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Abteilung IX.
Über die Vernunft der Tiere.

Alles Schliessen in bezug auf Thatsachen stützt sich auf eine Ähnlichkeit, die uns bestimmt, von einer Ursache denselben Erfolg zu erwarten, den man aus ähnlichen Ursachen hat hervorgehen sehen. Ist die Ähnlichkeit der Ursachen vollständig, so ist die Analogie vollkommen, und die darauf gestützte Folgerung gilt als sicher und beweisend.

Niemand zweifelt bei dem Anblick eines Stück Eisens, dass es schwer und fest sein werde, gerade wie andere Stücke, die ihm früher vorgekommen sind. Haben die Gegenstände aber keine volle Gleichheit, so ist die Analogie weniger vollkommen, und der Schluss weniger überzeugend, obgleich, er einige Kraft nach Verhältnis der Ähnlichkeit und Übereinstimmung behält. Die anatomischen Beobachtungen, die man bei einem Tiere macht, werden durch diese Art der Begründung auf alle ausgedehnt, und wenn z. B. der Blutumlauf bei einem Geschöpf voll erwiesen ist, wie bei dem Frosch oder Fisch, so ergiebt dies eine starke Vermutung, dass dieser Blutumlauf überall statt habe. Diese Schlüsse der Analogie kann man weiter, selbst bis zu der hier behandelten Wissenschaft ausdehnen und jede Lehre, welche die Vorgänge des Verstandes oder den Ursprung und die Verbindung der menschlichen Leidenschaften erklärt, wird in ihrer Gültigkeit steigen, wenn sich ergiebt, dass nur diese Lehre dieselben Erscheinungen auch bei andern lebenden Geschöpfen erklärt. Wir wollen eine solche Probe mit der Hypothese machen, durch welche im Vorgehenden die Erklärung aller Erfahrungsschlüsse versucht worden ist. Hoffentlich dient dieser neue Gesichtspunkt zur Bestätigung der früheren Ausführungen.

Erstens scheint es ausgemacht, dass die Tiere so gut wie die Menschen von der Erfahrung lernen und aus ihr schliessen, dass dieselben Wirkungen immer denselben Ursachen folgen. Durch diese Regel werden sie mit den nächsten Eigenschaften der äussern Gegenstände bekannt und sammeln allmählich von ihrer Geburt an einen Schatz von Kenntnissen über die Natur des Feuers, des Wassers, der Erde, der Steine, der Höhen, der Tiefen u. s. w., so wie über die Wirkungen, welche daraus hervorgehen. Die Unwissenheit und Unerfahrenheit der Jungen kann man leicht von der Vorsicht und Klugheit der Alten unterscheiden, die durch lange Beobachtung gelernt haben, das Schädliche zu vermeiden und das Angenehme und Nützliche zu suchen. Ein an das Freie gewöhntes Pferd wird mit der bestimmten Höhe bekannt, die es überspringen kann und wird nichts versuchen, was seine Kraft und Fähigkeit übersteigt. Ein alter Windhund wird den anstrengendsten Teil der Jagd dem Jüngern überlassen und sich selbst so stellen, dass er auf den Hasen bei dessen Schwenkung trifft; seine Voraussetzungen bei solchen Gelegenheiten stützen sich lediglich auf seine Beobachtung und Erfahrung.

Dies erhellt noch deutlicher aus den Wirkungen der Zucht und Erziehung der Tiere, welche durch die passende Anwendung von Belohnungen und Strafen zuletzt eine Reihe von Handlungen lernen, welche ihrem natürlichen Instinkt und Trieb geradezu zuwider sind. Ist es nicht die Erfahrung, welche einen Hund Schmerz fürchten lässt, wenn man ihm droht oder die Peitsche zum Schlag erhebt? Ist es nicht die Erfahrung, welche ihn auf seinen Namensruf antworten und schliessen lässt, dass man mit einem solchen willkürlichen Laut eher ihn als einen Kameraden meine, und dass man ihn rufen wolle, wenn man diesen Laut in einer gewissen Weise und mit einem bestimmten Tone und Accent ausspricht?

