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Die Totenfelder von Sakkara

»Allah'hu akbar!« näselt ein Hodscha den Gebetsruf vom Minarett herab. Er steht im blendenden Sonnenglanze hoch oben, hat beide Hände an die Ohren gelegt und wiegt den Kopf wie ein Eisbär.

Es ist früh 6 Uhr. Der alltägliche lärmende Maskenball wogt noch nicht durch die Straßen Kairos. Nur ein früher Wasserträger trabt gebückt unter der Last des gefüllten Ziegenbalgs herauf, Tropfen perlen blitzend über seinen Lederschurz herab. Er begleitet den Sang des frommen Mannes da oben mit einem heiseren, verrosteten »Moje!« (Wasser!)

Wir (ein Kaufmann, ein Architekt und meine landstreicherische Wenigkeit) steigen mit langen Schritten durch die stille Chlot-Bei-Straße. In den Rucksäcken klappert das Kochgeschirr, mir macht außerdem eine zwanzigpfündige Tropenkamera das Leben sauer. Auf dem Bahnhofsplatze ist schon Leben, Hotelomnibusse, Reitesel, bündelbeladene Araber jagen darüber. Die unvermeidlichen Gepäckträger, Händler und Bettler sind natürlich auch schon da.

Der Fahrkartenschalter für die dritte Klasse ist wie überall in Aegypten in einem Bretterbüdchen außen am Bahnhofe. Die vornehmen Geldmenschen aus Europa sollen nicht mit den Benutzern der dritten Klasse, Arabern und besitzlosen Weißen, in Berührung kommen.

Rote und weiße Turbans, gelbe, grüne und blaue Kaftans quirlen vor dem Schalter herum. Es geht nicht nach der Reihe; wer zuletzt gekommen ist, brüllt am lautesten nach einem Billett.

Man bekommt zu leicht Läuse in dem Gedränge; so fingen wir einen zerlumpten Jungen ein, der die Fahrkarten besorgte. Er kroch einem Fellah zwischen den nackten Beinen hindurch und kam bald zurück. Fahrkarten und Geld stimmten, er erhielt Backschisch und gleich darauf eine Ohrfeige, weil er nicht zufrieden war. Dann war er's.«

Zwischen tief vermummten und verschleierten Araberfrauen und weißbärtigen alten Scheichs eroberten wir uns drei Plätze in der feinen dritten Klasse. Als der Zug schon losfuhr, keuchte noch ein bepackter Hausvater herein. Er hatte einen Korb voll Gemüse und einen großen Truthahn eingekauft. Er setzte sich neben mich.

In der Stadt gibt's rechts und links vom Zuge nur Ruinen. Man hat für die Bahnstrecke nur so viel Platz gemacht, als unbedingt nötig war, und die Häuser nur halb weggerissen. Die andere Hälfte wird schon von selbst einfallen, wenn Allah will; nur keine unnütze Mühe!

In weitem Bogen geht es um die Stadt herum, die großen Pyramiden von Gizeh glühen rostrot in der Morgensonne. Drüben über dem Mokattam sprüht es wie Goldfunken um die Kuppeln der Mohammed-Ali-Moschee.

Im Niltale dampfen Morgennebel, Palmkronen ragen in die klare Luft. Auf Eseln, Kamelen und Büffeln reiten die Fellahs auf die Felder. Die jährliche Überschwemmung ist zurückgegangen, der schwarze Schlamm wartet auf Pflug und Samen. Ohne Pause, ohne Dünger bringt er immer wieder Ernten hervor seit vielen tausend Jahren. –

Der Hausvater neben mir wollte sich eine Zigarette drehen, aber er hatte die Hände voll und sah sich hilflos um.

»Men Fadlak, emsik schwaje!«

»Aber gern!« sagte ich und nahm den Truthahn.

