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Abteilung X.
Über die Wunder.

Abschnitt I.

Dr. Tillotson's Schriften enthalten einen Beweis gegen die wirkliche Gegenwart (des Leibes Christi bei dem Abendmahl), welcher so kurz, so fein und schlagend ist, als man von einem Beweis gegen eine Lehre verlangen kann, die so wenig eine ernste Widerlegung verdient. »Man erkennt von allen Seiten an,« sagt der gelehrte Geistliche, »dass das Ansehn der heiligen Schrift und der Tradition sich lediglich auf das Zeugnis der Apostel stützt, welche Augenzeugen von den Wundern unseres Erlösers, durch welche er seine göttliche Sendung darthat, waren. Unser Beweis für die Wahrheit der christlichen Religion ist deshalb schwächer als der Beweis für das von unseren Sinnen Wahrgenommene; denn der war selbst bei den ersten Gründern unserer Religion nicht stärker als diese und musste offenbar bei dem Uebergange zu ihren Schülern abnehmen; Niemand kann auf sie mehr als auf das unmittelbare Zeugnis der Sinne vertraun. Ein schwächerer Beweis kann aber nie den stärkern aufheben; und wenn daher auch die Lehre von der wirklichen Gegenwart noch so klar in der Bibel offenbart wäre, so würde es doch die Regeln des richtigen Schliessens verletzen, wenn man ihr zustimmen wollte. Sie widerspricht den Sinnen, und doch beweisen die Bibel wie die Tradition, auf welche sie sich stützt, nicht so viel wie die Sinne, solange man jene nämlich nur als äussere Beweismittel ansieht, und sie nicht durch die unmittelbare Wirksamkeit des heiligen Geistes in Jedermanns Brust eingepflanzt sind.«

Nichts ist willkommener als ein so entscheidender Beweisgrund, welcher wenigstens die anmasslichste Frömmelei und Abergläubigkeit zum Schweigen bringen und uns von ihren unverschämten Forderungen befreien muss. Ich schmeichle mir, einen ähnlichen Beweisgrund aufgefunden zu haben, welcher, wenn er richtig ist, bei den Einsichtigen und Gebildeten einen dauernden Schutzwall gegen alle Art von abergläubischer Täuschung bilden und deshalb seinen Nutzen, solange die Welt steht, behalten wird. Denn so lange werden, meines Erachtens, in allen heiligen und weltlichen Geschichtsbüchern die Erzählungen von Wundern und übernatürlichen Vorgängen angetroffen werden.

Obgleich die Erfahrung unser einziger Führer bei der Ableitung von Thatsachen ist, so ist doch dieser Führer nicht ganz unfehlbar; er kann uns in einzelnen Fällen zum Irrtum führen. Wenn in unserm Klima Jemand in einer Woche des Juni besser Wetter als in einer Woche des Dezember erwartet, so urteilt er richtig und der Erfahrung entsprechend; und doch kann es sich treffen, dass der Erfolg ihn Lügen straft. Indes wird er in solchen Fällen keinen Grund haben, sich über die Erfahrung zu beklagen, denn sie belehrt uns im Voraus über diese Unsicherheit, welche aus dem Widerstreit der Erfolge bei genauerer Beobachtung hervorgeht. Nicht alle Wirkungen folgen mit gleicher Gewissheit ihren vermutlichen Ursachen. Einzelne Vorgänge sind nach dem Befund aller Länder und Zeiten immer mit einander verknüpft gewesen; andere sind als veränderlich erkannt und haben mitunter die Erwartungen getäuscht. Deshalb bestehen in unsern Folgerungen über Thatsachen alle möglichen Grade des Fürwahrhaltens von der höchsten Zuversicht bis zur niedrigsten Art moralischer Gewissheit.

Ein kluger Mann bemisst daher seinen Glauben nach den Beweisen. Bei Folgerungen, die auf einer untrüglichen Erfahrung ruhn, erwartet er den Erfolg mit der höchsten Gewissheit und betrachtet die früheren Erfahrungen als einen vollen Beweis für das kommende Dasein dieses Ereignisses. In anderen Fällen geht er vorsichtiger zu Werke; er erwägt die entgegengesetzten Erfahrungen; er untersucht, welche Seite die Mehrzahl der Fälle für sich hat; dieser Seite neigt er sich zweifelnd und zögernd zu, und wenn er endlich sein Urteil fällt, so überschreitet seine Sicherheit nicht das, was man gewöhnlich Wahrscheinlichkeit nennt. Jede Wahrscheinlichkeit findet deshalb einen Gegensatz in den Erfahrungen und Beobachtungen, wo die eine Seite die andere überwiegt und ein dem entsprechendes Mass von Sicherheit hervorbringt. Hundert Beispiele und Fälle auf der einen Seite und fünfzig auf der andern geben nur einen unsichern Anhalt über den Ausgang; steht aber nur ein Fall jenen hunderten gegenüber, so erzeugen diese natürlich einen ziemlich starken Grad von Gewissheit. Immer müssen die entgegengesetzten Fälle, so weit sie dies sind, erwogen, und die kleinere Zahl von der grössern abgezogen werden, um den Grad der höhern Gewissheit genau zu erkennen.

Um diese Grundsätze auf ein Beispiel anzuwenden, so giebt es keine Art von Folgerungen, die gebräuchlicher, üblicher und für das Leben notwendiger ist, als die, welche sich von dem Zeugnis der Menschen und den Berichten der Augenzeugen und Zuschauer ableitet. Man kann vielleicht bestreiten, dass diese Art von Folgerung auf die Beziehung von Ursachen und Wirkung sich stütze und ich will über das Wort nicht streiten. Es genügt die Bemerkung, dass unsere Gewissheit in all diesen Fällen sich nur aus dem Grundsatz ableitet, dass menschliches Zeugnis von uns als wahr befunden worden, und die Berichte der Zeugen gemeinhin mit den Thatsachen übereingestimmt haben. Da es ein allgemeiner Grundsatz ist, dass die Dinge keine wahrnehmbare Verknüpfung mit einander haben, und dass alle Schlüsse von dem Einen auf das Andere sich lediglich auf die Erfahrung von deren regelmässigen und beständigen Verbindung stützt, so kann man offenbar keine Ausnahme von diesem Grundsatze zu Gunsten des menschlichen Zeugnisses machen, dessen Verknüpfung mit einem andern Umstande an sich selbst so wenig wie bei andern Beispielen notwendig ist. Wäre das Gedächtnis nicht bis zu einem gewissen Grade treu; wären die Menschen nicht durchschnittlich der Wahrheit und den Grundsätzen der Ehrlichkeit zugethan; schämten sie sich nicht, auf einer Lüge entdeckt zu werden; wäre dies Alles nicht durch die Erfahrung als Eigenschaften der menschlichen Natur erkannt, so würde man nicht das geringste Gewicht auf menschliches Zeugnis legen. Ein irrsinniger oder als lügnerisch und niederträchtig bekannter Mensch findet niemals Glauben.

Und da die Gewissheit, die von Zeugnissen und Berichten abgeleitet ist, sich auf frühere Erfahrungen stützt, so wechselt sie mit dieser Erfahrung und gilt entweder als voll bewiesen oder wahrscheinlich, je nachdem die Verbindung zwischen einer Art von Berichten und einer Art von Thatsachen beständig oder wechselnd befunden worden ist. Man muss bei allen Urteilen dieser Art eine grosse Zahl von Umständen berücksichtigen, und der letzte Massstab, nach dem alle darüber entstehenden Streitigkeiten zu entscheiden sind, wird immer der Erfahrung und Beobachtung entnommen. Wo diese Erfahrung nicht ganz gleichförmig ist, besteht immer ein unvermeidlicher Widerstreit in unsern Urteilen, ein Kampf um eine gegenseitige Aufhebung der Gründe, wie bei jeder andern Art von Beweisen. Man schwankt oft bei den Berichten Anderer, man erwägt die entgegenstehenden Umstände, welche den Zweifel und die Ungewissheit veranlassen. Findet sich ein Übergewicht auf der einen Seite, so neigt man dahin, aber immer mit einer der Stärke des Gegners entsprechenden mindern Sicherheit.

