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Eine Angstsafari

Am Spätnachmittage des 15. Juli 1914 kletterte ich mit steifen Beinen auf der Station Voi aus einem Zuge der Ugandahahn. Ich kam vom Victoria-Njansa. Vorher hatte ich mit Schiff und Eisenhahn eine kleine Rundreise durch Uganda und den östlichen Kongo gemacht. Hier von Voi aus wollte ich über Taveta nach Deutsch-Ostafrika marschieren.

Es war meine erste richtige »Safari« (Wanderung mit Trägern) im tropischen Afrika und wurde das Stück Weg, auf dem ich in meinem wanderfrohen Leben die meiste Angst gehabt habe.

Es war ein dunkler, ungemütlicher Abend. Ein kühler Wind pfiff über die Steppe und um das einsame Stationsgebäude, am Himmel jagten schwarze, schwere, zerfetzte Wolken, und tief im Westen glühte ein gelbroter Schein unheimlich und drohend über der Einöde. Ein schwarzer Junge schleppte meine Sachen in ein Zimmer des Eisenhahn-Unterkunftshauses, ich selbst ging geradeswegs zum Stationsvorsteher und gab bei ihm die Empfehlung eines sehr freundlichen englischen Militärarztes ab, dessen Bekanntschaft ich in Mombasa gemacht hatte.

Der alte Herr hörte kaum etwas von »Reise um die Welt«, als auch schon sein englisches Sportherz erwachte.

»Selbstverständlich stehe ich Ihnen mit jeder Art Rat und Hilfe bei. Verfügen Sie ganz über mich!« sagte er und schüttelte nur die Hände, daß die Gelenke knackten.

Ich sagte ihm, daß ich nach dem Kilimandjaro marschieren wollte und bat ihn, mir Träger besorgen zu wollen.

»Well, bekommen Sie. Es wird natürlich einige Tage dauern. Wie viel Mann brauchen Sie?«

»Ich denke, drei oder vier,« versetzte ich.

»What?« fragte er erstaunt und legte die Hand ans Ohr, um besser hören zu können.

»Vier höchstens,« sagte ich gelassen, »ich habe ja fast nichts zu tragen.«

»Ja, aber das reicht nicht, durchaus nicht, mein Bester! Gestatten Sie eine Frage: Diese ist wohl die erste Safari, die Sie machen?«

»Yes.«

»Na ja, da wissen Sie nicht, was nötig ist. Sie müssen wenigstens zwanzig Mann haben. Drei tragen das Zelt, zwei Proviant, fünf Wasser, je einer Ihr Bett, Ihre Küchen- und anderen Geräte, dann einen Gewehrträger, einen Koch, einen – –«

»Stop!« sagte ich lächelnd, »lassen Sie mich mal reden. Einer trägt mein Feldbett, einer die Futterkiste, einer meinen Rucksack und der vierte Wasser, basta. Zelt, Gewehr, Küchengeräte, Koch und sonstige Annehmlichkeiten habe und brauche ich nicht. Wollen Sie mir bitte die vier Mann besorgen?«

Er schüttelte den Kopf.

»Unmöglich. Abgesehen davon, daß Sie mit Ihrer ungenügenden Ausrüstung überhaupt nicht vorwärts kommen, so gehen vier Mann einfach gar nicht mit, wenn Sie kein Gewehr haben. Diese Strecke ist die gefährlichste in ganz Britisch-Ostafrika, Wildreservat; es gibt sehr viele Raubtiere da hinüber!« Ich stand auf.

»Gut, dann muß ich's noch einmal beim Distriktskommissar versuchen. Gute Nacht.«

»Der gibt Ihnen auch keine vier Mann, verlassen Sie sich darauf! Ich rate Ihnen, geben Sie unter diesen Umständen den Plan auf, es ist unmöglich,« rief er mir nach.

»Wenn er es nicht tut, dann nehme ich meinen Rucksack auf den Buckel und gehe allein hinüber,« antwortete ich stolz, obgleich mir gar nicht mehr so sieghaft zumute war.

Das echt englische Gesicht des Distriktskommissars blieb unbeweglich, als ich ihm mein Vorhaben auseinandersetzte. Er dachte eine Minute lang nach und sagte dann:

»Ich werde Ihnen sechs Leute und einen Vormann besorgen; einige Mann müssen frei sein, um Sie gegebenenfalls tragen zu können, wenn Ihnen etwas zustößt. Doch mache ich Sie darauf aufmerksam, daß die englische Regierung für Sie keine Verantwortung übernimmt. Übermorgen können die Leute hier sein.«

Er rief zum Fenster hinaus dem Askariposten etwas zu. Der schlug einen Wirbel auf der Trommel, worauf gegen fünfzehn schwarze Soldaten aus ihren Wohnstätten herausstürzten und in Reih und Glied antraten.

Der Beamte wählte zwei Mann aus, gab ihnen ein Papier, auf dem nichts als der große englische Wappenlöwe zu sehen war und sagte ihnen:

»Lauft sehr schnell fort nach Mtaita und sagt dem Häuptling Udjawo Mwani: Der Distriktskommissar von Voi befiehlt dir, sofort sechs Träger und einen Führer, Männer, die sich nicht fürchten, für eine Zehn-Tage-Safari hierher zu schicken.«

Die beiden Askari salutierten schweigend, holten ihre Wasserflaschen aus der Wachtstube, bekamen vom Unteroffizier eine Runde Patronen, salutierten nochmals vor uns und rannten im Laufschritt in die Nacht hinaus.

