Josef Hofmiller
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Josef Hofmiller

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Catarina von Sienna

1907

»Gott will, daß ihr acht habt auf die Seelen und auf die geistlichen Dinge mehr denn auf das Zeitliche. Zwar könntet Ihr sagen: Gewissenshalber bin ich verbunden, das Gut der heiligen Kirche zu bewahren und wiederzugewinnen. Ach ich bekenne ja, daß es die Wahrheit ist, aber mir scheint, daß man diejenige Sache, die wertvoller ist, auch mehr bewahren muß. Der Schatz der Kirche ist das Blut Christi, gegeben als Preis für die Seelen, dieser Preis ist nicht bezahlt worden für die weltliche Macht, sondern für das Heil des menschlichen Geschlechts. Setzen wir also, daß Ihr verbunden seid, die Herrschaft über die Städte wiederzugewinnen, welche die Kirche verloren hat: so seid Ihr doch viel mehr verbunden, soviele Lämmer wiederzugewinnen, welche der Schatz der Kirche sind. Besser ist also, das Gold der weltlichen Dinge zu lassen, als das Gold der geistlichen. öffnet, o öffnet das Auge der Einsicht, mit dem Verlangen nach dem Heile der Seele zwei Übel zu betrachten: das eine ist das Übel der Größe und weltlichen Herrschaft, welche Ihr meint wieder gewinnen zu müssen; das andere ist das Übel, daß das Heil der Seele verloren geht und der Gehorsam, den sie Eurer Heiligkeit schuldig sind. Also werdet Ihr einsehen, daß Ihr vielmehr verbunden seid, die Seelen wiederzugewinnen. Ihr müßt also von zwei großen Übeln das kleinere wählen. Gebt die Sorge um weltliche Dinge auf, und blicket auf die geistlichen!«

Schriebe jemand heute als Antwort auf die Frage, ob der Papst überhaupt rechtlich auf den Kirchenstaat verzichten könne, die eingangs angeführten Sätze zurück, so hätte das für ihn schwerlich angenehme Folgen. Es ist jedoch nicht zu befürchten, daß Rom heute auf diese Frage auch diese Antwort erhalte. Vestigia terrent. Fogazzaros Santo wurde hauptsächlich wegen der Offenheit auf den Index gesetzt, mit der Benedetto Maironi in seiner nächtlichen Audienz den Papst anfleht, doch endlich die eigensinnig festgehaltene, obgleich von keinem Mündigen mehr geglaubte Fiktion der vatikanischen Gefangenschaft fallen zu lassen. Eine Zensurierung unserer Eingangssätze jedoch ist – man kann sagen: glücklicherweise; man kann auch sagen: leider – nicht mehr möglich, da ihr Verfasser seit dem 29. April 1380 tot, seit dem 28. Juni 1461 heilig gesprochen ist.

 

Wie kam Catarina von Siena dazu, an den Papst Gregor XI. diesen Brief zu richten? Zumal es nicht der einzige ist, den sie diesem Papste und seinem Nachfolger Urban VI., sowie anderen hochgestellten Persönlichkeiten geschrieben hat. Wer war diese Heilige, deren Briefe in der italienischen Ausgabe vier Bände füllen, und die vor kurzem in einer deutschen Auswahl den Lesern des 20. Jahrhunderts geboten worden sind?

Als Catarina Benincasa, dreiundzwanzigste Tochter des Färbers Jacomo Benincasa und seines Weibes Lapa, im kleinen Hause der Färbergasse, die von der Fontebranda steil bergauf gegen den Dom führt, am Palmsonntage 1347 auf die Welt kam, stand das Gestirn Sienas, das meteorgleich aufgestiegen war und ein knappes Jahrhundert in blendendem Glanze gestrahlt hatte, noch auf seiner Höhe. Im Marmorwunderbau des neuen Domes prunkten das Kruzifix und die riesenhaften Fahnenstangen des Bannerwagens aus der blutigen Schlacht am Monte Aperto, in der zehntausend Florentiner gefallen, elftausend gefangen nach Siena geführt worden waren, und nach der die erbeutete Staatsfahne von Florenz an einem Eselschwanze durch den Kot der Gassen geschleift ward. Siebenzig Jahre hatte der »Berg der Neun« (Monte dei Nove) die aufblühende Stadt regiert. Die Vornehmen wetteiferten mit neuen, und bei aller trutzigen Wucht gefälligen Burgen. Breit und behäbig stand der neue Torturm der Porta Pispini; neue Brunnen wurden gebohrt, neue Leitungen brachten köstliches Wasser. Seit acht Jahren baute man an der Vergrößerung des Domes, der die riesigste Kirche der Zeit geworden wäre, wenn nicht der Plan hätte aufgegeben werden müssen. An der wundervollen Stirnseite des Baues blendeten zierliche Säulen, schlanke Bildhauerwerke und verschiedenfarbiger Marmor den Blick. Meister Niccolo aus Pisa hatte die achteckige Marmorkanzel gefertigt, figurenreicher noch als die berühmte seiner Heimatstadt. Meister Duccios Madonnenbild ward als ein Wunder menschlichen Liebreizes und himmlischer Sanftmut gepriesen, und war in feierlichem Zuge von Priestern und Vornehmsten aus der Werkstatt an den Altar gebracht worden. In der Bücherei des Doms leuchteten auf goldenem Grunde die zarten Farben köstlicher Miniaturen in Chorbüchern, Gradualen und Antiphonarien. Auf dem Campo blinkte der edle Marktbrunnen des Meisters Jacopo aus Quercia. Seit zwei Jahren erst reckte der rote Ziegelturm des Rathauses seine Zinnen in die Lüfte. Frisch leuchteten die Farben auf Simone Martinis großem Fresko, darauf Engel, Evangelisten, Propheten und Heilige der holden Madonna die Stadt anempfahlen, und auf Ambrogio Lorenzettis eben, vollendeten gewaltigen Allegorien vom guten Regiment und vom Greuel der Zwingherrschaft. Vor kurzem eingeweiht stand im Nordosten die weite Hallenkirche des heiligen Franziskus, am andern Ende der Stadt wuchs eben der Glockenturmbau von San Domenico über dem rötlichen Langhaus empor, im Südosten erhob sich seit zwei Jahren erst Santo Spirito: in Burgen, Brunnen und Kirchen sprach sich das schwellende Machtgefühl der Hügelstadt aus, und in der gleichmäßigen Süße und Demut frommer Altarbilder die träumerische Innerlichkeit ihrer Bewohnerinnen. In dieser Zeit und Luft wuchs Catarina Benincasa auf. Man mag ihr noch oft von der grauenvollen Pest des Jahres 1348 erzählt haben. Als sechsjähriges Kind hatte sie auf offener Straße ihre erste Vision; seitdem mied sie Spiele, aß wenig Fleisch und geißelte sich mit einem Strickchen. Früh begeisterte sie sich für Dominikus und seinen Orden, überwand den Widerstand der Ihren, und trat in den nach des Franziskus Vorgang gestifteten dritten Orden des Dominikus. Die Folgen übermäßiger Bußübungen blieben nicht aus: himmlische und höllische Visionen, Halluzinationen von versuchenden Stimmen, unzüchtige Zwangsvorstellungen; bis endlich die ursprünglich kräftige Leiblichkeit zermürbt war. Nun sah die selig Entrückte von Angesicht den Heiland, der mit ihr die Tagzeiten las, oder betend treulich ihr zur Seite das Zimmer auf und ab schritt. Gleichwie mit jener älteren alexandrinischen Namensschwester, verlobte er auch ihr sich durch einen Ring, den nur ihr begnadetes Auge erblicken konnte. Mehr, unerhört: sogar sein göttliches tauschte er gegen ihr menschlich Herz aus (wozu allerdings das spätere Wunder schlecht stimmt, daß einst dies Herz vor lauter Liebesglut und Mitleid ihr in der Brust zerbarst). Gleichwie der Arme von Assisi empfing sie die blutigen Male des Gekreuzigten, aber unsichtbar für alle anderen Augen. Catarinens Beichtvater, der Dominikaner Raimund von Capua, der Hauptbiograph der Heiligen, nannte diese Erscheinungen mentales excessus: geistige Exzesse. Karl von HaseKarl von Hase: Heiligenbilder (Franz von Assisi – Catarina von Siena) Leipzig, Breitkopf & Härtel: trotz aller neueren Veröffentlichungen für beide Heilige noch immer das klassische Buch, dem auch die Hauptdaten und Zitate dieses Artikels, soweit sie nicht eine Fußnote kennzeichnet, zu verdanken sind. bezeichnet sie als pathologische Wundergeschichten. In der Tat zeigen sich bei Catarina eine Reihe ausgesprochen pathologischer Zustände: Ohnmächten, Starrkrämpfe, lokale Anästhesie, Visionen, Halluzinationen. Ohne Zweifel war ihr Seelenleben so wenig normal wie das ihres Körpers. Doch bleibt erst zu fragen, ob die noch so unerhört gestaltende religiöse Phantasie und das eigentlich religiöse Genie anders zu verstehen seien als die Unerhörtes gestaltende künstlerische Imagination. Ob, deutlicher gesprochen, das Wort pathologisch nicht nur ein Wort ist, das, wie so viele unserer Formeln, nichts beweist und vor allem nichts erklärt. Vom Standpunkte Catarinens aus sind alle Menschen (auch sie selbst, denn so will es ihre Demut) religiös verkümmert, unentwickelt. Vom Standpunkte der normalen Menschen ist sie religiös verstiegen, exaltiert. Sie erblickt in Allen nur das Zuwenig. Alle erblicken in ihr das Zuviel. Dem Künstler gesteht der Normalmensch mehr Exaltation zu, als dem religiösen Genie: denn vom Künstler hofft er Unterhaltung, während er mit den Ergebnissen religiöser Inspiration nichts anzufangen weiß. Sind wir andrerseits nicht eher geneigt, einen indischen Fakir als Vertreter religiöser Entrücktheit zu studieren und darzustellen, als einen katholischen Heiligen? bringen wir nicht unbewußt den Äußerungen orientalischer Philosophie und Religion mehr günstiges Vorurteil, zum mindesten mehr Interesse entgegen, als denen christlicher Mystiker? Aber haben wir irgend ein Recht, irgend einen Grund dazu? Leitet uns dabei nur Neugier nach Exotischem? Oder wirkt ein tieferer Instinkt oder ein mächtiges Gegengefühl in uns? Stellen wir zusammen, was wir mit dem hochmütigen Ausdrucke Faktoren bezeichnen. Religiöse Grundstimmung der Zeit: der Arme von Assisi war durch Italien gegangen wie ein Säemann, und sein Same war aufgegangen allerorten. Religiöse Grundstimmung der Stadt: Fieberhafte Frömmigkeitskrisen in Zeiten öffentlicher Not. Dann stieg, wie vor der Schlacht bei Montaperti, »der Diktator barfuß und barhaupt, im Bettlergewande, mit einem Strick um den Hals, die steilen Stufen zum Dom hinauf, und barfuß folgte ihm alles Volk und schrie unaufhörlich misericordia, misericordia. Bischof und Diktator umhalsten sich feierlich, zum Zeichen der völligen Eintracht von Kirche und Staat, Todfeinde fielen einander in die Arme, die ganze Nacht hindurch wurde in allen Kirchen gebeichtet und Feindschaften geschlichtet.«Ich entnehme diese und einige der folgenden Einzelheiten dem reizenden kleinen Buche Edmund G. Gardners The Story of Siena and San Gimignano (The Mediaeval Town Series, London, J. M. Dent & Co.). Civitas Virginis hieß Siena nach der glücklichen Schlacht, Advocata Senensium wurde der lauretanischen Litanei eingefügt: wie Christus durch Savonarola zum König von Florenz, war die holde Madonna Herrscherin ihrer Stadt, des sanften Siena,

