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In einer Gesellschaft, die Michael mit Verena und Mario um diese Zeit besuchte, sagte die Dame des Hauses zu ihm: »Sie ahnen nicht, welche Rolle Sie in unserer Mädchenwelt spielen, durch die Sie kühl, wie der schöne Joseph, hindurchgehen. Ich wette, daß für keinen Schauspieler, keinen Sänger oder Kapellmeister solche Flammen lodern wie für Sie, was um so erstaunlicher ist, als sie von Ihnen mit keinem Blicke genährt werden.«

»Das ist vielleicht gerade der Grund, warum sie brennen«, sagte Michael lachend. »Sehen Sie sich nur einmal freundlich unter der Schar um«, meinte die Dame, »so werden wir sehen, ob sie davon erlöschen oder desto feuriger erglühen.«

Michael hatte zuweilen einen bewundernden Blick aus jungen Augen aufgefangen, aber nicht weiter beachtet; er wußte, daß man ihn immer schön gefunden hatte und daß gerade die jungen Mädchen für Männer in höherem Alter zu schwärmen pflegen, auch war es nur natürlich, wenn sein Ernst und seine Gleichgültigkeit und was man von der Geschichte seiner Jugend erzählen mochte, ihn noch anziehender für ihre Phantasie machten. Da er sich nun doch einmal in der Gesellschaft unterhalten mußte, wendete er sich an ein paar Mädchen, die unter sich leise schwatzten, und knüpfte ein Gespräch mit ihnen an, worauf sie schüchtern, aber doch mit einer gewissen Gewandtheit und Munterkeit eingingen. Sie kamen ihm sehr kindisch und unbedeutend vor, und er wunderte sich, ob die Mädchen, die er als Jüngling reizend gefunden hatte, ebenso gewesen waren. Gleich darauf bemerkte er, etwas entfernt von den anderen sitzend, ein stattliches Mädchen, deren dunkle Augen ernst und warm auf ihm ruhten; sie schien älter als die übrigen zu sein und bedeutend reifer, und die großen stolzen Züge ihres Gesichtes unter vollem Haar sowie ihre sichere Haltung zogen ihn an. Sie lächelte, als er sich ihr näherte, als ob sie auf ihn gewartet hätte, und sprach so, daß er bald vergaß, wie fremd er sich kurz vorher in dem Kreise gefühlt hatte. Sie war, obwohl sie die Gesellschaft viel besuchte und als schönes, reiches und liebenswürdiges Mädchen umworben war, einsam darin, hatte aber nichts von dem unruhigen, zerrissenen Wesen derer an sich, die sich unverstanden und unbefriedigt fühlen, sondern schien auf einer starken Persönlichkeit im Gleichgewichte zu ruhen. Dennoch mochte sie gelitten haben und sah nicht schicksalslos aus; es war schon etwas Besonderes, wie die Zustände in der Stadt waren, daß sie, trotzdem sie sechsundzwanzig oder siebenundzwanzig Jahre alt sein mochte, noch nicht verheiratet war. Michael fühlte sich ihr so vertraut, daß er nicht zögerte, seine Verwunderung darüber auszusprechen, worauf sie nichts weiter sagte als: »Sehen Sie sich die Herren an!« und ihren lachenden Blick durch den Saal wandern ließ. Es war da eine Anzahl schön gewachsener, eleganter und hübscher junger Leute, doch sagte sich Michael, indem er sie mit dem Mädchen an seiner Seite verglich, daß es ihnen wohl an Gewicht fehlte, neben ihrer reinen Kraft zu bestehen. Es wäre ihm niemals eingefallen, sich mehr mit ihr zu beschäftigen, wenn sie ihm nicht wie einem Freunde, auf den sie ein Anrecht und zu dem sie Neigung hätte, selbstverständlich entgegengekommen wäre; so wie es gekommen war, empfand er ihre Nähe als beglückend. Sie war die einzige unter den anwesenden Frauen, die er sich ohne die gekünstelte Modekleidung in einer freien, wilden Tracht von wandernden Menschen der Steppe oder von den sagenhaften Bewohnern der Pfahldörfer im Wasser denken mochte. Indem er sich der kräftigen Wärme ihres Wesens, das sich ihm zuneigte, hingab, beseelte sich ihm allmählich die Umgebung; die Luft tönte und schwirrte, wie in silbernen Saiten, und die Gestalten der geschmückten Menschen wogten wie hübsche, fremde Erscheinungen an seinen angenehm gereizten Augen vorüber. Es war reizend, sie zu vermissen, während sie mit andern sprach, und reizend, zu wissen, daß sie ihn suchte, wenn er nicht bei ihr war; er fühlte, daß seine Augen nur die Beschwörung auszusprechen brauchten, damit sie sich zu ihm neigen und ihre schweren, roten, reifen Lippen auf seine pressen würde.

