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Pyramidenzauber

An einem Fünfundvierziggradtage saß ich im Hofe des Philantropic Society Homes in der Sharia Dawawine in Kairo und besah meine Schuhe. Mich reizte die Frage, oh sie einen Marsch nach der Küste aushielten. Das Oberleder war gut, aber auf ein Klopfen antwortete nicht der kräftige Ton einer ehrlichen Ledersohle, sondern es klang recht verdächtig weich und pappig. Ich stellte sie behutsam neben mich und begann eine längere Denkübung.

Daß ich gerade noch sieben Piaster in der Tasche hatte, wußte ich, ohne erst nachzuzählen. Ferner war gewiß, daß ein längeres Arbeitsuchen nur ein frevles Spiel mit meinen Pappsohlen bedeutete. Vor vier Tagen war ich im afrikanischen Paris angekommen und von früh bis abends in jedes Geschäft hineingestürzt, das einen halbwegs europäischen Anstrich hatte.

»Mafisch – es ist nichts, gibt nichts,« sagen die Araber.

Ich sagte es auch.

Kairo lebt von der Fremdenindustrie. Das Material zum Bearbeiten war aber jetzt, gegen Ende September, noch nicht da, weil's noch zu heiß war. Folglich mußte ich, wie schon in einigen andern Ländchen, wieder einmal die Flucht zur Küste und zur rettenden christlichen Seefahrt antreten.

Ich wischte mir den strömenden Schweiß aus dem Gesicht und starrte trübselig auf eine Gruppe schlafender Araber und Katzen, mit denen sich ein Schwarm Fliegen beschäftigte. Das war ein Sinnbild ganz Kairos um diese Zeit. Die Söhne des Propheten rauchten, tranken Kaffee und schliefen und ließen als gute Moslemin Allah walten. Der schickte die Fremden, wenn er wollte. Bis dahin waren nur die Fliegen und die infernalische Hitze wach, und das sehr. Also denn, morgen früh los!

Aber vorher war noch eins zu tun, das, was mich hergetrieben hatte. Dort draußen am Rande der Wüste standen die Pyramiden und die Sphinx, die mußte ich erst sehen. Es sind zwei Wegstunden bis dahin, aber wenn es auch zwanzig gewesen wären, ich wäre hingelaufen. Die Sehnsucht dahin war achtzehn Jahre alt. Sie entstand im Schulzimmer der dritten Klasse, als der Lehrer zur ägyptischen Geschichte das große bunte Bild der Pyramiden hereinbrachte. Einmal dorthin kommen, wo diese stummen Zeugen einer großartigen Vergangenheit standen! Wo die träumenden Augen der Sphinx in die gelbe, brennende Wüste starrten, über die heiße Winde hohe Sandsäulen trieben. Wo Palmenkronen sich wiegten und die Wellen des heiligen Nils silbern blitzten. Wie wenigen meiner Kameraden, die diese Sehnsucht teilten, wird es vergönnt gewesen sein, sie zu erfüllen? Die grauen Wände der Fabriken hatten langst ihre Fernensehnsucht erstickt, die Sklavenketten des Kapitalismus sie an die Maschinen geschmiedet. Mich hatte die Sehnsucht nicht losgelassen, sie hatte mich begleitet über die Ozeane, durch die Steppen, Prärien und Felsengebirge. Jetzt war's am Erfüllen! Ich wollte hin, trotz Pappsohlen und sieben Piaster.

Zehn Minuten später hatte ich bei einem Englisch radebrechenden arabischen Polizisten die Pyramiden-Tramway erfragt und stiefelte los. »Geradeaus, rechts, dann links über den Platz, rechts, dann links usw.« Nach fünf Minuten hatte ich den Kurs verloren, und nach einer halben Stunde hatte ich die Elektrische noch nicht gefunden.

Da kam ein Herr mit krummen Beinen und einer ebensolchen Nase, auf der ein Klemmer balancierte. Auf dem Kopfe einen Zylinder.

»Spaß, ob iach spreche Daitsch!«

»Bitte, wo ist die Pyramiden-Tramway?«

»Wie haißt Pyramiden-Tramway? Wenn Se nix gehen herunter von de Gleise, werden Se werden totgefahren von ihr. Da kommt se!«

»O, ich danke schön!«

Jetzt schleuderte ich meine langen Beine wie ein Reitkamel auf den Gleisen dahin. Fahrgeld hatte ich ja nicht. Die Sonne meinte es außerordentlich gut, ich schwitzte wie im Kohlenbunker. Aber trotzdem ging's im Geschwindmarsch durch die vom bunten, lärmenden Leben des Orients erfüllten Straßen und Gäßchen, immer der Elektrischen nach.