y Siena l'amorosa madre di dolcezza.

Leidenschaftliches Temperament der Rasse: »Öffentliche Kriege gegen Pisa, Florenz und Perugia, Kriege zwischen Bürgern, Adel und Volk, Straßenkämpfe, Rathausgemetzel, Verfassungsumsturz, Verbannung aller waffenfähigen Nobili, Verbannung von viertausend Handwerkern, Konfiskationen, Ächtungen, Massenhinrichtungen, Anschläge der Verbannten gegen die Stadt, Handstreiche mit Hilfe des Pöbels, Verzweiflung bis zum Verzicht auf die Freiheit, plötzliche wütende Revolten, Jakobinerklubs, geheime Gesellschaften wie die der Carbonari, verzweifelte Belagerung, systematische Entvölkerung – nirgends ist das Leben so tragisch gewesen«.Taine, Voyage en haue, II. 47.

Ein weiterer Faktor: Die Dominikaner waren eifersüchtig auf die Franziskaner (das schöne Terrakottawerk aus der Werkstatt der Robbia, das den Franziskus und Dominikus sich brüderlich umfangend zeigt, ist schmerzliche Ironie für jeden, der die Frühgeschichte beider Orden ein wenig kennt) und entfalteten einen Wetteifer ohnegleichen. Weiter: religiöse Monumentalität als vornehmster Ausdruck munizipalen Machtgefühls. Dann das Individuelle: Catarina als dreiundzwanzigstes Kind (ihre Zwillingsschwester starb früh), wie alle Spätgeborenen zum Grübeln geneigt; strengste Bußübungen: Geißeln, Fasten, Entziehung des Schlafes bis auf ein armseliges Restchen; unvernünftige Auswahl (rohes Kraut, Aal und alter Käse) und als Kasteiung erzwungenes Wiedervonsichgeben der Speisen. Dazu das sexuelle Moment: grausame Abtötung in den Pubertätsjahren, alle Phantasie tyrannisch auf das Religiöse konzentriert. So wird religiöse Erotik eine Begleiterscheinung dieser Zustände: Dolce ist stets Catarinas Lieblingsadjektiv, sangue und amore sind die in ihren Schriften am öftesten wiederkehrenden Substantive. O dolce e amoroso cavaliere; Du süßer und verliebter Ritter! So ruft sie ihren Seelenbräutigam, dessen »holden Namen sie wie wahnsinnig nannte, vor Liebessehnsucht verschmachtend, ohne Schlaf, nicht mehr vom Lager aufstehend« (Raimund). Ist diese Sensualität krankhaft geschwächt? oder ins Seelische sublimiert? Ist hier überhaupt von krankhafter Anlage zu sprechen erlaubt? Was ist Ursache, was Wirkung? Verzehrt das religiöse Genie alle Leiblichkeit und Sinnlichkeit wie Feuer mürbes Holz verzehrt? Oder ist eine gewisse Morbidität Grundbedingung, Nährboden für die Blüte jedes, auch des religiösen Genies?