Sie hatte erwähnt, daß sie Musik liebte und selbst ausübte, und obwohl er seit langer Zeit kein Instrument berührt hatte, bedachte er sich doch keinen Augenblick, zu vereinbaren, daß sie zusammen musizieren wollten. Sie nannte die Musik, die sie vorzüglich liebte, und schlug einiges vor, was sie spielen könnten; aber er antwortete zerstreut, und es war ihm auf einmal lieb, daß sich Herren zu ihr gesellten und sie in einem allgemeinen Gespräche, das sich entspann, von ihm weggedrängt wurde.

Ihm erklang im Geiste ein Lied, das er gespielt hatte, als Rose ihm zuhörte; es war eine stolze Musik, und der Rhythmus seines Glückes und seiner Hoffnung hatte sie getragen. Er dachte, daß nicht die Posaunen und die Harfen der Engel es spielen könnten, wie er es damals spielte. Es war ihm unbegreiflich, wie er sich zu einem so unüberlegten Versprechen hatte verleiten lassen können, das er nicht imstande war, auszuführen; denn gerade mit einem schönen Mädchen, das ihm zugetan war und das ihm gefiel, hätte er weder dies noch irgend etwas anderes spielen mögen. Er war bereits völlig ernüchtert, und der Gedanke, daß sie ungeduldig war, die Herren loszuwerden, damit er sich ihr wieder nähern könnte, erfüllte ihn mit Unbehagen.

Er suchte Verena auf und fragte sie, ob sie Lust hätte, nach Hause zu gehen, worauf sie mit lächelnder Anspielung sagte, sie hätte geglaubt, daß er sich gerade heute so ausgezeichnet unterhalte. Das Mädchen habe ihm in der Tat sehr gut gefallen, sagte Michael ruhig, doch hindere das nicht, daß er jetzt müde sei. Mario, der auf einem kleinen Diwan neben einem niedlichen Mädchen gefunden wurde, sah ihn halb verwundert, halb listig an, als dächte er, sein Vater sei doch noch nicht zu alt, um jungen Mädchen nachzugehen, doch stände es ihm nicht übel. Michael beachtete weder das noch was Mario von den Erlebnissen des Abends behaglich plaudernd erzählte, so stark empfand er das Grauen vor dem törichten Rausch, von dem er sich hatte ergreifen lassen. Und er hatte einst aus dem Brunnen der Liebe getrunken! Was sollte der kümmerliche Nachklang in seinem Leben? Einst hatte er schlaflos am offenen Fenster gestanden und sich an nächtlichen Holunderdüften berauscht und einen geliebten Namen über mondenblaue Sommerwiesen gerufen. Einst war er Hand in Hand mit einer gegangen, und mit dem armen Wort, das sein Mund ihr flüsterte, hatte seine Seele ihr Hymnen gesungen, schöne, ewige, wie Wälder und Stürme und Meere sie rauschen. Er mußte daran denken, er wußte nicht, warum es ihm plötzlich einfiel, wie sie einmal bei Besichtigung einer Burgruine auf einer halb verschütteten Treppe standen und sich zusammen über eine schwindelnde Tiefe beugten, auf deren Grund ein schwarzes Wasser zu blinken schien; sie hingen lächelnd in einer seligen Minute zwischen Tod und Leben.

Am folgenden Tage dachte er über den Vorfall mit dem schönen Mädchen ruhig nach und fand, daß es das beste wäre, Verena zu bitten, sie möchte die Fremde einladen und sich auch an der Musik beteiligen, damit die Sache ohne Kränkung des Mädchens in ein harmloses Geleise gebracht würde. Verena griff den Vorschlag mit Genugtuung auf, da sie daraus sah, wie wenig ernst die Aufmerksamkeit, die ihr Mann dem Mädchen erwiesen hatte, zu nehmen war, und fand leicht eine liebenswürdige Wendung, um sich mit ihr in Verbindung zu setzen, die klug und gut genug war, Michaels Meinung herauszufühlen und darauf einzugehen.