In dem vorliegenden Falle entspringt der Widerstreit der Beweise aus verschiedenen Gründen: aus dem Widerspruch entgegengesetzter Zeugnisse; aus dem Charakter und der Zahl der Zeugen; aus der Art, wie sie ihr Zeugnis überliefern und aus der Verbindung all dieser Umstände. Wir schöpfen in bezug auf eine Thatsache Verdacht, wenn die Zeugen sich widersprechen; wenn es nur Wenige und von zweifelhaftem Charakter sind; wenn sie einen Vorteil von ihrer Aussage erwarten; wenn sie ihr Zeugnis zaudernd oder mit zu heftigen Beteuerungen ablegen. Es giebt auch noch andere besondere Umstände, welche die Kraft eines Beweises, der sich auf menschliches Zeugnis stützt, vermindern oder vernichten.

Man nehme z. B. an, dass die Thatsache, welche der Zeuge bekundet, zu den ausserordentlichen und wunderbaren gehöre. Dann erfährt die Beweiskraft eines solchen Zeugnisses eine grössere oder kleinere Verminderung, je nachdem die Thatsache mehr oder weniger ungewöhnlich ist. Der Grund, warum man Zeugen oder Geschichtsschreibern Glauben beimisst, leitet sich nicht von einer Verknüpfung ab, welche man a priori zwischen Zeugnis und Wirklichkeit erkennt, sondern weil man gewohnt ist, eine Gleichförmigkeit zwischen Beiden anzutreffen. Ist aber die bezeugte Thatsache uns selten vorgekommen, so erhebt sich ein Streit entgegengesetzter Erfahrungen, von denen die eine die andere so weit zerstört, als ihre Kraft reicht, und die stärkere kann auf die Seele nur noch mit der übriggebliebenen Kraft wirken. Dasselbe Prinzip der Erfahrung, welches uns den Berichten von Zeugen gewissermassen vertrauen lässt, giebt uns in einem solchen Falle auch einen Grad von Gewissheit gegen die Thatsache, welche sie feststellen wollen. Aus diesem Widerspruche entspringt notwendig ein Gegensatz und eine gegenseitige Zerstörung des Glaubens und Vertrauens. » Ich würde dies nicht glauben, selbst wenn es mir Cato erzählte,« war in Rom schon zu Lebzeiten dieses philosophischen Staatsmannes eine sprichwörtliche Redensart. Man erkannte, dass die Unglaubwürdigkeit einer Thatsache selbst eine so grosse Autorität erschüttern könnte. So berichtet Plutarch im Leben Cato's.

Der indische Prinz, welcher den ersten Erzählungen über die Wirkungen des Frostes nicht glauben wollte, verfuhr ganz richtig und es bedurfte natürlich sehr starker Zeugnisse, um seine Zustimmung zu Thatsachen zu gewinnen, welche aus Naturbedingungen hervorgingen, die ihm ganz unbekannt waren und so wenig den Vorgängen glichen, von denen er eine beständige und gleichförmige Erfahrung hatte.

Wenn sie auch seinen Erfahrungen nicht widersprachen, so stimmten sie doch nicht damit überein.

Anm. J. Ein Indier konnte offenbar nicht aus Erfahrung wissen, dass das Wasser in kalten Ländern gefriert. Die Natur wird dabei in eine ihm ganz unbekannte Lage gebracht, und er kann nicht a priori den Erfolg voraussagen. Es ist für ihn ein neues Experiment, dessen Erfolg allemal ungewiss bleibt. Man kann wohl mitunter die Folge nach Analogien vermuten, aber es bleibt nur Vermutung. In dem Falle des Gefrierens erfolgt offenbar die Wirkung gegen die Regeln der Analogie, und sie ist der Art, dass ein verständiger Indier sie nicht voraussehen kann. Die Wirkung der Kälte auf das Wasser geschieht nicht allmählich nach dem Grade der Kälte; sondern das Wasser geht, wenn der Gefrierpunkt eintritt, plötzlich von der höchsten Flüssigkeit zur vollkommenen Härte über. Ein solches Ereignis gilt deshalb als ausserordentlich und verlangt ein ziemlich starkes Zeugnis, um Leuten in warmen Ländern glaublich zu erscheinen. Aber es ist doch nicht wunderbar und widerspricht nicht der gleichförmigen Erfahrung von dem Laufe der Natur in Fällen, wo die Umstände dieselben sind. Die Einwohner von Sumatra haben das Wasser bei sich immer flüssig gesehen, und das Gefrieren ihrer Flüsse müsste für ein Wunder gelten; aber sie sahen nie das Wasser während des Winters in Moskau und können, deshalb nicht bestimmt wissen, welcher Erfolg da eintreten wird.

Um aber die Wahrscheinlichkeit gegen die Aussage der Zeugen zu steigern, nehme man an, dass die Thatsache, welche sie bekunden, nicht bloss ausserordentlich, sondern wahrhaft wunderbar sei; ferner, dass das Zeugnis, an sich betrachtet, vollständig beweisend sei. In diesem Falle steht Beweis gegen Beweis; der stärkste wird überwiegen, aber mit einer Verminderung seiner Kraft im Verhältnis zu der seines Gegners.

Ein Wunder ist eine Verletzung der Naturgesetze. Da nun eine feste und unveränderliche Erfahrung diesen Gesetzen zu Grunde liegt, so ist der Beweis gegen das Wunder aus der blossen Natur der Thatsache so stark, wie irgend ein der Erfahrung entnommener Beweis nur gedacht werden kann. Weshalb ist es mehr als wahrscheinlich, dass alle Menschen sterben müssen; dass das Blei sich nicht von selbst in der Luft schwebend erhalten kann; dass das Feuer das Holz verzehrt und von Wasser gelöscht wird? Offenbar weil diese Begebenheiten mit den Gesetzen der Natur übereinstimmend befunden sind, und eine Verletzung dieser Gesetze, d. h. in anderen Worten ein Wunder nötig ist, um sie nicht eintreten zu machen. Nichts gilt als Wunder, was im gewöhnlichen Lauf der Dinge geschieht. Es ist kein Wunder, wenn ein anscheinend gesunder Mann plötzlich stirbt, weil eine solche Todesart zwar seltener als andere ist, aber doch oft beobachtet worden ist. Aber es wäre ein Wunder, wenn ein toter Mensch wieder lebendig würde, weil dies zu keiner Zeit und in keinem Lande beobachtet ist. Es muss deshalb eine allgemeine Erfahrung jedem Wunder entgegenstehen, sonst würde das Ereignis nicht diesen Namen verdienen. Und da die allgemeine Erfahrung einen vollen Beweis abgiebt, so ergiebt hier die Natur der Thatsache selbst einen genauen und vollen Beweis gegen das Dasein dieses Wunders. Dieser Beweis kann nur aufgehoben und das Wunder glaubwürdig gemacht werden, wenn man einen stärkeren Beweis gegen ihn beibringt.

Anm. K. Manchmal kann ein Ereignis, wenn man es an sich selbst betrachtet, den Gesetzen der Natur nicht widersprechend erscheinen, und doch, wenn es geschieht, infolge gewisser Umstände, als ein Wunder gelten, weil es thatsächlich den Gesetzen widerspricht. Wenn Jemand, der sich für einen Gesandten Gottes ausgiebt, einem Kranken heisst, gesund zu sein, einem Gesunden, tot niederzufallen; wenn er den Wolken das Regnen und den Winden das Wehen gebietet, kurz, wenn er natürliche Ereignisse fordert, die seinem Befehle unmittelbar nachfolgen, so kann dies mit Recht als Wunder gelten, weil es in dieser Verbindung den Naturgesetzen widerspricht. Besteht aber ein Verdacht, dass das Gebot und das Ereignis nur zufällig zusammentrafen, so liegt kein Wunder und keine Überschreitung der Naturgesetze darin. Wird dieser Verdacht beseitigt, so ist offenbar ein Wunder und eine Ueberschreitung der Naturgesetze vorhanden; denn nichts ist mehr diesen entgegen als ein solcher Einfluss der Worte und Gebote eines Menschen. Man kann das Wunder definieren als eine Überschreitung der Naturgesetze durch ein besonderes Wollen der Gottheit oder durch Dazwischenkunft eines unsichtbaren Einflusses. Das Wunder kann von den Menschen bemerkt werden oder nicht; dies ändert seine Natur und sein Wesen nicht. Erhebt sich ein Haus oder ein Schiff in die Luft, so ist dies ein augenscheinliches Wunder. Erhebt sich eine Feder, ohne dass der Wind die dazu nötige Stärke besitzt, so ist auch dies ein wirkliches Wunder, wenn es auch weniger auffällt.