»So rennen die jetzt zwanzig Kilometer weit, ohne sich umzusehen, bis nach Mtaita. Dort helfen sie dem Häuptling seine Negerlein, die nämlich gerade Ihrer Gegend sehr abgeneigt sind, zusammentreiben und aussuchen und kommen wahrscheinlich übermorgen mit ihnen hier an. Wir müssen Wataitaleute von dort drüben nehmen, denn die hiesigen Schwarzen würde nicht einmal die Gewißheit der Fünfundzwanzig, die ich ihnen aufzählen ließe, davon abhalten, Ihnen schon in der ersten Nacht, in der ein Löwe hörbar würde, davonzulaufen,« sagte der Kommissar lächelnd. »Nun kommen Sie mit herein zu einem Whisky mit Soda und erzählen Sie mir etwas von Ihren Fahrten.«

Immer und immer wieder spähte ich in den nächsten zwei Tagen die hohen dunklen Hügel hinan, über die sich der Pfad nach Mtaita schlängelte; aber keine Träger, überhaupt kein lebendes Wesen ließ sich in der Buschwildnis blicken.

Als ich am Morgen des dritten Tages den Kommissar nach dem Grunde der Verzögerung fragte, sagte er, wenn die Leute heute nicht kämen, würden sie wohl überhaupt nicht kommen.

»Warum?« fragte ich.

»Hm,« brummte er und sah mich nachdenklich an, »dann ist den Boten etwas zugestoßen. Es ist ein Elend mit unseren Jagdgesetzen.«

Ich wußte, was er meinte. In Britisch-Ostafrika kostet ein Jagdschein schweres Geld, deswegen ist und bleibt das Land ungeheuer wildreich. Die großen Viehzüchter im Lande hassen das Wild, weil es verschiedene Krankheiten, vor allem die furchtbare Tsetsefliege, auf ihre Herden überträgt und schützen deshalb Löwen, Leoparden und sonstiges Raubzeug, das unter dem Wilde aufräumt, nach Kräften. Einem Weißen, der ein Gewehr hat, geschieht ja durch die Raubtiere selten etwas, und aufgefressene Neger zählen hierzulande nicht. Dies, ferner die Unmöglichkeit, den Räubern in dem furchtbaren Gewirr fingerlanger Dornen der Buschsteppe überhaupt nachzuspüren und die Wertlosigkeit der Häute, da die hiesigen Löwen mähnenlos sind, ist der Grund für das massenhafte Vorkommen dieser Raubtiere.

Ärgerlich saß ich am Abend auf der Veranda des Unterkunftshauses. Durch das Ausbleiben der Leute hatte ich heute wieder für einen Tag Essen und Schlafen sieben Rupien (9,60 Mk.) zu bezahlen. Das war zu viel bei den zweihundert Mark monatlich, die mir der noble Verlag zahlte, für den ich die Reise um die Welt machte.

Da sah ich ein paar feurige Pünktchen den dunklen Berg herabtanzen – vielleicht waren sie es! Ich ging ihnen entgegen, und nach einer halben Stunde sah ich im Scheine der brennenden Äste, die sie als Fackeln trugen, die Gewehrläufe der beiden Askari glänzen.

»Jambo, Bana!« grüßten sie, nahmen die Gewehre bei Fuß und meldeten, daß sie in Mtaita hatten auf die Rückkehr seiner Bewohner warten müssen, die alle miteinander einer Bande Massai nachgesetzt waren, um drei gestohlene Ochsen zurückzuholen.

Ich gab dankend ein Trinkgeld; sie nahmen die sieben Mann mit zum Distriktskommissar, der ihre Namen aufschrieb und sie mir dann persönlich zum Unterkunftshause brachte. In meinem Beisein hielt er ihnen eine Rede über tadelloses Wohlverhalten und pünktliches Abliefern dieses »Bana mkuha« (großen Herrn) am Kilimandjaro.

»Ihr möget wählen, Wataita! Gute Safari und sehr großes Backschisch (Trinkgeld) am Kilimandjaro, oder schlechte Safari und sehr viel Kiboko (Nilpferdpeitsche) in Voi!« schloß er und zog die Peitsche wohlgefällig durch die Hand.

Wir wählen Backschisch in Moschi, Bana mkuha!« riefen sie eifrig.

»Gut, dann schläft der Kiboko in Voi. Kwa heri!« (Lebt wohl!)

Er teilte mir noch mit, daß der Mann 25 Cent Lohn und 10 Cent Verpflegung (ein Cent ist anderthalb Pfennig) den Tag bekäme und schüttelte mir kräftig die Hand zum Abschied.

»Gute Safari, Mister Heye! Keine unnötige Angst, aber auch keine Vorsicht außer acht lassen!«

Hab's immer so gehalten. Fare well, Sir!«

Ich führte meine sieben Mann auf die hintere Veranda, wo sie gegen den Wind geschützt waren, sagte ihnen in meinem gebrochenen Kisuaheli ein paar freundliche Worte und gab dem Vormann meine Uhr, daß er um zwei Uhr weckte. Schnell packte ich meine paar Sachen in Kiste und Rucksack, nahm ein Bad, und dann war es mir, als wäre ich kaum eingeschlafen, als schon der Vormann pochte und rief.

Der Nachtwind blies stark und kalt von den Bergen herunter, als wir im Gänsemarsch in die tiefe Dunkelheit hinausschritten. Die Träger balancierten alles auf den Köpfen, auch der, der meinen Rucksack trug, schlüpfte bald stöhnend aus den Riemen, machte sich in der Finsternis an einem Busch zu schaffen und kam dann mit einigen frisch geflochtenen Bastseilen nachgerannt. Mit denen band er sich den Rucksack auf den Kopf; da oben schienen ihm die dreißig Pfund nichts zu machen.

Der Vormann befragte mich nach allem Möglichen, hauptsächlich, warum ich mein Gewehr in das Feldbett gepackt hätte. Daß ich überhaupt keins hatte, kam ihm gar nicht in den Sinn.

Ich verstand ihn leidlich, konnte aber noch zu wenig von der Sprache, um viel zu antworten. Da gab er das Reden auf, und kaum ein Laut noch begleitete unsern nächtlichen Marsch.