Zu seinem Geburtstage, der in den Oktober fiel und den Verena feierlich mit Heranziehung vieler Bekannten zu begehen liebte, lud sie in diesem Jahre auch die neue Freundin ein, die sie andern gegenüber gern scherzweise Michaels Flamme nannte. Michael war gewöhnt, die Festlichkeit, an der er keine besondere Freude hatte, mit guter Miene über sich ergehen zu lassen; diesmal fühlte er sich, ohne daß ein besonderer Grund vorlag, zerstreut und dabei sehr wohl, so daß es ihm leicht fiel, liebenswürdig und gesellig zu sein, während sein Geist nur wie im Traume zugegen war. Es war ein sanfter, goldener, feuriger Tag; die Gäste hatten im Garten still und glücklich Herbstgerüche und Sonnenluft eingeatmet und wurden redselig, als sie zum Essen in die beleuchteten Zimmer kamen. Michael hörte das Schwärmen und Schwirren des fröhlichen Gespräches wie ein angenehmes Wogen, das ihn nichts anging, nur wenn Robert Hertzen, der ihm gegenübersaß, mit seiner tönenden und singenden Stimme überschwenglich erzählte, wurde er aufmerksam und stimmte hie und da ein. Robert befand sich in melancholischer Stimmung, was er aber in drolligster Weise äußerte, so daß niemand seine Klagen ernst nahm; er behauptete, zum ersten Male in seinem Leben Langweile verspürt zu haben, und knüpfte daran allerhand pathetische Betrachtungen. Am gestrigen Tage, erzählte er, sei er mit seiner Frau sowohl am Nachmittag wie am Abend ganz allein gewesen; kein Freund, kein leidiger Besucher wäre gekommen, es gäbe weder Tanten noch Vettern in der fremden Stadt noch in ihren Gemächern, wie man wüßte, schaukelnde Wiegen, Trompetenblasen und Trommelschlagen oder sonstiges Lärmen ungezogener Kinder. Da hätte er in einem Winkel eine lange und breite, graue und braune schemenhafte Person sitzen und die Daumen umeinanderrollen gesehen, und wie sich der Schrecken in seinem Gesichte malte, hätte Jolantha zärtlich gesagt: »Du hast Langeweile, und nun werden wir Karten legen.« Sie hatte nämlich, da sie durch lange Jahre eine lahme Großtante und ihren kränklichen Vater, einen Major außer Dienst, pflegte, die Kunst erlernt, sogenannte Patiencen zu legen, womit sie denn auch den vorigen Abend in anmutig spielender Weise hingebracht hätten.

»Wer hätte mir das gesagt«, rief er gerührt und leidenschaftlich, »als ich im ersten Kuß auf ihrer weißen Hand zerschmolz, daß sie mir dereinst würde Karten legen, um die rekelnde Langeweile aus den Winkeln zu vertreiben! Wer hätte mir das gesagt, als ich in Vollmondnächten unter halb offenen Fenstern Serenaden zur Mandoline sang! Wir werden alt, Michael, alt wie die gemeinen Butterweiber auf dem Markte, wie die strümpfestrickenden Schäfer in der Heide. Wir hocken über ledernen Folianten und rücken eine Brille auf der Nase und malen Schnörkel um unsere krummen Buchstaben. Wir haben den Beutel voll Geld und verabreichen der bettelnden Jugend Pfennige, damit sie sich im kreischenden Getümmel der Kirchweih lustig mache. Wir tragen unsere runden Bäuche auf schleichenden Beinen wie verdrossene Stubenfliegen und kleben einsame Haare mit wohlriechendem Fett über die Lichtungen unseres Kopfes – wir, wir, die das Haupt voll Sommerblumen hatten!«

Er lachte, indem er mit der schönen großen Hand seine dichten, flatternden und noch ganz ungebleichten Haare aus der Stirn strich, und wiederholte noch einmal langsam, als ob er in Gedanken suchte, wohin die angeführten Verse gehörten:

»Wir, die das Haupt voll Sommerblumen hatten!«

Er wurde still und sah vor sich hin; eine Erinnerung kam ihm an den blauen See im Abendrot, an einen gleitenden Kahn, worin er selbst mit der Mandoline stand und, vom Jugendrausche hingerissen, Verse weissagte wie ein Verzückter, an ein Mädchengesicht unter weißen Sternblumen, lachend und wehmutsvoll. Wie er den Kopf hob, um es Michael mitzuteilen und zu sagen: Und du, mit Zypressen bekränzt, saßest mir gegenüber wie heute – fiel ihm ein, daß Michael das Kramen in Jugenderinnerungen nicht liebte, und er verstummte erschrocken, die großen, wundernden Augen weit geöffnet. Nachdem man sich von der Tafel erhoben hatte, zog er Michael in eine Ecke und fragte ängstlich, ob er ihn durch die zufällige Erwähnung jener törichten Verse geärgert habe; allein Michael faßte ihn, statt zu antworten, bei den Schultern und küßte ihn, was von ihm etwas so Außerordentliches war, daß Robert ihm noch eine Weile sprachlos nachsah, als er sich bereits wieder unter die übrigen Gäste gemischt hatte.

