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4. Zwischen Levantinern

Als Psalty das Haus Issa Sarantis in der Kleinen Bergstraße betrat, war er in ein halb als Salon, halb als Arbeitszimmer ausgestattetes Gemach im ersten Stock geführt worden.

In der Ecke am Fenster stand ein gelbes englisches Rollpult, das geschlossen war, und ihm gegenüber an der Wand ein hoher Aktenschrank. Den Hintergrund des Zimmers dagegen nahm ein breites Sofa ein, vor dem ein französischer Bouletisch stand, und eine Vitrine in der Ecke war mit Nippsachen der unmöglichsten Art angefüllt. Ein niedriger Teetisch auf Rädern, mit Gebäck und Teegerät, mit Brot, Butter und Früchten in gläsernen Kästen, vervollständigte die heterogene Einrichtung des Zimmers. An den Wänden hingen neben einem echten Corot ein bunter Öldruck, der eine Alpenlandschaft vorstellte, und zwei überlebensgroße Bilder des Besitzers dieser Häuslichkeit und seiner Frau, deren vom Maler ins Schlanke übertragene Formen die gemalte Seide bis zum Bersten ausfüllten. Nur das Funkeln der vielen Diamanten an Ohren, Hals und Brust kamen auf dem Bild nicht recht zur Geltung, sondern erstrahlten mehr in einem kränklichen Gelb und Grün, einem wässerigen Blau, als fräße irgendeine heimtückische Säure an der großen Leinwand.

Da neben dem Schreibtisch der übliche Lederstuhl stand, hatte sich Psalty in dessen Tiefen sinken lassen. Neben ihm stand ein Rauchtisch mit silbernen und geschnitzten hölzernen Kästen, in denen sich die verschiedensten Zigaretten befanden. Psalty zündete eine der dicken, schweren, sogenannten ägyptischen Zigaretten an und ließ den Rauch langsam durch die Nase entweichen.

Er wußte, daß Issa Saranti Schwierigkeiten wegen seiner Güter in Anatolien hatte, Schwierigkeiten, die nicht nur auf den herrschenden Kriegsverhältnissen beruhten, sondern die mehr noch davon herrührten, daß er als englischer Untertan seitens der nationalen Regierung in Angora auf keine Bevorzugung mehr rechnen konnte, wie dies in den glücklichen Zeiten der Kapitulation und des Despotismus aus Furcht des Sultans Abdul Hamid der Fall gewesen war. Der Ertrag der Ländereien, die ausgedehnt und an sich sehr reich waren, hatte daher seit Jahren stark gelitten. Jetzt aber brachten die Güter kaum einen Bruchteil ihrer Kosten ein, von jeder Abschreibung auf das angelegte Kapital zu schweigen. Und was den Besitzer ganz besonders bedrückte, die teuren europäischen Maschinen und Anlagen, die er früher angeschafft hatte, standen in Gefahr, aus militärischen Gründen requiriert zu werden, so wie dies schon mit dem Tierbestand geschehen war. Selbst wenn die Türkei gezwungen würde, diese Schäden später wieder gutzumachen, so wußte Saranti nur zu gut, und Psalty zweifelte ebenfalls nicht daran, daß auch eine solche Entschädigung die tatsächlichen Schäden und Verluste in keiner Weise wiederersetzen konnte.

Dies alles hatte Issa Saranti dem Griechen in vielen Gesprächen erzählt, und ihm nahegelegt, einen Weg ausfindig zu machen, der das eingetretene Unheil aufhalten und abschwächen könne. Und hierauf gründete Psalty seinen Plan.

Es kam, so dachte er, hauptsächlich darauf an, bei der nationalen Regierung in Angora zu erwirken, daß man trotz der Eigenschaft Sarantis als englischer Untertan seinen Besitz besonders rücksichtsvoll behandelte. Dazu mußte Saranti aber nachweisen, daß er als türkischer Großgrundbesitzer und Jude die Interessen der Türkei seiner zufälligen Staatsangehörigkeit, die ihm bisher allerdings nur Vorteile gebracht hatte, voranstellte.

Wenn es nun Saranti gelang, der Regierung in Angora tatsächlich wichtige Nachrichten zukommen zu lassen, so konnte der erhoffte Erfolg nicht ausbleiben. Psalty plante daher, Saranti eine Nachzeichnung des Planes der griechischen Stellungen bei Afiun Karahissar zu übergeben, die dieser dann von sich aus nach Angora gelangen lassen mochte, denn hiermit wollte Psalty selbst aus begreiflichen Gründen nichts zu tun haben. Selbstverständlich aber wollte Psalty nicht umsonst arbeiten, und die Zahlung, die er von Saranti herauszudrücken hoffte, sollte einen kleinen Nebenverdienst an dem Diamantengeschäft mit Baring abwerfen.

Immerhin war der Vorschlag, den er machen wollte, nicht ohne Gefahren, denn wer konnte wissen, ob Saranti nicht nur zum Schein darauf eingehen würde, um dann, im Besitz des Planes, ihn, Psalty, gegen eine andere nette Summe an die Engländer auszuliefern, die für solche Transaktionen stets recht gute Beträge zahlten. Alles würde davon abhängen, wie die Lage Sarantis hinsichtlich seiner Güter überhaupt war, und wie er selbst die weitere Entwicklung der Geschehnisse in Kleinasien sich vorstellte. Wenn er von dem absoluten und durchgreifenden Erfolg der Engländer, das Land unter ihre tatsächliche Macht zu bringen, überzeugt war, so würde er naturgemäß weniger Gewicht darauf legen, sich mit den Herrschaften in Angora gut zu stellen. Zweifelte er dagegen an dieser Möglichkeit, so stieg ganz im Verhältnis zur Stärke dieser Zweifel, die Aussicht, daß er Psaltys Vorschlag annehmen und, was die Hauptsache war, bezahlen würde.

Daher war es dem Griechen nicht unlieb, als die Frau des Hauses ins Zimmer trat. Von ihr würde er über die Ansichten ihres Mannes schon einiges Nützliche erfahren können.

Bei ihrem Anblick suchte er sich schnell aus seiner halbliegenden Stellung in der Tiefe seines Sessels aufzurichten, um sie zu begrüßen. Doch unbeholfen fiel er zunächst wieder zurück.

Lachend wehrte Frau Simone Saranti ihm ab.

»Bleiben Sie, wo Sie sind. Mein Mann hat eben telephoniert, daß er erst später kommen werde. Sie müssen daher mit mir fürliebnehmen.«

Frau Simone trug ein dunkelrotes Seidenkleid mit halblangen offenen Ärmeln, das an den Seiten breit abstehende Falten zeigte, und an Hals und Brust mit silberner Stickerei verziert war. Ihr hochaufgetürmtes, schwarzes Haar war von einem Band in der Farbe ihres Kleides umbunden, und ließ die mit großen Diamantgehängen beschwerten, fleischigen Ohren frei. Auch sonst glitzerte und blitzte sie in allen Farben des Regenbogens, ohne daß man zunächst erkennen konnte, ob die funkelnden Blitzstrahlen von ihren Brillanten oder von den dem Kleide aufgenähten Straßsteinen stammten.

Trotz ihrer fünfunddreißig Jahre war sie noch immer eine für levantinische Begriffe schöne Frau, groß und stark, mit Fleischmassen, die auf die Reichlichkeit ihrer Ernährung schließen ließen.

Psalty war aus seinem Stuhl in die Höhe gekommen und nahm die ihm entgegengestreckte Hand mit höflichem Schütteln in die seine.