Die einfache Folge ist (und es ist ein allgemeiner Grundsatz, der aller Aufmerksamkeit wert ist),

»dass kein Zeugnis zureicht, ein Wunder festzustellen; es müsste denn das Zeugnis der Art sein, dass seine Falschheit wunderbarer wäre als die Thatsache, welche es bekundet; und selbst in diesem Falle besteht eine gegenseitige Aufhebung der Gründe; der stärkere giebt nur noch eine Sicherheit nach dem Grade der Stärke, welche nach Abzug des schwächeren übrig bleibt.«

Wenn nun jemand erzählt, er habe gesehen, dass ein Toter wieder lebendig gemacht worden sei, so überdenke ich sogleich bei mir, ob es wahrscheinlicher sei, dass ein Mensch betrügt oder betrogen ist, oder dass das erzählte Ereignis sich wirklich zugetragen habe. Ich wiege ein Wunder gegen das andere ab, und je nach dem Übergewicht, was ich bemerke, entscheide ich mich und verwerfe immer das grössere Wunder.

Wäre die Unwahrheit seines Zeugnisses ein grösseres Wunder als das berichtete Ereignis, dann, und nur dann kann er auf meinen Glauben oder Zustimmung Anspruch machen.

Hume wendet sich in dieser und der folgenden Abteilung gegen einzelne religiöse Dogmen, welche nur insofern mit seinem Thema zusammenhängen, als das Fürwahrhalten solcher Dogmen sich auf den Glauben stützt, im Gegensatz zur Erkenntnis, die sich auf die Fundamentalsätze stützt. (B. I. 60. 68.) Die Quelle dieses Glaubens sind die Autoritäten und die Gefühle. (B. I. 68. 85.) Auch der Glaube hat seine Ursachen, aus denen er nach festen Gesetzen entsteht; er gehört zu den Wissensarten, und es kann deshalb auch ein übereinstimmender Glaube bei einem Volke erzeugt und Jahrhunderte lang erhalten werden, selbst wenn der Inhalt dieses Glaubens unwahr ist und der Erkenntnis widerspricht, wie die verschiedenen Religionen dies beweisen. Innerhalb des Wissens ist die Philosophie der Religion überlegen; jene erkennt die Quellen und den Ursprung der Religionen, sie zeigt ihre Unterschiede, ihren Wechsel und ihren Widerspruch mit den Ergebnissen der Erkenntnis oder der auf den Fundamentalsätzen beruhenden Wissenschaften. Allein daraus folgt nicht im mindesten, dass die Philosophie damit imstande ist, diesen Glauben zu zerstören. Vielmehr hat der Glaube an seinen eigenen Ursachen eine so feste Stütze, dass er den schlagendsten Widerlegungen der Wissenschaft und selbst dem Widerspruche zu widerstehen vermag, wie die Geschichte lehrt. Nur allmählich weicht der falsche Glaube der sich ausbreitenden Wissenschaft; aber Jahrhunderte vergehen, ehe ein bedeutender Fortschritt hier erreicht wird, und die Verteidiger des Glaubens haben in ihrer Macht über die Schulen und die Erziehung der Kinder ein sicheres Mittel, diesen Glauben auch auf die kommenden Generationen zu übertragen und von neuem zu befestigen.

Die Philosophie hat nur die Waffen des Wissens. Die Religion hat die Waffen des Seins, d. h. der Gefühle, der Hoffnung, der Ehrfurcht u. s. w. Diese verschiedenen Waffen treffen einander nicht; es ist, als wenn man mit einem Schwerte von Eisen den Gegner in dem Spiegelbilde erstechen will; er bleibt trotz der Durchbohrung am Leben. Wenn die Philosophie dies vergisst, so macht sie sich lächerlich. Ihre Macht ist im Wissen; hier ist sie die allmächtige Herrin; aber im Sein ist sie schwach; hier muss sie es dem Geschick und der Ausdauer Einzelner überlassen, die Macht der Fundamentalsätze und der Wahrheit allmählich zur Herrschaft über die Gefühle, auf denen der Glaube ruht, zu bringen.
Hume erhebt sich nirgends zu diesem höchsten Gesichtspunkte, der allerdings leicht zum Quietismus verleitet; er gehört zu jenen wackern Kämpfern im Sein, welche die Macht des Glaubens durch Spott und Ironie zu erschüttern suchen.

In diesem Sinne ist diese und die folgende Abteilung aufzufassen. Das philosophische Element tritt hier zurück; die Darstellung wird durchaus populär und polemisch; aber sie hält sich in einer überaus feinen Ironie, welche stärker wirkt als abstrakte Regeln und direkte Beweise. Indem Hume den Glauben an Wunder nach den Regeln des Wissens prüft, ergiebt sich, dass dieser Glaube nur zu einer Wahrscheinlichkeit führen kann, welche nie imstande ist, die gegen die Wunder überhaupt bestehende vernünftige Überzeugung zu überwinden. Wer wollte dies bestreiten? Aber dies sind alles nur Kämpfe innerhalb des Wissens, während der Glaube seine Stütze in den seienden Gefühlen hat; deshalb sagt Hume selbst in feiner Ironie, dass er den Glauben nicht bekämpfen wolle, »so weit er durch die unmittelbare Wirksamkeit des heiligen Geistes in Jedermanns Brust eingepflanzt sei«.

Abschnitt II.

In der obigen Betrachtung habe ich angenommen, dass das Zeugnis, worauf das Wunder gestützt wird, volle Beweiskraft erreiche, und dessen Falschheit in der That unerhört sei; indes kann ich leicht zeigen, dass ich in meinen Zugeständnissen zu bereitwillig gewesen bin, und dass kein Wunder je auf einen vollen Beweis gestützt worden ist.

Denn erstens befindet sich in keinem Geschichtswerk ein Wunder auf eine genügende Zahl von Personen gestützt, deren gesunder Sinn, Erziehung und Kenntnisse so unanfechtbar wären, dass man gegen alle Täuschung derselben sich geschützt halten könnte; deren Rechtschaffenheit so unbedenklich wäre, um sie über allen Verdacht des Betruges zu erheben; deren Glaubwürdigkeit und Ansehen in den Augen der Menschen gefährdet worden wäre, wenn man sie bei einer Lüge ertappt hätte, und deren Zeugnis sich zu gleicher Zeit auf Thatsachen erstreckte, die so öffentlich und an einem so bekannten Orte der Erde stattgefunden, dass die Entlarvung unvermeidlich gewesen wäre. Und doch sind alle diese Umstände nötig, um dem Zeugnisse eines Menschen volle Zuverlässigkeit zu geben.

Zweitens zeigt sich in der menschlichen Natur ein Prinzip, was bei genauer Untersuchung die Zuversicht ausserordentlich mindern muss, welche man bei Wundern auf das Zeugnis der Menschen setzen könnte. Die Regel, nach der wir uns selbst beim Überlegen entscheiden, lautet, dass Dinge, die man nicht kennt, denen gleichen, die man kennt; dass das, was als das Häufigste erscheint, auch das Wahrscheinlichste ist, und dass bei widerstreitenden Gründen man den Vorzug dem geben muss, der sich auf die grösste Zahl früherer Beobachtungen stützt. Allein wenn man auch nach dieser Regel keine Thatsache annimmt, welche im gewöhnlichen Grade ungewöhnlich und unglaublich ist, so hält man doch bei dem weiteren Fortgange diese Regel nicht fest; sondern wenn etwas ganz Verkehrtes und Wunderbares behauptet wird, so wird eine solche Thatsache um so leichter zugelassen, und zwar gerade wegen des Umstandes, der den Glauben an sie hindern sollte. Überraschung und Staunen, welche aus dem Wunder entspringen, sind eine angenehme Aufregung und treiben sichtlich zu dem Glauben der Dinge, aus welchem sie sich herleiten. Dies geht so weit, dass selbst die, welche dieses Vergnügen nicht unmittelbar gemessen und die erzählten wunderbaren Ereignisse nicht glauben können, doch gern an dem Genuss aus zweiter Hand oder durch Rückschlag Teil nehmen und einen Stolz und ein Vergnügen darein setzen, bei Andern Staunen zu erwecken.