Doch ist Catarina nicht nur die ekstatische Einsame, sondern ein Genie der Tat. In diesem durch Krankheit geschwächten, durch Askese zerstörten Leibe flammt eine mächtige Seele; eine Energie ohnegleichen; ein Enthusiasmus, der alles ansteckt, was ihm in den Weg tritt. Das macht die gebrechliche Färberstochter von Siena zu einer der interessantesten Gestalten des italienischen Mittelalters. Mit Werken der Nächstenliebe beginnt sie: sie pflegt aufopfernd arme Kranke, schreckt nicht vor den widerlichsten und bösartigsten Leidenden zurück. Ein rührendes Ereignis bildet gleichsam den Übergang zu ihrem politischen Auftreten. Ein junger Adeliger, Nicola Tuldo, hatte gegen das bürgerliche Regiment gewühlt und war zur Enthauptung verurteilt worden. Verzweifelt ob der frühen Hingabe seines jungen Lebens wehrte er sich wie ein Rasender und wies jeden Trost der Kirche von sich. Da kam Catarina, redete ihm liebreich zu und versprach, ihn auf seinem schweren Gang zu begleiten. Einige Sätze des Briefes, in dem sie ihrem Beichtvater berichtet, sind bezeichnend: »Er sagte zu mir: stehe du mir bei und verlaß mich nicht, so werde ich zufrieden sterben. Und er hielt seinen Kopf an meine Brust. Ich fühlte da eine Freude und einen Geruch seines Blutes, und es war nicht ohne den Geruch des meinen, welches ich verlange hinzugeben für den süßen Verlobten Jesus. Und wie das Verlangen in meiner Seele wuchs und ich sein Zittern fühlte, sagte ich: Ermutige dich, mein süßer Bruder, denn bald werden wir kommen zur Hochzeit ... Er kniete nieder mit großer Sanftmut, und ich entblößte ihm den Hals und beugte mich herab und erinnerte ihn an das Blut des Lammes. Sein Mund sagte nichts als »Jesu« und »Catarina« und »Ich will«. Und ich empfing sein Haupt in meine Hände, indem die göttliche Güte sein Auge schloß ... Er schmeckte schon die göttliche Süßigkeit. Er wandte sich, wie die Braut tut, wenn sie angekommen an der Tür des Bräutigams das Auge und den Kopf rückwärts wendet, die grüßend, welche sie begleitet haben, mit dem Zeichen des Dankes. Wie die seine, war meine Seele in Ruhe und Frieden, in solchem Dufte des Blutes, daß ich mich nicht entschließen konnte, das Blut wegzuwaschen, das mir aufs Gewand gekommen war von ihm.« Die seelische Verfassung, die aus dem ganzen Tone, aus dem Schwelgen in der Vorstellung »Blut«, aus der Analogie mit der Hochzeit spricht, ist höchst charakteristisch für Catarina. Es handelt sich hier nicht um gelegentliche Äußerungen, die nichts beweisen, sondern um den Grundton und eines der immer wiederkehrenden Themen der Schriftstellerin Catarina. An den Bruder Raimund schreibt sie in demselben Briefe: »Ich will also, daß Ihr Euch einschließet in die geöffnete Seite des Sohnes Gottes, die eine offene Flasche ist, von Duft so erfüllt, daß die Sünde darin wohlriechend wird. Dort ruhet die Braut auf dem Bette des Feuers und Blutes.« Ein Nonplusultra von Jargon ist eine Stelle aus einem Briefe an den Augustiner Jeronimo da Siena: »Du süßes Lamm, geröstet am Feuer der göttlichen Liebe und Spieße des heiligsten Kreuzes«.

Solche Proben zeigen, wo die Schwäche der Schriftstellerin Catarina liegt: in jenem für deutsche Leser schwer genießbaren süßlichen Frömmigkeitsjargon, der speziell romanisch ist. Obgleich natürlich auch hier ein gewaltiger Unterschied bestehen bleibt zwischen dem leidenschaftlichen Temperamente, dem es mit jedem dieser Bilder Ernst ist, weil jedes ihm ein seelisches Erlebnis war, und zwischen gedankenloser Bigotterie, deren schlechter Geschmack solchen Jargon ästhetisch genießt. Aber auch im ganzen und großen beurteilten wir Catarina falsch und würden der Eigenart ihres Wesens nicht gerecht, wenn wir in ihr vorzugsweise die Mystikerin suchten, die uns ähnliches bedeuten könnte wie unser Meister Eckehart oder der tiefe und sinnige Seuse. Catarinens religiöse Sprache erhebt sich nicht über den durchschnittlichen Klosterfrauenton. Nicht umsonst läßt sie sich so leicht kopieren: kaum ist die edle Alessia aus der Familie der Saracini eine Zeitlang mit Catarina beisammen, so beherrscht sie auch schon Catarinens Stil: »Ich Alessia bitte Euch, bittet dieses süßeste Lamm, daß es mich lasse mit Euch leben und überbildet werden in die Liebe Gottes und die Erkenntnis meiner selbst«. Freilich steht auch plötzlich ein bedeutsames Wort bei Catarina, wie »Ich bin das Feuer, ihr seid die Funken«, das an eine den späteren Upanischaden geläufige Vorstellung anklingt. Aber mögen auch quantitativ fromme und erbauliche Ermahnungen und Bilder überwiegen, qualitativ steht die Reformatorin und Politikerin Catarina ganz anders da: als eine Person voll ungestümen Tatendrangs, rücksichtslos und unbeirrt, keine kontemplative Marianatur, eher eine helfende und tapfer zugreifende Martha; resolut selbst noch, wenn sie zur vita contemplativa zuredet: »Halte den Blick gesenkt«, schreibt sie ihrem Nichtchen ins Montepulcianer Kloster, »und sei unzugänglich wie ein Igel ... Gespräche mit der nichtsnutzigen Sippe der Betbrüder und Betschwestern, sowie die religiösen Gebräuche und Regeln der Orden ruinieren die Seele.« Noch weniger Umstände macht sie mit scheinheiligen Nonnen: »O vermaledeites Wort, welches heute in der Kirche Gottes regiert und in der heiligen Religion, da diejenigen Devote genannt werden, welche die Werke des Satan tun.« Auch der Ton, in dem sie zum Papste spricht, ist ziemlich energisch: »Wenn Ihr nicht kommt, so wird das ein Ärgernis und eine leibliche und geistige Empörung bewirken, da man in Euch die Lüge findet, und nicht die Wahrheit. Denn Ihr habt Euer Kommen beschlossen und angekündigt.« »Mich verlangt darnach, Euch als einen mannhaften Mann zu sehen, ohne irgendwelche Furcht oder fleischliche Liebe zu Euch selbst oder zu irgend einer Kreatur, die dem Fleische nach mit Euch verwandt ist«. »Ihr könnt Frieden haben, wenn Ihr die törichte Pracht und Lust der Welt von Euch tut, allein die Ehre Gottes und das Heil der Kirche bedenkend ... auf daß nicht über Euch komme dieser harte Tadel: Verwünscht seist du, daß du Zeit und Kraft, welche dir anvertraut war, nicht gebraucht hast!« Es ist rührend, wenn sie am Ende solch energischer Mahnungen aufs demütigste um Verzeihung bittet.

Sie veranlaßte auch Urban VI., sich nicht, wie sonst der Brauch, wie ein lebendiges Heiligenbild auf den Schultern seiner Trabanten in feierlicher Prozession tragen zu lassen, sondern nach besserer älterer Sitte barfuß in die Peterskirche zu wandeln. Der Papst folgte ihrem Rate, worauf sie ihm schrieb: »Ich freue mich in herzlicher Freude, daß meine Augen den Willen Gottes sich an Euch erfüllen sahen, nämlich in dem demütigen, seit langen Zeiten nicht mehr üblichen Akte der heiligen Prozession. O wie war das angenehm vor Gott und ärgerlich den Dämonen«. Für die karossenfahrenden Kardinäle hätte sie wohl ebensowenig Verständnis gehabt, wie für die höchst scharfsinnigen Gründe, mit denen die Notwendigkeit solcher Repräsentation bewiesen wird.