Dann und wann erklang einmal der Ruf eines Nachtvogels, das ferne Geheul und Gekläff von Hyänen und Schakalen, oder der Warnruf des Vorausmarschierenden: »Schimo!« – »Mawe!« – »Miba!« (Loch, Stein, Dorn) zum Zeichen für die Träger, die nackten Füße in acht zu nehmen. Schweigend ging es voran; in den Wäldern auf den Bergen sang der Nachtwind, und in den tiefeingerissenen Schluchten brütete tiefe Dunkelheit.

Das erste blasse Grau des Tages glomm über den Höhen auf, ein eisig kalter Hauch machte unsere vom Steigen erhitzten Körper erschauern, dann rollte der purpurne Sonnenball aus tiefvioletten Wolkenbänken empor, und mit einem Schlage lag die weite, wellige, von Büschen und lichten Hainen bestandene Landschaft überflutet von Strömen rotgoldenen Lichtes und Wellen wohliger Wärme.

Nun besah ich mir erst einmal meine Reisegenossen. Es waren alles kräftige, sehnige Gestalten mit wilden, aber nicht unangenehmen Gesichtern. Nur der Vormann karte eine kurze Hose und eine Art Trikothemd an, die andern trugen Suahelihemden oder auch nur einen Lendenschurz. Ihre Decken hatten sie wie Turbane als Unterlage für die Last um den Kopf geschlungen. Aber allen baumelten Perlen, Münzen und Ketten aus den aufgeschlitzten Ohrläppchen bis fast auf die Schultern herab, am Gürtel hingen große, schwertähnliche Buschmesser, Schnupftabaksdosen und eine silberglänzende Wurst, die aus den gelochten und auf Riemen gezogenen Nickelcents von Britisch-Ostafrika bestand. Eine aus einem hohlen Kürbis verfertigte Wasserflasche und eine Felltasche mit einem Mundvorrate von Maiskolben und grünen Bananen vervollständigte die Ausrüstung.

Immer noch ging es sanft bergan, vor uns türmten sich dunstig blaue Berge, überragt von einem schroffen, hohen Felskegel, dessen sonnenbeschienene Wände aus weiter Ferne herüberleuchteten. Weit, weit hinter uns schon dehnte sich die Steppenebene von Voi mit dem glitzernden Schienenstrange der Ugandabahn.

Ich winkte dem eisernen Wege, an dem ich so vieles Ferne und Schöne gesehen hatte, ein letztes Lebewohl zu, und weiter ging es auf der rotstaubigen Straße.

Die Träger begannen zu singen, der Rucksackmann verfügte über eine Löwenstimme und machte den Vorsänger. Sie sangen in der Wataitasprache; ich verstand nur, daß es sich meistens um meine eigene Person handelte. Diese Naturkinder sind alle gute Stegreifdichter.

Manchmal blieb der Vormann an einer Wildspur stehen, die den Weg kreuzte.

»Simba?« (Löwe) fragte ich interessiert. »Nein, Büffel. Löwen sind später, da drüben, viele, viele! Hast du ein gutes Gewehr, Bana?«

»Ich brauche keines, ich bin selbst ein Löwe!« antwortete ich prompt Ich nahm den Mund so voll, um ihnen den Mut zu erhalten. Der zweifelhafte Witz löste ein schallendes Gelächter aus, und im Nu war ein neues Lied fertig, das einen Europäer besang, der ein Löwe war.

Noch eine Stunde marschierten wir; mir knurrte der Magen wie ein Kater.

Da wurden Büsche und Gras höher und frischgrüner, in einem tiefen Tale zog sich eine lange Reihe hoher Bäume hin – dort war ein Fluß, an dem winkte das Frühstück.

»Dort unten essen wir!« sagte ich.

»Ja, Herr!« antwortete meine Rotte freudig und einstimmig und rannte mit Siebenmeilenschritten zu Tal.

Zwischen gewaltigen, dichtverwachsenen Bäumen plätscherte der Voifluß über Steine und gestürzte Stämme dahin. Zwei breite eiserne Schienen, die in der Mitte des Flußbettes fußtief unter das Wasser gesunken waren, führten hinüber. Diese Schienen hatten früher als Brücke für den Autoomnibus gedient, der zwischen Voi und Taveta verkehrte; seitdem aber auf deutschem Gebiet eine Bahnverbindung mit der Küste hergestellt war, wurden die Seegüter aus der Kilimandjarogegend mit der deutschen und nicht mehr mit der Ugandabahn befördert, und der Autoverkehr auf unserer Straße mußte wegen Unrentabilität eingestellt werden.

Während ich ein Bad nahm, taten die erfahrenen Safarileute alle Lagerarbeiten, ohne daß ich etwas anzuordnen brauchte. Einer holte Wasser in den mitgenommenen viereckigen Blechgefäßen, in denen Petroleum nach Afrika verschickt wird und die dann hier die vielseitigste Verwendung finden; andere hieben dürres Holz ab und knickten frische Bäume um, damit nach altem Brauche andere Karawanen trockenes Holz fänden; einer bereitete mir einen weichen Grassitz, und der Vormann machte Feuer und öffnete die Proviantkiste.

Ich schrieb einige pflichtgemäße Notizen für meinen Reisebericht und stellte die Kamera für die zugehörige Aufnahme ein. Als mein Kaffee kochte und ihre Bananen zischend brieten, summte der Selbstauslöser los und hielt unser erstes Frühstück im Bilde fest

Es war ein herrliches Plätzchen, der Fluß rauschte und blitzte im Sonnenglanz, goldene Kringel zitterten auf dem Boden, Affen lärmten im Geäst, aus den dunklen Baumkronen scholl der tiefe melodische Ruf von Hornvögeln; riesige Käfer und Heuschrecken surrten und brummten herum wie kleine Aeroplane.

