeizurufen; unser Denken und Schliessen geht dann ebenso vorwärts, als wenn sie wirklich gegenwärtig wären. Räumt man dies ein (denn es scheint begründet), so folgt, dass alle Vorstellungen von Grössen, deren sich die Mathematiker bedienen, nur Einzelvorstellungen sind, welche die Sinne oder die Einbildungskraft darbieten, und die deshalb nicht ohne Ende teilbar sein können.

Diese Andeutung wird vorläufig genügen; ich will sie hier nicht weiter verfolgen. Alle Freunde der Wissenschaft sind dabei interessiert, dass sie mit ihren Schlüssen nicht dem Unwissenden zum Gelächter und Spotte werden, und diese Andeutung scheint die leichteste Lösung der Schwierigkeiten zu bieten.

Die skeptischen Einwürfe gegen die moralische Gewissheit oder gegen die Vernunftschlüsse bei Thatsachen sind entweder populär oder philosophisch. Die ersten werden aus der Schwäche des menschlichen Verstandes abgeleitet; ferner aus den widersprechenden Meinungen verschiedener Zeiten und Völker; aus dem Wechsel unseres Urteiles nach Krankheit und Gesundheit, Jugend und Alter, Glück und Unglück; aus dem fortwährenden Widerspruch in jedes Einzelnen Meinungen und Ansichten und aus mancherlei anderen Erwägungen gleicher Natur. Bei diesen Einwürfen brauche ich mich nicht lange aufzuhalten; sie sind nur schwach. Im gewöhnlichen Leben urteilen wir fortwährend über Thatsachen und Dasein, und können ohne diese Art der Folgerung nicht bestehen, deshalb vermögen jene populären Einwürfe nicht diese Überzeugung zu entkräften. Was den Pyrrhonismus oder die auf das Äusserste getriebenen Grundsätze des Skeptizismus niederschlägt, ist das Handeln, die Thätigkeit und die Beschäftigung des gewöhnlichen Lebens. In den Hörsälen mögen diese Sätze blühen und triumphieren, wo ihre Widerlegung schwer oder unmöglich ist; sobald sie aber die Dämmerung verlassen und durch die Gegenwart der wirklichen Dinge, die unsere Leidenschaften und Empfindungen erwecken, mit den mächtigsten Prinzipien unserer Natur in Gegensatz geraten, verschwinden sie wie Rauch und lassen den entschiedensten Skeptiker in gleichem Zustande wie andere Sterbliche.

Der Skeptiker thut deshalb besser, in seinem Gebiete zu bleiben und die philosophischen Einwürfe darzulegen, welche aus tiefern Untersuchungen sich ergeben. Hier hat er reiche Gelegenheit zu Triumphen; hier kann er mit Recht zeigen, dass alle unsere Gewissheit über Thatsachen, welche über das Zeugnis der Sinne und das Gedächtnis hinaus liegen, sich nur aus der Beziehung von Ursache und Wirkung ableitet; dass man keinen andern Begriff von dieser Beziehung habe, als den von zwei Dingen, die häufig mit einander verbunden sind; dass kein Beweisgrund dafür besteht, weshalb Gegenstände, die erfahrungsmässig häufig mit einander verbunden gewesen sind, auch in anderen Fällen ebenso verbunden sein werden; dass nur die Gewohnheit oder eine Art Natur-Instinkt zu solcher Annahme führt. Allerdings kann man solchem Instinkt nur schwer widerstehen, aber er kann, wie andere Instinkte, täuschen und betrügen. Hält sich der Skeptiker innerhalb dieser Betrachtungen, so zeigt er seine Stärke, oder vielmehr seine eigene und unsere Schwäche, und zerstört, wenigstens zur Zeit, alle Gewissheit und Überzeugung. Man könnte diese Erörterung noch weiter fortsetzen, wenn sie zu einem dauerhaften Vorteil oder Nutzen für die Gesellschaft führte.