Aber ich weiß nicht, vielleicht war es ein mohammedanischer Truthahn und konnte Europäer nicht leiden; er kollerte, blähte sich auf und sah ziemlich gefährlich aus. Ich hielt ihn vorsichtig ein bißchen ab, da stieß mich ein Araber an und – husch! – weg war der Truthahn. Es gab ein schönes Hallo im Wagen. Sie wollten ihn fangen, purzelten durcheinander, die Weiber kreischten, und der Sonntagsbraten fuhr mit Geflatter und Gekoller wie verrückt im Abteil herum und riß einem würdigen Effendi die Brille herunter. Ein Glas ging kaputt.

»Malisch, malisch – es macht nichts,« trösteten ihn die anderen.

Im Orient macht alles nichts, und wenn ein halbes Bein weg ist. Trotzdem hat mich aber der Effendi bis Bedraschen durch das eine Brillenglas sehr erbost angesehen.

Am Bahnhofe hielt ein Polizist zwei Dutzend Eseljungen in Schach. Sie bildeten zwei Reihen; wir mußten Spießruten laufen.

»Schönes Äsel, mein Härr! Heißen Prinz Heinerich! Zwanzig Piaster nach Sakkara! Sie will?«

Unglücklicherweise waren wir die einzigen, die ausgestiegen waren, so schloß sich uns die ganze Kohorte bis ins Dorf an. Jetzt versuchten sie es mit Englisch und Französisch und ermäßigten alle hundert Schritte den Preis um einen Schilling.

Wir sahen und hörten einfach nicht.

Da mußten sie das Unfaßbare glauben, daß wir zu Fuß gehen wollten. Lautes Hohngeschrei erscholl.

»Mafisch Fu'lus! – Kein Geld!« brüllten sie. Sie sind Menschenkenner!

In ihrem Dorfe wurden wir sie los. Auf den engen gewundenen Gassen wimmelt ein einträchtiges Tier- und Menschenleben durcheinander. Die Hütten sind aus schwarzen Nilschlammziegeln gebaut, schief und bucklig lehnen sie nebeneinander, aber die Sonne Ägyptens vergoldet und verschönt alles. Aus einem »Stubenfenster« schaute ein Esel heraus, er hat mit Schafen und Hühnern beim Fellah Familienanschluß.

Dann ging es auf staubiger Straße der Wüste zu. Auf den hochgelegenen Feldern sproßte schon Reis und Mais grünspitzig hervor. Schafe, Ziegen, wollige Eselfüllen und hochbeinige, spitzschnauzige Hunde spielen mit nackten braunen Kindern auf den Dämmen.

In stumpfem Gleichschritte turnt ein großer schwarzer Büffel im Kreise herum. Er dreht das ächzende Holzrad einer Sakieh, eines Schöpfbrunnens zur Feldbewässerung. Eine Gruppe Fellahs steckt dürre Maisstengel in unendlich langen Reihen in den Boden als Stützen für die künftigen »Fuul«, die großen schwarzen Bohnen, die das Nationalgericht der armen Araber bilden. Sie begleiten ihre Arbeit mit einem schrillstimmigen Klagegesange.

»Hilf, o Prophet, unser Rücken schmerzt uns. Wir sind mühselig wie Esel, hilf uns, o Erleuchteter Allahs.«

Ein alter Graubart saß am Wege, zwischen den Knien ein Näpfchen mit Fuul. Es sind drei Eßlöffel voll darin, für einen Araber eine ausreichende Mahlzeit. Wie diese Menschen bei ihrer schweren Arbeit davon leben können, ist ein Rätsel. Wir grüßten, er dankte und hielt uns sofort das Näpfchen hin. Man kann sich wirklich zu jedem Fellah setzen und ohne weiteres mitessen; er teilt unbedingt.

Auf schlammigen Furten kreuzten wir ein paar Nilkanäle, dann ging es in einen prachtvollen Wald von Dattel- und Fächerpalmen.

