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III.
Einbruch der Franzosen

Jean Paul, wie immer ein wenig wunderlich gekleidet, trotzdem seine Gattin wünschte, er solle seinen Titel Legationsrat nicht mit groben, weißen, bäuerlichen Strümpfen und mit sich bauschenden Taschen eines abgetragenen Rockes repräsentieren, saß in der armseligen Stube der Waldhüterswitwe Dennerlein und sprach mit Bärbel, der vierzehnjährigen Tochter, die zuweilen bei der Baronesse von Egloff »aufwarten« durfte. Das noch halb kindliche Mädchen berichtete, ihre Mutter wäre seit dem Morgengrauen zum Waschen fort, und sie selbst wolle, da die Weiher aufgetaut seien, gehen und Kalmuswurzeln holen. Denn eingezuckerter Kalmus würde gern gekauft und gut bezahlt.

»Hast du denn Stiefel gegen die Nässe?« fragte Jean Paul. Ja, Stiefel vom Vater wären noch da. Man rieb sie mit Unschlitt ein, das machte sie undurchlässig.

So plauderte die blonde Bärbel, während sie mit einem blechernen Gefäß getrocknete Schlehen und Bucheckern abmaß.

»Meine Frau wird mir ein Schlehenmus kochen, und mein Eichhörnchen bekommt Freudentage«, sagte der Dichter lachend, nahm die weißen Leinensäckchen mit den Früchten in Empfang und stopfte sie in seine Taschen. Der Rock stand nun um seine Gestalt, als herrsche noch die Mode Ludwigs des Vierzehnten.

»Ich würde es Ihnen auch gerne bringen, Herr Legationsrat.«

»Nein, nein, du willst ja an die Weiher gehen.« Jean Paul zog Groschen und Kreuzer aus dem Beutel, er gab einen guten Preis und legte noch ein wenig darauf.

Während die Münzen klimperten, betrat der Student Heinrich Hügel das Häuschen.

»Hier klingelt Geld«, lachte er, begrüßte den Dichter, nickte dem Mädchen zu und sagte: »Es kommt gleich ein Wagen vom Herzogsmüller, der will eure Habe auf seinem entlegensten Boden verstauen und die Mutter bei sich aufnehmen. Du aber darfst bei der Baronesse von Egloff wohnen. Das Häuslein nageln wir zu und schreiben an die Tür etwas von ansteckender Krankheit. So werden die Soldaten es meiden, und ihr könnt später wieder einziehen.«

Das Mädchen Bärbel sah ihn erschrocken und gehorsam an.

»Ich helfe mit«, rief Heinrich Hügel, »denn der Wagen wird sofort da sein. Deine Mutter ist unterrichtet.«

Jean Paul wollte auch beistehen, bot an: »Wir tun die Vorräte an Pilzen, Schlehen, Nüssen und so weiter in meine Speisekammer. So werde ich dann, was ich mir nie träumen ließ, ein Bankier, der euer Guthaben verwaltet.«

Er war nicht ganz sicher, ob seine Caroline diese Unternehmung ganz billigen würde. So sandte er den Studenten Hügel voraus, um die Ankunft der Waldfrüchte zu erklären und bat ihn, dann auf ein paar Augenblicke zu ihm in den Garten zu kommen. Die Sonne schiene so warm, daß die runden Blütenknospen an der Kornelkirschenlaube schon Miene machten, aufzubrechen. Unwillkürlich suchte er nach einem Vergleich: waren die zum kleinen Ball gerundeten Blüten der Kornelkirsche nicht Boten oder Symbole der aufsteigenden Sonne?

Als Hügel in die Laube kam, berichtete er, Frau Caroline habe erst Platz für den Segen an getrockneten Früchten machen müssen. Falls nun etwa französische Offiziere ins Quartier kämen, würden diese gar sehr staunen, wenn sie als Konfitüren gesottene Schlehen erhielten. Vielleicht, so fügte Hügel bei, konnten die rohen Kartoffelklöße und die Schlehenbrühen das Bayreuther Land davor schützen, eine französische Provinz zu werden!

Jean Paul forderte den jungen Bekannten auf, mit ihm hinaus nach der Rollwenzelei zu gehen. Seine Frau wüßte, daß er den heutigen Tag dort verbringen wollte. Sie wanderten über den herrlichen Königsweg mit seinen fast siebzigjährigen Bäumen, einst angelegt von der Markgräfin Wilhelmine für den ersten Besuch ihres königlichen Bruders auf Eremitage. Der Märzwind hatte die Straße schon etwas getrocknet, und der Dichter pries die Gewalt des kommenden Frühlings.

Die Wirtin, Frau Rollwenzel, begrüßte die Gäste und brachte gleich zwei Krüge bitteren Bieres herauf in das »Jean-Paul-Zimmer« mit dem Blick auf die Straße. Heinrich Hügel mußte auf dem Kanapee Platz nehmen und das bittere Bier trinken, an dem Jean Paul ein so großes Wohlgefallen fand. Vielleicht hielt er es für den Meth der germanischen Vorfahren?

