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X.
Begegnung in Tilsit

Die Reise nach Rußland dauerte lange. In Naumburg konnte Alexander nichts Näheres über die Vermißten des Regiments erfahren, mit dem Heinrich Hügel ausgezogen war. Man hatte nicht einmal Vermutungen, nach welchen Plätzen Kriegsgefangene verschleppt worden waren. Vielleicht konnten sich manche auch gerettet haben und verbargen sich nun; denn überall gab es französische Spione.

In Berlin erfuhr Alexander eine Neuigkeit, die ihn lebhaft bewegte. Es sollte so gut wie sicher sein, daß ein Zusammentreffen zwischen Kaiser Napoleon, dem Zaren Alexander und dem König Friedrich Wilhelm stattfinden würde. Man nannte als Ort Memel oder Tilsit. Es wurden Truppen nach dem Osten der Monarchie beordert. Vielleicht gab es Friedensschluß? Unter welchen Bedingungen dieser erreicht werden konnte, war vollkommen unklar. Doch warum sollte man nicht schöne Hoffnungen hegen? Der Zar galt als der Königin Luise sehr ergeben. Vielleicht trat er ihr zuliebe als Verbündeter Preußens auf und hielt damit Napoleon in Schach? Vielleicht fürchtete der Franzose trotz seines Sieges bei Jena noch die Kräfte der preußischen Waffen?

Alexander von Egloff hatte keine näheren Bekannten in Berlin. Die Stimmung in der Stadt mißfiel ihm, es herrschte ein buntes, aufgeregt-fröhliches Treiben in den Hauptstraßen, den Wein- und Kaffeehäusern, den Vergnügungsstätten. Die zahlreichen französischen Offiziere und Mannschaften schienen eher willkommene Gäste, als gehaßte Feinde zu sein. Vielleicht ist diese unbegreifliche Stellungnahme der Berliner lediglich Selbsterhaltungstrieb, dachte Alexander. Er wußte ja auch, daß er nur eine Außenseite sah. Zwischen all dem Lärm sangen Invaliden zum Getöne ihrer Drehorgeln das Klagelied um Louis Ferdinand, den geliebtesten aller Preußenprinzen – –

Die Reise ging weiter. Heuduft wehte von den Wiesen, der Doldenholunder begann zu schimmern, letzte Junitage warfen auch über karge Gegenden das weiße Blühen. Die schwermütigen Landstriche Westpreußens kamen, Wälder und Seen, Seen und Wälder. In weiten Entfernungen zueinander lagen große Edelsitze: das war der Weg – dem Osten zu.

Ob ich je heimisch werde jenseits der Grenze, dachte Alexander, und wußte zugleich, dies spielte jetzt für ihn eine ganz geringe Rolle. Er wollte fremde Dienste nehmen, um dem Vaterland dadurch zu nützen. Er mußte auch Maruschka wiedersehen und endlich wissen, ob sie ganz zu ihm stand.

Alexander erreichte Tilsit und fand auch diese sonst stille Stadt in der größten Erregung. Französische, russische und preußische Soldaten durchzogen die Straßen. An den Haustüren sah man Frauen und Kinder, teils in Angst, teils in Neugier, auf das Getriebe blicken. Nach vielem vergeblichen Suchen fand Alexander endlich Quartier, eine Dachstube in einem Speisehaus, wo gerade die Mittagstafel stattfand. Wirt und Kellner gaben auf Alexanders Fragen knappe Mitteilungen, zu denen man die Voraussetzungen erraten mußte: Heute abend sei noch ein Festmahl – Kaiser Napoleon habe es so befohlen, der Zar bliebe, und der König von Preußen würde noch einmal erscheinen, ebenso die Königin.

Noch einmal? Waren sie denn schon hier gewesen? Wirt und Kellner besaßen keine Zeit, einem Fremden Bericht zu erstatten. So begab sich Alexander wieder hinab ins Erdgeschoß, wo eben eine Reihe von Offizieren sich vom Mittagessen erhob, um fortzugehen. Ein Glücksfall wollte, daß Alexander plötzlich in ein bekanntes Gesicht blickte, das sich über dem hohen, roten Kragen der Uniform des Ersten Garderegiments erhob.