Hier gähnen überall tiefe schwarze Löcher, hinter einem Erdwalle ragen zerborstene Ziegelwände, an einzelnen Stellen glänzt noch ein Belag von weißen Marmorplatten darauf – wir stehen auf der Stätte des uralten Memphis, der frühesten Hauptstadt Ägyptens! Schon einige hundert Jahre vor Christus fanden es griechische Reisende als einen Trümmerhaufen. Jetzt wachsen hohe schlanke Palmen auf der Stätte, wo in grauer Vorzeit marmorne Königspaläste und Tempel standen und eine Millionenbevölkerung lebte. Große Hügel von Marmorstücken, Ziegeln, Tonscherben und Schutt sind übriggeblieben.

Und doch noch etwas. Zwischen den Stämmen blitzt die Sonne auf poliertem Granit, es ist die Kolossalstatue Ramses' II. Sie liegt auf dem Rücken, das feinmodellierte Gesicht mit dem rechteckig-ägyptischen Kinnbarte schaut in die rauschenden Palmkronen hinauf. Die Beine sind unter den Knien abgebrochen, die ungeheure Krone liegt am Boden. Die Statue ist ungefähr zehn Meter lang. Eine englische Miß stieg gerade dem alten Pharao auf dem Bauche herum.

»Wonderful, wonderful!«

Ein Stückchen weiter aber guckt eine sehr gut erhaltene, ziemlich große Sphinx aus einem Schlammloche; sie ist erst vor kurzer Zeit gefunden und ausgegraben worden.

Eine zweite, der ersten ganz gleiche Ramsesstatue ist mit einer Mauer umgeben. Vor dem Tore sitzt ein Wächter und lauert auf Backschisch. Die beiden Statuen haben einst vor einem Tempel des Ptah gestanden. Der ist verschwunden mit seinen Göttern wie das ganze Volk, das sie erschuf und an sie glaubte.

Die Sonne stieg höher und meinte es redlich gut, wir schluckten Staub und schwitzten – und das Ende Januar.

Endlose Reihen von Kamelen zogen im Gänsemarsch die Straße herab. Die Tiere trugen auf jeder Seite einen großen Binsenkorb mit Feldfrüchten. Auf dem Leithengste saß ein Dreikäsehoch im zerfetzten Hemdchen.

Da blitzte vor uns der letzte Kanal im Sonnenschein, dahinter noch ein zwanzig Meter breiter Streifen Kulturland, ein mit Dornen eingezäunter Garten von Kaktusfeigen bedeckte es, und hinter dem Zaune kam feiner, tiefer Sand. Hier beginnt die Wüste; plötzlich und unvermittelt ist der Übergang.

Eine alte, breitästige Sykomore steht am Zaune, in ihrem Schatten ein kleiner viereckiger Bau mit runder Kuppel und einem Halbmonde darauf; es ist eine Quelle mit süßem Wasser, eine Seltenheit in Ägypten, wo fast alle Brunnen Brackwasser liefern. In der Wand ist ein Loch, darin steht ein Becher. Durstige Wanderer aus der Wüste mögen sich aus der Zisterne im Inneren einen herrlichen, kalten Trunk schöpfen; so taten auch wir.

Jetzt ging es im tiefen Sande mühsam die gelben Hügel hinan.

Es ist ein merkwürdiger, auffälliger Unterschied zwischen der libyschen und der arabischen Wüste, die doch nur durch das Niltal getrennt sind. Drüben alles voll wildzerrissenen Schluchten, steilen Felsen und weiter mit Blöcken und Trümmern bedeckten Hochebenen, hier in der libyschen Wüste, soweit das Auge reicht, sanfte Hügelwellen aus leichtem, feinem Sande, gleichmäßig und endlos wie die Wogen des Ozeans. Käfer, Eidechsen und Sandschlangen, die hier vorkommen, gibt es drüben nicht.

Der Architekt wollte gerade einen längeren wissenschaftlichen Vortrag darüber beginnen, da tauchten hinter einer Bodenwelle wieder Ruinen auf. Enge Gäßchen und Miniaturplätze, umrahmt von dunklen Ziegelhäusern. Bruchstücke von Säulen und Simsen aus weißem Marmor und Sandstein lagen zwischen den düsteren Häusern. Die ganze Bauart des Städtchens kam mir bekannt vor, aber so gar nicht ägyptisch. Da – das Kapital einer dorischen Säule und ein paar Schritte weiter eine in Granit gehauene Ölpresse – das war griechisch, eine Ansiedelung aus der Ptolemäerzeit, wahrscheinlich erst vor kurzem ausgegraben.

