Josef Hofmiller
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Josef Hofmiller

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Thoreau

(1907)

1

Der Reisende, der vom Bostoner Nordbahnhof aus in den kanadischen Zug einsteigt, fährt zuerst an Waltham vorbei, dem Hauptorte der amerikanischen Taschenuhrenindustrie. Bald darauf erscheint rechts ein lieblicher, dunkler, waldumrandeter See: Waiden Pond! Die Reisenden machen sich gegenseitig auf ihn aufmerksam, wie auf etwas Besonderes, obgleich ganz Massachusetts überreich an hübschen Seen ist. Nun fährt der Zug in den kleinen Bahnhof von Concord ein. Dieses Concord, das noch heute nach amerikanischen Begriffen ein Dorf ist, – im Jahre 1900 hatte es noch nicht einmal sechstausend Einwohner – hat für Amerika eine ähnliche Bedeutung wie für Deutschland Weimar und für England Stratford. Hier haben Emerson, Hawthorne, die Alcotts und Thoreau gelebt. Emerson allein ist von ihnen weltbekannt geworden; er gehört zu den geistigen Mächten der Gegenwart und ist bestimmt, in Zukunft noch mehr in die Weite und Tiefe zu wirken. Hawthornes Romane werden leider weniger gelesen als sie verdienen. Der Name Alcott ist bei uns nur durch Louisa Alcott bekannt geworden, deren höchst liebenswürdiges und anmutig heiteres Mädchenbuch Little Women auch in Deutschland allmählich nach Gebühr geschätzt wird. Thoreau endlich ist in jenem Mittelstadium zwischen Berühmtheit und Unbekanntheit, das man eine Gemeinde heißt.

In der Nähe des kleinen Bahnhofes steht ein Hotel, das Thoreaus Namen auf seinem Schild führt. Rechts vom Bahnhof zweigt die Thoreau Street ab. Nach ein paar Minuten kommt man an dem weißen Hause Emersons vorbei; an dem von prachtvollen alten Bäumen überschatteten Orchard House, wo die Alcotts hausten; an The Wayside mit dem Turmzimmer, wo Hawthorne seine Romane schrieb; an Old Manse, wo Emerson seine Kinderjahre verlebte. Endlich gelangt der Spaziergänger an einen träumerisch stillen kleinen Friedhof: das Sleepy Hollow Cemetery. Dort unter dem mächtigen Block Rosenquarz ruht Emerson. Jener niedrige Hügel, den eine dichte Lebensbaumhecke umgibt, ist der Nathaniel Hawthornes. Etwas weiter weg, in der Nähe der Alcottschen Grabstätte, hat Thoreau seine Ruhe gefunden. Verbunden im Leben, vereint im Tode. Der Hauch der Unsterblichkeit wittert um die schönen alten Rüstern und Buchen. Denn du Concord, im Lande Massachusetts, bist wahrlich nicht die geringste unter den Städten Neu-Englands. Denn aus dir sind Gedanken der Ewigkeit ausgebraust über Land und Meere...

2

Der Mensch der großen Stadt bezahlt die Eigenart dieser Lebensform teuer: er verliert die Fühlung mit der Natur. Denn die Natur wird in der Stadt denaturiert: zur gärtnerischen Anlage verniedlicht und erniedrigt, verliert sie ihre Unschuld. Die Gesamtheit von Lebensformen, Kunst, Luxus, die man als moderne Kultur bezeichnet, ist kompliziert und künstlich. Einfachheit und Natürlichkeit sind für den modernen Menschen wieder Ziele; noch nicht erreichte, durch unablässige Selbstzucht zu gewinnende Ziele, ein wieder zu erlangendes verlorenes Paradies. Er vergleicht sich mit zeitlich oder ständisch oder kulturell tieferstehenden Individuen, und findet in dem Menschen früherer Jahrhunderte, im Jäger, Bauern, Flößer, im Indianer oder Beduinen Wildheit, Mut, Unabhängigkeit, offene, wenn auch wortkarge Biederkeit, wahre Teilnahme, ruhiges Selbstvertrauen, gesunde, durch das fortwährende Leben mit der Natur geschärfte Sinne. Er erscheint sich selbst zahm, ja feige; unehrlich und verschlossen; in schiefem Verhältnisse zu Menschen und Dingen; Wesen und Grad der Teilnahme heuchelnd; unsicher; seine Sinne geschwächt, krank. Ist sein Wohlstand um soviel reicher, seine Kultur um soviel geistiger und innerlicher, sein Leben um soviel behaglicher, daß er solch hohen Preis ohne Reue zahlen mag? Hat ihn nicht die Verbesserung des Kulturmechanismus zum Sklaven eben dieses Mechanismus gemacht? Narrt ihn nicht die Kultur, die, indem sie auf die Erzielung möglichst differenzierter Individuen hinzuarbeiten scheint, in der Tat eine fortschreitende Nivellierung und Schablonisierung alles öffentlichen und häuslichen, alles geistigen und körperlichen Lebens zur Folge hat? Anstatt der genügsamen und stolzen Unabhängigkeit des Wilden hat er tausend Arten vielfacher Abhängigkeit eingetauscht: das Gold der Freiheit für die Glasperlen der Handlungsreisenden der Zivilisation. Jeglichen Geschickes Knecht fühlt er sich. Er sucht die Natur wieder auf im Sport: doch voll Hohn wird er abgewiesen. Die Natur kennt, duldet, nimmt keine Surrogate. Die Kluft wird größer. Die Großstadt verdirbt alles: die Luft, das Wasser, das Licht der Sonne, die Natur, den Menschen. Sie vergiftet was sie behaucht: die Dichtung, die Musik, die Geselligkeit, die Liebe.

Da treten Prediger auf, die ihre Lehre leben. Muß man ein russischer Landedelmann sein wie Tolstoi, um sein eigenes Leben zu leben? Genügt es nicht, als ehrlicher Bursche ohne künstliche Bedürfnisse sich durch die Welt zu schlagen wie Thoreau?

3

Thoreaus Großvater stammte aus Jersey und war 1772 nach Neu-England ausgewandert; er heiratete eine Schottin, war Kaufmann in Boston und starb 1801 in Concord (Massachusetts). Thoreaus Vater war gleichfalls Kaufmann, fallierte, verlor all sein Vermögen und wurde Bleistiftmacher: er wird als ein kleiner, ruhiger, fleißiger, verträglicher Mann geschildert, grundehrlich und verlässig, in seinem Geschäft aufgehend, aber hilfsbereit und freundlich. Thoreaus Mutter war groß, schön, schlagfertig, frohsinnig und lebhaft; sie sang gut mit guter Stimme und plauderte gern bis zur Geschwätzigkeit. Ihr Bruder Charles war exzentrisch, führte ein merkwürdiges Vagabundenleben, kugelte von Stadt zu Stadt, und war ein landbekannter Schelm voll krauser Einfälle und Sprüche. Der am 12. Juli 1817 geborene Henry David Thoreau selbst, das drittgeborene Kind, erwies sich als eine glückliche Kombinierung der widersprechenden Eigenschaften von Vater- und Mutterseite her.