Denn es ist der wichtigste und niederschlagendste Einwand gegen den übertriebenen Skeptizismus, dass kein dauerhafter Nutzen aus ihm hervorgehen könne, so lange er sich in seiner vollen Stärke und Kraft erhält. Man braucht einen solchen Skeptiker nur zu fragen: was er wolle, und was er mit all diesen sinnreichen Erörterungen beabsichtige? Er wird dann sofort in Verlegenheit geraten und keine Antwort haben. Ein Kopernikaner oder Ptolemäer, der jeder sein eigenes astronomisches System vorträgt, kann hoffen, seinen Zuhörern eine feste und bleibende Überzeugung beizubringen. Stoiker und Epikuräer entwickeln Grundsätze, welche nicht allein vorhalten, sondern auch ihre Wirkung auf Benehmen und Betragen ausüben. Aber ein Pyrrhonianer kann von seiner Philosophie weder einen bleibenden Einfluss auf die Seele erwarten, noch dass dieser Einfluss, wenn er statt hätte, ein wohlthätiger für die menschliche Gesellschaft sein würde. Im Gegenteil, er muss anerkennen, wenn er überhaupt etwas anerkennen will, dass, wenn seine Grundsätze allgemein und dauernd zur Herrschaft kämen, alles menschliche Leben untergehen müsste. Jede Rede, jede Handlung würde sofort aufhören, und die Menschen würden in gänzlicher Betäubung verharren, bis die unbefriedigten Bedürfnisse der Natur ihrem elenden Dasein ein Ende machten. Man braucht allerdings einen so schrecklichen Ausgang nicht zu fürchten; die Natur ist immer mächtiger als diese Grundsätze. Ein Pyrrhonianer kann sich und Andere eine Zeit lang durch tiefe Beweise in Staunen und Verwirrung bringen; aber der erste und einfachste Vorfall des Lebens wird alle seine Zweifel und Bedenken verjagen und ihn im Punkte des Handelns und Beschliessens mit den Philosophen aller anderen Sekten, so wie mit denen, die sich nie mit philosophischen Untersuchungen abgegeben haben, gleich stellen. Wenn er aus seinem Traum erwacht, wird er der Erste sein, der in das Gelächter über sich mit einstimmt, und der anerkennt, dass alle seine Einwürfe nur unterhaltend sind und nur die launische Natur des Menschen offenbaren. Der Mensch muss handeln, folgern und glauben, obgleich er trotz der sorgfältigsten Untersuchung sich über die Grundlagen dieser Thätigkeiten nicht vergewissern, noch die gegen sie erhobenen Einwürfe zu widerlegen vermag.

Dieser eben gerügte Mangel tritt noch deutlicher in dem Abschnitt 2 hervor. Zunächst gehören die Vorstellungen des Raumes und der Zeit gar nicht zu den Erzeugnissen des reinen Denkens; sondern sie stammen aus der Wahrnehmung. (B. I. 4 u. B. HI. 6.)