Auf den niedrigen, verfallenen Mauern lagen zerbrochene Vasen und Trinkgefäße und kleine Statuetten des Zeus, alles mit Nummern versehen. Daß man diese hübschen kleinen Sachen so frei hier liegen ließ? Die reisenden Engländer sind sammelwütig auch unserem Architekten stachen sie in die Augen.

Da kollerten hinter uns Scherben von einem Schutthaufen herab, ein Araber mit einem Schildchen am Arme kam leise herab, ein Wächter. Er folgte uns immer in zehn Schritt Abstand wie ein hungriger Wolf. Auf dem Marktplatze gab es die Grundmauern und Säulenstümpfe eines Tempels. Ich betrachtete einen Block näher, auf der Rückseite trug er halbzerstörte Hieroglyphen; die edlen Griechen hatten also ihr Baumaterial aus alten ägyptischen Bauwerken gestohlen. Die Perser, die Griechen, Römer und Araber und in neuerer Zeit die französischen und englischen Eroberer alle haben zerstört und weggeführt, und doch sind noch so viele Reste der eigenartigen, gewaltigen Kultur dieses alten Volkes übriggeblieben.

Im Hintergrunde stand ein granitner Weinkrug, unser Tiroler stieg mit seinen langen Beinen hinein, er schaute gerade noch mit dem Kopfe heraus.

»Sie, nehmen's mol a Photographie, dös schaut lustig aus.«

Als ich den Apparat zurechtmachte, kam der Wächter gesprungen.

»La, la, ja Chowaka! Geh' heraus, ich bitte!«

Der Tiroler wollte nicht, da griff der Araber hinein und zerrte ihn am Kopfe.

»Läßt mi glei außer. Du Bazi! So knipsen's doch scho!« schrie er und klammerte sich am Rande des Kruges fest.

Der Araber zerrte, bat und jammerte, der Tiroler sträubte sich und kroch immer tiefer hinein.

»Knipsen's doch in Kruzifix Namen!« schallte es dumpf heraus.

Ja, ich sah ja gar nichts von ihm! Der Krug schwankte bei dem Gewürge hin und her, ich fürchtete, sie würden ihn noch zerbrechen, und knipste. Ich sah im Sucher nur einen borstigen Haarschopf aus dem Kruge schauen, an dem der wütende Araber krampfhaft zerrte. Ein Backschisch dämpfte dann seinen Amtseifer.

Weiter ging es über riesige Haufen von Sand und Scherben. Vor uns lag die Stufenpyramide des Königs Zoser aus der dritten Dynastie. Sie ist die älteste Pyramide Ägyptens, gegen fünftausend Jahre träumt sie schon einsam hier im Wüstensande.

Von den gewaltigen Stufen bröckelte es heim Besteigen, große Stücke brachen ab und sprangen krachend in die Tiefe. Von ihrem flachen, morschen Gipfel sieht man weit über das ganze Totenfeld von Sakkara. Überall blinken zwischen hoben Schutthaufen weißschimmernde Mauern und gähnen dunkle Löcher im Felsengrunde.

Man hat hier emsig gepaddelt und Wunderwerke längst versunkener Zeiten aus dem Wüstensande auferstehen lassen. Eine endlose Kette von Pyramiden begleitet den Rand der Wüste am Nile entlang, er selbst glänzt silberweiß in breitem grünen Bande, drüben starren rot und braun glühende Felsen in den heißgrauen Himmel.

Wir rutschten und kletterten wieder hinab und liefen einer riesigen Grube zu, die wir von oben entdeckt hatten. Auf seinem wie Wasser rieselnden Sande ging es hinunter, ein niedriges Loch gähnte schwarz aus der Felswand, wir fuhren hinein wie Füchse in ihren Bau.