Fortwährend verlangt sie eine gründliche Reform des Klerus: »Es ist eine schlechte Maßnahme, aus irgend einem Zwange Hirten oder Vorgesetzte in die Kirche einzusetzen, die nicht tugendhaft und selbstlos sind ... nicht dürfen sie aufgeblasen sein von Hoffart, noch Schweine durch den Schmutz ihres Lebenswandels, noch dem Blatte gleich, nach dem Winde der Reichtümer und weltlichen Eitelkeiten sich drehend.« Manche Stellen lesen sich, als handelte es sich um allerjüngste Verhältnisse und um die Aufhebung des Non expedit: »Rücket vor mit der Güte, Vater: denn wisset, daß jede Kreatur, die Vernunft in sich hat, mehr durch Liebe und Güte gewonnen wird, als durch irgend etwas anderes, und am meisten gilt das für unsere Italiener. Wenn Ihr so verfahrt, könnt Ihr von ihnen verlangen was Ihr wollt ... Es kommen zu Eurer Heiligkeit die Gesandten von Siena; wenn es Leute auf der Welt gibt, die man mit Liebe gewinnen kann, so sind sie es. Nehmt ein wenig huldreich ihre Entschuldigungen auf über den Fehler, den sie begangen haben, denn es tut ihnen leid. Wenn Ihr irgend eine Art sähet, wie sie sich gegen Eure Heiligkeit verhalten könnten, die Euch genehm wäre, und die sie doch nicht entzweien würde mit denen, welchen sie verbündet sind, so bitt ich Euch, tut es!« Das stärkste ist wohl ihr Brief an die drei Kardinäle, die zuerst Urban VI. gewählt hatten, dann aber von ihm abgefallen waren: »Nun habt Ihr die Schultern gewendet, als niedrige und erbärmliche Ritter; Euer Schatten jagte Euch Furcht ein ... Was ist Schuld daran? Das Gift der Eigenliebe, welche die Welt vergiftet hat. Durch sie seid Ihr, die Ihr Säulen der Kirche seid, schwächer geworden als Strohhalme. Keine Blumen seid Ihr, die Düfte ausströmen, sondern Gestank; denn die ganze Welt habt Ihr verpestet. Keine Lichter in Leuchter gesteckt, um den Glauben zu verbreiten, sondern versteckt hat sich dies Licht unter dem Scheffel der Hoffart. Nicht als Verbreiter, sondern als Schandflecken des Glaubens ergießet Ihr Finsternis über Euch und die andern ... Wie groß ist Eure Tollheit! ... Ihr sagt, aus Furcht hättet Ihr Urban erwählt: dies ist nicht wahr! und wer es sagt (ich spreche unehrerbietig zu Euch, denn Ihr habt Euch der Ehrfurcht beraubt), der lügt auf seinen Kopf! ... O Ihr Toren, tausend Tode wert! so verblendet, daß Ihr Euch selbst zu Lügnern und Heiden macht! ... Von welcher Seite ich die Sache auch betrachte, ich sehe nur Lügen«, usw.

Doch hiermit greifen wir schon dem öffentlichen Auftreten und Wirken der kleinen Färberstochter vor, da ihre schmale abgezehrte Hand entschlossen in die Geschicke nicht nur ihres Vaterlandes, sondern des Papsttumes selbst eingriff und den zaudernden Pontifex aus Avignon wieder nach dem apostolischen Sitze zurückführte. Denn sie war es, die dem Skandal der babylonischen Gefangenschaft ein Ende machte, die Rom den Papst, dem Papste aber Rom und die beinahe verlorene Autorität über die Gewissen zurückgab.

Ganz von selber machte es sich, daß Catarina aus dem frommen Bezirk ihrer ärmlichen Zelle ins Leben hinausschritt, und daß dies Leben bewegter und gewichtiger wurde als sie jemals ahnte. Frauen und Mädchen, darunter auch aus den edlen Geschlechtern Sienas folgten ihr, der auch die Söhne des heiligen Dominikus als Freunde und Berater zur Seite standen. Im Verkehr mit ihnen zeigte Catarina jenen untrüglichen Tiefblick, der sie später befähigte, gegen die Diplomatie des florentinischen Staatswesens und des päpstlichen Hofes ihre Pläne durchzusetzen. »Oft sagte sie uns die Gedanken unsres Herzens so vollständig«, berichtet Raimund, »als wären diese durch sie, nicht durch uns gedacht. Ich weiß es von mir selbst, daß sie mich öfter tadelte wegen gewisser Gedanken, die ich wirklich hatte, und ich – ich erröte nicht ihr zum Ruhm es einzugestehen – ich wollte mich lügenhaft entschuldigen, da erwiderte sie: Was leugnet ihr das, was ich deutlicher sehe als ihr selbst.« »Neidische glaubten«, sagt ihr andrer Beichtvater Bartolomeo di Domenico, »daß wir Brüder die Jungfrau unterrichteten, da doch vielmehr das Gegenteil stattfand.« Sie war es auch, die das Sieneser Dominikanerkloster reformierte und zu dem strengen Ideale des Ordensgründers zurückführte.

Ihre Wirksamkeit als Friedensstifterin kann gar nicht hoch genug angeschlagen werden. Die Zeit war nicht geneigt, Beleidigungen zu verzeihen. Im Rathause Sienas lag ein schwarzes Buch, das Memoriale delle Offese,in dem alle der Republik zugefügten Kränkungen treulich aufgezeichnet wurden: »Vergiß nicht in alle Ewigkeit die so dir trotzen, dir die geziemende Huldigung versagen, gegen dich Pläne schmieden und Schmach über dich bringen.« »Gedenke Montepulcianos, das, obgleich deinem Gebiete pflichtig, sich hochmütig davon drücken will.« Siena war so erfüllt von diesem Hasse, der Staat, Stände, Adelige, Bürger, Familien zerfraß, eines gegen das andere hetzend, eines durch das andere vernichtend bis zur Sinnlosigkeit, daß der Historiker Malavolti diese Zwietracht einer ansteckenden Seuche vergleicht, die jeden ergriff der die Stadt betrat. Hier fand Catarina eine Aufgabe. Von Burg zu Burg und von Stadt zu Stadt eilte sie, entzweite Geschlechter und Gemeinwesen zu versöhnen. Man berief sie in hoffnungslosen Fällen, und sie kam, sprach, gewann, stiftete Frieden, rettete Seelen. Ihr Vergnügen am Seelenfang läßt sie sogar eine Art säuerlich lächelnden Humors in ihren Briefen entwickeln: »Wir leben hier unter Kriegsleuten und verzehren soviel eingefleischte Teufel, daß der Bruder Tommaso sagt, ihm tue der Magen davon weh.« Schon jetzt fällt in ihren Briefen der resolute Ton auf, der für ihre spätere Korrespondenz mit dem Papst so bezeichnend ist. Der Sieneser Signoria schreibt sie: »Mich verlangt männliche Männer zu sehen, nicht furchtsame Stadtregenten.« Die ganze Welt scheint ihr »voller Pilatusse zu sein«. Das Wort ist echt und treffend: sie ist eine unbedingte Seele, deren Losung Alles oder Nichts heißt; sie kennt kein Verhandeln außer zu ihrem Zwecke, von dem sie nicht ein Jota abhandeln läßt. Ihre Sicherheit ruht im Gemüte; der Reinheit ihrer Absicht bewußt, setzt sie sie durch. Sie tritt auf als müßte es so sein, müßten alle tun, was sie will. Sie ist eine Macht wie die Republik Florenz. Da sie 1375 nach Pisa kommt, wird sie vom Gonfaloniere und vom Erzbischof empfangen wie eine Fürstin. Während dieses Pisaner Aufenthaltes erfaßt sie der Gedanke, den Ungläubigen das heilige Land zu entreißen. Praktisch wie sie ist, wendet sie sich sogleich an den, der die Sache am besten ausführen kann: an den Condottiere Hawkwood, den sie in Italien den Conte Aguto nannten: bisher sei er des Teufels Söldling gewesen, jetzt solle er mit seiner Kompagnie »gegen die ungläubigen Hunde ziehen, die unsre heilige Stätte besitzen«. Aus dem Unternehmen wird nichts: die Zeit der Kreuzzüge ist vorbei, Catarinen aber winkt eine andere schwierige und großartige Aufgabe, die eigentliche Aufgabe ihres Lebens.

