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Abteilung XI.
Über die besondere Vorsehung und ein zukünftiges Leben.

Ich unterhielt mich kürzlich mit einem Freunde, der skeptische Paradoxien liebt. Obgleich ich vielen seiner Behauptungen nicht beistimmen kann, so sind sie doch interessant und betreffen jene Kette von Gedanken, welche in der gegenwärtigen Untersuchung benutzt worden sind. Ich werde sie daher aus der Erinnerung so genau, als ich vermag, wiedergeben, damit der Leser selbst urteilen möge.

Ich begann die Unterhaltung, indem ich das besondere Glück der Philosophie bewunderte. Sie fordert, sagte ich, volle Freiheit als ihr höchstes Recht und erblüht nur aus dem freien Kampfe der Ansichten und Beweise. Wie glücklich daher, dass sie zu einer Zeit und in einem Lande der Freiheit und Toleranz zur Welt kam, wo sie selbst bei ihren ausschweifendsten Lehren nie durch Glaubenssätze, Bekenntnisse und Strafgesetze eingezwängt wurde. Denn mit Ausnahme der Verbannung des Protagoras und den Tod des Sokrates, welcher zum Teil andere Veranlassungen hatte, giebt es in der alten Geschichte kaum ein Beispiel von der überfrommen Eifersucht, von welcher die jetzige Zeit so zu leiden hat. Epikur lebte bis zu hohem Alter friedlich und ruhig in Athen, und seine Schüler wurden sogar als Priester zugelassen, um bei dem Altar und in den heiligsten Gebräuchen der geltenden Religion mitzuwirken. ( Lucian im Symposion und Dio.) Ebenso wurden Gehalte und Pensionen durch die Weisesten der römischen Kaiser den Lehrern aller philosophischen Sekten zur allgemeinen Anregung erteilt. Wie sehr die Philosophie einer solchen Behandlung in ihrer frühen Jugend bedurfte, kann man daraus abnehmen, dass sie noch jetzt, wo sie doch härter und stärker geworden sein muss, nur schwer die Rauheit der Zeit und die auf sie einbrechenden scharfen Stürme der Verläumdung und Verfolgung ertragen kann.

Sie sehen das als ein Glück der Philosophie an, sagte mein Freund, was vielmehr das Ergebnis des natürlichen Laufs der Dinge ist und in keiner Zeit und bei keinem Volke vermieden werden kann. Diese hartnäckige Frömmelei, über welche sie sich beklagen, weil sie der Philosophie so verderblich ist, sie entspringt vielmehr aus letzterer selbst, verbindet sich mit dem Aberglauben, trennt sich danach ganz von ihrer Mutter und wird ihr ausdauernder Feind und Verfolger. Tiefsinnige Religionsdogmen, welche jetzt so wütenden Streit veranlassen, konnten in den frühesten Zeiten von den Menschen weder begriffen noch festgehalten werden; sie mussten bei ihrer Unwissenheit die religiösen Vorstellungen ihrer schwachen Fassungskraft anpassen und ihre heiligen Glaubenssätze nach solchen Erzählungen bilden, welche mehr der Gegenstand eines überlieferten Glaubens, als das Ergebnis von Beweisgründen und Streitigkeiten waren. Als daher der erste Schreck vorüber war, welcher die neuen Paradoxien und Grundsätze der Philosophen veranlassten, scheinen diese Lehrer im Altertume immer in grosser Eintracht mit dem bestehenden Aberglauben gelebt und mit diesem sich in die Menschheit ehrlich geteilt zu haben; die ersteren nahmen die Gelehrten und Gebildeten für sich in Anspruch, und der letztere hatte das gemeine ungebildete Volk.

Sie scheinen, erwiderte ich, die Politik ganz aus dem Spiele zu lassen und anzunehmen, dass eine weise Obrigkeit über gewisse Sätze der Philosophie, wie die des Epikur, nicht besorgt zu werden brauche; obgleich diese das Dasein eines Gottes, und folglich seine Vorsehung und ein künftiges Leben, nicht anerkennen, damit in starkem Masse die Bande der Moralität lockern und deshalb als für den Frieden der bürgerlichen Gesellschaft gefährlich erachtet werden können.

Ich weiss, erwiderte er, dass diese Verfolgungen allerdings zu keiner Zeit von der ruhigen Vernunft ausgegangen sind; auch nicht davon, dass man die verderblichen Folgen der Philosophie durch Erfahrung kennen gelernt. Sie entspringen lediglich aus Leidenschaften und Vorurteil. Wie aber, wenn ich weiter ginge und behauptete, dass Epikur im Falle er durch einen Ohrenbläser oder einen Denuncianten des jetzigen Schlages vor dem Volke angeklagt worden wäre, sich leicht hätte verteidigen und beweisen können, dass die Sätze seiner Philosophie eben so heilig seien als die seiner Gegner, obgleich sie mit so viel Eifer ihn dem öffentlichen Hass und Misstrauen preiszugeben suchten.

Ich wünschte, sagte ich, Sie versuchten ihre Beredsamkeit für einen so ungewöhnlichen Gegenstand und hielten eine Rede für Epikur, welche nicht blos den Pöbel von Athen befriedigte, wenn sie erlauben, dass diese alte und gebildete Stadt einen Pöbel gehabt hat, sondern auch den philosophischeren Teil seiner Zuhörer, welche im stande waren, seine Beweisführung zu verstehen.

Unter solchen Bedingungen, erwiderte er, ist dies nicht schwer. Gefällt es Ihnen, so will ich für eine kurze Zeit mich zu Epikur und Sie zu dem Volk von Athen machen und solch eine Verteidigungsrede zum besten geben, dass die Urne nur mit weissen Bohnen sich füllen soll, und keine schwarze meine boshaften Gegner erfreuen soll.

Sehr schön! Beginnen Sie unter diesen Voraussetzungen.