Ich wand mich zwischen emsig trippelnden, glöckchenklingelnden Eselchen durch, die einen würdigen Effendi im roten Tarbusch oder einen bekorkhelmten Fremden trugen, wich Kamelen aus, die, mit förmlichen Schobern von Klee oder Zuckerrohr bepackt, durch die gefährlich engen Gäßchen schwankten, wie Schiffe bei schwerem Seegang. Sie brauchen den Fahrdamm fast für sich allein, und doch hat alles andre auch noch Platz. Trambahn, Wagen, Autos, Esel, Ochsen, Schafe, Radfahrer und Fußgänger, und noch alle die Handwerker, die auf der Straße arbeiten, Schuster, Schneider, Schmiede usw., dazu neunzig Prozent der übrigen Einwohner, die beim Nichtstun an den Tischen der unzähligen Cafés auf dem Damm sitzen. Wo es noch einen zollbreiten Schatten gibt, liegt ein Schlafender oder hockt ein Dienstmann in beschaulicher Ruhe. Bunt, seltsam und fremd ist dieses Straßenleben. Ich wand mich durch, wehrte die Schwärme von Frucht-, Zigaretten-, Ansichtskarten- und Zeitungshändlern, Eseljungen, Droschkenkutschern und Fremdenführern ab, die alle nichts von meinen sieben Piastern wußten, und erreichte schließlich die große Kasr-el-Nil-Brücke. Unten gurgelte der Strom; nicht silbern zwar zog er dahin, sondern schmutziggelb, aber es war der alte, heilige Nil mit seinen Segelbooten, den hochragenden Palmen, freundlichen Villen und weißschimmernden Moscheen an seinen Ufern.

Aber weiter rannte ich, ich hatte achtzehn Jahre gewartet, jetzt wurden mir zwei Stunden zu lang.

Auf der Brücke hatte ich Todesangst um meine Pappsohlen. Die flammende Sonne hatte den Asphalt in einen klebrigen Teig verwandelt. Am Brückenkopf überzeugte ich mich vom Nochvorhandensein meiner Schmerzenskinder und marschierte in die Vorstadt Gezireh hinein.

Hier ist's ganz arabisch. Ruinenhafte Häuser, dazwischen einmal ein Schutthaufen, Bretterhütten, Höhlen und Löcher, in, auf und vor denen halbnackte Kinder und schmutzige Weiber in friedlicher Eintracht mit Hunden, Katzen, Hühnern, Eseln und Schafen wimmeln. Es ist schmutzig und stinkt schauderhaft in diesen Vierteln.

Dann ging's wieder über eine Brücke, die mich belehrte, daß Gezireh eine Insel ist, und ich stand vor der großen Pyramidenstraße.

Hier hatte ich noch einen harten Strauß mit einigen Droschkenkutschern und Eseljungen auszufechten, denen es ein Greuel war, daß ein gutgekleideter »Effendi« den weiten Weg zu Fuß machen wollte.

Einer begleitete mich wohl eine Viertelstunde weit und sang eine wahre Hymne auf sein Grautier. Es war ein Versuch am ungeeigneten Objekt. Vor mir leuchtete das tiefe, satte Grün der Felder. Das Wasser der unzähligen Kanäle blitzte im Sonnenschein, Mais- und Zuckerrohrfelder rauschten im Winde, aus andern mit Wasser bedeckten Flächen sah der Reis mit grünen Spitzchen hervor. Vereinzelte Palmen in der weiten, lachenden Ebene, aus Nilschlamm geklitschte, braune Fellachendörfer und hohe, hölzerne Schöpfräder, Modell 4000 v. Chr., gaben der Landschaft ihr typisch ägyptisches Gepräge. In den Kanälen standen Kühe und Büffel unbeweglich, und freuten sich über ihre neue Schlammkruste, die sie vor den Fliegen schützte. Enten und Gänse, behütet von nackten Fellahkindern, machten Tauchübungen. Kamele und Esel, auch einmal Kamel und Fellahfrau, zogen den urzeitlichen hölzernen Pflug über den schwarzen, unerschöpflich reichen Boden. Ueber dem ganzen freundlichen Bilde lachte ein prächtiger, tiefblauer Himmel, und ich lachte mit und schritt mutig aus, dem Ziele meiner Sehnsucht zu.

