Josef Hofmiller
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Josef Hofmiller

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Der alte Mozart und seine Violinschule

Ein Kapitel Augsburger Musikgeschichte zum schwäbischen Musikfest 5.–7. Juni 1892

(1892)

In den Pfingsttagen dieses Jahres werden viele, der Einladung der »holdseligen Frau Musika« Folge leistend, sich in Augsburg versammeln, und für drei Tage wird die Musik ihren heiteren Reichstag in der Stadt aufschlagen, deren alte, hohe Häuser mit den feingegliederten Giebeln manch ernsteren Reichstag geschaut. Einen deutschen Künstler, der selbst inmitten dieser steingewordenen Symphonie der Renaissance gelebt, unserer Zeit näher zu rücken, ist der Zweck der folgenden Zeilen.

Es ist durchaus kein Grund, sich zu verwundern, wenn wir vom alten Mozart und seiner Violinschule ein wenig plaudern. Denn einmal war der alte Mozart ein prächtiger Mensch, so was man unter einem deutschen Musiker ungefähr versteht, will sagen: durch und durch Original, eine ausgeprägte Persönlichkeit, eine Kraftnatur von starker Rasse und vor allem eins: voll ehrfürchtiger Gewissenhaftigkeit für seine Kunst. Zum Zweiten: Wenn an den drei Pfingsttagen ein paar hundert Musiker geigen und blasen und viele wunderschöne Musik aufführen, so wäre das alles nicht möglich gewesen ohne den alten Mozart, nicht einmal ohne seine alte Violinschule. Zum Dritten war der alte Mozart ein Augsburger Kind, und drum wollen wir zur größeren Ehre der Frau Musika und zum Ruhme Augsburgs von dem alten Herrn ein wenig erzählen.»

Wenn man die Windgasse hinaufgeht, kommt man an das Haus E 15, ein Haus, wie alle andern alten Augsburger Häuser, vorne ein wenig Kartoffelpflaster mit Gras in den Fugen, mit einem kleinen Giebel und einer Gedenktafel, welche meldet, daß in diesem Hause am 14. November 1719 Leopold Mozart, der Vater des berühmten Mozart, geboren sei. Gestorben ist er am 28. Mai 1787 zu Salzburg, als Unterdirektor der erzbischöflichen Kapelle. Er hinterließ der Welt seinen Woferl und seine Nannerl, sowie eine Violinschule. Über Woferl und Nannerl läßt sich nicht viel Neues sagen, eher über die Violinschule, welche mit anderen Büchern das Schicksal teilt, daß sie zwar oft erwähnt wird, aber noch selten jemanden zu Gesicht gekommen ist.

Sie liegt vor mir auf meinem Schreibtisch: »Leopold Mozarts Hochfürstl. Salzburgischen Vice-Kapellmeisters gründliche Violinschule, mit vier Kupfertafeln und einer Tabelle. Zweyte vermehrte Auflage. Auf Kosten des Verfassers. Augsburg, gedruckt bey Johann Jakob Lotter 1769.« Da das Buch auf Kosten des Verfassers gedruckt wurde, scheint es für die damalige Zeit ein finanzielles Wagnis gewesen zu sein. In der Folgezeit jedoch wurde es berühmt und ins Italienische und Französische übersetzt. Gewidmet ist es »dem Hochwürdigsten des heil. Rom. Reichs Fürsten Siegmund Christoph aus dem hoch Reichsgräflichen Hause von Schrattenbach, Erzbischoffen zu Salzburg, des heil. Rom. Stuhls gebohrenen Legaten und Primaten des Deutschlandes, meinem gnädigsten Landesfürsten und Herrn«. An der Spitze trägt das Buch in griechischer und lateinischer Sprache ein Motto aus Quintilian. Der alte Mozart war nicht nur ein tüchtiger Musikant, sondern auch ein grundgelehrtes Haus. Seine Violinschule strotzt von Zitaten griechischer, römischer, französischer, englischer, italienischer und hebräischer Bücher. Er hatte eine ausgezeichnete Bildung genossen und die Absicht, Jura zu studieren, hatte ihn zuerst nach Salzburg geführt. Der deutsche Musiker ist aber ein wunderlicher Kauz: Je sprühender und heller ihm die wunderschönsten Melodien im Kopfe jauchzen und klingen, desto schweigsamer pflegt es im Geldbeutel herzugehen. Leopold Mozart hatte sich schon während seines Studiums durch Musikunterricht erhalten, und bald vertauschte er das corpus juris civilis mit Kontrapunkt- und Generalbaßlehre. Er wurde sodann Kammerdiener beim Domherrn Grafen Thurn (etwas für die damalige Zeit durchaus nichts Auffälliges; war doch auch Josef Haydn bei dem Maestro Porpora ebenfalls eine Zeit lang tagsüber mit Bürste und Besen, abends mit Geige und Spinett tätig). Doch auf seine gelehrte Erziehung war Mozart stets stolz; allgemeine Bildung hielt er, und das beweist sein richtiges Gefühl, für etwas dem Komponisten schlechthin Notwendiges. Zum Beispiel Violinschule, Seite 108: »Die Abschnitte und Einschnitte sind die Incisiones, Distinctiones, Interpunctiones usf. Was aber dieß vor Thiere sind, muß ein guter Grammatikus, noch mehr ein Rhetor und Poet wissen. Es soll es aber auch ein guter Violinist wissen. Einem rechtschaffenen Componisten ist diese Wissenschaft unentbehrlich; sonst ist er das fünfte Rad am Wagen; ein besonderes Naturell ersetzet zwar manchmal den Abgang der Gelehrsamkeit und oft hat, leider! ein Mensch bey der besten Natursgabe die Gelegenheit nicht, sich in den Wissenschaften umzusehen.«