Nach zehn Uhr verabschiedete sich die Gesellschaft, und im Hause wurde bald alles still; Michael suchte sein Schlafzimmer auf, doch war er zu wenig schläfrig und so wundervoll bewegt, daß er sich nicht niederlegen konnte, sondern hinunter in den Garten ging. Der Mond stand über den Pappeln; wie ein widergespiegeltes Bild hing der Garten ohne Laut und Bewegung in einem durchsichtigen, wellenlosen See aus Mondschein. Auf der Freitreppe blieb er stehen und dachte an Rose, wie sie, jung, im schwarzen Kleide, an dieser Stelle gestanden und gebetet hatte. Zum ersten Male gab er sich dem Gedanken an sie hin, ohne zurückzuhalten, ohne mit seinem Herzen zu geizen; denn sie war wiedergekommen, um immer bei ihm zu bleiben, er wollte sie nicht mehr fliehen und nicht mehr fürchten. Er ging schnell durch das warme Schweigen des Gartens bis zu der Laube, wo er sich allein und abgeschlossen fühlte, als wartete er wirklich auf den huschenden Schritt eines Liebchens. Noch vor einer Stunde hatte er nicht gewußt, daß es dies war, was er vorhatte, was unruhevoll in ihm drängte, hinabzusteigen in die Unterwelt seiner Seele, in das schöne Zauberland, wo sie war und auf ihn wartete. Ja, da war sie, die einzige, die Geliebte, mit den stillen Mienen, die sagten, daß sie niemandem etwas nehmen, niemandem mehr Leid antun wollten. Da war sie, getragen von Purpurgewölk, goldüberflutet, himmlisch ernst wie eine Selige. Da war sie, so wie einst und doch so anders, daß er unwillkürlich die Hände faltete und die Stirne neigte. Du bist da, flüsterte er, du bist es. Sage mir, daß du mich liebst, sag es mir mit deinen Götteraugen und laß mich in dir ruhen, wie du in mir ruhst. Er sagte Worte, deren Sinn er nicht verstand und in denen er noch seine Sehnsucht und seine Ahnung strömen fühlte. Wo warst du denn? fragte er; und warum kommst du jetzt, als wärest du gestorben? Ach, du warst immer bei mir, ich hatte dich und wußte es nicht. Deine Hand streckte sich aus nach mir, deine Stimme rief mich und drang niemals durch die schwere Erde, die sich über dein teures Haupt gewälzt hatte. Nur im Traume vielleicht überhauchte dein Mund mich mit geheimnisvollem Segen und gab mir flüsternde Kunde von deiner Nähe.

Er hatte keine Begierde, sie, die ihm so nahe war, zu umfassen oder zu küssen; er fand es gut so, nur ihre Gegenwart zu fühlen. Zwar wußte er, daß er sie bei der Hand nehmen und mit ihr in eine Unendlichkeit voll Glut und Milde hineinwandern könnte; aber zugleich fürchtete er, sowie er die Augen von ihm wendete, möchte das Bild verschwinden. Indem er das dachte, zerfloß es auch, und er kam wie nach einer seltsamen Betäubung wieder zu sich. Er hob den Kopf und sah in den schimmernden Garten, schaudernd, weil es ihm plötzlich kühl vorkam. Was war mit ihm vorgegangen, daß er das bläulich bleiche Licht grau sah und daß ihm auf den weißen Gartenwegen eine unerträgliche Verlassenheit zu liegen schien? Sich besinnend, sagte er sich, daß es nichts weiter war, als daß er den Garten der Erinnerung betreten hatte, über dessen hohe Mauern früher wohl einmal ein bunter Sammetfalter zu ihm geflogen oder das starke Gedüft einer Nachtviole zu ihm verweht war. Ein Kirchhof war in seinem Innern, ein Auferstehungsacker, wo die entblätterte Blume jeden Tages, wo jede vergangene Gestalt, die sein Auge beseligt hatte, begraben lag.

Nun aber, wie er das Wunder benannt hatte, das wie eine große Offenbarung über ihn gekommen war, entzückte es ihn nicht mehr, sondern erschreckte ihn. Sollte denn das nun seine Heimat sein, das Schattengefilde, das Geisterreich? Ach, das duftige Land war weit, weit von dem ungeheuren, brennenden Herzen der Erde, die ihn trug und mit stiller Majestät durch Sonnen und Sterne rollte. Er streckte die Arme aus und rang die Hände; da sind die grünen, feurig grünen Wiesen nicht, über denen die Bienen summen und das blaue Blitzen der Sense zuckt, in denen die kleinen Kinder mit nackten Füßen springen und Blumen raufen. Da sind die donnernden Berge nicht, von denen Frühlingswasser stürzen und Tannen entwurzeln, da rinnt der Blutbrunnen nicht durch ewig bewegte Herzen, die in Torheit und Verlangen und Sehnsucht und hoffnungslosen Leidenschaften zittern.

Er stand auf und trat aus der Laube in den Garten, wo er durch die halb entlaubten Pappeln breite weiße Flächen seines Hauses schimmern sah. Der wilde, besinnungslose Drang ins Leben, der ihn eben angefaßt hatte, flutete langsam zurück: das Schönste von allem Schönen, das wußte er ja, der Schmelz der Freude, das Innigste der Liebe war nicht draußen, sondern ewig in seiner eigenen Seele. Hinunter, hinunter in das Reich der Wiederkehr! Wo Traum und Sehnsucht in himmlischer Gestaltung wandeln, wo aus schwärmerischer Farbenglut und Gesängen voll Heimweh das Verlorene taucht, das unsere Augen benetzen.

