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10. Die Tänzerin und der Wahnsinnige

Eine Regenbö peitschte die weite, flache Bucht von Samsun und die Wogen des Schwarzen Meeres rollten mit breiten Rücken gegen den flachen Strand bis hart an die Mauern der alten Gebäude. Fast überfluteten sie die niedrigen Landungsstege, die als armseliger Behelf die fehlenden Hafenanlagen ersetzen mußten.

Der Wind pfiff in den engen Straßen und heulte in den zerfallenen Mauern der dichtgedrängten Lehm- und Holzhäuser, in den Ruinen abgebrannter Wohnstätten und rauschte in den spärlichen Bäumen der wenigen Gärten, die die reicheren, einzelstehenden Besitztümer umgaben.

Es war Abend. Doch die Dunkelheit lag schon schwarz und bedrückend über der im schmalen langen Halbkreis sich zu Füßen kahler Hügel, an der Bucht hinziehenden Stadt. Hier und da brannten an den Straßenkreuzungen helle Spiritus-Gaslicht-Lampen an hohen Masten. Im Sturm schwankten sie hin und her, so daß die Schatten, die sie warfen, in ängstlichen Sätzen von einer Straßenseite zur andern sprangen. In den von den Hügeln führenden Gassen stürzte das Wasser schmutzig und voller Unrat in die mit dem Ufer gleichlaufenden Straßen und überflutete die verstopften und zerfallenen Abzugskanäle. Das große finstere Viereck der Tabakniederlage lag wie eine drohende Burg inmitten niedriger Hütten und wüster Plätze und blickte nach Osten hin auf einen schmalen, langgestreckten, alten Friedhof, dessen Bäume sich unter der Gewalt des Windes ächzend bogen.

Die Hauptstraße, die den Friedhof der Länge nach in zwei Teile teilte, lag verlassen. Nur in dem nahen, am Meer gelegenen Regierungsgebäude brannte das elektrische Licht, flackernd und mit Unterbrechungen, je nachdem die schlecht gespannten Leitungsdrähte vom Winde hin und her gerissen sich berührten oder wieder frei wurden. In einem der ärmlichen Häuser, in einer dunklen Seitenstraße nahe dem Friedhofe, schimmerte Licht hinter halbblinden Fensterscheiben. Die Haustür war halb angelehnt, und vom Dach stürzte das Wasser plätschernd und sprühend auf die holprigen Steine, die als Pflaster dienten.

Der Raum hinter der Haustür wurde von einem im Luftzuge zitternden Kerzenlicht undeutlich erhellt, das hinter den zerbrochenen Scheiben einer verrosteten Laterne brannte, die in einer Ecke am Boden stand. Im Hintergrund führte eine ausgetretene Holztreppe nach oben. Neben ihr befand sich eine offen stehende Holztür. Wie ein dunkles Loch gähnte sie aus der schwarzen Finsternis, in der der Regen rauschte, und der Wind heulte. Aus dieser Dunkelheit trat plötzlich eine Gestalt, ein Mann. Einen Augenblick blieb er in der offenen Tür stehen und schüttelte sich, daß die Wassertropfen bis in das Innere des schmalen Vorraums spritzten. Dann nahm er die zerbrochene Laterne auf. Eine Seitentür öffnend, verschwand er in einem Nebenraum, wo er die Laterne auf den Boden stellte.

Nach einiger Zeit erschien er wieder mit einem Brett, auf dem sich einige Näpfe und Teller befanden. Langsam und vorsichtig stieg er die dunkle Treppe hinauf. Am oberen Ende brannte eine Lampe und beleuchtete schwach einen schmalen, langen, mit einem zerschlissenen Teppich bedeckten Gang, auf den sich eine Anzahl Türen öffnete.

Er blieb einen Augenblick lauschend stehen. Dann ging er den Gang hinab und klopfte an eine der Türen. Ein Riegel wurde zurückgeschoben, und die Tür öffnete sich, ein grelles Licht freigebend.

Eine Hand streckte sich ihm entgegen und nahm ihm das Brett mit den Speisen ab. Dann wurde die Tür wieder geschlossen, der Riegel vorgeschoben, und der Mann ging langsam zurück, die Treppe hinab und verschwand in dem Küchenraum.

Das Zimmer, das er eben bedient hatte, wurde von Ines Valera bewohnt. Sie war am gleichen Tage, frühmorgens mit dem italienischen Dampfer nach Batum aus Konstantinopel angekommen, begleitet von Tschilinghirian, um die Lichtbilder der griechischen Stellungspläne der türkischen Regierung in Angora anzubieten und für Saranti möglichst weitgehende Vorteile zu erlangen.

Tschilinghirian hatte sich gefürchtet, als Armenier allein in das Innere, ja auch nur in einen der in türkischem Besitz befindlichen Häfen zu gehen, und die Valera, die sich als englische Untertanin vollkommen sicher fühlte, hatte sich erboten, ihn zu begleiten und, wenn nötig, zu beschützen. Saranti war wohl mit diesem Vorschläge anfänglich nicht recht einverstanden gewesen, hoffte er doch von einem Tage zum andern, daß die Valera ihn erhören werde.

Doch die Griechin verfolgte andere Ziele. Sie wußte, daß Tschilinghirian zu denen gehörte, die Varbetian betrogen hatte. Wie so viele andere hatte auch er dem amerikanischen Staatsbürger den Teil seines Vermögens anvertraut, den er, sicher und leicht zu verbergen, in kostbaren Steinen angelegt hatte. Doch ungleich den meisten seiner Rasse war es ihm gelungen, trotz der Verschickung am Leben zu bleiben und zurückzukehren.

Varbetian aber hatte erklärt, das Eigentum Tschilinghirians an einen anderen ausgefolgt zu haben, einen gewissen Hamparsonian, der, mit vollgültigen Papieren in der Hand, als alleiniger Erbe Tschilinghirians die Herausgabe verlangt habe. Der Besitzer, sein Oheim, sei, laut vorgelegter Urkunden, in Aleppo verstorben. Dieser sagenhafte und jetzt unauffindbare Hamparsonian hatte Varbetian volle Entlastung erteilt.

Tschilinghirian hatte nicht den geringsten Zweifel, daß dies alles mit Wissen und Willen Varbetians vorbereitet und ausgeführt worden war. Angesichts der Unmöglichkeit aber, gegen ihn vorzugehen, hatte er ihm nur seine Verwünschungen ins Gesicht schleudern und auf Rache sinnen können. Die Valera hoffte nun, diesen Haß Tschilinghirians gegen Varbetian zu benutzen, um so für Psalty bei seinem geplanten Unternehmen eine Unterstützung zu finden. Daß sie außerdem auch darauf rechnete, von den Türken Geld für die Pläne zu erhalten, von dem sie niemandem etwas zu sagen brauchte, spielte dann bei ihrem Entschluß, den Armenier zu begleiten, die ausschlaggebende Rolle.

Das Brett mit dem Abendbrot auf den rohen Holztisch stellend, auf dem sich eine Lampe ohne Schirm befand, betrachtete Ines Valera einen Augenblick die gebrachten Speisen.

Tschilinghirian saß auf einem Stuhl neben einem Mangal. Durch die zerbrochenen und mit Papier verklebten Fensterscheiben sprühten feine Regentropfen. Die Vorhänge, schmutzig und zerrissen, bewegten sich im Winde. In einer Ecke des Zimmers tropfte es von der Decke; in regelmäßigen Zwischenräumen fiel das Wasser auf die ausgetretenen Dielen. Das Bett in der Ecke war ungemacht, so wie die Valera es vor einer Stunde verlassen hatte.

Außer zwei anderen wackligen Stühlen und den zwei, drei Koffern der Tänzerin, befand sich sonst nichts im Zimmer, nicht einmal ein Waschbecken, kein Spiegel, kein Diwan.

Das Zimmer, das Tschilinghirian erhalten hatte, war aber, wenn möglich, noch ärmlicher. Es ging auf den Hof. Ein paar rostige Nägel an der Wand stellten den Schrank vor. Verschiedene Ratten hatten sich in einer Ecke häuslich niedergelassen, und die Spuren ihres Aufenthaltes waren nur nachlässig und unvollkommen weggekehrt worden.

In diesem Raum hatte Tschilinghirian den Tag verbracht, bis er bei der hereinbrechenden Dunkelheit die Tänzerin flehentlich bat, ihm den Aufenthalt in ihrem Zimmer zu gestatten. Er würde sich gern mit einem Stuhl begnügen und die Nacht sitzend verbringen, aber den Kampf mit den Ratten in dem nassen, schmutzigen Raum, frierend auf einer feuchten Matratze liegend, aufzunehmen, dazu sei er außerstande.

Lachend hatte die Valera seinem Wunsche nachgegeben.

»Wir können dieses Prachtbett ja abwechselnd benutzen. Übrigens habe ich den ganzen Tag geschlafen und kann sehr gut die Nacht durchwachen.«

Sie hatte den Mangal neu auffüllen lasten und Befehl gegeben, daß man ihr alle zwei Stunden einen neuen voll frischer Glut bringen solle. Eine Lampe war gekauft worden und Petroleum und Essen bestellt.

»So, mein Freund,« sagte sie jetzt, sich an Tschilinghirian wendend, »kommen Sie zu Tisch. Wir wollen doch sehen, was diese Samsunioten uns vorsetzen.«

»Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Hammelfleisch mit Talg wird noch das Beste sein«, entgegnete der Armenier, ohne von seinem Platze aufzustehen.

