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23. Landhaus Elise

Nun wohnten Elise und Elli im efeuumrankten Häuschen, und als sie den ersten Abend beisammen saßen am geöffneten Fenster und in den Garten sahen, der im Herbstschmuck prangte, da kam ein Friede über sie, wie Elise ihn nie gekannt hatte. Elli umschlang die Mutter und fragte: »Bist du glücklich, Mütterchen?«

»Mein liebes Kind, ich hoffe es mit der Zeit zu werden. Gott sei Dank, der uns eine Friedensstätte auf Erden bereitet hat. Doch die irdischen Sorgen werden nicht ausbleiben, wir haben sehr wenig und müssen uns aufs äußerste einschränken.«

»Mütterchen, sorge nicht. Dem ersten Mangel ist abgeholfen. Frau Doktorin hat unsere Vorratskammern reichlich gefüllt und wird sich unser ferner annehmen.«

»Philippine ist einzig in ihrer Güte. Sie war schon in ihrer Jugend selbstlos, immer für andere da. Wäre ich auch so gewesen!«

»Weißt du schon,« sagte Elli geheimnisvoll, »daß sie Frau Pastor Rost deinetwegen eingeladen hat?«

»Ja, am nächsten Sonntag soll ich das Wiedersehen mit Lorchen feiern.«

Am folgenden Tage versuchte Elli ihre Kochkünste. Sie merkte, daß es mühsam war, ganz ohne Hilfe alles zu beschicken. Am Morgen hatte sie die Stuben aufgewischt und das Schlafzimmer geordnet; die Mutter hatte gern helfen wollen, doch das Bücken wurde ihr schwer. So bat Elli sie, die leichtere Arbeit des Staubwischens zu übernehmen. In der kleinen Küche beim Kochen war es heiß, doch heute mußte alles Wohlgelingen, die Mutter sollte Achtung bekommen vor ihrer Kochkunst. Es schmeckte denn auch trefflich und die Mutter lobte ihre geschickte Tochter. Nach Tisch war bei Doktors die schöne Freistunde gekommen, wo die Mädchen plaudernd beisammen saßen oder sich im Garten belustigten. Elli mußte in die heiße Küche zurück. Es wartete ihrer viel Arbeit. Im Amtseifer hatte sie am Morgen beim Kochen fast alle Töpfe und Schüsseln gebraucht. Nun standen sie da und warteten auf die Hand, die sie blank machen sollte. Und sie war schon vom Kochen so müde. Doch sie hatte die Pflichten übernommen, nun galt es, sie treu durchzuführen. Es währte lange, bis Elli mit allem fertig war. Elise, die nie dergleichen Arbeiten gemacht, faßte den Entschluß, sobald ihre Kräfte sich etwas gehoben, ihre Tochter in den Arbeiten des Haushaltes zu unterstützen. Sie machte in den folgenden Tagen den Versuch und merkte, daß die Arbeit einen verborgenen Segen in sich trug, der sie fröhlich und zufrieden machte.

Am Sonntag finden wir sie mit Elli im Gotteshause. Es war zeitig, der Gesang hatte noch nicht begonnen. Philippine kam auch mit ihrer Schar, hinter ihnen Tante Berta mit einer älteren Dame. Elise hätte sie unter vielen herausgekannt. Die klaren, braunen Augen, der nußbraune Scheitel, der kleine hübsche Mund, alles kennzeichnete sie als die sehnlichst erwartete Freundin. Sie hatte trotz der gealterten Züge immer noch etwas jugendlich Frisches und eine Anmut in den Bewegungen, die ihr schon in der Jugend eigen war. Sie sah sich suchend um und ihre Blicke ruhten fragend auf dem schmalen, bleichen Gesicht der einstmaligen Schönheit. Doch der Gesang begann, sie senkten beide ihre Blicke und suchten das angegebene Lied, während die Gemeinde schon begann: »Befiehl du deine Wege« usw. Der Text der Predigt war aus Jesaja: »Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege.«

Elise war tief ergriffen. Wie wenig ahnte ihre Seele, unter welchen Gefühlen des Lobes und Dankes sie am folgenden Sonntage das Gotteshaus betreten werde!