Ich komme hierher, o Athener! um in Eurer Versammlung das zu verteidigen, was ich in meinem Hörsaale gelehrt habe; aber anstatt mit ruhigen und leidenschaftslosen Richtern zu streiten, finde ich mich von wütenden Gegnern angeklagt. Eure Beratungen, welche von Rechts wegen den Fragen des öffentlichen Wohles und den Interessen des Staates zugewendet sein sollten, werden auf die Prüfung einer tiefsinnigen Philosophie abgeleitet, und diese erhabenen, aber vielleicht fruchtlosen Untersuchungen nehmen die Stelle Eurer gewöhnlicheren, aber nützlicheren Beschäftigungen ein. Soweit es auf mich ankommt, will ich diesem Missbrauch zuvorkommen. Wir wollen hier nicht über den Ursprung der Welt streiten; wir wollen nur untersuchen, inwiefern solche Fragen das öffentliche Interesse berühren; und wenn ich Euch überzeugen kann, dass sie für den Frieden des Staates und die Sicherheit der Gesellschaft ganz ohne Bedeutung sind, so hoffe ich, Ihr werdet mich gleich in die Hörsäle zurückschicken, um dort in Musse die erhabenste, aber auch schwierigste Frage aller Philosophie zu erörtern.

Die gotteseifrigen Philosophen begnügen sich nicht mit den Überlieferungen der Voreltern und mit der Lehre Eurer Priester (bei der ich mich gerne beruhige), sondern geben einer voreiligen Neugierde nach und versuchen, wie weit sie die Religion auf die Gesetze der Vernunft zu gründen vermögen. Somit erwecken sie Zweifel, anstatt sie zu befriedigen; Zweifel, die aus einer sorgfältigen und genauen Untersuchung hervorgehen müssen. Mit den herrlichsten Farben malen sie erst die Ordnung, Schönheit und weise Einrichtung der Welt; dann fragen sie, ob eine solche glänzende Entfaltung von Einsicht je aus zufälligen Verbindungen der Atome hätte hervorgehen können; oder ob Zufall das hervorbringen könne, was der grösste Geist nicht genug bewundern könne. Ich werde die Richtigkeit dieses Schlusses nicht untersuchen. Ich werde zugeben, dass er so zureichend sei, als meine Gegner und Ankläger nur wünschen können. Es genügt, wenn ich gerade durch diesen Schluss darlegen kann, dass diese Frage durchaus spekulativ ist und dass, wenn ich in meinen philosophischen Untersuchungen eine Vorsehung und ein zukünftiges Leben leugne, ich nicht die Grundfesten der Gesellschaft unterwühle, sondern nur Grundsätze geltend mache, welche jene selbst nach ihren eigenen Sätzen, wenn sie konsequent sein wollen, als fest und genügend anerkennen müssen.

Ihr, meine Ankläger, habt also selbst anerkannt, dass der wichtigste oder einzige Beweis eines göttlichen Daseins (was ich nie in Frage gestellt habe) sich aus der Ordnung der Natur ableitet. In ihr bestehen solche Zeichen von Verstand und Absicht, dass ihr es für unsinnig haltet, den Zufall oder die blinde und ungeleitete Kraft des Stoffes als deren Ursache zu behaupten. Ihr gesteht zu, dass dieser Beweis von der Wirkung auf die Ursache schliesst. Ihr folgert aus der Anordnung des Werkes, dass es von einem Werkmeister entworfen und vorbedacht worden sein müsse. Könnt Ihr diesen Punkt nicht beweisen, so erkennt Ihr an, dass Euer Schluss verfehlt ist; auch wollt Ihr den Schluss nicht in grösserer Ausdehnung ziehen, als die Naturerscheinungen ihn rechtfertigen. Dies sind Eure Zugeständnisse. Nun merkt auf die Folgen.

Wenn man eine bestimmte Ursache aus einer Wirkung folgert, so muss man die eine der andern anpassen und darf niemals der Ursache mehr Eigenschaften zuteilen, als zur Hervorbringung der Wirkung genau nötig sind. Wenn ein Gewicht von zehn Lot sich in einer Wagschale hebt, so beweist das, dass das Gegengewicht von der andern schwerer ist; aber der Fall ist kein Grund anzunehmen, dass das Gegengewicht über hundert Lot schwer ist. Ist die für eine Wirkung angenommene Ursache unvermögend, sie hervorzubringen, so muss man entweder die Ursache verwerfen, oder ihr solche Eigenschaften zusetzen, die der Wirkung genau entsprechen. Giebt man ihr aber noch andere Eigenschaften, oder die Fähigkeit, noch andere Wirkungen hervorzubringen, so giebt man nur dem Spiel der Vermutungen nach und behauptet ohne Grund und Anhalt, blos nach Belieben das Dasein von Eigenschaften und Kräften.

Diese Regel gilt ebenso bei dem unvernünftigen und unbewussten Stoff, wie bei vernünftigen und einsichtigen Wesen, sofern man sie als Ursachen betrachtet. Wird die Ursache nur aus der Wirkung abgeleitet, so darf man ihr nie mehr Eigenschaften zuteilen, als zur Hervorbringung der Wirkung gerade nötig ist, und ebensowenig darf man nach den Regeln der gesunden Vernunft nun wieder von der Ursache ausgehn und ihr Wirkungen zuschreiben, die über die uns bekannten hinausgehen. Niemand konnte, wenn er nur ein Gemälde von Zeuxis sah, daraus entnehmen, dass er auch ein Bildhauer und Baumeister war, und in Stein und Marmor so geschickt, wie in Farben. Nur die Talente und der Geschmack, der in dem besonderen Werke vor uns enthalten ist, können mit Sicherheit von dem Künstler ausgesagt werden. Die Ursache muss der Wirkung entsprechen und wenn wir sie ihr genau anpassen, so wird man nie Eigenschaften in ihr finden, die weiter führen oder einen Schluss auf neue Absichten und Thaten gestatten. Solche Eigenschaften gehen über das hinaus, was die untersuchte Wirkung zu ihrer Erzeugung erfordert.