Sein Geburtsort Concord war eine ehemalige Indianerniederlassung, die von ihnen nach dem Flusse Musketaquid (Wiesenbach) benannt worden war; es hatte damals etwa 2000 Einwohner, die altmodisch in bescheidenem Wohlstande dahinlebten. Die Landschaft ist schön. Wasser in Menge: der träge dahinrollende Musketaquid und der pfeilschnelle Assabet. Die ganze Gegend voll von reizenden Seen, worunter der Waldensee späterhin für Thoreau bedeutsam und durch ihn weltberühmt werden sollte. Wundervolle Wälder von alten Eichen, Föhren, Edelkastanien und Ahornen. Sanfte, abwechslungsreiche Hügel; trockener Sandboden, zum Gehen in jeder Jahreszeit einladend. Diese Landschaft ist der Schauplatz von Thoreaus Leben, der geistige Hintergrund all seiner Werke, und der unerschöpfliche Springquell seiner inneren Erlebnisse.

Seines Vaters Verhältnis zur Natur war verhaltene Innigkeit; er liebte es, wie es im Niels Lyhne heißt, »in vegetativer Ergriffenheit« sie zu betrachten. Die Mutter war eine so leidenschaftliche Spaziergängerin, daß eins ihrer Kinder beinah auf dem ziemlich entfernten Lees Hill zur Welt gekommen wäre. Als sechsjähriger Knabe führte Thoreau die väterliche Kuh auf die Weide, barfuß wie alle Dorfjungen. Als Zehnjähriger wußte er mit Vogelflinte und Angelrute umzugehen. Schon damals trieb er sich leidenschaftlich gern am Wasser herum; Baden und Rudern, das war sein Leben, nie mehr vom Waldensee fort müssen, sein Traum und seine Sehnsucht. Alljährlich kamen Reste alter Indianerstämme, errichteten Zelte auf den Wiesen, reihten Muschelperlen auf, flochten ihre Körbe und lehrten die Dorfjugend ein Canoe meistern. Der kleine Thoreau war ein furchtloses, selbständiges und ernstes Kind; sein Neckname war the judge. Wurde er ungerecht verklagt, so fiel es ihm nicht ein, sich zu verteidigen; er sagte nur ruhig »Ich tat es nicht«. Mit sechzehn Jahren wurde er auf die Universität Harvard geschickt, wo er nicht auffiel. Mit zwanzig verließ er sie. Als Student hatte er Stunden gegeben; so wurde er Lehrer, zunächst im Heimatdorfe. Bezeichnend ist der Grund, weshalb er nach kurzer Zeit den biedern Concordern empört kündigte: sie beklagten sich, daß er die Kinder nicht auch genügend prügle.

4

Damals rührte sich in Neu-England eine neue geistige Macht. »Welcher Genosse jener Zeit«, schreibt der große Kritiker James Russell Lowell in seinem (übrigens ziemlich ungerechten) Aufsatz über Thoreau, »wer kann je das vergessen, was wir vor dreißig Jahren die transzendentalistische Bewegung hießen! Aufgerührt durch Carlyles Aufsätze Zeichen der Zeit und Geschichte, bekam sie ihren endgültigen und unmittelbaren Anstoß durch den Sartor Resartus ... Der namenlose Adler der Weltesche schien endlich Ruhe zu finden, und Jedes versuchte, dem geheimnisvollen Vogel das Wunderei unterzulegen, aus dem endlich die neue und schönere Weltenschöpfung ausgebrütet werden sollte. Redeunt Saturnia regna – das stand fest; in welcher Form und Art, darüber ließ sich streiten. Jede geistige und körperliche Dyspepsie brachte ihr Evangelium zu Tage ... Das Wort »transzendental« war das Mädchen für Alles ... Man reagierte und rebellierte mit Carlyle gegen die Philister, und der alte Kampf begann wieder, den Erasmus und Reuchlin schon gekämpft hatten, den Lessing und Goethe weitergeführt, den, in engerem Umfange, Heine gefochten, und dessen Führer in England, jeder nach seiner Fasson, Fielding, Sterne und Wordsworth gewesen waren. Es war einfach ein Kampf um frische Luft, und wenn die Fenster nicht geöffnet wurden, bestand Gefahr, daß man die Scheiben zertrümmerte, so schön sie mit Bildern von Heiligen und Blutzeugen bunt bemalt waren ... Nur ein Ding ist besser als Tradition: Leben! Das ursprüngliche, ewige Leben, dem alle Tradition erst ihren Ursprung dankt. Dies Leben forderten die Reformer, mehr oder weniger klar in Gedanke und Ausdruck: Leben in der Politik, Leben in der Literatur, Leben in der Religion!« Der schottische Presbyterianismus und der spezifisch amerikanische Puritanismus waren tot. Der Protestantismus schien seine Rolle ausgespielt zu haben: da traten Carlyle in England und Emerson in Amerika auf, nur daß Carlyle immer gereizter, schriller, krauser sprach, wogegen Emerson immer ruhiger, heiterer, feierlicher das ewige Gesetz der Schönheit und Gerechtigkeit verkündete. Die Welt des Schotten war ein schwärzliches Gewimmel mit einem einzigen Lichtschimmer. Bei Emerson war alles hell, in strahlendem, gütigem Lichte schwebend, der Sonnenhymnus eines Seligen, der zum Leben Ja und Amen sagt, und über der Kraft nicht die Milde übersieht, noch über dem großen Individuum die gesellschaftlichen Mächte.

Thoreau trat zunächst aus der Kirche aus. Um sich zu ernähren, fing er an Bleistifte zu machen wie sein Vater. Daneben ging er möglichst viel spazieren, was ihm wieder als Landvermesser zu statten kam. Im April 1838 hielt er seine erste Vorlesung im Concorder Lyzeum über die Gesellschaft. Schon etwas früher hatte er begonnen zu dichten. Seit 1837 führte er genau Buch über seine Spaziergänge, seine Erlebnisse und Gedanken. 1839 machte er mit seinem Bruder auf selbst erbautem Boote den in einem Buche hinreißend geschilderten Ausflug auf dem Concord und Merrimac. Von 1840 an war er regelmäßiger Mitarbeiter ohne Honorar an der Vierteljahrsschrift des Emersonschen Kreises, dem Dial (Sonnenuhr), dem auch Alcott, Hawthorne, Elisabeth Peabody, die beiden Schwestern Fuller und Elisabeth Hoar angehörten. Er lebte sogar zwei Jahre unter Emersons Dach und machte sich nützlich in Haus und Garten. Die eigenartige Persönlichkeit des um fünfzehn Jahre älteren Emerson wirkte auf ihn so mächtig, daß er unwillkürlich viel von dessen Manieren und die Art seines Sprechens annahm. Aber Emerson verdankte dem Jünger dafür Anleitung zu schärferer Beobachtung der Natur und zu einfacherer, strengerer Lebensweise.

1841 fand Thoreau als Freund fürs Leben Ellery Channing. Das Jahr darauf verlor er seinen über alles geliebten Bruder John, dessen er noch nach Jahrzehnten nicht gedachte, ohne blaß zu werden vor Gram. Nun warf er sich ganz der Natur in die Arme.

Der Transzendentalismus stand damals auf seiner Höhe, zugleich schwärmte man für körperliche Arbeit und einfaches Leben. »Wir sind alle ein wenig wild vor lauter sozialen Reformprojekten«, schrieb Emerson 1840 an Carlyle, »jeder hat die Skizze einer neuen Gemeinschaft in der Westentasche«. Mehrere Versuche, die neue Gemeinschaft in die Praxis umzusetzen, scheiterten.