»Durchaus nicht. Hier ist Huhn und Kotelletten, Pilaff und schönes Brot. Ölsardinen fehlen auch nicht. Sogar Joghurt ist vorhanden. Dazu Tee. Fürstlich, sage ich Ihnen. Kommen Sie und stärken Sie sich.«

»Notwendig wäre das schon, denn ich habe Hunger. Doch hätten wir nur länger gesucht. Vielleicht wäre ein besseres Unterkommen aufzutreiben gewesen«, antwortete Tschilinghirian, seinen Stuhl an den Tisch tragend.

»Es ist dies aber das beste, was diese herrliche Stadt bieten kann, und wenn nicht andere Leute die anständigen Zimmer dieses Palastes schon vor uns beschlagnahmt hätten, wären wir auch besser aufgehoben. Und dann bei diesem Wetter noch nach Zimmern suchen! Morgen wird es sicherlich wieder schön sein, und wir werden wohl etwas weniger Ärmliches finden«, gab Ines zur Antwort, die Teller und das Geschirr mit den Speisen auf der Holzplatte des ungedeckten Tisches verteilend.

Sie zog einen Stuhl heran und setzte sich. Eine Zeitlang aßen sie schweigend. Draußen pfiff der Wind vom Meer, und der Regen trommelte auf die morschen Ziegel des gegenüber liegenden Hausdaches. Die Fenstervorhänge rauschten leise. Das dumpfe Brüllen der brandenden Wogen an der Küste, unten am Straßenausgang unterlag allen anderen Geräuschen.

»Sie müssen aber doch mit diesen Unbequemlichkeiten vertraut sein«, begann die Valera, als der erste Hunger gestillt war. »Man hat Sie seinerzeit doch sicherlich nicht oft so gut untergebracht wie hier!«

»Eben deshalb. Ich habe diese Seite des Lebens vollständig zur Genüge kennengelernt. Und ich wäre nie auf den Vorschlag Sarantis eingegangen, wenn ..., wenn ich nicht anderes damit erreichen wollte, als den Türken Pläne zu verkaufen. Schon der Gedanke ist mir widerwärtig.«

»Das Vergangene ist vorbei«, antwortete Ines philosophisch. »Weshalb sich nicht bemühen, aus neuen Umständen Vorteile zu ziehen?«

»Das habe ich mir auch gesagt. Und ich habe noch andere, schlimmere Feinde, Feinde, die ich noch weit mehr hasse als die Türken«, antwortete Tschilinghirian mit Nachdruck.

»Zwar ist es unwahrscheinlich, daß uns jemand bei diesem Wetter in diesem Palaste belauscht, jedoch Vorsicht ist nie zu verachten«, entgegnete die Tänzerin, nach ihrem Teeglase greifend. »Lassen Sie doch die Herren des Landes tun, was sie wollen. Sie haben ja, wie Sie selbst sagen, noch andere Ziele.«

»Bei Gott! Ich habe noch andere Ziele!« antwortete der Armenier, sich in seinem Stuhl zurücklehnend. Er zog einen Zahnstocher hervor und begann sich die Zähne zu reinigen.

Ines Valera zündete sich eine Zigarette an und sah gleichgültig den Bewegungen ihres Begleiters zu. Tschilinghirian murmelte hin und wieder einige unverständliche Worte vor sich hin. Endlich steckte er sein Reinigungsinstrument wieder zu sich und sah die Valera an.

»Sie haben ganz recht, ich habe noch anderes zu tun, als mich an diesen Türken zu rächen. Was sie an uns getan haben, kann man verstehen. An ihrer Stelle hätten wir höchstens schneller, durchgreifender, noch tödlicher gehandelt. Aber was Armenier an mir, einem Armenier, getan haben, das kann man, das kann niemand verstehen.«

Dabei schlug Tschilinghirian mit der flachen Hand auf den Tisch, daß die Lampe zitterte.

»Hat man Sie bestohlen? Beraubt? Betrogen?« fragte die Tänzerin, um die Darstellung zu hören, die Tschilinghirian von dem Vorgehen Varbetians geben würde.

»Alles hat man getan. Man hat mich bestohlen. Man hat mich beraubt. Man hat mich betrogen.«

»Und Armenier haben das getan? Ihnen, einem Armenier gegenüber? Das nimmt mich wunder, denn Sie müssen Ihre eigenen Landsleute doch kennen. Wie haben Sie sich in eine solche Lage begeben können?«

»Was sollte ich tun? Wie alle anderen wurde auch ich verschickt. Ob einer von uns je wieder zurückkehren würde, war zweifelhaft. Nicht zweifelhaft aber war, daß bei einer Rückkehr nicht ein Stück unseres Besitzes sich noch an Ort und Stelle befinden würde, mochten wir es noch so gut verstecken.

»Nun lebte in Konia, einige Straßen von mir entfernt, ein gewisser Mateossian, der amerikanischer Bürger war, und dem man deshalb nichts anhaben konnte. Wie viele andere ging daher auch ich zu ihm und übergab ihm alles, was ich an Wert besaß, hauptsächlich Diamanten und einige Perlen. Diese Steine hatten mich weit über hunderttausend Goldpfund gekostet. Der Wert war mehr als das doppelte.«

Tschilinghirian stand auf und zog seinen Stuhl wieder an den Mangal zurück. Draußen rauschte noch immer der Regen, und der Wind wütete mit unverminderter Kraft. Das Brausen der Brandung kam wie ferner Donner.

Ines Valera nickte befriedigt mit dem Kopfe. Was Tschilinghirian sagte, bestätigte die Mitteilungen Psaltys über den Reichtum Varbetians an kostbaren Steinen.

»Ich wurde nach Syrien verschickt. Alle, die mit mir waren, starben. Mir gelang es, nach Mossul zu kommen und von Mossul südwärts. Endlich fand ich bei einem kurdischen Landbesitzer Arbeit und Unterkommen. Ich legte ihm Bewässerungsgräben an, wie ich es in der Ebene von Kenia die Deutschen hatte tun sehen.

»Als der Krieg zu Ende kam, gelang es mir, zurückzukehren. Mateossian hatte Konia verlassen. Keine Spur war mehr von ihm zu entdecken. Einige andere Armenier waren ebenfalls zurückgekommen. Sie befanden sich in der gleichen Lage wie ich, doch ihr Verlust war geringer. Auch waren sie jünger. Wir gingen nach Konstantinopel. Nach einiger Zeit traf ich dort Saranti. Er beschäftigte mich in seinem Geschäft. Eines Tages sandte er mich nach Smyrna. Das war kurz nach der Landung der Griechen. Ich sollte dort bei einem gewissen Varbetian in der Straße der Kameltreiber wohnen. Als ich das Haus betrat, stand ich Mateossian gegenüber. Ob er von meinem Kommen gewußt hatte, ob er überhaupt erfahren hatte, daß Saranti jemanden nach Smyrna sandte, kann ich nicht sagen. Saranti hat mir versichert, daß er ihm keine Nachricht gegeben habe. Als Mateossian mich erkannte, fiel er mir weinend um den Hals, führte mich in sein bestes Zimmer und behandelte mich, als sei ich sein Vater.«

Tschilinghirian hielt einen Augenblick inne und lachte dann bitter auf.

»Als sei ich sein Vater! Das ist nicht richtig; denn er hatte mich schon beerbt. Aber das wußte ich damals nicht. Ich glaubte ihn ehrlich und weinte vor Freude, daß mein Elend nun ein Ende haben werde, und daß ich wieder in den Besitz meines Eigentums kommen würde. Ja, daß ich es schon in der Hand halte. Ich erzählte ihm, wie ich ihn überall gesucht hatte, und er erklärte mir, daß er auf Reisen gewesen sei, in Amerika und in Europa. Doch ehe ich noch nach meinen Steinen fragen konnte, sagte er mir, mich nochmals unter Tränen umarmend, daß er sichere Nachrichten erhalten habe, ich sei umgekommen, sei in Aleppo gestorben.

»Madame, wenn Sie gesehen und gehört hätten, wie dieser Mateossian vor Rührung über meine Rückkehr schluchzte, wenn Sie gesehen hätten, mit welcher Sorgfalt er sich um mich bemühte, nie wären Sie auf den Gedanken gekommen, daß dieser Mann mit großer List mich meiner ganzen Habe beraubt hatte.

»Am zweiten Tage meiner Anwesenheit fragte ich nach dem Päckchen, das ich ihm gegeben hatte. Ohne ein Wort zu sagen, ging er zu seinen Büchern und brachte mir – nicht meine Steine, sondern Papiere, eine ganze Hand voll Papiere. Eine beglaubigte Abschrift meiner Todesurkunde, in Aleppo in einem Krankenhaus ausgestellt, und von einem Notar unterzeichnet. Ein notarieller Nachweis, daß ein gewisser Hamparsonian mein Erbe sei, eine gedruckte öffentliche Aufforderung an andere Erben, sich zu melden, und eine Bestätigung, daß dieser Hamparsonian alle Steuerrückstände auf meine Häuser in Kenia bezahlt habe, und zuletzt eine Empfangsbestätigung dieses selben Mannes über das Päckchen, das ich Mateossian gegeben hatte.

»Noch hielt ich Mateossian für ehrlich, denn wenn es auch unmöglich einen Hamparsonian geben konnte, der mich, einen Tschilinghirian, beerben konnte – sind diese beiden Geschlechter doch in keiner Weise verwandt –, so mochte Mateossian, durch die Zeitläufe verwirrt, den vorgelegten Papieren Glauben geschenkt haben. Erst als ich ihn bedrängte, mir die Anschrift oder doch den Wohnort dieses Hamparsonian mitzuteilen, und er mir keine Auskunft geben konnte, wurde ich stutzig. Ich ließ mir den Mann von ihm beschreiben. Doch was er mir zur Antwort gab, war unsicher, ungenau, flüchtig.