Räumt man also ein, dass die Götter die Urheber von dem Dasein und der Ordnung der Welt sind, so folgt, dass sie genau das Mass von Macht, Einsicht und Güte besitzen, was in ihrem Werke enthalten ist; aber nichts weiter kann damit bewiesen werden, wenn man nicht die Übertreibung und Schmeichelei zu Hilfe nehmen will, um die Mängel des Beweises und der Begründung zu ergänzen. So weit, als die Spuren einer Eigenschaft sich jetzt zeigen, so weit kann man auf das Dasein dieser Eigenschaften schliessen. Die Annahme weiterer Eigenschaften ist reine Willkür und noch mehr die Annahme, dass in fernen Räumen und Zeiten noch eine glänzendere Entfaltung dieser Eigenschaften und eine solche Einrichtung der Verwaltung gewesen ist oder sein wird, welche solchen eingebildeten Tugenden mehr entspricht. Es ist niemals zulässig, von der Welt, als Wirkung, zu Jupiter, als Ursache, aufzusteigen, und dann wieder abwärts von dieser Ursache neue Wirkungen abzuleiten, als wenn die vorhandenen Wirkungen nicht ganz dem Werte jener ruhmvollen Eigenschaften entsprächen, die wir dieser Gottheit zuschreiben. Wenn die Kenntnis der Ursache nur allein aus der Kenntnis der Wirkung entlehnt ist, so müssen sie genau auf einander passen, und das eine kann nie weiter führen und nicht die Grundlage für neue Schlüsse und Folgerungen abgeben.

Ihr bemerkt Erscheinungen in der Natur. Ihr sucht nach einer Ursache oder einem Urheber. Ihr meint ihn gefunden zu haben. Allmählich werdet ihr so verliebt in diesen Sprössling Eures Gehirns, dass Ihr meint, er müsse noch Grösseres und Vollkommeneres hervorbringen als den gegenwärtigen Schauplatz dieser Welt, die so voll von Übel und Unordnung ist. Ihr vergesst, dass dieser höchste Verstand und Güte nur eingebildet sind, oder mindestens ohne Vernunftsgrund, und dass Ihr nicht berechtigt seid, ihm weitere Eigenschaften zuzuteilen, als die, welche in seinen Werken sich wirklich entfalten und wirksam darstellen. Lasst deshalb, Ihr Philosophen, Eure Götter dem gegenwärtigen Zustand der Natur entsprechen, und unternehmt nicht, diesen Zustand durch willkürliche Zusätze zu ändern, um ihn den Eigenschaften anzupassen, die Ihr so gern Euren Gottheiten zuteilt.

Wenn Priester und Dichter durch Euer Ansehn, o Athenienser! unterstützt, vom goldenen oder silbernen Zeitalter sprechen, welches dem jetzigen Zustand von Laster und Elend vorhergegangen sei, so höre ich auf sie mit Aufmerksamkeit und Ehrfurcht; wenn aber Philosophen, welche vorgeben, das Ansehen der Person nicht gelten lassen zu wollen und die Vernunft zu kultivieren, dieselbe Sprache führen, so zolle ich ihnen, wie ich einräume, nicht dieselbe gehorsame Unterwürfigkeit und fromme Hochachtung. Ich frage, wer sie in diese himmlischen Regionen geführt hat; wer sie in den Rat der Götter zugelassen hat; wer ihnen das Buch des Schicksals geöffnet hat, um so voreilig versichern zu können, dass ihre Gottheiten ein Ziel über das wirklich Wahrgenommene hinaus vollführt haben oder vollführen werden. Wenn sie mir sagen, dass sie auf den Sprossen der Leiter der Vernunft und durch Rückschlüsse von den Wirkungen auf Ursachen zu dieser Höhe aufgestiegen sind, so beharre ich dabei, dass sie dies Aufsteigen mit den Flügeln der Phantasie unterstützt haben; sonst hätten sie nicht ihre Art der Folgerung ändern und aus Ursachen auf Wirkungen schliessen können, indem sie voraussetzten, dass ein vollkommeneres Werk, als die jetzige Welt, solchen vollkommenen Wesen wie den Göttern mehr entspreche, und vergassen, dass sie keinen Grund haben, diesen himmlischen Wesen eine Vollkommenheit oder eine Eigenschaft beizulegen, die nicht in der jetzigen Welt gefunden wird.

Daher kommt all der fruchtlose Eifer, die schädlichen Erscheinungen der Natur zu rechtfertigen und die Ehre der Götter zu retten, während wir doch das Dasein dieser Uebel und Unordnung, von denen die Welt überfliesst, anerkennen müssen. Man sagt uns, dass die widerspenstigen und unhandlichen Eigenschaften des Stoffes, oder die Erhaltung der allgemeinen Gesetze, oder ein Anderes der Art allein die Ursache gewesen sei, welche die Macht und Güte des Jupiter beschränkte und ihn nötigte, die Menschen und alle lebenden Geschöpfe so unvollkommen und unglücklich zu schaffen. Es scheint also, dass diese Eigenschaften in der weitesten Ausdehnung im Voraus für zugestanden angenommen worden sind, und ich gebe zu, dass dann solche Annahmen vielleicht als leidliche Entschuldigung übler Zustände zugelassen werden könnten. Aber ich frage wieder: Weshalb soll man diese Eigenschaften als gewiss annehmen und weshalb mehr Eigenschaften in die Ursache verlegen, als in der Wirkung hervortreten? Weshalb quält Ihr Euer Gehirn, um den Lauf der Natur unter Voraussetzungen zu rechtfertigen, die, wie ihr wissen müsst, nur eingebildet sein können, und von denen keine Spur in dem Naturlauf angetroffen wird?

Die religiöse Hypothese kann deshalb nur als eine besondere Weise gelten, um die sichtbaren Erscheinungen der Welt zu rechtfertigen; aber kein gründlicher Denker wird aus ihr irgend einen besonderen Umstand ableiten und die Erscheinungen im Einzelnen verändern oder vergrössern. Wenn Ihr meint, dass die Erscheinungen der Dinge solche Ursachen beweisen, so mögt Ihr einen Schluss auf das Dasein solcher Ursachen ziehen. In solchen verwickelten und erhabenen Fragen mag Jeder sich in Vermutungen und Beweisen frei ergehen. Aber hier müsst Ihr Halt machen. Wenn Ihr umkehrt und aus Euren gefolgerten Ursachen rückwärts beweiset, dass etwas Anderes in der Natur bestanden habe oder bestehen werde, was zur volleren Darlegung besonderer Eigenschaften diene, so erinnere ich Euch, dass Ihr Euch von der dem Gegenstande zukommenden Beweismethode entfernt habt, und der Ursache an Eigenschaften etwas über das, was die Wirkung zeigt, zugesetzt habt; sonst hättet Ihr niemals in erträglicher und passender Weise der Wirkung etwas hinzufügen können, um sie der Ursache würdiger zu machen.