Nach einstündiger Rast brachen wir auf, nahmen einen kleinen Wasservorrat mit, und wieder ging's talauf und talab durch dornige Buschwälder, ausgetrocknete wildverwachsene Flußtäler und kurzgrasige Savannen, auf denen Antilopenherden und einzelne Büffel ästen.

Die Hitze war erträglich, denn unablässig wälzten sich schwere Wolkenmassen über die Berge. Die Regenzeit drohte, und ich stellte mir vor, daß es doch ganz nett wäre, wenn ich ein Zelt hätte. Aber dann dachte ich wehmütig an meine zweihundert Mark Gehalt und verkniff mir alle weiteren zwecklosen Gedanken.

Sehr, sehr langsam nur rückten die steilen Felswände des Buragebirges näher. Dort lag unser heutiges Ziel.

Gegen Mittag erreichten wir Mtaita, die Heimat meiner Träger. Sie bestand aus etwa hundert Hütten und großen Haufen von Kindern, räudigen Kötern und lieblich duftendem Kuhmist.

Ich holte den Blechkasten, in dem ich ein paar hundert einzelne Cent hatte, hervor, und zahlte jedem Mann fünfzehn, statt zehn Cent Verpflegungsgeld aus, was ein freudiges Grinsen der schwarzen Gesichter zur Folge hatte. Ich bewilligte ihnen drei Stunden Zeit, um zu Hause zu essen und Abschied von »Bibi« (Frau) und »Watoto« (Kindern) zu nehmen.

Natürlich war eine halbe Stunde nach Ablauf der Frist noch keiner zu sehen. Als mir die Geschichte zu dumm wurde, schnitt ich mir ein biegsames Stöckchen ab und ging meine verlorenen Schäflein suchen.

In jede Hütte lugte ich hinein, und wo ich in Qualm und Finsternis ein bekanntes Gesicht erspähte, fing ich an zu brüllen wie ein hungriger Löwe. Mit Proviant beladen, kam der Betreffende auch sogleich herausgesprungen, wischte sich den fettigen Mund ab und sah mich schuldbewußt und ängstlich an.

Als ich alle zusammengetrieben hatte, schimpfte ich sie aus, so gut ich's in Kisuaheli konnte, und hetzte sie dann im Geschwindmarsch Bura zu. Ich hatte gehofft, die Gastfreundschaft der dort stationierten Missionare in Anspruch nehmen zu können, aber wegen der Unpünktlichkeit der schwarzen Freßsäcke überschritten wir erst nach Sonnenuntergang den Burafluß, und eine nächtliche Kletterpartie von etwa zwei Stunden nach der Missionsanstalt, die wie ein Adlernest hoch oben an der Felswand klebte, war mir für heute doch zu viel. So mußten wir m einer baumlosen, winddurchfegten Talmulde unser Nachtlager aufschlagen.

Der immer heftiger werdende Wind blies uns fast die Feuer aus, die Nacht war wolkenschwarz, ich bereute, mir in Voi keine Laterne gekauft zu haben. Auf meine Frage erfuhr ich, daß es hier einen Inderladen gab, und mit dem Vormann tappte ich mich bis zu ihm durch.

Der Hindu kauerte mit seiner zahlreichen Familie gerade beim Abendbrot. Als ich nach Laternen fragte, zeigte er auf seine brennende Hauslaterne; dies wäre die einzige, die er hätte. Enttäuscht stolperte ich wieder davon, aber plötzlich kam er mir keuchend nachgerannt und bot mir seine Hauslaterne zum Kaufe an. Der edle Hindu hatte es doch nicht mit seinem Geschäftsgewissen vereinbaren können, einen Käufer unbefriedigt ziehen zu lassen und seine Familie einfach in ägyptische Finsternis versetzt. Er verlangte etwas mehr als den üblichen Preis, aber ich bezahlte ihn gern und ließ mir dann stolz wie ein Herr Bürgermeister von anno dazumal nach Hause leuchten.

Als mich der kalte Morgenhauch weckte, funkelten die Sterne noch am Himmel, und die feine silberstrahlende Sichel des Mondes lag auf dem Kamme der Felsen. Ich weckte die Schläfer, die Feuer flammten auf, ich kochte Kaffee und tat ihn mir in Magen und Feldflasche.

Meine Negerlein klapperten vor Kälte, so machte ich ihnen einen Kessel voll Tee, und schallend klang dann ein Lobgesang auf den edlen Geber die nachtschlafene Straße entlang.

Von hier gab es kein Wasser mehr am Wege bis Taveta. Ich sorgte dafür, daß die Schwarzen außer den Blechkannen auch ihre Kalebassen und Bäuche voll Wasser füllten.

Dann zogen wir beim tanzenden Schein der Laterne los, machten nur eine kurze Frühstückspause und marschierten weiter, in die sich in grenzenlose Weiten aufrollende Steppe hinein.

Die Landschaft nahm anderen Ausdruck und andere Farben an. Das saftiggrüne Gras und die frischbelaubten Bäume verschwanden, an ihre Stelle traten hartes braungrünes Elefantengras, das in vereinzelten Büscheln stand, weißgraue Sträucher mit nadelspitzen Dornen, ernste, einsame Kakteen, bläulichgraue, fast blattlose Kandelaber-Euphorbien, tellerflache Schirmakazien und flechtenbehangene Dornbäume. Gegen Mittag verzogen sich die Wolken, der Wind schlief ein, sengende Sonnenhitze lag über der Einöde. Die Träger schwitzten unter ihren Lasten und schritten auf dem verwachsenen Pfade schweigend hintereinander her.