Mit welcher Begierde hört man nicht auf die wunderbaren Geschichten der Reisenden, auf ihre Beschreibung der See- und Land-Ungeheuer, auf ihre Berichte von ausserordentlichen Begegnissen, seltsamen Menschen und wilden Sitten? Verbindet sich nun noch der Geist der Religion mit dieser Liebe zu Wundern, so hat es mit dem gesunden Verstande ein Ende, und menschliches Zeugnis verliert unter diesen Umständen allen Anspruch auf Glaubwürdigkeit. Ein Gläubiger kann ein Schwärmer sein und sich einbilden, zu sehen, was nicht wirklich ist; er kann wissen, dass seine Erzählung falsch ist, und doch, um eine so heilige Angelegenheit zu fördern, mit der besten Absicht dabei verharren. Selbst da, wo solche Täuschung nicht statt hat, wirkt die durch eine so starke Versuchung geweckte Eitelkeit mächtiger auf ihn als auf alle Anderen in gewöhnlichen Verhältnissen; und ebenso wirkt sein eigenes Interesse mit gleicher Kraft. Seine Zuhörer haben vielleicht, und haben gewöhnlich wirklich nicht die genügende Urteilskraft, um sein Zeugnis zu prüfen; sie geben in so erhabenen und geheimnisvollen Dingen grundsätzlich ihr eigenes Urteil gefangen, und selbst wenn sie es gebrauchen wollten, stören Leidenschaft und erhitzte Phantasie dessen regelmässige Wirksamkeit. Ihre Leichtgläubigkeit erhöht seine Unverschämtheit, und seine Unverschämtheit überwältigt ihre Leichtgläubigkeit.

Die Beredsamkeit auf ihrer Höhe lässt wenig Raum für Verstand und Überlegung; sie wendet sich ganz an die Phantasie und die Affekte, nimmt die gutwilligen Zuhörer gefangen und überwältigt ihren Verstand. Glücklicherweise wird diese Höhe selten erreicht. Was aber ein Tullius und Demosthenes bei einer Römischen oder Athenischen Versammlung kaum erreichen konnten, das vermag jeder Kapuziner, jeder herumziehende oder sesshafte Prediger über die meisten Menschen, und in höherem Masse, durch Erweckung dieser groben und gemeinen Leidenschaften.

Die vielen Beispiele von erdichteten Wundern, Prophezeiungen und übernatürlichen Ereignissen, die zu allen Zeiten entweder durch Gegenbeweise entlarvt worden sind, oder die sich durch ihre eigene Widersinnigkeit verraten, sind ein genügendes Zeichen für die grosse Neigung der Menschen zum Ausserordentlichen und Wunderbaren; sie genügen, um Verdacht gegen alle Berichte dieser Art zu erwecken. Diese hier geschilderte Denkweise zeigt sich selbst bei den gewöhnlichsten und wahrscheinlichsten Ereignissen. So entsteht z. B. kein Gerücht so leicht und verbreitet sich namentlich auf dem Lande und in kleinen Städten so schnell, als das über Heiraten; zwei junge Leute gleichen Standes können sich kaum zweimal sehen, ohne dass die ganze Nachbarschaft gleich ein Paar aus ihnen macht. Das Vergnügen, eine interessante Neuigkeit zu erzählen, zu verbreiten und der Erste dabei zu sein, bringt solche Nachricht schnell herum. Dies ist so allgemein, dass kein verständiger Mann auf solche Gerüchte etwas giebt, ehe nicht stärkere Beweise sie unterstützen. Sind es nicht dieselben Leidenschaften und andere noch stärkere, welche die Masse der Menschen alle religiösen Wunder mit der grössten Heftigkeit und Zuversicht glauben und erzählen lässt?

Drittens bildet es eine starke Vermutung gegen die Berichte von unnatürlichen und wunderbaren Ereignissen, dass sie hauptsächlich nur unter unwissenden und rohen Völkern in Menge sich finden. Wenn ein gebildetes Volk dergleichen zugelassen hat, so zeigt sich, dass es dieselben von unwissenden und rohen Vorfahren empfangen hat; von diesen sind sie mit all der unverletzlichen Beglaubigung und dem Ansehen überliefert, welche sich immer mit alten Meinungen verbinden. Wenn man die Anfänge der Geschichte bei alten Völkern nachliest, so meint man in eine andere Welt versetzt zu sein, wo alle Gestalten der Natur verändert sind, und jedes Element seine Wirksamkeit in einer anderen Weise, als gegenwärtig, vollbringt. Schlachten, Revolutionen, Pestilenz, Hungersnot und Tod sind da niemals die Wirkungen der uns bekannten Ursachen. Wunder, Vorzeichen, Orakel, Aussprüche verdunkeln vollständig die wenigen natürlichen Ereignisse, die dazwischen eingeschoben sind. Da indes dergleichen mit jeder Seite abnimmt, die den aufgeklärten Zeiten näher führt, so ersieht man, dass das Wunderbare und Übernatürliche nicht existiert, sondern nur aus der bekannten Neigung der Menschen zum Wunderbaren entspringt. Wenn auch diese Neigung mitunter von der Einsicht und der Wissenschaft einen Schlag erhält, so kann sie doch nie aus der menschlichen Natur ausgerottet werden.

Es ist sonderbar, wird ein vorsichtiger Leser bei diesen wunderbaren Geschichten sagen, dass solche wunderbare Dinge sich jetzt gar nicht zutragen. Aber es ist doch nicht sonderbar, meine ich, dass die Menschen zu allen Zeiten lügen. Ihr habt ja genug Proben von dieser Schwäche erlebt; ihr habt gehört, wie Manche von diesen wunderbaren Berichten erst angestaunt und, nachdem sie mit Spott von allen klugen und vernünftigen Leuten behandelt worden, zuletzt selbst von der Menge aufgegeben worden sind. Man sei versichert, dass diese berühmten Lügen, die so weit verbreitet und zu einer solchen ungeheuerlichen Höhe aufgeschwollen sind, aus ähnlichen Anfängen entstanden sind; sie waren aber in einen passenderen Boden gesäet und wuchsen so zu Ungeheuern auf, die beinahe denen gleichen, die sie erzählen.

Es war eine kluge Berechnung des falschen Propheten Alexander, der jetzt zwar vergessen, aber einst berühmt war, dass er zur ersten Szene seiner Betrügereien Paphlagonien wählte, wo das Volk ausserordentlich unwissend und thöricht war und selbst die gröbsten Betrügereien bereitwillig verschlang. Leute in der Ferne, welche schwach genug sind, die Sache der Untersuchung wert zu halten, haben keine Gelegenheit, bessere Nachrichten zu bekommen. Die Geschichten kommen durch hundert Nebendinge vergrössert zu ihnen. Die Narren beeifern sich, den Betrug zu verbreiten, während der kluge und vernünftige Mann in der Regel sich begnügt, den Unsinn zu belachen, ohne sich um die besonderen Umstände zu bekümmern, durch die er leicht widerlegt: werden könnte. So konnte jener Betrüger mit den unwissenden Paphlagoniern beginnen, dann bis zur Aufnahme von Schülern selbst aus den griechischen Philosophen, ja den vornehmsten und ausgezeichnetsten Männern in Rom vorschreiten. Selbst der weise Kaiser Marc Aurel schenkte ihm insoweit Aufmerksamkeit, dass er auf seine lügnerischen Prophezeiungen den Erfolg eines militärischen Unternehmens baute.

Die Vorteile, wenn ein Betrug bei einem unwissenden Volke begonnen wird, sind so gross, dass, selbst wenn der Betrug zu grob ist, um allgemein zu täuschen (was, obgleich selten, mitunter der Fall ist), er doch eine weit grössere Aussicht auf Erfolg in fernen Ländern hat, als wenn die erste Szene in eine Stadt verlegt wäre, die in Kunst und Wissenschaft berühmt ist. Die Dümmsten und Rohsten jener Barbaren tragen das Gerücht nach aussen; keiner ihrer Landsleute hat weite Verbindungen oder genügendes Ansehen und Zutrauen, um dem Betruge zu widersprechen und ihn niederzuschlagen. Die menschliche Neigung zum Wunderbaren hat volle Gelegenheit, sich zu entfalten. Und so gilt eine Geschichte, welche an dem Orte, wo sie zuerst ausgestreut wurde, jedermann von sich weist, in einer Entfernung von hundert Meilen als gewiss. Hätte Alexander seinen Sitz in Athen genommen, so würden die Philosophen dieses berühmten Sammelpunktes der Gelehrsamkeit ihre Ansicht in der Sache sofort durch das ganze römische Reich verbreitet haben; und diese Ansicht würde durch die Stütze solcher Autoritäten und durch die Kraft der Vernunft und Beredsamkeit dargelegt allen Menschen die Augen geöffnet haben. Allerdings hatte Lucian, als er zufällig Paphlagonien durchreiste, eine gute Gelegenheit, diesen Dienst zu leisten; aber es trifft sich nicht immer, dass jeder Alexander einen Lucian findet, der bereit ist, seinen Betrug aufzusuchen und bloss zu legen.