Wo ist also das Hassenswerte meiner Lehre, die ich in meinem Hörsale verkündige oder vielmehr in meinen Gärten erörtere? Findet Ihr in der ganzen Frage etwas, was das Bestehen der Sittlichkeit oder der gesellschaftlichen Ordnung und Ruhe im geringsten gefährdet?

Ihr sagt, dass ich die Vorsehung und den obersten Leiter der Welt leugne, welcher den Lauf derselben bestimmt, den Lasterhaften mit Schande und Fehlschlägen straft, und den Tugendhaften mit Ehre und Erfolg seiner Unternehmungen belohnt. Aber ich leugne sicherlich nicht den Lauf der Dinge selbst, welcher der Untersuchung und Prüfung eines Jeden offen liegt. Ich erkenne an, dass in der jetzigen Ordnung der Dinge die Tugend mit einer grössern Seelenruhe verbunden ist als das Laster und eine günstigere Aufnahme von der Welt erhält. Ich weiss sehr wohl, dass nach dem, was man bis jetzt von den Menschen erfahren hat, die Freundschaft der Hauptgenuss des Lebens, und die Mässigkeit die einzige Quelle von Ruhm und Glück ist. Ich schwanke nie zwischen dem tugend- und lasterhaften Leben und weiss, dass für ein gutgeartetes Gemüt aller Vorteil auf der Seite des ersten ist. Und was könnt ihr mit all Euren Voraussetzungen und Folgerungen mehr sagen? Allerdings sagt Ihr mir, dass diese Einrichtung der Dinge aus Weisheit und Absicht hervorgegangen sei. Aber möge die Quelle sein, welche sie wolle, die Anordnung selbst, von der unser Glück und Elend, und folglich unsere Führung und Verhalten im Leben abhängt, bleibt immer dieselbe. Es steht immer mir wie Euch frei, mein Benehmen nach meiner früheren Erfahrung zu regeln. Und wenn Ihr behauptet, dass bei Annahme der göttlichen Vorsehung und einer höchsten verteilenden Gerechtigkeit im Weltall ich über den gewöhnlichen Lauf der Dinge noch einen besonderen Lohn für das Gute und Strafe für das Böse erwarten müsse, so finde ich hier dieselbe Täuschung, die ich oben aufgedeckt habe. Ihr bleibt bei der Einbildung, dass, wenn ich jene göttliche Existenz, für welche Ihr so ernstlich streitet, zugebe, Ihr dann getrost Folgerungen aus ihr ziehen und der wahrgenommenen Ordnung der Natur vermittelst der Euren Göttern zugeschriebenen Eigenschaften etwas zusetzen könnt. Ihr vergesst, dass alle Eure Beweise nur von Wirkungen auf Ursachen gehn, und dass deshalb jede Rück-Folgerung von den Ursachen auf die Wirkung notwendig eine grosse Täuschung enthalten muss, weil Ihr nur das von der Ursache wissen könnt, was Ihr vorher in der Wirkung nicht vermutet, sondern deutlich wahrgenommen habt.

Was soll ein Philosoph von den eiteln Schwätzern denken, welche nicht den gegenwärtigen Schauplatz der Dinge zu ihrem alleinigen Gegenstand der Betrachtung nehmen, sondern den Lauf der Natur so ganz verkehren, dass ihnen dieses Leben nur als ein Durchgang zu etwas Weiterem gilt; als ein Portal, was zu einem grösseren und ganz verschiedenem Bauwerk führt; als ein Prolog, welcher das Stück nur einführen und es nur anziehend und passend machen soll. Woher glaubt Ihr, dass solche Philosophen ihre Begriffe über die Götter entnehmen? Gewiss von ihrer eigenen Einbildung und Phantasie. Denn wenn sie sie von den gegenwärtigen Erscheinungen ableiteten, so kämen sie nicht weiter, sondern müssten sie diesen genau anpassen. Dass die Gottheit möglicherweise Eigenschaften besitze, deren Äusserungen wir niemals wahrgenommen haben; dass sie in ihrem Handeln von Grundsätzen geleitet werde, deren Geltendmachung wir nicht entdecken können; alles dies kann man getrost einräumen. Aber es ist eben nur Möglichkeit und Voraussetzung. Wir haben niemals einen Grund, auf eine Eigenschaft oder auf einen Grundsatz in dem Handeln der Gottheit zu schliessen, deren Äusserung und dessen genügende Verwirklichung wir nicht erkennen.

Giebt es in der Welt ein Zeichen für eine ausgleichende Gerechtigkeit? Wenn Ihr mit Ja antwortet, so schliesse ich, dass die Gerechtigkeit, wie sie hier sich äussert, auch sich genügt; wenn Ihr Nein sagt, so schliesse ich, dass Ihr dann keinen Grund habt, die Gerechtigkeit, wie wir sie verstehen, den Göttern zuzuschreiben. Wollt Ihr Euch in der Mitte zwischen Ja und Nein halten und sagen, dass die Gerechtigkeit der Götter sich jetzt zwar zum Teil, aber nicht in ihrem vollen Umfang äussere, so antworte ich, dass Ihr kein Recht habt, ihr eine andere Ausdehnung zu geben, als in der Ihr seht, dass sie selbst jetzt sich äussert.

