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21. Wiedersehen der Freundinnen

Der letzte Abend in Mohrdorf war gekommen. Der Möbelwagen war abgefahren und Elise und Elli rüsteten sich zur Reise. Es sah öde aus in der Behausung der verstorbenen Tante. Die Saloneinrichtung war einer alten Freundin vermacht, die auch eine Menge des alten Gerümpels mit fortgenommen hatte. Die ausgestopften Tiere mochte niemand, sie saßen da, ruppig und häßlich, die Gesichter trübsinnig zur Erde geneigt, als trauerten sie über die Vergänglichkeit alles Irdischen. Ja, sie waren auch der Vergänglichkeit unterworfen, wie die von Motten zerfressenen wollenen Decken und Kissen, Kleider und Tücher, die in zahlloser Menge vorhanden waren. Elise hatte schon viel von dem Zeug verschenkt, doch quoll es aus allen Schränken, Kasten und Schubfächern, daß ihr angst und bange wurde. Sie hatte für sich und Elli herausgesucht, was sie meinte verwerten zu können; das von Motten zerstörte war nur für die Lumpenhändler, die einige Pfennige zahlten für das, was die Tante als Seltenheit mit schwerem Gelde hatte bezahlen müssen. Ob sie wohl daran gedacht hatte, für die Seele Schätze zu sammeln, die weder Motten noch Rost fressen?

Der letzte Koffer war gepackt. Elise verschloß die Zimmer, die noch Sachen bargen, und gab die Schlüssel Lina, die sie zur Freundin der Tante tragen mußte. Dann verabschiedete sie sich von dem treuen Mädchen, die einen mehrwöchentlichen Urlaub bei den Eltern nehmen wollte, bevor sie ihrer Herrschaft nachkäme. Elise hatte aber Linas Mutter ihre Verhältnisse klar dargelegt, ihr geschrieben, daß sie ein Dienstmädchen der Kost und des Lohnes wegen nicht halten könne, und die Eltern gebeten, die treue Lina anderweitig unterzubringen. Ihr selbst hatte sie nichts gesagt, um sie nicht zu betrüben.

Nach der ermüdenden Postfahrt ging es mit der Eisenbahn weiter. In Eichstädt sollte Rast gemacht werden, Elfriede hatte gebeten, daß Elise und Elli bei ihr übernachteten. Als Elli im Wagen der Mutter gegenübersaß, fiel es ihr auf, wie leidend und elend dieselbe aussah. Sie hatte sich in den letzten Tagen gewaltsam zusammengenommen; nun, da alles vorüber war, trat die Abspannung ein. Sie wollte sich auch jetzt beherrschen, sie, die in früheren Jahren jeder kleinen Laune nachgegeben, hatte unter der strengen Herrschaft der Tante gelernt, sich in Zucht zu nehmen. Sie sagte daher, als Elli sie fragte, ob sie sich krank fühle:

»Nein, nur ein wenig angegriffen. Laß nur, wir wollen das Vergangene vergessen und hoffnungsvoll in die Zukunft blicken.«

»Im weißen Häuschen wirst du's gut haben, Mutter, Wie freue ich mich, daß du endlich Tante Elfriede besuchst.«

»Hätte ich geahnt, daß es meine Elfriede ist, ich hätte nicht so lange gewartet!«

Gegen zehn Uhr abends betraten sie die Friedenswohnung. Elise war todmüde. Die gute Auguste, die sie herzlich empfing, sah es. Sie führte die Reisenden in das erleuchtete Wohnzimmer, erquickte sie, ohne viel zu sprechen, und geleitete sie in das oben gelegene freundliche Gaststübchen.

Nach einem erquickenden Schlaf fühlte sich Elise neugestärkt. Nachdem sie Kaffee getrunken hatten, fragte sie Auguste leise: »Wann kann ich sie sehen?«

»Elfriede ist schon lange wach und wartet auf die Freundin.«

Elise erhob sich, durchschritt das anstoßende Gemach und trat durch die halboffene Tür in das stille, uns wohlbekannte Krankenstübchen.

Langsam und fragend kam Elise auf die Kranke zu, die sie mit freundlich strahlenden Blicken empfing. »Elise,« sagte sie in herzgewinnendem Tone, und diese sank schluchzend an ihrem Bett nieder mit den Worten: »Elfriede, bist du's?« Nachdem sie sich ausgeweint hatte, ergriff sie Elfriedens beide Hände, schaute ihr bange fragend ins Angesicht und sagte endlich: »Du arme, unglückliche Elfriede!«

»Unglücklich?« erwiderte diese, die ihrerseits Elise prüfend angeblickt hatte und vergebens aus den sorgenvollen, gealterten Zügen das schöne reiche Mädchen von damals wieder zu erkennen suchte. »Ich bin so glücklich, wie es nur ein Menschenkind sein kann. Elise, mein Kranksein hat mich die eine köstliche Perle suchen lassen. Ich habe sie gefunden und bin durch den Glauben an meinen Heiland ein gesegnetes Menschenkind.« Und nun flossen ihre Lippen über von dem, was ihr Herz bewegte. Als sie geendet hatte, mußte Elise erzählen und sie tat es. Sie berichtete von ihrem verfehlten Leben, von den Widerwärtigkeiten, die sie betroffen, wie sie aber selbst schuld sei und erst jetzt anfange zu ahnen, daß es unvergängliche Güter gebe, denen man nachjagen müsse, um wahrhaft glücklich zu sein, daß sie erst jetzt verstehe, was Herr Rost mit seiner ernsten Rede einst gemeint.

»Damals,« sagte Elfriede, »lag das Leben vor uns, wir wünschten uns rosige Tage und glückliche Jahre. Jetzt haben wir erkannt, daß, wer ohne den Heiland lebt, schwer an der Last des Lebens zu tragen hat, wer aber ihn hat, der ist fröhlich und getrost, auch in allerlei Trübsal.« Elise nickte und sagte, wie sie dem mehr und mehr nachdenken wolle. Sie offenbarte nun der Freundin alles, was ihr Herz bedrückte, dankte ihr für alles, was sie an Elli getan, und bat sie, ihrer fürbittend zu gedenken.

Dann nahm sie die weißen, schmalen Hände Elfriedens in die ihren und betrachtete sie lange. »Was ist aus den runden Händen, den kräftigen Armen geworden,« fragte sie seufzend.

»Weißt du noch, wie ich meine Kraft an dir erprobte,« sagte Elfriede lächelnd, »wie ich dich mit diesen meinen Armen in die Höhe hob und mich meiner Stärke rühmte. Jetzt,« fügte sie ernst hinzu, »rühme ich mich meiner Schwachheit.«

Und doch erprobte Elfriede wieder ihre Kräfte an Elise. Es waren andere Kräfte, womit sie die arme, gebeugte Freundin in die Höhe hob. Durch die Kraft des Glaubens vermochte sie sie aufzurichten, sie emporzuheben über den irdischen Staub zum himmlischen Frieden.

Elise nahm einen tiefen, bleibenden Eindruck mit von dem Krankenbett ihrer Freundin. Sie ging mit Mut und Vertrauen der Zukunft entgegen. Sie wollte tapfer kämpfen mit den Entbehrungen und Nöten des Lebens.


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