Ich war, in Betrachtungen der Landschaft und träumerische Mittagsmüdigkeit versunken, ein wenig zurückgeblieben, als ein paar Rufe der Träger schwach durch die heiße Stille zu mir drangen. Sie waren stehen geblieben und betrachteten etwas am Boden. Rasch ging ich hin und sah, daß eine Reihe großer runder Spuren über den Staub der Straße führten.

Der Vormann brauchte nicht erst mit ausgestrecktem Zeigefinger und halblauter Stimme zu sagen: »Bana Simba!« (Herr Löwe); ich dachte mir schon, was diese runden Stapfen bedeuteten. Es war die erste Löwenspur, die ich sah, und unwillkürlich blickte ich mich beklommen um, ob nicht der Löwe aus dem nächsten Busche spränge. Aber nichts regte sich in der weiten, weltverlorenen Einöde, und stumm setzten wir unseren Weg fort

Es waren keine zehn Minuten vergangen, als wieder solche große Katzenspuren den Weg kreuzten und dann wieder und immer wieder. An einer Stelle führten gleich drei Paar dieser Fährten ein großes Stück die Straße entlang.

»Drei Löwen, sehr große!« sagte Mwani, der Vormann.

Ich nickte nur und stellte fest daß es mir in dieser schönen Gegend leise unheimlich wurde.

Schon gegen drei Uhr erreichten wir die Stelle, wo nach altem Brauche die Karawanen dieses Weges zu lagern pflegen.

Auf vier Pfählen ruhte ein morsches, eingesunkenes Grasdach, Konservendosen und zerbrochene Flaschen lagen um staubverwebte Feuerstellen herum, in einer Ecke ein zerfetzter, zusammengeschrumpfter Automobilreifen.

Nach dem Essen streifte ich ein bißchen in der Umgebung umher, stieß auf eine starke Herde Zebras und Gnus und einige kleine Rudel von Schwarzfersen- und Säbelantilopen, die mein Erscheinen nur in gemächliche Bewegung brachte. Aber zwischen den massenhaften Wildspuren unzählige Löwenfährten, überall und überall!

Zweifelnd betrachtete ich nach meiner Rückkehr das wacklige Dach, das in dieser angenehmen Gegend unsere Nachtruhe »beschützen« sollte.

»Gibt es hier keinen besseren Platz zum Schlafen?« fragte ich.

Mwani sah mich entsetzt an.

»Hier schlafen? – O nein, Bana. Hier bleiben wir nur am Tage, aber schlafen müssen wir dort in der Boma (Festung)«, sagte er und führte mich hin.

Die »Festung« war eine natürliche, kreisförmige Dornhecke, deren Zwischenräume mit stachlichem Gebüsch ausgefüllt worden waren. Ich ließ sie säubern und einen riesigen Haufen starkes Brennholz hineinschleppen.

Die rotflammende Scheibe der Sonne ruhte auf dem Horizonte. Ströme von farbigem Licht verwandelten für kurze Augenblicke die öde Steppe in einen Märchengarten.

Ich ging schnell noch einmal die wenigen hundert Meter nach dem Schutzdache hinüber, um meinen dort vergessenen Feldstecher zu holen, fand ihn auch gleich und trat schon wieder hinaus, als mein Blick auf den alten Automobilreifen fiel und dort haften blieb. Ein Schauder lief mir den Rücken hinauf – über unseren eigenen zahlreichen Fußspuren, die wir vor einer halben Stunde noch hier getreten hatten, lief die Fährte eines ungeheuren Löwen! Mit einer der mächtigen Vordertatzen war er mitten in den Kreis des Reifens getreten. Eine Weile stand ich wie erstarrt und stierte die stummredenden Spuren an, ein elendes Gefühl kalter Furcht hielt mich fest, ließ mich kaum wagen, mich umzusehen.

Da wurde es plötzlich dunkel, ohne Dämmerung und unvermittelt, wie es den Tropen eigen ist, und das Bewußtsein, daß jetzt in der Nacht die eingebildete Gefahr wirklich werden konnte, half mir die Schwäche abschütteln.

Ich trat hinaus, eben verlosch der letzte graue Tagesschein, und als wäre das ein Weckruf gewesen, wurden auf einmal ringsum in der nächtlichen Weite Stimmen laut, die mir das Blut zum Herzen und die Beine in flüchtige Bewegung jagten. Keuchend, röchelnd, anschwellend zu lang rollendem Donnern begrüßte das Gebrüll der Löwen die Nacht und den Beginn ihrer Jagd.

Erst kurz vor der Boma mäßigte ich meinen Angstgalopp und tat einige tiefe Schnaufer, um nicht mit gar zu unziemlich atemloser Eile in den Kreis der Schwarzen zu treten.

Sie hatten schon zwei Feuer angezündet und standen mit Dornbüschen bereit, den Eingang hinter mir zu verrammeln.

Unter hartem Kampfe mit der Landessprache und allgemeiner Heiterkeit machte ich dem Vormann klar, daß abwechselnd jeder Mann eine Stunde zu wachen und das Feuer zu schüren habe.

Ein jähes Unwohlsein, dumpfer Druck im Kopfe und bleierne Müdigkeit in den Beinen überkam mich auf einmal; diese Anzeichen kannte ich schon – ein Malariaanfall

Ich streckte mich auf mein Feldbett aus und schloß die Augen; halblaut unterhielten sich die Träger, draußen in der Nacht dröhnte das Gebrüll der Löwen. Bald fing der Schüttelfrost an, mich zu rütteln, ich durfte den Anfall nicht erst schlimm werden lassen und holte die Chininflasche hervor.

Gerade steckte ich eine Pille in den Mund, da dröhnte in allernächster Nähe, ganz dicht an meinem Kopfe, ein kurzes, tiefes »Moachch!« auf, ein Laut, so erfüllt von ungeheurer tierischer Kraft und Wildheit, daß mir vor Schreck gleich die Chininkapsel im Halse stecken blieb. »Heiliger Nepomuk!«

Mit einem Satze war ich vom Bett herunter und am Feuer, riß einen Brand heraus und warf ihn über den Dornenwall, dorthin, wo die greuliche Stimme erschollen war. Ein fauchender Laut, ein Kratzen und der elastisch leichte Aufschlag eines schweren Körpers antwortete draußen in der Dunkelheit.