Ich kann noch als vierten Grund gegen die Glaubwürdigkeit der Wunder anführen, dass es selbst für solche, die nicht als Betrug entdeckt worden sind, kein Zeugnis giebt, dem nicht eine Anzahl anderer Zeugnisse entgegenstände; das Wunder hebt deshalb nicht bloss die Glaubwürdigkeit des Zeugnisses, sondern dieses sich selbst auf. Zu mehrerer Verständlichkeit erwäge man, dass in Religionssachen jede Verschiedenheit auch ein Widerspruch ist, und dass die Religionen des alten Rom, der Türken, Siamesen und Chinesen unmöglich alle auf festem Grunde errichtet sein können. Mithin hat jedes Wunder, wovon diese Religionen erzählen (und sie wimmeln alle von Wundern), indem es das besondere System, zu dem es gehört, begründen will, zugleich die, wenn auch nur indirekte Kraft, jedes andere Religions-System umzustürzen. Mit Umstürzung der anderen Systeme zerstört es aber auch die Glaubwürdigkeit der Wunder, auf welche jene errichtet waren. Deshalb müssen die Wunder der verschiedenen Religionen als widersprechende Thatsachen gelten, und die Beweise für dieselben, seien sie stark oder schwach, heben einander auf. Folgt man dieser Auffassung, so hat man für den Glauben an die Wunder Mahomeds und seiner Nachfolger das Zeugnis einiger rohen Araber als Bürgschaft, und auf der anderen Seite die Glaubwürdigkeit von Titus, Livius, Plutarch, Tacitus und aller Schriftsteller und Zeugen unter den Griechen, Chinesen und Katholiken, welche die Wunder für ihre Religion berichten. Ich sage nun, wir müssen der letztern Zeugnis in demselben Lichte betrachten, als hätten sie die Wunder von Mahomed erwähnt und ihnen ausdrücklich mit derselben Bestimmtheit widersprochen, mit der sie ihre eigenen Wunder erzählen. Diese Art der Beweisführung erscheint vielleicht gesucht und spitzfindig, aber sie ist in der That gleicher Natur mit der eines Richters, welcher ausführt, dass die Glaubwürdigkeit zweier Zeugen, die Jemanden eines Verbrechens beschuldigen, durch das Zeugnis zweier anderer aufgehoben werde, welche versichern, dass dieser zu der Zeit, wo das Verbrechen begangen sein soll, fünfzig Meilen davon entfernt gewesen sei.

Eines der best bezeugten Wunder in der Profan-Geschichte ist das, was Tacitus von Vespasian erzählt, der einen Blinden in Alexandrien mittels seines Speichels und einen Lahmen durch die blosse Berührung seines Fusses heilte, infolge einer Erscheinung des Gottes Serapis, welcher ihnen aufgegeben hatte, sich wegen dieser Wunderkuren an den Kaiser zu wenden. Man kann diese Geschichte bei diesem klassischen Schriftsteller nachlesen.

Tacitus' Geschichten. Buch V. Kapitel 8. Sueton erzählt im Leben Vespasians die Geschichte ziemlich ebenso. Alle Umstände vereinigen sich, um diese Nachricht zu beglaubigen; dies könnte mit aller Kraft der Beredsamkeit und Beweisführung weiter dargelegt werden, wenn jemand noch ein Interesse hätte, die Zeugnisse für diesen erloschenen und götzendienerischen Aberglauben zu verstärken. Dahin gehören der Ernst, die Ehrenhaftigkeit, das Alter und die Rechtschaffenheit eines so grossen Kaisers, welcher während seines ganzen Lebens mit seinen Freunden und Hofleuten vertraulich verkehrte und niemals den ausserordentlichen Schein göttlichen Wesens sich beilegte, wie Alexander und Demetrius. Ebenso war der Geschichtsschreiber ein Zeitgenosse und wegen seiner Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit bekannt; er war vielleicht der grösste und scharfsinnigste Kopf des ganzen Altertums und so frei von jeder Neigung zur Leichtgläubigkeit, dass er den entgegengesetzten Vorwurf der Gottlosigkeit und Weltlichkeit sich zugezogen hat. Die Personen, auf deren Ansehen er das Wunder erzählt, waren sicherlich von anerkannter Wahrhaftigkeit und Urteilsfähigkeit; sie waren Augenzeugen der Thatsache, und wiederholten ihr Zeugnis, als die Flavische Familie die Herrschaft verloren hatte und als Preis der Lüge keine Belohnung mehr austeilen konnte. Alle, die dabei waren, sagt Tacitus, erzählen es noch jetzt, wo die Lüge keinen Lohn mehr zu hoffen hat. Nimmt man die Öffentlichkeit des erzählten Vorganges hinzu, so kann es nicht leicht einen stärkeren Beweis für eine so grobe und offenbare Unwahrheit geben.

Auch der Kardinal von Retz erzählt eine merkwürdige Geschichte, die unsere Aufmerksamkeit verdient. Bei seiner Flucht nach Spanien, um der Verfolgung seiner Feinde zu entgehen, kam dieser intrigante Staatsmann nach Saragossa, der Hauptstadt von Aragonien, wo man ihm in der Kathedrale einen Mann zeigte, welcher sieben Jahre als Thürhüter gedient hatte, und der jedem Einwohner, welcher in dieser Kirche seine Andachten gehalten hatte, wohl bekannt war. Er hatte die ganze Zeit nur ein Bein gehabt; aber durch Einreibung des Stumpfes mit heiligem Öl hatte er das andere wieder bekommen, und der Kardinal versichert, dass er ihn mit zwei Beinen gesehen habe. Dies Wunder wurde durch die Entscheidungen der Kirche anerkannt, und die ganze Bürgerschaft wurde zur Versicherung der Thatsache angerufen; der Kardinal fand, dass sie bei ihrem frommen Eifer vollständig an das Wunder glaubten. Hier ist der Berichterstatter ebenfalls ein Zeitgenosse des angeblichen Wunders; er ist von ungläubigem und sittenlosem Charakter, aber auch von scharfem Geiste. Das Wunder ist so eigener Natur, dass ein Betrug kaum möglich war, und die Zeugen waren zahlreich und gewissermassen Zuschauer der Thatsache, welche sie bekundeten. Was aber die Kraft des Beweises noch erheblich steigert und die Verwunderung über diesen Fall verdoppeln muss, ist, dass der Kardinal, der sie erzählt, sie anscheinend selbst nicht glaubt. Man kann ihn daher nicht als der Mithülfe bei diesem heiligen Betruge verdächtigen. Er urteilte richtig, dass, um eine solche Thatsache zu verwerfen, es nicht gerade darauf ankomme, die Zeugnisse zu widerlegen und ihre Falschheit durch alle Umstände von Leichtgläubigkeit und Schlechtigkeit zu verfolgen, welche sie zuwege brachten. Er wusste, dass dies schon bei einem geringen Abstande nach Zeit und Ort unmöglich wird, und dass selbst da, wo man unmittelbar gegenwärtig ist, es infolge des Aberglaubens, der Unwissenheit, Pfiffigkeit und Gemeinheit eines grossen Teiles der Menschen sehr schwer fällt. Er schloss deshalb wie ein vernünftiger Mann, dass solche Beweise die Unwahrheit schon auf ihrer Stirne trügen, und dass jedes auf menschliches Zeugnis gestützte Wunder mehr ein Gegenstand des Spottes als der Widerlegung sei.

Niemals ist eine grössere Zahl von Wundern jemand zugeschrieben worden, als die, welche in Frankreich auf dem Grabe des Abt Paris, des berüchtigten Jansenisten, geschehen sein sollten, mit dessen Heiligkeit das Volk so lange betrogen wurde. Die Heilung von Kranken, die Wiedererlangung des Gehörs bei Tauben, und des Gesichts bei Blinden wurden überall als Wirkungen dieses heiligen Grabes erzählt. Aber noch viel wunderbarer ist es, dass viele von diesen Wundern gleich an Ort und Stelle festgestellt worden sind, und zwar vor Richtern von unzweifelhafter Rechtlichkeit, auf das Zeugnis von glaubwürdigen und angesehenen Personen, in einem aufgeklärten Zeitalter und auf der hervorragendsten Schaubühne der jetzigen Welt. Dies ist aber noch nicht alles. Ein Bericht davon wurde gedruckt und überall verbreitet, und die Jesuiten waren nicht im stande, ihn bestimmt zu widerlegen oder den Betrug aufzudecken, obgleich diese gelehrte Körperschaft von der Obrigkeit unterstützt wurde und eine erklärte Feindin der Ansichten war, zu deren Gunsten die Wunder geschehen sein sollten.