In all diesen Fällen folgert das Tier offenbar eine Thatsache über das hinaus, was seine Sinne trifft, und diese Folgerung stützt sich nur auf frühere Erfahrung, indem das Tier von demselben Gegenstand dieselben Folgen erwartet, die es bei seinen Beobachtungen aus ähnlichen Gegenständen früher hat hervorgehen sehen.

Zweitens: Unmöglich kann diese Folgerung des Tieres sich auf ein Beweisverfahren und einen Vernunftschluss gründen, wodurch es schlösse, dass gleiche Folgen sich mit gleichen Gegenständen verbinden, und dass die Natur in ihren Vorgängen immer regelmässig sei. Denn wenn wirklich Beweisgründe dieser Art bestehen sollten, so liegen sie doch für die Beobachtung und für einen so schwachen Verstand zu versteckt; nur die äusserste Sorgfalt und Aufmerksamkeit eines philosophischen Geistes kann sie entdecken und bemerken. Die Tiere werden deshalb bei diesen Folgerungen nicht durch Vernunftgründe geleitet, so wenig wie die Kinder und die meisten Menschen bei ihren gewöhnlichen Handlungen und Folgerungen, ja selbst die Philosophen nicht, welche für den thätigen Teil des Lebens sich in der Hauptsache von der Menge nicht unterscheiden und nach gleichen Regeln verfahren. Die Natur musste für ein bereiteres, allgemeiner anwendbares und nutzbares Prinzip sorgen, und eine Verrichtung von so ungeheurer Wichtigkeit für das Leben, wie die Folgerung der Wirkung aus der Ursache, konnte nicht dem unsichern Verfahren des Denkens und Folgerns anvertraut werden. Sollte dies bei dem Menschen noch zweifelhaft sein, so ist es doch bei der unvernünftigen Schöpfung unfraglich, und wenn dieser Satz in dem einen Falle vollständig festgestellt ist, so hat man nach den Regeln der Analogie allen Grund zur Annahme, dass er allgemein und ohne Ausnahme und Vorbehalt gelte. Nur die Gewohnheit ist es, welche die Tiere veranlasst, bei jedem Gegenstande, der ihre Sinne trifft, dessen gewöhnlichen Begleiter zu erwarten; nur sie führt ihre Einbildungskraft bei dem Erscheinen des Einen zur Vorstellung des Andern in der besondern Weise, welche ich Glauben nenne. Keine andere Erklärung ist von diesem Vorgange möglich, und dieses gilt sowohl für die hohen, wie niedern Klassen der lebendigen Wesen, so weit wir sie kennen und beobachten.

Anm. H. Wenn alles Folgern von Thatsachen oder Ursachen sich nur auf Gewohnheit stützt, so entsteht die Frage, weshalb die Menschen die Tiere im Begründen so übertreffen, und weshalb ein Mensch hierin den andern übertrifft? Die gleiche Gewohnheit müsste doch den gleichen Einfluss auf Alle haben!

Ich will hier kurz den grossen Unterschied in dem Verstande der einzelnen Menschen erklären; daraus ergiebt sich dann leicht der Grund für denselben Unterschied zwischen Menschen und Tieren.

1. Wenn man einige Zeit gelebt und sich an die Gleichförmigkeit der Natur gewöhnt, so erwirbt man eine allgemeine Fertigkeit, das Bekannte auf das Unbekannte zu übertragen und letzteres als dem erstem gleich vorauszusetzen. Vermittelst dieses gewohnten Prinzips genügt schon ein Experiment für die Folgerung, und man erwartet mit grosser Gewissheit den gleichen Erfolg, wenn der Versuch genau und frei von allen ungehörigen Nebenumständen vorgenommen worden ist. Die Beobachtung der Folgen der Dinge ist deshalb eine Sache von grosser Wichtigkeit, und da ein Mensch den andern in Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Beobachtung übertrifft, so macht das für ihre Folgerungen einen grossen Unterschied.