Die politischen Verhältnisse waren durch den Aufenthalt der Päpste in Avignon außerordentlich verwickelt geworden. Philipp der Schöne von Frankreich, der schon dem machtbewußten Bonifaz VIII. erfolgreich getrotzt hatte, brachte den Kandidaten der italienischen Partei, Bertrand d'Agoust, Erzbischof von Bordeaux, durch schlaue Ränke auf seine Seite, und den Erwählten als Clemens V. ganz in seine Hand. Denn der politische Renegat getraute sich nicht inmitten der italienischen Kardinäle zu residieren, deren Erwartung er enttäuscht hatte, und siebenzig Jahre lang lebten er und seine Nachfolger in Avignon, »von französischen Kardinälen umgeben, friedlich und wertgehalten. Rom mit seiner unruhigen Bevölkerung war ihnen ein fremder Ort, von dem sie hörten, daß die einstige Stadt der Weltherrschaft immer mehr veröde und in Trümmer zerfalle mit ihren Denkmalen alter Herrlichkeit, ihren Palästen, selbst mit ihren Kirchen«. Das Papsttum war ein Appendix der französischen Politik, die Päpste die ersten Prälaten des französischen Reichs. Französische Präfekten sogen die Provinzen des Kirchenstaats aus. »Jedes Volk hat seinen Bischof, soll das römische Volk allein ohne den seinen bleiben?« klagte Petrarka; »die Königin der Städte, soll sie auf immer eine Witwe sein? Wollt ihr einst auferstehn unter den Sündern von Avignon, oder unter den Aposteln und Märtyrern von Rom?« Urban V. war den Drohungen der schwedischen Visionärin Brigitta nachgebend im Herbste 1367 in Rom eingezogen, aber aus Unbehagen an der öden Stadt, Angst vor den widerborstigen Städten seines Landes und Rücksicht auf die fast rein französischen Kardinäle schon nach drei Jahren fluchtartig und heimlich nach Avignon zurückgekehrt. Sein Nachfolger Gregor XI. wäre gern nach Rom gegangen, aber, ein furchtsamer und leicht bestimmender Charakter, verschob er den unbequemen, selbst gefährlichen Entschluß. Die Städte des Kirchenstaats, Perugia voran, waren in heller Empörung gegen französische Legaten und fremde Burgtyrannen. Das guelfische Florenz fürchtete, die Franzosen möchten die ganze Toskana in des Papstes Sack stecken. Im Hungerjahre 1374 verbot der Kardinallegat von Sant' Angelo die Ausfuhr nach der Toskana, und »als der nächste Frühling eine reiche Ernte versprach, ergoß sich das päpstliche Söldnerheer unter Hawkwood verheerend über die Fluren der Florentiner.« Florenz zahlte 130 000 Goldgulden. Man verwünschte das Priesterregiment, erbrach und zerstörte das Gefängnis der Inquisition, machte den Antritt jeder geistlichen Pfründe vom Placet der Republik abhängig, schaffte den geistlichen Gerichtsstand ab, konfiszierte das Kirchengut, um Kriegsgelder herauszuschlagen, und – echt florentinisch! – nahm den päpstlichen Condottiere durch Bestechung in den eigenen Sold. Die Städte des Kirchenstaats standen auf, die päpstlichen Präfekten wurden erschlagen oder vertrieben. Florentinische Söldner trugen die Rebellion von Ort zu Ort, man wollte der weltlichen Herrschaft den Garaus machen.Civitas Florentina cooperante humani generis inimico (selbstverständlich!) se cum ecclesiae hostibus colligavit ad destructionem totius temporalis potentiae ipsius ecclesiae (zitiert bei Hase, S. 228).

Hier greift nun Catarina ein, und ihre Entscheidung ist überraschend klug, patriotisch und kirchlich zugleich: sie verwirft den Abfall vom Papste mit den stärksten Ausdrücken. An den Gonfaloniere di Giustizia, zugleich Priore dell' Arti, Nicolo Soderini in Florenz schreibt sie, wie auch an die hohe Signoria selbst, geradezu flammende Briefe voller Beschwörungen zum Gehorsam gegen den Papst. Man muß diese Stellungnahme bewundern. Catarina wollte ein einiges Italien, um ihre Kreuzzugspläne ausführen zu können. Wenn die Gegner des Papstes auf dem begonnenen Wege weiterschritten, war in einem halben Jahre ganz Mittelitalien französisch. Aber auch den Papst beschwört sie, Frieden zu machen, mit ebenso großartig offenen wie ehrerbietigen Mahnungen. Zunächst ist ihr Bemühen nach beiden Seiten hin vergebens. Der Papst, von den französischen Kardinälen beeinflußt, belegt Florenz mit dem Interdikt: niemand darf mit Florentinern Handel treiben, alles Grundeigentum von Florentinern soll an den päpstlichen Fiskus fallen, ihr beweglich Gut an die Gläubigen, sie selbst in Sklaverei. Als die Bulle verlesen ward, warf sich Donato Barbadori vor dem Kruzifix nieder und rief: »An dich mein Gott appelliere ich von dem ungerechten Spruche deines Statthalters zu jenem furchtbaren Tag, wenn du kommen wirst zu richten die Welt, da kein Ansehen der Person gilt. Schütze du selbst unsere Republik vor den wider sie geschleuderten grausamen Flüchen«.

Gregor XI. sagt, kein Moment ist ungünstiger, – Catarina, keiner günstiger für die Rückkehr des Papstes nach Rom. Aber er darf nicht kriegerisch kommen: »Ich sage Euch, Vater in Christo, kommt wie ein sanftes Lamm. Mit dem Dufte des Kreuzes werdet Ihr den Frieden gewinnen. Ich sage Euch: kommet, kommet, kommet! Wartet nicht auf die Zeit, denn sie wartet nicht auf Euch! Gehorchet Gott, der Euch ruft, daß Ihr kommt, die Stätte des hohen Hirten Sankt Petrus in den Besitz zu nehmen, dessen Vikar Ihr seid.« Gregor XI. hatte ein Gebot erlassen, daß jeder Prälat bei seiner Herde leben solle, und hatte sich von einem Bischof ins Gesicht sagen lassen müssen: »Heiliger Vater, warum geht Ihr nicht zu Eurer Kirche?« Er schien noch gar nicht gesonnen, nach Rom zu gehen. Zu Weihnachten 1375 hatte er neue Kardinäle ernannt: einen Italiener, einen Spanier, sieben Franzosen, unter ihnen drei ihm Blutsverwandte. Catarina hält es ihm in ihrem ersten Briefe ehrerbietig, aber entschieden vor.