Anm. L. Die Schrift verfasste Herr Montgeron, Parlamentsrat in Paris, ein Mann von Ansehen und Charakter. Er wurde zum Märtyrer für diese Sache und soll infolge dieser Schrift irgendwo im Kerker sitzen.

Es giebt auch noch ein anderes Buch in drei Bänden (Titel: Erzählung der Wunder des Abts Paris), was einen Bericht über viele dieser Wunder mit Bemerkungen enthält, und welches gut geschrieben ist. Dennoch zieht sich durch das Ganze eine lächerliche Vergleichung der Wunder des Abtes mit denen unseres Erlösers, und es wird behauptet, dass der Beweis für jene so stark, wie für diese sei. Als wenn das Zeugnis der Menschen je mit dem von Gott selbst verglichen werden könnte, der den inspirierten Verfassern die Feder geführt hat. Könnte man diese Verfasser nur als menschliche Zeugen betrachten, so wäre jener französische Schriftsteller noch mässig in seinem Vergleich; er könnte dann mit vielem Schein behaupten, dass die jansenistischen Wunder jene weit an Bezeugung und Glaubwürdigkeit übertreffen. Das Folgende ist glaubwürdigen Dokumenten entnommen, die in jenem Buche abgedruckt sind.

Viele von diesen Wundern des Abt Pariswurden sofort von Zeugen vor dem Offizium oder bischöflichen Gerichtshof von Paris unter den Augen des Kardinal Noailles bekundet, dessen Einsichten und Charakter selbst von seinen Feinden nicht angegriffen worden sind.
Sein Nachfolger im Bischofssitz war ein Feind der Jansenisten und deshalb zu diesem Sitze berufen worden. Trotzdem dringen zweiundzwanzig Rektoren oder Pastoren von Paris mit dem höchsten Ernst in ihn, diese Wunder zu untersuchen, die aller Welt bekannt und über alle Zweifel erhaben sein sollten. Er lehnte es indes klüglich ab.

Die Molinistische Partei hatte in dem Fall des Fräulein le Franc diese Wunder in Verdacht bringen wollen. Allein sie verfuhren dabei auf die unregelmässigste Weise von der Welt; insbesondere verhörten sie nur wenige Jansenisten, die sie heimlich bestachen, und bald wurden sie durch einen Haufen neuer Zeugen erdrückt, einhundertundzwanzig an Zahl, welche meist zu den vermögenden und glaubwürdigen Einwohnern gehörten und das Wunder beschwuren. Damit verbanden sie eine feierliche und ernste Berufung an das Parlament. Es war indes dem Parlament von Oben verboten worden, sich in die Sache zu mischen. – Man sah zuletzt, dass, wenn die Menschen von Eifer und Begeisterung erhitzt sind, selbst die stärksten Zeugnisse für die grösste Widersinnigkeit beschafft werden können. Wer so thöricht ist, die Sache aus diesem Gesichtspunkt zu betrachten und nach besonderen Mängeln in den Zeugnissen zu suchen, wird sicherlich nichts erreichen. Die Betrügerei wäre jämmerlich, die bei einem solchen Streit nicht die Oberhand behielte.

Alle, welche damals in Frankreich waren, wussten, welches Ansehen Herr Heraut, der Polizeipräsident, besass, dessen Wachsamkeit, Scharfsinn, Thätigkeit und ausgedehnte Einsicht allgemein anerkannt wurde. Diese Magistratsperson, deren amtliche Macht beinahe unbeschränkt war, hatte volle Macht erhalten, die Wunder zu unterdrücken und in Verdacht zu bringen. Oft zitierte und vernahm er sofort die Zeugen und die bei dem Wunder Beteiligten, und dennoch konnte er nie etwas Genügendes gegen sie erreichen.

In dem Falle mit Fräulein Thibaut schickte er den bekannten Dr. de Sylva zu ihr; dessen Bericht ist sehr merkwürdig. Der Arzt versichert, dass sie unmöglich so krank gewesen sein könne, wie die Zeugen bekundeten, weil sie unmöglich sich so schnell hätte wieder vollständig erholen können, wie dies bei seinem Besuche der Fall gewesen. Er folgerte dies wie ein verständiger Mann, aus natürlichen Ursachen, aber die Gegner sagten ihm, dass das Ganze ein Wunder sei und dass sein Zeugnis der sicherste Beweis dafür sei.

Die Molinisten befanden sich in einer unangenehmen Lage. Sie wagten es nicht zu behaupten, dass menschliches Zeugnis für den Beweis eines Wunders ganz unzureichend sei; sie waren vielmehr genötigt, das Wunder als ein Werk der Zauberei und des Teufels darzustellen. Man entgegnete ihnen, dass dies die alten Juden auch so gemacht hätten.

Kein Jansenist kam in Verlegenheit, wenn er erklären sollte, weshalb die Wunder aufgehört hätten, als der Kirchhof auf Befehl des Königs geschlossen wurde. Die Berührung des Grabes war es, die diese wunderbaren Wirkungen hervorbrachte; konnte Niemand zum Grabe gelangen, so konnte man auch keine Wirkung erwarten. Allerdings hätte Gott die Mauern augenblicklich umreissen können; aber er bleibt Herr über seine Gnadengaben und Werke, und wir haben keine Rechtfertigung darüber zu geben. Er wirft nicht in jeder Stadt die Mauern nieder, wie in Jericho bei dem Ton der Widderhörner, und er bricht nicht das Gefängnis jedes Apostels auf, wie er bei dem heiligen Paulus gethan.

Kein geringerer Mann, als der Herzog von Chatillon, Herzog und Pair von Frankreich, vom höchsten Rang und Familie, bezeugt die Wunderkur an seinem Diener, der mehrere Jahre an seinem Hofe an einer sichtbaren und fühlbaren Krankheit gelitten hatte.

Ich schliesse mit der Bemerkung, dass die Weltgeistlichkeit von Frankreich vor jeder anderen sich durch Reinheit des Lebens und der Sitten auszeichnet; insbesondere die Pfarrer und Rektoren von Paris, welche diese Betrügereien bezeugen.

Die Gelehrsamkeit, der Verstand und die Rechtlichkeit der Mönche, sowie die Sittenstrenge der Nonnen von Port-Royal sind durch ganz Europa bekannt. Dennoch bezeugen sie sämtlich ein Wunder, was an der Nichte des berühmten Pascal geschehen sei, dessen heiliges Leben ebenso wie sein ausserordentlicher Geist allbekannt sind. Der berühmte Racine erzählt in seiner berühmten Geschichte von Port-Royal dieses Wunder und bestätigt es durch das Zeugnis einer Menge von Nonnen, Priestern, Ärzten und Edelleuten, deren Glaubwürdigkeit unzweifelhaft war. Mehrere Gelehrte, unter andern der Bischof von Tournay, hielten diese Wunder für so gewiss, dass sie sie zur Widerlegung der Atheisten und Freidenker benutzten. Die Regentin von Frankreich, welche gegen Port-Royal sehr eingenommen war, sandte ihren eigenen Arzt zur Untersuchung des Wunders, und dieser kam als ein Bekehrter zurück. Kurz, die übernatürliche Heilung war so unbestreitbar, dass es eine Zeitlang dieses berühmte Kloster gegen die Aufhebung schützte, mit der es die Jesuiten bedrohten. Hätte hier ein Betrug untergelegen, so hätte er sicherlich durch so kluge und mutige Gegner entdeckt werden müssen, und es würde die Niederlage der Betrüger beschleunigt haben. Unsere Geistlichen vermögen aus verächtlichem Material eine furchtbare Burg zur errichten; welches ungeheure Werk hätten sie da nicht aus diesen und anderen Umständen, die ich übergangen habe, zustande bringen können. Wie oft würden die grossen Namen von Pascal, Racine, Arnold und Nicole vor unseren Ohren geklungen haben? Wären sie klug gewesen, so hätten sie das Wunder annehmen sollen, als tausendmal mehr wert, als ihre übrige Sammlung. Überdem hätte es ihnen sehr nützlich werden können. Denn dieses Wunder wurde wirklich vollbracht durch die Berührung eines wirklichen heiligen Spans von den heiligen Dornen, welche die heilige Krone bildeten, welche u. s. w.