Drinnen erweiterte sich der Gang, wir zündeten Kerzen an, die wir vorsorglich mitgebracht hatten, und tappten vorsichtig weiter. Rechts und links gab es leere, kleine Kammern. Dann kam eine, die war halb voll schwarzen Zeugs; es sah aus, als hätte es darin gebrannt. Wir wühlten in dem Schutte, ein feiner, beißender Staub stieg auf. Da rief der Architekt:

»Nanu! Guckt mal her!«

Er hatte etwas m der Hand wie eine runde schwarze Schale, von der braune Fetzen herabhingen. Nach längerem Befühlen und Betrachten wurde uns der seltsame Fund klar. Es war der Rest einer Mumie. Jetzt wühlten wir mit doppeltem Eifer und fanden einen Unterschenkel. Er verschwand blitzschnell in meinem Rucksack.

Am Ende eines langen dunklen Nebenganges schimmerte Licht. Wir krochen auf dem Bauche näher und sahen durch ein Loch in einen wohl zwanzig Meter tiefen Schacht hinab. Unter uns gab es noch viele solcher Löcher, die Felsengräber setzen sich wahrscheinlich noch viele Stockwerke tief in die Erde fort.

Auf dem Rückwege verirrten wir uns fast, Fledermäuse schossen aus der Dunkelheit gegen die Gesichter, unter unsern Füßen klang es hohl, und das Echo schallte an den Wänden. Schwarz und verstaubt krabbelten wir endlich blinzelnd wieder zu dem Schlupfloche heraus.

Aber ich fuhr sofort zurück. Oben stand ein Wächter. Mir ward es unbehaglich wegen des gestohlenen Mumienbeines. Ich kam nicht hervor, bis er fort war.

Draußen in dem strahlenden Sonnenscheine und dem frischen Winde der Wüste machten wir erst einmal ein ehrlich verdientes Picknick. Auf dem Spirituskocher wurden Eier gebraten und Tee gekocht.

Der Tiroler lief unterdessen zum Mariettehaus hinüber und holte Billette. In dem Mause wohnte früher der französische Ägyptologe Manette, der hier die ersten Ausgrabungen leitete. Jetzt hausen von der Regierung angestellte Beduinen darin, die Billette zu den Sehenswürdigkeiten verkaufen und aufpassen sollen, daß nichts gestohlen wird. Sie beschäftigen sich aber meistens mit Kaffeetrinken und Zigarettenrauchen, wie mein Mumienbein beweist.

Nach kurzer Rast marschierten wir zu dem Skarabäum hinüber, dem Felsengrahe der heiligen Stiere des Totengottes Ptah.

Zwischen hohen Sandwällen geht es tief hinab bis vor ein eisernes Tor. Ein Wächter schloß auf und führte uns. Brütendheiße Luft schlug uns entgegen. Einen hohen gewölbten Gang ging es fünfzig Schritte weit hinab. Da fiel das Kerzenlicht auf etwas Riesiges, Dunkelschimmerndes mitten im Gange.

Es war ein ungeheurer, vier Meter langer und übermannshoher Sarkophag aus poliertem schwarzen Granit.

Gegen hundert Meter weiter setzte sich der Gang fort; dann kam eine hohe, glatt ausgehauene Halle.

Der Führer zündete Magnesiumlicht an, in tiefschwarzen Schatten gähnten weite, tiefe Grabkammern ringsum, aus jeder schimmerte matt ein Sarkophag von gleichen Dimensionen wie der verlassene in dem Gange.

Wir stiegen die Stufen zu einer der Kammern hinab und betrachteten die Hieroglyphen auf den Granitwänden des Sarges. Schon Mariette hatte die Steinsärge leer gefunden bis auf zwei, die noch die Mumien der Apisstiere enthielten. Die sind jetzt im Museum von Gizeh.