So bringe ich, o Athener! den Streit mit meinen Gegnern zu einem schnellen Ende. Der Lauf der Natur liegt offen vor meinen Augen wie vor den ihrigen. Der erfahrungsmässige Gang der Begebenheiten ist die grosse Richtschnur, nach der wir alle unser Benehmen regeln. Nichts weiter kann im Felde oder im Rate angerufen werden. Von nichts Anderem darf man in der Schule und im Hause hören. Unser beschränkter Verstand kann diese Grenze nicht durchbrechen, die für unsere verwöhnte Phantasie zu enge ist. Wenn wir aus dem Lauf der Natur den Beweis entnehmen und eine besondere verständige Ursache folgern, welche die Ordnung in der Welt gründete und forterhält, so stellen wir ein Prinzip auf, was sowohl ungewiss als nutzlos ist; ungewiss, weil es ganz jenseit menschlicher Erfahrung liegt; nutzlos, weil unsere Kenntnis dieser Ursache lediglich von dem Naturlauf abgeleitet ist, und wir daher nach den Regeln der gesunden Vernunft nicht rückwärts von der Ursache neue Folgerungen ableiten und neue Grundsätze für ihr Benehmen und Führung dadurch gewinnen können, dass zu dem gewöhnlichen und erfahrungsgemässen Lauf der Natur etwas hinzugesetzt wird.

Ich sehe (sagte ich, wie er seine Rede geendet hatte), dass Sie das Kunststück der alten Demagogen benutzen. Da es Ihnen beliebte, mich zum Volke zu machen; so suchen Sie meine Gunst dadurch zu gewinnen, dass Sie Grundsätze verteidigen, welchen ich mich, wie Sie wissen, immer gern angeschlossen habe. Aber wenn ich Ihnen gestatte, die Erfahrung (wie ich denke, dass Sie gethan) zum alleinigen Massstab unseres Urteiles über diese und alle andern Thatfragen zu machen, so möchte es doch gerade mittelst der Erfahrung, auf die Sie sich berufen, möglich sein, die Beweisführung zu widerlegen, welche Sie dem Epikur in den Mund legen. Wenn Sie z. B. ein halb fertiges Bauwerk mit Haufen von Ziegeln, Steinen und Mörteln und allem Maurerhandwerkzeug sehen, können Sie da nicht aus der Wirkung entnehmen, dass es ein Werk der Absicht und Überlegung ist? Und können Sie dann nicht rückwärts von dieser geschlossenen Ursache neue Zusätze für die Wirkung ableiten und schliessen, dass das Gebäude bald beendet sein und alle die weiteren Verbesserungen erhalten werde, welche die Kunstfertigkeit ihm erteilen kann? Wenn Sie am Meeresufer die Spur eines Fusstapfens sehen, würden Sie nicht schliessen, dass ein Mensch diesen Weg gegangen sei, und dass er auch die Spuren von seinem andern Fusse zurückgelassen habe, obgleich sie durch das Spülen des Sandes oder das Überströmen des Wassers verlöscht worden sind? Weshalb wollen Sie also nicht dieselbe Beweisführung für die Ordnung der Natur zulassen? Weshalb wollen Sie nicht die Welt und das jetzige Leben nur als ein unvollendetes Bauwerk betrachten, von dem man auf einen höhern Verstand schliesst, und weshalb wollen Sie nicht den Rückschluss von diesem höhern Verstande, der nichts unvollkommen lassen kann, auf eine vollkommenere Absicht oder Form ziehen, die ihre Erfüllung in einer entferntern Zeit und Ort erhalten wird? Sind diese Beweisführungen nicht einander ganz gleich? Aus welchem Grunde kann man deshalb die eine annehmen und die andere verwerfen?

Der ungeheure Unterschied in dem Gegenstand, erwiderte er, ist ein genügender Grund für diesen Unterschied in meinen Folgerungen. Bei menschlichen Werken und Einrichtungen ist es gestattet von der Wirkung auf die Ursache zu schliessen, und rückwärts aus dieser neue Folgerungen in Betreff der Wirkung zu ziehen und die Veränderungen zu prüfen, die sie vielleicht erlitten hat oder noch erleiden wird. Denn was ist hier die Grundlage dieser Folgerungen? Einfach die, dass der Mensch ein Wesen ist, das wir aus Erfahrung kennen, mit dessen Beweggründen und Absichten wir vertraut sind, und dessen Pläne und Neigungen eine gewisse Verbindung und einen Zusammenhang den Gesetzen gemäss haben, welche die Natur für die Leitung eines solchen Geschöpfes festgesetzt hat. Findet man also, dass ein Werk von der Geschicklichkeit und Thätigkeit eines Menschen herrührt, so kann man daraus eine Menge Folgerungen über das ziehen, was man von ihm zu erwarten hat, weil die Natur dieses Wesens bereits von anderwärts her bekannt ist, und alle diese Folgerungen sich auf Erfahrung und Beobachtung stützen. Kennte man aber den Menschen nur aus dem einzigen Werke, welches man vor sich hat, so wäre es unmöglich, in dieser Weise zu schliessen. Da alle Kenntnis der Eigenschaften, die man ihm zuteilt, in diesem Falle nur aus diesem Werke abgeleitet würde, so könnten sie unmöglich zu etwas Neuem führen und zur Grundlage neuer Folgerungen dienen. Die Fussspur im Sande kann für sich allein nur beweisen, dass ein ihr entsprechender Körper dagewesen ist, der sie hervorgebracht hat; aber die Spur eines Menschenfusses beweist ausserdem nach unserer sonstigen Erfahrung, dass wahrscheinlich ein zweiter Fuss dagewesen ist, welcher auch eine Spur hinterlassen hat, die nur die Zeit oder andere Umstände verlöscht haben. Hier gehen wir allerdings von der Wirkung zur Ursache vor und schliessen, wieder rückwärtsgehend, von der Ursache auf Änderungen in der Wirkung. Aber dieses ist keine Fortsetzung derselben einfachen Schlusskette. Wir fassen in diesem Falle eine Menge Erfahrungen und Beobachtungen rücksichtlich der gewöhnlichen Gestalt und Glieder dieser Art von Geschöpfen zusammen, ohne welche dieses Beweisverfahren als trügerisch und spitzfindig gelten müsste.