Das Schwatzen der Leute war verstummt, mit weit aufgerissenen Augen und aschgrauen Gesichtern sahen sie einander an. Ich stand lauschend vornübergebeugt, am Lager war nichts mehr zu hören, doch ringsum war die Nacht erfüllt von dem unaufhörlich hallenden Gebrüll der jagenden Löwen. Bald näher, bald ferner knurrte, röchelte, heulte und brüllte es aus allen Himmelsgegenden.

Ich hatte mein Bett von den Dornen weg mehr in die Mitte rücken lassen, lag mit offenen Augen, den Stimmen der Wildnis lauschend, und klapperte mit den Zähnen. Vielleicht war es nicht nur das Fieber. Aber ich möchte den kennen lernen, der in einer Gegend, die anmutete wie eine Zweigstelle von Hagenbecks Tierpark, nur durch eine windige Dornenhecke von ganzen Rudeln hungriger Löwen getrennt, waffenlos und land- und sprachfremd unter einer Schar furchtsamer Neger, nicht mit den Zähnen geklappert hätte. Auch ohne Fieber. Und das schüttelte mich gehörig ab. Eine Zeitlang warfen mir die Kälteschauer förmlich den Körper hoch, und doch war mir der Gaumen heiß und ausgetrocknet, ich trank ganze Flaschen voll Tee aus. Dann begann der Kopf zu glühen, rote Nebel wogten vor den Augen, strömender Schweiß rann am Körper herab. Danach fühlte ich mich unsäglich schlapp, aber doch leichter und besser.

Nach Mitternacht verstummten allmählich die Stimmen der Rauhtiere.

»Sie haben gefressen und geben nun nach Bura, um zu trinken«, sagte Mwezi, der Kameraträger.

Ich setzte ihn zur Wache ans Feuer und versuchte, ein wenig zu schlafen. Aber sehr bald erwachte ich wieder durch ein Zerren am Arme.

Mwezi beugte sich über mich und flüsterte mit rollenden Augen: »Simba mkuha iko hapa!« (Ein großer Löwe ist hier!)

»Wo?« fragte ich.

Da kam vom Eingang her derselbe kurze fauchende Laut, der mich schon am Abend aufgejagt hatte. Wieder riß ich einen brennenden Ast auf und stieß die Träger an, die Feuer zu schüren und Brände zu schwingen, aber die sieben Schwaben waren vor Angst halbtot, rollten sich in ihren Decken zusammen wie Igel und wollten nichts sehen und hören. So biß ich die Zähne zusammen und rückte allein vor.

Vor dem Eingang lauschte ich; ein leis kratzendes Geräusch draußen, ich beugte mich nieder, spähte durch die Dornen und prallte, wie von einer Faust gestoßen, zurück – meine Augen waren einem Paar anderen, die gelb und machtvoll flammten, begegnet, ein heißer, scharfriechender Raubtieratem hatte mein Gesicht gestreift

Die unmittelbar drohende Gefahr riß mich in Schreck und Angst zu den Urwaffen unseres Geschlechts – Feuer und Stimme. Ich erhob ein wahres Indianergeheul und stieß wild mit dem funkensprühenden Ast durch die Dornen nach dem Löwen.

Mit einem grollenden Laut fuhr er zurück, im gleichen Augenblick traf ihn ein von Mwezi geschleuderter Brand am Kopfe, er nieste und fauchte und sprang aufbrüllend zur Seite.

Das Beispiel hatte auf die anderen Schwarzen gewirkt, nach allen Seiten flog jetzt brennendes Holz über die Umwallung, die Umgebung wurde von den Flammen erleuchtet an verschiedenen Stellen fing Gras und dürres Buschwerk Feuer. Und gleichzeitig erhob sich in der Boma ein infernalischer Lärm, ein Gebrüll, Geheul und Gekreische, als ob ein halbes Schock Raubtiere übereinander herfiele. Die sieben Schwaben brüllten einfach vor Angst aber so, daß ein Elefant gleich vor Schreck umfallen konnte.

»Ruhe, Ruhe, Ihr Bande!« rief ich und machte schließlich mit Püffen dem Höllenskandal ein Ende, um einmal hinauszulauschen.

»Bana Simba« war ausgerissen; bei einem derartigen Teufelsgeheul wäre ich es auch.

Unter den Stößen des Nachtwindes brannten draußen einzelne Sträucher lichterloh, wir mußten hinaus und die Brandherde löschen, um nicht bei einem allgemeinen Steppenbrande auch aus unserer Boma ausgeräuchert zu werden. Eine halbe Stunde lang herrschte Ruhe, aber dann erscholl in kurzen Abständen die ganze Nacht hindurch immer wieder Löwengebrüll ganz nahe und schreckte uns aus dem Halbschlafe auf. Es war wohl dieselbe Bestie, die ständig unser Lager hungrig umkreiste, wahrscheinlich ein Menschenlöwe. Erst als rote Dämmerung im Osten leuchtete, wurde er still und verschwand.

Übermüdet fielen wir in Schlaf, und der hielt uns fest bis spät in den Tag hinein.

Gegen Mittag erst brachen wir auf. Der oder die Löwen hatten eine Kreisbahn von Fährten rings um die Boma getreten, aber auch auf und neben der Straße, die wir bis zum Abend entlang zogen, waren keine Wildspuren so häufig, wie die der gelben Würger.

Gegen Sonnenuntergang sahen wir eine gleiche Dornenfestung wie die von letzter Nacht vor uns. Rasch schritten wir darauf zu.