Im übrigen ist Mozart ziemlich schlecht auf die Gelehrten zu sprechen; anläßlich der gleichgültigsten Dinge macht er plötzlich eine überraschende Wendung, um den Gelehrten eines zu versetzen. Zum Beispiel »Am äußersten Ende bemühen sich die Geigenmacher theils eine zierliche schneckenförmige Krümmung, theils einen wohlgearbeiteten Löwenkopf anzubringen. Ja sie halten sich über dergleichen Auszierungen oft mehr auf, als über dem Hauptwerke selbst; daraus denn folget, daß auch die Violin, wer sollte es meynen! dem allgemeinen Betrug des äußerlichen Scheines unterworfen ist. Wer den Vogel nach den Federn und das Pferd nach der Decke schätzet, der wird auch unfehlbar die Violin nach dem Glänze und der Farbe des Firnüsses beurtheilen, ohne das Verhältniß der Haupttheile genau zu untersuchen. Also machen es nämlich alle diejenigen, welche ihre Augen, und nicht das Gehirn zum Richter wählen. Der schön gekraußte Löwenkopf kann ebensowenig den Klang der Geige, als eine aufgethürmte Quarreperrücke die Vernunft seines lebendigen Perrückenstockes bessern. Und dennoch wird manche Violin nur des guten Ansehens wegen geschätzet; und wie oft sind nicht das Kleid, das Geld, der Staat, sonderbar aber die geknüpfte Perrücke jene Verdienste, die manchen ... zum Gelehrten, zum Rath, zum Doktor machen! Doch! wo bin ich hingerathen? Der Eifer gegen das so gewöhnliche Urtheil nach dem äußerlichen Scheine hat mich fast aus dem Geleise getrieben.« Insbesondere sind ihm die musikalischen Ästhetiker zuwider; er wüßte ihnen ganz andere Aufgaben: »Das ganze musikalische Reich wüßte es einer gelehrten Gesellschaft nimmer genug zu verdanken, wenn sie den Instrumentenmachern ein so nützbares Licht anzündete, als: was für Holz zu einem Geigeninstrumente das tauglichste? Wie die Schweislöcher des Holzes am besten zu verschliessen seyn, und ob nicht auch der innere Theil deßwegen mit Firnüß ganz fein zu bestreichen, und was für Firnüß der tauglichste wäre. Man wird es mir nicht verargen, wenn ich ganz aufrichtig sage: daß an genauer Untersuchung der Instrumente mehr lieget, als wenn man durch die Bemühung vieler Gelehrten endlich vom Grunde erörtert: warum zwo unmittelbar auf einander folgende Oktaven oder Quinten nicht wohl in das Gehör fallen. Bey rechtschaffenen Componisten sind sie ohnehin schon längst des Landes verwiesen. Da messen die Gelehrten ganze Reihen papierener Intervallen aus, davon oft viele in der Ausübung wenig oder gar nichts nützen.« Von köstlicher Derbheit ist die folgende Stelle: »Die Herren Kunstrichter werden sich ja nicht daran stoßen, wenn ich die 4/ 2/8 9/8 9/16 12/16 12/24 12/4 Takte weglasse. In meinen Augen sind sie ein unnützes Zeug; man findet sie in den neueren Stücken wenig oder gar nicht; und man hat wirklich Taktsveränderungen genug alles auszudrücken, daß man dieser letztern nicht mehr benöthiget ist. Wer sie liebt, der mag sie mit Haut und Haare nehmen. Ja ich würde den ganzen Tripel auch noch großmüthig dazu schenken, wenn er mich nicht noch aus einigen alten Kirchenstücken trotzig anglotzete. Da nun aber solches schimmlichtes Zeug hieher zu schmieren gar zu nichts mehr dienlich ist, so werden die Liebhaber dergleichen Unterhaltungen an die alten Schriften selbst angewiesen.« Man muß nun wissen, wie Mozarts Bemerkungen bezüglich des Instrumentenbaues und der Takteinteilung von den modernen Tonphysiologen, wie Fechner und Hermann Helmholtz, oft bis in die kleinsten Details hinein bestätigt worden sind, und man wird den genialen Weitblick dieses Mannes, sein sicheres Auge für die Entwicklung der Musik, sein resolutes Aufräumen mit formalistischem Kram noch mehr bewundern.

Interessant für die Stellung der Musiker im vorigen Jahrhundert sind die beiden folgenden Sätze: »Die Instrumentenmacher arbeiten heutzutage freilich meistentheils nur nach Brod. Und einestheils sind sie auch nicht zu verdenken; man verlangt gute Arbeit und will wenig dafür bezahlen.« »Man pflegt an vielen Orten die Gelehrten und Künstler mit lauter Bravo fast zu vergöttern, ohne sie mit einer andern gebührenden und nachdrücklichen Belohnung zu beehren. Allein, dergleichen magere Lobeserhebungen sollten den Herrn Virtuosen auch eine Natur der Götter einflössen, und ihre Leiber verklären, damit sie von himmlischen Einbildungen leben könnten, und nimmer einer zeitlichen Nothwendigkeit bedürften.«

Diese und ähnliche Ausführungen Mozarts bieten ein doppeltes Interesse: einmal ein kulturgeschichtliches, insofern sie durchaus treue und lebendige Dokumente der Zeit sind, in der unsere moderne deutsche Musik geboren wurde; sodann ein hohes Interesse bezüglich der Entwicklung, welche unser Musikwesen seit hundertfünfzig Jahren genommen oder auch nicht genommen hat. Und in dieser Beziehung ist sie geradezu ein goldiges Buch, des alten Mozart alte Violinschule. Die folgenden im Buche zerstreuten Sätze könnte man vielleicht in ein Kapitel bringen mit der Oberschrift: »Virtuosenunarten«. Oder, wie der alte Mozart vielleicht als guter Augsburger geschrieben hätte: »Von den Ohnfürmen der Virtuosen«.