Dort, dachte er, nicht unter den Weiden und Rosen, die der Totengräber pflegte, müßte auch sein Vater liegen; nicht sein verwesendes Gebein, sondern er selbst, lebendig, mit dem treuen, schweren Blick, mit dem großen, traurigen, guten Munde. Sein Herz schlug laut; etwas war vorgegangen, was anders war, als wenn er sonst an seinen Vater dachte; er hatte ihn gefühlt, wie wenn sein Atem ihn gestreift hätte, er hatte seine Lebendigkeit mit Angst und Wonne empfunden, wenn es auch nur wie ein am dunklen Horizonte hinzuckendes Wetterleuchten gewesen war, das man, indem es verschwindet, einer Täuschung des Auges zuschreiben mag.

Eine plötzliche Klarheit erfüllte seinen Kopf, in der ihm Dinge einfach und enträtselt schienen, denen er sonst auf ganz anderen Wegen nachgegrübelt oder die er für unlösbar gehalten hatte. Brandend hob eine starke Welle seine Seele empor, daß ihm schwindelte vor Machtgefühl und unbändiger Seligkeit. Ich kann Tote erwecken, rief es in ihm, ich habe Leben für das Erstorbene, ich habe Feuer für das Erloschene. Ich habe Klänge in mir, die wie Posaunen über Gräber rufen und große Psalmen in die Nacht singen.

In seiner Jugend hatte er oft die Künstler beneidet, die schaffen können, weil er in ihnen eine Lebensgewißheit vermutete, die er auch in seinen glücklichsten Augenblicken nie zur vollen Genüge empfunden hatte. Auf einmal nun fühlte er sich von einer sicheren Glutkraft erfüllt, die ihn ergriff und erschütterte, zugleich aber ihn mit einem Ruhehimmel umgab. Gott selbst war ihm nichts Fremdes und Leeres mehr; denn das Bewußtsein, daß etwas Vergängliches in ihm Dauer gewinnen könnte, eröffnete in ihm den Gedanken, daß er selbst in einem allmächtigen, allumfassenden Herzen lebte, das unendlich mehr Kraft, Liebe, Erbarmen und Heiligung hätte als er selber.

Er lächelte über sich selbst, sein Leben und seine Schmerzen. In diese schwebenden Gärten hatte er gesät, auf diese Keime waren seine Tränen gefallen. Wie hatte es ihn als Kind mit wundervoller Ahnung gerührt, wenn er von fernen, duftenden Inseln, von vermauerten Paradiesen, von unentdeckten Ländern las! Dann war er durch Wüsten und Klippen, durch Blütenwälder und reißende Ströme gestürmt, bis endlich ein göttlicher Fährmann den Irrenden an das ewige Gestade gefahren hatte. Noch war er dort nicht heimisch: es war ihm, als er ungeduldig seinen Vater suchte, als wiche die blasse Erscheinung vor ihm tiefer in die purpurne Nacht, als verlöre er sich in labyrinthischen Gängen, flüchtig vor seiner Liebe, die er ersehnte, wie ein unseliger Geist nach Erlösung rufend und doch sich ihr entziehend. Aber darüber schwand ihm das Bewußtsein nicht, daß der geliebte Mann da wäre, daß er ihn hätte irgendwo in den Schluchten seiner Seele, daß es nur an ihm selbst läge, sich ihn immer mehr zu eigen zu machen.

Jetzt indessen verspürte er eine Müdigkeit, die er nicht abzuschütteln vermocht hätte. Es war Mitternacht vorüber und empfindlich kalt geworden. Er ging in sein Zimmer, und sowie er sich aufs Bett geworfen hatte, fiel er in einen bewegungslosen, traumlosen Schlaf. Als er am andern Morgen aufwachte, hatte er die seltsame Erschütterung der Nacht nicht vergessen, noch kam sie ihm wie Spiele angeregter Phantasie vor, die man bei Tage belächelt, sondern gerade weil ihm Seelenräusche und die Krämpfe überreizter Nerven im allgemeinen fremd waren, behielt er das, was ihm in sich begegnet war, wenn er es auch nicht immer gegenwärtig fühlte, als ein wundervolles und entscheidendes Erlebnis.

*

Mario faßte den Entschluß, Kunstgeschichte zu studieren, und verschwur sich, ihn ernstlich durchzuführen; er behauptete, ein wahres Interesse dafür zu haben, und glaubte, wenn er gehörige Kenntnisse erworben hätte, sie gerade in Italien gut verwerten zu können. Sein Vater söhnte sich mit seinen Zukunftsplänen so völlig aus, daß künftig seine Sorge nur war, er möchte sie wieder umwerfen oder nicht ausführen. Die Beschäftigung mit der Kunst, dachte er, könnte Mario vielleicht werter werden und mehr geistigen Gewinn eintragen, als er selbst jetzt dächte; daß für seine materiellen Bedürfnisse in der Hauptsache er aufkommen müßte, damit hatte er sich bereits abgefunden, ja er tat es gerne. Ließ sich Mario etwa in Genua nieder, wohin er infolge der Geschäftsverbindung sowieso von Zeit zu Zeit reisen mußte, so schien dadurch die Trennung auf ein Unerhebliches zurückgeführt; jedenfalls wollte er sich freuen, seinen Sohn in dem Lande zu wissen, wo er vor Jahren selbst einmal, freilich in anderer Weise, glücklich zu sein gehofft hatte.