2. Wo ein Zusammentreffen von Ursachen eine Wirkung hervorbringt, kann ein Verstand, der umfassender als der andere ist, fähiger sein, den ganzen Zusammenhang der Gegenstände zu begreifen und ihre Folgen richtig abzuleiten.

3. Einer vermag die Kette der Schlüsse weiter zu ziehen als der Andere.

4. Wenige Menschen können lange denken, ohne die Vorstellungen zu verwirren und zu verwechseln, und diese Schwäche hat ihre verschiedenen Grade.

5. Der Umstand, von dem die Wirkung abhängt, ist oft in andern, anscheinend fremden und äusserlichen Umständen verhüllt; seine Trennung erfordert oft grosse Genauigkeit, Aufmerksamkeit und Scharfsinn.

6. Einzelne Beobachtungen gleich zu allgemeinen Regeln zu erheben, ist ein schwieriges Geschäft, und es ist sehr häufig, dass man aus Hast und Geistesbeschränktheit die Sache nicht allseitig betrachtet und deshalb in Missgriffe gerät.

7. Wenn die Analogie bei den Folgerungen benutzt wird, so ist der im Vorteil, der das Meiste erfahren hat oder am geschicktesten in Auffindung von Ähnlichkeiten ist.

8. Vorurteile, Erziehung, Leidenschaften, Parteiungen beirren den Einen mehr als den Andern.

9. Nachdem man Vertrauen in menschliches Zeugnis gewonnen hat, erweitern Bücher und Unterhaltung den Gesichtskreis des Einen in seinem Wahrnehmen und Denken mehr als den des Andern.

So liessen sich noch manche andere Umstände auffinden, aus welchen der Unterschied in den Verstandeskräften der Einzelnen hervorgeht.

Obgleich indes die Tiere einen grossen Teil ihres Wissens durch Erfahrung erlangen, so verdanken sie doch einen andern Teil der ursprünglichen Verleihung der Natur. Er ist der, welcher den Grad ihrer Fähigkeiten für gewöhnliche Fälle übersteigt, und wo die längste Übung und Erfahrung sie wenig oder gar nicht weiter bringt. Man nennt diesen Teil Instinkt und bewundert ihn als etwas Ausserordentliches, was durch keine Untersuchung unseres Verstandes erklärt werden kann. Indes wird diese Bewunderung vielleicht aufhören oder sich vermindern, wenn man bedenkt, dass das Folgern aus Erfahrung, was wir mit den Tieren gemein haben, und von welchem alles Verhalten im Leben abhängt, nur eine Art von Instinkt ist, oder eine mechanische Kraft, welche in uns, und zwar uns selbst unbewusst, thätig ist und in ihrer Hauptwirksamkeit nicht durch solche Beziehungen und Vergleichungen der Begriffe geleitet wird, welche eigentlich den Gegenstand unserer geistigen Fähigkeiten ausmachen. Die Instinkte sind vielleicht verschieden; aber es ist ein Instinkt, welcher den Menschen heisst, das Feuer zu meiden, wie es ein Instinkt ist, welcher dem Vogel die richtige Art des Brütens und die Einrichtung und Ordnung in Aufziehung seiner Jungen zeigt.

Hume benutzt hier das Handeln der Tiere, um auch an diesen die Wahrheit des Satzes zu erweisen, dass die Ursachlichkeit nur eine Gewohnheit ist, nämlich früher beisammen gewesene Vorstellungen auch später wieder zusammen vorzustellen. Hume sagt: »Die Tiere haben keine Vernunft wie die Menschen; wenn deshalb das Folgern von Thatsachen auf einer Denkthätigkeit der Vernunft beruht, so könnte es bei Tieren nicht statt haben. Dennoch zeigt die Erfahrung, dass die Tiere, genau wie die Menschen, aus der Erfahrung lernen und folgern; also ist dies Folgern kein Produkt des vernünftigen Denkens, sondern nur eine Gewohnheit, wonach die eine Vorstellung thatsächlich eine zweite wach ruft, wenn beide früher oft in der Seele beisammen gewesen sind.«