»Entschuldigen Sie, daß ich es mir hier so bequem gemacht hatte, aber Ihr Mann wollte um diese Zeit zu Hause sein, und wir hatten uns für eine Besprechung verabredet. Ich erwartete ihn daher jeden Augenblick und bin untröstlich, von Ihnen in dieser Lage betroffen worden zu sein.« –

»Ach, es gibt noch ganz andere Lagen, in denen ich euch Männer manchmal antreffe. Machen Sie es sich ruhig so bequem wie Sie wollen oder können.«

Damit schritt Frau Simone auf das im Hintergrund stehende Sofa, schaltete das elektrische Licht einer großen Deckenbeleuchtung ein, in dem sie plötzlich wie in einer Feuersbrunst auszubrechen schien, und setzte sich.

»So. Da Sie nun einmal jenen Nichtstuerstuhl verlassen haben, können Sie sich hier neben mich setzen. Ich werde eine Tasse Tee machen, und wir können uns unterhalten, bis Issa kommt. Also was gibt es Neues? Wo haben Sie den Abend verbracht?«

»Im Pavillon. Schlecht und recht im Pavillon. Wo soll unsereiner hingehen, wenn er abends sich etwas zerstreuen will!«

»Allerdings, Sie Ärmster. Wo sollen Sie hingehen! Es ist sehr schrecklich, Ihr Los zu überdenken. Allein und verlassen in dieser großen Stadt. Haben Sie sich denn wenigstens gut unterhalten?«

»Ich war mit ein paar englischen Freunden zusammen. Major Baring, Doktor Wood und ein Leutnant Forster.«

»So, mit Major Baring waren Sie zusammen. Wie interessant. Ich kenne ihn. Es ist das doch der Leiter des Nachrichtenübermittlungsdienstes oder wie es nun heißt, irgend so eine geheime Abteilung. Ich habe ihn bei einem Ball getroffen, den General Pellet gab. Er ist wohl sehr reich?«

Während dieser Unterhaltung hatte sie das Teefahrzeug herangezogen und den elektrischen Kocher eingeschaltet. Aus den gläsernen Schalen nahm sie, was ihr unter die Hand kam und türmte es auf einen Teller.

Bei ihren letzten Worten blickte sie von ihrer Beschäftigung auf und warf dem Griechen einen schnellen Blick zu.

»Reich ist er kaum, sonst wär er nicht hier, sollte ich denken. Diese Herren erhalten hier ja hohe Zulagen, die an anderen Orten in Fortfall kommen.«

»Nun, es gibt doch auch einige recht wohlhabende Herren unter den Offizieren«, antwortete Frau Simone ganz unschuldig.

»Die sind aber fast durchgängig dem Oberkommissar persönlich beigegeben. Auch bleiben sie selten lange. Unter den andern Offizieren kenne ich keinen, der über viel Vermögen verfügt.«

»Ja, Sie haben recht. All diese Leute hier › are on the make‹, und das gelingt ihnen ja anscheinend auch recht gut.«

»Nun, wenn es ihnen hier nicht gelingen sollte, dann müßten sie schon mehr als dumm sein.«

»Man bot uns vor einigen Tagen einen wie es heißt neuen Kraftwagen an. Zweitausend türkische Pfunde. Ein englischer Offizier der militärischen Polizei soll der Verkäufer sein. Glauben Sie, daß es Zweck hat, diesen Wagen zu kaufen?«

Psalty lachte.

»Zweck! Haben Sie Veranlassung, sich mit der Militärpolizei gut zu stellen? Ihr Mann ist doch englischer Staatsangehöriger.«

Frau Simone hatte den Tee eingegossen und reichte dem Griechen eine Tasse. Dabei sah sie ihn halb spöttisch, halb fragend an.

»Sie denken also, daß dieser Zustand bestehen bleiben wird?«

»Die Besetzung Konstantinopels durch die Verbündeten Mächte? Aber sicher. Haben Sie die Engländer schon jemals wieder fortgehen sehen, wo sie einmal waren?«

»Calais, zum Beispiel.«

»Oh, das ist doch etwas ganz anderes. Das ließ sich nicht durchführen, ohne alles Errungene aufs Spiel zu setzen.«

»Aufs Spiel? Glauben Sie wirklich, daß die herrliche französische Flotte den Engländern hätte auch nur einen Monat standhalten können, wenn England gewollt hätte?«

»Aber England wollte eben nicht, die Tommies hatten genug und mehr als genug vom Kriegführen.«

»Und die Piou-pious etwa nicht?«

»Aber die ganze Welt hätte eine solche Handlungsweise verurteilt.«

»Bah. Die Welt verurteilt nur, was die englischen Zeitungen wollen. Das ist doch ein alter Witz. Nein, ich bin nicht so überzeugt, wie Sie es scheinen, daß die Engländer hierbleiben. Allein können sie nicht bleiben, das geben die Herren Franzosen nicht zu. Die andern haben ja nichts zu sagen. Und zusammen mit den lieben blaugrünen Bundesgenossen hat die Besetzung Konstantinopels keinen Reiz, finde ich.« –

»Das ist wohl richtig, aber ich nehme an, daß man uns die Besetzung übergeben wird, und das ist dann doch dasselbe, als ob England sie ausübe!«

Frau Simone lachte hellauf, ein Lachen, in das Psalty herzlich einstimmte.

»Sicherlich, das ist die richtige Lösung. Ich werde morgen schon meinen Mann bitten, Grieche zu werden. Doch wo bleibt er nur?«

»Ist er weit von hier?« fragte Psalty.

»Nein, in der Perastraße. Bei Schakir Bey. Doch rauchen Sie nicht? Ich sehe, daß Sie nichts essen. Also nehmen Sie wenigstens eine Zigarette.« –

»Ich danke. Ich habe den ganzen Abend geraucht. Doch, Frau Saranti, haben Sie denn wenigstens halbwegs gute Nachrichten aus dem Innern?«

»Ja, ausgezeichnet! Man hat die gesamte Ernte requiriert, alle Arbeiter eingezogen, die Frauen ins Innere verschickt, wohin, weiß ich nicht, kurz, die ganze Sache wird so nach und nach wieder zur Wüste.«

»Aber doch nur in Konia. In Adana sind die Verhältnisse wohl besser?« entgegnete Psalty.

»Dort hat man verlangt, daß nur Getreide gebaut werde, das man natürlich auch requirieren wird. Die Aussichten sind sehr lieblich. Mein Mann rauft sich schön die Haare.«

Ein verstohlenes Lächeln glitt über die Züge des Griechen.

»Nun, trösten Sie sich. Lange kann die Sache ja nicht mehr dauern. Diese nationalistischen Banden müssen ja eines Tages auseinanderlaufen, und dann haben wir gewonnenes Spiel.« –

Das Klingeln des Fernsprechers schnitt die Antwort ab. Frau Simone ging zum Apparat.

»Ja. Er ist hier«, hörte der Grieche sie sagen. Gleichzeitig machte sie ihm ein Zeichen, näher zu kommen.

»Er wird gleich mit dir sprechen.«

Sie hielt ihm den Hörer hin. »Es ist mein Mann. Am besten, Sie sprechen selbst mit ihm.«

Psalty ergriff die unbeholfene Säule des amerikanischen Sprechapparates und hielt den Hörer ans Ohr. »Guten Abend, Herr Saranti, wie geht es?«

»Gut, mein Lieber, danke. Entschuldigen Sie, daß ich Sie habe warten lassen. Ich konnte aber nicht eher fort. Jetzt gehe ich, und in zehn Minuten bin ich zu Hause. Wollen Sie noch so lange warten?«

»In zehn Minuten. Sehr schön, Herr Saranti. Ich werde noch eine Tasse Tee trinken, den Frau Saranti die Liebenswürdigkeit hatte, mir anzubieten.«

»Ja, tun Sie das. Sagen Sie ihr, sie solle Ihnen auch den Kognak anbieten, der unten links in meinem Likörschrank steht. Sie kennt sich darin nicht aus. Also auf Wiedersehn.« –

»Ich werde es ausrichten. Auf Wiedersehn.« –

Damit hängte Psalty den Hörer an, und wandte sich Frau Saranti wieder zu, die auf ihren Sitz auf dem Sofa zurückgekehrt war.