Hume behandelt dann die unendliche Teilbarkeit des Raumes und der Zeit als Widersprüche, die nicht gelöst werden können. Es scheint beinah, als wenn Kant davon den Anstoss zu seinen Antinomien empfangen hätte. Diese angebliche Unbegreiflichkeit entspringt bei Hume, wie bei Kant, nur daraus, dass beide die Beziehungsformen des Denkens als seiende Bestimmungen behandeln. Bleibt man aber dieses Unterschiedes sich bewusst, so verschwindet diese Unbegreiflichkeit. Das unendlich Kleine ist kein Seiendes, sondern nur eine Beziehungsform. (B. I. 36 u. B. III. 66.) Da diese Beziehungsform von allem Inhalt ihres Gegenstandes absieht, so kann sie wiederholt angewendet werden. Die Wirkung kann wieder als eine Ursache, das Wesentliche wieder als ein Unwesentliches, das Innere wieder als ein Äusseres u. s. w. aufgefasst werden. Ebenso kann hier das unendlich Kleine wieder als ein Ganzes behandelt und abermals in unendlich viele Teile geteilt vorgestellt werden. Dies sind Spiele des Denkens, bei denen kein Widerspruch herauskommt, weil nur der Inhalt des Bezogenen sich dem entgegenstellen könnte, die Beziehungsformen aber gerade von diesem Inhalte absehen und auch der leere Raum und die leere Zeit, so weit wir dieselben durch Trennung aus dem Wahrgenommenen kennen, dieser Teilung kein Hindernis entgegenstellen. Das nähere ist B. I. 31 und B. III. 61 dargelegt.
Hume blieb hier in den Schwierigkeiten stecken, ohne sich heraushelfen zu können, weil er die besondere Natur der Beziehungen nicht erkannt hatte. Er musste deshalb in der Anmerkung O sogar den mathematischen Punkt zu einem physischen umwandeln. Es mag dies als ein Zeichen gelten, wie wichtig und unentbehrlich die genaue Erkenntnis der Beziehungen für die Philosophie ist.

Hume wendet sich dann zur Gewissheit in betreff der Thatsachen. Hier hat er Recht, dass keine Wissenschaft (mit Ausnahme der Mathematik, die Hume nicht hieher rechnet) die volle Allgemeinheit ihrer Gesetze erreichen könne, dass hier nur die Induktion benutzt werden könne, und diese höchstens Wahrscheinlichkeit biete. (B. I. 78.) Allein es ist durchaus unphilosophisch, wenn Hume dieses Resultat nun damit bekämpft, dass es keinen Nutzen für das praktische Leben biete, ja in diesem nicht beachtet werden könne, ohne das Leben selbst zu zerstören. Solche Gründe ruhen auf dem Gefühl und treffen die Erkenntnis nicht. Diese kann nie durch solche Folgen, die nur das Gefühl verletzen, widerlegt werden. Man muss vielmehr bei dieser Frage offen anerkennen, dass die menschliche Erkenntnis nicht weiter kommen kann. Der Philosoph beruhigt sich dabei; wird ein Anderer darüber ungeduldig, so kann gegen dieses Gefühl ein Trost aus dem Sein entnommen werden, wie er in B. I. S. 77 näher dargelegt ist. Übrigens folgt hier Hume in bezug auf die angeblichen Widersprüche, in welche die unendliche Teilbarkeit des Raumes und der Zeit verwickeln soll, den Ausführungen Locke's, welcher in seinem Werke über den menschlichen Verstand schon dasselbe behauptet und mit ähnlichen Gründen unterstützt hatte. Man sehe B. 50. S. 223. Von Widersprüchen, in welche die Begriffe des unendlich Kleinen verwickeln sollen, wie Hume S. 154 behauptet, kann indessen nicht die Rede sein; vielmehr kann nur das bildliche Vorstellen (B. I. S. 11) hier der fortgehenden Teilung oder Vergrösserung nicht folgen; man kann sich selbst unendlich grosse oder unendlich kleine Grössen nicht bildlich vorstellen. Aber das ist kein Widerspruch, vielmehr würde, wenn solche bildliche Vorstellung möglich wäre, darin erst ein Widerspruch enthalten sein, weil dann dem ohne Ende Fortgehenden (Unendlichen) ein Ende (durch die es befassende bildliche Vorstellung) oder eine in Grenzen eingeschlossene Grösse gegeben wäre. Das Unendliche ist deshalb in Wahrheit nur eine Beziehungsvorstellung im Denken, die an sich ohne Widerspruch ist und erst mit solchem behaftet wird, wenn sie als etwas Seiendes genommen wird. Die sämtlichen Antinomien Kant's in seiner Kritik der reinen Vernunft sind ein Beleg dafür. Man vergleiche B. III. S. 62.

