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Tramps

Tramp heißt auf englisch Vagabund. Hier handelt es sich um den amerikanischen, der eine besondere Abart dieser Genossenschaft bildet.

Wenn in Europa jemand auf Wanderschaft geht, läuft er natürlich die Landstraße entlang. In Amerika ist das aber gar nicht natürlich; denn Landstraßen gibt's da nicht, wohl aber Eisenbahnen, die das ungeheure Land vom Atlantischen bis zum Stillen Ozeane, von den Präriestaaten an den Grenzen Kanadas bis zum Busen von Mexiko durchziehen.

Und zwischen den eisenblanken zwei Schienen, die in diese nicht endenwollenden Weiten hinauslaufen, wandert der Tramp in jenem lässigen, leicht schlenkerigen, aber gleichmäßigen und fördernden Schritte, der Amerikanern eigen ist – das heißt, wenn die Fundierung des Bahnkörpers das erlaubt; besteht aber der Boden aus leichtem Sande, wie in den Wüstenstrecken des Südwestens, oder in gar zu grobschlächtigem Schotter, dann ist es mit der Leichtigkeit und Gleichmäßigkeit des Schrittes vorbei, dann muß der Fuß des Wandernden auf die Schwellen zielen, und die liegen nichts weniger als gleichmäßig.

Die Eisenbahnbrücken sind amerikanisch-primitiv; sie bestehen aus zwei Eisenträgern, die den Fluß oder die Schlucht überspannen, und darauf sind Schwellen und Schienen einfach aufmontiert. Bodenbelag und Brückengeländer gelten als Luxus. So gähnt zwischen den einzelnen Schwellen die Leere; kommt dazu noch eine beträchtliche Höhe der Brücke, so gehören einigermaßen starke Nerven zum Passieren dieser Übergänge. Manche Linien haben aus löblicher Sparsamkeit besonders lange Brücken in nur eingleisiger Ausführung. Wenn da ein Zug einem die Brücke passierenden Tramp begegnet gibt's für diesen kein Beiseitetreten; er kann nur zwischen Zermalmtwerden und dem Sprunge in die Tiefe wählen – es sei denn, er besitzt die nötigen Muskeln, und der Zug ist nicht gar zu lang: dann kann er versuchen, sich bei freihängendem Körper mit den Händen an eine Schwelle zu klammern und den eisernen Tod über sich wegdonnern zu lassen. Aber das glückt selten! –

Der Lebensunterhalt ist für den Tramp eine ziemlich einfache Frage. Von den Tischen dieses großen, reichen Landes fällt genug ab, und der Amerikaner des platten Landes ist gastfreundlich. Nur muß der Wanderer sehen, daß er zur rechten Zeit beim Farmer anklopft; denn in Amerika macht man nur drei Mahlzeiten am Tage – dazwischen ist nichts im Hause, nicht einmal Brot; denn das wird zu jeder Mahlzeit in Gestalt von Maismehlbiskuits frisch gebacken.

Nachtquartier ist überall da; einen Paragraphen, der das Nächtigen im Freien verbietet, kennt man dortzulande nicht. Ist schlechtes oder kaltes Wetter, so stehen auf jeder Bahnstation einige gastliche leere Güterwagen.

Ein Bett hat der Tramp immer bei sich; es besteht aus einer infolge der amerikanischen Größe als Schlafdecke besonders geeigneten Zeitung. Sie wird auf dem Boden ausgebreitet, um die Kleidung zu schonen; denn auf deren Anständigkeit und Sauberkeit hält der amerikanische Wanderer viel mehr als sein europäischer Kollege, ebenso auf ein stets frisch rasiertes Gesiebt; deshalb bildet ein Rasierzeug neben der Zahnbürste das unvermeidliche, aber auch einzige Ausrüstungsstück des Tramps. Mit einem Bündel schleppt er sich nicht; ein schlechtes Hemd oder zerrissenes Schuhwerk wird weggeworfen – neues ist durch eine Tagesarbeit zu verdienen.

Ausweispapiere und Gendarmen, die sie sehen wollen, Herbergen zur Heimat und Asyle für Obdachlose sind nicht vorhanden. »Help yourself« (Hilf dir selbst) ist in Amerika Lebensregel! Niemand kümmert sich dort um das Leben des Tramps, natürlich auch niemand um sein Sterben, Und dazu ist in den menschenleeren, glühenden Wüsten und den von Schneestürmen überbrausten Prärien für den einsamen Wanderer Gelegenheit genug! –

Nun gibt's im Leben des Tramps ein Fachwort, das für ihn eine große Rolle spielt: es heißt »Jumping« (Springen). Gemeint ist Aufspringen, auf die Züge nämlich, und als blinder Passagier mitfahren – eine Sache, die durch die ungeheuren Entfernungen in jenem Lande recht verständlich ist. Ausgeführt wird meist das »Jumping« an den auf freier Strecke liegenden Wasserstationen für die Lokomotiven. Dann verkriecht sich der Tramp im Innern des Wagens oder in einem leeren Bremserhäuschen; bei den durchgehenden Schnellzügen legt er sich auch zwischen die Räder auf die Achsen oder Gasbehälter. Berücksichtigt man die enorme Geschwindigkeit der nicht umsonst Flyer (Flieger) genannten Züge, so glaubt man schon, daß auch hierzu wieder amerikanische Nerven gehören. Erwünscht sind der Eisenbahn diese nicht zahlenden Fahrgäste natürlich nicht; sie sucht sie aufzustöbern und an den nächsten Ortsrichter abzuliefern, der das »Jumping« mit sechs Monaten Arbeitshaus bewertet. Dies nun ist wieder dem Tramp sehr wenig erwünscht und da er im allgemeinen ein viel weniger harmloser Kunde ist als der in Europa, so besteigt er die Züge in starker und wohlbewaffneter Kopfzahl und setzt sich mit Knüppeln und Revolvern gegen das Zugpersonal zur Wehr. Auf diese Weise sind schon, hauptsächlich in den wenig bevölkerten westlichen Gebieten, förmliche Schlachten zwischen Trampbanden und Bahnbeamten geliefert worden. Es wurde so schlimm, daß sich eine Reihe von Bahngesellschaften gezwungen sah, Verträge mit Detektivanstalten abzuschließen, so daß nun jeder Zug durch einige von deren Beamten begleitet wird. Schwerbewaffnet patrouillieren diese Leute dauernd die fahrenden Güterzüge ab, und stöbern sie einen Versteckten auf, so ist die erste Aufforderung »Hands up!« (Hände hoch!). Ihr wird sofort Folge geleistet; denn ein nur augenblicklanges Zögern bedeutet Kopfschuß! Dann kommt die zur stehenden Formel gewordene zweite liebenswürdige Aufforderung: »Ich zähle bis drei! Eins – zwei – Vor »drei« muß der Tramp abgesprungen sein; denn springt er nicht vor »drei« freiwillig, so fliegt er nach »drei« unfreiwillig mit einer Kugel im Schädel von dem fahrenden Zuge. Aber vor oder nach »drei« – das Endergebnis ist meistens dasselbe, und was noch zu tun bleibt, übernehmen die Geier und Raben der Prärien und Felsengebirge ...


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