»Nun, was sollen Sie ausrichten?« lachte Frau Saranti, als Psalty seinen Sitz ihr gegenüber wieder eingenommen hatte.

»Ich weiß nicht, ob es nicht unbescheiden ist. Fast schäme ich mich, aber da ich es Ihrem Manne versprochen habe, und er in zehn Minuten hier sein will, bleibt mir wohl nichts anderes übrig.« Psalty sprach mit lächelnder Höflichkeit. Im Innern aber rechnete er schon, wieviel er von Saranti für die Nachzeichnung des Planes verlangen könne, denn die Unterhaltung mit Frau Simone und die dringliche Liebenswürdigkeit ihres Mannes am Apparat, hatten ihn davon überzeugt, daß der Augenblick günstig sei, seine Absichten durchzuführen.

»Also lassen Sie mich nicht länger warten«, sagte Frau Simone, ihm einen ihrer berühmten, heißen Blicke zuwerfend. –

»Es sei! Hören Sie. Ihr Mann flüsterte mir ins Ohr, was hier sicherlich der richtige Ausdruck ist, ich sollte Ihnen seinen Kaiserlichen Befehl überbringen, aus der unteren linken Ecke seines dem Bacchus geweihten Altars eine Amphora französischen Geistes zu nehmen.«

Der Grieche hatte sich aufgesetzt und die Worte mit nachdrücklichem Ernst gesprochen.

Frau Simone sah ihn verdutzt an. Ihr bewegliches Gesicht hatte sich in eine Art Maske verwandelt, in dem seelen- und sinnlos die großen Kuhaugen wie zwei zufällig eingesetzte runde Scheiben glänzten.

»Der wem geweihte Altar?« fragte sie nach einer Weile. »Was soll das heißen? Eine Amphora!« Plötzlich fing sie wieder an zu lachen, legte sich kokett zurück und betupfte sich die Haare mit den diamantenbesäten Fingern. »Sie wollen mich zum besten halten mit Ihren Rätseln. Holen Sie sich selbst, was Ihnen mein Mann aufgetragen hat.«

In den Ton der letzten Worte war eine leichte Schärfe gekommen. Denn gerade wegen der grundlosen Unwissenheit in allen Dingen, die über den Horizont eines Marktweibes hinausgehen, und die Frau Saranti wie alle reichen Frauen Peras auszeichnete, witterte sie in jeder Allusion, die ihr nicht sogleich verständlich war, eine Beleidigung.

Psalty lenkte schnell ein. Er hatte es sich nicht versagen können, diesem komprimierten Fleischklumpen im Glanze ihrer feuersprühenden Steine einen kleinen Stich zu versetzen. Sie aber gegen sich aufzubringen, lag nicht im entferntesten in seiner Absicht.

»Auf Flaschen gefüllten französischen Geist mir aus dem Kognakschrank Herrn Sarantis zu holen! Was würde ich lieber tun! Aber wo ist er, wo steht dieses Heiligtum, wo thront der Gott des Alkohols, daß ich ihn anbete!«

Jetzt hatte Frau Saranti verstanden, und ein Lächeln legte sich breit und dick und selbstgefällig über ihre Züge.

»Das will ich Ihnen gerne glauben. Kommen Sie, ich will Ihnen das Heiligtum zeigen«, und sie sprang auf, gerade als sich die Tür öffnete, und Herr Saranti sichtbar wurde.

Ohne ihn ein Wort sagen zu lassen, stürzte sie auf ihn zu.

»Issa, wir wollen vor dem Heiligtum knien und den Gott des Alkohols anbeten. Komm schließe dich an.«

Ihre Worte schienen ihr mehr als geistreich, und Psalty war sicher, daß sie sie die nächsten Tage in allen Salons, die sie besuchte, anbringen würde. Er verbiß sich ein Lächeln und ging mit ausgestreckter Hand auf den Herrn des Hauses zu, der sie in einer drucklosen Bewegung schüttelte, dabei, zu seiner Frau gewendet, sagte:

»Simone. Laß doch den Unsinn. Wir haben andere Sachen zu tun. Und wo ist der Kognak, den Psalty trinken soll? Er steht unten links im Schnapsschrank. Hast du ihn nicht finden können?«

Damit setzte er sich auf einen herangezogenen Stuhl und griff nach der vor ihm stehenden Zigarettenschachtel.

Frau Saranti warf Psalty einen halb traurigen, halb stechenden Blick zu, den der Grieche richtig deutete.

»Ich habe mich Ihres Auftrages noch gar nicht entledigt. Wir führten ein so interessantes Gespräch über griechische Mythologie!«

»So, so! Daher die Anbeterei! Ich bin mehr für das Reale. Also, liebe Simone, bitte, bring uns das Fläschchen.«

Psalty hatte sich wieder gesetzt, und Frau Saranti kam nach wenigen Augenblicken mit dem Verlangten und einigen neuen Gläsern.

»Also, danke dir, Kind. Hat dich dieser nächtliche Besucher auch gut unterhalten?«

»Ausgezeichnet. Du hättest noch gar nicht zu kommen brauchen.«

»Nun, da du ihm nur Tee vorsetztest, wäre er wohl bald wieder gegangen«, antwortete ihr Mann und schenkte den Kognak ein.

»Doch Spaß beiseite. Haben Sie irgendwelche Neuigkeiten, mein Lieber?« damit wendete sich Saranti an den Griechen, ihm ein Glas zuschiebend.

Frau Saranti hatte ihren Platz wieder eingenommen.

»Wie man es nimmt«, entgegnete Psalty. »Neuigkeiten wohl gerade nicht. Aber immerhin. Ich wollte hören, wie es Ihnen geht, und ob Sie bessere Nachrichten aus Anatolien haben.«

Saranti schlug sich mit der flachen Hand auf den Schenkel, daß es klatschte.

»Jawohl. Ausgezeichnete, herrliche und beglückende Nachrichten! Sie kosten mich hunderttausend Pfund, zweihunderttausend. Sie können gar nicht besser sein.« Er zerdrückte seine Zigarette in einen Aschbecher. »Diese anatolischen Briganten haben mein Gut beschlagnahmt, Soldaten einquartiert, das Vieh teils fortgetrieben, teils aufgefressen. Eine Ruine wird mir bleiben, ein Trümmerhaufen. Die Früchte jahrzehntelanger Arbeit werden in der Sonne bleichen.«

Bei dieser etwas seltsamen Metapher beugte sich Psalty schnell vor und griff nach seinem Glase, um sein Lachen zu verbergen.

»Jawohl, mein Herr, es ist alles zerstört. Doch die Herren werden es mir bezahlen müssen, jawohl bezahlen.« Und von neuem schlug er sich auf seine Schenkel, daß der Fußboden schwankte.

»Wovon sollen sie aber bezahlen, Issa! Du weißt doch, sie haben kein Geld. Nichts haben sie, diese Landstreicher, diese Briganten!« rief Frau Saranti aus ihrer Sofaecke.