Wenn Hume S. 147 die Gewohnheit als einen »Natur-Instinkt« bezeichnet, so ist er hier dem eigentlichen Sachverhalt ganz nahe. Die Befolgung der beiden Fundamentalgesetze der Erkenntnis (B. I. S. 68) kann allerdings weit eher ein Naturinstinkt als eine Gewohnheit genannt werden, da sie in jedem Menschen unbewusst und doch mit Notwendigkeit sich vollzieht und auch trotz aller späteren Bildung nicht abgewiesen werden kann; während die Gewohnheit diese Notwendigkeit und Allgemeinheit nicht in sich enthält und die Gewohnheit sogar durch Anstrengung wieder beseitigt oder in ihr Gegenteil umgewandelt werden kann.
Wenn übrigens Hume den Skeptizismus damit bekämpft, dass er das menschliche Handeln unmöglich mache, so ist dieser Einwand schon von den alten Stoikern den Skeptikern entgegengestellt worden, und von diesen, insbesondere von Carneades mit der Lehre vom Wahrscheinlichen widerlegt worden, was nach ihnen hinreicht, den Menschen und selbst den Weisen zum Handeln zu bestimmen.

Abschnitt III.

Es giebt in der That einen milderen Skeptizismus oder eine akademische Philosophie, die sowohl dauerhaft nützlich ist und zum Teil aus diesem Pyrrhonismus oder übertriebenen Skeptizismus hervorgeht, wenn seine masslosen Zweifel durch natürlichen Verstand und Überlegung in einem gewissen Grade berichtigt werden. Die meisten Menschen neigen von Natur zu absprechenden und entschiedenen Aussprüchen; sie sehen die Gegenstände nur von einer Seite, denken nicht an die Gegengründe und erfassen so die ihnen zusagenden Grundsätze mit Heftigkeit und ohne Nachsicht für Die, welche anderer Ansicht sind. Das Zögern und Erwägen verwirrt ihren Verstand, verstösst gegen ihre Leidenschaften und hemmt ihr Handeln. Sie verlangen deshalb mit Ungeduld, aus einem ihnen so lästigen Zustande herauszukommen und meinen, durch Heftigkeit ihrer Behauptungen und durch Hartnäckigkeit in ihrem Glauben sich nicht weit genug davon entfernen zu können. Könnten solche Leute bei ihrem hartnäckigen Streiten die merkwürdigen Schwächen des menschlichen Verstandes, selbst in seinem vollkommensten Zustande und in seinen genauesten und vorsichtigsten Bestimmungen bemerken, so würden sie natürlich mit mehr Bescheidenheit und Vorsicht auftreten, und es würden die Überschätzung ihrer selbst und ihre Vorurteile gegen ihre Gegner sich mindern. Der Ungelehrte sollte sich den Zustand des Gelehrten vergegenwärtigen,, welcher trotz allen Gewinns aus Studium und Nachdenken den gewonnenen Meinungen misstraut. Dagegen werden Gelehrte, die von Natur zu Hochmut und Hartnäckigkeit neigen, durch eine leichte Färbung von Pyrrhonismus in ihrem Stolze nachlassen, wenn man ihnen zeigt, dass ihre paar Vorteile über die Mitarbeiter nur gering erscheinen, wenn man sie mit der allgemeinen, der menschlichen Natur anhaftenden Unordnung und Verwirrung vergleicht. Sicherlich sollte ein gewisser Grad von Vorsicht, Zweifel und Bescheidenheit bei allen Arten von Untersuchungen und Entscheidungen den wahren Forscher nie verlassen.