»Ich nahm die Papiere, die er mir vorgelegt hatte, wieder zur Hand. Um die Stempel der Abschrift meiner Todesurkunde genau anzusehen, ging ich zum Fenster. Und da fiel mir auf, daß das Wasserzeichen des Papieres mit dem der Empfangsbestätigung übereinstimmte, die ich mit den anderen Dokumenten vor mich hielt. Verstohlen verglich ich beide. Es war unzweifelhaft dasselbe Papier.

»›Und dieses Papier über meinen Tod stammt aus Aleppo?‹ fragte ich Mateossian. ›So hat Hamparsonian behauptet, und so haben die Richter hier entschieden‹«, antwortete er mir.

»›Hier ist es angefertigt worden. Du Lump! Du Betrüger!‹ rief ich ihm zu und zeigte ihm die Übereinstimmung der beiden Papiere. Er antwortete nichts, sondern wurde nur sehr bleich und ließ sich die Dokumente zum Vergleichen geben. Als er sie sicher in der Hand hatte, ging er zu seinem Geldschrank, legte sie hinein und schloß die Türe. Den Schlüssel steckte er in die Tasche. Sich mir wieder zuwendend, sagte er, und ich sehe heute noch sein verzerrtes Gesicht: ›Für mich bist du tot, Tschilinghirian. Tot, wie alle anderen. Geh und suche deine Steine bei den Toten.‹

»Was ich ihm geantwortet habe, weiß ich nicht mehr. Ich war besinnungslos, wie rasend. Ich habe versucht, ihn zu erwürgen, doch man trennte uns. Ich stürzte auf die Straße, doch an wen sollte ich mich wenden? Die Griechen lachten, wenn ich ihnen meine Klage vortrug, und die Amerikaner zuckten die Achseln. Ach, wären die Türken in Smyrna gewesen, Mateossian hätte mir Rede und Antwort stehen müssen, und, bei Gott, er wäre nicht leichten Kaufes davongekommen.«

Der Armenier war aufgestanden und ging mit wilden Schritten im Zimmer auf und ab. Endlich blieb er vor Ines Valera stehen und sah sie an.

»Bei den Toten soll ich meine Steine suchen, hat er mir gesagt. Das ist mir später wieder eingefallen. Gut. Bei den Toten will ich sie jetzt suchen. Doch von diesen Toten soll er der Erste sein. Das habe ich mir geschworen.«

Die Tänzerin sah kurz auf. Ihre Annahme war richtig gewesen. Sollte aus irgendeinem Grunde der Anschlag Psaltys gegen Varbetian keinen Erfolg haben, so war hier ein Bundesgenosse, dessen Hilfe nicht zu verachten war, wurde er doch von einer so starken Kraft getrieben, wie Haß und Rache für erlittenes Unrecht.

Und der Hinweis auf die Möglichkeit, die Todesurkunde, auf die Mateossian sich stützte, als gefälscht aufzuweisen, würde in der Hand eines so verschlagenen und durch seine Verbindungen einflußreichen Mannes, wie Psalty, sicherlich ebenfalls gegen Varbetian ausgenutzt werden können.

»Und Sie glauben, bei dem toten Varbetian die Steine eher wiederfinden zu können als bei dem lebendigen?« fragte sie.

»Ich denke, daß es auf die Art des Todes ankommen wird«, antwortete der Armenier finster.

»Auf die Art des Todes?« Erstaunt blickte die Tänzerin auf. »Was meinst du damit?«

»Vielleicht wird er es vorziehen, schnell zu sterben, und mir um diesen Preis gern das Suchen nach meinen Steinen erleichtern. Vergiß nicht, daß ich viel und vieles gesehen habe, und daß ich viele Monate mit der Hand des Todes auf meiner Schulter durch alle Schrecken der Hölle gewandert bin.«

Der Mann sprach mit einer düsteren Entschlossenheit, die selbst Ines Valera in ihrem kalten, berechnenden Herzen erschauern ließ.

Eine Zeitlang herrschte Schweigen. Das Unwetter tobte noch immer. Plötzlich zerriß ein lautes Aufkreischen, gefolgt von Schreien, die nichts Menschliches mehr an sich hatten, die Stille.

Ines Valera war erschreckt aufgesprungen. Verstört blickte sie auf den Armenier, der mit bleichem Gesicht nach der Tür starrte. Ebenso plötzlich, wie das Schreien begonnen hatte, brach es ab, und alles wurde wieder still.

»Was war das?« flüsterte Ines Valera, sich auf den Tisch stützend; denn sie fühlte ihre Beine unter sich nachgeben.

Der Armenier wendete ihr langsam seine Blicke zu. Seine Züge waren aschfahl. Er suchte zu sprechen, doch ohne ein Wort hervorzubringen. Mit zitternden Händen griff er sich an den Hals, als sei er am Ersticken. Endlich hörte Ines ihn leise sagen:

»Jemand ist gestorben. Getötet worden. Er war es, der schrie.«

»Getötet worden! Doch man schrie hier im Hause. Hier über uns muß es gewesen sein«, flüsterte die Tänzerin, Tschilinghirian mit weitgeöffneten Augen ansehend.

»Sicherlich war es hier im Hause«, wiederholte der Armenier und ging langsam zu seinem Stuhl, wo er sich niedersetzte.

Jemand klopfte an die Tür, was beide von neuem zusammenschrecken ließ.

»Wer ist da?« ermannte sich endlich die Valera zu fragen.

»Ich bringe den Mangal, den du bestellt hast«, antwortete eine ruhige Stimme.

Die Tänzerin öffnete, und der Mann, der die Speisen gebracht hatte, trat ins Zimmer, den neuen Mangal mit glühenden Kohlen vor sich hertragend.

»Du kannst dies alles mit wegnehmen. Doch bringe uns noch etwas Tee«, sagte die Valera, sich auf ihren Stuhl setzend.

Der Mann räumte umständlich Teller und Eßgerät auf dem Brett zusammen. Als er fertig war, fragte die Tänzerin mit unsicherer Stimme:

»Was war das soeben für ein Lärm? Er schien von oben zu kommen.«

Der Mann warf ihr einen schnellen, scheuen Blick zu.

»Ich habe nichts gehört. Ich war unten in der Küche.«

»Du hast nichts gehört?« wiederholte die Valera. Sie bemerkte nicht, daß ihre Stimme fast tonlos geworden war. Sich aufraffend, wendete sie sich an den Armenier:

»Er hat nichts gehört! Ist das möglich?«

Der Armenier sah den Mann an, der seine Blicke unruhig zwischen Ines und ihm hin und her wandern ließ. Dann sagte Tschilinghirian auf französisch:

»Er lügt. Aber er hat seinen Grund, zu lügen. Fragen Sie nicht weiter.«

»Es ist gut. Bringe uns noch etwas Tee«, wandte sich Ines wieder an den Mann, der sie bediente.

»Und in zwei Stunden einen neuen Mangal, nicht wahr?« fragte der Diener.

»Ja. Einen neuen Mangal.«

Der Mann schritt zur Türe. Als er sie öffnete, wurden deutlich schwere Tritte hörbar, die unbeholfen und wie unter einer Last die Treppe hinabgingen. Der Mann stutzte einen Augenblick. Dann bückte er sich, setzte das Brett mit dem Eßgerät auf den Boden des Ganges und kam zurück, den alten Mangal zu holen. Der Luftzug zwischen Fenster und der offenen Tür riß den Vorhang ins Zimmer und ließ die Lampe hoch aufflackern. Gleichzeitig schlug die Tür krachend ins Schloß. Die Lampe brannte wieder ruhig, und der regennasse Vorhang sank langsam in seine alten Falten zurück.

Der Mann stand mit dem Mangal in den Händen lauschend im Zimmer, ohne sich zu rühren. Dann hörte man deutlich, wie die Haustür unten geschlossen wurde. Schritte kamen von der Straße und entfernten sich nach dem Meere zu, wurden aber fast sofort vom Wind und Regen übertönt.

Als die Haustür ins Schloß gefallen war, verließ auch der Diener mit dem Mangal das Zimmer, ohne einen Blick zurückzuwerfen.

»Was soll dies alles bedeuten?« fragte Ines Valera nach einiger Zeit mit ihrer gewöhnlichen Stimme. »Ich glaube fast, Sie haben mich mit Ihren schrecklichen Drohungen und Ihrer seltsamen Geschichte nervös gemacht. Und Sie selbst waren ebenfalls viel zu aufgeregt davon, um richtig zu hören. Dieser Regen, dieser Wind, die Dunkelheit draußen, dieser schauderhafte Han, in dem wir hier sitzen, alles das zusammen verwirrt uns die Sinne. Ich wollte, es wäre morgen, und ich könnte mit dem Divisionsgeneral sprechen.«

Während ihrer letzten Worte hatte sich die Tür plötzlich geöffnet, die sie vergessen hatte, wieder zu verriegeln. Auf der Schwelle stand ein mittelgroßer Mann, in einer halbmilitärischen Kleidung und schwarzen Schaftstiefeln. Ein Mittelding zwischen Fes und Kalpak bedeckte den großen, unförmigen Kopf, aus dem blitzende, dunkle Augen unruhig im Zimmer umherspähten.

Den Blick auf Ines Valera richtend, sagte er mit lauter Stimme barsch, befehlend:

»Mit wem willst du sprechen?« Dabei stieß er mit einem schweren Stock, den er in der Hand hielt, hart auf das Holz des Fußbodens.