»Das ist es ja. Aber die hiesige Regierung, die kaiserliche türkische Regierung ist dazu da, Ordnung im Lande zu halten. Sie hat zu zahlen. Sie muß zahlen. Bin ich nicht britischer Staatsbürger? Wir werden sie schon zwingen.«

»Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wer weiß denn, ob die Regierung der Anatolier Herr wird. Die Griechen werden Ordnung in Anatolien schaffen.«

»Die Griechen! Verzeihung, Herr Psalty, ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber ich glaube nicht mehr an die Griechen. Nein, ich glaube nicht, daß sie Erfolg haben werden. Sie werden Smyrna und die Küste behalten, soweit die englischen Geschäftsinteressen reichen. Und das wird alles sein. Im Innern aber wird die Regierung wieder herrschen, ebenfalls von uns Engländern unterstützt. So wird es auch am besten sein.«

»Ich bin ganz Ihrer Meinung, trotzdem ich Grieche bin. Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, Herr Saranti. Auch ist diese Lösung die beste. Griechenland kann sich nicht mit so großem Landbesitz belasten, wie ganz Westanatolien. Und es würde stets zu Streitigkeiten kommen. Sie haben ganz recht.«

»Und das ist die Neuigkeit, die Sie bringen?« sagte Saranti, als mache er dem andern einen Vorwurf.

»Nein. Mir scheint es aber in Ihrem Interesse, wenn Sie versuchen, die Schädigungen Ihres Grundbesitzes so weit wie möglich zu verhindern. Denn wer wird sie Ihnen ersetzen, und besonders, wann wird das geschehen?«

»Wie soll ich das tun? Diese Anatolier sind ja nicht zu bestechen. Ich habe es schon versucht. Den Mann, den ich hinsandte, haben sie aufgehenkt.«

»Vielleicht muß man ihnen anders kommen. Ich sollte denken, wenn man ihre Pläne fördert, ihnen behilflich ist, wird das Eindruck machen. Sie haben nicht viel Unterstützung, außer gerade in Anatolien.«

Psalty hatte ruhig und leise gesprochen. Als er schwieg, führte er, wie als fürchte er zuviel zu sagen, seine Zigarette an die Lippen.

Saranti gab nicht sofort eine Antwort. Er rückte an seinem Glas, schob die Flasche zur Seite. Endlich sagte er:

»Also was? Soll ich sie mit Geld unterstützen? Wie soll ich ihnen behilflich sein?«

Saranti hatte sich in eine gewisse Aufregung hineingeredet, die Psalty für seine Zwecke nicht ungünstig schien.

»Indirekt können Sie sie mit Geld unterstützen. Doch nicht direkt. Das würde bei diesen Leuten keinen Eindruck machen«, sagte er wie zögernd.

»Was soll das heißen! Ich will doch etwas für mein Geld sehen. Wenn ich es indirekt gebe, wie soll ich dann Forderungen stellen können?«

Der Grieche machte eine abwehrende, besänftigende Handbewegung. »Nur ruhig. Nur nicht so schnell, lieber Freund. Es gibt auch Hilfen, die nicht mit Geld aufgewogen werden können, die mehr wert sind als noch so große Summen.«

»Ich weiß. Ich soll hier für diese anatolischen Banditen eintreten. Soll meinen Einfluß für sie geltend machen, bei der Regierung und bei den Engländern. Und wenn ich das tue, was soll ich dabei erreichen? Wird man mir mein Vieh wiedergeben, meine Gebäude wieder aufbauen?«

»Das wohl schwerlich. Aber man kann weitere Schädigungen verhindern, man kann Ihnen die Bewirtschaftung der Güter erleichtern, Ihnen das Getreide direkt abkaufen, zu einem guten Preise. Man kann viel und allerhand für Sie tun, dort drüben in Anatolien, wo die englischen Schiffsgeschütze nicht hinreichen!«

Psalty sprach mit ruhiger Betonung, aber doch so, daß eine gewisse Aufreizung in seinen Worten lag. Schon der Hinweis auf die hilflose Lage, in der Saranti sich mit seinen Landgütern gegenüber der kemalistischen Regierung befand, mußte ihn erbittern.

Als der Grieche schwieg, warf Saranti ihm einen bösen Blick zu.

»Wenn Ihre gottverdammten Landsleute einen Funken von Mut und Kraft hätten, wäre die ganze anatolische Bande schon längst erledigt.«

Psalty wiegte zweifelnd den Kopf.

»Wenn! und selbst dann, wer kann das entscheiden? Die Franzosen sind auch nicht untätig.«

»Der Teufel soll sie holen, dies aufgeblasene Gesindel«, rief Saranti.

»Er tut es nur nicht. Wird schon wissen, weshalb nicht. Doch das ist nebensächlich. Sie haben mich gebeten, Ihnen einen Weg ausfindig zu machen, der es gestattet, Ihre Güter ...«

»Schon gut. Ich weiß das. Aber wie in drei Teufels Namen soll ich die Angoraleute indirekt unterstützen und dabei meine Rechnung finden? Das sollten Sie mir erklären, anstatt Reden über die Franzosen zu führen.«

»Issa, ich bitte dich, beherrsche dich doch. Du hast doch gar keinen Grund, ausfällig zu werden«, fiel Frau Simone ein und beugte sich zu ihrem Mann hinüber.

»Ich meine das auch nicht so. Psalty versteht schon. Ich sitze hier mit gebundenen Händen, in dem blinden Vertrauen auf die Griechen und Engländer, und sehe zu, wie ich immer ärmer werde und an den Bettelstab komme. Da soll man ruhig bleiben.«

»Das ist alles richtig«, begann Psalty von neuem. »Und zum Schluß bin ich ja deshalb gekommen, um mit Ihnen zu bereden, ob sich nicht ein Weg finden läßt, all dem Einhalt zu tun.«

»Welchen Weg? So sagen Sie mir doch nur, was Sie vorschlagen wollen«, erwiderte Saranti sehr heftig.

»Das ist nicht so einfach. Ich muß doch auch die Sicherheit haben, daß Sie meine Worte richtig auffassen«, antwortete Psalty vorsichtig.

Saranti sah ihn einen Augenblick prüfend an.

»Das ist richtig. Ich verstehe. Ich bin etwas aufgeregt und voller Ärger. Beachten Sie das nicht, was ich gesagt habe. Ich bin Ihnen nur zu dankbar, wenn Sie mir irgendeinen Ausweg zeigen, ein Mittel ...«

»Ohne Zweifel. Ich kann das sehr gut verstehen.« Trotz des verbindlichen Tones, in dem Psalty diese Worte sagte, entging dem andern der versteckte Hohn nicht, der darin lag, noch auch die Zurückhaltung, die sie eingegeben hatte.

»Ich stelle Ihnen zehntausend Pfund zur Verfügung, wenn Ihr Plan Erfolg hat«, sagte Saranti kurz.

»Englisch?« fragte Psalty unschuldig.

»Unsinn. Türkische Papierpfunde. Das ist doch wohl genug.«

»Um an die zweihunderttausend Goldpfund zu retten? Das erscheint mir etwas wenig.«

Saranti stand auf und setzte sich auf das Sofa, neben seine Frau, Psalty gegenüber.

»Wieviel wollen Sie?« fragte er kurz.

»Ich! Nichts. Ich will Ihnen nur einen Weg zeigen, der möglicherweise vielleicht Ihnen annehmbar und gangbar erscheint. Ich selbst kann mich nicht damit befassen, – aus begreiflichen Gründen.« –

»Und dieser Weg soll zehntausend englische Pfund erfordern! Etwas viel, finde ich.«

»Nicht zuviel. Doch ich gebe das nur als Andeutung. Vielleicht können Sie es billiger durchführen. Es liegt das bei Ihnen!«

»Bei mir?« fragte Saranti ganz erstaunt. »Bei mir?«

»Ich sagte Ihnen doch schon, daß ich mich nicht damit befassen kann. Ich will Ihnen behilflich sein. Vielleicht können Sie mir später wieder einen Gefallen bezeigen.« Psalty sagte dies alles ganz ruhig, ohne mit der Wimper zu zucken. Er wählte sich sorgfältig eine neue Zigarette und steckte sie in Brand.