Eine andere Art des milderen Skeptizismus, die für die Menschheit nützlich und natürliche Folge der Pyrrhonianischen Zweifel und Bedenken sein mag, beschränkt unsere Untersuchungen nur auf Dinge, die für die schwachen Fähigkeiten des menschlichen Verstandes sich am besten eignen. Die Phantasie des Menschen treibt von Natur nach oben; sie freut sich an dem Entfernten und Ausserordentlichen und stürzt sich ohne Vorsicht in die fernsten Orte nach Raum und Zeit, um den gewohnten und allbekannten Gegenständen zu entgehen. Ein gesunder Verstand wählt den entgegengesetzten Weg, vermeidet alle weitgehenden und tiefen Untersuchungen und beschränkt sich auf das gewöhnliche Leben und auf solche Dinge, die zur täglichen Übung und Erfahrung gehören. Er überlässt jene erhabeneren Gebiete den Dichtern und Rednern, die sie ausschmücken mögen, oder den Künsten der Priester und Politiker. Nichts hilft mehr zu solchem heilsamen Entschluss, als die feste Überzeugung von der Gewalt Pyrrhonianischer Zweifel, und dass nur die Kraft des natürlichen Instinkts davon befreien kann. Wer zur Philosophie neigt, wird trotzdem seine Untersuchungen fortsetzen; denn neben dem Vergnügen an solchen Beschäftigungen weiss er, dass philosophische Sätze nur die geregelten und berichtigten Betrachtungen über das gewöhnliche Leben sind; aber er wird nie in die Versuchung kommen, darüber hinauszugehen, sobald er die Unvollkommenheit der dazu dienlichen Vermögen, ihren engen Bereich und ihre ungenauen Wirkungen erwägt. Wir können keinen genügenden Grund dafür angeben, weshalb wir nach tausend Proben glauben, dass der Stein fallen und das Feuer brennen wird; wie können wir daher hoffen, irgend eine zufriedenstellende Erkenntnis über den Ursprung der Welt und den Zustand der Natur von Anfang bis in alle Ewigkeit zu erreichen?

Diese enge Schranke für unsere Untersuchungen ist in jeder Beziehung so klar, dass schon die oberflächlichste Untersuchung der natürlichen Kräfte des Verstandes und ihre Vergleichung mit ihren Gegenständen genügt, sie uns zu empfehlen. Dann wird man erst die wahren und geeigneten Gegenstände der Wissenschaft und Untersuchung auffinden.

Die einzigen Gegenstände der Vernunftwissenschaft oder der strengen Beweise scheinen die Grösse und die Zahl zu sein; alle Versuche, diese vollkommene Weise der Erkenntnis über diese Grenze auszudehnen, wird zur reinen Spitzfindigkeit und Täuschung. Da die Bestandteile von Grösse und Zahl einander ganz ähnlich sind, so werden ihre Beziehungen mannichfach und verwickelt, und nichts ist unterhaltender und nützlicher, als durch verschiedene Mittelglieder ihre Gleichheit und Ungleichheit in ihren verschiedenen Erscheinungen zu verfolgen. Alle anderen Begriffe sind dagegen von einander unterschieden und scharf getrennt; man kommt deshalb hier selbst bei der genauesten Nachforschung nicht weiter, als zur Erkenntnis dieses Unterschieds und zu dem selbstverständlichen Satze, dass das eine Ding nicht das andere sei. Zeigen sich hier noch Schwierigkeiten, so entspringen sie nur aus dem unbestimmten Sinn der Worte, welche durch richtige Definitionen verbessert werden können. Den Satz, dass das Quadrat der Hypothenuse gleich ist den Quadraten der beiden anderen Seiten, kann man selbst bei dem genauesten Verständnis der Worte, ohne eine Reihe von Gründen und Betrachtungen, nicht einsehen; aber zum Beweis des Satzes, dass, wo kein Eigentum ist, es auch keine Ungerechtigkeit giebt, genügt die Definition der Worte und die Erklärung, dass Ungerechtigkeit in der Verletzung des Eigentums bestehe. Ein solcher Satz ist eigentlich nur eine unvollkommene Definition. Ebenso verhält es sich mit den sogenannten Schlüssen und Beweisen in allen Gebieten des Wissens, mit Ausnahme der Lehre von den Grössen und Zahlen, welche meines Erachtens getrost als die alleinigen Gegenstände der Erkenntnis und des strengen Beweisens aufgestellt werden können.