»Wer ...? Was wollen Sie? Dies ist mein Zimmer!« antwortete Ines Valera. »Sie haben sich in der Tür geirrt.« Damit stand sie auf, um die Türe zu schließen.

Doch der Fremde trat hastig ins Zimmer, und Ines sah, daß hinter ihm zwei Bewaffnete standen, hohe, in braune Uniformen gehüllte Männer, deren Gesichter sie nicht erkennen konnte.

»Dies ist mein Haus«, antwortete der Fremde, auf einem der Stühle Platz nehmend. »Wer seid ihr? Du bist eine Fremde. Ist das dein Mann?« Damit zeigte er mit seinem Stock auf Tschilinghirian, der mit gesenktem Kopf über den Mangal gebeugt saß.

»Bist du der Hauswirt?« rief Ines Valera empört. »Behandelst du so deine Gäste? Was willst du von uns? Laß wenigstens die Tür schließen.«

»Nicht so schnell! Ich frage dich, wer du bist, antworte«, entgegnete der andere. »Und was willst du bei dem Kommandanten?«

Ines stand auf und gab der Tür einen Tritt, daß sie krachend ins Schloß flog, und wollte den Riegel vorschieben. Doch die beiden Bewaffneten hatten sich sofort dagegen geworfen und sie wieder geöffnet, blieben aber auf der Schwelle stehen.

»Was soll dies? Du bist der Hauswirt. Laß uns allein, wie sich das gehört, oder ich wende mich an die Polizei.«

Statt aller Antwort gab der Fremde seinen Leuten einen Wink, ins Zimmer zu treten.

»Zeigt mir einmal den Mann dort! Er hält es nicht für nötig, aufzublicken«, sagte er.

Die Männer traten rasch auf Tschilinghirian zu und rissen ihn in die Höhe.

»Ah, dachte ich es nicht! Ein Armenier! Was tust du hier? Ist das deine Frau?« fragte der Fremde, Tschilinghirian mit zusammengezogenen Brauen anstarrend.

Tschilinghirian stand, von den beiden Bewaffneten an den Armen gepackt, vor dem Fremden. Er machte keine Bewegung, um sich zu verteidigen oder zu befreien, sondern sandte nur einen schnellen Blick zu Ines Valera.

Die Tänzerin hatte ihre ganze Kaltblütigkeit wiedergefunden. So sehr sie auch durch das unerklärliche, plötzliche Aufschreien in der Stille des Hauses erschreckt worden war, jetzt, wo eine Gefahr handgreiflich und klar vor ihr stand, fühlte sie keine Furcht.

Zwischen den Fremden und Tschilinghirian tretend, sagte sie:

»Du scheinst nicht zu wissen, wo du bist, noch auch was du tust. Du dringst in mein Zimmer, ohne Recht. Deine Leute öffnen meine Tür auf deinen Befehl, ohne Recht. Du überwältigst diesen Mann, der dir nichts getan hat, ohne Recht. Ich sage dir jetzt zum letzten Male: Verlaß mein Zimmer.«

Der Fremde hatte sie, ohne eine Bewegung zu machen, angehört. Als sie schwieg, antwortete er, ohne die Stimme zu erheben:

»An deiner Aussprache höre ich, daß du eine Griechin bist. Dieser Mann hier ist zweifellos ein Armenier. Ich bin Osman agha von Kerasund. Es ist meine Aufgabe und meine Pflicht, das Land von dem letzten Rest der armenischen Brut zu befreien und alles, was griechisch ist, zu vertilgen. Diese Aufgabe habe ich in Kerasund gelöst. Ich bin jetzt nach Samsun gekommen, um auch diese Stadt von euch zu säubern. Ich werde euch töten.«

Einen Augenblick wurde es der Tänzerin dunkel vor den Augen. Sie sah die Gestalt des Fremden nur wie durch einen Schleier. Doch alle Kraft zusammennehmend, raffte sie sich auf und ging ruhig an den Tisch zurück, wo sie sich auf einen Stuhl setzte.

»Das wirst du nicht tun. Ich kenne dich nicht und weiß nicht, welcher Bandenführer oder Räuberhäuptling du bist. Es gibt ihrer so viele in diesem Lande. Ich habe dir gesagt, mein Zimmer zu verlassen. Willst du jetzt den einfachsten Geboten der Höflichkeit gehorchen?«

In den Augen Osman aghas glimmte ein schlimmes Feuer auf.

Er beugte sich vor und zischte:

»Bevor ich dich töte, werde ich dir die freche Zunge aus dem Halse reißen lassen. Nicht nur bist du eine Griechin, die vertilgt werden muß, sondern du bist auch ein verworfenes Weib, die sich hier in einem Zimmer mit fremden Männern zusammenfindet. Und ich bin berufen, dies Land von aller Unzucht und Hurerei zu reinigen. In Kerasund lebt keine von euch mehr. Bald wird auch Samsun von euch befreit sein. In dieser Nacht schon habe ich den Anfang gemacht. Die Leichen deinesgleichen schwimmen jetzt im Meer. Vor einer Stunde schrien sie noch wie die Bestien, die sie sind.«

Da sah die Tänzerin, daß sie es mit einem Irrsinnigen zu tun habe. Kalter Schweiß trat ihr auf die Stirn. Ihre Lage schien verzweifelt. Sie erinnerte sich jetzt, in Konstantinopel von der Schreckensherrschaft dieses Mannes gehört zu haben, der als Bürgermeister der kleinen Stadt Kerasund eine Leibgarde sich gebildet hatte, die auf seinen Befehl von den Kaufleuten der Stadt ausgerüstet und verpflegt werden mußte. Mit dieser Leibwache hatte er in Kerasund alle Armenier, alle Griechen getötet und die Insassinnen der wenigen schmutzigen öffentlichen Häuser hatte er ins Meer werfen lassen. Sie hatte nie daran gedacht, diesen Mann in Samsun zu treffen. Wie er hierher gekommen war, was er hier tat, wußte sie nicht. Es stand aber fest, daß die Regierung sein Wüten nicht dulden konnte noch wollte, das sich auf dem Boden der allgemeinen Unsicherheit eine Zeitlang hatte halten können.

Jetzt waren sie und Tschilinghirian in seiner Gewalt. Es war Nacht. Die Straßen waren verlassen. Auch kannte sie niemanden in der Stadt. Tschilinghirian hatte recht gehabt. Die Schreie, die sie gehört hatten, waren Todesschreie gewesen. Irgend jemanden hatte Osman agha schon »vertilgt«, und die schweren Tritte, die sie gehört hatten, waren die Schritte derer gewesen, die die Körper der Getöteten forttrugen.

Osman agha war geisteskrank. Er würde sein Vorhaben sicherlich ausführen. Einem Irrsinnigen zu widersprechen, hat keinen Sinn. Er wird nur um so hartnäckiger auf seiner Idee bestehen. Sie mußte suchen, ihn abzulenken. Doch wie? Womit? Diese Gedanken führten einen schauerlichen Hexentanz in ihrem Gehirn. Sie wagte nicht, den Armenier anzusehen. Endlich sagte sie:

»Wenn, was du sagst, wahr wäre, Osman agha, würde ich mich in mein Schicksal ergeben. Ich kann verstehen, daß dein Handeln richtig ist. Doch du irrst. Ich bin eine Engländerin, und dieser Mann ist mein Diener. Ich reise im Auftrag der englischen Regierung nach Angora, um der nationalen Regierung wichtige Anerbietungen zu überbringen. Du wirst verstehen, daß du nicht im Interesse deines Landes handeln würdest, wolltest du mich oder meinen Diener töten. Ich bitte dich daher, mich jetzt allein zu lassen.«

»Wie willst du mir beweisen, daß du eine Engländerin und keine Griechin bist? Du sprichst wie eine Griechin, und dieser Mann ist ein Armenier. Nein, ihr müßt beide sterben. Es ist meine Pflicht, euch zu töten.«

»Es ist sehr leicht, dir zu beweisen, daß ich eine Engländerin bin. Du brauchst dir nur meine Papiere, die auf der Polizei liegen, anzusehen, und dieser Armenier steht unter meinem Schutz.

»Was habe ich mit der Polizei zu schaffen?« entgegnete Osman agha hartnäckig. »Mir mußt du beweisen, daß du eine Engländerin bist. Mir, dem Bürgermeister von Kerasund Osman agha.«

Ines Valera sah, daß ihre Worte doch in etwas die Aufmerksamkeit des Wahnsinnigen von seinem ersten Vorsatz abgelenkt hatten. Sie fühlte ihr Gehirn wie eine weißglühende Kugel, in der die Gedanken wie farbige, schmerzende Blitze durcheinander schossen.