Nach der Kirche gab es ein freudiges, herzbewegliches Begrüßen zwischen den Freundinnen. Der Tag im Doktorhause war einer der schönsten, den Elise erlebt. Was hatten sie und Lorchen sich alles zu sagen! Sie wurden des Erzählens nicht müde. Es war nur ein Unterschied. Lorchen hatte in allem die Treue und Güte Gottes zu rühmen, während Elise über ihre Selbstsucht und Untreue klagen mußte, die sich Gottes Hilfe, seinen Frieden und seine Gnade verscherzt hatte. Nur zu schnell verflogen die Stunden. Lorchen versprach, am andern Morgen einen Besuch im Efeuhäuschen zu machen, nach Tisch mußte sie zu ihren Kindern zurück, die diesmal nicht mitgekommen waren, da sie nur der Freundin wegen die Reise gemacht hatte. Elli hörte, wie Lorchen ihrer Mutter von Otto erzählte, wie derselbe ihre Stütze und ihr Halt sei und seines Vaters Ebenbild.

Während also bei Doktors ein fröhlicher Tag begangen wurde, war auch im Landhaus Elise Freude eingekehrt. Der Vater hatte seinen Sohn wiedergefunden und war glücklich in seinem Besitz. Gegen Abend waren sie eingetroffen, ein inneres Glück strahlte aus beider Augen, der jüngere wußte gar nicht, was er dem älteren zulieb tun sollte. Nachdem sie lange beisammen gesessen hatten, zog sich Heinrich auf das ihm angewiesene Zimmer zurück. Herr Müller aber rief die alte Christiane und fragte: »Sind die Damen eingezogen?«

Die Alte bejahte es.

»Scheinen es brave Leute zu sein? Hast du getan, wie ich dir sagte, und ein wachsames Auge aus sie gehabt?«

»Gewiß, Herr. Es scheinen gute, aber wenig bemittelte Damen zu sein. Sie machen alles selber, sind still und bescheiden dabei. Den Park haben sie nicht betreten.«

»Schon recht, schon recht,« sagte Herr Müller und fuhr sich mit der Hand über die Augen. Am Abend, als er mit seinem Sohn durch den Garten gegangen war, hatte er ein paarmal nach dem Häuschen hinübergesehen. Es sah freundlicher als sonst aus mit den blanken Fenstern und den weißen Vorhängen, es regte sich aber nichts, kein Kopf war sichtbar. Elise und Elli kamen erst spät von Doktors heim und ahnten nicht, daß der Besitzer heimgekehrt sei.

Deshalb ging das junge Mädchen am andern Morgen sorglos und ungezwungen im einfachen Hauskleid an den Brunnen, um Wasser zu holen. Eben wollte sie den Pumpenschwengel in Bewegung setzen, da rief eine fröhliche Stimme: »Das ist meine Arbeit, geben Sie her,« und Doktor Körner hatte den Eimer vollgepumpt, als Elli immer noch dastand und sich wunderte, wo der junge Doktor schon wieder herkäme. Er reichte ihr die Hand zum Morgengruß. Sie dankte und wollte sich eben anschicken, den vollen Eimer ins Haus zu tragen, da ergriff Körner ihn mit sicherer Hand, fragte wohin? Elli deutete stumm auf die Küche und ehe sie sich's versah, stand der Eimer dort. Der junge Mann machte eine Verbeugung und war verschwunden. Elli erzählte ihrer Mutter die Begegnung und beide vermuteten, daß Doktor Körner ein Verwandter ihres Hausherrn sei.

»Wenn das ist,« rief Elli, »so wird meine Anna hierher zum Besuch kommen, das wäre schön!«

»Wir beide würden uns als die armen Leute sehr in der Ferne halten müssen. Wir dürfen ja nicht einmal den Park betreten,« sagte Elise mit einem Anflug von Bitterkeit. Aber Elli, die dies merkte, verscheuchte es durch ihr fröhliches heiteres Wesen. Gegen Mittag ging Herr Müller, die Hände auf dem Rücken, gesenkten Hauptes in seinem Garten auf und ab. Er hatte sich vom Häuschen absichtlich fern gehalten, aber es zog ihn mit tausend Gewalten immer wieder dahin. Er hörte Stimmen aus einem geöffneten Fenster. Es schien Besuch da zu sein. Er setzte sich unter einen dichtbelaubten Baum, der ganz in der Nähe war, und konnte bald die Stimmen deutlich unterscheiden.