Im Hintergrunde der Kammern waren noch kleine Nischen in die Felsen gehauen. Auf meine Frage erklärte der Führer, daß darin die Diener des heiligen Stieres begraben wurden, wenn er gestorben war. Wenn er gestorben war – also wurden die Diener dann einfach umgebracht; denn der Stier mußte doch auch im Jenseits Bedienung haben!

Welch ungeheure Mühe und Arbeit ist aufgebracht worden, um diese heilig gehaltenen Tiere zu begraben! Schon die Felsengänge, Kammern und Hallen auszuhauen, dann die Bearbeitung der gigantischen Sarkophage aus einem Blocke und der Transport dieser siebenhundert Zentner schweren Ungetüme aus dem fernen Gebirge bis hier herunter in die unterirdischen Gewölbe! Und oben hat noch ein Tempel von sinnberückender Pracht gestanden, der längst in Schutt und Trümmer zerfallen und durch die Jahrtausende in den Sandstürmen der Wüste verweht ist.

Ein eigenartiges Gefühl beschlich uns in dem tiefen, steinernen Schweigen des Felsendoms hier unter der Erde, angesichts der fast übermenschlichen Werke von kolossaler Wucht und Größe, mit denen ein untergegangenes Volk seine Götter ehrte. Leise und wortlos, als wollten wir die vier Jahrtausende nicht wecken, die hier unten schliefen, setzten wir unsern Weg fort. Vierundzwanzig Sarkophage zählten wir in den endlosen Gängen; dann stiegen wir wieder hinauf ans Tageslicht.

Die Sonne stand schon tief und warf unsere Schatten lang und dünn auf den bronzefarbenen Sand; wir mußten uns beeilen.

Ein freundlicher Alter schloß uns die Gittertür am Grabe des Ti auf. Der war der Baumeister der Pharaonen Neferkere und Ra-en-woser aus der fünften Dynastie und baute deren Pyramiden. Das Grabmal war gemauert, und zwar über der Erde. Mariette fand es mit einer vier Meter hohen Sandschicht bedeckt. Diese Last hatte natürlich das Dach eingedrückt, doch die Wände sind erhalten mit all ihren wunderbaren Reliefs, den schönsten, die altägyptische Kunst hervorgebracht hat. Einige der Szenen sind noch mit den ursprünglichen Farben bedeckt, das Rot, Grün und Blau leuchtet noch so frisch, als wäre es erst einige Tage und nicht 4500 Jahre alt. Von oben bis unten sind die Wände mit den Reliefplatten bekleidet. Sie stellen Jagdszenen, Bilder aus dem täglichen Leben und der Göttersage dar. Alles in der steinern-steifen Art wie sie die Ägypter bildeten, fast an die Art von Kindern erinnernd. Und doch ist bei jeder einzelnen Figur das Charakteristische sicher getroffen und zeugt von eingehender Beobachtung des Lebens und der Natur.

In einem besonderen Gemache sitzt eine lebensgroße Statue des Baumeisters selbst, herrlich glänzend in ihren goldenen und bunten Farben.

In der ersten großen Halle fuhren Stufen unter die Erde hinab. Wir wollten hinunter, aber der Führer hatte allerlei Entschuldigungen; er habe keine Kerzen mehr, es sei zu spät usw. Schließlich faßte der alte Knabe Vertrauen zu uns, weil wir ein bißchen Arabisch sprachen, und rückte mit der Wahrheit heraus: es gebe jetzt einen Afrit, einen bösen Geist da unten. Jetzt gab es für uns kein Halten mehr, den Geist wollten wir packen.

Wir zündeten unser eigenes Lichtstümpfchen an und stiegen hinab. Der Moslem kauerte sich oben nieder und schnurrte an seinem Rosenkranz ein Dutzend Koransuren herunter, die gegen Geister und Dämonen helfen. Sechzehn Stufen, dann führte ein schräger Gang abwärts. Er war verteufelt glatt und führte immer steiler und steiler abwärts. Bis in die Mitte ging's, dann verlor einer nach dem anderen den Halt, und in sausender Rutschpartie machten wir eine Art Höllenfahrt.