Der Fall ist bei unsern Folgerungen aus Werken der Natur nicht derselbe. Wir kennen die Gottheit nur aus ihren Werken; sie ist in der Welt nur einmal da und kann nicht unter eine Art oder Gattung begriffen werden, aus deren wahrgenommenen Eigenschaften und Bestimmungen wir mittelst der Ähnlichkeit auf eine Eigenschaft oder Bestimmung in ihr schliessen könnten. Da das Weltall Weisheit und Güte zeigt, so folgern wir Weisheit und Güte. Da es ein bestimmtes Mass dieser Vorzüge zeigt, so folgern wir ein bestimmtes Mass derselben, das genau den erprobten Wirkungen entspricht. Aber weitere Eigenschaften oder ein grösseres Mass derselben ist man nach den Regeln des richtigen Schliessens zu folgern oder anzunehmen nicht berechtigt. Sind aber solche Annahmen nicht gestattet, so können wir mit der Ursache nicht weiter kommen und keine anderen Zustände in der Wirkung folgern als die unmittelbar wahrgenommenen. Ein höheres, von diesem Wesen hervorgebrachtes Gut muss einen höhern Grad von seiner Güte beweisen, eine unparteiischere Austeilung von Lohn und Strafe muss aus einer grössern Achtung für Gerechtigkeit und Billigkeit hervorgehen. Jeder willkürlich angenommene Zusatz zu den Werken der Natur giebt einen Zusatz zu den Eigenschaften des Urhebers der Natur; da er aber durch keinen Grund oder Beweis unterstützt ist, so kann er nur als leere Vermutung und Voraussetzung gelten.

Anm. M. Im Allgemeinen muss es, meiner Ansicht nach, als Regel gelten, dass, wenn eine Ursache nur aus ihren besonderen Wirkungen erkannt wird, dann keine neuen Wirkungen aus der Ursache abgeleitet werden können; weil die Eigenschaften, die zur Hervorbringung neuer Wirkungen neben den früheren nötig sind, entweder verschieden oder bedeutender oder von ausgedehnterer Wirksamkeit sein müssten als die, welche einfach die Wirkungen hervorgebracht haben, aus denen wir allein die Ursache erkannt haben. Man hat deshalb kein Recht, solche Eigenschaften vorauszusetzen. Diese Schwierigkeit wird auch dadurch nicht beseitigt, dass die neuen Wirkungen als eine Fortsetzung der Kraft dargestellt werden, die man schon aus den ersten Wirkungen kenne. Denn selbst wenn man dies zugiebt (obgleich es selten angenommen werden kann), so bleibt doch die Äusserung einer gleichen Kraft (denn genau dieselbe kann es unmöglich sein) in einer andern Zeit oder Raumstelle eine willkürliche Annahme, und die Wirkungen, aus denen die Kenntnis der Ursache ursprünglich abgeleitet worden ist, enthalten keine Spur davon. Die geschlossene Ursache muss genau der bekannten Wirkung entsprechen; deshalb kann sie keine Eigenschaften haben, aus der man neue oder andere Wirkungen folgern könnte.

Die grosse Quelle des Irrtums und der schrankenlosen Freiheit von Vermutungen, der wir in solchem Falle nachgeben, ist, das wir stillschweigend uns an die Stelle des höchsten Wesens setzen und folgern, dass es überall sich ebenso benehmen werde, wie wir selbst es in solcher Lage für ratsam und vernünftig halten würden. Aber schon der gewöhnliche Lauf der Natur belehrt uns, dass beinahe jedes Ding durch Kräfte und Regeln bestimmt wird, die von den unsrigen sehr abweichen, und ausserdem widerspricht es allen Regeln der Analogie, aus den Absichten und Plänen eines Menschen auf die eines so verschiedenen und so viel höheren Wesens zu schliessen. In der menschlichen Natur besteht erfahrungsgemäss ein Zusammenhang der Absichten und Neigungen, so dass, wenn man aus einem Umstand die Absicht des Menschen entnommen hat, es vernünftig ist, nach der Erfahrung auf andere zu schliessen und eine lange Reihe von Folgerungen über sein vergangenes und künftiges Benehmen zu ziehen. Aber diese Schlussweise gilt nicht bei einem so entfernten und unbegreiflichen Wesen, welches den andern im Weltall weniger ähnelt als die Sonne einer Wachskerze, und welches sich nur durch einige schwache Spuren und Züge erkennbar macht, über die hinaus wir ihm keine Eigenschaft oder Vollkommenheit beilegen können. Was wir für eine höhere Vollkommenheit halten, kann in Wahrheit ein Mangel sein, und selbst wenn es eine Vollkommenheit wäre, so kann man sie doch dem höchsten Wesen nicht zuteilen, wenn ihre volle Äusserung in seinem Werke nicht wahrzunehmen ist; dies würde mehr nach Schmeichelei und Lobhudelei schmecken, als nach einem richtigen Schliessen und nach gesunder Philosophie. Alle Philosophie der Welt und alle Religion, die ja nur eine Art der Philosophie ist, kann uns nicht über den gewöhnlichen Lauf der Erfahrung hinaus heben oder uns einen Massstab für unser Benehmen und Betragen geben, der von dem aus der Betrachtung des gewöhnlichen Lebens entnommenen abweicht. Aus der religiösen Hypothese kann keine neue Thatsache gefolgert, kein Ereignis vorher gesehen und vorher verkündet, keine Strafe oder Belohnung gefürchtet oder gehofft werden über das hinaus, was Erfahrung und Beobachtung ergeben. Meine Verteidigung des Epikur bleibt deshalb fest und genügend; die politischen Interessen der Gesellschaft haben keinen Zusammenhang mit den philosophischen Erörterungen über Metaphysik und Religion.

Einen Umstand, erwiderte ich, scheinen Sie doch übersehen zu haben. Ich gebe Ihre Vordersätze zu; aber ich leugne den Schluss. Sie folgern, dass religiöse Lehren und Erörterungen keinen Einfluss auf das Leben haben können, weil sie keinen haben sollen, und erwägen nicht, dass die Menschen nicht so, wie Sie, schliessen, sondern vieles aus dem Glauben an ein göttliches Wesen ableiten, und dass sie annehmen, es werde dieses Strafen über das Laster verhängen und Belohnungen der Tugend erteilen, über das hinaus, was der gewöhnliche Lauf der Natur ergiebt. Es ist gleich, ob diese Folgerung richtig ist oder nicht; der Einfluss auf ihr Leben und Benehmen bleibt derselbe, und wer es unternimmt, sie von diesen Vorurteilen zu befreien, ist meines Erachtens wohl ein guter Logiker, aber kein guter Bürger und Politiker, denn er befreit die Menschen von einer Schranke ihrer Leidenschaften und erleichtert, ja sichert in gewisser Hinsicht die Verletzung der bürgerlichen Gesetze.