Dagegen führte im Verlaufe des Winters der unzuverlässige Charakter des jungen Raphael neuerdings bedenkliche Unannehmlichkeiten herbei. Seine Verehrung Verenas ließ nach, als der Glanz von Bildung, geschmackvoller Pracht und feiner Geselligkeit, was er unter ihrer Leitung kennengelernt hatte, ihm etwas Alltägliches geworden war, und sowie kein stärkerer Reiz ihn ablenkte, nahm er seine früheren Lebensgewohnheiten, namentlich seine Liebschaft, wieder auf und ließ sich nur noch selten an Verenas Teetisch blicken. Gleichzeitig waren die Folgen seiner verhängnisvollen Liederlichkeit wieder im Geschäfte zu spüren; je älter aber Raphael wurde, desto weniger war es möglich, ihm Dinge hingehen zu lassen, die keiner der anderen Angestellten sich hätte erlauben dürfen.

Michael, dem es ein Lieblingsgedanke geworden war, daß Raphael einmal sein Teilhaber und nach seinem Tode sein Nachfolger würde, erwog, ob er nicht alle solche Pläne zunächst hintansetzen und den unverbesserlichen jungen Menschen nach Amerika schicken sollte, damit er sich unter harten Verhältnissen und Kämpfen durchränge und seine guten Anlagen stählte oder zugrunde ginge. Raphael war, als Michael ihm seine Vergehen vorgehalten hatte, mit allem einverstanden und unterwürfig. »Ihre Güte und Mühe«, sagte er unter Tränen, »sind an mir verschleudert, denn ich habe das Blut und das Schicksal meines unglücklichen Vaters in meinem Blute. Es fehlt mir nicht an Einsicht meiner Fehler und nicht an gutem Willen, mich zu bessern, aber Kraft habe ich nicht, und niemand kann sie mir geben. Wenn Sie heute Nachsicht mit mir haben, werde ich in einem halben Jahre, meinen heißesten Vorsätzen zum Trotze, dasselbe oder noch etwas Schlimmeres getan haben, und ich werde allmählich im Moraste einsinken, während mich drüben wohl die erste Welle auf einmal verschlänge. Nicht einmal zu bedauern bin ich, denn was mir auch Gutes und Glückliches im Leben widerführe, es würde mir zu Gift werden, sowie es mich berührte, weil mein eigenes Blut ohne meine Schuld vergiftet ist.«

So widerwärtig dies weichliche Gehenlassen Michael auch war und so peinlich ihn der Anblick des bleichen, verschwärmten jungen Gesichtes, wenn gerade ein Zeitraum der Ausschweifungen war, berührte, hatte er ihn doch liebgewonnen; wenigstens liebte er das, was an ihm gut und schön war, hatte sich gewöhnt, es ängstlich zu bewachen, und schreckte davor zurück, es aufzugeben und im Schlamm seiner Schwäche und schlechten Neigungen untergehen zu lassen. Dazu kam, daß die kleine Malve mit wärmster Liebe an Raphael hing, stets für ihn bat und ernstlich darunter gelitten haben würde, wenn Michael ihn entfernt und etwa gar ungewisser Zukunft preisgegeben hätte. Ihre Mutter hatte sich wieder verheiratet und, da Malve es selbst wünschte, gern eingewilligt, daß sie, zunächst bis sie erwachsen wäre, bei ihren Pflegeeltern bliebe; Raphael war der einzige, der ihr heimlich von ihrem unglücklichen Vater, den sie nicht gekannt hatte, sprach, mit dem sie sich durch die gemeinsame Zugehörigkeit zu dem armen Toten, den niemand beweinte, dessen Gedächtnis niemand hütete, heilig verschwistert fühlte. Während sie Mario mit Vorliebe seine Faulheit und Schwäche vorwarf, war sie unermüdlich, Raphael zu entschuldigen, der allerdings zeitweise Fleiß, Lernbegier und eine Begabung zeigte, die ihn, wenn Ausdauer dabeigewesen wäre, zu den größten Leistungen befähigt hätte. Auch begründete sie ihre unfolgerichtige Milde damit, daß Raphael keine so sorgsame Erziehung genossen hätte wie Mario, und überhaupt schon deshalb, weil er unglücklich sei, für die Fehler, die er beginge, weniger verantwortlich zu machen sei. Zum Teil aus Berechnung, um sich die Fürbitterin zu erhalten, aber zum großen Teil auch aus aufrichtiger Zuneigung hielt Raphael treu zu der kleinen Schwester, und selbst wenn er widerstandslos seinem ihr unverständlichen Treiben hingegeben war, vergaß er sie darüber nicht, sondern suchte sie auf und verriet überraschende Zartheit, wenn es galt, ihr Beweise seiner Liebe zu geben; nur daß er freilich den, den sie einzig verlangte, daß er sich zusammennähme und sich nichts mehr zuschulden kommen ließe, nicht brachte, ja nicht einmal bringen wollte.

