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Buchschmuck: Heinrich Vogeler

IV

Mein Haus in der Altstadt hatte den Namen Zum heiligen Antonius, weil über der Thür. die Figur dieses Heiligen angebracht war, wie man sagte, aus dem 12. Jahrhundert stammend. Es war aber nicht schwer zu erkennen, daß sie kaum zweihundert Jahre alt war und in der Zeit der Jesuitenkunst entstanden sein mochte: dafür sprach die übertriebene Andacht in Haltung und Gesichtsausdruck des Heiligen wie auch des Lammes, das sich an seine Füße schmiegte, und die gezierte Lieblichkeit des auf seinem rechten Arme sitzenden Jesuskindes; in der linken Hand hielt er eine langstengelige, süßlich geneigte Lilie. Immerhin war das Bild gerade durch die Verweichlichung des Ausdrucks für die kindliche Auffassung des Volkes ergreifend, und inmitten der bunten Blumen, die es fast immer über und über schmückten, wirkte es an der schwärzlichen Mauer nicht übel. Daß es an Blumen nie fehlte, dafür sorgte die allgemeine Vorliebe für diesen besonders gnadenreichen Heiligen, und vor allen war Riccardo darauf bedacht, ihn reichlich zu versorgen; seinetwegen, so sagte die Farfalla, hätte sie hauptsächlich dieses Haus bezogen, dessen Wahrzeichen ihm so lieb gewesen sei. Wer weiß, ob nicht der heilige Antonius uns Glück bringt, hatte sie gedacht, als Riccardo ihr keine Ruhe ließ, versuchen wir es mit ihm! Und so waren sie seit Jahren meine Mieter, ohne daß der Heilige das in ihn gesetzte Vertrauen gerechtfertigt hätte und ohne daß Riccardo die Geduld, ihn zu verpflegen, ausgegangen wäre. Den Grund, weshalb Riccardo den heiligen Antonius vorzüglich liebte, erzählte er mir selbst: weil er eher der Heilige der Tiere, als der Menschen gewesen war. »Während die Menschen nichts von ihm wissen wollten«, sagte er, »und ihn auslachten, liefen die Tiere ihm nach, nicht nur die Lämmer und Hunde und andere Haustiere, sondern auch die des Waldes: die klugen, geschwinden Füchse und die schlauen Hasen; sogar die kleinen Schlangen richteten sich auf und züngelten vor Vergnügen, und wenn er am Meer entlang ging, sammelten sich die Fische, raschelten mit ihren blanken Schuppen und öffneten ihre runden Mäuler, als ob seine Worte Brot wären; denn ihnen erzählte er die großen Gedanken seines Herzens, die die Menschen nicht verstanden.« Ebenso gern malte Riccardo aus, wie das Jesuskind, da es die überschwengliche Liebe des Heiligen sah, sich in seine Arme herabgelassen und dort geruht hatte. Er selbst liebte Kinder und Tiere über alles und sie nicht weniger ihn. »Es ist kein Kind in der Altstadt«, sagte die Farfalla, »das ihn nicht kennte und lieb hätte. Wenn er des Abends am Brunnen sitzt, die Harmonika spielt und singt: tanz' mit mir, tanz' mit mir, liebe, liebe Seele! dann klatschen sie in die Hände und springen um ihn herum und wollen nicht aufhören, daß oft die Eltern sie mit Gewalt ins Haus schleppen müssen, wenn es Nacht wird.«

Als ganz kleines Kind hatte er viel geweint und ihr mehr zu schaffen gemacht als alle anderen. Kaum hatte er aber angefangen, etwas zu verstehen, war es anders geworden; da hatte sie ihm einen schönen gelben Kanarienvogel gekauft und über dem Bette aufgehängt, was ihn mit einemmal von aller Unbehaglichkeit, die ihn quälen mochte, ablenkte. Er war nun damit zufrieden, unermüdlich dem Vogel zuzusehen, wie er von einer Stange auf die andere hüpfte, und sang mit seiner schwachen Stimme in das Wirbeln und Schmettern des kleinen Sängers hinein, so daß es wirklich den Anschein hatte, als unterhielten sie sich miteinander.