»Es ist gut. Ich werde es dir beweisen. Ich werde dir meine Papiere vorlegen, und ich werde dich bitten, mich nach Angora zu begleiten und selbst mit mir und der Regierung dort über die Vorschläge zu beraten, die ich bringe. Doch als Bürgermeister von Kerasund wird dir bekannt sein, daß jeder Ankommende seine Papiere bei der Ankunft der Polizei aushändigen muß. Und ich bin heute morgen angekommen. Meine Ausweise sind daher nicht in meinem Besitz. Doch ich bin in deiner Gewalt. Du hast von diesem Hause Besitz genommen. Wenn meine Worte nicht der Wahrheit entsprechen, so kannst du mich auch morgen noch töten. Stelle mir eine Wache vor meine Tür. Morgen wird man mir meine Ausweise bringen. Dann halte dich bereit, sogleich mit mir nach Angora auszubrechen.«

Es war dieser letzte Vorschlag, der Osman agha bewog, sein Vorhaben aufzuschieben. Schon lange hatte ihn der Ehrgeiz gequält, eine Rolle in der nationalen Regierung in Angora zu spielen. Er stieß mit dem Stock auf den Fußboden:

»Gut. Ich werde dich nach Angora begleiten, wenn, was du sagst, richtig ist. Ich werde dich selbst hinbringen. Du brauchst deshalb nicht mit dem Kommandanten zu verhandeln. Ich bin Herr meiner Entschlüsse. Wenn morgen deine Papiere kommen, so lege sie mir vor. Ich werde deine Tür bewachen lassen. Sonst aber mußt du sterben.«

Damit stand Osman agha auf und gab seinen Leuten einen Wink, Tschilinghirian loszulassen. Von ihnen gefolgt, ging er zur Tür. Ines sah, daß er hinkend das eine Bein nachschleppte. Der eine der Bewaffneten schloß die Tür. Ines sprang auf und schob den Riegel vor. Dann drehte sich alles um sie, und sie sank zu Boden. Doch sie kam schnell wieder zu sich. Tschilinghirian stand noch immer, wohin ihn die beiden Männer Osman aghas gestellt hatten.

Die Valera erhob sich langsam. Einen Augenblick stützte sie sich mit dem Rücken gegen die Wand. Dann ging sie auf den Armenier zu.

»Komm, wir wollen zunächst das Bett vor die Tür stellen; dann werden wir weiter sehen.«

»Wozu? Wir werden diesem Manne nicht entgehen. Er ist der Tod«, antwortete er und wollte sich wieder auf seinen Stuhl setzen.

Sein Widerspruch spornte die Willenskraft der Tänzerin an.

»Der Tod oder der Teufel, oder beides. Tue, was ich dir sage«, entgegnete sie heftig.

»Gut, gut! Wie du willst. Doch es ist nutzlos. Ich habe in seinen Augen den Tod gesehen; unsern und seinen. Er ist gezeichnet und wird sterben. Bald. Deshalb wütet er.«

»Er ist irrsinnig. Das ist der Grund. Doch komm, fass' an.«

Leise nahmen sie die eiserne Bettstelle auf und trugen sie vor die Tür, die Füße sorgfältig in Löcher schiebend, die die Dielen zahlreich aufwiesen.

»So. – Und nun, was weiter?« fragte Tschilinghirian, wie erschöpft von der geringen Anstrengung. Er sah Ines Valera einen Augenblick müde an und ging dann leise und langsam an seinen Stuhl.

Die Tänzerin folgte ihm mit den Blicken, unschlüssig, unruhig. Was sollte sie tun? Die Spannkraft des Armeniers schien gebrochen, aufgebraucht von, sie wußte nicht, welchen Leiden.

Sie ging an den Tisch und setzte sich. Vor ihr stand die schirmlose Lampe. Ihr grelles, rohes Licht ließ die Armseligkeit des schmutzigen Zimmers trostlos, drohend fast erscheinen, erdrückend. Ines Valera griff nach einer Zigarette, die sie anzündete.

Was sollte sie tun? Trotz der Gesellschaft des Armeniers war sie allein. Sie war in der Gewalt eines Wahnsinnigen, dessen Wahnsinn aber nicht verhinderte, daß er als Bürgermeister seiner Stadt über Ansehen und Macht verfügte. Und sein Wahnsinn gab sich als Fanatismus, ließ ihn als Vorkämpfer der Interessen seiner Landsleute erscheinen, hatte Ziel und Richtung. Doch er war Bürgermeister von Kerasund; was hatte er in Samsun zu tun? Würden ihn die Behörden hier schalten und walten lassen, wie sein Wahnsinn ihn trieb?

Ines sprang auf. Das war kaum wahrscheinlich. Auf jeden Fall waren in Samsun die ihm vorgesetzten Behörden, der Wali, der Divisionsgeneral als Militärkommandant des ganzen Bezirkes. Mit ihnen mußte sie in Verbindung treten, möglichst mit dem General.

Doch wie? Sie ging an das zerbrochene Fenster und hob den Vorhang. In der Dunkelheit der Nacht heulte noch immer der Wind und peitschte den Regen gegen die Scheiben. Vorsichtig schob sie das Fenster in die Höhe. Der Regen sprühte ihr in das Gesicht. Eine fahle Stelle am unteren Ende der Straße zeigte, wo das Meer war, das in gleichmäßiger Dumpfheit brandete.

Doch Ines erinnerte sich, daß irgendwo zwischen dem Han und dem Meere die Hauptstraße im rechten Winkel ihre Seitengasse schnitt, und daß auf ihr ganz in der Nähe sowohl die Polizeistation wie die Gendarmerie und ein Militärposten sich befanden. Dorthin mußte sie gelangen. Sie mußte der Gewalt des wahnsinnigen Osman agha entfliehen. Prüfend maß sie die Höhe vom Fenster bis zur Straße. Doch in der Dunkelheit ließ sich dies nicht genau erkennen. Waren es vier Meter oder sechs? Aber das war gleichgültig. Irgendwie mußten sie die Straße erreichen. Es blieb ihnen keine andere Wahl. Wie aber, wenn Osman auch die Haustür bewachen ließ? Wenn man ihr Entweichen bemerkte, ehe sie einen der Posten in der Hauptstraße erreicht hatte? Vielleicht, nein, sicher würde man sie niederschießen. Aber es war dunkel. Auf drei Schritte Entfernung konnte man nichts mehr erkennen. Es mußte gewagt werden. Vorsichtig klemmte sie das Fenster oben an und trat in das Zimmer zurück. Tschilinghirian saß auf seinem Stuhle, die Arme auf die Knie und den Kopf in die Hände gestützt. Er schien zu schlafen.

Ines trat auf ihn zu und ließ sich neben ihm auf die Knie nieder.

»Wir müssen fliehen«, flüsterte sie. »Schnell.«

»Fliehen? Wohin sollen wir fliehen? Dem Tode entflieht man nicht«, antwortete Tschilinghirian ebenso leise, ohne seine Haltung zu verändern.

»Aber diesem Osman agha! Kommen Sie! Fassen Sie Mut! Die Straße ist leer und dunkel. Und an ihrem Ende muß sich die Polizeistation befinden.«

»Die Polizeistation! Ob man uns dort tötet oder hier, ist gleichgültig. Dem Tode entgeht man nicht.«

Die Valera ergriff ihn an den Schultern und schüttelte ihn.

»Lassen Sie das endlich. Ich habe keine Lust, hier in dieser Mausefalle zu warten, bis es diesem Wahnsinnigen gefällt, mich totzuschlagen. Hier ist das Fenster, die Straße. Noch können wir fliehen. Jeden Augenblick kann es diesem Osman einfallen, wieder ins Zimmer zu dringen. Beeilen wir uns.«

Der Armenier hatte sich zurückgesetzt. Langsam kam Leben in seine wie erloschenen Augen.

»Vielleicht haben Sie recht. Vielleicht können wir uns retten. Und ich muß diesen Mateossian noch töten. Das muß ich tun. Wie sagten Sie? Durch das Fenster?«

Er stand plötzlich auf und ging bis zum Vorhang, den er zurückschlug. Einen Augenblick lang beugte er sich nach außen. Dann kam er mit leisen Schritten wieder zu Ines zurück.

»Es ist möglich. Schnell. Wir werden den Strick nehmen, der Ihre Koffer zusammenhielt, als man sie herbrachte. Der Hammal scheint ihn vergessen zu haben. Dort liegt er in der Ecke.«

Ines war aufgestanden. Der Armenier war plötzlich von einer fieberhaften Geschäftigkeit, die er nur mit Mühe unterdrückte. Er sprach schnell zwischen zusammengepreßten Zähnen. Leisen Schrittes holte er den Strick und befestigte ihn an einem Haken der Fensterbank. Dann versah er ihn in regelmäßigen Abständen mit Knoten und ließ ihn vorsichtig nach außen in die Dunkelheit gleiten.

»Schnell. Verlieren wir keine Zeit. Kommen Sie. Wollen Sie zuerst gehen?«

Ohne zu antworten, setzte sich die Tänzerin auf die Fensterbrüstung, die Füße nach außen, und ließ sich in die Dunkelheit hinabgleiten, sich mit beiden Händen an der Brüstung festhaltend. Dann ergriff sie den Strick. Er hielt. Von Knoten zu Knoten greifend, ließ sie sich vorsichtig nach unten sinken, bis sie die Straße erreichte. Sie gab das Seil frei, und der Armenier folgte.

Das Geräusch des fallenden Regens schützte sie. Alles blieb still. Nur der Sturm heulte in den Vorsprüngen und um die Ecken der Häuser. Vorsichtig eilten beide die Straße hinab und erreichten nach kaum fünf Minuten das Regierungsgebäude, wo sich auch die Polizeiwache befand, auf der sie am Morgen ihre Papiere abgegeben hatten.

Atemlos betraten sie den kleinen Vorraum, in dem ein Polizist neben einem niedrigen Kohlenbecken saß, der bei ihrem Eintreten erstaunt aufsah.

Beim Anblick des Polizisten war es Ines Valera plötzlich klar geworden, daß sie unmöglich der Polizei ihr seltsames Abenteuer erzählen konnte. Es war spät, und keiner der oberen Beamten war in der Nähe. Die Schutzleute selbst aber würden von der ganzen Sache nichts verstanden haben und höchstens mißtrauisch geworden sein. Sie mußte versuchen, mit der Militärbehörde in Verbindung zu treten.