Es ist ein angenehmes Laufen im Schatten dieser großen alten Lebbachbäume. Links neben der Straße saust die Pyramiden-Elektrische auf ihrem Bahnkörper dahin, auf der Straße selbst herrscht ein buntes, reges Leben. Equipagen, mit wundervollen arabischen Pferden bespannt, rollen vorüber, hochbeladene Kamele schunkeln in ihrem gemütlichen Paßgang dahin, auf kleinen Eseln reiten Fellahbauern, vor sich einen Korb mit Feldfrüchten, hinter sich oftmals noch einen Jungen. Dann die Frauen der ganz Armen, einen Korb mit Eiern oder Butter auf dem Kopfe, einen Sprößling im Brusttuche oder rittlings auf der Achsel, einen andern an der Hand. Harte Arbeit, schmale Kost und die im Islam wurzelnde schlechte Behandlung von Seiten ihrer Männer beugen die zierlichen, schlanken Gestalten vorzeitig und machen den Blick ihrer großen, dunklen Augen in den sanften Gesichtern stumpf und matt »Die Fellahfrau trägt auf beiden Schultern das Elend, und auf der einen noch das Kind,« sagt das arabische Sprichwort und hat sehr recht.

Hinter mir lag Kairo. Funkelnder Sonnenschein lag auf den weißen Häusermassen, die Kuppeln der Moscheen blitzten, und hoch über der Stadt schimmerten die Mauern der Zitadelle in goldenem Bronzeton. Weiter ging's, ich passierte an der Straße ein Schloß des Vizekönigs, etwas weiter hinauf lag das Grabmal eines Marabuts, eines mohammedanischen Heiligen. Im Grün versteckt lag es einsam träumend. Seine weißen Mauern und die rote Kuppel leuchteten zwischen Palmen und Sykomoren hervor. Hier muß es sich gut schlafen, nach mühseliger Erdenwanderung.

Von hier ab ging die Straße schnurgeradeaus, und dahinten am Rande der langen dunkelgrünen Baumreihe standen die Pyramiden! Noch hing der bläuliche Schimmer der Ferne um ihre riesigen Formen, über der Spitze der großen Cheopspyramide stand die Sonne und vergoldete ihren Gipfel. Es war noch weit und nicht mehr lange Tag. So schritt ich denn noch rascher aus, unbekümmert um das fremdartige Leben auf der Straße, den Blick auf die riesigen Dreiecke am Horizont und die rasch sinkende Sonne hin gerichtet. So greifbar nahe standen die Kolosse, und doch erreichte ich sie nicht.

Da winselte plötzlich eine Stimme aus dem Graben rechts an der Straße. Oben stand ein Araber mit einem Esel und lachte hinunter. Ich wollte vorüber, aber plötzlich verstand ich einige Worte, die mich doch festhielten.

»Awwer nee, goddverdimmich, das is doch ä bißchen schdarg. Ich gumme wahrhaftig nich widder hoch. Ach, schbrechen Sie vieelleicht Deitsch, bester Herr?«

Da unten krabbelte ein Männchen auf allen vieren herum. Er trug eine Staubbrille und hatte eine unbedeckte Glatze und bemühte sich vergebens, wieder auf zwei Beine zu kommen.

»Was ist los? Sprichst du Englisch? Warum hilfst du dem Herrn nicht?« schnauzte ich den Eseljungen an.

»Well, Sir, ihm sehr viel besoffen und fallen zehn Male herunter, nicht von mein Esel, sondern von anderes Boy seins, was ist fort nun. Ihm besser schlafen ein bißchen, bei so besoffen nix reiten. Ich komme wieder nach kleine Zeit.«

Der Kerl sprang wirklich auf seinen Esel und galoppierte fort, und unten winselte mein unglückseliger Landsmann. Er machte ganz merkwürdige Bewegungen, ungefähr wie eine Schildkröte die auf den Rücken gefallen ist. Ich stieg hinunter und half ihm auf.