Da blieb der vorausmarschierende Mwani mit einem Ruck stehen und schüttelte warnend den Arm nach hinten. Seine ausgestreckte Hand zeigte auf einen rötlich schimmernden Termitenhügel rechts.

Mir liefen Schweißtropfen über die Brille, ich konnte nichts Besonderes sehen und fragte die wie erstarrt dastehenden Träger, was da los wäre.

»Faru, Bana!« flüsterten sie mit angstvollen Augen und zeigten hartnäckig auf den Hügel.

Ich kannte das Wort nicht, tat eben den Mund zu einer Frage auf, da war's mir, als würde ein Teil des Hügels plötzlich lebendig, hob rötlichgraue klotzige Formen hoch und kam in unheimlich schneller, wuchtig dröhnender Bewegung auf uns zu.

Schreckensschreie, zu Boden krachende und klirrende Lasten, ein Auseinanderspringen von nackten Füßen hinter mir, und vor mir etwas in rote Staubwolken Gehülltes, wie eine Lokomotive Schnaufendes und Donnerndes! Mit einem mächtigen Sprunge flog ich hinter einen Dornbusch, das Ungetüm raste zehn Schritt von mir entfernt vorüber, der Boden dröhnte unter ihm, die Staubwolke fuhr in die Steppe und verlor sich krachend und brechend im dichten Busch.

Mit einem tiefen, befreiten Atemzuge lösten sich mir die erstarrten Glieder, die Negerlein kamen aus den Büschen gekrochen, sahen sich verdattert um und lasen mein weggeworfenes Hab und Gut zusammen.

»Ich glaube, das war ein Nashorn!" brummte ich tiefsinnig und zog das Wörterbuch hervor.

Es war auch eins. »Rhinozeros, Cerathorhinus aff. cucullatus Wagn.« stand neben dem Wort »Faru«.

Auf einmal kriegte ich noch einen anderen, gewaltigen Schrecken – wenn der Wasserträger auch seine Last weggeworfen hatte! Dann waren wir hier mitten in der Serengeti (wasserlosen Steppe) so gut wie verloren! Wie ein Blitz fuhr ich auf die Straße zurück, eben scholl ein lautes Gelächter der rasch vergessenden Naturkinder auf. Das Blechgefäß stand unversehrt und gefüllt am Wege, und dahinter lag der Träger platt am Boden.

Gerade hob er den Kopf vorsichtig über den Rand, spähte mit rollenden Augen rundum und fragte:

»Amedoka?« (Ist es fort)

Der Anblick war von unwiderstehlicher Komik, aber der treue Bursche hatte mehr an seine unersetzliche Last gedacht als an sein Leben, und die Rupie, die ich ihm schenkte, wohl besser verdient als ausgelacht zu werden.

Dann kam wieder eine von Sternen- und Mondesglanz erfüllte Nacht im Dornverhau, mit unruhigem, durch vielstimmiges und unaufhörliches Raubtiergeheul gestörtem Schlaf. Doch so unmittelbar gefahrdrohend wie letzte Nacht wurde die Lage nicht. – Sie sollte es unter anderen Umständen am nächsten Tage für mich werden.

Wir brachen zeitig auf und hatten nachmittags um fünf schon sieben Marschstunden hinter uns. Die Landschaft war vom Buragebirge an unverändert dieselbe geblieben, weit aufrollende, graugrüne Busch- und Baumsteppe, von erhabener Wirkung in ihrer einsamen Größe, ihr roter Lateritboden überlastet von stahlblauem Gluthimmel, ihre Weiten belebt von tausendfältigem Getier.

Ich wollte versuchen, einige Wildaufnahmen zu machen und war mit dem Kameraträger den anderen vorausmarschiert, die mit ihrem Lärmen und Singen alles Lebendige vorzeitig verscheuchten. Vor uns machte die Straße eine scharfe Biegung durch dichtes Gestrüpp. Eine mehrfache Löwenspur führte schon eine Weile in unserer Richtung den Weg entlang. Ich hatte sie längst bemerkt, als mich Mwezi am Arm berührte und mit unsicherer Stimme sagte:

»Bana, eine Löwin mit drei oder vier Jungen geht vor uns her, ganz nahe, die Spuren sind frisch!«

Ich nickte, flüchtig streifte mich der Gedanke, daß Löwinnen mit Jungen für besonders angriffslustig gelten, aber meine Aufmerksamkeit war durch ein Rudel Hartebeeste in Anspruch genommen, das sich, auf einer Lichtung langsam äsend, der Straße näherte. Vielleicht war eine Aufnahme zu machen! Rasch, aber leise ging ich weiter, Mwezi murmelte etwas und zögerte ein bißchen, aber dann folgte er mir nach.

In der Nähe eines Mimosengestrüpps, das sich halb über die Straße schob, nahm ich den Feldstecher vor die Augen und beobachtete langsam gehend das Rudel.

Die Tiere kamen näher, ich setzte das Glas ab, wollte gerade um das Gebüsch biegen – da fuhr ich zusammen, blieb mit starren Augen und wie versteinert stehen. Etwa fünf Meter vor mir stand eine Löwin mitten auf der Straße. Mit vorgerecktem Kopfe stand sie regungslos im Sonnenschein, sie schien die Hartebeeste zu beobachten. Im dürren Gras und Laub zur Seite raschelte und mauzte etwas, dann kamen zwei gelbe Knäuel herausgekugelt und rollten in wildem Geraufe im Staub herum. Noch ein drittes Junges tauchte auf, es kroch der Alten zwischen die Beine, schien saugen zu wollen.

Ich war keiner Bewegung fähig, wagte kaum zu atmen, das leiseste Geräusch hätte die Aufmerksamkeit des Raubtieres auf mich gezogen,

»Was tun – was tun!«, hämmerte es mir im Kopfe. Eine peinvolle Minute verstrich, vielleicht waren es auch nur Sekunden.