»Wir unterhielten uns auch«, sagte Riccardo, dessen Augen lebhafter zu glänzen anfingen; »ich kann mich nicht mehr besinnen wovon, aber ich weiß, daß ich ihn um viele Dinge befragte und daß er mir antwortete. Ich verstand auch alle seine Lieder und eines davon ist mir im Gedächtnis geblieben, das hieß:

Gold ist mein Gefieder,
Gold sind meine Lieder,
Golden, golden ist mein kleines Herz!

Und ich stellte mir sein Herz wie eine kleine Sonnenblume vor, und wenn er sang, sah ich sie mit ihren tausend gelben Blättern in seiner Brust zittern.«

Damals hatte Riccardo an Stubengenossen einen Oleanderbaum, der fast die Decke des Zimmers berührte, ein Rotkehlchen und eine Grille, die sich in von Carmelo verfertigten Käfigen aufhielten; eine Katze war kürzlich von Leuten in der Nachbarschaft, denen sie ein Würstchen gestohlen hatte, vergiftet worden. Dieser Katze hatte Riccardo das Leben gerettet, als ein Haufen Kinder sie zum Spaß an dem Brunnen vor dem Hause hatte aufhängen wollen; er war, wie die Farfalla sagte, um nicht zu spät zu kommen, so schnell mit seiner Krücke die steilen Treppen hinuntergestolpert, daß er sich leicht hätte zu Tode stürzen können. Er hatte dann das gerettete Kätzchen, welches winzig klein und erbärmlich mager war, mit aller Sorgfalt wie ein kleines Kind aufgefüttert, bis es allmählich rund, glatt und glänzend wurde; sie hatten in größter Vertraulichkeit und Kameradschaft mit einander gelebt, und die treue Katze war, als sie das Gift in sich wirken fühlte, mit Aufbietung ihrer letzten Kräfte zu ihm hingekrochen, um auf seinem Arm zu sterben.

Im Laufe der Zeit hatte ich Gelegenheit zu beobachten, daß Riccardo trotz seiner Herzenswärme, mit der er sich das Brot abgedarbt hätte, um einen hungrigen Spatzen oder ein armes Kind zu füttern, und trotz seiner kinderhaften Bescheidenheit unbedenklich die übertriebensten Ansprüche an seine Mutter stellte. Seine Kleidung war die allergeringste, und dies nahm er auch als selbstverständlich hin, vertrug aber keinen Flecken und vorzüglich keine eingesetzten Flicken aus anderem Stoff, was doch, da er jeden Anzug jahrelang tragen mußte, und die Stelle, die auf der Krücke ruhte, in kürzester Zeit durchgestoßen zu sein pflegte, durchaus nicht zu vermeiden war. Ebenso empfindlich war er mit dem Essen, an dem er immer etwas auszusetzen hatte, vielleicht auch deshalb, weil er zu schwach war, um irgend etwas gut zu vertragen. Auch über die Reinlichkeit im Zimmer dachte er sehr streng, die doch wegen der vielen Tiere, mit denen er sich beständig umgab, nur schwer durchzusetzen war. An seinen guten Tagen putzte, wusch und kochte er selbst, mit viel Geschick und guter Laune, an den schlimmen aber, die bei weitem häufiger kamen, erwartete er alles von der Allgegenwart und Allmacht seiner Mutter. Je nachdem sie gegenwärtig war oder nicht, war er ganz verschieden: sie brauchte nur das Zimmer zu betreten, so bekam sein Gesicht etwas kinderhaftes, ja es schien sich mehr zu runden, und in seinen Bewegungen, wenn er sich an sie lehnte, lag ein zufriedenes Geborgenheitsgefühl. Er mischte sich dann wenig ins Gespräch, sondern ließ sie reden und hörte ihr zu mit der Miene eines Kindes, das die Worte seiner Eltern als Orakel aufnimmt; war sie fort, so kam er häufig auf das, was sie gesagt hatte, zurück, um es zu ergänzen oder richtig zu stellen, und zeigte dabei Witz, Scharfblick und ein unbestechliches Urteil.