»Also, was Sie mir vorschlagen wollen, soll ich allein ausführen? Gut. Wenn es Zweck hat und möglich ist, warum nicht. Worum handelt es sich?«

»Was ist der Zweck und das Bestreben der Kemalisten?« fragte Psalty.

»Konstantinopel zu nehmen und uns alle hier zu Hackfleisch zu verarbeiten«, sagte Saranti schnell.

»Das kann ich mir nicht gut denken. Doch immerhin, um das zu tun, scheinen mir einige Vorbedingungen nötig.« –

»Richtig. Zunächst müssen die Herren Griechen hinausgeworfen werden. Und das ist kaum mehr möglich.«

»Mag sein. Aber es erscheint nicht unmöglich, daß man es trotzdem versuchen wird«, antwortete Psalty.

»Das ist gerade, was ich bezweifle.«

»Weshalb?«

»Weil ich bestimmt weiß, daß die griechischen Stellungen so stark sind, daß niemand sie nehmen kann. Sie sind von englischen Offizieren, die ihre Erfahrungen im Weltkrieg gegen die Deutschen gemacht haben, entworfen und unter ihrer Aufsicht ausgebaut worden. Sie sind uneinnehmbar.«

»In der Tat. Dann wäre also nur darauf zu rechnen, daß die Griechen vorrücken werden, die Kemalisten zu Paaren treiben und ganz Anatolien besetzen. Das erscheint mir ebenfalls nicht sehr wahrscheinlich. Jedenfalls dürfte von Ihren Landgütern ...«

»Schon gut«, unterbrach ihn Saranti. »Soll ich vielleicht die griechischen Stellungen nehmen?«

»Allerdings. Das würde ich vorschlagen«, entgegnete Psalty ruhig.

Saranti sah ihn einen Augenblick wie erstarrt an. Dann stand er auf und hielt dem andern die Hand hin.

»Dieser Gedanke ist hervorragend. Wenn ich das tun könnte, dann allerdings kann ich meine eigenen Bedingungen stellen.« –

Psalty schüttelte die ausgestreckte Rechte und sagte lächelnd:

»Nicht wahr? Und daß ich Ihnen dabei nicht helfen kann, ist Ihnen wohl auch klar.«

»Nun, nicht helfen, ist hoffentlich zuviel gesagt. Vielleicht können Sie mir aber behilflich sein.« Damit setzte sich Saranti wieder und goß sich einen Kognak ein, den er schnell trank.

Er hatte mit seinem scharfen Verstand sofort begriffen, daß es sich darum handelte, den Türken die Einnahme der als uneinnehmbar bezeichneten griechischen Stellungen in irgendeiner Weise zu ermöglichen. Wie das ausgeführt werden sollte oder konnte, war ihm zwar noch ganz unverständlich, aber in seiner vollständigen Unkenntnis militärischer Dinge erschien ihm von vornherein das Nehmen irgendeiner Stellung nur eine Frage der Geschicklichkeit des Angreifers.

»Behilflich könnte ich Ihnen gegebenenfalls vielleicht sein. Die Ausführung aber müßten Sie selbst übernehmen«, sagte Psalty, die letzten Worte Sarantis aufnehmend.

»Also erklären Sie mir Ihren Plan. Ich bin gern bereit, alles zu tun, ihn durchzuführen, wenn ich dadurch die Sympathien dieser Anatolier auf meine Seite ziehen kann.«

»Sie äußerten vorhin selbst, daß die griechischen Stellungen uneinnehmbar sind, und daß deshalb kein türkischer Erfolg zu erwarten sei. Ebensowenig wie ich glauben Sie an einen nochmaligen Vormarsch meiner Landsleute.«

»Das ist richtig«, pflichtete Saranti bei. »Und nun? Sprechen Sie. Ich bin neugierig, wie ich da eingreifen kann.«

»Das dürfte Ihnen doch nicht so schwer fallen. Um irgendeine Stellung zu nehmen, ist es vor allen Dingen notwendig, sie zu kennen. Das erscheint mir, obgleich ich nicht Militär bin, das erste Erfordernis.«

»Nun, das sollte den Türken doch nicht so schwer fallen. Sie haben doch überall ihre Spione.«

»Zweifelsohne. Aber nach den Angaben von Spionen den Lageplan einer befestigten Stellung, die Zahl, Stärke und so weiter der Geschütze und was weiß ich, auszuarbeiten, ist eine andere Sache. Auf jeden Fall erfordert das viel Zeit und läuft Gefahr, veraltet zu sein, ungenau, sogar fehlerhaft.«

»Ich soll mir also einen Plan dieser Stellungen, einen ausführlichen Plan beschaffen?« fragte Saranti schnell.

»Jawohl, das meine ich. Und dann diesen Plan den Kemalisten gegen Zusicherungen verkaufen, die Ihre Landgüter sicherstellen und vielleicht auch etwas mehr abwerfen.« –

»Und Sie, mein Lieber, wollen mir diesen Plan liefern?«

»Ich? Wie sollte ich das können? Sie mit Ihren Beziehungen zu den englischen Offizieren müßten das doch ohne große Schwierigkeiten selbst bewirken können.«

»Auf keinen Fall. Ich darf dabei nicht in Erscheinung treten. Besorgen Sie mir den Plan und sagen Sie mir, was er kostet.«

Saranti durchschaute den Griechen ohne Schwierigkeit. Er begriff sehr gut, daß der Vorschlag ganz bedeutende Unterlagen haben mußte, sonst würde Psalty ihn nicht gemacht haben. Gleichzeitig leuchteten ihm die Vorteile sofort ein, die er daraus ziehen konnte, wenn er mit diesem Plan in der Hand an die Kemalisten herantreten konnte. Er wußte genau, daß die Uneinnehmbarkeit der griechischen Stellungen den Türken ebensogut bekannt war wie den Engländern, und daß es für sie zu einer Existenzfrage geworden war, die Stellungen trotzdem zu nehmen. Weiterhin wußte Saranti aber, was Psalty nicht erfahren hatte, daß bisher nur die Pläne der Stellungen fertig waren, diese selbst aber noch nicht ausgebaut waren, während die Türken infolge von Munitionsmangel und fehlenden Ausrüstungen auch die natürlichen Stellungen der Griechen in den Felshügeln von Afiun Karahissar nicht angreifen konnten. Der Ausbau der Stellungen aber würde jede Munitionszufuhr und sonstige Hilfe, die die Franzosen ihnen gewähren mochten, mehr als wettmachen. Wenn er den Türken aber den genauen Plan der fertigen Verteidigungsanlagen ausliefern konnte, so würde die ganze Frage ein anderes Gesicht erhalten und den Türken in Anatolien wenigstens die Hoffnung geben, bei einem Angriff Erfolg zu haben.

»Nun, ich will mich bemühen, Ihnen zu helfen. Doch versprechen kann ich in dieser Hinsicht nichts. Auf jeden Fall aber muß ich auch zum Versuch schon mit Geldmitteln versehen sein«, bemerkte Psalty wie beiläufig.

Saranti war überzeugt, daß Psalty dem Plan auf der Spur war, wenn er ihn nicht schon besaß. Er sah ihn einen Augenblick durchdringend an und sagte dann:

»Ich will Ihnen fünftausend türkische Papierpfund geben. Ebensoviel erhalten Sie, wenn Sie mir den Plan bringen.«

»Ganz ausgeschlossen. Damit kann ich gar nichts anfangen«, entgegnete Psalty sofort. »Es müssen wenigstens Goldpfunde sein.«

Saranti sah Psalty wie bestürzt an.