Alle anderen Untersuchungen beziehen sich nur auf Thatsachen und Dasein, welche offenbar nicht strenge bewiesen werden können.

Was ist, kann auch nicht sein. Die Verneinung einer Thatsache enthält keinen Widerspruch. Das Nichtsein von Etwas ist ohne Ausnahme eine ebenso bestimmte und deutliche Vorstellung als das Dasein desselben. Der Satz, welcher aussagt, dass es nicht ist, mag falsch sein, aber er ist ebenso begreiflich und verständlich wie der, welcher das Sein aussagt. Anders verhält es sich mit den eigentlichen Wissenschaften. Da ist jeder unwahre Satz auch verworren und unverständlich. Dass die Kubikwurzel von 64 gleich ist der Hälfte von 10, ist ein falscher Satz und kann nicht deutlich vorgestellt werden. Aber dass Cäsar oder der Engel Gabriel oder sonst ein Wesen niemals existiert haben, mag falsch sein, aber bleibt immer vollkommen begreiflich und enthält keinen Widerspruch.

Das Dasein eines Dinges kann daher nur durch Gründe bewiesen werden, welche von seiner Ursache oder Wirkung entnommen sind, und diese Gründe stützen sich lediglich auf Erfahrung. Beginnt man die Untersuchung a priori, so scheint jedes Ding fähig, jedes andere Ding hervorzubringen; der Fall eines Steines kann dann die Sonne verlöschen, oder eines Menschen Wunsch den Lauf der Planeten verändern. Nur die Erfahrung lehrt uns die Natur und Grenzen von Ursache und Wirkung; nur sie befähigt uns, von dem Dasein des einen Dinges auf das andere zu schliessen.

Anm. Q. Jener gottlose Satz der alten Philosophie: Aus nichts wird nichts, welcher die Schöpfung des Stoffes ausschliesst, gilt nach dieser Philosophie nicht mehr als ein Grundsatz. Nicht bloss der Wille des höchsten Wesens kann Stoff erzeugen, sondern selbst der Wille jedes andern Wesens vermag es, nach dem, was wir a priori wissen, und ebenso vermag es jede andere Ursache, wie sie von der launischsten Phantasie ausgedacht werden mag.

So verhält es sich mit der Grundlage der moralischen Schlüsse, welche den grössten Teil des menschlichen Wissens bilden und die Quelle alles menschlichen Handelns und Benehmens sind.

Moralische Schlüsse betreffen entweder besondere oder allgemeine Thatsachen. Zu den ersten gehören alle Überlegungen im Leben und alle Untersuchungen der Geschichte, Chronologie, Geographie und Astronomie.

Die Wissenschaften, welche allgemeine Thatsachen behandeln, sind die Politik, die Natur-Philosophie, die Physik, die Chemie u. s. w., wo die Eigenschaften, Ursachen und Wirkungen von einer ganzen Gattung von Gegenständen untersucht werden.

Die Gotteslehre oder Theologie, welche das Dasein einer Gottheit und die Unsterblichkeit der Seele darlegt, ist eine Untersuchung teils von einzelnen, teils von allgemeinen Thatsachen. Sie hat eine Grundlage in der Vernunft, soweit sie sich auf Erfahrung stützt; aber ihre beste und festeste Grundlage ist der Glaube und die göttliche Offenbarung.

Die Moral und die Ästhetik sind nicht eigentlich Gegenstände des Verstandes, sondern des Geschmacks und Gefühls. Sowohl die moralische wie die natürliche Schönheit wird mehr gefühlt als begriffen. Denkt man über sie nach, und will man einen Massstab für sie gewinnen, so betrachtet man eine neue Thatsache, d. h. den allgemeinen Geschmack der Menschen oder etwas Ähnliches, was dann den Gegenstand des Nachdenkens und der Untersuchung bilden kann.