Ich lasse diese Ausführungen ohne weitere Randbemerkungen folgen. Denn sie sprechen deutlich genug, deutlich auch zu unserer Zeit. Sie sind der ehrliche, echt künstlerische Protest einer gesunden und starken musikalischen Natur gegen jede Art musikalischen Akrobatentums: »Wer sollte nicht lachen, wenn man zum Exempel auf der Violin solche Gänge, Sprünge und Verdoppelungen abgeigen soll, dazu noch 4 andere Finger nöthig wären? Manche meynen, was sie Wunderschönes auf die Welt bringen, wenn sie in einem Adagio cantabile die Noten rechtschaffen verkräuseln, und aus einer Note ein paar Dutzend machen. Solche Notenwürger legen dadurch ihre schlechte Beurtheilungskraft zu Tage, und zittern, wenn sie eine lange Note aushalten oder nur ein paar Noten singbar abspielen sollten, ohne ihre gewöhnlichen und ungeschickten Verzierungen anzubringen ... Eine Unart ist die gewaltige Bewegung des ganzen Leibes, wodurch sich auch oft der Chor oder das Zimmer, wo man spielet, erschüttert, und die Zuhörer bey dem Anblicke eines so mühsamen Holzhauers entweder zum Gelächter oder zum Mitleiden bewogen werden ...

Was kann wohl abgeschmackters seyn, als wenn man sich nicht getrauet, die Geige recht anzugreifen; sondern mit dem Bogen, der oft nur mit zweenen Fingern gehalten wird, die Seyten kaum berührt, und eine so künstliche Hinaufwispelung bis an den Sattel der Violin vornimmt, daß man nur da und dort eine Note zischen höret, folglich nicht weiß, was es sagen will; weil alles lediglich nur einem Traume gleichet ... Es gibt Violinisten, welche in die von ihnen selbst zusammengeschmierten Solo oder Concerte alle nur erdenkliche Gaukeleyen einflicken. Giebt es nicht andere, die mit den unverständlichsten Passagen alle Tonleitern durchwandern? die unverhoftesten, Seltsamesten und wunderschönsten Bockssprüng anbringen? ja solche widrige Gänge untereinander mischen, die weder Ordnung noch Zusammenhang haben! ... Alles kann zur Mode werden; ich sah wirklich schon einige, die beim Cadenztriller den Bogen ein paarmal änderten, um nur einen recht schrecklich langen Triller zu machen, und dadurch ein Bravo zu erhalten. Mir gefällt es nicht ...

Es gibt solche Spieler, die bey jeder Note beständig zittern, als wenn sie das immerwährende Fieber hätten. Der gute Vortrag einer Komposition nach dem heutigen Geschmacke ist nicht so leicht, als sich's manche einbilden, die sehr wohl zu thun glauben, wenn sie ein Stück nach ihrem Kopfe recht närrisch verzieren und verkräuseln; und die von demjenigen Affekte ganz keine Empfindung haben, der in dem Stücke soll ausgedrücket werden. Und wer sind diese Leute? Es sind meistens solche, die, da sie kaum im Takte ein wenig gut fortkommen, sich gleich an Concerte und Solo machen, um (nach ihrer dummen Meynung) sich nur bald in die Zahl der Virtuosen einzudringen. Schlechte Akkompagnisten gibt es genug; gute hingegen sehr wenig; denn heut zu Tage will alles Solo spielen. Wie aber ein Orchester aussieht, welches aus lauter Solospielern bestehet, das lasse ich jene Herren Komponisten beantworten, die ihre Musiken dabey aufgeführet haben ... Wenn man manche italienische Sängerinn, oder sonst solche Einbildungsvirtuosen vor sich hat, die dasjenige, was sie auswendig lernen, nicht einmal nach dem richtigen Zeitmaase fortbringen; da muß man freilich ganze halbe Takte fahren lassen, um sie von der öffentlichen Schande zu retten. Oft mag man in einem Adagio cantabile manche Achttheilnote die Zeit eines halben Taktes aushalten, bis der Virtuos von seinem Paroxysmus wieder zu sich kömmt; und es geht nichts nach dem Takte; denn er spielt »rezitativisch«.

Man gehe diese Bemerkungen des klarsehenden und gewissenhaften Meisters, eine nach der andern, durch – es ist keine einzige darunter, deren Tadel nicht auf manche Erscheinung unserer modernen Konzertsäle in vollem Umfange angebracht wäre. Ein wenig veränderte Sprache, und es könnte 1892 geschrieben sein, statt 1756.

Kostbare und zuweilen auch köstliche Bemerkungen über musikalische Pädagogik weist das Buch in Fülle auf. Mozart spricht offen seine Überzeugung aus, daß jeder vernünftige Unterricht ein individueller sein müsse. »Man sehe auf das Temperament des Schülers, sonst wird er auf seine Lebstage verdorben. Ein fröhlicher, lustiger, hitziger Mensch wird allezeit mehr eilen; ein trauriger, fauler und kaltsinniger hingegen wird immer zögern. Läßt man einen Menschen, der viel Feuer und Geist hat, gleich geschwinde Stücke abspielen, bevor er die Langsamen genau nach dem Takte vorzutragen weis; so wird ihm das Eilen lebenslänglich anhangen. Legt man hingegen einem frostigen und schwermüthigen Maulhänger nichts als langsame Stücke vor, so wird er allezeit ein Spieler ohne Geist, ein schläfriger und betrübter Spieler bleiben. Man kann demnach solchen Fehlern, die von dem Temperamente herrühren, durch eine vernünftige Unterweisung entgegenstehen. Den Hitzigen kann man mit langsamen Stücken zurückhalten und seinen Geist nach und nach dadurch mäßigen; den langsamen und schläfrigen Spieler aber kann man mit fröhlichen Stücken ermuntern, und endlich mit der Zeit aus einem Halbtodten einen Lebendigen machen.«