Auch Carmelo liebte Tiere und Kinder, nur daß er nicht, wie Riccardo, sich wie mit Brüdern und Freunden mit ihnen abzugeben wußte. Carmelo war mit dem Glückszahn auf die Welt gekommen, und die Farfalla erzählte mir, wie damals Aerzte, Professoren und vornehme Damen zu ihr gekommen waren, um das kleine, einem blanken Reiskörnchen ähnliche Wunder im Munde ihres Erstgeborenen zu sehen, und wie die Nachbarinnen ihr ein glänzendes Herrenschicksal für ihn geweissagt hatten. Lächelnd verglich sie, was sie damals gehofft hatte, mit dem was geworden war, setzte aber mit ihrem lebhaften Gerechtigkeitssinn hinzu, daß er wohl ein besseres Loos hätte haben können, wenn er sich mehr darum gekümmert hätte. Kräftig war er und auch keineswegs faul, aber er versäumte die Arbeit, um stundenlang über Land zu wandern oder ins offene Meer hinauszurudern, was ihm viel wichtiger als Geldverdienen schien. Dabei war er kein Träumer wie Riccardo, so daß es seiner Mutter schwer begreiflich war, wie er so viel Zeit mit Nichtsthun verbringen konnte. Immerhin sei er insofern glücklich, sagte sie, als er eine ausgesprochene Abneigung gegen die Frauen habe. Die derben, unbefangenen Mädchen aus der Triumphgasse, die sich um Riccardo scharten, wo sie ihn sahen, fühlten so deutlich, wie sie Carmelo zuwider waren, daß sie augenblicklich wie die Vögel aufflatterten und davonliefen, sowie er sich blicken ließ. Deshalb werde er wohl nicht heiraten, und das sei eben das Glück; für die reichen Leute wären die Kinder, von denen sie nie mehr als eins oder zwei hätten, ein hübsches Spielzeug, für die Armen aber, die wie Sand am Meere davon hätten, wären sie wie ein Schwarm Mücken, die den Eltern das Blut austränken.

Carmelo glich seiner Mutter und seinem Bruder nicht: seine Gestalt war stämmiger, sein Kopf dicker und sein Gesicht breiter; er war weder fein noch schön noch interessant, doch strahlten Kraft und Gesundheit wie etwas Wahrnehmbares, Warmes und Frisches von ihm aus. Seine ganze Erscheinung drückte kindliche Selbstgenügsamkeit aus, und wenn er den Glückszahn verloren hatte, so besaß er dafür Glücksaugen, die nicht groß oder schön waren, aber satt, immer vollgetrunken von schönen Dingen: Bäumen, Wiesen, Quellen, Fischen und Vögeln, die er um sich her sah. Er liebte es, im Freien zu sein, wo es so vieles gab, was angeschaut und nur durch Schauen genossen sein wollte; sprechen that er nicht viel, und auch zuhören war ihm nicht so wichtig wie betrachten.

Die Begrüßung, als ich ihn zum erstenmal sah, verlief denn auch von seiner Seite sehr schweigsam; schweigend stellte er ein Glas auf Riccardos Bett, in dem zwei kleine Laubfrösche eingesperrt saßen. Riccardo richtete sich hastig auf, sein blasses Gesicht rötete sich, und in seinen Augen entzündete die Freude langsam ein überirdisches Feuer, wie wenn sich nunmehr die Himmelspforte mit dem göttlichen Mysterium dahinter vor ihm aufgethan hätte; die grünen, unverwandt glotzenden Gesellen konnten glauben, dicht über ihnen wäre das Morgenrot aufgegangen. Mit seinen beiden mageren Händen umschloß er das Gefäß fest, als könnte den Fröschen dadurch seine Zärtlichkeit spürbar werden, und redete ihnen zu, wie gut sie es bei ihm haben sollten, daß er ihnen täglich zahllose Fliegen und frisches Grün geben würde, damit sie kein Heimweh bekämen. Er ließ sich von Carmelo erzählen, wie er sie gefangen hätte, und folgte der kurzen, aber genauen Beschreibung aufmerksam; dabei schien er gleichzeitig in sich selbst hineinzuhorchen, wo mit leisem Klang die Phantasie erwacht sein mochte.