Wenn man, von solchen Grundsätzen erfüllt, die Bibliotheken durchsieht, welche Verwüstung müsste man darin anrichten? Nimmt man z. B. ein theologisches oder streng metaphysisches Werk in die Hand, so darf man nur fragen: Enthält es eine dem reinen Denken entstammende Untersuchung über Grösse und Zahl? Nein. Enthält es eine auf Erfahrung sich stützende Untersuchung über Thatsachen und Dasein? Nein. Nun, so werfe man es ins Feuer; denn es kann nur Spitzfindigkeiten und Blendwerk enthalten.

So wenig scharf gefasst und streng geordnet die Sätze dieses letzten Abschnittes sind, so stimmen sie doch in auffallender Weise mit den Grundsätzen des Realismus überein, wie sie in B. I. S. 65 u. f. dargelegt worden sind, und nichts ist deshalb unrichtiger, als Hume für einen Skeptiker zu halten, obgleich er selbst sich in einem beschränkten Sinne dafür ausgegeben hat.

Hume erkennt hier die beiden Fundamentalsätze des Realismus an; den Satz, dass das Wahrgenommene existiert, so weit es keinen Widerspruch (Sinnestäuschung) enthält. Hume weiss auch, dass diese Fundamentalsätze, insbesondere der zuletzt hier genannte, nicht bewiesen werden können. Ebenso weiss er, dass die Induktion nicht zur wahren Allgemeinheit ihrer Gesetze führt. Deshalb rechnet sich Hume zu den Skeptikern; allein solche Lehre ist noch keine Skepsis im eigentlichen Sinne; der Zweifel und die Skepsis beginnen erst dann, wenn man diese Fundamentalsätze selbst nicht als zuverlässig gelten lässt. (B. I. 61.) Der Realismus nimmt sie als zuverlässig, obgleich er mit dem Skeptiker anerkennt, dass sie nicht bewiesen werden können.

Auch in bezug auf die Mathematik stimmt Hume im Endergebnis mit dem Realismus überein; beide erkennen, dass diese Wissenschaft die volle Wahrheit und Allgemeinheit ihrer Lehrsätze erreichen kann; nur in der Begründung dieser Annahme besteht ein Unterschied. Hume ist hier noch durchaus unklar und selbst unverständlich, während der Realismus diese Annahme vollständig aus der Natur der mathematischen Gegenstände abzuleiten vermag. (B. I. 79.)

Endlich stimmt Hume auch darin mit dem Realismus, dass das Denken das jenseit der menschlichen Wahrnehmung liegende Sein nicht erreichen kann; mithin auf das Wahrnehmbare sich zu beschränken hat. (B. I. 67.) Hume drückt dies nur mangelhaft aus, indem er sagt: »die Philosophie habe sich auf das gewöhnliche Leben und die Dinge zu beschränken, welche zur täglichen Übung und Erfahrung gehören.« Infolgedessen bestreitet Hume mit Recht den Satz: »Aus nichts wird nichts«; jedes Werden, jede Bewegung enthält schon dessen Widerlegung.

Ebenso unterscheidet Hume richtig zwischen Erkenntnis des Einzelnen und des Allgemeinen (B. I. 73. 75) und erkennt mit dem Realismus an, dass die Religion sich nur auf den Glauben, aber nicht auf die Erkenntnis stützen könne. Selbst für die Ästhetik deutet Hume die richtige Quelle in den Gefühlen an.

So ist sicherlich zum Schluss die Behauptung gerechtfertigt, dass Hume's Philosophie nicht Skeptizismus, sondern ein ziemlich reiner Realismus ist, dem nur die Begründung seiner Lehre noch nicht überall gelungen ist.

Ende.

 

Erläuterungen und Berichtigung eingearbeitet_joe_ebc, Projekt Gutenberg-DE

 

Druck von Bockwitz & Webel in Leipzig.

 


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