Nach allem trete ich Ihnen also in Ihrem allgemeinen Ausspruche zu gunsten der Denkfreiheit wohl bei; aber aus anderen Vordersätzen, als die Sie dazu benutzen. Ich meine, der Staat muss jede philosophische Lehre zulassen, es giebt auch kein Beispiel, dass eine Regierung durch solche Nachsicht in ihren politischen Interessen gelitten hätte. Unter den Philosophen herrscht keine Begeisterung; ihre Lehren sind nicht verlockend für das Volk; und man könnte ihre Erörterungen nicht ohne Nachteil für die Wissenschaften und selbst für den Staat beschränken, denn man ebnete damit den Weg für Verfolgung und Unterdrückung auch in solchen Dingen, bei denen die Menschheit mehr beteiligt und tiefer interessiert ist.

Indes treffe ich hier (fuhr ich fort) bei Ihrem Hauptsatze auf eine Schwierigkeit, die ich nur berühre, ohne darauf besonderen Wert zu legen, damit wir nicht in zu feine und zarte Erörterungen geraten. Kurz, ich muss bezweifeln, ob es überhaupt möglich ist, eine Ursache aus ihrer Wirkung zu erkennen (wie Sie immer angenommen haben); oder ob sie von so eigentümlicher und besonderer Beschaffenheit sein könne, dass sie keine Vergleichung oder Analogie mit anderen Ursachen oder Dingen gestattete, welche in der Erfahrung je vorgekommen sind. Nur wenn zwei Arten von Dingen immer verbunden angetroffen werden, kann man von dem Einen auf das Andere schliessen. Ist aber eine Wirkung ganz eigentümlich und unter keine bekannte Art zu befassen, so lässt sich nach meiner Ansicht überhaupt keine Vermutung oder Folgerung in betreff ihrer Ursache aufstellen. Wenn Erfahrung, Beobachtung und Analogie in Wahrheit die einzigen Führer sind, denen man bei Folgerungen dieser Art vernünftigerweise sich anvertrauen kann, so muss eine bestimmte Wirkung und Ursache anderen bekannten Wirkungen und Ursachen gleichen, die in vielen Fällen verbunden angetroffen worden sind.

Ich überlasse es Ihrem eigenen Nachdenken, den Folgen dieses Grundsatzes nachzugehen. Ich sollte meinen, dass, wenn die Gegner des Epikur annehmen, das Weltall, als eine ganz besondere und unvergleichliche Wirkung, beweise das Dasein der Gottheit, als eine nicht weniger besondere und unvergleichliche Ursache, Ihre Bedenken gegen solche Folgerungen sicher alle Berücksichtigung verdienen. Es besteht allerdings eine Schwierigkeit für den Rückschluss von der Ursache auf die Wirkung und für den Schluss auf eine Veränderung oder Vermehrung der letzteren vermittelst Folgerungen aus unseren Vorstellungen über die erstere.

Diese Abteilung ist, wie die vorgehende, mehr populär und ironisch als philosophisch gehalten, aber gerade dadurch von grosser Wirkung auf Leser, welche weniger in Untersuchungen abstrakter Natur geübt sind.

Hume behandelt hier die Frage, ob der Glaube an einen vorsehenden und bestrafenden Gott für den Bestand des Staates und für die Aufrechterhaltung der Moral unentbehrlich sei?

Es ist dies eine alte Streitfrage. Die Philosophen haben sie immer verneint und dies mit den mannichfachsten Gründen unterstützt. Auch Spinoza hat in seinem »theologisch-politischen Traktate« die Frage in diesem Sinne beantwortet. Allein die Geistlichkeit und die Fürsten haben trotzdem immer das Gegenteil angenommen, und sie haben hier offenbar mehr Recht als die Philosophen. Wenn schon der Zwang und die Strafe nach dem eigenen Geständnis der Philosophen im Staate nur eingeführt sind, um das Recht und die Sittlichkeit zu schützen und zu erhalten, so ist es unzweifelhaft, dass ein Glaube und eine Religion, welche dieses System auch auf die geheimsten Gedanken ausdehnen und jedem Fehler seine Strafe, wenn auch erst in einer anderen Welt, finden lassen, diese Wirkung in noch viel höherem Masse haben muss. Hume selbst erkennt dies an, und die Meinung seines fingierten Freundes: dass schon die Vorteile, welche sich naturgemäss in dieser Welt mit der Tugend verbinden, genügen, um das sittliche Handeln zusichern, ist unrichtig. Solche Vorteile sind schwankend, nicht für Jedermann verständlich, und wenn sie auch wirken, so ist doch ihre Wirksamkeit in keiner Weise jenem Glauben an ein späteres göttliches Gericht gleichzustellen.

Insofern also, als die Philosophie sich diesem Glauben entgegenstellt und ihn mit der Zeit allmählich zu erschüttern vermag, würde allerdings die Moral dadurch eine wichtige Stütze verlieren. Dies sollte die Philosophie nicht in Abrede stellen. Auch ist es unzweifelhaft, ob sie statt dieser gefallenen Stütze eine andere gleich haltbare bieten kann. Endlich ist der Glaube an einen allmächtigen und allwissenden Gott nicht bloss wirksam durch die Motive der Furcht und Hoffnung auf Lohn und Strafe; solche Motive wären allerdings nicht rein sittlich; sondern diesem Glauben liegen auch sittliche Motive zugrunde; auch diese entnehmen ihr Dasein und ihre Stärke wesentlich aus dem Gebote eines allmächtigen Gottes, wie in B. XI. S. 50, 54 näher ausgeführt worden ist. Mit der Erschütterung des Glaubens an Gott werden der rechtlichen und sittlichen Ordnung des Lebens daher nicht bloss sehr starke Motive der Hoffnung und der Furcht, sondern selbst die stärksten sittlichen Beweggründe entzogen.

