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8. Die wunderliche Tante

Nach drei Jahren finden wir Frau Braun noch in derselben Wohnung. Ein Tag nach dem andern ist vergangen in der eben erzählten Weise. Elise spielt nach außen hin die vornehme Dame, obwohl sie weiß, daß es eines Tages ein Ende haben wird, denn schon seit längerer Zeit zehrt sie von dem Kapital, das, hätte sie die Zinsen in Einfachheit und Sparsamkeit verbraucht, auf Lebenszeit ein gesichertes, wenn auch geringes Einkommen gewährt haben würde.

Sie wollte sich nicht einschränken, wollte in den Augen der Welt immer noch für die reiche Frau Braun gelten, die sie längst nicht mehr war. Elli war ein schönes, stattliches Mädchen geworden zur Freude der Mutter, welche hoffte, durch eine reiche Heirat der Tochter selbst wieder zu Ehren und Ansehen zu kommen. Elise war eifrig bemüht, sich in Familien einzuführen, wo es Reichtum und heiratsfähige Söhne gab. Nur schade, daß Elli an Geselligkeit und öffentlichen Vergnügungen so wenig Gefallen zu haben schien. Sie war von Natur fröhlich veranlagt, aber durch das Leben mit der unzufriedenen Mutter war sie über ihre Jahre ernst geworden.

Sie saß auch heute, den Kopf sorgenschwer aufs Fenster gestützt. Die Mutter wollte sie zu einem Vergnügen zwingen, das wieder sehr viel Geld kosten würde und ihr im Grunde keine Freude machte. Sie kam mit jungen Mädchen zusammen, die nur von Kleidern und Bällen und von jungen Herren sprachen, und hinterher, das wußte sie, fühlte sie sich unbefriedigt und leer.

Haushaltungssorgen drückten auch. Die grobe Köchin hatte längst das Haus verlassen, an ihre Stelle waren verschiedene andere getreten. Augenblicklich hatte sie ein kleines, eben erst eingesegnetes Mädchen, das sich bei geschickter Anleitung zu einem guten Mädchen hätte heranbilden lassen. Da die Herrschaft selbst nichts verstand, wußte sich Lina auch nicht zu helfen.

Wie gern hätte Elli die Küche übernommen. Doch ein Versuch, der trübselig genug ausgefallen war, hatte ihr von seiten der Mutter nur Vorwürfe eingebracht. So ließ sie die Dinge gehen, wie sie gingen, und die Mahnung Tante Elfriedens: »Übt Zucht an euch selbst,« die anfangs wie eine laute Glocke an ihr Herz geschlagen, tönte immer schwächer und schwächer und drohte ganz zu verklingen. Wenn junge Mädchen nicht eine Hand über sich fühlen, die sie mit Weisheit und Liebe lenkt, wenn sie unter keinem erziehlichen Einfluß stehen, sondern immer nur die Schwächen derjenigen, die Gott ihnen als nächste Erzieherin gegeben hat, fühlen, wenn sie nicht hinauf, sondern herab sehen zur Mutter, dann verkümmern die edlen Triebe langsam und wilde Schößlinge sprießen auf, die das Gute ganz zu ersticken drohen. Elli wollte gern das Rechte tun, fand aber nirgends einen klaren Wegweiser. Könnte sie noch wie sonst zu Doktors eilen, sich dort Rats erholen! Könnte sie nur einmal noch mit Anna ins weiße Häuschen zur Tante!

Burgs wohnten schon lange nicht mehr im Hause. Der Doktor war einem Ruf ins Ausland gefolgt. Unter großem Schmerz war die Trennung der beiden Freundinnen vor sich gegangen. Elli konnte nur dann und wann in einem Brief gegen die geliebte Freundin ihr Herz ausschütten.

Heute war sie, wie gesagt, besonders trübe gestimmt. Der Himmel war grau mit Wolken verhangen. Schon den ganzen Tag strömte der Regen unaufhörlich. Elli stand jetzt am Fenster und schaute auf die Straße. Sollte denn gar nicht einmal etwas Außergewöhnliches kommen, das das ewige Einerlei der Gedanken zerstreute.