Wo gäbe es wohl eine solche Zahl von Umständen, die zur Bestätigung einer Thatsache so zusammenträfen wie hier, und was könnte man einer solchen Masse von Zeugen entgegenstellen, wäre es nicht die unbedingte Unmöglichkeit der wunderbaren Natur der berichteten Ereignisse. Dies aber wird in den Augen aller vernünftigen Leute sicherlich als genügende Widerlegung gelten.

Der Schluss ist nicht richtig, dass, weil menschliches Zeugnis in gewissen Fällen von der höchsten Gültigkeit und Kraft ist, wenn es z. B. die Schlacht von Philippi oder Pharsalus berichtet, deshalb jede Art von Zeugnis in allen Fällen gleiche Kraft und Gültigkeit haben müsse. Man nehme an, dass die Parteien des Cäsar und Pompejus jede den Sieg in diesen Schlachten für sich beansprucht hätten, und dass die Geschichtsschreiber jeder Partei ebenso ihrer eigenen den Vorteil zugeschrieben hätten, wie hätte da die Menschheit bei solcher Entfernung die Entscheidung treffen können? Der Widerspruch ist aber ebenso stark bei den Wundem, die Herodot und Plutarch erzählen, und denen die Mariana, Beda und andere mönchische Geschichtsschreiber berichten.

Der Weise schenkt einem Bericht nur sehr zweifelhaften Glauben, wenn er den Leidenschaften des Berichterstatters schmeichelt, sei es zum Ruhme seines Landes, seiner Familie oder seiner selbst, oder im Interesse einer seiner Neigungen und Schwächen. Welche grössere Versuchung giebt es aber, als für einen Sendling, einen Propheten oder Abgesandten des Himmels gehalten zu werden; wer fürchtet Gefahren und Schwierigkeiten, wenn es gilt, einen so erhabenen Charakter zu gewinnen. Wenn Jemand mit Hilfe seiner Eitelkeit und erhitzten Phantasie erst sich selbst zu einem Gläubigen gemacht und die Täuschung ernst genommen hat, so wird er vor keiner frommen Betrügerei zurückschrecken, die eine so heilige und verdienstvolle Sache unterstützen soll.

Der kleinste Funke kann hier zur grossen Flamme werden, weil die Stoffe dazu immer bereit liegen. Das avidum genus auricularum Lucretius., die staunende und stierende Volksmasse erfasst begierig und ohne Prüfung Alles, was dem Aberglauben schmeichelt und Wunder zustande bringt.

Wie viele solche Geschichten sind nicht zu allen Zeiten entdeckt und gleich in ihrer Kindheit ausgemerzt worden? Wie viele andere sind nicht für eine Zeit lang gepriesen worden und dann in Vergessenheit und Vernachlässigung geraten? Wo mithin solche Erzählungen herumgetragen werden, da liegt die Lösung des Vorganges auf der Hand, und man bleibt in Uebereinstimmung mit den Regeln der Beobachtung und Erfahrung, wenn man sie auf die bekannten und natürlichen Ursachen der Leichtgläubigkeit und Täuschung zurückführt. Und soll man, anstatt zu einer so natürlichen Lösung zu greifen, lieber eine wunderbare Verletzung der festesten Naturgesetze annehmen?

Ich brauche nicht die Schwierigkeit bei Aufdeckung einer Unwahrheit zu erwähnen, welche für Privat- und selbst öffentliche Erzählungen schon an dem Orte besteht, wo das Ereignis stattgefunden haben soll; sie wird noch grösser, wenn die Szene, wenn auch nur um ein Geringes, abrückt. Selbst ein Gerichtshof ist trotz seines Ansehens, seiner Genauigkeit und Sorgfalt oft in Verlegenheit, wenn er zwischen Wahrheit und Irrtum bei Vorgängen der jüngsten Vergangenheit entscheiden soll. Aber die Sache kommt nie zum Austrag, wenn man sich nur der gemeinen Weise des Streitens, Zankens und den umlaufenden Gerüchten anvertraut; vorzüglich wenn die Leidenschaften auf beiden Seiten sich einmischen.

Während der Kindheit einer neuen Religion halten kluge und gelehrte Leute die Sache gewöhnlich ihrer Aufmerksamkeit und Berücksichtigung nicht wert. Später, wenn sie den Betrug gerne aufdecken möchten, um die Menge aus der Täuschung zu befreien, ist der günstige Augenblick vorüber, und die Zeugen und Urkunden, welche die Sache aufklären könnten, sind unwiederbringlich verloren.

Keine Mittel der Aufdeckung bleiben dann übrig, als die, welche aus den Aussagen der Berichterstatter selbst hervorgeben, und welche dem Verständigen und Unterrichteten genügen, aber für das Verständnis der Masse meist zu fein sind.

Im Ganzen erhellt, dass kein Zeugnis für irgend ein Wunder es kaum zur Wahrscheinlichkeit, geschweige zur Gewissheit bringen könne; selbst wenn es möglich wäre, würde ihm die andere Gewissheit entgegenstehen, welche sich aus der Natur der Thatsache, die bewiesen werden soll, von selbst ergiebt. Nur die Erfahrung giebt dem menschlichen Zeugnis Glaubwürdigkeit; aber dieselbe Erfahrung vergewissert uns der Gesetze der Natur. Stehen daher diese beiden Arten von Erfahrung einander entgegen, so kann man nur die eine von der andern abziehen und entweder die Ansicht der einen oder der andern Seite mit der Zuversicht annehmen, welche sich aus dem Ueberrest ergiebt. Nach den hier dargelegten Grundsätzen verwandelt sich bei allen Volksreligionen diese Subtraktion in eine gänzliche Aufhebung, und man kann es daher als Grundsatz aufstellen, dass kein menschliches Zeugnis ein Wunder beweisen und zur Grundlage eines Religionssystems machen kann.

Ich bitte die hier gemachte Einschränkung nicht zu übersehen, wenn ich sage, dass kein Wunder so bewiesen werden kann, dass es zur Grundlage eines Religionssystems diene. Denn ich gebe zu, dass sonst vielleicht es Wunder und Verletzungen des gewöhnlichen Naturlaufs solcher Art geben mag, welche durch menschliches Zeugnis beweisbar sind; obgleich es vielleicht unmöglich sein wird, irgend ein solches in einer Geschichtsurkunde aufzufinden. So nehme man z. B. an, dass alle Geschichtsschreiber in allen Sprachen darin übereinstimmten, dass vom 1. Januar 1600 an eine vollständige Finsternis über der ganzen Erde acht Tage lang verbreitet gewesen sei; man nehme an, dass die Ueberlieferung dieses ausserordentlichen Ereignisses noch im Volke stark und lebendig sei; dass alle aus fremden Ländern zurückkehrenden Reisenden dieselbe Ueberlieferung brächten, ohne die geringste Veränderung oder Widerspruch: so würden offenbar unsere heutigen Philosophen, anstatt die Sache zu bezweifeln, sie als gewiss annehmen und die Ursachen aufsuchen müssen, welche sie veranlasst haben könnten. Der Rückgang, der Verfall und die Auflösung der Natur wird durch so manche Analogien wahrscheinlich gemacht, dass ein nach dieser Katastrophe hin zielendes Ereignis innerhalb des Beweises menschlichen Zeugnisses fällt, wenn die Bekundungen zahlreich und gleichlautend sind.