»Bülow, du?«

Der junge Offizier lächelte, streckte Alexander die Hand entgegen. »Egloff, ja woher kommst du nach Tilsit? Sind wir beide der Juristerei entflohen, mit der wir uns im alten Jena herumschlugen?«

Ein Kommilitone aus sorgloser Zeit! Freude stieg in Alexander auf.

»Wie lange haben wir uns nicht gesehen, Bülow?«

»Wir sehen uns jetzt, Egloff. Wolltest du zum Essen gehen? Na schön, hier gibt es einen Garten mit einer Laube. Da werden wir völlig ungestört plaudern können.«

Bülow rief einem Aufwärter zu: »Servieren Sie dem Herrn Baron das Menü in der Laube, und bringen Sie uns einen schönen Rheinwein. Am liebsten Johannisberger, und sehr kalt!«

Der Kellner dienerte und enteilte.

»Prächtig, wie du befehlen kannst, Bülow. Weiß der Himmel, wenn man deine dunklen Augen sieht, weiß man schon um deinen Sieg über sämtliche Herzen.«

Der Freiherr Gisbert von Bülow lachte laut, nahm Alexanders Arm. »Ich führe dich, der Weg zur Gartenlaube ist ein Gang durch altes Hausgewinkel. Um so geborgener sitzt man dann bei Jasmin- und Stallgeruch, also komm!«

Sie erreichten ein etwas ärmliches Gärtchen, dessen Glanzstücke eine winzige Linde und die Jasminlaube waren.

»Was geht in Tilsit vor?«

»Iß nur erst«, antwortete Bülow. »Iß und erzähle mir freundliche Dinge aus deinem Privatleben. Oder sind es keine lustigen Geschichten? Nun jedenfalls, der Tragödie zweiten Teil berichte ich erst bei Kaffee und Pfeife, wenn der Aufwärter fort ist.«

Alexander beeilte sich, diese Situation herbeizuführen. Er kannte Bülow genug, um zu wissen, wenn er sich ein Programm gemacht hatte, hielt er es auch ein, besonders in seinen Erzählungen, die er gerne dramatisierte.

Die Königsberger Klopse schmeckten dem fränkischen Magen nicht, und Alexander warf hin, so ähnliche Gerichte bereitete man in Bayreuth zu den Waschtagen.

»Hier ist auch großer Aufwasch«, lachte Bülow und verzog den Mund. »Hier wird alles aufs herrlichste ins Reine gebracht.«

Er winkte dem Kellner, ließ abdecken. Als die Pfeifen brannten, der Kaffee gekommen und der Bedienung durch ein gutes Trinkgeld bedeutet war, man wolle hier ungestört plaudern, fragte Bülow nach den Absichten und der Lage des Studienfreundes.

»Russische Dienste? Unsinn, mein Junge. Wenn du Soldat werden willst, so komm mit mir nach Potsdam. Der rote Kragen, der blaue Rock wird dir gut stehen. Und wenn wir vorerst Seiner Majestät zu Fuß dienen: die Infanterie hat bei Leuthen gesiegt. Die Infanterie entschied die berühmten Schlachten des großen Friedrich. Jetzt, mein Freund, ist Friede.«

»Friede?« Egloff starrte den Sprecher an. »Friede?«

»Jawohl, köstlicher, ruhmvoller Friede. Grausamster Friede in bezaubernder Form. Seit vorgestern sind wir und Rußland die Bundesgenossen Seiner korsischen Majestät, des Kaisers der Franzosen.«

Alexanders Hände zitterten. »Du fabelst, Bülow. Du erzählst einen Bierwitz. Sage mir doch die Wahrheit!«

»Es freut mich, daß du glaubst, einen Bierwitz zu hören! Das spricht für deine Gesinnung. Nun also, mein Freund, du brauchst nicht in russische Dienste zu gehen, um dort für Preußen zu wirken. Du kannst es, gleich mir, von Potsdam aus tun. Unsere Königin stand vor zwei Tagen Napoleon gegenüber, sie entäußerte sich ihres Stolzes, sie bat für das preußische Volk! Verstehst du dieses: wenn eine Frau einen Mann bittet, der nicht ihr Mann ist, so demütigt sie sich sehr tief. Nun, wir deutschen Edelleute wollen dafür sorgen, daß diese Bitte Luisens von uns für das Volk erfüllt wird. Vielleicht brauchen wir Jahre dazu. Vielleicht muß jeder einzelne von uns seinen Junkerhochmut ablegen und ein Werber um den einfachsten Menschen werden. Verstehst du dieses: ein Werber um das Gewissen des Volkes, ein Rufer zu seiner Kraft.«

Alexander von Egloff sah unsicher auf: »Aber wir waren doch immer gerecht zu unseren Leuten«, sagte er hilflos.

