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Schlachtfest in Virginia

Die Sonne sank. Ihr Rand berührte schon die Fluten des Potomac. Ein leiser Wind kräuselte das grüne Wasser, und all die tausend Wellchen warfen sich rötliche Reflexe zu und reckten sich, um die große Mutter noch einmal zu sehen.

Das Segel eines Fischerbootes glitt langsam an der rotflammenden Scheibe vorüber und erglühte dabei in Purpurfarbe.

Das Wasser murmelte, und der Wind flüsterte mit den großen, dunklen Zedern vor dem Hause. Der Sumpfwald aber, der den Horizont begrenzte, sandte leichte Nebelschleier empor, wie Rauchwolken eines Dankopfers.

Es war ein Abend, an dem es auch den Menschen still und friedlich ums Herz wird.

Doch gibt es Ausnahmen! Wir hatten Abendbrot gegessen. Mr. Joe, der Farmer, saß zurückgelehnt im Schaukelstuhl, hatte die Hände über dem Bauche gefaltet und verdaute.

Da flog plötzlich eine Ente ohne Kopf zum Fenster herein, fiel ihm auf den Kopf und blieb da liegen.

Er zuckte zusammen, saß einen Augenblick unbeweglich und riß sie dann herunter. Sie fiel auf den Tisch und in eine Schüssel mit Marmelade.

Die »Missis« tat einen Juchzer und setzte sich auf die Diele, sie hatte sich aber auf den Stuhl setzen wollen. Die beiden Töchter der Farm kreischten, und die großen Hunde erhoben ein Gebell, daß die Wände dröhnten. Draußen zeterte eine Stimme in einem staunenswerten hohen Diskant.

Joe hatte die Augen so weit aufgerissen wie den Mund und starrte das seltsame Phänomen in der Marmelade an.

Die ganze Stimmung war zum Teufel. Das erboste mich gewaltig. Ich riß einen Knüttel aus dem Feuerholzkasten und fuhr hinaus, den Störenfried zu verprügeln.

Ein sehr aufgeregtes Negerweib kam mir entgegen.

»Was zum Teufel« –

Weiter kam ich nicht. Sie fuhr mir kreischend mit gespreizten Fingern nach dem Gesichte und machte einen energischen Versuch, mich vor die Schienbeine zu treten. Das schien mir bedenklich. Ich warf meinen Knüttel weg und retirierte ins Haus. Die wütende Tochter Hams folgte mir auf dem Fuße. In der Tür blieb sie stehen und schimpfte mit entsetzlicher Geschwindigkeit eine Enzyklika herunter. Die ergoß sich über uns mit urwüchsiger, unwiderstehlicher Gewalt, wie der Niagarafall. Dabei rollte sie die Augen und fletschte die Zähne wie Mr. Palmers junge Bulldogge.

Ich konnte nur abgerissene Worte verstehen, – »alles tot« – »die letzte von einem Dutzend« – »blutig verdammtes Schwein«.

Da sie mich dabei gerade ansah, bezog ich das Schwein ohne weiteres auf mich und brüllte: »Erlauben Sie mal –«

Aber ein Mörderblick traf mich, ich zog mich hinter den Tisch zurück und beschloß, den Niagarafall nicht wieder zu stören.

Aber da schnappte ihr die Stimme über, ein glucksender Laut erscholl, und sie preßte ein Taschentuch, das mir gehörte, vor das Gesicht. Jetzt heulte sie los wie ein halbes Schock Präriewölfe in einer Mondnacht.

Joe hatte von dem Sermon auch nichts verstanden und ratlos von einem zum anderen geblickt. Jetzt stand er auf und sagte ganz konsterniert:

»Guten Abend! ... Beruhigen Sie sich, Frau Raynfield, und erzählen Sie mal ruhig, was Sie wollen.«

Aber die Schwarze war untröstlich und heulte, daß es einen Stein erbarmen könnte.

Ich wußte Rat. Auf dem Tische stand eine Whiskyflasche mit einem Rest Feuerwasser darin. Die hielt ich ihr hin und eine Zigarre dazu.

Auf Grund irgendeines optischen Gesetzes sah sie beides durch das Taschentuch. Es verschwand im Schürzenlatz, die Flasche wurde gepackt und ein gewaltiger Zug daraus genommen. Sie setzte wieder ab, und ein Ausdruck reinen Seelenfriedens zog über ihr Gesicht, das schwarz aussah wie ein gewichster Stiefel.

Ich hatte ihr, während sie trank, mein von der Leine gestohlenes Taschentuch aus der Schürze gezogen und schob ihr nun den Schaukelstuhl hin, wofür mich Joe in die Rippen knuffte. Sie zündete die Zigarre an und erzählte ihre merkwürdige Historie, wobei sie qualmte wie die Schornsteine von Carnegies Stahlwerken in Pittsburg.