Man setze aber, alle Geschichtsschreiber Englands stimmten darin überein, dass die Königin Elisabeth am 1. Januar 1600 gestorben sei; dass sowohl vor als nach ihrem Tode sie von ihren Aerzten und dem ganzen Hofe gesehen worden sei, wie bei Personen ihres Ranges dies gebräuchlich ist; dass ihr Nachfolger vom Parlament anerkannt und ausgerufen worden sei, und dass Jene, einen Monat nach ihrem Begräbnis, wieder erschienen sei, den Thron wieder bestiegen und England noch drei Jahre regiert habe. Ich würde dann allerdings über das Zusammentreffen so vieler wunderlicher Umstände betroffen sein, aber nicht im Geringsten geneigt sei, ein so wunderbares Ereignis zu glauben. Ich würde den vorgeblichen Tod und das, was sich nachher öffentlich zugetragen hat, nicht bezweifeln; ich würde nur behaupten, dass der Tod blos vorgegeben worden sei und kein wirklicher gewesen sei und gewesen sein könne. Man würde mir vergeblich entgegnen, dass es schwer, ja unmöglich sei, die Welt in einer so wichtigen Angelegenheit zu hintergehen; auch die Weisheit und das sichere Urteil dieser berühmten Königin, so wie der geringe Nutzen, den sie aus so einem erbärmlichen Kunststück hätte ziehen können, – Alles das würde mich nur stutzig machen; aber ich würde immer erwidern, dass die Schlechtigkeit und Thorheit der Menschen so gewöhnliche Dinge sind, dass ich eher an ausserordentliche Ereignisse aus deren Zusammentreffen glauben, als eine so offenbare Verletzung der Naturgesetze zugeben könnte.

Hängt aber das Wunder mit irgend einem neuen Religionssystem zusammen, so würde, da die Menschen zu allen Zeiten durch lächerliche Geschichten der Art so sehr betrogen worden sind, dieser Umstand allein die Täuschung beweisen, und dies für alle vernünftigen Leute genügen, um nicht allein die Thatsache zu verwerfen sondern sie sogar ohne weitere Prüfung zu verwerfen. Sollte auch das Wesen, dem das Wunder zugeschrieben wird, in solchem Falle allmächtig sein, so wird letzteres deshalb doch nicht um ein Haarbreit wahrscheinlicher; da es für uns unmöglich ist, die Eigenschaften und Handlungen eines solchen Wesens anders, als aus der Erfahrung kennen zu lernen, die wir aus deren Äusserungen in dem gewöhnlichen Laufe der Natur entnehmen. Dies nötigt zur Vergleichung früherer Beobachtungen und Fälle, wo menschliches Zeugnis die Wahrheit verletzt hat, mit solchen, wo die Naturgesetze durch Wunder verletzt worden sind, um zu entscheiden, welches von beiden wahrscheinlicher ist. Da nun bei religiösen Wundern die Verletzung der Wahrheit durch Zeugnis gewöhnlicher ist als bei anderen Gelegenheiten, so muss das die Glaubwürdigkeit des Zeugnisses sehr vermindern und zu dem allgemeinen Entschluss führen, ihm niemals Aufmerksamkeit zu zollen, sei es auch mit einem noch so schönen Schein bemäntelt.

Lord Bacon scheint denselben Grundsatz angenommen zu haben.

»Es ist deshalb«, so sagt er, »eine Zusammenstellung oder besondere Naturgeschichte von allen Missgeburten und wunderbaren Naturerzeugnissen, sowie von allem Neuen, Seltenen und Ungewöhnlichen in der Natur zu fertigen. Dabei muss aber mit der strengsten Auswahl verfahren werden, damit man sich auf sie verlassen kann. Am verdächtigsten sind hierbei die mit der Religion irgendwie zusammenhängenden Vorgänge, wie die seltsamen Erscheinungen, von denen Livius berichtet, und die sich bei den Schriftstellern über natürliche Magie und Alchemie und überhaupt bei allen Denen finden, welche die Verehrer und Liebhaber von Fabeln sind.« (Novum Organon. Buch II. Satz 29.)

Diese Auffassung gefällt mir um so besser, als sie vielleicht jene gefährlichen Freunde und verkappten Feinde der christlichen Religion vernichten hilft, welche deren Verteidigung mit Grundsätzen der Vernunft versucht haben. Unsere allerheiligste Religion stützt sich auf den Glauben und nicht auf die Vernunft, und es heisst sicherlich sie gefährden, wenn man sie auf solche Probe stellt, die sie in keinem Falle bestehen kann. Um dies klar zu machen, will ich einige der in der Bibel erzählten Wunder untersuchen. Um nicht zu weit abzuschweifen, will ich mich auf die Wunder in den fünf Büchern Mosis beschränken; ich werde sie nach den Grundsätzen jener angeblichen Christen prüfen, also nicht als Gottes Wort und Zeugnis nehmen, sondern als den Bericht eines menschlichen Schriftstellers und Geschichtsschreibers. Hier haben wir zunächst ein Buch, was von einem rohen und unwissenden Volke uns überliefert ist, was zu einer noch roheren Zeit und wahrscheinlich lange nach den erzählten Thatsachen abgefasst ist; es wird durch kein gleichzeitiges Zeugnis bestärkt und ähnelt den fabelhaften Erzählungen, wie sie jedes Volk von seinem Ursprunge berichtet. Beim Lesen zeigt sich dieses Buch voll von Wundern und Ungeheuerlichkeiten. Es erzählt von einem Zustande der Welt und Menschen, der von dem gegenwärtigen ganz abweicht; von dem Verlust dieses Zustandes; von Menschen die beinah tausend Jahre alt geworden; von der Zerstörung der Erde durch die Sündflut; von einer willkürlichen Erwählung eines Volkes als des vom Himmel begünstigten; dies Volk sind die Landsleute des Verfassers; er berichtet von ihrer Befreiung aus der Knechtschaft durch die erstaunlichsten Ereignisse. Nun bitte ich, dass Jeder die Hand auf sein Herz lege und nach einer ernsten Überlegung erkläre, ob nach seiner Meinung die Wahrheit eines solchen Buches, was auf solche Zeugnisse sich stützt, nicht ausserordentlicher und wunderbarer sein würde als alle die Wunder, die es berichtet? Dennoch müsste dies sein, wenn man es nach den oben dargelegten Regeln der Wahrscheinlichkeit zulassen will. –

Was hier von Wundern gesagt worden ist, gilt ebenso von Prophezeiungen. In der That sind alle Prophezeiungen wirkliche Wunder, und nur als solche können sie als Beweise für die Offenbarung gelten. Überschritte die Vorhersagung künftiger Ereignisse nicht die Kräfte der menschlichen Natur, so wäre es verkehrt, die Prophezeiung als Grund für die göttliche Sendung und das himmlische Ansehen zu benutzen. Hieraus ergiebt sich, dass überhaupt die christliche Religion nicht blos im Anfange von Wundern begleitet war, sondern dass sie auch heutiges Tages von Niemand ohnedem geglaubt werden kann. Die blosse Vernunft vermag nicht, uns von ihrer Wahrheit zu überzeugen, und wen der Glaube bestimmt, ihr beizustimmen, der ist sich eines fortwährenden Wunders in seiner Person bewusst, welches alle Regeln seines Verstandes umstösst und ihn treibt, gerade das zu glauben, was der Gewohnheit und Erfahrung am meisten widerspricht.

Die Darstellung in diesem Abschnitt bedarf keiner Erläuterung; sie ist eine geistreiche und ironische Darlegung, dass die Regeln des Erkennens bei dem Glauben an Wunder mit Füssen getreten werden, und dass nur die Gefühle teils der Berichterstatter, teils der Zuhörer solchen Glauben möglich machen; ein Satz, der oben bereits in streng wissenschaftlicher Form begründet worden ist. Hume schliesst mit der Bemerkung, dass solcher Glaube selbst ein fortwährendes Wunder sei; indes ist er dies nur, wenn man Erkenntnis und Glauben vermischt; werden beide auseinandergehalten, erkennt man an, dass jedes von beiden seine besonderen Grundlagen hat, so verschwindet das Wunderbare in dem Glauben; man muss sich vielmehr über die Philosophen wundern, dass sie so lange versucht haben, mit dem Glauben entweder zusammenzustimmen oder durch die Waffen der Wissenschaft ihn zu besiegen. Beides ist unmöglich, weil die Fundamente beider verschieden sind. Deshalb platzen alle Versöhnungen der Philosophie mit dem Glauben wie Seifenblasen, wenn man sie festhalten will, wie selbst die neueste von Hegel versuchte zeigt. – Übrigens gehört diese Abhandlung Hume's gegen die Wunder, neben den Argumenten, die Spinoza in seinem theologisch-politischen Traktat dagegen entwickelt hat, zu den bedeutendsten Ereignissen seiner Zeit. Beide Abhandlungen erregten grosse Bewegung und einen lange fortgesponnenen Streit mit der Geistlichkeit. Beide erschöpften auch das Thema; die spätere Zeit hat nichts neues hinzugebracht; denn selbst die Erklärung der Wunder aus der Entwickelung der Mythe, welche neuerlich geltend gemacht worden ist, findet sich in jenen Abhandlungen schon angedeutet.


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