Und es kam. Eine Droschke rasselte heran und hielt vor ihrem Hause. Der Droschkenkutscher stieg vom Bock, öffnete den Kutschenschlag und entnahm der Droschke wunderliche Gegenstände. Da wurde erst ein altes Vogelbauer sichtbar, dann kamen verschiedene zinnerne Krüge und Kannen zum Vorschein, dann einige Kasten und Schachteln. Endlich erschien der Kopf einer alten Dame, der, mit einem riesigen Hut versehen, von grauen Locken eingerahmt war.

»Kommt denn niemand,« schrie sie so laut sie vermochte. »Elise, so komm doch und hilf deiner alten Tante aus dem Wagen.«

Nur mit kleinstädtischen Verhältnissen vertraut, konnte sie sich nicht denken, daß die Insassen eines großen mehrstöckigen Hauses nicht alle an die Haustür stürzten, wenn eine Droschke hielt. Zufällig hatte Elli am Fenster gestanden und rief: »Mama, kennst du die alte Dame, die dort mit Sack und Pack aussteigt?«

»O Elli! die Tante selbst,« sagte Elise erschrocken. Sie befahl Lina, schnell zu gehen und der Tante zu helfen. Doch bevor das kleine Ding sich die Küchenschürze abgebunden und die Haare vor dem kleinen Handspiegel glatt gemacht hatte, war Elli die Treppen hinabgesprungen und an die Haustür geeilt.

»Ein glänzender Empfang,« sagte die alte Dame spöttisch. »Wer ist denn das, der da so ratlos an der Haustür steht. Zugegriffen, Mädchen! Siehst du nicht, daß der Kutscher mir meine schönen, teuer erworbenen Gegenstände alle in den Schmutz fallen läßt.« Elli nahm, was sie tragen konnte, und jetzt kam auch Lina, die mit ihren kräftigen Armen zugriff. Hinterher watschelte und keuchte die alte Dame, bis endlich alle glücklich oben waren.

»Nun, Elise,« sagte sie, als Frau Braun oben an der Treppe stand, sie zu bewillkommnen, »wohl immer noch die vornehme Dame, die weder Hand noch Fuß regt. Mein Kind, dir muß es noch anders kommen, eh' du klug wirst.«

Es zuckte in Elisens Gesicht, doch bezwang sie sich und sagte: »Herzlich willkommen, Tante!«

»Ja, herzlich willkommen, wenn ich Geld bringe, das glaube ich schon. O die steilen Treppen, ich habe keinen Atem mehr, schnell einen Stuhl.«

Elise führte die alte Dame durch die offene Tür in das beste Zimmer, wo selbige ganz erschöpft in einen Lehnstuhl sank und ausrief: »die Reise ist mein Tod!«

»Aber du konntest mir ja schreiben,« sagte Elise schüchtern, »brauchtest nicht selbst zu kommen.«

»Oho, so sind wir nicht. Wenn ich Geld geben soll, so prüfe ich erst selber.«

Elise mußte wohl mit dem Besuch der Tante zufrieden sein. Sie kam, ihrem Mangel abzuhelfen. Elise hatte sie, die Schwester ihrer verstorbenen Mutter, stets vernachlässigt. Seit sie aber in Erfahrung gebracht, daß die alte Dame von einem entfernten Verwandten eine bedeutende Erbschaft gemacht hatte, versuchte sie wieder mit ihr anzuknüpfen. Die Alte, die es für reine Zuneigung gehalten hatte, war auf die Briefe freundlich und verwandtschaftlich eingegangen. Nun hatte Elise im letzten Brief um eine Summe Geldes gebeten, das Leben in der Großstadt sei teuer, die erwachsene Tochter koste viel usw. Die Tante, welche Elise von früher her kannte, hatte sich aus verschiedenen Gründen selbst aufgemacht, um das Bewußte zu bringen.