Sie wohnte in einem zur Farm gehörenden Hause zur Miete. Die wurde aber nie bezahlt, ihr Mann arbeitete dafür bei uns, wenn der Geist über ihn kam.

Sie besaß zwölf Enten, die tagsüber bei uns zu Gaste waren und sich mit durchfraßen. Vor einigen Tagen zogen nur noch elf der wackelnden und schnatternden Gelbschnäbel in den Hof. Einer fehlte. Als er sich auch über Nacht nicht einfand, fügte sie sich in den Verlust.

Aber ein Grauen erfaßte ihre Seele, als es abends nur noch zehn waren. Jetzt war es für sie außer Zweifel, daß irgendein »verdammter Nigger«, wie sie ihre Rassegenossen titulierte, die Enten meuchlings wegfing.

Sie legte sich auf die Lauer und paßte auf. Vergebens. Eben stimmten die Häupter ihrer Lieben noch – da fehlte wieder eins.

Sie verdoppelte ihre Wachsamkeit, schlich um die Schar herum wie ein alter Siouxhäuptling auf dem Kriegspfade, spähte mit vorgerecktem Halse, wenn sie auf dem Flusse Tauchübungen machten; es nützte alles nichts, auf geheimnisvolle Weise wurde die Zahl verringert.

Sie vertraute ihrer besten Freundin an, sie habe die alte Judith Tenn im Verdachte, daß sie ihr die Tiere wegzaubere; schon am anderen Tage erklärte ihr aber besagte Judith am Brunnen, sie werde ihr die Zähne in den Hals zaubern, wenn sie noch einmal so etwas sage.

Verzweifelt hatte sie heute den letzten Mohikaner in den Stall gesperrt mit der löblichen Absicht, ihm den Hals umzudrehen und ihn zu braten. Ihre Jungen hatten den Vogel holen sollen. Er war aber entwischt und nach unseren Ställen gelaufen. Hier hatte er Maiskörner aufgepickt, die um den Verschlag herumlagen, in dem unser Mastschwein seines Schicksals harrte.

Und da kam die Entdeckung! Die Jungen waren gerade zurecht gekommen, um zu sehen, wie die Ente, die den Kopf zwischen die Latten gesteckt hatte, einen Jammerschrei ausstoßend, mit den Flügeln schlug. Der Wegelagerer im Verschlage hatte sie gepackt und zerrte sie hinein. Die Jungen griffen schnell zu und retteten den Rumpf; den Kopf fraß der Raubritter schon. Sie brachten ihr den Leichnam und, von heiligem Zorn erfaßt, rannte sie damit nach unserem Hause und warf ihn zum Fenster herein.

»Er hat sie alle gefressen, der Hundesohn, die schönen, weißen Enten.« –

Joe versprach, den Massenmörder morgen zu schlachten; sie solle seinen Kopf erhalten. –

Am andern Morgen trafen wir die Vorbereitungen dazu. Joe trug mir auf, einen Haufen großer Feldsteine auf den Platz unter den Pflaumenbäumen zu fahren.

Ich war noch damit beschäftigt, als schon Gäste zum Feste kamen. Die ersten waren Hesekiel Green und seine Frau mit ihrem großen Hunde. Farbige. Dann der alte Jim Haller mit einem furchtbaren Bowiemesser. Er machte schon jetzt ein grimmiges Gesicht und blutdürstige Augen.

Er und Green gruben nun ein Loch in die Erde. Die Raynfield schleppte einen Haufen Feuerholz herzu.

Joe sagte mir, ich solle einmal nachschauen, wo Kapitän Corn mit dem bestellten Fasse und dem Whisky bliebe. Ich fand ihn auf der Straße. Er balgte sich zusammen mit einigen schwarzen Gentlemen um eine große Heringstonne herum. Er war betrunken wie gewöhnlich und hatte das Faß von der Schubkarre verloren.

Bei seinem eigenen Mangel an Gleichgewicht war es ihm nicht gelungen, seine Fuhre in dasselbe zu bringen, und so mußte er warten, bis Hilfe kam. Er hatte sich unterdessen mit einer der Schnapsflaschen beschäftigt.

Wir luden das Faß auf und setzten den Bacchus hinten drauf. Sein dickes Gesicht glänzte wie mit einer Speckschwarte eingerieben.

Unter den Pflaumenbäumen hatte die Raynfield unterdessen ein Feuer angezündet und die Feldsteine hineingeworfen. Unsere Fuhre wurde mit Heiterkeit begrüßt. Dem Trinker wurden die vollen Flaschen weggenommen und er mit der angebrochenen in den Wagenschuppen gesetzt. Er bekam bald Gesellschaft in Gestalt der Frau Raynfield. Die beiden soffen nun in schöner Eintracht, daß sich die Balken bogen.

Das Faß wurde schräg in das Loch gesteckt und bis zur Hälfte mit Wasser gefüllt. Dann holte ich die heißen Steine mit einer Mistgabel aus dem Feuer und warf sie ins Faß. Auf diese antike Weise wurde heißes Wasser gemacht.