Da luden die Florentiner selbst Catarinen ein, nach Avignon zu gehen und den Papst zum Frieden zu stimmen: die päpstliche Bulle hatte nämlich ihrem Geldverkehr in Frankreich und England empfindlich geschadet. Die Heilige sandte ihren Beichtvater voraus, sie selbst traf mit einem Teil ihrer geistlichen Familie am 18. Juni 1376 in Avignon ein, wurde in einem Palast untergebracht, und nach drei Tagen als florentinische Gesandte ins Konsistorium eingeführt, wo sie mit begeisterten Worten Frieden anbot und verlangte. Aber die Verhandlungen zogen sich in die Länge hauptsächlich durch die Schuld der Florentiner, die das Papsttum unheilbar schwächen wollten. Es ist ein eigentümliches Bild: richtiger guter Wille fehlt auf beiden Seiten, beide möchten verzögern, kleine Vorteile herausschlagen, beide haben Hintergedanken und sind nicht für einen ehrlichen Frieden zu haben; und zwischen beiden steht ein altes Mädchen von gänzlicher Lauterkeit und reinster Absicht, sie allein die Ehrliche, Selbstlose, die nichts will als helfen und heilen. Dabei vergibt sie sich nach keiner Seite. Man hat den Eindruck, als sei sie der einzige Mann zwischen diesen Wankelmütigen und Pilatussen. Dem Papst wirft sie die übeln Sitten der Avignoneser Kurie vor, und da er spitzig fragt, wieso sie in den paar Tagen ihres Aufenthaltes habe die Sitten des Hofes ergründen können, bringt sie ihn mit gewichtiger Rede zum Schweigen: »Zur Ehre des allmächtigen Gottes wage ichs zu sagen, daß ich in meiner Geburtsstadt mehr vom Gestank der Sünden der römischen Kurie empfunden habe, als die empfinden, die sie begangen haben und täglich begehen«. Kardinäle setzten ihr mit kleinlichen Bosheiten zu, aber sie blieb von großartiger und bescheidener Ruhe. Ihre Geduld ist unermüdlich. Es will scheinen als erreiche sie keins ihrer Ziele, nicht den Kreuzzug noch die Rückkehr. Denn »alles will den Papst zurückhalten in Frankreich, sein verehrter Vater Graf von Beaufort, seine Mutter, vier Schwestern, sein König, seine Kardinäle, seine eigene Scheu vor einem Lande, dessen Sprache er nicht einmal versteht«; unter den 26 Kardinälen dieser Zeit waren 21 Franzosen! Man ging soweit, dem Papst Angst einzujagen, in Italien stehe schon das Gift für ihn bereit. »Der Euch das schrieb«, sagt Catarina, »der kennt das Schwächste am Menschen, vornehmlich an solchen, die voll fleischlicher Liebe sind und zart am Körper ... Kommt Ihr nicht, so wird es ein Ärgernis und eine leibliche und geistige Empörung bewirken, da man in Euch die Lüge findet und nicht die Wahrheit.« Endlich am 13. September stiegen Gregor XI. und die Kardinäle, die ihm folgten (6 gingen überhaupt nicht mit), zu Pferd, ritten nach Marseille, kamen Ende November nach Corneto (etwas vor Civitavecchia), verhandelten mit den autonomiesüchtigen Römern fünf Wochen lang, gingen abermals zu Schiff, fuhren den Tiber hinauf und zogen am 17. Januar 1377 unter unermeßlichem Volksjubel in der ewigen Stadt ein. »Tausend Gaukler (histriones) in weißen Kleidern schlugen nach dem Takt in die Hände und geleiteten mit ihren Tänzen den Zug, auf den schöne Frauen aus den Fenstern Zuckerkörner und Winterblumen herabwarfen«.

Catarina hatte Avignon schon vor dem Papste verlassen und hatte in Genua die letzten Versuche abgeschlagen, ihn zur Umkehr zu bewegen. Beim Einzug fehlte sie; sie war ins kleine Färberhaus ob Fontebrande zurückgekehrt. Aber von dort aus hörte sie nicht auf, auf den Papst in ihrem doppelten Sinne zu wirken: Friede und Reform. Klar erkennt sie die Wurzel des Übels, den eingerissenen Nepotismus: »Mich verlangt danach Euch zu sehen als einen mannhaften Mann, ohne irgend eine Furcht oder fleischliche Liebe zu Euch selbst oder zu irgend einer Kreatur, die dem Fleische nach mit Euch verwandt ist, indem ... nichts die Reform der Kirche so hindert, wie dieser Umstand«. Wenn er nicht dreinfahren will, »so wäre besser, auf das, was Ihr angenommen habt, zu verzichten, das gereichte Gott mehr zur Ehre und Eurer Seele zum Heile«.

Auch in Florenz war die Stimmung dem Frieden geneigter geworden, so daß der Papst nach langem Zaudern Catarina als seine Gesandte in die zu gewinnende Stadt schickte. Schon hatte die Wirksamkeit des Interdiktes zu wanken begonnen: als das Volk ob des entbehrten Gottesdienstes unruhig wurde, befahl die Signoria die sofortige Öffnung der Kirchen, Rückkehr der ausgewanderten Bischöfe bei 10 000 Lire Geldstrafe, Wiederaufnahme des Gottesdienstes durch die Pfarrgeistlichkeit. »Auf allen Kanzeln predigten die Franziskaner gegen den Papst, der kein Recht habe, ein christliches Volk wegen politischen Zwiespaltes der Segnungen des Christentums zu berauben.« Aufhören des rebellischen Gottesdienstes gebot und erlangte Catarina als erstes Zeichen des Entgegenkommens. Doch zogen sich die Verhandlungen sehr in die Länge, neuer Bürgerkrieg brach aus, der alte Hader zwischen Guelfen und Ghibellinen erwachte, die Friedensbotin selbst wurde bedroht: »Fangen und verbrennen wir das schändliche Weib«, aber ihre himmlische Ruhe und heitere Todesbereitschaft entwaffneten den Führer des Pöbelhaufens. Endlich kam der Friede zustande, aber nicht mehr mit Gregor, sondern seinem Nachfolger. Catarina jubelt: »Gott hat das Schreien seiner Knechte gehört. Seine Söhne sind vom Tode zum Leben gekommen, von der Blindheit zum Lichte. Die Lahmen gehen, die Tauben hören, die Stummen rufen mit lauter Stimme: Friede, Friede, Friede! Die Söhne sind zurückgekehrt zum Gehorsam und zur Huld des Vaters, der Friede ist eingezogen in ihre Herzen. Geschlagen ist der Satan, gefallen der Nebel und wieder heiterer Himmel. Ich sende euch das Ölblatt des Friedens. Freuet euch, freuet euch meine Söhne, mit der süßen Träne des Dankes gegen den ewigen Vater. Doch nicht begnügt euch damit, sondern betet, daß er bald erhebe das Panier des heiligen Kreuzes.«

Dieser wundervolle Brief ist echt Catarina: in dem Augenblick, da sie das zweite ihrer Lebensziele erfüllt sieht, denkt sie an den zu betreibenden Kreuzzug. Nach ihm kann man sich einen Begriff machen von der Gewalt ihrer Beredsamkeit, die sich nur mit der des andern großen Volksheiligen vergleichen läßt, des Armen von Assisi. Sie ahnte allerdings nicht, daß schon eine neue Aufgabe für sie bereit lag: der Kampf gegen die Kirchenspaltung.