»Ich bin nicht zum Soldaten geboren«, begann der Dichter, »ich bin zu alt, das Waffenhandwerk noch zu erlernen. Aber um unsere Heimat zu schützen, möchte ich wohl den Degen in die Hand nehmen –«

Heinrich Hügel unterbrach ihn: »Dies ist uns allen jetzt versagt. Es würde nur Unglück über Stadt und Land bringen, wenn irreguläre Truppen sich der Übermacht der französischen Besatzung entgegenstellten.« Er dämpfte seine Stimme: »Ich will, wenn ich hier getan habe, was mir möglich ist, durchs Vogtland nach Preußen, nach Naumburg, und mich dort ins Regiment einstellen lassen. Wenn unser König es jetzt ertragen muß, daß Napoleon ihm die hohenzollernschen Stammlande nimmt, so kann das nur heißen, die preußische Armee braucht noch eine Vorbereitungszeit, braucht noch Freiwillige in großer Zahl. Ich bin überzeugt, ehe die Herbststürme die jetzt vom Frühlingsaufbruch geschwellten Bäume wieder entblättert haben, wird Preußen sich erinnern, was der Große Kurfürst und vor allem der Große König für den Staat getan hat. Friedrich Wilhelm III. wird an das Volk appellieren. Eine neue Zeit bricht herein.«

Jean Pauls verschleierte Augen sahen den jungen Mann herzlich an. »Bis die andere Zeit da ist, bin ich alt«, sagte er bewegt.

»Ihr Herz kann nie altern, Verehrter! Ihr Herz ist geschaffen, immer wieder den Menschenfrühling zu erneuern«, kam rasch die Antwort.

Jean Paul hörte Pferdegetrappel und Wagenrollen. Er trat ans Fenster, winkte Hügel herbei und flüsterte: »Die Reisekutsche des polnischen Grafen. Er sitzt im zweiten offenen Wagen bei den Lagienskis. Ob sie ihn ein Stück begleiten oder Bayreuth verlassen?«

Neugier stieg in den Beobachtern auf. Graf Lagienski stand als Geheimer Rat in den Diensten des Königs von Preußen. Sollten etwa die hohen preußischen Beamten schon Ordre erhalten haben, die Stadt zu verlassen?

Beunruhigt eilten Jean Paul und der Student nach Bayreuth zurück. Der Märzwind hatte den Himmel blank gefegt. Die schöne Vorfrühlingsstimmung tat wohl und wurde von ihnen hingenommen wie ein Geschenk.

In der Stadt gab es keine neuen Nachrichten. Dennoch war eine erregte Geschäftigkeit zu bemerken. Man sah Frauen und Männer mit auffällig großen Paketen aus engen Gassen schlüpfen und sich ängstlich umblicken, ob sie nicht beobachtet würden. Man sah auch bäuerliche Fuhrwerke mit verhüllten Lasten aus der Stadt fahren.

»Ich muß aufs Rathaus«, verabschiedete sich der Student.

*

Einige Tage später traf er Ulrike von Egloff im Hofgarten. Sie ging langsam eine der Alleen an dem breiten Wassergraben entlang. Sie trug ein kleines grünes Mäntelchen mit Fehpelz besetzt und eine Mütze, die sie hübsch kleidete. Es befanden sich keine Spaziergänger sonst im Hofgarten, man aß in den meisten Häusern schon um sechs Uhr zu Abend. Der alte Park war in der Dämmerung blau verschleiert. Über den vergilbten Rasen rannten die Amseln, suchten nach aufgebrochenen Stellen und stießen ihre lockenden Rufe aus.

Ulrike hörte hinter sich federnde, langausgreifende Schritte. Sie kannte sie wohl und errötete. Es galt ja nicht als schicklich, allein mit einem jungen Mann zu »promenieren«; doch Heinrich Hügel gehörte zu diesem Garten und war der Gefährte ihrer Jugend.

Er nahm ihre Hände in die seinen und sagte wie entschuldigend, er müsse sie wärmen. Dann fragte er, wie sie die Tage verbracht habe? Sie lächelte: »Mit Packen.« Ihre Tante wolle gewisse Wertstücke nach Schloß Giech bringen lassen. Dort gäbe es so viele, tiefe Felsenräume unter dem Schloßbau, die kein Feind ausfindig machen würde.

»Ich machte einen kleinen Umweg, ich wollte aus der Hofgärtnerei ein paar Blumen holen. Vielleicht gibt es einen Hyazinthentopf? Wir haben nachher Gäste zu Tisch, mein Vater erwartet den Abend einen Boten meines Bruders.« Sie fügte ergänzend hinzu, Alexander sei nun doch nach Berlin abgeritten, er habe versprochen, aus Naumburg Botschaft zu senden. –

Heinrich Hügel ging zwei Stunden später am alten Reitstall auf und ab, wo Egloffs ihre Pferde stehen hatten. Er wollte sehen, ob eine Stafette einpassierte. Zugleich wartete er, daß an den matt erleuchteten Fenstern sich eine zierliche, schmale Gestalt zeigen würde.