Es ist allzeit der Traum feiner und nachdenklicher Geister gewesen, das weltliche Kloster zu gründen. Aber das weltliche Kloster ist ein Widerspruch in sich selbst. Man träumt es in der Jugend, und da man erwacht, entdeckt man mit schmerzlichem Befremden, daß man nicht im Kloster, sondern verheiratet ist. Der Junggeselle ist schließlich der moderne Anachoret, omnia sua secum portans, sogar sein Kloster, wie der Krebs seine Schale. Aber sobald er den Versuch macht, eine Einsiedlergesellschaft mit beschränkter Haftung zu gründen, erfährt er den durchaus idealen und phantastischen Charakter des weltlichen Klosters. Vielleicht ist die ganze klösterliche Existenz zu sehr religiös begründet, um als weltliches Ideal in Betracht zu kommen. Vielleicht ist die einzige Möglichkeit das Leben in der thebäischen Wüste, genannt Welt. Sie machen sich Besuche, diese heiligen Einsiedler, wie es auf dem Wandbild im Pisaner Campo Santo gemalt ist; einige fischen, andere hauen Holz, andere schnitzen ernsthaft Löffel, – das nennen sie dann ihre Lebensaufgabe; andere, ohne Zweifel die Klügeren, wenn auch vielleicht die minder Heiligen, führen auf Gazellen die Holzlöffel in die Stadt zum Verkaufe. Immer wieder bestattet Panunzius den Onofrius, der Freund den Freund. Immer wieder hält der tapfere Junggeselle die Hand ins Feuer, sich vor der Anfechtung der Ehe zu bewahren. Immer wieder sind es allerlei Drachen und Teufel, so den Heiligen umdräuen. Und immer wieder küßt Antonius des toten Paulus Hand, zum letzten Gruße, derweil zwei fromme Löwen ihm die Grube graben. Alle aber sind sie getrost, weil jeder die Klause weiß, in der er des Abends schlummern wird, seine einsame Klause ...

Immer stärker wuchs in Thoreau die Sehnsucht seiner Knabenjahre: ganz allein am Waldensee zu leben. Sein Freund Stearns Wheeler hatte schon den Versuch gemacht, einige Monate am Flintssee zuzubringen. Am Weihnachtsfeste 1841 schrieb Thoreau in sein Tagebuch: »Ich möchte bald gehen fernab leben am See, wo ich nur den Wind im Röhricht säuseln höre. Erfolg genug, wenn ich mich selbst zurücklasse. Aber meine Freunde fragen, was ich dort tun wolle. Als obs nicht Tätigkeit genug wäre, den Fortschritt der Jahreszeiten zu betrachten!« Ende März 1845, in seinem achtundzwanzigsten Jahre, ging er zu Freund Alcott, nahm eine Axt zu leihen und fing an, Holz zu schlagen zum Bau seiner Hütte. Am 4. Juli, dem Unabhängigkeitsfeste, bezog er sein Heim, das ihn genau achtundzwanzig Dollar gekostet hatte. »Ich ging in diese Wälder«, sagt er selbst, »weil ich mit Verstand (deliberately) leben wollte, nur den Grundtatsachen des Lebens ins Auge blicken. Ich wollte beim Sterben nicht etwa entdecken, daß ich überhaupt nicht gelebt hätte«.

Der Waldensee ist ungefähr zwei Kilometer von Concord entfernt; dicht bewaldete Hügel umgeben ihn und spiegeln sich in dem grünlich-blauen Wasser, das so herrlich klar ist, daß man bis auf dreißig Fuß den Grund deutlich erkennt. Der von Thoreau zum Hausbau erwählte Grund hatte Emerson gehört, – war das nicht ein wenig symbolisch? Symbolisch wie die entliehene Axt, die Thoreau dem Eigentümer schärfer und blinkender zurückgab? Die Einzelheiten des Hausbaus und der ersten Einrichtung werden in »Walden« ergötzlich genug erzählt. Thoreau, der sich zuerst ein Boot gezimmert, dann ein Zelt aufgerichtet hatte, besaß nun eine Hütte; es ist ein hübscher Zug, daß er so drei Existenzformen der Menschheit gewissermaßen im Auszuge nachgelebt hat: die des Fischers, des Nomaden, des seßhaften Landbebauers. Die Frage des Hausrates machte ihm keine Schwierigkeit: »Hausrat!« rief er mitleidig, »Gottseidank brauch ich kein Möbelmagazin, um stehen oder sitzen zu können«. Seine Hütte enthielt nur das im strengsten Sinn unumgänglich nötige Gerät. Er hatte drei schöne Kalksteinstücke auf dem Tische liegen; als er entdeckte, daß er sie täglich abstäuben mußte, warf er sie zum Fenster hinaus. »Nur ein Gerät muß man täglich ab- und ausstäuben: dies Möbel ist der Geist!« Er stand zeitig auf und nahm andächtig im See sein Morgenbad, als eine religiöse Handlung. Dann pflanzte er seine Kartoffeln, Bohnen, Erbsen und Rüben, und nahm ein zweites Bad als feierlichen Schluß seiner Arbeit. Den ganzen Nachmittag ging er spazieren, selig wie Robinson, immer auf neue Entdeckungen aus. »Manchmal, an einem Sommermorgen, wenn ich mein gewohntes Bad genommen hatte, blieb ich auf meiner sonnigen Schwelle sitzen von Sonnenaufgang bis gen Abend, im Traum entrückt, mitten unter den Föhren und Hickory- und Sumachbäumen, in ungestörter Einsamkeit und Stille, derweil die Vögel ringsum sangen oder lautlos durchs Haus schwebten, bis die Sonne in mein Westfenster fiel, oder das Knarren eines Wagens auf der fernen Landstraße mich an das Verrinnen der Zeit mahnte.« In Mondnächten ging er auf dem zarten Sande des Ufers flötenspielend auf und ab und lauschte dem Echo, das von den schlummernden Wipfeln ihm süß zurückfloß.

Ein Grundgebot seiner Philosophie war, keinem atmenden Wesen das Leben zu nehmen; aber da waren die Murmeltiere, die ihm die Bohnen verwüsteten. Thoreau bastelte eine Falle und bald fing er einen ehrwürdigen Murmeltiergreis. Zur Strafe beließ er ihn ein paar Stunden in der Falle, dann ließ er ihn laufen als einen sicherlich gewitzigten Attentäter. Weit gefehlt! Der alte Herr kehrte pünktlich zu seinen Bohnen zurück, bis ihn Thoreau wieder fing. Zufällig kamen drei alte Sonntagsfischer gerade recht zum Kriegsgericht. Thoreau brachte es nicht übers Herz, das gefällte Todesurteil zu vollstrecken; er nahm das Murmeltier in die Arme, trug es zwei Meilen über Land, hielt ihm eine scharfe Predigt, zog ihm ein paar tüchtige Hiebe über den feisten Hintern – und ließ es wieder laufen. Diesmal sah er es nicht wieder.