»Siehst du, Lorchen,« sagte eine ihm nur zu bekannte Stimme, »das ist's, was an meinem Herzen nagt. Meinem Kinde, meiner Elli, kann ich es nicht so sagen, aber du verstehst mich. Diese Ungewißheit über das Schicksal meines Mannes zehrt an dem Mark meines Lebens und läßt mich nicht zum inneren Frieden kommen. Die Schuld, ach die Schuld drückt so sehr und wirft mich oft zu Boden.«

Er hörte eine andere, sanft tröstende Stimme, darauf ein unterdrücktes Weinen. Es ging dem Manne durch die Seele. »Der Jammer soll ein Ende haben,« sagte er bewegt, »je eher desto lieber.« Er ging ins Haus zurück und ließ seinen Sohn rufen. Nach fast zweistündiger Unterredung verließ ihn dieser, aufs tiefste erschüttert. Was der Vater ihm mitgeteilt, war kaum zu glauben, und doch, wie gern glaubte er es. Elli seine Schwester! das war ein reizender Gedanke, und die Mutter! Gegen dieselbe hatte man ihn von früh an eingenommen, er hatte nie viel von ihr gehalten, aber das sollte alles vergessen sein, er wollte ihr Liebe und Ehrfurcht beweisen, wie es ihr zukomme, wenn sie den guten Vater glücklich zu machen verstehe. Wann und wie sollte aber die Erkennung stattfinden?

Sein Vater hatte ihm gesagt, wie er es nicht länger aushalte, in Üppigkeit zu leben, während Weib und Kind um ihr Durchkommen ringen müßten. Das fand Körner begreiflich. Er erzählte dem Vater, wo er die Kleine in früher Morgenstunde angetroffen und wie er sich, ohne es zu wissen, als ritterlicher Bruder erwiesen habe.

Während Vater und Sohn noch überlegten, wie die Sache am besten einzurichten, klopfte Christiane. Sie brachte eine Empfehlung von der Frau Braun aus dem Efeuhäuschen und ob dieselbe sich erlauben dürfe, im Laufe des Nachmittags dem Herrn ihre Aufwartung zu machen.

Herr Müller ließ ihr sagen, er sei jederzeit bereit, ihren Besuch anzunehmen.

Gegen 5 Uhr nahte sich Elise in einfachem schwarzem Kleide dem Landhaus. Die goldenen Buchstaben »Landhaus Elise« leuchteten ihr entgegen. ES kam ihr fast wie Hohn vor, daß das stolze Haus den Namen der armen Gedemütigten trug. Sie wollte durch die Hintertür gehen, um vorn keine Störung zu veranlassen, aber Christiane stand auf der Veranda und ließ Frau Braun, wie es von ihrem Herrn befohlen war, in den Gartensaal treten und von da in ein mit kostbaren Möbeln ausgestattetes, bequem eingerichtetes Zimmer. Elise bekam einen Eindruck von dem Reichtum des Besitzers. Christiane nötigte sie Platz zu nehmen und ging, den Besuch zu melden. Elise sah sich um. Was stand denn auf dem Tisch vor ihr? Sie traute ihren Augen nicht, aber es war Tat und Wahrheit. Ein kleines Ölgemälde, sie selber als Braut darstellend, das Eigentum ihres Gatten, stand vor ihr auf dem Tisch in hübschem Rahmen. Sie konnte einen Schrei nicht unterdrücken, dann griff sie hastig nach dem Bilde und sah sich fragend nach allen Seiten um. Alle andern Gegenstände waren ihr durchaus fremd, wie kam das Bild hierher? Jetzt öffnete sich die Tür. Ein älterer Herr trat ein, eine kräftige, hohe Gestalt. Sie erhob sich und wollte sich ehrfurchtsvoll verneigen, da blieb sie wie gebannt stehen, denn eine Stimme, die sie bis ins innerste Herz traf, sagte:

»Elise, was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden. Willst du meines Alters Stütze und mein Trost sein?« Er breitete seine Arme aus, und Elise sank erbleichend, keines Wortes mächtig, an seine Brust.

Körner war von seinem Vater beauftragt, Elli von allem in Kenntnis zu setzen. Das tat er gern. Er wollte sich sein Schwesterchen suchen und sie frohbeglückt in das Landhaus führen. Sie saß am offenen Fenster und strickte. Die häusliche Arbeit war getan und das Stricken war jetzt keine Arbeit mehr, sondern eine willkommene Erholung.

Er guckte lächelnd zum Fenster herein und sagte: »Nicht so fleißig, Fräulein Elli! Kommen Sie doch ein wenig in den Garten, ich erzähle Ihnen von Ihrer Freundin.«

Elli schüttelte den Kopf. »Herr Müller sieht es nicht gern. Es ist als Bedingung ausgemacht, daß wir den Park nicht betreten.«

»Ich verantworte es,« sagte Körner lächelnd.

Elli zögerte noch. War es wohl ganz passend, mit dem Verlobten ihrer Freundin Gänge im Park zu machen?

»Das Stubensitzen ist ungesund. Ich werde mir das Recht nehmen, Sie im Garten meines Vaters herumzuführen.«

Elli legte ihre Arbeit hin und ging.