Sehr beherzigenswert ist folgender Passus: »Die Meister haben oft die Geduld nicht, die Zeit abzuwarten; oder sie lassen sich von dem Discipel verführen, welcher alles gethan zu haben glaubet, wenn er nur bald ein paar Menuete herabkratzen kann. Ja vielmal wünschen die Eltern, oder andere des Anfängers Vorgesetzte nur bald ein dergleichen unzeitiges Tänzel zu hören, und glauben alsdann Wunder, wie gut das Lehrgeld verwendet worden.« »Allein was kann der Schüler dafür, wenn es sein Lehrmeister selbst nicht besser verstehet, und wenn der Lehrmeister selbst auf gut Glück in den Tag hinein spielet ohne zu wissen was er thut? Und dennoch will oft noch dazu ein solcher Gerathewohl-Spieler ein Komponist heißen. Genug! Man mache keine oder nur solche Auszierungen, die weder die Harmonie noch die Melodie verzerren. Man lerne endlich einmal gut lesen, bevor man mit Figuren um sich werffen will; denn mancher kann ein halbes Dutzend Konzerte ungemein fertig und sauber wegspielen; kömmt es aber dazu, daß er etwas anders gleich von der Faust weggeigen solle, so weis er nicht drey Takte nach des Componisten Meynung vorzutragen; wenn gleich der Vortrag auf das genaueste bestimmt ist. Ich eifere für die Reinigkeit des Vortrags; man nehme mir's also nicht übel, daß ich die Wahrheit rede.« »Ich kann hier jene närrische Lehrart nicht unberührt lassen, die einige Lehrmeister bey der Unterweisung ihrer Lehrlinge vornehmen; wenn sie nämlich auf den Griff der Violin ihres Schülers die auf kleine Zettelchen hingeschriebene Buchstaben aufpichen, oder wohl gar an der Seite des Griffes den Ort eines jeden Tones mit einem starken Einschnitte oder wenigstens mit einem Ritze bemerken. Hat der Schüler ein gutes musikalisches Gehör, so darf man sich nicht solcher Ausschweifungen bedienen; fehlet es ihm aber an diesem, so ist er zur Musik untauglich, und er wird besser eine Holzaxt, als die Violin zur Hand nehmen.«

Etüden sollen nach Mozarts Ansicht möglichst trocken sein. »Hier sind Stücke zur Übung. Je unschmackhafter man sie findet, je mehr vergnügt es mich; also gedachte ich sie nämlich zu machen.«

Er scheint auch die argumenta ad hominem geliebt zu haben: »Man muß zu Zeiten auf ganz besondere Mittel gedenken, wenn man Leuten, die keine natürliche Fähigkeit haben, etwas beybringen soll. Eben also mußt ich einsmals eine ganz besondere Notenerklärung erfinden. Ich stellte nämlich die ganzen Noten als sogenannte Batzen oder Vierkreuzerstücke vor, die halben Noten durch halbe Batzen, die Viertheilnoten durch die Kreutzer, die einfachen Fusellen (Achtel) durch die halben Kreutzer oder Zweenpfenniger, die doppelten Fusellen (Sechzehntel) als Pfennige, und endlich die dreyfachen Fusellen (Zweiunddreißigstel) als Häller. Läßt dieß nicht recht lächerlich? Und so lächerlich und einfältig es immer klingt, so half es doch. Denn dieser Saamen hatte das richtigste Verhältniß mit der Erde, in die er geworfen ward.«

Etwas sehr drastisch ist folgende Methode: »Will der Schüler den Ellebogen nicht biegen, und geigt folglich mit einem steifen Arm und starker Bewegung der Achsel, so stelle man ihn mit dem rechten Arm nähe an eine Wande; er wird, wenn er beym Herabstriche den Ellebogen gegen die Wand stößt, solchen ganz gewiß biegen lernen.«

Von mehr als nur zeitgeschichtlichem Interesse sind auch Mozarts Bemerkungen über Musik im allgemeinen. Ohne Rhythmus keine Musik, sagt er an mehreren Stellen, und er meint jene rhythmische Bewegung, welche das physiologische Wohlbehagen erzeugt, das im graziösen Gehen, Schreiten, Tanzen liegt. Von dem Fortschritte der Musik ist er überzeugt: »Wenn es wahr wäre, daß die griechische Musik die Krankheiten geheilet hätte, so müßte unsere heutige Musik unfehlbar gar die Erblaßten aus ihren Särgen rufen.« Gerade wie wenn er eine Ahnung von jenen erschütternden Posaunentönen gehabt hätte, mit denen sein Sohn das Erscheinen des steinernen Gastes im Don Juan begleiten sollte. Einmal gebraucht er das Wort »Vollkommenheit«, setzt aber sofort in einer Anmerkung dazu: »Man stoße sich nicht an dem Worte: Vollkommenheit. Wenn wir genau und nach der Schärfe darein sehen, so sind freylich noch Stuffen ober uns.« Das erinnert an Haydns prophetischen Ausspruch: »Kinder, was in der Musik bereits geschehen ist, ist nichts im Vergleich mit dem, was in ihr noch geschehen kann.«

Bei der Erklärung des Wortes cantabile setzt er feierlich hinzu: »Und dieß ist das schönste in der Musik.« Vor unserem Geiste steigen dabei all jene herrlichen Cantabile auf, mit denen sein Sohn und Beethoven die Welt beschenkten bis hinauf zu den Sphärenharmonien und Sternenreigen im dritten Satze der neunten Symphonie.