So entschloß sich Michael, ihn doch im Geschäfte zu behalten und durch strenge Beaufsichtigung womöglich das Übel zu unterdrücken; wenn er es freilich auch für wahrscheinlich hielt, daß es gehen würde, wie Raphael selbst gesagt hätte; daß sich nach kürzerer oder längerer Zeit seine Ausschreitungen wiederholten, ebenso wie seine Zerknirschung und Verzweiflung und Michaels Verzeihen, bis er einmal die Geduld verlöre oder sich daran gewöhnt hätte.

Im Frühling überraschte Gabriel seinen Bruder durch die Mitteilung, daß er sich verlobt hätte und demnächst heiraten möchte, was bei seiner Absonderung vom weiblichen Geschlecht und besonders von jungen Mädchen, auf die er früher stolz gewesen war, wohl wundernehmen konnte. Noch dazu war die Erwählte ein eben erwachsenes Mädchen, das allerdings im Rufe außergewöhnlicher Bildung stand, wie denn verlautete, daß sie die Gespräche Platos übersetzt und in Verse gebracht und Hervorragendes über die griechischen Mysterien gedacht hätte. Michael dachte mit einem Seufzer, daß sie ein willkommener Zuwachs für Verenas literarische Abende sein würde, und drückte in freundlicher Weise seine Einwilligung aus; denn ohne diese hätte Gabriel, der ohne Stellung und Einkommen war, nicht heiraten können. Die Aussicht, daß er etwa eine Prüfung machen und seine ehemaligen Studien ausnützen könnte, war stillschweigend fallengelassen worden und das große Werk noch unvollendet; so wies ihm Michael ein für allemal einen Anteil am Geschäfte zu, mit dem er mit seiner Frau leben konnte. Außerdem handelte es sich darum, für die junge Wirtschaft im Hause Platz zu machen, das Gabriel nicht gern verlassen wollte, und es kam da das Stockwerk in Frage, wo das Arbeitszimmer des Vaters war, in welchem Michael, wenn er nicht im Geschäfte war, sich immer aufzuhalten pflegte. Unter der Vorstellung, dies Zimmer aufgeben zu müssen, litt er so, wie er nicht geglaubt hätte, wegen äußerer Dinge leiden zu können. Die einzige Möglichkeit, wie es sich hätte einrichten lassen, daß er das Zimmer nicht verlöre, war, daß Verena auf ihre großen Gesellschaftsräume verzichtete, welche Bitte auszusprechen er sich aber scheute. Die Erörterungen, die dabei unvermeidlich waren, hätten vielleicht dahin geführt, daß er das Haus umbauen und erweitern lassen müßte, was Verena schon lange im Sinne hatte, ihm aber durchaus zuwider war. Er ging erwägend und abmessend durch die Räume des oberen Stockwerkes und blieb, in Gedanken verloren, in einem Saale stehen, an dessen Wänden sich ein fortlaufender Diwan, nur von hohen Spiegeln unterbrochen, hinzog, und der übrigens bis auf den Flügel in einer Ecke leer war. Es war der Flügel, der seiner Mutter gehört hatte, vor dem sie gesessen und gespielt hatte, während Gabriel seinem Vater die Gedichte von Aristos vortrug –

Du stirbst, wie Blätter fallen,
Niemand wird an dich denken.

Er öffnete eines der Fenster, die nach dem Garten gingen, und ließ die sanfte, wohlriechende Luft herein, denn Veilchen und Tulpen blühten schon in Menge auf den Beeten. Die Sonne stand im Westen und war auf dieser Seite des Hauses nicht zu sehen; Michael hörte gedankenlos auf das weiche Rauschen der Bäume und allerlei verlorene Musik, die von der Stadt herüberkam. Es war niemand im Garten außer der kleinen Malve, die auf einer Stufe der Freitreppe zusammengekauert saß, so dicht unter ihm, daß er sie zuerst nicht bemerkt hatte. Sie hingegen hatte sein ungewöhnliches Erscheinen am Saalfenster sogleich bemerkt und fragte zaghaft, ob sie zu ihm hinaufkommen dürfe. Oben setzte sie sich in die Fensterbrüstung und legte beglückt ihren Arm um Michaels Schulter, da er es aus Besorgnis, sie könnte fallen, von ihr verlangte. Nur schüchtern wagte sie die Frage, ob ihm etwas fehle, da er sorgenvoll aussehe, worauf er ihr erzählte, daß Gabriel heiraten und mit seiner Frau in das Haus ziehen wollte, und daß er bedächte, wie das zu machen sei. Sie erriet, was ihn eigentlich dabei bekümmerte, und daß er Veränderungen in dem, was ihn an seine Eltern erinnerte, fürchtete; denn ihre aufmerksamen Kinderaugen hatten bemerkt, wie teuer ihm alle Gegenstände waren, die von seinem Vater herrührten, und sie hatte die Heilighaltung derselben von ihm übernommen. Sie fragte unwillig, ob denn Gabriel nicht in einem anderen Hause wohnen könne; doch als Michael entgegnete, daß es auch für ihn das Vaterhaus und ihm vielleicht ebenso ans Herz gewachsen wäre wie ihm selber, schwieg sie bescheiden, und sie sahen eine Weile still in den Garten hinunter.