Das Licht war ausgegangen, und wir fuhren in die Finsternis hinunter. Wo und wie das enden würde, war ich gespannt zu erfahren. »Achtung! Langlegen!« grölte der Tiroler, der den Ersten machte; dann gab's einen Plumps. Ich schlug sofort mit dem Oberkörper zurück, fühlte die Decke dicht über meinem Gesichte hingleiten und machte im nächsten Augenblick denselben Plumps in ein Loch hinab. Es war nicht hoch, und der Boden war sandig; es hatte mir nichts geschadet.

Aber ehe ich mich hochrappeln konnte, kam der Baumeister, nicht der tote, sondern unserer, herabgesaust und fiel mir auf den Kopf. Ich wurde gleich einen Fuß tief in den Sand hineingetrieben und bekam die halbe Sahara in den Mund.

Der Tiroler machte Licht, sein weißes Gesicht glänzte geisterhaft vor einer spiegelnden, schwarzen Marmorwand. Wir suchten unsere Knochen wieder zusammen und besahen den Sarkophag. Er war leer. Als wir still standen, hörten wir einen merkwürdigen, leise heulenden Ton.

Das war der Afrit des alten Scheichs da oben! Wir leuchteten in dem engen Gemache umher und konnten natürlich gar nichts entdecken außer einigen tiefen Löchern in den Wänden, wahrscheinlich wegen der Luftzufuhr angebracht. Vielleicht waren sie früher mit Sand gefüllt und jetzt durch irgendeine Ursache leer geworden, und der durchziehende Luftstrom erzeugte das Heulen.

Eine Viertelstunde lang turnten wir in dem glatten Schachte hoch wie Schornsteinfeger im Kamin und schwitzten wie richtige Höllenbraten, als wir wieder ans Tageslicht kamen.

»Fi Afrit dacht?« (»Gibt's einen Geist unten?«) fragte der Alte.

»Mafisch!« (»Nein«), sagten wir.

»Hamdulillah!« (»Gelobt sei Gott!«) seufzte der Sohn des Propheten erleichtert auf.

Als wir ihm Backschisch geben wollten, geschah ein Wunder: er nahm's nicht an. »Nein, nein, Ihr habt den Afrit vertrieben, es ist gut, ich bin zufrieden.«

»Warum hast du ihn nicht vertrieben?« fragte ich.

»Weil ich ein Moslem bin, ich darf nicht, Ihr seid Ungläubige, Ihr dürft!«

Wir ließen den Moslem mit seiner merkwürdigen Logik allein.

In Glanz und Pracht verglühte der Tag; wie allabendlich flammte der Himmel über der Wüste in unbeschreiblich leuchtenden Tönen, bis auch der letzte farbige Schimmer erloschen war. Dann blinkte eine silberklare Mondsichel auf, die Sterne des Südens funkelten am dunklen Himmel wie Diamanten auf schwarzem Samte. Wir schritten mit wandermüden Beinen und schauensmüden Augen durch dunkle Felder und rauschende Palmenwälder dem Bahnhof zu. Die Frösche sangen ihren tausendstimmigen Nachtgesang, hier und da glühten Beduinenfeuer auf, Hunde bellten in schlafenden Fellahdörfern.

In Bedrauschen aßen wir saure Milch und tranken ein Täßchen Mokka.

Es war noch viel Zeit bis zum Abgange des Zuges; so setzten wir uns am Nile nieder und sahen den leise glucksenden Wellen zu, die in Silberbahnen dem Meere zuzogen, nordwärts, wo unsere ferne Heimat lag.

Unser Architekt begann zu singen; die Töne glitten so träumerisch und weich dahin wie das Wasser vor uns. Noch nie habe ich den Zauber dieses Liedes so empfunden wie hier an den Ufern des uralten heiligen Stromes.

Es war das Lied des Wolfram von Eschenbach aus dem Tannhäuser: »Oh, du mein holder Abendstern«.


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