Jim Haller zog unterdessen an seinem Leibriemen das Bowiemesser ab. Dann brachen wir, fünf Mann hoch, auf, den Delinquenten zu holen.

Er war in einem Verschlage unter dem Maishause, das in der Viehhürde stand. Als er uns kommen hörte, richtete er sich auf den Hinterbeinen auf und betrachtete uns mißtrauisch aus seinen tückischen Augen.

Es war eine weiße Sau, furchtbar groß und schwer. Wir kletterten hinein, fielen auf ein Zeichen über sie her und packten jeder ein Bein. Joe hatte sie beim Schwanze.

Ein Junge machte die Tür auf und wir schleppten den Banditen hinaus. Damit war er aber durchaus nicht einverstanden, er sträubte sich gewaltig und erhob auch durch seine Stimme Einspruch. Er besaß ein beachtenswertes Organ und schrie die Rache des Himmels auf unsere Häupter herab. Sein Geschrei hatte den fatalen Erfolg, daß Greens Hund mit lautem Gebell in die Hürde geschossen kam.

Wir wurden durch den Widerstand unseres Gefangenen hin und her geschleudert, und so glaubte der Hund jedenfalls, daß Green und ich uns zu Leibe wollten. Er sprang an mir in die Höhe, ich verlor das Gleichgewicht und stürzte hin.

»Haltet fest, haltet fest,« heulte Joe hinten am Schwanze.

Ja, hatte sich was mit Festhalten! Das Teufelsvieh von Hund hatte sich vorgenommen, mir unbedingt die Kehle durchzubeißen.

Um ihn mir vom Leibe zu halten, mußte ich die Sau loslassen. Dadurch wurde sie in ihrem Widerstande bestärkt und einen Augenblick später bildeten Menschen, Hund und Schwein in dem Kuhmist einen wilden, brüllenden, quiekenden und bellenden Knäuel.

Plötzlich machte der Borstenträger einen Satz und entfloh, Joe am Ringelschwanze im Schlepptau.

Wir rafften uns auf, verprügelten erst gemeinschaftlich den Hund, sein Herr warf ihn über den Zaun, dann setzten wir dem ausgerissenen Delinquenten nach.

Auf dem Hofe lag Kapitän Corn auf dem Bauche und starrte mit blöden Augen dem Schweine nach. Er hatte es festhalten wollen, war dabei hingefallen und hatte ihm seine Schnapspulle hinterher geworfen.

Aus dem Hühnerhofe ertönte ein furchtbarer Spektakel. Die Sau war da hineingelaufen, immer noch mit Joe am Schwanze. Die Raynfield war zu Hilfe gekommen und hatte sie an den Ohren gepackt.

Wir brachten den Flüchtling wieder in unsere Gewalt, und da uns ein nochmaliger Transport nicht ratsam schien, stach ihn Jim Haller gleich hier ab.

Zu meinem Erstaunen ließen sie das Blut davonlaufen, und ich mußte wehmütigen Herzens die frische Blutwurst vom Programm streichen.

Der Dickhäuter hatte im Todeskampfe die Schnauze verzerrt, und ein eigentümlicher Ausdruck lag jetzt darüber, fast wie ein höhnisches Grinsen.

Als die Raynfield den Entenmörder zur Strecke gebracht sah, besann sie sich noch einmal auf ihre Wut und, inspiriert von den Geistern des Whiskys, hielt sie ihm eine Strafrede, die schließlich in ein Wutgeschrei ausklang. Wir rückten ihr das Schwein aus den Zähnen, schoben Knüppel unter seinen Bauch und trugen es zu dem Fasse. In dieses wurde der Rüsselträger erst mit dem vorderen – dann mit dem hinteren halben Leibe hineingesteckt, und nun griffen sämtliche schwarzen und weißen Hände zu und befreiten ihn von den Borsten seiner Schlechtigkeit. Dann wurde er ausgeweidet.

Jim Haller erhielt für seine Bemühungen den Magen und die Eingeweide. Als ich ihn fragte, was er damit machen wolle, antwortete er:

»Sauerbraten, Sir!«

»Gesegnete Mahlzeit!« sagte ich.

Er nickte mit seinem pfeffergrauen Wollkopfe und machte sich davon. Die Raynfield bekam den versprochenen Kopf.

Dann hingen wir den Rumpf an einen Pflaumenbaum. Die Männer zogen in die Kneipe, nahmen einen »Drink« und tanzten einen »Old Virginia Reel«. –

Am anderen Tage erschien Frau Raynfield; sie fragte nach einem verlorengegangenen Taschentuche und nach der Entschädigung für ihre Enten. Der Schweinskopf sei doch nur eine wert, blieben noch zehn und ein Entenkopf. Das stimme doch nicht.

»Es stimmt, es stimmt,« sagte Joe und warf sie hinaus.


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