Auf musikhistorisches Gebiet führt uns die folgende Anmerkung: »Einem Violinisten wird meine Lehre von den Tonarten unfehlbar nützlicher seyn, als wenn ich ihm Vieles von den Alten ihrem Dorius, Phrygius, Lydius, Mixolydius, Aeolius, Jonius und, durch Hinzusetzung des Hypo von noch anderen solchen sechs Tonarten vorschwätze. In der Kirche gemessen sie das Freyungsrecht; bey Hofe aber werden sie nimmer gelitten.« Hier ist mit wenig Worten der große Prozeß charakterisiert, der die auf diatonischer Grundlage aufgebaute Musik durch die enharmonische verdrängte. Wer Gelegenheit hatte, im Konzerte des Orchestervereins die als Manuskript in der Staatsbibliothek befindliche Sonate von Tartini zu hören, wird sich vielleicht an den eigenthümlichen Zwiespalt erinnern, der durch diese Musik hindurchgeht. Manchmal ein leises, fast verwehtes Echo von Palestrinas seltsam jubilierenden Akkorden, dann wieder kurze, blitzartige Hinweise auf Haydn, bis das Adagio in beinahe Mozartscher Weihe und Verklärung ausklingt.

Sehr hübsch ist auch der »Versuch einer kurzen Geschichte der Musik«, der sich pag. 10 ff. in der Violinschule findet. »Gott hat dem ersten Menschen gleich nach der Erschaffung alle Gelegenheit an die Hand gegeben, die vortreffliche Wissenschaft der Musik zu erfinden. Adam konnte den Unterschied der Töne an der menschlichen Stimme bemerken; er hörte den Gesang verschiedener Vögel; er vernahm eine abwechselnde Höhe und Tiefe durch das Gepfeife des zwischen die Bäume dringenden Windes; und das Werkzeug zum Singen war ihm ja von dem gütigen Erschaffer im voraus in die Natur gepflanzet ... Dem Jubal sind seine Verdienste nicht abzusprechen. Denn die heilige Schrift selbst beehret ihn mit dem Titel eines Musikvaters ... Die Violin ist von dem Orpheus, dem Sohn des Apollo erfunden worden; und die Dichterinn Sappho hat den mit Pferdhaaren bespannten Bogen erdacht und war die erste, welche nach heutiger Art gegeigt hat.« Vierundvierzig gelehrte Werke, deren Zitate in Seitenzahl angemerkt sind, haben Mozart zu diesen Resultaten geführt.

Die umfangreichen Studien zu seinem Werke halfen in ihm ein gelehrtes Selbstbewußtsein erzeugen, das manchmal in einer Anmerkung kategorisch und köstlich gravitätisch auftaucht. Zum Beispiel »diejenigen, welche das Auflösungszeichen in ihrer Komposition nicht brauchen wollen, die irren sich. Wenn sie es nicht glauben, mögen sie mich darum fragen«.

Interessant ist, daß auch ihm schon die später von Richard Wagner bis ins Einzelnste durchgeführte Idee vorschwebte, die Vortragsbezeichnungen der Musik in deutscher, statt in italienischer Sprache anzudeuten: »Man sollte sich durchaus seiner Muttersprache bedienen und man könnte so gut langsam als Adagio auf ein musikalisches Stücke schreiben; allein soll denn ich der erste seyn?«

Ein weltgeschichtliches Wortspiel macht er anläßlich der Tirata genannten Verzierung. Er übersetzt nämlich tirata mit »Schuß« und fährt dann fort: »Was? den Schuß aus dem Reiche der Musik verbannen? ... Das wollte ich nicht wagen. Denn er hat sich nicht nur in die schönen Künsten, sondern aller Orten eingedrungen. Ja, wo man nichts davon wissen will, dort riechet es erst recht sehr nach Pulver ...« Man erinnere sich, daß im Jahre 1756, als die erste Auflage der Violinschule erschien, Friedrich II. soeben den Siebenjährigen Krieg begonnen hatte. Übersetzungen von musikalischen Kunstausdrücken sind überhaupt Mozarts starke Seite; die dreiteiligen Takte nennt er Trippeltakte, die Triolen Dreyerl, den mordente Beisserl: »Wenn sich einige bey diesem mordente, nach der Wortforschung, lustig machen, so darf ich vom französischen pincé welches Zwicken, Zupfen oder Pfetzen heißt, wohl sagen: Daß der Mordent ganz still und geschwind sich an die Hauptnote machet, selbe ungefehr anbeisset, zwicket oder pfetzet; gleich aber wieder ausläßt.«

Das hübscheste am Buche sind die beiden Vorreden, von einer so liebenswürdigen, so unaufdringlichen Geschwätzigkeit, wie sie eben nur im achtzehnten Jahrhundert zu finden ist. Und es ist eigentümlich, welch sicheres Stilgefühl Mozart nicht nur in musikalischer, sondern auch in sprachlicher Hinsicht besaß. Man vergleiche die folgenden Stellen einmal mit dem Prosastile Lessings; man wird ganz merkwürdige Ähnlichkeiten damit entdecken: Dasselbe elegante Anreihen von Gedanke an Gedanke, dasselbe musikalische Gefühl für die Nuancen der Wortstellung, der Satzwendung, dieselben feinen, geschmeidigen, ungezwungenen Wendungen, sprachliche Menuette an Grazie und Liebenswürdigkeit: »Ob diese Blätter so abgefasset sind, wie es Herr Marpurg und andere gelehrte Musikverständige wünschen, dieß ist eine Frage, die nicht ich, sondern die Zeit beantworten kann. Und was könnte ich denn wohl auch davon sagen, ohne mich zu tadeln oder zu loben? Das Erste will ich nicht: denn es läuft wider die Eigenliebe. Und wer würde mir doch glauben, daß es mein Ernste wäre? Das zweyte läuft wider die Wohlanständigkeit; ja es läuft wider die Vernunft und ist sehr lächerlich; da jedermann weiß, was für einen Übeln Geruch das eigene Lob nach sich läßt.«

Es folgt nun eine Stelle, die im Buche selbst an erster Stelle sich findet, die ich mir aber bis jetzt aufgespart habe, weil sie die interessanteste ist. Es ist dies der »Vorbericht der zweyten Auflage«.