»Goldpfunde – zehntausend Pfund Gold!« sagte er dann langsam und leise, als spräche er heilige und geheimnisvolle Worte aus. »Das ist ja eine ungeheure Summe.«

»Für etwas Ungeheures. Wenn Sie den Türken diesen Plan geben können, greifen Sie in den Lauf der Weltgeschichte ein. Auf Grund dieses Planes werden sie angreifen, der Angriff allein wird die Sachlage durchaus verändern. Gewisse Erfolge werden sicherlich erzielt werden. Die Stellung der Griechen wird erschüttert werden. Verhandlungen werden beginnen, und man wird sich auf irgendwelche Friedensbedingungen einigen. Der Dienst, den Sie der Türkei leisten, wird ungeheuer sein, denn jetzt wissen sie weder ein noch aus. Und im Verhältnis dazu können Sie Ihre Ansprüche stellen.« –

Psalty hatte ruhig gesprochen und ohne Nachdruck. Die Worte mußten durch sich selbst wirken. –

Saranti sah ihm aufmerksam in die Augen. Eine Zeit verging, während der er angestrengt nachdachte. Endlich sagte er:

»Sie haben nicht unrecht. Aber ich kann Ihnen nicht zehntausend und nicht fünftausend Goldpfund, ohne Aufsehen zu erregen, auszahlen. Haben Sie das bedacht?« –

»Nein, ich bin ja nur gekommen, Ihnen eine Möglichkeit zu zeigen, Ihre Besitzungen zu retten. Es ist an Ihnen, Mittel und Wege zu finden, sie zu verwirklichen.«

»Sie würden das aber doch nicht getan haben, wenn Sie nicht in der Lage wären, mir den Plan zu beschaffen«, antwortete Saranti gedrückt.

»Ich hoffe das. Sicher bin ich nicht. Sie werden wissen, mit wem ich dabei zu tun habe. Erst wenn ich Geld in den Händen habe, kann ich Schritte in der angedeuteten Richtung tun.«

Eine Zeitlang herrschte Stille. Psalty rauchte langsam und bedächtig. Er fühlte sich seiner Sache sicher. Saranti kämpfte zwischen seiner Liebe zum Geld und seiner Furcht vor Verlusten. Seine Hände lagen schlaff auf seinen Schenkeln, und unter den buschigen Augenbrauen warf er hin und wieder einen schnellen Blick auf sein Gegenüber. Plötzlich sagte Frau Simone:

»Gib mir das Geld. Ich werde mit Psalty zusammen die Sache ordnen. Das kann nicht auffallen.« –

Saranti gab keine Antwort. Er saß unbeweglich in seiner Ecke. Endlich stand er auf und sah seine Frau an.

»Was du vorschlägst, Simone,« sagte er, den Kopf langsam hin und her bewegend, »ist ein guter Ausweg. Ich werde ihn befolgen.«

»Ich werde den Plan in Empfang nehmen und das Geld aushändigen, das weitere geht dann nur uns an«, führte Frau Saranti die Worte ihres Mannes weiter. »Und wann können wir den Plan erhalten?«

Psalty blickte von einem zum andern.

»Wie soll ich das wissen! Ich habe Ihnen einen Vorschlag gemacht. Wenn Sie ihn annehmen, schön und gut. Aber mehr kann ich jetzt nicht sagen.«

»Sie werden aber doch irgendeinen Grund haben, mir diesen Vorschlag zu unterbreiten und auch wissen, wie Sie ihn durchführen können. Undurchführbare Vorschläge haben ...«

Psalty hob leicht die Hand und unterbrach den andern.

»Daß und wie mein Vorschlag durchführbar ist, weiß ich. Und Sie wissen ebensogut wie ich, welche Schritte dazu unternommen werden müssen. Auch wissen Sie genau, daß ich zur Durchführung vor allen Dingen Geld brauche. Für mich selbst werde ich den Plan doch nicht erwerben. Was sollte er mir nützen? Ich habe keine Möglichkeit, mit den Kemalisten in Verbindung zu treten. Auch würde ich das nicht für noch so viel Geld tun. Die Gefahr, daß man mich später verrät, ist zu groß, und in Griechenland würde man bald mit mir und mit meinem Geld aufräumen. Die Sache liegt bei Ihnen. Ihnen will ich gern behilflich sein. Sie können den Plan verwerten, und die Vorteile für Sie sind augenscheinlich, sind Sie doch anatolischer Großgrundbesitzer.«

Saranti durchschaute sehr wohl den Sinn dieser Ausführungen und verstand, daß der Grieche ihm die Initiative zur Erlangung der Pläne zuschieben wollte. Er verstand auch seine Beweggründe, und aus seiner Kenntnis orientalischer Gepflogenheiten heraus konnte er sie nur billigen. Auch bestärkte ihn die ausweichende Vorsicht Psaltys in seinem Vertrauen, daß der andere wirklich die Pläne beschaffen könne. Nur ein Gedanke macht ihn noch unruhig. Wie sollte er sicher sein, daß er die richtigen Pläne erhielt?

Er schwieg eine Weile und rauchte nachdenklich vor sich hin. Vor dem Fenster ging der schnelle Schritt einer Patrouille vorüber. In der Ferne heulte eine Kraftwagenhupe. Dann war alles wieder still. Nur die Diamanten auf der Brust Frau Simones rieben sich im Fallen und Heben ihrer Brust leicht und klingend aneinander.

»Wenn man Sie nun aber täuschen sollte und Ihnen falsche Pläne gibt?« fragte Saranti plötzlich.

Psalty lächelte, ein mitleidiges, überlegenes Lächeln.

»Mich zu täuschen, dürfte schwer sein. Ich habe Möglichkeiten der Kontrolle, die ...; doch das nur nebenbei. Ich werde Ihnen aber eine Photographie des Originalgesamtplanes vorlegen mit der Unterschrift der Ihnen ja bekannten englischen Offiziere, die ihn entworfen, beziehungsweise angenommen haben.«

»Photographien, mein Lieber, sind trügerisch. Nirgendwo läßt sich überzeugender lügen, als auf der photographischen Platte. Das würde mir kein Vertrauen geben.«

»Nun, wie Sie wünschen. Sie können die Originalpläne mit den Abzeichnungen vergleichen, genügt Ihnen das?«

»Das würde mir genügen. Doch warum wollen Sie abzeichnen, wenn Sie photographieren können?«

»Ich will beides ausführen. Aber ich bin kein geübter Photograph, und dann sind es eine ganze Anzahl Kartenblätter. Ich selbst verstehe nicht viel davon. Abzeichnen ist sicherer – für mich –, und die Lichtbilder sollen nur zum Vergleich herangezogen werden können. Es ist das Entwickeln, das ich fürchte.« –

»Ich verstehe jetzt. Sie mögen recht haben. Also lassen Sie mich wissen, wann ich die Abzeichnungen mit den Originalen vergleichen kann.«

»Ich brauche dazu, wie ich schon bemerkte, Geld. Ich werde fünftausend Pfund als Anzahlung leisten müssen.«

»Und der Rest ist für Sie?«

»Der Rest ist für mich.«

Saranti warf ihm einen kurzen Blick zu, dann stand er auf und verließ das Zimmer.

Frau Simone zuckte mit den Achseln und hob leicht die blitzenden Hände.

»Sie sind nicht billig, mein lieber Psalty.«

»Das ist Ansichtssache. Persönlich finde ich, daß ich sehr bescheiden bin. Ich schenke Ihnen weit über hunderttausend Pfund Sterling.«

»Schenken! –« Frau Simone zuckte von neuem die Achseln und griff nach einer Zigarette. Psalty hielt ihr ein brennendes Streichholz hin.