Sogar das Fischen machte ihm Gewissensskrupel; so oft er gefischt hatte, war er in seiner eigenen Achtung gesunken. Gastfreundlich empfing er Kinder und Eisenbahner, Holzsucher, Fischer, Jäger, auch Schwachsinnige aus dem Armenhause; aber Projektenmacher, Klatschbasen und hohle Philanthropen ekelte er vergnügt zum Teufel. Wenn Emerson und Alcott kamen, wars natürlich ein Fest.

Einmal kam der Steuereinnehmer. Aber Thoreau war durch seine Abscheu vor der staatlich konzessionierten Negersklaverei in einen so grimmigen Staatshaß geraten, daß er sich rundweg weigerte, irgendwelche Steuer zu entrichten. Die Strafe blieb nicht aus. Eines Nachmittags, als er eben einen kranken Schuh flicken lassen wollte, wurde er verhaftet und ins Gemeindegefängnis gesperrt. »Henry, weshalb sind Sie hier?« fragte ihn der bestürzt herbeieilende Emerson. »Emerson, weshalb sind Sie nicht hier?« gab Thoreau dem vorsichtigeren Freunde zurück. Es gefiel ihm ausgezeichnet im Gefängnis, und als Mutter und Tanten die Steuer hinter seinem Rücken zahlten, war er »wild wie der Teufel«.

Er war oft nächte-, ja wochenlang von seiner Hütte abwesend, aber nie sperrte er sie zu. Dennoch kam ihm kein Stück weg, außer einmal ein Band Homer. »Nie hat mich jemand belästigt, außer die als Vertreter des Staates kamen.« Nichts ist falscher als sich Thoreau als menschenscheuen Einsiedler vorzustellen, oder ihn mit der Walden-Episode zu identifizieren. Er verlor nie die Fühlung mit der Gesellschaft, wenngleich sein Hauptstreben war, nie die Fühlung mit der Natur zu verlieren. Zwei Sommer und zwei Winter war er so am Waldensee gewesen, da trieb es ihn wieder mehr zu den Menschen. Am 6. September 1847 verließ er Walden; er hatte diese Existenz gründlich ausgekostet, seine Lehrzeit war abgeschlossen. Als Jüngling, rauh und burschikos, war er gekommen, als Mann entließ ihn seine geliebte Einsamkeit, reif, ernst und milde.

5

Walden ist ein wunderliches Buch. Wer es in der Hoffnung läse, viele zitierbare Einzelaphorismen zu finden (in welche man z. B. Emersons Essays zerlegen kann), wäre bald enttäuscht. Der Geist des Buches steckt mehr im Ganzen, als daß er sich in der konkreten Sentenz äußert. Wenn er sich einigermaßen sentenziös kristallisiert, hat man allerdings den ganzen Thoreau:

»An den Pyramiden erregt nichts so sehr das Erstaunen wie die Tatsache, daß sich so viele Menschen fanden, verkommen genug, ihr Leben zur Erbauung eines Grabes für irgend einen ehrgeizigen Hanswursten herzugeben. Besser und männlicher wäre es gewesen, man hätte den Tölpel in den Nil und seinen Leichnam hernach vor die Hunde geworfen.«

»Ein Mensch ist umso reicher, je mehr Dinge er unbeschadet am Wege liegen lassen kann.«

»Die Mehrzahl der Menschen verbringt ihr Leben in stiller Verzweiflung. Sie fürchten den Hungertod, bevor sie hungrig sind.«

»Die kostbarsten Eigenschaften unseres Wesens können, wie der Flaum der Früchte, nur durch die zarteste Behandlung erhalten bleiben. Doch wir behandeln weder uns selbst noch die andern so zartfühlend. Es ist hart einem südlichen, härter einem nördlichen Sklavenaufseher zu unterstehen. Am schlimmsten ist es um den bestellt, der sein eigener Sklaventreiber ist. Die Menschen sind nicht so sehr die Herren ihrer Herden, als die Herden die Herren der Menschen. Wir fahren nicht auf der Eisenbahn, sie fährt auf uns.«

»Es ist eine interessante Frage, bis zu welchem Grade die Menschen ihren jeweiligen Rang behalten würden, wenn sie sich ihrer Kleider entledigt hätten. Bekleide eine Vogelscheuche mit deinem neuesten Anzug und stelle dich nackend neben sie – wer würde da nicht zuerst die Vogelscheuche grüßen?«

»Jedermann hat die Verpflichtung, sein Leben auch in Einzelheiten so zu gestalten, daß es selbst in seiner feierlichsten und kritischsten Stunde als der Betrachtung würdig sich erweist.«

Was an diesen Sätzen auffällt, ist die Abwesenheit des Esprit. Man braucht sich nur eines Satzes von Wilde oder Shaw zu erinnern, und man hat den Gegenpol. Thoreaus Denken und die Art, es zu äußern, hat jenen unschuldigen Ernst, den das von Erwachsenen unbelästigte Kind beim Spiel zeigt. Seine Bücher sind ohne Hinschielen auf eine lesende und zu überredende Mitwelt entstanden.

So gering der aphoristische, so groß ist der rein menschliche und persönliche Ertrag des Buches. Es bringt jenen frischen kühlen Duft mit sich, der an unsern Mänteln hängt, wenn wir uns drei Stunden lang vom Wind haben tüchtig an- und ausblasen lassen. Leg es auf deinen Schreibtisch, und es erfüllt das Gemach mit Frische: Wie muffig riecht nicht dies vergrämte Stubendrama daneben! Wie parfümiert jener um jeden Preis schlichte Roman! Dieses Walden ist ein unabsichtlich kritisches Buch. ...

Ein »selbstangestellter Inspektor der Schneestürme und Regenschauer«, notiert Thoreau sein Leben am Waldensee. Erzählt er gut? Ich weiß es nicht. Wenn gut soviel ist, wie geordnet, so ist seine Art des Berichtes nicht sehr gut. Ist gut soviel wie fesselnd, so ist sie ausgezeichnet. Nichts schenkt er uns; sogar daß sein ganzer Palazzo 28 Dollar und 12½ Cents gekostet hat, rechnet er uns Posten für Posten vor. Er gibt uns sein vollständiges Inventar an, wieviel er zum Leben braucht, wieviel er verdient und wie: Schnapper-Arndt hätte seine Freude daran gehabt. Er schränkt das Akzidentelle des Lebens auf ein Mindestes ein, um das Substanzielle auszukosten, in tiefen, tiefen Zügen. »Ich wollte tief leben, alles Mark des Lebens aussaugen, so herzhaft und spartanisch leben, daß alles was nicht Leben war, aufs Haupt geschlagen würde. Ich wollte mit großen Zügen knapp am Boden mähen, das Leben in die Enge treiben und es auf die einfachste Formel bringen. Und sollte es sich gemein erweisen, nun dann wollte ich seine ganze, unverfälschte Gemeinheit auskosten, um sie der Welt zu künden. War es jedoch rein, so wollte ich dies aus eigener Anschauung erkennen.Die Übersetzung, nach welcher Walden hier zum Teil zitiert ist, stammt von Wilhelm Nobbe und ist, geschmückt mit einem Bilde Thoreaus und vom Übersetzer durch eine bedeutende Charakteristik des Waldeneinsiedlers eingeleitet, in vortrefflicher Ausstattung bei Diederichs erschienen (Jena und Leipzig 1905). Eine gut zugängliche englische Ausgabe ist um billigen Preis in der Scott Library zu haben. (Drei Bände: Walden, Essays, A Week on tbe Concord. Nur in solcher Einsamkeit genießt man die Morgenschönheit eines unsterblichen Buchs, meint Thoreau; kein Schwätzer drängt sich zwischen das Werk und deine Seele. Bis du, satt des Genusses, das Buch weglegst, um nur den Tönen deiner Einsamkeit zu lauschen: dem Spatzen, der vor deinem Blockhaus zwitschert, dem Schrei des Habichts, dem Gurren der Wildtaube, dem verwehenden Rollen des fernen Bahnzuges, dem Rauschen des Schilfs und der Riedmeisen und Rohrdommeln, die darüber fliegen, dem Pfeifen der Lokomotive, blökenden Kälbern und muhenden Kühen, dem schwachen Gerassel des Lastwagens auf der Landstraße, den sonntäglichen Glocken, dem Summen der Tagschläfer, dem Klagerufe der Knarreulen, dem nächtlichen Trompetenkonzerte der Ochsenfrösche – Töne, Laute, Geräusche ohne Ende, ohne Ende: wie sich die Seele beruhigt bei all dieser Musik der Jahreszeiten! Wie wunschlos sie wird! »Der Vögel Gefieder und Gesang harmoniert mit den Blumen. Doch welcher Jüngling, welches Mädchen versenkt sich mit Inbrunst in die wilde, wonnige Schönheit der Natur? Sie blüht meistens im Verborgenen, fern von den Städten, wo die Menschen wohnen. Schwätzt vom Himmel! Ihr entweiht die Erde!«