Als Gregor XI. auf dem Sterbebette lag, ermahnte er die Umstehenden, sie sollten sich vor solchen Menschen hüten, die, männlichen oder weiblichen Geschlechts, unter dem Scheine der Religion Visionen ihres eigenen Gehirnes verkündigten. Das konnte auf niemand anderen zielen als auf Catarina. Es war die Rache des Sterbenden an der Urheberin seines Todes; denn er erlag dem römischen Klima. Mit seinem Tode begannen unendliche Wirren. Die Bevölkerung hatte sich drohend vor dem Vatikan angesammelt und brüllte nach einem Italiener, einem Römer. Da verfielen die französischen Kardinäle auf einen Notweg und wählten den Bischof von Bari, Untertan der Königin Giovanna von Neapel, der als halber Franzose galt. Das Geschrei des bewaffneten Volkes wurde drohender: »Der heilige Geist will nur einen Römer!« In ihrer Feigheit drängten die fremden Kardinäle den greisen Kardinal von San Pietro, die Rolle des Erwählten zu spielen, warfen ihm die päpstlichen Gewänder über, ließen das Te Deum ertönen, das Volk hereindrängen, das nicht müde wurde, die gichtgeschwollenen Hände und Füße des Greises zu küssen, der ärgerlich protestierte: »Ich bin ja gar nicht der Papst! Der Erzbischof von Bari ist's.« Am nächsten Morgen ward die Wahrheit kund und der wirkliche Papst als Urban VI. ausgerufen. Der Erwählte enttäuschte jedoch die Hoffnungen seiner Wähler: nicht nur, daß er nicht nach Avignon zurückging, er begann sogar eine gründliche Säuberung der Kirche, nannte die ihn umgebenden Bischöfe eidbrüchige Fahnenflüchtige ihrer Kirchen und verbot den Kardinälen die hohen ausländischen Jahresgehalte anzunehmen. Als die heiße Zeit kam, gingen die französischen Kardinäle nach Anagni, die italienischen mit dem Papst nach Tivoli. Die Franzosen versprachen den drei Italienern jedem für sich die päpstliche Krone, wenn sie von Urban abfielen, wählten aber den jungen Grafen Robert von Genf, der den Namen Clemens VII. annahm. Alles fiel von Urban ab, nur Catarina nicht, die sofort eine fieberhafte Tätigkeit für ihn als das rechtmäßige Haupt der Kirche begann: sie schrieb an Urban VI. selbst, an den Kardinal di Luna, an die abtrünnigen italienischen Kardinäle, an die Städte Siena, Florenz, Perugia, an Fürsten, Prälaten und Klöster, an die Königin von Neapel, den König Ludwig von Ungarn, die Prinzen von Durazzo, Brief um Brief, flehende, ermahnende, zürnende, drohende Briefe, wahre Brandbriefe, denn die Einheit der Kirche ging ihr über alles, – vergeblich. Es ist tragisch, sich ihre letzten römischen Wochen vorzustellen. Alles was sie wollte, zerronnen und in unendliche Ferne entschwunden. Gegenpäpste, neuer Unfriede in Italien, neue Einmischung des Auslandes, die Verweltlichung ärger, der Kreuzzug unmöglicher, die Kirchenreform aussichtsloser denn je. Wozu hatte sie gelebt und gelitten, wofür gekämpft?

Aber die berufen sind zu wirken, fragen nicht nach dem Wozu. Sie wollen, weil sie müssen, diese großen Wollenden, weil Wollen und Wirken ihre Lebensluft ist. Die Welt ist voller Pilatusse, sagt Catarina. Pilatusse erwägen, ob eine heroische Sache möglich ist. Die Genies der Tat erwägen nie. Impossible n'est pas un mot frangais sagt Napoleon. Das Unmögliche in Wirkliches zu wandeln ist die einzige Aufgabe, die heroischen Seelen ziemt. Sie brauchen keine Unterstützung, suchen kein Gefolge. Gefolgsleute kommen von selber zu ihnen und sind glücklich, wenn sie den Saum ihres Gewandes küssen und die Riemen ihrer Schuhe entknoten dürfen. Der starke Wille zieht magisch an. Wer Eisen ist, fliegt auf den Magneten, ohne daß er weiß warum, ohne daß er fragt wozu. Sie sind notgedrungen Einsame, diese heroischen Seelen, am einsamsten, wenn ihre Anhänger ihnen zujauchzen. Der Erfolg ist ihnen gleichgültig, oder vielmehr, er ist eine für die andern angenehme und in die Augen fallende Begleiterscheinung des Wollens. Der Donner macht mehr Lärm, aber das Entscheidende ist der Blitz. Nichts kann verloren gehen, kein großes Wollen ohne Erfolg sein. Was liegt an der augenblicklichen Wirkung? Die Welt dürstet nach Einzelnen. Die Geschichte ist sinnlos, wenn die Einzelnen sie nicht machen, nicht alles um sich kristallisieren, damit die Ereignisse Ordnung und Wert bekommen. Welch gewaltiger Trieb hob diese kleine Färberstochter heraus aus dem niedrigen Umkreis ihres Hauses, ihrer armen Gasse, ihrer Stadt, Weltgeschichte zu machen, große Geschicke zu schürzen, größere vielleicht ungeschehen zu hindern? Denn niemand kann sagen, wie die Entwicklung der italienischen Staaten, des Papsttums, der Kirche weitergegangen wäre ohne Catarinas Eingreifen. Mögen Gegenpäpste aufstehen, Catarinas ganzes Leben hat verkündet, daß nur der Bischof von Rom Papst ist. Mag Italiens Boden von Blut getränkt, von feindlichen Hufen zertreten werden, die Friedensbotschaft Catarinens wird zwischen den Schlachten leise erklingen, bis sie einmal allen Kriegslärm überschallt. Der große Gedanke der Einheit, den sie gehegt, kann gar nicht sterben. Die Reform, die sie ersehnt, kann nicht ausbleiben. Nichts ist umsonst, kein Wirbel in dem ungeheuren Kräftereigen kann verloren gehen, und wenn ihn die Jahrhunderte verhüllen, so glänzt er nach einem Jahrtausend wieder auf. Man kann sich ausmalen, wie es der Heiligen heute erginge. Sie käme vermutlich in den Bann, ihre Sendschreiben auf den Index, und die Ansicht, die Päpste müßten von Avignon nach Rom zurückkehren, auf den Syllabus. Würde sie um ein Haar anders handeln, das kleinste Zugeständnis machen? Aber dann wäre sie nicht Catarina, sondern Pilatus. Es ist ganz gleichgültig, wie heroische Lebensläufe endigen, auf dem Scheiterhaufen zu Rouen oder mit der Kanonisierung. Der Glanz, den sie ausstrahlen, kommt weder von lodernden Scheitern, noch von huldigenden Kerzen. Ihr Wesen ist es, zu glänzen, weil es ihr Glück ist, zu wollen.

So stirbt die Heilige in Rom mählich ab, und es ist wie ein Autonekrolog, wenn sie in ihrem letzten Brief an den Papst schreibt: »Nicht durch das Leiden unsrer Körper wird der Satan aufs Haupt geschlagen, sondern durch die Kraft göttlicher Liebe.« Ihren Jüngern aber darf sie zum Abschied sagen: »Ich habe mein Leben verzehrt und hingegeben für die heilige Kirche, das ist mir die absonderlichste Gnade.« Dann kamen ihre letzten Worte: Vengo non per li meriti miei, ma per tua sola misericordia in virtú del sangue tuo – sangue – sangue. Am 20. April 1380 ist sie, dreiunddreißig Jahre alt, gestorben.

Sie wurde begraben im Friedhof der Kirche Maria sopra Minerva. 1385 wurde ihr Leib in die Kirche selbst, ihr Kopf in ihre Vaterstadt übertragen. Die achtzigjährige Mutter Lapa ging mit im Triumphzug ihres Kindes. Als Aeneas Sylvius Piccolomini aus Siena als Pius II. den päpstlichen Thron bestieg, nahm er seine vom Volke schon längst heilig gesprochene Landsmännin am 28. Juni 1461 in die Zahl der Heiligen auf. Der Streit um ihre Wundmale war freilich noch nicht zu Ende. »Der Franziskanerpapst Sixtus IV. verbot 1475 bei Strafe der Exkommunikation, zu behaupten, daß Catarina von Siena oder sonst jemand außer dem heiligen Franziskus die Wundmale gehabt habe.Man denkt unwillkürlich an die Replik aus der Salome: »Seit dem Propheten Elias hat niemand Gott gesehen.« ... Die Dominikaner haben sich dabei doch nicht beruhigt. Clemens VIII. gebot 1539 dem heftigen Ordensstreite Stillschweigen. Urban VIII. gestattete 1630, auf daß die Wahrheit der unsichtbaren Wundmale sich auch den Augen darstelle, die fünf Stellen durch dahin gerichtete Lichtstrahlen zu bezeichnen«. Somit blieb dieser tragischen Existenz das posthume Satyrdrama nicht erspart, bis der kluge Urban das Konkurrenzgezänke durch seine salomonische Entscheidung abschnitt.