»Was wollt Ihr?« hatte der Polizist gefragt und war aufgestanden, das Äußere seiner Besucher, ihre durchnäßten Kleider, das Fehlen von Mänteln, die Hausschuhe, die sie trugen, zeigten ihm, daß es sich um etwas Wichtiges handeln mußte. Doch das brachte ihn nicht aus seiner Ruhe.

»Wer seid ihr, und was wollt ihr?« wiederholte er seine Frage.

»Entschuldige, daß wir dich so spät stören. Doch wir sind fremd hier. Heute morgen haben wir unsere Papiere hier abgegeben«, begann Ines Valera.

»Wir sind heute morgen mit dem Dampfer gekommen«, unterbrach sie Tschilinghirian. »Ich glaube, du hast uns am Landungssteg gesehen. Du standest in der Polizeiwache und ich wollte aus Versehen dir unsere Papiere geben. Vielleicht erinnerst du dich.«

»Ja. Ich erinnere mich. Ihr seid im Han Ibrahim Beys abgestiegen«, antwortete der Schutzmann. »Und was ist jetzt geschehen?«

Über die Gesichtszüge des Polizisten legte sich eine gewisse Spannung, als ob er Merkwürdiges zu hören erwarte.

›Ah, er weiß, daß Osman agha dort wohnt, und er weiß, was sich dort zuträgt. Die Polizei wird nichts gegen den Wahnsinnigen unternehmen!‹ dachte die Tänzerin blitzschnell, als sie das Mienenspiel des Schutzmannes bemerkte.

»Wir müssen schnellstens mit der Kommandantur sprechen. Wir wissen aber nicht, wo sie sich befindet, und auf der Straße fanden wir bei diesem Wetter niemanden, der uns führen konnte. Ist hier nicht ein Militärposten? Willst du so freundlich sein und ihn uns zeigen?«

Der Schutzmann schwieg einen Augenblick und sah von Ines auf den Armenier.

»Im Han gab es wohl niemanden, der euch führen konnte?« sagte er dann mit fragendem Nachdruck in der Stimme.

Ines sah ihn scharf an.

»Nein. Im Han gab es niemanden, der uns führen konnte.«

»Die Kommandantur ist weit«, bemerkte der Schutzmann langsam.

»Das macht nichts aus. Wenn es auch hier niemanden gibt, der uns führen kann, dann sei so freundlich und beschreibe uns den Weg. Wir werden ihn schon finden«, antwortete Ines schnell.

Der Polizist zauderte und blickte unschlüssig in die Glut seines Holzkohlenbeckens.

»Wenn uns jemand führen will, werde ich ihm gern fünf Pfund geben«, ergänzte die Tänzerin ihre Worte.

»Ich werde sehen, ob ich jemanden finden kann«, sagte der Polizist endlich.

»Hier ist das Geld. Gib es ihm«, damit hielt sie dem Manne einen Schein hin.

»Gib das Geld dann dem, der dich führen wird. Wartet hier.« Der Polizist ging zum Fernsprecher und rief eine andere Stelle an, die Gendarmerie, wie die Besucher hörten. Nach einigen gewechselten Worten hängte er den Hörer wieder an.

»Es wird sogleich jemand kommen, der euch führen wird.«

Kaum fünf Minuten später trat ein Soldat ins Zimmer. Der Polizist erklärte ihm das Notwendige.

»Und hier hast du fünf Pfund, damit du doch nicht umsonst naß wirst«, sagte Ines, ihm das Geld reichend.

»Das hat nichts zu sagen. Daran bin ich gewöhnt«, antwortete der Soldat, das Geld in die Tasche steckend.

»Nun, so gehen wir«, erwiderte Ines, und zusammen mit dem Soldaten verließ sie mit Tschilinghirian die Polizeiwache.

Vollständig durchnäßt erreichten sie nach über einer halben Stunde das oberhalb der Stadt auf einem Hügelhang liegende Gebäude der Kommandantur. Ein Wachtposten nahm sie in Empfang und führte sie durch mehrere Gänge in ein großes Zimmer, in dem ein Offizier arbeitend an einem Tische saß. Mit einer Handbewegung lud er sie ein, Platz zu nehmen. Ines erklärte ihm ohne Umschweife die Vorfälle, die sie zu ihm führten. Der Offizier hörte aufmerksam zu, ohne sie zu unterbrechen.

»Ich werde den General benachrichtigen«, sagte er, als Ines schwieg. »Ihre Ausweise sind noch auf der Polizei?«

»Ja. Wir haben sie heute morgen dort abgegeben.«

Auf ein Klingelzeichen erschien ein Soldat.

»Wollen Sie, bitte, im Vorzimmer warten. Sobald ich den General gesprochen habe, werde ich Sie benachrichtigen.«

Ines und ihr Begleiter folgten dem Soldaten. Ein, zwei Stunden vergingen. Sie waren auf ihren Stühlen in einen unruhigen Schlaf verfallen. Plötzlich wurden sie durch Schritte geweckt.

»Der General wünscht Sie selbst zu sehen«, sagte ein Soldat, vor Ines stehenbleibend. Zusammen mit dem Armenier folgte sie ihm, bis sie in ein Zimmer gelangte, in dem mehrere Offiziere standen, während der General an einem fast leeren Schreibtisch saß. Bei dem Eintreffen der beiden nächtlichen Besucher erhob er sich und lud sie ein, Platz zu nehmen.

»Sie wünschen nach Angora zu gehen?« begann er die Unterhaltung, einige Papiere, die vor ihm lagen, zur Hand nehmend, in denen Ines ihre Reiseausweise erkannte. »Warum sind Sie nicht über Ineboli gereist?«

»Weil wir den dortigen Spionen der Entente nicht auffallen wollten«, entgegnete die Tänzerin kurz. »Die Vorschläge, die ich beauftragt bin, der Regierung zu überbringen, sind zu wichtig, als daß andere auch nur von der Einleitung der fraglichen Verhandlungen Nachricht erhalten dürfen.«

Der General sah sie durchdringend an.

»Sie verlieren aber sehr viel Zeit mit diesem Umweg.«

»Es ist besser, einige Tage zu verlieren, als überhaupt nicht ans Ziel zu gelangen«, erwiderte Ines. »Auf jeden Fall bitten wir um Ihren Schutz. Wir sind gern bereit, uns als Gefangene nach Angora befördern zu lassen und alle Kosten der Reise zu bezahlen. Aber wir müssen mit der Heeresleitung sprechen.«

Der General machte eine abwehrende Handbewegung.

»So schnell geht das nicht. Ich werde an das Große Hauptquartier telegraphieren. Sobald ich Antwort habe, werde ich sie Ihnen mitteilen. In der Zwischenzeit aber bleiben Sie besser nicht in Samsun. Ich habe den Wali verständigt. Man wird Sie morgen früh an Bord eines Dampfers bringen, der nach Batum fährt. Dort werden Sie einen anderen Dampfer finden, der hierher zurückkehrt. Es ist das der Dampfer ›Gül Dschemal‹. Bei dessen Eintreffen hier, in etwa vier Tagen, wird die Antwort wegen Ihrer Reise hier vorliegen. Ich werde Sie an Bord benachrichtigen lassen. Fällt die Antwort verneinend aus, so werden Sie nach Konstantinopel zurückkehren müssen.«

Ines überlegte blitzschnell. Mit keiner Silbe hatte der General Osman agha erwähnt. Diese Seite der Angelegenheit wollte man also ganz mit Stillschweigen übergehen.

»Unsere Reise nach Angora liegt nicht in unserem persönlichen Interesse, sondern in dem der anatolischen, der türkischen Regierung. Die Anfragen, die wir überbringen sollen, sind für den Fortgang des Krieges von einschneidender Bedeutung. Ich bitte, dies der Regierung mitzuteilen. Wir sind gern bereit, uns allen Maßregeln zu fügen, die die Regierung für notwendig erachtet«, führte Tschilinghirian aus.

»Also auch morgen weiterzureisen, um mit der ›Gül Dschemal‹ zurückzukehren«, sagte der General lächelnd.

»Auch das. Nur bitten wir, daß Auftrag gegeben werde, unser Gepäck aus dem Han Ibrahim Beys zu holen und an Bord zu bringen, während wir bis zur Abfahrt des Dampfers hier warten möchten.«

»Das soll geschehen und Ihrem Warten hier steht nichts im Wege. Ich werde Ihnen nach vier Tagen an Bord des Dampfers ›Gül Dschemal‹ Nachricht senden.« Mit diesen Worten erhob sich der General.

Ines und der Armenier verabschiedeten sich und verließen das Zimmer. Von einem Soldaten geführt, gingen sie in den Vorraum zurück. Erschöpft legten sie sich auf den Boden zum Schlafen zurecht.

Unter den Offizieren, in deren Beisein der General mit ihnen gesprochen hatte, befand sich auch Behaeddin. Er war vor zwei Tagen eingetroffen, nachdem er, begleitet von Dschelal, dem Alten aus der Gegend von Brussa, durch die schwachen Linien der wenigen griechischen Posten im Norden ihrer Stellungen hindurch das Meer bei Eregli erreicht hatte. Von dort hatte ihn ein Küstenfahrzeug nach Sunguldak gebracht, das durch eine französische Dampferlinie in regelmäßigem Verkehr mit Samsun stand.

Wie Haidar Resched ihm durch Halideh hatte mitteilen lassen, war die Militärbehörde in Samsun von Angora aus benachrichtigt worden, daß er mit der Verfolgung und Aufhebung der vier Sendboten des Großwesirs beauftragt sei, und daß man ihm die Hilfskräfte, die er anfordern würde, zur Verfügung stellen solle.