Walden war das Experiment, das Thoreau einmal machen mußte. Sein Genius trieb ihn zu einer bestimmten Zeit seines Lebens, genau diese Form der Existenz auszukosten. Aber Thoreau fordert die Menschen nicht auf, ihm nachzuahmen; es steht jedem frei, ihn als einen verrückten Kanadier zu verspotten und sich selbst für sehr zivilisiert zu halten. Wie ein Heimweh nach dem verlorenen Paradies lebt die Sehnsucht nach einfacherer Art des Lebens in uns, oft unter seltsamen Formen. Wir alle opfern in unsern besten Stunden jenem edlen Heimweh nach Natur, nach rauherer und reinerer Luft. Wir alle dürsten einen Augenblick nach den Quellen und Bächen des Lebens, weg, weg von der großen Stadt! Einen Augenblick lang sehen wir klar: »Meine ganze Lebensweise ist Sklaverei!« Dann flüstert unser Versucher uns zu: »Glaube das nicht, nur in Kunst und Dichtung gibt es dies Leben, das du ersehnst«. Und wir senken mutlos das Haupt. Auch zu Thoreau sprach der Versucher also. Thoreau aber, mit seiner trotzigen Lust am Experiment, gebot der holden Vision, Wirklichkeit zu werden, und siehe, sie ward wirklich.

Der Weise aber weiß, daß Kürze aller Schönheit geheimes Gesetz ist. Sein Liebesverhältnis mit der Einsamkeit entartet nicht zur Ehe. Der Einsiedler kehrt zur Gesellschaft zurück. Nicht als ein Unterlegener oder nach Menschen Verlangender, sondern als Einer, dem ein jahrlanger Traum sich verwirklicht hat: Ich habe die Hoheit der Erfüllung ertragen, ich war nicht kleiner als meiner Seele Sehnsucht, ich segne dich, du meine geliebte Einsamkeit, überallhin nehme ich dich mit mir, ich wärme mich an dir wie an einem Feuer, ich hülle mich in dich wie in einen weichen Mantel ...

6

Zunächst zog Thoreau wieder bei Emerson ein und machte seinen Gärtner, während der Hausherr die bekannte europäische Reise vollführte. Nach dessen Rückkehr ging er ins Vaterhaus zurück und lebte sein stilles, ereignisloses Leben weiter. Sein Studierzimmer – soweit er ein Studierzimmer brauchte – war der Dachboden; dort stapelte er seine Schätze auf: Vogeleier, Pflanzen, Indianerfunde; dort schrieb er, zunächst nur für sich, seine wunderlichen Bücher. Ein zärtlicher Sohn und Bruder, erregte er doch manchmal das beinahe unwillige Erstaunen der Seinen. So, wenn er seinen Zucker aus Ahornhonig raffinierte, statt ihn um ein paar Cents beim Krämer zu kaufen. Dann fuhr ihn wohl der Vater an, er solle sich nicht durch solche Allotria von seinen Studien abhalten lassen, worauf der Sohn gelassen erwiderte, solche Allotria gerade seien sein Studium.

1849 ließ er sein erstes Buch A Week on the Concord and Merrimac Rivers auf seine Kosten bei Munroe in Boston drucken. Es wurde günstig besprochen, aber nicht gekauft, und der Verfasser fing wieder an, Bleistifte zu machen und Land zu vermessen. 1853 erhielt er ein mächtiges Paket: es waren die unverkauften Exemplare: »Ich besitze nun eine Bibliothek von fast neunhundert Bänden, von denen ich über siebenhundert selbst geschrieben habe«, tröstete er sich mit Humor. Mehr Erfolg hatten die Beschreibungen seiner kleinen Wanderungen in verschiedenen Monatsheften. Bewunderer und Freunde hätten ihn gern auf ihre Kosten um die Welt reisen lassen, doch er lehnte ab: ein Sumpffalke in der Concorder Aue sei ihm viel interessanter als der Einzug der Verbündeten in Paris.

1854 erschien Walden und hatte Erfolg, obgleich die New-Yorker Zeitung The Knickerbocker versicherte, ein solcher Schwindel sei seit Barnums Autobiographie unerhört. 1856 traf Thoreau mit Walt Whitman zusammen und empfing einen bleibenden Eindruck von dem Verkünder des neuen, demokratischen Amerika. Für ihn von noch größerer persönlicher Bedeutung war der Besuch des damals sechzigjährigen John Brown, der als Einzelner der staatlich sanktionierten Negersklaverei den Krieg erklärt hatte. Schon früher hatte Thoreau flüchtige Sklaven beherbergt, ihre geschwollenen Füße gebadet, und ihnen versichert, daß sie in seinem Hause so sicher wären wie in Abrahams Schoß. Das war kein leeres Wort, denn daß er Manns genug sei, Schutzbedürftige zu schützen, bewies er eines Abends, wo er zwei Strolche, die es auf ein Frauenzimmer abgesehen hatten, kurz entschlossen am Kragen packte und im Dorf ablieferte.

7

Hier ist vielleicht der Ort, über Thoreaus Stellung zum Staate und zur Negerfrage etwas zu sagen.