Es ist ein sinnreicher Gedanke, das Handeln der Tiere zur Bestätigung dieser Theorie zu benutzen. Indes fällt diese Bestätigung, wenn man zwar zugiebt, dass bei den Tieren und Kindern dieses Folgern mit einer solchen Ideen-Association beginnen mag, dies aber nicht ausschliesst, dass der wahre Begriff der Ursachlichkeit sich später bei dem reiferen Kinde herausbildet. Bei den Tieren mag es ungewiss bleiben, wie weit sie von jener Ideen-Association zur Ausbildung der reinen Beziehungsform der Ursachlichkeit und zu den Begriffen des Allgemeinen und Notwendigen vorschreiten.

Überhaupt muss man festhalten, dass Hume nicht die Regelmässigkeit in den Naturvorgängen leugnet; er bestreitet nur, dass der Mensch sie erkennen kann; er leugnet auch die Begriffe der Allgemeinheit und Notwendigkeit nicht; er behauptet nur, dass sie selbst als Vorstellungen nicht in voller Reinheit bestehen, sondern auf der Gewohnheit beruhen, in Folge welcher eine Vorstellung die andere erweckt; deshalb wecke auch der Glaube an die Wahrheit der einen den Glauben an die Wahrheit der zweiten.

Im Grunde ist hiernach die Lehre Hume's von der Lehre des Realismus und der gewöhnlichen Meinung nicht sehr verschieden. Auch der Realismus nimmt die Beziehungen und Wissensarten nur als subjektiv, als blosse Formen und Arten des Denkens; auch der Realismus erkennt, wie Hume, im Sein nur die zeitliche Folge des einen auf das andere; der Unterschied liegt nur darin, dass Hume auch innerhalb des Denkens die wahre, umfassende Bedeutung dieser Begriffe leugnet und sie in eine Gewohnheit, die Vorstellungen zu verbinden, umwandelt, was allerdings das Wesen dieser Begriffe völlig vernichtet und selbst in der Mathematik ihre Geltung zerstört, wo erweislich die wahre Allgemeinheit der Lehrsätze und nicht bloss die induktive erreicht wird. (B. I. 79.) Für alle anderen Wissenschaften stimmt der Realismus mit Hume überein; in allem anderen Wissen von dem Seienden bleibt die Allgemeinheit der Gesetze nur eine Vermutung, die bloss auf der Induktion beruht, und es ist ein Missbrauch, die Allgemeinheit in ihrem wahren Sinne für die übrigen Wissenschaften ebenso zu behaupten wie für die Mathematik.

Hume wird jedoch von der wahren Allgemeinheit und Notwendigkeit auch im Denken nichts wissen; sie sind ihm auch da nur eine Gewohnheit; hierin liegt sein Irrtum; in der Seele, im Denken bestehen allerdings diese Kategorien in ihrer vollen, weit über die Gewohnheit hinausgehenden Bedeutung; aber ihre Wahrheit für das Seiende ist mit Ausnahme der Mathematik zwar keine Gewohnheit, aber doch nur eine Vermutung.

Es ist sehr auffallend, dass Hume in der Anmerkung H seinen Hauptsatz selbst widerlegt; denn alle Gründe, aus denen er hier die Unterschiede im geschickten Folgern bei den Menschen ableitet, zeigen, dass es sich bei diesem Folgern nicht um eine Gewohnheit handelt, sondern um ein vernünftiges Denken, Beziehen, Trennen u. s. w., was den Begriff der Gewohnheit weit überschreitet. Wo die Gewohnheit wahrhaft die Ursache ist, wie z. B. bei dem Gebrauch der Muttersprache, da ist auch in deren natürlichem Gebrauche kein erheblicher Unterschied unter den Menschen; besteht also bei jenem Folgern ein Unterschied, so muss er mehr als Gewohnheit sein.


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