»Gerecht? Das mag sein. Gewinnt man Menschen, wenn man das Selbstverständliche tut? Nein! Wir, die wir durch Herkunft und Erziehung den größeren Überblick haben, müssen uns dem Volke auf eine neue Weise nähern. Der Krieg, der kommen muß, wenn wir als Nation nicht zugrunde gehen wollen, wird nicht von ordenübersäten Generalen und eleganten Leutnants entschieden, sondern von der Jugendkraft des Volkes, das wir zu seinem Herzen führen müssen.«

Bülows Augen sahen ins Weite, als blicke er seinen Worten nach, als wären diese Worte das Aufrauschen lichter Vögel …

»Du hast mir noch nicht gesagt, was geschehen ist, Bülow?«

»Was geschehen ist? Der Zar hat sich mit Napoleon verbündet. Und, höre gut zu, denn was ich nun wiedergebe, muß und wird uns ein Stachel sein, bis wir Rache dafür genommen haben: › Aus Achtung für den Beherrscher aller Reußen‹ hat Napoleon dem König von Preußen die Rückgabe der kleineren Hälfte des Staates bewilligt. Aus Rücksicht auf den Zaren besteht Preußen noch rechts der Elbe. Der Friedensvertrag, der die Abtretung der linkselbischen Gebiete mit der Festung Magdeburg bestimmt, ist von unserem König im Druck der Lage unterzeichnet. Die Zeit der Räumung unserer geraubten Landstriche, die Zahlung der Kriegskosten, all diese Nebendinge, wenn man so sagen kann, unterstehen noch willkürlichen Befehlen Napoleons. Es werden unerhörte Kontributionen kommen. Die polnischen Distrikte sind verloren und, mit Ausnahme eines Teils von Westpreußen, dem König von Sachsen zugeteilt. Er wird, so hört man schon, den Namen »Herzog von Warschau« annehmen. Das Haus Wettin gewinnt eine Etappenstraße durch Schlesien, jene via regia, die August der Starke nicht erreichte.«

Die polnischen Provinzen sind Preußen verloren? Alexander von Egloff griff das Wort auf. »Sind polnische Herren hier in Tilsit?«

Bülow schob sein massiges Kinn vor. »Daran fehlt es nicht. Ich werde sie dir zeigen. Es ist heute abend noch ein Festmahl hier in Tilsit. Napoleon und der Zar tafeln, unser Königspaar ist eingeladen.«

Bülow erhob sich. »Ich muß jetzt zum Dienst. Gegen Abend bin ich wieder hier. Wir wollen unsere Königin sehen. Sie kommt noch einmal aus Picktupöhnen herüber.« –

Verwirrten Herzens betrat Alexander wieder die Dachstube. Sein Bediener hatte einen Koffer geöffnet, frische Kleidung herausgelegt. Mechanisch zog Egloff sich um. In seinem Herzen hämmerte das Wissen: Preußen hat einen entsetzlichen Frieden unterzeichnet, unsere Königin hat vergeblich bei dem Eroberer für ihr Volk gebeten, heute abend, in wenigen Stunden, muß sie noch einmal vor dem Korsen erscheinen, vielleicht tut sie es, weil sie noch eine letzte Hoffnung hat.

Er setzte sich auf einen alten Stuhl, starrte durch das Mansardenfenster hinaus in den verblauenden Julihimmel.

Zu Hause werden sie gramgebeugt sein, wenn sie diese Nachrichten aus Tilsit erfahren, wußte er. Ja, und der Vater würde mich für einen Narren halten, wenn ich nach dem, was der Zar hier für Preußen tat, noch Dienste bei ihm suchte. Wäre er als Verbündeter Preußens Napoleon entgegengetreten, so hätte dieser nie ein solches Friedensangebot gewagt. Doch die berühmte Liebenswürdigkeit des Zaren gestattete ihm wohl keine energische Stellungnahme.