Denn nun schilderte er auf einmal mit großer Lebhaftigkeit Plätze, wo er selbst nach Fröschen gesucht hätte, dann kam er auf eine Meerfahrt, die er vor Jahren einmal mit mehreren Freunden in einem Kahne unternommen hatte, um Fische zu fangen, und malte die Schiffe, die er gesehen hatte, die weißen und gelben und braunroten Segel, das Meergrün und die Bläue des Himmels, die Rosenröte der untergehenden Sonne und die süße Lauigkeit der Luft über dem verdunkelten Wasser mit einem so frischen Entzücken, daß dies für uns alltägliche Bild etwas fremdartig schönes erhielt, und ich den Eindruck bekam, als wäre dieser längst vergangene Abend der einzig wichtige, wunderbarste und glücklichste der ganzen Welt gewesen. Die Farfalla stimmte nun ein, erzählte von der Angst, die sie an jenem Tage um Riccardo ausgestanden, und von der Freude, die sie empfunden hatte, als sie nach Mitternacht von weit her das regelmäßige Klappern seiner Krücke gehört hätte; wie er dann, obwohl er den ganzen Tag über nicht mehr als einen Bissen Brot zu sich genommen hatte, vor Aufregung weder essen noch einschlafen konnte, bis gegen Morgen mit offenen Augen dalag und den einzigen kleinen Fisch, den er gefangen hatte, durchaus nicht aus der Hand lassen wollte.

Eine Bemerkung seiner Mutter, daß es vielleicht schwierig sein würde, die Laubfrösche immer mit frischem Grün zu versorgen, und man sie deshalb lieber freilassen sollte, regte ihn vollends auf; er zog das Glas dichter an sich und erklärte heftig, so lange er lebte, sollten sie bei ihm bleiben und seine Kameraden sein. »Und wenn du tot bist«, fuhr die Farfalla fort, »werde ich sie dir aufs Grab setzen, wo an Gras kein Mangel sein wird, da können sie dir die langen Frühlingsnächte mit ihrem Gesang verkürzen, den du so liebst.«

»Ja«, sagte Riccardo eifrig, »vor allem aber dürft ihr den Oleanderbaum nicht vergessen, in dem die Käfige mit meinen Vögeln und der Grille hängen können.« So würde sich vielleicht aus seinem Grabe der zoologische Garten entwickeln, sagte ich, den unsere Stadt schon lange zu besitzen wünschte, worüber alle herzlich lachten; mir selbst waren aber eigentlich diese Scherze mit seinem Tode, dessen stilles, stetes Näherschleichen er selbst so gut wie die andern sah, im höchsten Grade peinlich und zuwider. Erst allmählich begriff ich, daß neben der klarsten Erkenntnis seines Zustandes eine schwankende Dämmerung in seinem Geiste Raum hatte, wo er fabelhafte Lebensträume und Zukunftshoffnungen unterbrachte. Er hatte fast sein ganzes Leben im Spital zugebracht, einige Kinderjahre in einem schön am Meere gelegenen Hospiz, wo kranke Kinder verpflegt wurden und Seebäder nahmen. Um das Haus herum war ein unermeßlicher Garten gewesen, wo er unter blühenden Bäumen gesessen und auf das Meer geblickt hatte, wo freundliche Schwestern ab und zu gegangen waren und Milch und Wein gebracht hatten, und wo die weniger kranken Kinder, zu denen er freilich nicht gehörte, Verstecken, Haschen und Ballfangen spielten. Sich hieran häufig zu erinnern war ihm ein Bedürfnis, weil es ihm, so glaube ich, die Möglichkeit des Schönen in seinem Leben verbürgte und ihm das Recht gab zu sagen: ich war auch einmal glücklich und saß im Sonnenschein und freute mich.