»Jede neue Auflage eines Buches pflegt man auch mit einer neuen Vorrede zu versehen. Wird man nicht wegen der späten Herausgabe der zweiten Auflage etwa meine Entschuldigung erwarten? wird man nicht die Ursache dieser Verzögerung zu wissen verlangen? – Ich war nämlich seit 1762 sehr wenig zu Hause. Das außerordentliche musikalische Talent, mit welchem der gütige Gott meine zwey Kinder in voller Maase gesegnet, war die Ursache meiner Reise durch einen großen Theil Deutschlandes und meines sehr langen Aufenthalts in Frankreich, Holland und Engelland etc. Ich könnte hier die Gelegenheit ergreifen, das Publikum mit einer Geschichte zu unterhalten, die vielleicht nur alle Jahrhundert erscheint und die im Reiche der Musik in solchem Grade des Wunderbaren vielleicht gar noch niemals erschienen ist; ich könnte das wunderbare Genie meines Sohnes beschreiben; dessen unbegreiflich schnellen Fortgang in dem ganzen Umfang der musikalischen Wissenschaft von dem fünften bis in das dreyzehende Jahre seines Alters umständlich erzehlen; und ich könnte mich bey einer so ungläubigen Sache auf das unwidersprechliche Zeugniß vieler der größten Europäischen Höfe, auf das Zeugniß der größten Musikmeister, ja sogar auf das Zeugniß des Neides selbst beruffen. Da ich aber nur einen kleinen Vorbericht und nicht eine umständliche Geschichte hier zu schreiben habe, so hoffe ich nach meiner Zurückkunft aus Italien, wohin ich nun unter dem Schutz Gottes zu reisen gedenke, das Publikum nicht nur mit dieser Geschichte zu unterhalten, sondern auch dasjenige in Erfüllung zu bringen, wovon ich schon in der ersten Auflage der Violinschul etwas gemeldet habe, nämlich die musikalische Welt noch einmal mit einer Schrift über die Erkänntniß und Empfindung des guten, musikalischen Geschmackes zu vermehren.«

Dieses Werk über die Erkenntnis und Empfindung des guten musikalischen Geschmacks hat nun allerdings Leopold Mozart nicht mehr geschrieben. Wolfgang Amadeus Mozart heißt sein Verfasser, Idomeneo sein erstes, Requiem sein letztes Kapitel. Die Menschheit ist noch nicht müde geworden, darin zu lesen ...

Doch ist es jetzt nötig, auf des alten Mozart Leben in Salzburg noch etwas näher einzugehen. Im Jahre 1747 hatte er die Pflegetochter eines nahen geistlichen Stifts geheiratet; beide galten als das schönste Ehepaar in Salzburg. Nannerl und Woferl blieben ihnen als die einzigen von sieben Kindern.

Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn war von gemütvollster Herzlichkeit. Aus ihrem erhaltenem Briefwechsel lassen sich Beispiele herausheben, die das Wesen des Vaters in patrizierhafter, gediegener Güte, das des Sohnes in kindlichem Enthusiasmus so rein und offen vor uns hinlegen wie ein liebes, seelenvolles Buch, das einen beim Lesen stets aufs neue erquickt und anmutet. »Mein lieber Sohn! Wenn Du glücklich bist, so bin ich, so ist Deine Mutter, Deine Schwester, so sind wir alle glücklich! Und das hoffe ich von der Gnade Gottes und von dem Vertrauen, das ich in Deine vernünftige Aufführung setze.« Und nach der später zu besprechenden Abreise nach Augsburg: »Nachdem ihr abgereist, ging ich sehr matt über die Stiege und warf mich auf einen Stuhl nieder. Ich habe mir alle Mühe gegeben, mich bei unserer Beurlaubung zurückzuhalten, um unsern Abschied nicht noch schmerzlicher zu machen, und in diesem Taumel vergaß ich, meinem Sohne den väterlichen Segen zu geben. Ich lief zum Fenster und gab ihn euch beiden nach, sah euch aber nicht zum Thor hinausfahren und wir mußten glauben, Ihr wärt schon vorbei, weil ich lange dasaß, ohne an etwas zu denken.«

Wolfgang antwortet darauf in seiner kindlich-heiteren Weise: »Wir leben wie die Prinzen, uns geht nichts ab als der Papa; Je nun, Gott will es so haben, es wird noch alles gut gehen. Ich hoffe, der Papa wird wohlauf sein und so vergnügt wie ich, ich gebe mich ganz gut darein. Ich bin der andere Papa, ich gebe auf alles Acht. Ich habe mir ausgebeten, die Postillione auszuzahlen, denn ich kann mit die Kerls doch besser sprechen als die Mama. – Der Papa soll Achtung geben auf seine Gesundheit und gedenken, daß der Mufti (gemeint ist der Erzbischof Hieronymus von Salzburg, der den Mozarts sehr ungnädig gesinnt war) ein Schwanz, Gott aber mitleidig, barmherzig und liebreich sei.«