Plötzlich riß Alexander von Egloff seine Uhr heraus und sah, es war noch Zeit, bis Bülow wiederkam. »Polnische Herren sind in der Stadt.« Das warf ihm neue Erwartung ins Blut. Er rannte die Treppen hinunter. Er verstand nun, warum bei allem Furchtbaren, was Bülow berichtet hatte, er die Sicherheit behielt, daß er noch anderes hier erfahren sollte. Jäh flatterte die Überzeugung in ihm hoch: Marya ist in der Stadt – er würde sie finden!

Doch als er nach einigen Stunden wieder zurück war, um Bülow zu treffen, hatten seine Bemühungen keinen Erfolg gehabt. In allen Gasthöfen, die in Betracht kamen, herrschte wirre Aufregung, und niemand konnte Bescheid geben. Ja gewiß, es wohnten polnische Herrschaften hier. Doch blieben den Einwohnern ihre schwer aussprechlichen Namen nicht im Gedächtnis. Es kamen auch fremde Persönlichkeiten nach Tilsit, die in Nachbardörfern bei den Landpfarrern oder Bürgermeistern wohnten. Die Quartiere, welche vom Kaiser Napoleon für sein Gefolge und seine Gäste belegt waren, hatten Schildwachen vor den Türen, und diese Posten lehnten jede Auskunft ab.

Alexander fühlte, daß er sich Bülow anvertrauen müsse. Doch als der Kommilitone aus der Jenaer Zeit wieder zu ihm kam, war seine Miene so ernst, daß Alexander sah, es war nicht der Augenblick, ein persönlichstes Anliegen vorzutragen. »Wir werden uns einen Platz bei der Auffahrt der Königin sichern. Sie soll es fühlen, daß preußische Herzen ihren Weg begleiten. Sie soll sehen, wir sind da, auch wenn wir nicht zum Dienst befohlen wurden.«

Der Sommerabend war noch licht. Die Natur verharrte in einem unbegreiflichen Frieden. Dies rührte auch Bülow an, denn er stieß heraus: »Man meint, an einem solchen Tag müßte ein Gewitter niederbrechen oder ein Sturm wüten – Doch der Himmel steht so still über uns, der Tag neigt sich so sanft, als hätten wir Grund zur Freude.«

Vor dem Gebäude, in dem Napoleon Wohnung genommen hatte, fuhren Wagen vor. Man sah Herrn von Talleyrand aussteigen, man sah französische Marschälle ihm folgen.

Eine sehr elegante Reisekarosse stand leer da. Ob Napoleon der Königin entgegenfahren würde? Oder ob ihr Gatte es tat? König Friedrich Wilhelm sollte schon seit gestern hier sein, vielleicht war eben jetzt noch eine Unterredung hinter den Fenstern, an denen man zuweilen eine uniformierte Gestalt erblickte.

»Das ist doch ein Reisewagen mit Gepäck, Egloff. Es wird jemand bei Napoleon sein, der noch diesen Abend eine Fahrt antritt«, fuhr Bülow fort. Er sprach mit einer gewissen Hast weiter: »Ich betrachte es nicht als Zufall, daß wir uns treffen, mein lieber Egloff. Es ist meine Pflicht, dir zu sagen, Preußen darf jetzt keinen einzigen von uns verlieren. Ich bin nicht überheblich, und ich bin auch kein Frömmler, wenn ich jetzt gegen dich das Bibelwort anwende: ›Wir sind das Salz der Erde!‹ Wir haben die unerbittliche Pflicht, in den Hauptplätzen der Monarchie, in Berlin und Potsdam, gegen die eingreifende Französelei zu wirken. Prinz Louis Ferdinand, ein durch sein Temperament fortreißender Patriot, ist tot. Ich liebte und kannte ihn. Ich werde ihn ewig lieben in seinem wundervollen Ungestüm. Er hat uns das Vermächtnis hinterlassen: ›Nationalehre ist das, wofür man stirbt.‹«

Alexander von Egloff erschauerte. Leise brachte er hervor: »Du bist so klar, Bülow, so ehrlich. Aber was hülfe es uns in diesen Tagen, uns für unsere Vaterlandsliebe zu opfern? Nicht Tollkühnheit, sondern Klugheit wird uns nützen.«

Es hatten sich Menschen um die beiden Freunde gesammelt, Bürger, Soldaten. »Laß uns etwas zurücktreten«, flüsterte Bülow.