Es ist kein Zufall, daß Thoreau die Sklaverei fanatisch bekämpfte. Der freie Mensch war sein Alles, der Staat schien ihm ein natürlicher Gegner des freien Menschen. In einem Aufsatze Civil Disobedience hatte er schon 1849 versucht, sich über seine Stellung zum Staate klar zu werden: Hier sind die Grundgedanken. Am besten ist die Regierung, die überhaupt nicht regiert. Ein stehender Staat ist so überflüssig und schädlich wie ein stehendes Heer. Hätten nicht Handel und Industrie eine gummiartige Elastizität, sie kämen nie über die Hindernisse weg, die der Staat ihnen in den Weg legt. Die Gesetzgeber sind ihrer Wirkung nach nicht verschieden von den Leuten, die Hindernisse über die Schienen legen. Wenn eine Regierung irgend wen unschuldig einsperrt, gibt es nur einen passenden Platz für einen anständigen Mann: das Gefängnis. Ich treffe diese amerikanische Regierung, oder vielmehr die Regierung von Massachusetts einmal im Jahr von Angesicht zu Angesicht; nicht öfter: in der Person ihres Steuereintreibers. Wenn tausend Menschen dieses Jahr ihre Steuer verweigerten, so wäre das keine gewalttätige oder blutige Maßregel, während die Bezahlung der Steuer dem Staate die Möglichkeit gibt, Gewalttat zu begehen und unschuldiges Blut zu vergießen. »Was soll aber denn ich tun?« fragt der Steuereintreiber. »Wenn es dir ernstlich darum zu tun ist, etwas zu tun, so lege dein Amt nieder!«

Es gibt Worte, die einmal gesprochen, für alle Ewigkeit gesprochen sind. Sie haben einmal geblüht und gefruchtet, dann kam der Sand und bedeckte sie. Nach tausend Jahren haucht ein Wind über den Sand, und Wasser des Himmels netzt die dürre Wurzel, und wieder blüht und fruchtet dies einmalig-ewige Wort, um wieder einzudorren und des Windes und Regens zu harren. Solch ein Wort ward einst zum reichen Jüngling gesprochen. Thoreau hegt für die heiligen Bücher der Inder bedeutend mehr Sympathie als für das Neue Testament, und doch ist sein Verhalten zum Staat eine Konsequenz jenes unbeugsamen Gewissens, das einst zum reichen Jüngling sprach: »Verkaufe was du hast, und gibs den Armen, und folge mir nach!«

»Da ich die Steuer verweigerte«, fährt Thoreau fort, »steckten sie mich ins Gefängnis. Törichte Einrichtung! Als wär ich nur Fleisch und Blut und Knochen, die man so mir nichts dir nichts einsperren kann. Die Ratlosen wußten nicht, was sie mit mir anfangen sollten, daher benahmen sie sich wie sich eben Leute ohne Erziehung benehmen. Da sie mein Selbst nicht erreichen konnten, straften sie meinen Körper; wie Knaben einen Hund quälen, dessen Herrn sie nicht beikommen können. Der Staat schien mir schwachsinnig und feig wie eine alleinstehende Frau mit ihren silbernen Löffeln: ich verlor den letzten Respekt vor ihm; er tat mir leid ... Der Staat sagt zu mir: Geld oder Leben! Als hätte ich daran Interesse, ob die soziale Maschine geschmiert ist! ... Wir haben den Fortschritt von der absoluten zur beschränkten Monarchie gemacht; den von dieser zur Demokratie. Immer mehr Respekt vor dem Individuum! Sollte es über die Demokratie hinaus keine Verbesserung mehr geben? Keinen weiteren Schritt zur Anerkennung und Organisation der Menschenrechte?«

Ohne Zweifel ließe sich gegen Thoreaus Ansichten vieles einwenden. Vielleicht ließe sich sogar gegen diese Einwände manches einwenden. Doch ist hier nicht der Ort, gegen Thoreau zu polemisieren, sondern ihn zu Worte kommen zu lassen. Höchstens ist eine Vermutung über die Quelle dieser Energie gestattet. Forschungen der letzten Jahre haben wahrscheinlich gemacht, daß die Droits de l'Homme, wie überhaupt die Themen der französischen Revolutionsliteratur, nichts andres sind, als ihrer spezifisch religiösen Färbung entkleidete Grundanschauungen amerikanischer Separatisten. Auf der Maiblume kam mit den Pilgervätern eine ganz bestimmte Ladung religiöser Energie nach Neuengland, die, treulich bewahrt und ernstlich geübt, dem ganzen Leben Schwungkraft und Straffheit gab. Bei der nahen Verbindung politischer und religiöser Fragen mußte der Tag kommen, wo das ungestüme Freiheitsempfinden aus Mangel an religiösen Hemmungen gegen staatliche Hemmungen sich wandte, und so die gesamte Energie auf ein neues Gebiet geleitet wurde. Auch Thoreaus Energie war bei seinen Vorvätern vermutlich noch religiöse Leidenschaft gewesen: ein Bach von jenem Berge in Galiläa, auf dem einst gepredigt wurde.

Als Massachusetts sich auf die Seite der Sklavenhalter stellte, verweigerte Thoreau sofort die Steuer. Er hielt Vorlesungen, schrieb Aufsätze gegen die Sklavenhaltern – beides war nicht opportun, nicht einmal ungefährlich: aber was kümmerte ihn Gefahr! Er half sogar schwarzen Deserteuren über die kanadische Grenze.Für diese, wie für alle biographischen Einzelzüge ist meine Quelle die Biographie Thoreaus, die Henry S. Salt geschrieben hat (London, Walter Scott, Great Writers). Als einmal ein flüchtiger Sklave aufgegriffen und von der Regierung seinem Herrn überliefert wurde, forderte Thoreau seine Mitbürger auf, das städtische Freiheitsdenkmal schwarz anzustreichen. Knabenhafter Zorn, nicht wahr? Aber es gehörte verdammt viel Mut dazu, bei der damaligen Stimmung als Einzelner zu solchem Knabenstreiche aufzustacheln. War nicht auch der Bostoner Teesturm, die Versenkung des Tees der Ostindischen Kompanie durch einige Jünglinge, die sich noch dazu als Indianer maskiert hatten, ein Knabenstreich? Und doch ist dieser Knabenstreich der kecke Auftakt zur amerikanischen Revolution, dem bald die metallene Wucht der Unabhängigkeitserklärung dröhnend folgt: When a long train of abuses and usurpations evinces a design to reduce a people under absolute despotism, it is its right, it is its duty to throw off such government ...

Als am 16. Oktober 1859 der Agitator der Emanzipation, John Brown, gefangen wurde und sechs Wochen lang auf ungerechten Prozeß und heuchlerischen Justizmord warten mußte, war Thoreau der erste, der entschlossen für den »verrückten Niggerapostel« eintrat. Er kündigte an, daß er im Rathause für John Brown sprechen werde. Als sogar Freunde der Befreiung, überzeugte Abolitionisten, ihn baten, doch nicht gerade jetzt Öl ins Feuer zu gießen, antwortete er, er habe sie nicht um ihren Rat gebeten, sondern um Verbreitung seiner Absicht, für John Brown zu sprechen.