»Ach du griene Neine, is das ä Jammer, wenn m'r nischt verdragen gann. Ich hawwe da ohm im Männehause änne Bulle Wein gedrunken, un nu hamm'r de Bescherung. Ich war so endziggt von den Biramiden. Mei Eseljunge, das Schindluder, is mir ooch fortgeloofen, jezd muß ich Se als Landsmann schonn bitten, daß Se mir widder in de Schdadd nein helfen, Se sin doch so freindlich, nich?«

Die ganze komische Figur, die weinerliche Stimme und mein lange nicht gehörter, heimatlicher Dialekt hier im ägyptischen Straßengraben, das alles auf einmal war fast zu viel, um den Ernst bewahren zu können. Aber ich wollte ihn nicht kränken und verbiß mir das Lachen. Er stand kaum, als er auch schon wieder zusammensank. Oben standen mehrere Araber und sahen lachend uns beiden zu. Schließlich brachte ich ihn aber doch hinauf, stülpte ihm den verlorenen Korkhelm auf, wandte sein Angesicht gen Kairo und setzte ihn durch einen gelinden Schubs in Bewegung, ungefähr, wie man einen Motor erst ankurbeln muß, ehe er läuft. Und siehe da, einmal in Bewegung, ging das Laufen ganz leidlich. Er steuerte in einer sanften Schlangenlinie der Stadt zu. Hoffentlich ist er in keinen Nilkanal gefallen.

Weiter rannte ich, denn die Sonne sank rasch, schon flammte der Wüstenstreifen am Horizonte in rotbraunem Feuer, durch die Gewässer zogen Purpurbahnen, und vor mir türmten sich die gewaltigen Bauwerke, glühten in einem tiefen, blauvioletten Lichte, wie von innen heraus erleuchtet, geheimnisvoll und zauberhaft, wie magische Zeichen, von Urweltriesenfäusten an den Horizont geschrieben.

Da begann ich einen Wettlauf mit der Sonne. In langen Sätzen sauste ich unter den Bäumen dahin. Hinauf, ehe die Sonne sank! Denn morgen mußte ich fort und kam nie wieder! Mit gesenktem Kopfe fegte ich an den Menschen und Tieren vorüber, unbekümmert um alles. Wollte denn die endlose Baumreihe nie aufhören?

Da war die Straße plötzlich zu Ende. An dem schon hell erleuchteten Menahouse-Hotel vorbei stürmte ich die steil aufsteigende Rampe hinauf. Und als ich den Fuß auf das Felsplateau setzte, rückte die ungeheure rotglühende Scheibe unter den Horizont, ein purpurglühendes Leuchten flog um den verwitterten Gipfel der Cheopspyramide, tauchte ihn in Blut und Feuer, klomm blitzschnell hoch am letzten Sterne und verflog in dem dunkler und dunkler werdenden tiefen Blau des Himmels. Vom Osten kroch die Nacht herauf und warf neidisch ihren dunkeln Mantel über die Riesen.

Ich stand und schaute, stumm und starr, überwältigt von der ungeheuren, wuchtig ernsten Größe dieser Bauten und der nie geschauten Schönheit dieser Farben. Eine Minute nur hatte ich sie gesehen, aber dafür im Prunkgewande des Sonnenuntergangs. Ein uralter, geheimnisvoller Hauch wehte mit dem ersten Raunen des Abendwinds von ihren dunkeltürmenden Massen herüber. Dann zündete der Himmel hunderttausend weiße, blitzende Lampen an. Ihr Licht glitt an den stummen Kolossen hernieder, wehte um das verstümmelte Haupt der Sphinx und flog hinaus in die unendlichen, schweigenden Einöden der Wüste. Schimmernd, sternenglanzüberwoben streckten sich die verdursteten, in Todesruhe erstarrten Flächen unter dem funkelnden Himmel.

Ich war allein hier oben und war froh darüber. Die Tagestouristen waren längst heim, und für Mondscheinbesucher war's noch zu früh. So setzte ich mich auf einen der Blöcke, die verfluchte Hände von der Verkleidung des Cheopsriesen herabgerissen haben, und träumte eine knappe Weile. Von ameisengleich wimmelnden Sklavenscharen, die Steine schleppten und türmten, harten, finstern Aufsehern mit Nilpferdpeitschen, hieroglyphenmützigen Isispriestern in weißen, wallenden Gewändern und dem in steinerner Ruhe lächelnden, kupferrötlichen Gesicht des Pharaos Chefren mit der goldenen Königsschlange um die Stirn und dem heiligen Skarabäus auf der Brust. Ein Traum, der, viertausend Jahre zurück, einmal Wirklichkeit war.

Da stapften Schritte im Sande. Ein Araber kam, blieb vor mir stehen und brannte sich eine Zigarette an. Beim Schein des Zündholzes sah er mich.