Der zurückliegende, buschige Teil des Gartens stand in Abendglut, die Pappelallee und die Wiese dagegen waren in Schatten gesunken; in der Luft war lindes Säuseln, und die Wipfel der Pappeln bewegten sich langsam auf und nieder, so daß es wie leichter Wellenschlag gleichmäßig über die Bäume hinlief. Ihr sanftes Rauschen klang wie der träumerische Hauch der Frühlingshoffnung, wie ahnungsvolles Flüstern von verborgenen ewigen Dingen. »Papa«, fragte Malve, »was rauschen sie?« Sie hatte vor Jahren, als sie noch sehr klein war, dieselbe Frage gestellt, und Michael hatte geantwortet, jetzt wäre sie noch zu jung, aber einmal würde sie es verstehen – Worte, die ihre Phantasie unauslöschlich getroffen hatten. Sie staunte, was die Bäume so Erhabenes zu sagen haben könnten, das sie einst verstehen würde, und an Frühlings- und Sommerabenden und wenn die Herbststürme kamen, lag sie selig horchend im Bett und schlief mit dem Sinnen über die Bedeutung der herrlichen Gesänge ein.

Michael sah liebreich in ihr hübsches, kluges, reines Gesicht, das ihn inständig forschend anblickte, und sagte, indem er sachte ihr dunkles Haar streichelte: »Sie rauschen: o Leben, o Schönheit; o Leben, o Schönheit!« Malve hörte atemlos zu und wiederholte unhörbar mit den Lippen die Worte, die ihr an sich keineswegs neu oder fremd waren, die aber so, wie sie sie eben vernommen hatte, einen rätselhaften und wundervollen Sinn einzuschließen schienen. Sie beugte sich in den Garten und horchte und träumte; dann wieder sah sie Michael an, ihr schmales Gesicht war blaß geworden, und ihre Augen hatten sich erweitert und schimmerten. Michael legte mit Herzlichkeit den Arm um sie, weil die starke Bewegung in ihr etwas Rührendes für ihn hatte, und weil er sich bewußt wurde, wie sehr sie ihm allmählich und unmerklich ans Herz gewachsen war. Sie hatte ihm niemals Kummer irgendwelcher Art gemacht und war in scheuer, andächtiger Liebe an seiner Seite gewesen, die er nicht in solchem Maße um sie verdient zu haben glaubte. Jetzt war sie dreizehn Jahre alt und nach ihrem Äußern und Wesen, obwohl sie klug war und zuweilen ernster und gedankenvoller als sonst Mädchen ihres Alters, ein Kind. In ein paar Jahren schon würde sie vielleicht den schönen Kopf voll eitler Gedanken haben, ihr stürmisch hohes Wollen und Lieben vergessen und ihr herzliches Lächeln dem Manne schenken, der ihr die kühnste Huldigung darbrachte oder sie mit dem glänzendsten Putz behängte. Das focht ihn jetzt nicht an; er liebte das ernste, warme, stolze Kind, das sie war, und die mutige, opferwillige Frau, die sie werden wollte. Ja, jetzt träumte sie von verzehrenden Flammen, von heldenhaftem Ertragen, von überschwenglicher Erfüllung, wie es die geheimnisvolle Sprache der Bäume ihr verkündigte. Er wußte, wie voll ihr junges Herz war; einst hatte er auch in dem Rauschen die Sehnsucht und die Klage, das Schluchzen und Jauchzen und alle Verheißungen des Herzens gehört; jetzt hörte er die tränenlosen Weihgesänge.

Plötzlich fühlte er Malvens Arme an seinem Halse, die ihn fest umschlangen. »Du bist traurig«, flüsterte sie weinend und hatte augenscheinlich ihre Träumereien vergessen über der Trauer, die sie in seinem Gesichte zu lesen geglaubt hatte. Er küßte sie und sagte zärtlich: »Ich bin nicht traurig, ich habe ja dich«, worauf sie vor Glück hoch errötete und halb aus Verlegenheit, halb aus innerem Jubel von der Fensterbrüstung hinuntersprang und die Treppe hinunterlief; er sah sie in großen Sprüngen, daß ihre Locken tanzten, nun wieder ganz ein Kind, über die Wiese laufen und in der Tiefe des Gartens verschwinden, woher ihr helles Singen zu ihm heraufklang.

Er dachte: sie geht den Weg der Sehnsucht in das Tal der Träume und der Tränen. Er hingegen war erwacht; und wenn ihn auch der bange und süße Wahn des Lebens noch wie dünner Nebel umflorte und nur zuweilen zerriß und unsterbliche Gipfel entschleierte, ging er doch froh und in Zuversicht auf seiner Bahn wie einer, den unsichtbare Götter führen.

 


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