So ging es also nach Augsburg. Mozart hatte schon früher einmal mit Vater und Schwester ein paar Tage dort zugebracht. Die »Salzburger Zeitung« brachte am 19. Juli 1763 eihen aus Augsburg vom 9. Juli datierten Artikel: »Vorgestern ist der Salzburgische Vizekapellmeister Leopold Mozart mit seinen zwei bewundernswerten Kindern von hier nach Stuttgart abgereist, um seine Reise über die größten Höfe Deutschlands nach Frankreich und England fortzusetzen. Er hat den Jnwohnern seiner Vaterstadt das Vergnügen gemacht, die Wirkungen der ganz außerordentlichen Gaben anzuhören, die der große Gott diesen zwei lieben Kleinen in so großem Maße mitgeteilt und deren der Herr Kapellmeister sich mit so unermüdetem Fleiße als ein wahrerVater bedient hat, um ein Mägdlein von elf und, was unglaublich ist, einen Knaben von sieben Jahren als ein Wunder unserer und der vorigen Zeiten auf dem Clavezyn der musikalischen Welt darzustellen.«

Vierzehn Jahre nach diesem ersten Aufenthalt betrat Mozart mit seiner Mutter zum zweitenmal die Geburtsstadt seines Vaters. Sie wohnten bei einem Bruder des letzteren, dem Buchbinder Franz Alois Mozart. (Auch, der Vater der beiden, Johann Georg Mozart, hatte dasselbe Gewerbe betrieben.) Der Onkel hatte eine Tochter, das »Bäsle«, 2 Jahre jünger als Wolfgang. Es folgt nun eine Reihe der reizendsten Genrebildchen, die sich im Rahmen der altehrwürdigen Reichsstadt abspielten. Doch lassen wir Mozart selbst das Wort. (Vgl. Mozarts Briefe. Nach den Originalen herausgegeben. Von Ludwig Nohl. Leipzig, Breitkopf & Härtel, 1877.)

»Augsburg, 14. Oktober 1777. Hören Sie nur, wie schön generös die Herren Augsburger sind! Ich bin noch in keinem Ort mit so vielen Ehrenbezeugungen überhäuft worden, wie hier. Mein erster Gang war zum Herrn Stadtpfleger Longotabarro. Ich hatte die Ehre, in Gegenwart des gestarzten Herrn Sohnes und der langhachsigten gnädigen jungen Frau und der einfältigen alten Frau so beiläufig ¾ Stunden auf einem guten Clavichord von ›Stein‹ zu spielen.« Dann ging es zu Stein, dem Chef der bekannten Klavierfabrik, selbst. Er war von Mozarts Natürlichkeit und von seinem Spiel entzückt. »Er führte mich gleich in ein Caféhaus, wo ich, wie ich hineintrat, glaubte, ich müßte wieder zurückfallen, vor Gestank und Rauch von Tabak. Ich mußte halt in Gottes Namen eine Stunde aushalten. Ich ließ mir auch Alles gefallen, obwohl ich in der Türkei zu sein glaubte.«Mozart macht die Bekanntschaft eines Flöten-Komponisten, Namens Graf. »Das ist ein ganz nobler Mann; er hatte einen Schlafrock an, wo ich mich nicht schämete, auf der Gasse ihn zu tragen. Er setzt alle Wörter auf Stelzen und macht gemeiniglich das Maul eher auf, als er nur weiß, was er sagen will; – manchmal fällt es auch zu, ohne etwas zu thun gehabt zu haben.«

Am 17. Oktober schreibt er über die Tochter eines Kriegssekretärs, er wolle sie zum Papa nach Salzburg schicken; »es ist ihr doppelter Nutzen, in der Musique sowohl als in der Vernunft; denn die ist wahrlich nicht groß.« Mozart sollte nun ein Konzert geben in der »Bauernstube«, dem Gesellschaftshaus der Augsburger Patrizier. Es verzögerte sich jedoch ein wenig. Mittlerweile amüsiert er sich bei seinen Verwandten. »Das kann ich sagen, wenn nicht ein so braver Herr Vetter und Base und so ein liebs Bäsle da wäre, so reute es mich soviel als ich Haar auf dem Kopfe hab, daß ich nach Augsburg bin. Unser Bäsle ist schön, vernünftig, lieb, geschickt und lustig; wir zwey taugen recht zusammen; denn sie ist auch ein bischen schlimm. Wir foppen die Leute miteinander, daß es lustig ist.« Der alte Mozart war wegen seiner beißenden Sarkasmen wohlbekannt und gefürchtet. Er vererbte den etwas herben, überlegenen Spott der Menschen, welche einen schärferen Blick für die Welt haben, auf seinen Sohn; von seiner Mutter hatte Mozart den Salzburger Humor geerbt, von dem Schubart sagt, er finde seinen treuesten Ausdruck in den Salzburger Volksliedern: »Sie sind so komisch und burlesk, daß man sie ohne herzerschütterndes Lachen gar nicht anhören kann. Allenthalben blickt der Hanswurst durch.« Es ist interessant zu sehen, wie sich diese beiden Elemente des Humors in Wolfgang zu einem neuen Ganzen vermischen, wie überhaupt sein ganzes Wesen eine Mischung von dem reichen, vornehmen Leben der alten Reichsstadt und dem phäakenhaften heiteren Lebensgenüsse der sonnigen österreichischen Stadt bildet. Mozart probierte auch bei St. Ulrich und bei hl. Kreuz die Orgeln. In beiden Kirchen hatte der Vater schon als Sopranist gesungen, in hl. Kreuz »oben auf dem Stieg hinten bey der Orgl«. Der Kustos von St. Ulrich »ein hoffärtiger Esel und einfältiger Witzling« sagte zu mir: »Wenn wir nur länger beisammen sein könnten, ich möchte mit Ihnen von der Setzkunst diskuriren.« »Da würden wir bald ausdiskurirt haben«, sagte ich. »Schmecks Kropfeter!«

Das Konzert, das endlich stattfand, trug rund 100 fl. ein. Mozart war mit dem Erfolg ziemlich zufrieden, weniger sein Vater, der in Geldsachen etwas genau war.