»Ist Herr Müller Ihr Vater?« fragte sie erregt, als sie neben ihm einherschritt.

»Natürlich ist er mein Vater, wissen Sie das noch nicht? Ich glaubte, Anna hätte Ihnen alles geschrieben.«

Elli sagte, daß sie nur Andeutungen gemacht von einer Freude, die ihm bevorstände. Sonst wisse sie nichts. Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander her. Es war ein weicher, milder Herbsttag, der Himmel in grauer Färbung, das Laub in den buntesten Farben.

»Elli,« begann der junge Mann plötzlich, »möchten Sie wohl einen Bruder haben?«

Elli errötete und sagte, das habe sie sich immer sehr hübsch gedacht.

»Haben Sie nie einen Bruder gehabt?«

»Nein – ja doch wohl –« stotterte Elli, der Wahrheit gemäß, »ich habe ihn nie gekannt.«

»So ist er gestorben?«

»Ich glaube,« sagte Elli verlegen.

»Er ist nicht gestorben,« sagte jetzt Körner fest. »Er lebt und steht vor Ihnen. Ja, Elli, durch eine wunderbare Fügung Gottes sind wir Geschwister, die wir uns nie gesehen, nie gekannt haben, jetzt vereint. Wir haben einen Vater!«

»Sie sagten ja, Herr Müller sei Ihr Vater.«

»Er heißt nicht Müller, sondern Brown und ist dein Vater und mein Vater. Körner ist der Name meines Großvaters, der mich an Kindesstatt annahm. Elli, ich bin dein Bruder, du bist meine Schwester.«

Elli wurde ganz bleich und wäre beinahe umgesunken, wenn Körner sie nicht gehalten und auf die nahe Bank geführt hätte.

»Und meine Mutter?« sagte Elli tief ergriffen.

»Ist beim Vater,« war die ernste Antwort. »Wir wollen den Eltern Zeit lassen, sich zu sammeln, wollen vernünftig sein und nicht in Ohnmacht fallen. Sonst muß ich meine Doktorkünste an dir erproben.«

Elli legte den Kopf leise weinend an seine Schulter. Sie durfte es ja, er war ihr lieber Bruder, der sich von Anfang an so gut und brüderlich zu ihr gestellt hatte.

»Es wird kühl,« sagte Körner, nachdem sie lange Zeit in ernstem Gespräch beisammen gesessen hatten, »ich denke, wir gehen jetzt zu den Eltern.«

Elli zitterte immer noch heftig vor Erregung, doch Körners kräftiger Arm stützte sie und geleitete sie ins Haus. Elise saß bleich auf dem Sofa, neben ihr der Gatte, ihre Hand in der seinen. Was zwischen beiden vorgegangen ist, bleibt verborgen. Man sieht aber an dem Blick, mit dem sie sich ansehen, daß alles ausgeglichen ist, daß sie in neuer Liebe, mit neuem Vertrauen ein neues Leben beginnen wollen. Und nun kommen die Kinder. Elli fliegt dem entgegen, der schon durch seine Güte ihr Herz im Sturm erobert hat. Er schließt sie in seine Vaterarme und ruft in seinem weichsten Ton: »Meine liebe Tochter!«

Zwischen Körner und der Mutter ist die Begrüßung nicht so herzlich, sie stehen sich noch fremd gegenüber, war doch Körner zu lange von Vorurteilen befangen. Aber sie haben beide den ernsten Willen, in Liebe und Vertrauen zueinander zu stehen, zumal Elise gelobt es sich, an dem Sohn gutzumachen, was sie versäumt hat.

So war denn nach Gottes Willen eine zerstreute Familie wieder vereinigt, nicht nur leiblich, sondern das Band, welches die Sünde zerrissen hatte, war durch neue Liebe festgeknüpft, die innerliche Trennung, die gegenseitige Entfremdung der Herzen war aufgehoben, das Band des Friedens umschlang sie alle.

Elise aber gelobte ihrem Gatten, daß sie ihm in selbstloser Liebe dienen wolle bis an den Tod, sofern ihr Gott Kraft verleihe.

Großes Aufsehen erregte in der Stadt die Kunde, daß der Besitzer des Landhauses Elise seine verlorene Frau wiedergefunden habe, und daß diese seine Gattin die bleiche Frau sei, die seit einiger Zeit im Efeuhäuschen wohne. Am meisten aber schlug die Nachricht bei Doktors ein. Die jungen Mädchen waren außer Rand und Band.