Beide schwiegen eine Zeitlang. Endlich öffnete sich die Tür, und Saranti kam zurück. In der Hand hielt er ein Paket Banknoten. Als er sich gesetzt hatte, begann er Schein nach Schein neben sich auf dem Sofa aufzuzählen. Es dauerte eine ganze Weile. Als er fertig war, legte er die Hand auf das Bündel und wendete sich zu Psalty.

»Ich habe hier dreißigtausend Pfund Papier. Wenn Sie meiner Frau die Pläne bringen, können Sie den genauen Kurs mit ihr abrechnen. Sind Sie damit einverstanden?«

»Durchaus.« –

Saranti schob das Geld über den Tisch. »Hier zählen Sie nach«, sagte er und setzte sich zurück.

Langsam und sorgfältig ging Psalty die Summe durch, jeden größeren Schein auf seine Echtheit prüfend. Als er fertig war, legte er die Noten übereinander und verschnürte sie mit einem Band, das ihm Frau Saranti reichte. Das Päckchen auf die Seite legend, sagte er:

»So, das wäre in Ordnung. Halten Sie sich bereit. Etwa nach drei Tagen werde ich Sie benachrichtigen, wo Sie mich treffen können, um die Originalpläne zu sehen. Acht Tage später dürfte es mir dann möglich sein, Ihnen die Nachzeichnungen zu übergeben.«

»Sie scheinen ja mit Ihren Vorbereitungen schon recht vorgeschritten«, konnte Saranti sich nicht enthalten, zu antworten.

»Würde ich Ihnen sonst überhaupt einen Vorschlag gemacht haben?« gegenfragte Psalty, den andern scharf ansehend.

»Gut, mein Lieber. Also in etwa drei Tagen.«

»Nach etwa drei Tagen. Es kann auch eine Woche vergehen. Bestimmtes weiß ich noch nicht. Dazu brauche ich dies«, und er klopfte leicht mit den Fingerspitzen gegen das Banknotenbündel.

»Ich verstehe. Den Rest wird dann Simone mit Ihnen regeln. Das Geld wird über ihr Konto laufen. Sie wird Ihnen einen Scheck auf Paris geben.«

Psalty machte eine abwehrende Handbewegung.

»Keine Schecks, bitte. Nur bar Geld. Es wird das besser sein, für mich und auch für Sie.«

Saranti dachte einen Augenblick nach.

»Das ist nicht so leicht«, sagte er dann. »Was ich Ihnen hier gebe, ist mein ganzer verfügbarer Bargeldvorrat. Ich habe keinen Grund, keinen plausiblen Grund, mir jetzt eine ähnliche Summe in Noten zu verschaffen. Es könnte das auffallen. Und bei der allgemeinen Mißtrauensatmosphäre wäre das nicht sehr günstig. Wollen Sie nicht doch lieber einen Scheck auf Paris nehmen, den meine Frau offiziell zur Begleichung ihrer Kleiderrechnungen geben kann. Überlegen Sie sich das.«

Psalty machte unruhige Bewegungen.

»Nein«, sagte er endlich. »Wenn ich das annehme, kann ich Ihnen die Pläne erst ausliefern, wenn der Scheck bezahlt ist. Das dauert wenigstens zehn Tage. Doch ich will Ihnen einen andern Vorschlag machen. Frau Saranti gibt mir die fragliche Summe in Juwelen. Wir können sie zusammen abschätzen lassen. Darauf würde ich eingehen.« Dabei waren die Blicke des Griechen bewundernd und habgierig über die feuersprühenden Brillantgehänge Frau Simones gewandert.

Da der Vorschlag die Möglichkeit in sich schloß, den Griechen in irgendeiner Weise zu benachteiligen, leuchtete er beiden Saranti sofort ein, während Psalty seinerseits wieder damit rechnete, durch den Handel mehr als die restlichen fünftausend Goldpfund zu erhalten. So waren beide Teile zufrieden. Das eigentliche Geschäft des Pläneerwerbs trat ganz in den Hintergrund, versprach doch die Transaktion mit den Juwelen alle möglichen Gewinnaussichten.

Seine Banknoten in ein Stück Zeitungspapier einpackend, erhob sich Psalty endlich und nahm Abschied.

»Ich sende Ihnen Nachricht, wo Sie mich treffen können, dann gehen wir zusammen dorthin, wo ich Ihnen die Originalpläne vorlegen kann.«

»Abgemacht. Ich werde mich bereit halten. Aber geben Sie mir vierundzwanzig Stunden Zeit, damit Ihre Nachricht mich rechtzeitig trifft.«

»Selbstverständlich. – Auf Wiedersehn.«

Damit verabschiedete sich Psalty von Frau Saranti und ging, gefolgt von ihrem Mann, zur Tür hinaus. Frau Simone sah beiden mit einem spöttischen Lächeln nach. Als die Tür zufiel, zündete sie sich eine Zigarette an und stand auf. Sie ging bis zum Fenster und hörte, wie der Grieche das Haus verließ. Seine Schritte gingen eilig die dunkle Straße hinab.

Als ihr Mann ins Zimmer zurückkehrte, fand er sie noch immer am Fenster stehen. Er sah sie einen Augenblick an und setzte sich dann in den Stuhl, den der Grieche eingenommen hatte. Frau Simone kam langsam zu ihrem Platz zurück und nahm ihre frühere Stellung wieder ein.

Beide schienen mit ihren Gedanken beschäftigt.

»Nun?« sagte endlich Saranti und sah seine Frau an. –

»Ganz richtig, mein Lieber. Ich denke, was du denkst!« –

»Und was denke ich?« fragte Issa Saranti mit einem schlauen Lächeln.

»Daß Psalty die zweiten Fünftausend noch nicht hat!« –

»Ich aber auch noch nicht die Pläne!« –

»Und daß er sie schwerlich erhalten wird.« –

»Dann wird er auch die Pläne nicht hergeben, und ich habe die ersten Fünftausend zum Fenster hinausgeworfen.« –

»Wirklich?« fragte Frau Saranti nach kurzem Schweigen und bewegte den Kopf zweifelnd hin und her.

»Der Vorschlag mit den Juwelen ist aber sehr gut. Du mußt ihn dazu hypnotisiert haben. Suggestive Wirkung deines Schmuckes, sollte ich denken«, und Saranti lachte laut auf.

»Issa, hör zu. Ich weiß, was du denkst, und du hast ganz recht. Dieser verfluchte Grieche soll uns hier nicht das Blut abzapfen. Der Kerl ist ja wahnsinnig. Zehntausend Pfund Gold für einen dummen Plan, den wir erst verwerten müssen.«

»Tüt, tüt, mein liebes Kind!« beschwichtigte Saranti. »Er sucht zu erhalten, was er bekommen kann. Daß die Pläne existieren, weiß ich von Oberst Watson. Auch der Oberkommissar hat in meiner Gegenwart darauf angespielt, als es sich darum handelte, den Griechen Geld vorzustrecken, zum Kriegführen, wie er sagte, zum Begleichen englischer Lieferungsrechnungen, wie ich ihm entgegnete. Doch das ist ja nebensächlich. Die Angaben dieses Psalty stimmen schon, und wenn ich die Pläne habe, werden mir die Türken die Auslagen gern und doppelt ersetzen.«

»Aber zehntausend Goldpfund! Eine ungeheure Summe!« warf Frau Saranti ein.