Daher hatte er sich sogleich nach seiner Ankunft bei dem Divisionsgeneral gemeldet, und als man diesem von dem Eintreffen der beiden nächtlichen Besucher Mitteilung machte, hatte er Behaeddin kommen lassen und ihm die in der Zwischenzeit von der Polizeiwache geholten Ausweise Ines Valeras und Tschilinghirians vorgelegt.

Behaeddin hatte die Tänzerin nach ihrem Paßlichtbild sofort erkannt und dem General Auskunft über ihre Person erteilt. Dabei waren auch die von Sadik über Angora gesandten Anweisungen vorgelegt worden, nach denen der Valera und ihrem Begleiter keine Schwierigkeiten in den Weg zu legen seien.

Die Lage war aber durch das Dazwischentreten Osman aghas sehr verwickelt geworden. Der Bürgermeister von Kerasund hatte in dem Bereich seiner eigenen Stadt eine Art persönlicher Herrschaft errichtet, gestützt sowohl auf eine Anzahl gut ausgerüsteter Anhänger als auch auf Abgeordnete der Nationalversammlung in Angora. Er zeigte sich in jeder Weise als Anhänger der nationalen Regierung, verbat sich aber jede Einmischung in seinen eigenen Machtbereich auf das entschiedenste. Die blutige Schreckensherrschaft, die er in Kerasund ausübte, richtete sich in keiner Weise gegen die Regierung, so sehr sie auch das Ansehen der Zentralbehörden schädigte. Doch sie ließ sich nur mit Gewalt brechen. Vorderhand hatte man aber in Angora andere Sorgen und mußte, notgedrungen, dem Gewaltherrscher in Kerasund freie Hand lassen.

Nun war aber Osman agha mit einer Anzahl seiner Parteigänger plötzlich nach Samsun gekommen, und sowohl der Wali wie der Militärkommandant wußten nicht, wie sie sich seiner entledigen sollten, hatte er ihnen doch offen erklärt, daß er die Absicht habe, Samsun ebenso von allen unerwünschten Elementen zu säubern, wie er dies in Kerasund getan habe!

Daher war der Vorfall mit Ines Valera für die Behörden als gute Gelegenheit gekommen, Osman agha ein Ultimatum zu stellen. Sofort, nachdem dem Militärkommandanten der Vorfall gemeldet worden war, hatte er sich mit dem Mali in Verbindung gesetzt, und beide hatten nach einer längeren Besprechung beschlossen, Osman agha unverzüglich und energisch aufzufordern, mit seinen Anhängern Samsun zu verlassen, da er durch sein Vorgehen gegen englische Untertanen der Regierung die größten Schwierigkeiten bereitet habe. Sollte er dieser Aufforderung nicht umgehend nachkommen, so würde man ihn mit Gewalt festnehmen und nach Kerasund zurücktransportieren.

Damit aber diese Schritte Ines Valera und ihren noch unbekannten Hintermännern verborgen blieben, war man auf den Ausweg verfallen, sie auf den am nächsten Tage nach Batum abfahrenden Dampfer zu bringen und es ihr freizustellen, in vier Tagen mit einem von dort zurückkehrenden türkischen Schiff, dem großen, früher deutschen Schnelldampfer »Gül Dschemal« wieder nach Samsun zu kommen. Bis dahin würde Osman agha die Stadt, so oder so, zur Erleichterung der Behörden, verlassen haben.

Behaeddin aber wollte die Valera und Tschilinghirian bis nach Kausa, einem kleinen Orte halbwegs zwischen Samsun und Silleh, nehmen. Nach den Nachrichten, die er unterwegs gesammelt hatte, und nach dem, was er in Samsun erfuhr, schienen die vier Sendboten des Großwesirs schon unterwegs zu sein. In Silleh und seiner Umgebung machte sich eine erhöhte Bewegung bemerkbar. Einem Steuerbeamten, der die schon fälligen Abgaben einziehen sollte, hatte man das Betreten des Ortes verweigert. Die bestimmten telegraphischen Weisungen des Wali von Siwas, dem Silleh unterstand, waren ohne Beachtung und ohne Antwort geblieben.

Zu allem diesem aber kam der noch immer nicht ganz niedergeworfene Aufstand der pontischen Griechen. Angestachelt und aufgehetzt durch feurige Reden und flammende Predigten des griechischen Bischofs von Samsun, der auf einem französischen Kriegsschiffe aus Konstantinopel, wo er sich vorsichtshalber meistens aufhielt, zu Gastrollen nach Samsun gekommen war, hatte die griechische Bevölkerung im Hinterlande, von den Stadtbewohnern im geheimen unterstützt und begünstigt, die Gelegenheit benutzt, als alle türkischen Truppen zur Abwehr des griechischen Vormarsches auf Angora ins Innere berufen worden waren, sich zu erheben. Lang andauernde Bandenkämpfe in den zerrissenen Tälern und Schluchten des pontischen Küstengebirges waren die Folge gewesen. Auf beiden Seiten war mit äußerster Erbitterung gekämpft worden, wußten beide Teile doch, daß es sich um Tod oder Leben jedes einzelnen handelte. Von einer Bergkuppe vertrieben, hatten die Griechen sich auf der nächsten festgesetzt. Mangel an Wasser hatte sie aber gezwungen, sich mit aller Hartnäckigkeit an bestimmte Gebiete zu klammern. So war es den schwachen türkischen Abteilungen, dank ihrer einheitlichen Führung, gelungen, des Hauptteils der einzeln und ohne festen Zusammenhang kämpfenden griechischen Banden Herr zu werden. Dabei waren bis auf Meilen ins Land hinein alle griechischen und ein guter Teil der türkischen Dörfer bis auf den Grund niedergebrannt und zerstört worden. Doch noch immer streiften kleine griechische Banden umher und verübten bald hier, bald dort ihre Überfälle.

So barg eine Erhebung der Bergbevölkerung von Silleh große Gefahren, und der Erfolg der Sendboten des Großwesirs war durchaus nicht so unwahrscheinlich, wie es einem mit der Gesamtlage nicht Vertrauten erscheinen mochte. Die Aufgabe Behaeddins ließ daher an Wichtigkeit nichts zu wünschen übrig. Er hatte eine kleine Abteilung von dreißig Mann verlangt, die in unauffälligen Gruppen nach Amasia, von wo Silleh in einer Nacht zu erreichen war, gehen und sich dort sammeln sollten. Mit der letzten Gruppe wollte Behaeddin dann selbst aufbrechen und versuchen, entweder die Sendboten des Großwesirs, deren Beschreibung und Namen Haidar Resched ihm gegeben hatte, unterwegs ausfindig zu machen und aufzuheben oder sie in Silleh selbst gefangenzunehmen.

Die Ankunft des Dampfers »Gül Dschemal«, mit dem Ines Valera und Tschilinghirian nach Samsun zurückkehren sollten, fiel auf den Tag, den Behaeddin für seine Abreise festgesetzt hatte, so daß er diese beiden, ohne Aufsehen zu erwecken, bis nach Kausa, das er berühren mußte, begleiten oder, besser, geleiten konnte.

»Ich werde also meine Vorbereitungen so treffen,« nahm Behaeddin das Gespräch mit dem General nach dem Weggang der beiden nächtlichen Schutzsuchenden wieder auf, »daß ich diese Personen unauffällig bis nach Kausa bringe. Da dieser Tschilinghirian sich erbot, alle Auslagen zu decken, bitte ich um die Ermächtigung, einen Wagen zu mieten, in dem sie bis Angora reisen können. Bei Ankunft des Dampfers, der morgens fällig ist, können sie dann gleich den Wagen besteigen, und ich kann ohne Verzögerung mit ihnen aufbrechen.«

»Und haben Sie schon daran gedacht, wer sie dann von Kausa weiterbegleiten soll? Ich fürchte, ich muß dann eine besondere Wache stellen, denn der Kommandant in Kausa wird niemanden abgeben können«, sagte der General.

»Ich denke, daß ein Unteroffizier und zwei Mann vollauf genügen werden. Sie könnten vielleicht meiner letzten Abteilung zugeteilt werden, und ich würde sie dann in Kausa zur Begleitung des Wagens nach Angora abkommandieren«, schlug Behaeddin vor.

»Gut, veranlassen Sie das. Sie haben ja vier Tage Zeit«, schloß der General die Unterhaltung.

Am nächsten Morgen wurden Ines und Tschilinghirian an Bord des nach Batum weitergehenden Dampfers gebracht. In der Polizeiwache an der Landungsbrücke fanden sie ihr Gepäck. Kurz nach Mittag setzte sich der Dampfer in Bewegung, und das Panorama der weit hingestreckt die breite Bucht umrahmenden Stadt, die sich an einzelnen Stellen bis zur Hälfte der vollständig kahlen Hügel hinaufzieht, versank hinter ihnen. Am fernen Ufer zog eine kleine Schar Reiter ostwärts aus der Straße, die am Meere entlang führt: Osman agha mit seiner Leibwache, der wutschnaubend den Befehlen des Wali und des Kommandanten nachgekommen war. Am nächsten Tage würde er seinen Herrschaftsbereich wieder erreichen.

Doch Ines Valera und Tschilinghirian, die nebeneinander an der Reeling standen, bemerkten ihn nicht. Zu fern war er, zu klein, zu unbedeutend, als daß auch das beste Fernglas ihn gezeigt hätte.

Über die flache, weit ins Meer hinausreichende Landzunge von Tscharschambe mit ihren Maisfeldern und Wildschweingründen, die in der Verlassenheit ihrer weglosen Einsamkeit sich öde und leer bis an den Fuß der fernen Berge erstreckte, lag schon der leichte Dunst der Abendnebel.