Die letzte Helle des Märzabends versank. Knechte gingen in der Stallung aus und ein. Der starke Tiergeruch drang ins Freie. Wie das die Erinnerung wachrief an die Zeit, da er Ulrike von Egloff und ihren Vater zu kleinen Reitausflügen begleiten durfte.

Plötzlich hörte er Pferdegetrappel, und dann ritt Alexander von Egloff selbst mit seinem Reitknecht in den Hof. Beim Absteigen sah der junge Baron den Studenten, grüßte und rief ihm zu: »Kommen Sie doch mit herauf –«

Es war dann die gleiche Gesellschaft wie neulich versammelt, auch Graf Lagienski und Tochter waren zugegen – nur Graf Smirnow fehlte. »Ist der Pole abgereist?« flüsterte Alexander seiner Schwester zu, und als er ein Kopfnicken zur Antwort bekam, flog für Sekunden ein Lächeln um seinen Mund.

Nach allgemeiner Begrüßung sagte Alexander von Egloff, er bäte um Wein oder Bier, denn der Ritt habe ihn ermüdet, und auch die anderen, die seinen Bericht hören sollten, brauchten eine Herzstärkung für die Mitteilungen, die er bringe.

Baron Egloff sah den Sohn scharf an. Welche Formlosigkeit! Alexander, der so jählings Heimgekehrte, hatte doch zuerst dem Vater unter vier Augen eine Meldung zu machen. Doch Alexander wirkte sehr müde und war zugleich auch freudig verwirrt von Maryas Gegenwart. Er stürzte ein Glas Wein hinunter, dann sagte er mit schwerer Stimme:

»Ich bin in Naumburg wieder umgekehrt. Denn ich erfuhr beim Regiment durch den Obersten selbst, daß er soeben eine Stafette aus Berlin erhalten, die berichtete, am 3. März, also vor vier Tagen, hat unser König den Vertrag mit Napoleon ratifiziert. Ansbach-Bayreuth sind – bis zu späterer Verwendung – französische Provinzen –«

Alexander von Egloff tat, als merke er die ungeheuere Bestürzung der Anwesenden nicht. »Jawohl«, rief er hohnvoll aus, »sobald die Truppen Friedrich Wilhelms sich das Kurfürstentum Hannover, welches Napoleon durchaus nicht gehört, angeeignet haben, wird der Kaiser der Franzosen die fränkischen Fürstentümer an Bayern verschenken. An dem Tag, da der König von Preußen diesen Vertrag unterschrieb, wütete ein solcher Sturm in Berlin, daß die Siegesgöttin auf dem Zeughaus, die hinüber nach dem Schloß blickte, herabgeschleudert wurde. Wohin die Adler Friedrichs des Großen geflohen sind, das weiß ich nicht. Ein Geschlecht, das Kompromisse macht, ist einer großen Vergangenheit nicht mehr würdig.«

Baron Egloff legte seinem Sohn die Hand auf den Arm: »Mäßige dich«, gebot er leise, um laut fortzufahren: »Vor Elementarereignissen, wie es die französische Revolution und ihr Gegenpart Bonaparte sind, kann menschliches Ethos nicht schützen. In diesem Augenblick sind wir niedergeworfen. Es ist der Anfang einer bösen Zeit – aber es wäre nur dann der Anfang vom Ende, wenn wir aufhören würden, an unser Deutschtum zu glauben. Und das werden wir nicht.« Er steigerte die Stimme, seine großen Augen blitzten auf: »Bei Gott und unserer Ehre, wir werden den Weg finden, die Übermacht eines fremden Eroberers zu brechen. Und wir werden auch die Geduld finden, zu warten –«

Die studierten Herren aus der Stadt blickten ihn bewundernd an. Der Professor sagte: »Die äußere Pflicht zu erfüllen, und der inneren Pflicht die Treue zu wahren, ist eine Aufgabe, die große Charaktere fordert.«

Sie alle sahen nicht das feine spöttische Lächeln um den Mund des Grafen Lagienski. So sinnlos es ihm einst erschienen war, sich der preußischen Regierung in Warschau zu widersetzen, so absurd kam es ihm jetzt vor, gegen Napoleon zu intrigieren, wenn dieser nun hier die Herrschaft an sich riß. Die kleine Gesellschaft hatte sich erhoben, die Flügeltüren zum Spielzimmer waren geöffnet. Aber niemand dachte heute an die Kartentische, erregt plaudernde Gruppen bildeten sich.

Alexander von Egloff stand neben der schönen Maruschka, bezaubert vom Klang und Singsang ihrer Rede, bezaubert von ihrer graziösen Vornehmheit. Der Pole war fort, ihre Hände trugen keinen neuen Ring, ihr Interesse schien ganz bei dem Schicksal Bayreuths. Sie flüsterte:

»Es muß doch zu einer Auseinandersetzung zwischen Preußen und Kaiser Napoleon kommen. Dann erst wird das Schicksal Bayreuths entschieden werden.«

Heinrich Hügel hörte die alte Gräfin Giech zu Jean Paul sagen: »Ulrike soll morgen mit mir nach Giech fahren, hierher wird Einquartierung kommen.«

Sie fährt nach Schloß Giech? Nun, dann kenne ich meinen Weg, wußte Heinrich Hügel.


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