»Ungeheuer! Nun ja. Doch was heißt ungeheuer? Auf jeden Fall, die ersten fünftausend Pfund braucht der Mann unbedingt, denn umsonst bekommt er die Pläne nicht ausgeborgt zum Abzeichnen. Also diese ersten Fünftausend will ich ihm gern zugestehn. Die zweiten aber, das ist etwas anderes. Mache morgen sofort eine genaue Liste aller deiner Juwelen und so weiter, und gehe damit zu Sarafoghlu, oder besser noch, laß ihn herkommen. Er soll alles fachmännisch beschreiben, aufsetzen, schätzen und diese Aufstellung dann unterschreiben. Aus dieser Liste suchen wir dann die Stücke heraus, die Psalty erhalten soll. Sie mögen ruhig etwas mehr wert sein. Das weitere ist dann meine Sorge.« –

»Issa, Issa, du täuschest dich, glaub mir. Wenn du Psalty verhaften läßt, wird man nicht den kleinsten Brillanten an ihm finden. Denn damit wird er sicher rechnen. Ist er umsonst ein Grieche?«

»Und wenn ich ihn fünf Minuten, nachdem er von hier fortgegangen ist, auf der Straße festnehmen lasse? Wohin soll er in der Zwischenzeit die Steine haben verschwinden lassen? Sage mir das.«

»Nicht fünf Minuten wird er sie behalten. Er wird auch nicht so dumm sein, sie hier abzuholen. Du wirst sie ihm schon irgendwohin bringen müssen. Das ist doch klar!«

»Das spielt doch keine Rolle. Ich kann ihn verhaften lassen, wo ich will, und hierher muß er kommen, um die Sachen auszusuchen und die, die er haben will, abzuschätzen. Er wird sie versiegeln wollen und sie dann irgendwo gegen die Pläne austauschen. Das versteht sich von selbst. Sobald ich aber die Papiere habe, lasse ich ihn verhaften und die Steine wieder abnehmen. Für tausend Papierpfund ist das eine Kleinigkeit.« –

»Er wird nichts, absolut nichts mehr bei sich haben. Glaube mir. Ich täusche mich nicht. An seiner Stelle würdest du auch nicht anders handeln. Du riskierst zuviel, wenn du ihm die Steine gibst. Einmal aus der Hand, sind sie aus der Hand. Und keine Polizei und keine Macht bringt sie uns wieder.« Frau Simone hatte schnell und mit harter Betonung gesprochen.

Ihr Mann sah sie mit einem langen, forschenden Blick an. Endlich sagte er leise:

»Ich weiß, du bist eine kluge Frau, Simone. Ich muß dem Griechen die Steine doch geben, oder ich erhalte keine Pläne. Was also soll ich tun?«

»Weshalb mußt du ihm die Steine geben? Es kommt nur darauf an, daß er glaubt, sie erhalten zu haben, daß er das möglichst lange glaubt. Aber die Steine aus der Hand geben! Nein. Niemals. Bedenke, an die sechstausend Goldpfund, denn er wird die Preise schon niedrig ansetzen.« –

»Ja, aber wie soll ich das denn tun? Kann ich ihm die Steine geben und sie ihm gleichzeitig nicht geben? Wie wird er mir die Pläne geben und darauf warten, daß es mir einfällt, ihm irgendwann einmal die Steine auszuhändigen? Wie meinst du also! Wie soll er glauben, daß er sie erhalten hat, wenn er sie nicht erhalten hat? Er ist doch kein Dummkopf!«

»Nein, Issa, aber du! Nun höre zu. Du weißt, wie ich an meinen Steinen hänge und wie ich stets fürchte, daß man sie mir stiehlt. Ich habe mir also von den schönsten genaue Nachahmungen machen lassen, aber in echter Fassung.«

»Bravo. – Bravo. Jetzt verstehe ich. Das ist gut, ist ausgezeichnet, du bist wirklich klug, meine Simone. Und ich will dir noch für fünftausend Goldpfund kaufen, wenn das gelingt, und es muß gelingen. Was?«

Saranti war aufgesprungen und hatte sich neben seine Frau gesetzt, deren Hand er streichelte.

»Natürlich muß es gelingen. Wir zeigen ihm hier die echten Stücke, aus denen er auswählt, und was er dann geprüft und geschätzt und ausgewählt hat, vertauschen wir in aller Ruhe gegen die dazugehörigen Nachahmungen. Wenn er die Nachahmungen erhält, wird er hier keine Zeit und Gelegenheit haben, sie nochmals zu prüfen, besonders, da ja die Fassungen alle echt sind. Also wird er dir die Pläne geben. Daß wir ihn hereingelegt haben, wird er erst herausfinden, wenn er die Stücke verkaufen will.« –

»Das ist richtig. So wird es gehen. Simone, du bist dein Gewicht in Gold wert, – und das will was heißen«, lachte Saranti, seine Lippen auf den fleischigen Arm seiner Ehehälfte drückend.

»So werden wir die Sache machen. Das ist erledigt. Und nun, wen soll ich zu den Kemalisten mit den Papieren senden. Ich dachte an Tschilinghirian. Er hat alles Interesse daran, sich mit ihnen gut zu stellen und wird die Sache gern aufgreifen. Er wird die Reiseausgaben auch selbst tragen und nichts Besonderes für den Auftrag verlangen. Was denkst du davon?«

»Daß du recht hast, Issa. Tschilinghirian ist der Richtige. Er hat auch genügend Geld und kann auf diese Weise vielleicht noch etwas für seine beschlagnahmten Fabriken erhalten. Auf jeden Fall kann es nicht schaden, mit ihm zu sprechen, aber erst, wenn du die Pläne hast.«

»Natürlich. Natürlich. Er kann über Batum reisen, um kein Aufsehen zu erregen. Von den Plänen kann er erst einen allgemeinen Plan machen, den er vorlegt, und auf Grund dessen er verhandelt, ehe er die genaueren Zeichnungen herausgibt. Was er über zehntausend Goldpfund von den Kemalisten erhält, mag er behalten.«

»Geben würde er es dir doch nicht. Doch, Issa, die Kemalisten haben keine zehntausend Goldpfund zu vergeben, eher hängen sie Tschilinghirian auf und nehmen sich die Pläne. Nein, laß die Sache dabei bewenden, daß man dir die Landgüter zurückgibt und das Vieh und die Maschinen, und dich dort arbeiten läßt. Mag Tschilinghirian sehen, was er für sich herausschlägt. Du verdienst so mehr, als wenn du dir die Pläne bezahlen läßt. Du bist dann ›Patriot‹ und Anatolier und Kemalist und was weiß ich. Wenn du aber Geld verlangst, lieber Freund, fällt das alles ins Wasser.«

»Auch darin hast du recht. Ich schenke den Herren die Pläne. Ich hoffe und flehe, daß sie bald siegen und die verfluchten Griechen ins Meer werfen. Übrigens ist das auch die einzige Hoffnung, die wir noch haben. Mit diesen Engländern und Franzosen und Italienern ist nichts zu machen. Sie wollen nur alles selber fressen, diese Hunde, von denen keiner dem andern einen Knochen gönnt. Sie knurren sich andauernd gegenseitig an, und wir können die Sache bezahlen. Du hast recht, wie immer. Wenn ich die Pläne habe, bin ich anatolischer Patriot. ›Kemal Pascha tschok jascha!‹ alles, was dazugehört. Nun, alloh, ins Bett, es ist spät genug geworden. Wir wollen deine glänzenden Gedanken mal beschlafen. Vielleicht können wir sie noch etwas aufpolieren.«

Damit stand Saranti auf und streckte seine kleine untersetzte Gestalt. Dann verschloß er sorgfältig die Flaschen wieder in seinen Likörschrank und wartete auf Frau Simone, die ihre hohen, engen Hackenschuhe ausgezogen hatte und sich bückte, sie wieder anzuziehen.

»Komm, mein Kind. Geh du ruhig in Strümpfen.«

Einige Minuten später lag das Zimmer im Dunkeln.

Vom Bosporus heulte eine Sirene, laut, anhaltend. Am Nachthimmel schrieb der weiße Finger eines Scheinwerfers seltsame Zeichen. Sonst regte sich nichts.


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