Die Zukunftshoffnung gründete er auf die Harmonika, die er nach Angabe seiner Mutter meisterhaft zu spielen wußte; er wollte damit umhergehen, auf der Straße und in Wirtshäusern, bei Hochzeiten und Tanzgesellschaften aufspielen und auf diese Weise Geld verdienen. Es gehörte aber dazu, abgesehen davon, daß seine Schwäche es kaum je zugelassen hätte, eine polizeiliche Erlaubnis, die nur durch eine für die Farfalla unerschwingliche Summe zu erhalten war, so daß der Plan auf jede Weise mit dem Zauber der Unmöglichkeit ausgestattet war. Das erbärmliche Los eines herumziehenden Leierkastenmannes galt hier als etwas Beneidenswertes, als ein schwindelnder Gipfelpunkt, von wo aus Riccardo die Unendlichkeit zu überblicken wähnte. Ueberhaupt hätte er, um Geld zu verdienen, jede Gelegenheit ergriffen, obwohl er selbst, außer daß er sich gern reinlich und nett kleidete und mit Leidenschaft Zigaretten rauchte, bedürfnislos war. Aber mit der Harmonika auf dem Rücken in die weite Welt wandern, vielleicht sogar auf den großen, stürmenden Schiffen übers Meer zu fremden Erdteilen fahren und seiner Mutter Geld nach Hause schicken, damit sie in ihren Alterstagen ausruhen und denken könnte: Riccardo arbeitet für mich, das war das Höchste an Erdenglück, was er sich ausdenken konnte, an dessen Verwirklichung er nicht glaubte und wovon er doch immer träumte und sprach.

Er handhabte wirklich die Harmonika, obwohl ihn nie jemand darin unterwiesen hatte, mit Geschick und natürlicher musikalischer Begabung. Es war zu merken, daß er nach dem Gehör spielte, so wie er die Melodieen von den Vorübergehenden aufgefangen hatte oder wie die Frauen und Kinder, seine Freunde, sie ihm vorsangen, denn es kamen mancherlei Abweichungen und eigene Wendungen darin vor. Reizvoll war für mich besonders der Gesang, mit dem er sein Spiel begleitete, und daß er, was den Text betrifft, mit den Worten so verfuhr wie mit der Musik, nämlich was in seinem unerschöpflichen Gedächtnis hängen geblieben war, unbewußt es verändernd und ausschmückend wiedergab. Seine Stimme war außerordentlich rein und trug den Ton weit, wenn er auch sehr leise sang, und es war etwas darin, was das Herz unwiderstehlich rührte; es klang, als sänge ein einsames Kind aus der Traumwelt seiner Seele heraus und horchte sich selber zu, ohne sich zu begreifen.

Als er mir das erstemal vorspielte, ergriff mich solche Rührung, daß ich ans Fenster trat, um sie unbemerkt herunterzuschlucken, wobei mein Blick zufällig und ohne Bewußtsein an dem Triumphbogen hängen blieb, den man von da aus sehen konnte. Die Farfalla sagte, in der Meinung, ich hätte mich wirklich in dies Altertum vertieft, das sie oft von Fremden hatte bewundern sehen: »Die Heiden müssen mehr Glück gehabt haben als wir, daß sie solche Siegesthore bauten. Wir kämpfen mit dem Elend und das kriegt einen immer unter; aber dafür steht unser Triumphbogen im Himmel.« Das letzte hatte sie mit merklicher Ironie, wenn auch gutmütig lächelnd, hinzugefügt, und ich fand nicht gleich etwas zu entgegnen. Riccardo indessen legte die Harmonika aus der Hand und sagte langsam: »einen Triumphbogen kenne ich, der steht da, wo es in das Thal der Träume, hineingeht«; und die Farfalla bemerkte lachend dazu: »Leute wie du haben Zeit zu träumen, Carmelo und ich schlafen wie Steine, die Gott jeden Morgen neu erschaffen muß.«

Mir waren diese Worte Riccardos wie eine Offenbarung. Wanderst du vielleicht, dachte ich, indem ich ihn ansah, jede Nacht durch einen Garten des Lebens, leichten Schrittes, ohne Krücke, und blickst du deshalb so ruhig fremd auf unser Thränenthal? Hörst du dort die Lieder, mit denen du uns hier die Seele ergreifst? Es war mir, als sähe ich ihn unter dem überblühten Thor hindurchgehen und aus geneigten Blumenkelchen goldenen Tau auf ihn träufeln. Daher das unsterbliche Leuchten seiner Augen! Und es wollte mich etwas wie Neid gegen ihn erfassen. Was wäre mir geblieben, wenn man mir von meiner Habe und Gesundheit genommen hätte, bis ich arm und krank wie er gewesen wäre? Gram, Groll, Bitterkeit und Haß des Lebens. Er spannte Blütenkränze der Liebe über die grausame Erde aus, ja über sein eigenes Grab, die einzige Gabe aus mütterlichem Ueberfluß für ihren armen Sohn.


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