»Das ist also die Tochter,« sagte sie, nachdem sie sich ein wenig erholt hatte. »Ein hübsches Mädchen. Ist sie auch gut erzogen? Elise, he?«

Elise sagte verlegen, sie dächte doch, und die alte Dame meinte, das würde sich ja zeigen. Einstweilen sollte Elli ihre Sachen wohl verwahren. Es seien alte Seltenheiten, die sie sich für schweres Geld erstanden habe. Sie gäbe nichts für ihr Vergnügen aus, dies sei einmal ihre Liebhaberei. Es gäbe Leute genug, die sich nichts daraus machten, die den Besitz solcher Altertümlichkeiten nicht so hoch schätzen als das Geld, das sie nötiger gebrauchten. Während dieser Rede gingen ihre Augen immer im Kreise herum, ob sie nicht etwas erspähten, was sie sich aneignen könne.

»Vornehm genug wohnst du,« meinte sie dann. »Für eine Witwe in deinen Verhältnissen genügte eine ganz kleine, bescheidene Wohnung.« Wieder sah sie sie prüfend an, so daß Elise errötete.

»Nun, Kleine,« sagte sie auf einmal in wohlwollendem Ton und wandte sich zu Elli, »besorge mir ein kräftiges Abendbrot. Ich bin abgespannt und hungrig von der Reise. Am liebsten wäre mir etwas Warmes, vielleicht etwas Gebratenes.«

Elli eilte hinaus. Sie war froh, eine Weile den beobachtenden Blicken der Tante entgehen zu können, und beriet mit Lina, wie ein gutes Abendbrot am besten zu bewerkstelligen sei.

Lina hatte einen anschlägigen Kopf. Sie wußte wohl, daß sie beide nichts ordentliches zustande bringen würden, meinte daher, gegenüber sei ein guter Gasthof, wo man zu jeder Tageszeit Gebratenes bekomme, sie wolle hinübergehen und dort holen.

Elli war sichtlich erleichtert über diesen Ausweg. Es währte nicht lange, so war der Tisch gedeckt und das Fleisch wurde aufgetragen. Den prüfenden Blicken der alten Dame entging nichts.

»Schon fertig? das ist schnell gegangen,« sagte sie. Elli wurde rot, denn erst nun fiel es ihr ein, daß die alte Dame glaubte, sie habe es selber zubereitet.

»Das schmeckt,« bemerkte dieselbe wohlgefällig, »es ist gut gebraten und vortrefflich zubereitet. Wo hast du kochen gelernt?«

Elli stand ganz zerknirscht da. »Tante,« fuhr sie auf einmal heraus, »ich habe es nicht selber gemacht, Lina hat es aus dem Gasthof geholt.«

»Sieh, das ist ja nett. Wenn ich aus dem Gasthof speisen will, dann miete ich mich dort gleich ein, wenn ich aber zu Verwandten komme, kann ich wohl erwarten, daß mir Hausmannskost vorgesetzt wird. Doch, du hast mir die Wahrheit gesagt, das ist mir lieb. Mit wahrhaftigen Menschen geh' ich gern um, aus denen läßt sich etwas machen. Wie alt bist du?«

»Neunzehn Jahre.«

»Ein Alter, von dem sich schon etwas erwarten läßt. Doch du siehst mir nicht aus, als ob sich von dir viel erwarten ließe. Die Zeit wird's lehren. Elise, ich möchte den Abend mit dir zu einer Unterredung unter vier Augen benützen.«

»Elli kann auf ihr Zimmer gehen,« sagte Frau Braun gedrückt.

Elli verlebte einen einsamen Abend in ihrem Stübchen und war doch im höchsten Grade aufgeregt. Sie hörte den Sturm und Regen an ihr Fenster schlagen. Dazwischen tönte die laute Stimme der Tante, die sehr ärgerlich schien. Es mußten Geldangelegenheiten besprochen werden. Sie hörte einmal, wie die Tante rief: »Gekündigt wird die Wohnung zu Michaelis auf jeden Fall, dabei bleibt es.« Dann hörte sie wieder ihren Namen. Was mochte nur die Tante mit ihr wollen? Vielleicht etwas Außergewöhnliches. Daß mit der Tante eine Änderung ihrer Lebensverhältnisse gekommen sei, ahnte sie. Unter Zweifel und Bangen, unter Vorahnung seltsamer Dinge, die sie erleben würde, legte sie sich schlafen.


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