Allerliebst sind seine aus Mannheim datierten Briefe an das Augsburger »Bäsle«. Zum Beispiel:

»Ich sag Dir tausend Dank mein liebste Sallerl,
Und trinke Dir zu Ehr ein ganzes Schallerl
Kaffee und dann auch Thee und Limonadi
Und tunke ein ein Stangerl vom Pomadi
Und auch – – auweh, auweh, es schlägt just sex,
Und wer's nicht glaubt, der ist – der ist – ein Fex.«

»Desto besser, besser desto! Sie schreiben, ja Sie lassen sich heraus, Sie geben sich bloß, Sie lassen sich verlauten, Sie machen mir zu wissen, Sie erklären mir, Sie geben deutlich zu Tage, Sie verlangen, Sie begehren, Sie wünschen, Sie wollen, Sie mögen, Sie befehlen, Sie deuten mir an, Sie benachrichtigen mich, Sie machen mir kund –, daß ich Ihnen auch mein Porträt schicken soll. Eh bien, ich werde es Ihnen gewiß schicken.« Im tollsten Übermute geht es weiter: »Ich sage Ihnen eine Sache Menge zu haben, Sie glauben es nicht gar können; aber hören Sie morgen es schon werden. Nun muß ich schließen und das thut mich verdrießen. Addio Fex, Hex – bis ins Grab, wenn ichs Leben hab. Miehnnam ned net 5 rebotko 7771.« (Mannheim den 5ten Oktober 1777.)

Von Mannheim aus gratuliert er auch dem Vater: »Ich wünsche Ihnen, daß Sie so viele Jahre leben möchten, als man Jahre braucht, um gar nichts Neues mehr in der Musik machen zu können. Ich bitte Sie recht unterthänig, mich noch ein bischen lieb zu haben und mit diesem schlechten Glückwunsch unterdessen vorlieb zu nehmen, bis in meinem engen und kleinen Verstandeskasten neue Schubladen gemacht werden, wo ich den Verstand hinthun kann, den ich noch zu bekommen im Sinne habe.«

Das »Bäsle« schickte ihm ihr Porträt nicht sofort: »Potz Himmel, tausend Sakristey, Croaten schwere Noth, Teufel, Hexen, Truden, Kreuz-Battalion und kein End, potz Element, Luft, Wasser, Erd und Feuer, Europa, Asia, Affrica und America, Jesuiter, Augustiner, Benediktiner, Capuziner, Minoriten, Franziskaner, Dominikaner, Carthäuser und Hl. Kreuz-Herrn, Canonici reguläres und irreguläres, und Bärnhäuter, Spitzbuben, Hundsfutter, Eseln, Büffeln, Ochsen, Narren, Dalken und Fexen, – was ist das für eine Manier, vier Soldaten und drei Bandalier? – so ein Paquet und kein Porträt?«

So geht es in übersprudelndem, lebensprühendem Übermute noch ungefähr eine Seite lang fort. Die bisher angeführten Briefstellen geben ein prächtiges Gesamtbild von Mozart, wie er schwärmte, scherzte, spottete, bald mit seelenvollstem Auge sein überströmendes Gefühlsleben in fremden Spiegeln wiederschauend, bald in koboldartiger, geflügelter Laune Städte und Menschen köstlich schildernd, ein Kind an Heiterkeit, mit dem Gefühlsleben eines Jünglings, der Kunsterfahrung des reifsten Mannes.

Und nun ist es am Platze, uns zu dem Manne zurückzuwenden, von dem Mozart selbst sagte: »Nach Gott kommt gleich der Papa, das war als Kind mein Wahlspruch und bei dem bleibe ich auch noch.«

Das bleibt der ewige Ruhm des Augsburger Buchbinderssohnes, das Genie seines Wolfgang sofort erkannt zu haben und ihm mit kongenialem Verständnis entgegengekommen zu sein.

Es ist ein merkwürdiger Boden, dieses Augsburg. Holbein, Holl, Mozart – man versuche es, diese drei Namen aus der deutschen Kunstgeschichte zu streichen ... Des ersten strotzende Lebensfülle, des zweiten machtvoll aufbauender Formenreichtum, des dritten heiliger Kunsternst vereinigen sich in Wolfgang Mozart zu einem Leben, das in solcher Vielseitigkeit, solcher Harmonie, solcher Weihe selten gelebt worden.

Wenn wir auch wenige von des alten Mozarts Kompositionen besitzen, dieses Wenige und das, was wir über sein Leben wissen, berechtigt uns, ihn in eine Reihe, gewissermaßen als Bindeglied zwischen die beiden anderen bayerischen Musiker zu stellen: Gluck und Lachner.

Es ist eine stolze, starke und gesunde Rasse, diese bayerischen Musiker: Ganze Menschen, ganze Künstler, geschworene Feinde alles Halben und Untüchtigen, gewissenhafte Bewahrer des Heiligtums ihrer Kunst, ehrlich und zielbewußt.

So mag man denn zum Namen des Oberpfälzers, der der dramatischen Musik auf zwei Jahrhunderte hinaus den Weg wies, und zum Namen des Münchener Meisters, der einer großartigen Epoche der deutschen Musik das Schwanenlied gesungen, den Namen Leopold Mozarts legen, den reichen Sprossen eines reicheren Bodens, den kleineren Vater des größten Klassikers zwischen den ersten Dramatiker der deutschen Musik und den letzten Klassiker. Er ist der Stelle nicht unwert.


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