 

Um die Osterzeit waren wir wieder einmal in der Stadt der heiligen Catarina gewesen, hatten wieder vom schlanken Rathausturm die grünen Hügel überblickt, das silberne Graugrün der Oliven, die rosig und weiß schimmernden blühenden Bäume, zu unsern Füßen das alte Siena, fast unverändert wie zu Lebzeiten der Heiligen: links oben der leuchtende Dom, auf den drei Hügelrücken helle hochräumige Häuser, braungraue Paläste, ungegliedert ragende Kirchenschiffe, uralte würfelförmige Türme, rötliche efeubekränzte Mauern, enge und vielfach gewundene Straßenhügel auf und ab, darüber der strahlende hellblaue toskanische Frühlingshimmel, den schneeweiße Wolken durchsegelten. Dann waren wir wieder nach San Dominico hinübergegangen, und saßen lange vor Sodomas wundervollem Doppelfresko, auf dem Catarina in leidender und triumphierender Entrückung dargestellt ist. Es war schon Abend, als wir an der Fontebranda vorbei, wo die kleine Catarina oft im kupfernen Eimer Wasser geschöpft haben mag, zu ihrem Elternhause hinaufgingen, das schon seit 1464 von der Stadt angekauft und zu einem Oratorium umgewandelt worden ist. Man sieht heute noch das winzige Zimmer, in dem sie wohnte, aus der kleinen Küche ist eine Kapelle, aus dem Kamin ein Altar geworden, die Decke ist reich vergoldet, der Boden zeigt reizende Ornamente. Daran stößt, durch Peruzzis zierlichen Hof verbunden, das Oratorium, in dem das Kruzifix verehrt wird, vor dem Catarina die unsichtbaren Wundmale empfing. Der geleitende Priester führte uns tiefer in das untere Oratorium mit Pacchias Fresken und Neroccio Landis edler Porträtbüste der Heiligen, und berichtete von ihrem Leben, ihren Wundern, ihrer Glorie, zeigte mit naivem Stolze die fürstlichen und adeligen Namen der Ehrenmitglieder ihrer Bruderschaft, erzählte von der Einteilung Sienas in Stadtviertel, und wie das Viertel dell' Oca von jeher ein besonders ruhmwürdiges gewesen, zeigte seidene Fahnen und eingerahmte Diplome vom großen alljährlichen Pferderennen am 15. August, und ließ so individuelle und kommunale, heilige und profane Geschichte wie bunte Fresken in der dämmernden Kirche vor dem innern Auge vorbeiziehen. Es war vollständig dunkel geworden, als wir ihm die Hand reichten, und die steile Gasse weiter hinaufgingen, wo sie in die Hauptstraße mündet, und uns über das merkwürdige Geschick dieses frühverstorbenen Weibes unterhielten, das ein Innen- und Außenleben von unerhörter Fülle geführt hat. Friedensbotin, nur durch ihre unantastbare Lauterkeit durch all die kriegerischen Greuel dieser wilden Zeit ungefährdet schreitend, das verkörperte Gewissen der Kirche, von unbeschreiblicher Selbstlosigkeit und Opferwilligkeit, sich verzehrend in Seelenkämpfen, in den Flammen himmlischer Verzückung, kaum daß sie noch durch leichten Schlaf und karge Speise den schwachen Docht ihrer Leiblichkeit tränkte, und in den Aufregungen des politischen Lebens die großartigste Ruhe und Reinheit bewahrend, ahnungslos, daß sie, die bis in ihre Zwanzigerjahre Analphabetin gewesen, einst zu den klassischen Schriftstellern der italienischen Literatur zählen würde. Wenigen ist es so ernst gewesen mit Pascals Devise Le Moi est haïssable. Wenige zugleich haben durch Verleugnung ihres Ich ihre Persönlichkeit schärfer und schlackenloser entwickelt.

Sweetest of the Saints nennt sie Swinburne in seinen Songs before Sunrise und preist die Demütige in rauschend festlichen Strophen: »Sie nahm die Sorgen der italienischen Lande in ihre reinen Hände, und ging als lebendes Sendfeuer nach Frankreich. Sie lächelt über ihrer hellen Stadt wie eine Braut.«

In der Tat ist nicht nur das kleine Haus an der steilen Gasse, sondern das ganze Siena, die namenlos schöne Stadt des Trecento, von Erinnerung an die Heilige erfüllt und ein großes Museum ihres Gedächtnisses. Wo immer wir auch gehen, überall ist da schon Catarina gegangen. Noch zeigt man im Spedale della Scala die harte Liegestätte aus Stein, darauf sie in den kurzen Pausen schlief, wenn sie Kranke pflegte. Die Capella delle Volte in San Dominico ist dieselbe, in der sie so oft gebetet hat, und an deren Pfeiler knieend sie der Messe anwohnte. Hier ist auch das einzige authentische Bild von ihr, das ihr Freund und Korrespondent Andrea di Vanni gemalt hat: es zeigt sie im weißen Schleier und Habit, und im schwarzen Mantel der Dominikanerin, die Züge fest und herb, Nase und Brauen energisch, das Auge ernst, fast traurig. Am stärksten lebt ihre Erinnerung in dem malerischen Viertel, wo ihr Geburtshaus steht und heute noch, wie vor fünfhundert Jahren, Färber und Gerber hausen: der scharfe Geruch der Lohe erfüllt die Luft wie zu ihrer Zeit; kein modernes Gebäude stört das reizvolle Gewirr von Gassen und niedrigen Häusern, und jeden Augenblick meinen wir, die Heilige müsse uns begegnen. Auch darin hat Swinburne recht,In einem Punkte hingegen ist er unvollständig berichtet. Er wünscht eine Biographie »cleared of all the refuse rubbish of thaumaturgy«. Wir besitzen diese Biographie längst: Es ist diejenige Karls von Hase, der auch die vorliegende Skizze in ihrem rein historischen Teile fast alles verdankt. Hases Buch hat ein fast tragisches Geschick: die Protestanten betrachten diese Heiligenbilder als krypto-katholische Verrirrung, die Katholiken hingegen ignorieren sie, sehr zu ihrem Schaden, da weder Franz von Assisi noch Catarina von Siena als auf Dokumenten aufgebaute biographisch-psychologische Kunstwerke übertroffen worden sind, so manches auch an Einzelforschung zur Aufhellung einzelner Punkte geleistet worden ist, wenigstens soweit es Franziskus betrifft. daß sie eine tapfere und kluge italienische Patriotin gewesen ist, die im Papste ebensowohl das Haupt des Glaubens, wie das lebende Symbol der Einheit Italiens nach Rom zurückbringen wollte. Von ihr gilt, was Ibsen von seinem Helden Brand sagt: daß ihre innere Biographie sich auch hätte abspielen können, wenn sie nicht eine geistliche Natur gewesen wäre. Vielleicht wäre sie eine andere Märtyrin des Patriotismus geworden wie Italiens berühmteste Mutter, Signora Cairoli. Gewiß ist es schwer, durch den Schleier der Legende hindurch ihr Eigenstes und Wesentliches zu erkennen, es loszulösen von dem Zufälligen, das Zeit und Umgebung bedingten. Aber es ist seltsam anregend, sich das Leben dieser genialen Frau nachzukonstruieren, die vielleicht die Privatperson des italienischen Mittelalters ist, über die wir die meisten und verhältnismäßig glaubwürdigsten Urkunden haben.Aus den letzten Jahren seien zwei bedeutende Biographien der Heiligen genannt: Sainte Catherine de Sienne par Johannes Joergensen und L'Histoire de Sainte Catherine de Sienne par la T. Rde. M. Drane; beide Werke enthalten eine reiche und mit Erklärungen versehene Bibliographie. Aus dem Französischen übertrug 1929 P. Albertus M. Kaufmann O. P. das Werk des Abbé Jacques Leclerco (Brüssel): »Die Mystikerin des Apostolates S. Katharina v. Siena«. (XV u.406S.) D.Herausg.


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