Ines deutete auf das trübe Licht des Leuchtfeuers, das die Untiefen von Tscharschambe anzeigt:

»Wenn wir das wiedersehen, werden wir Samsun in größerer Sicherheit betreten als diesmal. Es war ein Fehler, nicht sogleich zur Kommandantur zu gehen«, sagte sie.

»Es war aber kaum ein Wetter, ohne eine sichere Unterkunft Besuche abzustatten«, antwortete Tschilinghirian abwesend.

»Nun, in den Han Ibrahim Beys werden wir sicherlich nicht zurückkehren«, entgegnete Ines Valera. »Ich möchte wohl das Gesicht dieses Osman agha gesehen haben, als er uns verschwunden fand.«

Der Armenier schüttelte den Kopf.

»In seinen Augen lauerte der Tod«, flüsterte er. »Wer in solche Augen gesehen hat, der stirbt.«

Wie von plötzlicher Furcht erfaßt, berührte Ines seinen Arm. »Kommen Sie!« sagte sie leise. »Mich friert. Gehen wir nach unten.«

Vier Tage später lief die »Gül Dschemal« Samsun an. Der Polizeibeamte, der an Bord kam, hatte eine besondere Landungserlaubnis für Ines Valera und für Tschilinghirian in der Tasche. Doch er fand keine Gelegenheit, sie auszuhändigen. Über dem Dampfer lag eine seltsame Stille. Der Polizeibeamte wurde am Fallreep vom Kapitän in eigener Person empfangen. Neben ihm standen der erste und zweite Offizier.

»Wollen Sie mir in meine Kajüte folgen,« sagte der Kapitän, »ehe Sie Ihre Formalitäten beginnen. Und ich bitte Sie, Ihren Leuten Befehl zu geben, niemanden an Bord und niemanden von Bord zu lassen.«

»Wie! Sie haben die Pest im Schiff?!« rief der Polizeibeamte erschreckt aus und trat einen Schritt zurück.

»Nein«, antwortete der Kapitän. »Nein. Doch wir haben Schlimmeres an Bord gehabt. Kommen Sie!«

In seiner Kajüte angelangt, nötigte der Kapitän den Beamten zum Sitzen. Seine beiden Schiffsoffiziere hatten ihn begleitet.

»Ich werde Ihnen eine Erklärung vorlesen, einen Auszug aus dem Logbuch dieser Reise. Meine beiden Offiziere werden sie mit unterzeichnen, und Sie werden mir bescheinigen, daß dies in Ihrer Gegenwart geschehen ist. Diese Erklärung ersuche ich Sie, sofort an die Regierung nach Angora zu telegraphieren, deren umgehende Antwort ich in Ineboli erwarte.« Der Kapitän setzte sich.

›Auszug aus dem Logbuch des Dampfers ›Gül Dschemal‹, 37. Reise,‹ las er laut vor.

Am Dienstag, dem 17. dieses Monats, um 9²° am., 38° 42' 15" östl. Länge und 41° 15' 10" nördl. Breite wurde der Dampfer von einer Dampfbarkasse angehalten, die die türkische Polizeiflagge führte. Ich ließ stoppen. Über das herabgelassene Fallreep kamen 15 Bewaffnete an Bord. Sie trugen eine Art Uniform. Befehligt wurden sie von einem untersetzten, lahmen Manne, der behauptete, der Bürgermeister von Kerasund, Osman agha, zu sein. Er befahl mir, langsam weiterzufahren und die Barkasse ins Schlepptau zu nehmen.

Seine bewaffneten Leute verteilten sich an Bord. Ich forderte ihn auf, sie zu veranlassen, ihre Waffen beim ersten Offizier abzugeben, was er verweigerte. Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß das Schiff unter meinem Befehl stünde, und daß ich die Anwesenheit von Bewaffneten an Bord nicht dulden könne. Daraufhin drohte er mir, mich erschießen zu lassen.

Während dieser Verhandlungen hatten die Leute Osman aghas sich dreier Frauen und eines Mannes bemächtigt, die sie für Armenier erklärten. Diese Reisenden waren mit ordnungsmäßigen Pässen in Datum an Bord gekommen. Einen Verhaftungsbefehl gegen diese Personen legte mir Osman agha nicht vor.

Als er begann, diese Leute zu mißhandeln, sandte ich meinen ersten Offizier mit einer Anzahl Matrosen, um diesem Treiben ein Ende zu machen. Doch Osman agha ließ seine Leute ihre Gewehre entsichern und auf die meinen, die unbewaffnet waren, anlegen. Dann erzwang er sich den Weg in den Kesselraum und befahl den Heizern, die vier Personen, die er an Händen und Füßen gebunden hatte, lebend in die Glut unter den Kesseln zu werfen.

Die Heizer weigerten sich, diesem Befehl nachzukommen, und stellten die Arbeit ein. Die Schiffsmannschaft und das Maschinenpersonal folgten ihrem Beispiel. Die Gefangenen schrien und wehrten sich aus Leibeskräften. Der Dampfer stoppte ohne Befehl und lag zwei Stunden ohne Führung.

Die vier Personen: Sabel Barnatian,
Maria Vafiadaki,
Ines Valera,
Georg Tschilinghirian

sind während dieser Zeit von den Leuten Osman aghas unter den Kesseln meines Schiffes lebendig verbrannt worden.

Das Gepäck dieser Leute haben die Leute ebenfalls verbrannt.

Ich bin nicht in der Lage gewesen, gegen diesen Eingriff bewaffneter Leute an Bord meines Schiffes einzuschreiten.

Um 1 Uhr mittags verließ Osman agha mit seiner Bande das Schiff, und ich setzte die Fahrt fort Authentisch. D. Verf..

Während der zwei Stunden, die der Dampfer meinem Befehl entzogen worden war, war er bis auf zwei Meilen an die Felsen von Sefire Burnu abgetrieben worden.

Ich ersuche die Regierung um Schutz gegen die Möglichkeit einer Wiederholung derartiger Vorfälle; ohne solchen muß ich jede Verantwortung für Schiff und Ladung ablehnen.

An Bord d. D. ›Gül Dschemal‹, am 17. Hasiran 1337.‹

Der Kapitän griff nach einer Feder und setzte seinen Namen unter das vorgelesene Schriftstück. Schweigend folgten die Offiziere seinem Beispiel.

Der Polizeibeamte saß mit bleichem Gesicht auf seinem Stuhl. Schweißtropfen perlten auf seiner Stirn.

»Dies hat sich hier ereignet? Hier auf diesem Schiff? Gestern?« fragte er endlich.

»Jawohl. Dank eurer verfluchten Nachlässigkeit hat sich das ereignet. Als ob ihr alle nicht längst über das wahnsinnige Treiben dieses Osman agha unterrichtet gewesen wäret!« rief der Kapitän, mit der Faust auf den Tisch schlagend. »Um ein Haar wäre dieses Schiff, das beste, das wir haben, auf die Felsen getrieben worden.«

»Was sollen wir gegen ihn tun? Er hat die Bevölkerung seines Gebietes hinter sich!« antwortete der Polizeibeamte.

»Weil sie ihn fürchtet. Weil er mit seiner Bande alle in Furcht und Schrecken hält. Wer soll sich in diese Gewässer trauen? Morgen hält er ein ausländisches Schiff an! Dort wird er aber richtig empfangen werden. Uns jedoch erlaubt man nicht einmal einen Revolver! Nun aber bringen Sie diese Erklärung sofort zum Wali. Die Regierung muß umgehend verständigt werden. Wohin sollen wir kommen, wenn dies so weiter geht?«

Mechanisch nahm der Polizeibeamte das Papier und stand auf.

»Niemand darf das Schiff verlassen, bis ich wiederkomme.«

Damit verließ er die Kajüte und fuhr in seinem Boot an Land.

Am Ausgang der Brücke wartete der Wagen, den Behaeddin für Ines Valera und Tschilinghirian zur Reise nach Angora genommen hatte. Ein Unteroffizier saß in der Wachtstube der Hafenpolizei.

»Nun! Bringst du meine Leute?« fragte er, als der Polizeibeamte die Wachtstube betrat. »Wir haben Eile, aufzubrechen.«

Einen Augenblick sah der Eingetretene ihn verständnislos an.

»Du brauchst nicht länger warten. Deine Leute sind ..., sind nicht mehr an Bord. Sie sind nicht gekommen«, antwortete er stockend. »Du kannst gehen.«

»So. Sie sind nicht gekommen! Gut, dann werde ich gehen«, und der Unteroffizier verließ das Zimmer.

Der Beamte gab leise einige Befehle, denn der Raum war voller Menschen, die darauf warteten, an Bord der ›Gül Dschemal‹ gehen zu dürfen.

Dann eilte er zum Regierungsgebäude und erstattete seinen Bericht. Eine Stunde später lag die telegraphische Übermittlung in Angora.

Man solle Osman agha bewegen, nach der Hauptstadt zu kommen, lautete die Antwort der Zentralbehörde.

Und Osman agha ging, begleitet von einer Zahl seiner bewaffneten Anhänger. Das erste, was er in Angora tat, war, den ihm mißliebigen Abgeordneten für Trapezunt zu erschießen. Daraufhin gab man Befehl, ihn zu verhaften. Der Wahnsinnige verteidigte sich mit der Waffe in der Hand. Ein Polizist schoß ihn nieder.

Tschilinghirian hatte richtig gesehen. In den Augen Osman aghas wohnte der Tod: der Tod derer, die er anblickte, und sein eigner.


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