Da knisterten Halme hinter mir, Mwezi kam heran.

Ich hob die Hand, weiß nicht, ob zur Abwehr oder in dem gemeinen Gedanken, daß die auf zwei Menschen gelenkte Aufmerksamkeit des Tieres auch nur die Hälfte der Gefahr für den einzelnen bedeutete.

Ahnungslos trat er neben mich – ein kurz hervorgestoßenes »Lo!«, und wie ein Blitz war er herum und fort.

Gerade wendete die Löwin den Kopf, sie hatte das Singen der näherkommenden Safari gehört, diesen Moment benutzte ich und lief, wie ich noch nie gelaufen war. Lief so, daß ich den leichtfüßigen Neger einholte. Und der stieß ein fürchterliches Gebrüll aus und verdoppelte sofort seine Geschwindigkeit. Mir wurde klar, daß er bei meinen mächtigen Sätzen glaubte, die Löwin wäre hinter ihm her! Ich schoß vom Wege ab auf einen Baum zu, sah noch, wie die Träger beim Anblick unseres Galopps blitzschnell und prompt wie gestern die Lasten wegwarfen, auseinanderspritzten und mit verblüffender Geschwindigkeit in Dickichten und auf Bäumen verschwanden, und verschwand im nächsten Augenblick selbst, unerreichbar für alle Löwen der Welt, in der Krone einer himmelhohen Tamarinde.

Kaum oben, konnte ich mir nicht helfen, und brach ob des Anblickes, den soeben ich selbst, mein armer Mwezi und die anderen Mohren geboten hatten, in ein so schallendes Gelächter aus, daß ich beinahe wieder heruntergefallen wäre. Als nach zehn Minuten in der Nähe jenes Mimosengestrüpps noch immer nichts verdächtig Gelbes sichtbar wurde, stieg ich herunter und ging in weitem Bogen und wohlweislich nie allzuweit von Bäumen entfernt dahin zurück.

Mutter und Kinder waren entschwunden, die Hartebeeste allerdings auch und damit die Hoffnung auf ein schönes Tierbild.

Erst auf mein lautes Rufen sammelten sich die Mohren wieder, der alte Wasserträger kam stracks auf mich zu; er stellte das Gefäß ab, zeigte auf seine Fülle, streckte die Hand aus und sagte schlicht »Rupie!?« Diesmal gab's nur fünfzig Cent. In der Menge wird's billiger. –

Die erste Hälfte der folgenden Nacht verbrachten wir unter dem üblichen Heulen des Hungerchores ringsum wieder in einer Boma, die zweite aber auf Bäumen.

Gegen Mitternacht hatte mich aufgellendes Geschrei und ein merkwürdiger Lichtschein geweckt und der Anblick von ringsum prasselnden Flammen zu schleunigem Bergen meiner Habe und meiner Haut genötigt. Der übermüdete Mann bei der Feuerwache war eingeschlafen, und die Lagerfeuer hatten die Dornenmauer ergriffen. Obdachlos und betrübt standen wir in der dunklen Steppe, und die Chöre erklangen so unbehaglich laut und hungrig durch die Nacht, daß wir still und leise jeder auf einen Baum stiegen und hier frostschauernd und mit bocksteifen Gliedern den Morgen erwarteten.

Es war die letzte Prüfung auf dieser Angstsafari. Gegen Abend des andern Tages erreichten wir Taveta.

Hier gab's Wasser und einen mit zehn Askari einsam hausenden englischen Unterkommissar, der mich liebenswürdig und gastfrei aufnahm. Beim Abendbrot erzählte ich ihm meine Abenteuer, in denen ich wegen meiner Waffenlosigkeit immer eine so passive Rolle gespielt hatte.

»Well,« sagte er lächelnd, »ein bißchen riskant ist es allerdings ohne Gewehr. Aber wenn Sie eins gehabt hätten, wären Sie wahrscheinlich in andere Schwierigkeiten gekommen. Nämlich wegen unserer famosen Jagdschutzgesetze. Hören Sie mal zu, wie es mir selbst damit ergangen ist.«

Und nun erzählte er mir in einer unnachahmlich trockenen humorvollen Weise, wie er hatte ein Nashorn schießen müssen, das ihn angegriffen hatte, wie er pflichtgemäß Meldung an seine vorgesetzte Behörde gemacht und die ihm darauf einen merkwürdigen Ukas zugeschickt hatte. Darin stand zu lesen, daß ihm für diesmal die Sache nachgesehen würde, aber die Regierung hoffe, daß so etwas nicht wieder vorkäme.

»Erst war ich natürlich über diese blödsinnige Bürokratenbande wütend wie ein alter Büffelbulle, aber dann habe ich furchtbar gelacht und auf die Rückseite des Wisches geschrieben, daß das ganz von den Nashörnern abhinge. Wenn die versprächen, mich nicht wieder anzugreifen, wollte ich sie auch gern in Frieden lassen. Ich bäte also eine hochwohlweise Regierung, sich in dieser Angelegenheit an die Nashörner zu wenden.«

»Ja, und dann?« fragte ich lachend.

»Well, ich habe nie wieder etwas von der Sache gehört!« –

Als wir am andern Morgen aufbrachen, schimmerte der Schneedom des Kilimandjaro, im ungeheuren, tiefen Himmelsblau verloren, als Richtweiser vor uns. Am Nachmittag überschritten wir die Grenze von Deutsch-Ostafrika und waren spät abends in Moschi. Hier zahlte ich meinen Trägern den Lohn und das versprochene Backschischi mkuba aus. Es schien ihre Erwartungen zu befriedigen; mit freundlich lachenden Gesichtern sagten mir die braven Kerle Lebewohl.

Dann machten sie sich auf ihren langen gefahrvollen Rückweg.


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