Als A Plea for Captain John Brown ist die berühmte Rede in seine Werke aufgenommen. Sie ist ein klassisches Beispiel zu Thoreaus Theorie des Redners: »Sprich die Wahrheit! Das ist die erste Regel, und die zweite, und die dritte.« Sie beginnt ganz schlicht von John Browns bisherigem Leben, wie es allen Zuhörern bekannt ist; wie er sieben Söhne zeugte, alle tapfer wie er; wie er der Schrecken aller Grenzstrolche war; sie preist seine Wahrhaftigkeit, seine Gottesfurcht, seine Kühnheit. Dann wird sie allmählich angreifender: »Sicher bekommt ihr auf euren Märkten mehr für ein Quart Milch als für ein Quart Blut; aber Helden tragen ihr Blut auch nicht auf den Markt!« Er verspottet die Christlichkeit, die feige der Ungerechtigkeit zusieht: »Der moderne Christ ist ein Mensch, der sich verpflichtet hat, alle vorgeschriebenen Gebete herzusagen, wenn man ihn nur gleich darauf ins Bett gehen und in Ruhe schlafen läßt«. Er verhöhnt die durch die Zeitungen verkörperte öffentliche Meinung: »Ich kenne keinen Herausgeber im ganzen Lande, der mit Wissen und Willen etwas drucken würde, was die Zahl seiner Abonnenten auf die Dauer reduzierte.« Manche Stellen lesen sich wie eine Vorahnung von Ibsens Volksfeind: »Ist es nicht möglich, daß ein Individuum recht hat und eine Regierung unrecht?« Diese Frage klingt von Anfang an durch die Rede, immer wuchtiger wird der Gegensatz zwischen dem Mann von Mut und Gewissen, und zwischen geldgierigen Machthabern herausgearbeitet, bis zu dem kühnen Schlusse: »Ich sehe die Zeit voraus, da der Maler diese Szene (John Browns Tod) malen wird, der Dichter sie besingen, der Geschichtsschreiber sie feiern; neben der Landung der Pilgerväter und der Unabhängigkeitserklärung wird sie die Zierde unsrer zukünftigen Nationalgalerie sein, wann wenigstens die gegenwärtige Form der Sklaverei abgeschafft sein wird. Dann werden wir weinen dürfen um John Brown.« Wenn man bedenkt, daß diese Rede zugunsten eines von der verhetzten Volksmeinung zum Verbrecher gestempelten Freischärlers gehalten wurde, wird man ihren Mut würdigen. Vielleicht ist die Zeit nicht ferne, da man auf unseren Schulen die Apologie für John Brown lesen wird, anstatt die Rede des Lykurg gegen Leokrates und ähnliche Antiquitäten, deren Verfasser, Gegenstand und frostige Stilistik für uns gleich gründlich tot sind.

Auf einem Acker bei Charleston ward am 2. Dezember 1859 John Brown gehenkt, seines Zeichens Lohgerber, Wollmakler, Farmer, Brecher des Landfriedens, Puritaner und Sklavenerlöser. »Wie schön sind doch diese Kornfelder!« waren seine letzten Worte. Auf die Kunde seines Todes läuteten in Neuengland die Glocken, von den Kanzeln predigte man Rache. So rasch stellte sich die öffentliche Meinung dahin, wo Thoreau einen Monat zuvor allein zu stehen gewagt hatte.

8

Schon 1855 hatten sich bei Thoreau die ersten Zeichen der Lungenschwindsucht gemeldet, zu der er durch Vererbung neigte und die durch eine Erkältung im November 1860 beschleunigt wurde. Er erlebte noch den Ausbruch des Kriegs zwischen Nord- und Südstaaten, und war »krank vor Gram« über die anfänglichen Mißerfolge der Sklavenfreunde. Bald ging es gegen das Ende. Aufgefordert, sich mit seinem Gott zu versöhnen, antwortete er gelassen, er habe sich nie mit ihm gezankt. Musik war die Labung des Kranken, ein Drehorgelspieler auf der Straße rührte ihn zu Tränen. Am 6. Mai 1862, morgens um 8 Uhr, saugte er noch glücklich den Duft übersandter Hyazinthen ein; dann bat er, man solle ihn im Bette aufrichten, atmete schwächer, flüsterte noch etwas von Elken und Indianern, und starb. »Ich könnte die Erde küssen vor Freude. Ich freue mich dereinst in ihr begraben zu werden«, hatte er vor Jahren geschrieben. Emerson hielt ihm die Grabrede. Eine Pyramide aus Kieselsteinen bezeichnet den Fleck am Waldensee, wo einst sein Blockhaus stand: jeder Besucher legt einen Stein zu den andern. Ganz Concord ist sein Denkmal: wie ein gütiger Hausgeist schwebt er über der Gegend, die er im Leben liebte.

9

»Von Natur war er klein«, berichtete Moncure Conway, »wohlgebaut, so wie ich mir Cäsar vorstelle. Jede Bewegung elastisch und ruhig; der Klang seiner Stimme wie der der Wahrheit selbst; sein Auge rein hellblau wie der Himmel Neuenglands, sein Haar flachsgelb wie Sonnenschein. Er hatte eine ausgeprägte Adlernase von römischer Form.« »Wer sein Gesicht einmal sah«, sagte Ellery Channing, »konnte es nicht mehr vergessen ... Es trug ganz den Ausdruck tätigen Ernstes, als hätte er keinen Moment zu vergeuden. Sogar im Boot hatte er ein bedachtsames, entrücktes Wesen, vielleicht erspähte er gerade eine Ente oder Schildkröte oder Otter.«

Das Porträt, das der schönen Diederichsschen Ausgabe beigegeben ist, zeigt ihn als schmalschultrig, den Kopf ein wenig vorgebeugt, das tiefliegende Auge weit und aufmerksam geöffnet, die Brauen schön gewölbt und direkt an die Nase anschließend; eine scharfe Falte zieht von den feinen Nasenflügeln zum Munde, von dem man des dichten Bartes wegen nur die wie zum Sprechen bewegte untere Lippe sieht. Obgleich das Bild aus dem August 1861 stammt, sind keine Spuren der Krankheit zu bemerken. Seine Kleidung war so einfach, daß man ihn manchmal für einen Hausierer, einen wandernden Schirmmacher oder Matrosen, einmal sogar für einen Bankräuber hielt.

Er reiste am liebsten zu Fuß, ohne Gepäck, übernachtete bei Farmern und Fischern, setzte sich an ihr Herdfeuer, half ihnen beim Heuen und lebte mit den einfachen Leuten als einer von ihnen. Ein alter Rock war ihm ein Freund, von dem er sich äußerst schwer trennte. Er war gleich gewandt als Fußgänger, Schwimmer, Schnelläufer und Ruderer, maß jede verlangte Entfernung oder Höhe mit bewundernswerter Richtigkeit und schätzte jedes Gewicht mit der Hand.