»Elli, die Tochter des Herrn Müller!«

»Elli darf im Landhaus wohnen!«

»Sie ist das Kind des Hauses!«

»Sie hat das Recht, den schönen Park zu betreten, so oft sie will!«

So gingen die Stimmen durcheinander und das Wundern und Staunen wollte kein Ende nehmen. Aber keine mißgönnte Elli das Glück, sie hatten sie alle lieb und freuten sich mit ihr. Nicht minder Doktors, die auf die Nachricht hin zu ihnen eilten, um ihre Mitfreude und Teilnahme selbst zu bekunden.

Elise erholte sich innerhalb weniger Tage sichtlich. Das Glück verjüngte sie und färbte die blassen Wangen. Elli strahlte im Besitze des Vaters und Bruders, sie freute sich innig, daß der schwere Druck von der Mutter genommen war. Die Übersiedelung in das Landhaus war schon am nächsten Tage erfolgt. Herr Brown erklärte, er wolle die Seinigen alle um sich haben. Die alte Christiane sollte im Hause bleiben, als Hilfe sollte ihr noch ein Mädchen beigegeben werden. Elli aber bat, nicht zu viel Dienstboten anzustellen, da sie selber mit wirtschaften wolle.

Da, eines Tages meldete Christiane ein junges Mädchen, das zu Frau Brown wolle und sich durchaus nicht abweisen lasse. Neugierig, wer nach ihr fragen könne, tritt Elise in den Hausflur. Da steht die treue Lina mit einem großen Korb am Arm, und als sie ihrer Herrin ansichtig wird, stutzt sie und sieht sie groß an. Sie mag sich wundern, daß ihr dieselbe hier entgegentritt.

»Frau Braun, da bin ich,« sagte sie treuherzig. »Sie haben meiner Mutter geschrieben, ich solle nicht wiederkommen. Aber ich werde Sie doch nicht alle Arbeit allein machen lassen, das würde ich mir selbst nun und nimmermehr vergeben. Wo wohnen Sie denn nun eigentlich und was kann ich zuerst machen?«

»Du gute Seele, Gott lohne dir deine Treue,« sagte Elise bewegt. Und nun erzählt sie ihr von der Wandlung ihres Geschickes und läßt sie in die Stube kommen zu ihrem Mann, damit er das treue Mädchen auch sehe. Und nun wird ihr gesagt, daß sie bleiben und ihren Dienst sofort antreten könne.

Als sie mit der Frau allein war, machte sie verlegen den Korb auf und packte Eier und Butter von der Mutter aus.

»Sie werden sich zwar jetzt nichts daraus machen, aber in die kleine Wirtschaft hätte es gerade gepaßt.«

Elise dankte gerührt und nahm, was ihr aus Liebe gegeben wurde mit dem Bemerken, daß es ihr große Freude mache.

Elli und Heinrich kamen vom Garten herein, als Lina eben ablegte. Die erstere zeigte ihre Freude unverhohlen, und das brave Mädchen sagte, sie danke dem lieben Gott, daß er es so wohl mit ihrer Herrschaft gemacht habe. Dann kramte sie in ihrem Korb herum und zog die Zinnkanne, die Elli bereits schmerzlich vermißt hatte, hervor. Sie erzählte, daß sie am Abend, als sie die Schlüssel der Wohnung zur alten Freundin der Tante gebracht habe, die Kanne bei dieser auf dem Eckbrett habe stehen sehen. Es habe einen harten Strauß gegeben, sie habe aber gewußt, daß dem Fräulein viel daran liege, und sie habe nicht geruht, bis die alte Dame sie herausgegeben. »Hier ist sie,« fügte sie freudig hinzu.

Elli nahm die Kanne und drückte dem guten Mädchen beide Hände. »Lina, das danke ich dir, hätte ich die Kanne nicht, wäre ich unglücklich; ich habe versprochen, sie an den rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben.«

Elli hatte schon Unruhe wegen der Kanne gehabt. Im Gewirre der letzten Tage in Mohrdorf hatte sie beim Einpacken nicht daran gedacht. Dann war es ihr eingefallen und sie hoffte, die Kanne sei mit den andern Sachen verpackt worden, da ja Lina wußte, wieviel ihr daran lag. Als aber alles ausgepackt war und das alte Erbstück nicht zum Vorschein kam, wurde sie unruhig und nahm sich vor, nicht eher zu ruhen, als bis die Kanne zur Stelle sei. Sie war eben daran, an Lina deswegen zu schreiben, da kamen die großen Ereignisse dazwischen, die vorderhand alles zurückgedrängt hatten.

Nun aber ging sie, ihren Schatz zu bergen, bis sie ihr gegebenes Versprechen lösen konnte.


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