Sie wechselten zu einer anderen Stellung hinüber. Man konnte auch von dieser Entfernung aus noch die Anfahrt der Königin sehen.

Bülow wiederholte, er rechne darauf, daß Egloff mit ihm reise. Es würde keine Schwierigkeiten machen, daß er in Potsdam Dienste fände, sei es bei der Waffe, sei es in der Verwaltung.

»Ich habe eben den Verwaltungsdienst quittiert.«

»Selbstredend konntest du mit deinem preußischen und fränkischen Herzen nicht dem König von Bayern dienen. Er und der Sachse sind ja die größten Liebediener des Korsen.« Über Bülows Gesicht flammte Zorn. »Unseren königlichen Herrn hat das Unglück getroffen; der Zar hat ihn in die verdammte Lage gebracht, auch noch eine Art Bündnis mit Napoleon unterzeichnen zu müssen.«

Alexander von Egloff sah, daß die Menge in neugierige Unruhe geriet. Die Blicke wandten sich der Türe des napoleonischen Hauses zu. Sie wurde von innen geöffnet, man sah Herren in glänzenden Uniformen sich verbeugen, man sah flüchtig eine weibliche Gestalt, die zu dem bespannten Reisewagen eilte. Alexander hatte in visionärer Undeutlichkeit ein Profil erblickt, er sah nun, wie ein Frauennacken sich am Wagenschlag neigte. Sein Herz stand einen Augenblick still. Sein Begreifen setzte für Sekunden aus. Dann fing er an zu laufen, kam drei Schritte weit, fühlte sich von Bülow zurückgerissen, während der Wagen in großer Eile sich in Bewegung setzte.

»Halt, halt, Egloff. Keinen Aufstand.« Bülows Arm war eisenhart, seine Stimme ein heißer Befehl.

»Du darfst doch nicht einem Wagen nachlaufen.« Alexander sah verstört auf.

»Kennst du die Gräfin Smirnow, Egloff?«

»Gräfin Smirnow?«

»Ja, da fahren Graf und Gräfin Smirnow ab. Polen! Smirnow soll Gouverneur von Warschau werden oder dergleichen. Er hat vor ganz kurzer Zeit die polnische Gräfin Marya Lagienska geheiratet. Ein Protektionskind der Kaiserin Josephine –«

Der Freiherr von Bülow sah sich plötzlich allein. Er wollte Egloff nacheilen und konnte ihn nicht mehr erblicken. Vivatrufe klangen auf, die Menge versperrte den Weg. Unter dem Portal des Hauses, in dem die für das preußische Königspaar so peinliche Abendgesellschaft stattfinden sollte, erschien König Friedrich Wilhelm, hinter ihm, lächelnd, elegant, jugendlich reizvoll, der Zar: die Königin Luise fuhr ein. Bülow straffte seine Gestalt. Seine schöne kraftvolle Stimme hob sich laut aus den allgemeinen Zurufen. Die Königin Luise saß sehr bleich neben ihrer Hofdame. Aber sie grüßte die Menge mit unnachahmlicher Grazie und doch in tiefem Ernst.

Sie macht diesen harten Weg für ihr Volk. Sie überwindet ihr Selbstgefühl und ihre Abneigung – Sie wird noch einmal versuchen, den kalten Eroberer zu bewegen, dem preußischen Volke nicht die allerhärtesten Bedingungen aufzuerlegen.

Der Zar war unter der Pforte stehengeblieben. Der König hob Luise aus dem Wagen. Er hatte die Möglichkeit, noch ein paar Worte allein mit ihr zu sprechen. – Im Hause flammten Kerzen auf, die ganze Front war jäh beleuchtet. Der König und die Königin schritten die Stufen hinauf zu dem bitteren Festmahl.

»Wer nie sein Brot mit Tränen aß –« Dem Freiherrn von Bülow kamen die Goetheworte ins Gedächtnis.

Über der Stadt Tilsit stand der Abendhimmel in köstlicher Reinheit. Bald würden Sterne funkeln. Bülow seufzte. Dann streckte er in unbewußter Gebärde die Schwurhand hoch und sagte lautlos: Einst – nein in wenigen Jahren werden Preußens Sterne wieder aufstrahlen, wird der Adler Friedrichs des Großen seine Schwingen wieder aufrauschen lassen …

Bülow wandte sich zum Gehen. Wo war Alexander von Egloff?


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