1847 wurde er aufgefordert, für eine Festschrift der Harvarder Abiturienten von 1837 autobiographische Angaben zu liefern. Als Antwort schrieb er diesen Brief: »Bin unverheiratet. Weiß nicht, ob ich einen Beruf oder Geschäft habe ... Ich bin Schullehrer, Erzieher, Geometer, Gärtner, Farmer, Anstreicher, Zimmermann, Maurer, Taglöhner, Bleistiftfabrikant, Rostpapiermacher, Schriftsteller und manchmal Dichterling ... Ich ersuche meine Mitschüler, in mir nicht etwa ein Objekt ihrer Barmherzigkeit zu sehen. Im Gegenteil, wenn einer Hilfe braucht, soll er michs nur wissen lassen: ich geb ihm dann einen Rat, der mehr wert ist als Geld.« Er aß und trank spartanisch einfach. Ihn berauschten Farben, Töne, Düfte; seine Sinne waren so scharf und unverbraucht, daß ihm die Jahreszeiten ein unaufhörliches Bankett, eine Oper ohne Ende waren. In Gesellschaft fühlte er sich unbehaglich und setzte ihrer heuchlerischen Liebenswürdigkeit scharfe Reden oder vernichtendes Schweigen entgegen. Ein richtiger Concorder Bauer, ein knorriger Holzfäller, ein wetterharter Fischer, ein betrunkener Holländer, ein lustiger alter Austernhändler: das waren die Leute, in deren Gesellschaft er aufgeräumt wurde; dann schmolz sein Ernst, und er lachte, daß alles dröhnte. Am liebsten hatte er die Kinder; alljährlich beim Heidelbeersuchen war er ihr Anführer: »wenn ein Kind strauchelte und fiel, und sein sorglich gepflückter Beerenvorrat verrollte, kniete er sich zu dem kleinen Unglückswurm und erklärte ihm und den anderen, das habe die Natur weislich so eingerichtet; denn wo käme die nächstjährige Ernte her, gäbs nicht kleine Jungen, die über eine Baumwurzel stolpern und so Heidelbeersamen verstreuen?«

Er haßte Niedrigkeit der Gesinnung, Heuchelei, Unehrlichkeit; wenn er auf Unaufrichtigkeit stieß, dann war er wieder the judge, »der schreckliche Thoreau«. Man hat ihn als Yankee-Stoiker definiert. In der Tat ist etwas durchaus Uneuropäisches an ihm. Die Reaktion gegen Europa lag damals in der Luft. Der politischen sollte die geistige Unabhängigkeit folgen. Auch Emersons schriftstellerische Tätigkeit läßt sich am besten von diesem Punkt aus verstehen. Von dem 1836 veröffentlichten, gleichsam mit Zungen redenden Essay Nature an durchzieht der Gedanke alle seine Schriften: Ich bin ein Suchender, und die Vergangenheit geht mich gar nichts an. Als Produzent von Gedanken wird Thoreau von dem mächtigen Freunde ganz erdrückt. In der Forderung der Unabhängigkeit aber trifft die allgemeine Zeitströmung und der Einfluß Emersons mit Thoreaus besonderem Temperament zusammen. Unabhängigkeit ist das letzte Wort seiner Philosophie.

Aber ist Thoreau überhaupt ein Philosoph? Jedenfalls nicht einmal in dem Sinne wie Emerson, der doch seinerseits auch nichts weniger als ein zünftiger Philosoph war. Er ist mehr ein nachdenklicher Sonderling, der die schwierige Kunst des Lebens übt. Für Metaphysik hat er kein Organ; Erkenntnistheorie, Ästhetik, Ethik – was kümmert ihn das alles? Was an Thoreau so anziehend ist, das ist der Mensch: daß ein solcher Mann auf solch unabhängige, hochgesinnte Art sich durchs Leben geschlagen hat; daß er über seine Existenz gewissenhaft Buch geführt hat, – das macht uns den Yankee-Stoiker zum willkommenen Genossen unserer einsamen Stunden. Sein Leben ist schöner, ausdrucksvoller, tiefsinniger als seine Schriften; der Schriftsteller Thoreau ist nur eine Äußerungsform des Individuums, allerdings wie all seine Äußerungen von großer Wahrhaftigkeit. Er hat sich die leidige Schriftstellerei nie näher als fünf Schritt kommen lassen. Wenn ihn die Laune ergreift, verabschiedet er jene und stürmt in die Wälder. Er ist das Gegenteil jeglicher bookishness, und doch las er viel: Bhagavatgita, die Gesetze des Manu, Saadi, die griechischen Tragiker, die Anthologie, Homer, Vergil, Aristoteles, Aelian, Theophrast, Cato, Varro, Plinius. Er vergrub sich in alte Historiker und Chronisten wie Froissart; an Reisebüchern las er, was ihm in die Hände kam; die alten Balladen, Chaucer, Ossian, Milton kannte er gründlich. Von Neueren liebte er Goethe, Wordsworth, Coleridge, Ruskin und Carlyle. Daneben waren die Berichte der Jesuitenmissionäre über die Indianer sein Studium. Der Indianer war ihm der Vertreter der alten, rauhen, tapferen Zeit. Die drei Menschen, die er am stärksten bewunderte, waren John Brown, Walt Whitman und der indianische Führer Joe Polis. Er selbst besaß indianische Sinnesschärfe. Seine Witterung war wie die eines Jagdhundes, sein Gehör erstaunlich fein. »Wie machen Sie es denn, diese kleinen indianischen Pfeilspitzen zu finden?« fragte ihn ein Begleiter auf einem seiner täglichen meilenweiten Spaziergänge. »Da liegt eine«, antwortete Thoreau, hob sie auf und reichte sie dem überraschten Manne. Er liebte es, von seinen roten Freunden zu erzählen, so ausdrucksvoll und märchenhaft gegenwärtig, daß es den Zuhörenden gruselte. Er liebte die Tiere, und die Tiere liebten ihn. Er fuhr oft rasch mit der Hand in den Fluß und wie durch Zauberei lag ein großer glitzernder Fisch ruhig in seiner Hand. Ein Eichkätzchen, das er einst mit nach Hause genommen hatte, ließ sich nicht wieder in Freiheit setzen, sondern kletterte ihm zutraulich aufs Knie, setzte sich auf seine Hand und versteckte schließlich das Köpfchen in den Falten seiner Weste. Es hatte den guten Einsiedler erkannt. Kaum ist irgend ein Schriftsteller der Natur inniger gegenübergestanden als er. Es sind glänzendere Naturschilderungen geschrieben worden, aber über den seinen ruht der köstliche Duft der Stunde und der zarte Flaum des Augenblicks. Sie sind nicht überlegt, sondern erlegt, ertappt. Wie das Reh in der Schlinge sind sie warm und lebendig und schauen uns mit samtnen braunen Augen rührend an. Er lebt in der Natur nicht, um in ihr das Echo seiner pathetischen Deklamationen zu finden, sondern weil er sich, gleich Franz von Assisi, als aller Gestirne und Bäume, als des Wassers und der Erde Bruder fühlt. Es ist etwas vom Karlsbader Goethe in ihm, der sich frohgemut als Verehrer von Saint-Fainéant bekennt, aber sein Daseinsgefühl ist zugleich gespannt wie das der indianischen Jäger, die vor ihm in den Wäldern gegangen waren, rastlos, genügsam, stolz und schweigend wie er. Die Liebe spielt keine Rolle bei ihm. Aus seinen Werken würde man kaum erfahren, daß es so etwas wie Frauen in der Welt gibt. Eine inkomplete Natur, zugegeben. Einseitig, ein Ausnahmemensch, ein Sonderling. Aber er hat sein eigentümliches Wesen so rein und stark entwickelt, daß es in seiner Art etwas Ganzes und Kompletes geworden ist. Was aber an ihm das Beste ist, sagt er selbst: »Ein wirklich gutes Buch lehrt mich etwas Besseres, als es zu lesen. Ich muß es bald weglegen und versuchen, nach seinen Winken zu leben. Es macht mich so reich, daß ich es niederlege ohne das geringste Bedauern. Was ich lesend begann, muß ich handelnd vollenden.«


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