Auch dies muss die Philosophie anerkennen. Nun bleiben allerdings für die Moral noch diejenigen sittlichen Motive, welche aus der Autorität des Volkes und des Fürsten abfliessen (B. XI. S. 54), und man kann daraus ableiten, dass der Bestand der Moral von dem religiösen Glauben nicht bedingt sei. Man kann dies zugeben; indes ist die sittliche Wirksamkeit dieser weltlichen Autoritäten nicht so kräftig, wie die Gottes, und, Alles in Allem, wird deshalb nicht bestritten werden können, dass die bestehende Moral an dem religiösen Dogma eine bedeutende Stütze hat, welche, wenn sie wegfällt, für den Durchschnitt der Menschen von gegenwärtiger Bildung durch nichts anderes genügend ersetzt werden kann.

Ist dies richtig, so ist auch der Kampf der Religion gegen die Philosophie vom sittlichen Standpunkte aus gerechtfertigt, und Hume selbst verteidigt jene nur damit, dass ihre Lehre für die Masse des Volkes unverständlich und deshalb für Staat und Religion ungefährlich bleibe. Dies ist schon an sich ein bedenkliches und heuchlerisches Argument; allein die neuere Zeit hat überdem diese Annahme widerlegt. Die Mittel zur Verbreitung des Wissens, die verständlichere Form, in der es geboten wird, sind jetzt so gesteigert, dass der Glaube selbst in jenen Schichten der Gesellschaft erschüttert ist, wohin nach Hume der Zweifel nie dringen kann.

Die Philosophie hat deshalb kein Recht, sich zu beklagen, wenn der Staat im Interesse des Glaubens und der Moral ihr Schranken setzt. Wie weit oder enge diese sein sollen, hängt von der Entwickelung der Zustände des Volkes und der Zeit überhaupt ab; die Philosophie hat dabei nicht mitzusprechen; sie ist für das Seiende nur ein technisches, vereinzeltes Handeln, was, wie jede besondere Kunst und Thätigkeit, sich der Alles umfassenden und Alles überragenden sittlichen Regel zu unterwerfen hat.

Aber freilich gilt dies nur für das Handeln. Die Philosophie, als reines Wissen, als die Wahrheit, steht über dem Sein und kann durch seine Schranken nicht gefesselt werden. Von diesem Standpunkt aus ist vielmehr die bestehende Moral und Religion selbst ein Gegenstand der Philosophie, der ihrer Prüfung unterliegt. Diese Antinomie ist nicht weiter zu lösen; sie entspringt aus der Natur des Menschen, der sich nicht im reinen Wissen halten, sondern immer dabei zugleich als ein seiendes und handelndes Wesen auftreten muss. Als solches hat er sich dem sittlichen Gebote selbst in seinem Philosophieren zu fügen, auch wenn er dadurch an der Gewinnung der Wahrheit gehindert werden sollte.

Hume behandelt in dieser Abteilung auch noch die Beweise für das Dasein Gottes. Er beschränkt sich indes auf den physiko-theologischen (B. II. 495). Den ontologischen und kosmologischen Beweis berührt er nicht, wie er überhaupt von der Philosophie des Mittelalters und des Spinoza wenig Kenntnis nimmt. Was Hume hier beibringt, ist sinnreich, überzeugend und verständlicher als die Ausführungen Kant's in seiner Kritik der reinen Vernunft. Übrigens wird hier dem Epikur eine Auffassung beigelegt, welche mit seiner aus den Quellen bekannten Philosophie im Widerspruch steht. Epikur lehrte, dass es allerdings Götter und zwar viele gebe, welche in den Zwischenräumen zwischen den vielen wirklichen Welten ( intermundiis) ein seliges Leben führten, menschliche Gestalt hätten, aber sich um die Menschen und überhaupt um das, was in diesen Welten vorgeht, nicht im mindesten bekümmerten. Er stützte diese Lehre nicht auf den hier geprüften physiko-theologischen Beweis, sondern auf die allgemein unter den Menschen verbreiteten Vorstellungen von den Göttern. Nach Epikur beruhen alle Wahrnehmungen auf Bildern, welche in Form von Atomen von den wahrgenommenen Gegenständen ausströmen und in die materielle Seele des Menschen eindringen; deshalb kann nach Epikur keine Wahrnehmung falsch sein und folglich auch nicht jene Vorstellungen, welche unter den Menschen über die Götter herrschen.

Ferner leitete Epikur die Zweckmässigkeit in der Welt, da wo sie besteht, ganz wie neuerlich Darwin, davon ab, dass der Zufall die Atome zu unendlich vielen Gestaltungen zusammentreffen lasse, aber von diesen Gestalten sich nur diejenigen erhalten haben, welche den auf sie eindringenden zerstörenden Mächten der unorganischen und organischen Natur am besten haben widerstehen können.

Hiernach würde der wirkliche Epikur sich ganz anders zu dem physiko-theologischen Beweise von dem Dasein Gottes verhalten haben, als es hier bei Hume geschieht. Indes trifft dies nicht die Sache selbst, obgleich man wohl vermuten kann, dass Hume geglaubt hat, hier die wahren Ansichten Epikur's vorzutragen.

Auch thut Hume S. 134 hier die bedenkliche Äusserung, »dass alle Religion nur eine Art der Philosophie sei«. Es ist dies offenbar die eigene Meinung Hume's und daraus erklärt sich, wie er in so ausführlicher Weise in dieser und der vorgehenden Abteilung die Religion mit den Gründen der Wissenschaft anzugreifen versucht. Diese Art des Kampfes gegen die Religion war in dem vorigen Jahrhundert allgemein beliebt. Voltaire pflegte sie in Frankreich ebenso eifrig und geschickt, wie Hume in England. Allein trotz all dieser geistreichen Kämpfe zeigen die Ereignisse in dem gegenwärtigen Jahrhundert, wie wenig man damit zu erreichen vermocht hat. Dies ist eine neue Bestätigung der in diesen Erläuterungen wiederholt geltend gemachten Ansicht, dass die Religion und der religiöse Glaube ganz andere Fundamente in der menschlichen Seele haben, als die, auf welchen die Wissenschaften und die Erkenntnis beruhen; dass es deshalb ganz vergeblich, ja verkehrt ist, die Religion und den Glauben mit den Gründen der Wissenschaft angreifen und umstürzen zu wollen.


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