»Good evening! Do you speak english, Sir? Brauchen Sie einen Führer? Ich bin konzessioniert. Hier meine Nummer, siebenundvierzig. Ich stelle Sie zufrieden und mache es billig!«

»Well, mein Junge,« sagte ich ruhig, »ich gebe dir den guten Rat, deine Zeit nicht mit mir zu verlieren. Ich bin kein Tourist, sondern ein armer Teufel und besitze genau sieben Piaster. Die brauche ich morgen, um Brot zu kaufen. Es ist also durchaus kein Geschäft mit mir zu machen.«

»Sir, ich führe Sie für drei Schilling. Sie sollen alles sehen. Ich werde –«

»Stop, ich sagte dir schon, daß ich keine drei Schilling habe. Die Sache ist für mich erledigt. Jetzt geh, bitte,« sagte ich kurz und wandte mich ab.

Aber er ließ sich nicht so leicht abschütteln.

»Sir, hier oben gibt's abends allerlei Gesindel. Man wird Sie belästigen, ich wäre auch mit zwei Schilling zufrieden!«

»Jetzt sage ich dir mein letztes Wort,« antwortete ich ärgerlich, »ich habe hier einen französischen Frank, den sollst du haben, keinen Milliem mehr. Bist du einverstanden? Aber keine lange Rede, sondern Ja oder Nein.«

»Es ist kein Geschäft,« brummte er, »aber ja. Come on!«

Jetzt begann im Finstern eine Sandwaterei und Steinkletterei, die durchaus nicht angenehm war. Er erklärte mir die Bauart der Pyramiden, ihr Alter und ihre Erbauer, zeigte mir den aus dem Sande gegrabenen Sphinxtempel, allerdings nur von oben, und führte mich dann an die Sphinx. Meinen eigenen Gedanken nachzuhängen, blieb mir bei seinem Wortschwall nicht Zeit. Manches, was er mir sagte, war mir doch noch unbekannt; einen Frank war es immerhin wert.

Schließlich waren wir ringsherum gelaufen, aber ich hatte nicht viel gesehen, dafür sorgte die Dunkelheit. Da fragte er unvermittelt:

»Sind Sie Amerikaner, Sir?«

»Nein, Deutscher.« »O, das freut mich sehr. Ich habe vor drei Jahren einen Deutschen geführt; er hat sehr gut bezahlt und schickt mir jedes Jahr ein Geschenk und schreibt oft. Er heißt Haintis.«

»Wie?« fragte ich. »Haintis.«

Ein merkwürdiger Name für einen Deutschen.

»Darf ich Sie zu einer Tasse Kaffee einladen in meines Vaters Hause? Wir wohnen dort unten in Kafr el Harram (Dorf der Pyramiden).«

Ich nahm an und stieg mit ihm hinunter. Es waren ungefähr einhundert flachdächige Häuser und Hütten, die meisten aus Nilschlamm, einige auch aus Ziegeln und Steintrümmern gebaut. Im allgemeinen waren sie aber doch sauberer und freundlicher als die Fellahdörfer. Vor allen Dingen fehlte der gewöhnliche Schwarm nackter Kinder mit dem Kriegsrufe »Backschisch«!

Ich fragte meinen Begleiter deswegen. Da richtete sich der junge Mann stolz auf.

»Was denken Sie, Herr! Wir sind keine Fellachen; wir sind aus Algier eingewanderte Beduinen.«

Oho, jetzt betrachtete ich den Jüngling schon mit ganz andern Augen: Ein Beduine! Jugendphantasien tauchten vor mir auf.

Es ging durch winklige Gassen. Einmal fiel ich über ein liegendes Kamel. Dann und wann streifte ein weißgekleideter Mann an uns vorüber.

»Salem aleikum!« grüßte er halblaut meinen Begleiter.

»Aleikum salem!« dankte er. Ich erhielt einen forschenden Blick aus blitzenden Augen und ein kurzes »Saida« und dankte mit demselben Worte.

Dann blieb mein Führer vor einem handtuchbreiten Türchen stehen und klopfte. Ein kleines Mädchen öffnete. Einige arabische Worte, sie verneigte sich tief, legte die rechte Hand an Augen, Mund und Brust und sagte: »Saida, Effendi.« Sie schloß die Türe und verschwand im Hause.

Es ging eine Steintreppe hinauf, aufs Dach. Gegen die Sonne des Tages und den Tau der Nacht war ein Teppich gespannt, auf dem Boden lagen Binsenmatten, alles sehr sauber. Er brachte aus einem Verschlage einen Stuhl, aber ich hatte mich schon auf die Matten gehockt. Er machte verwunderte Augen und lächelte wohlgefällig, sagte aber nichts. Wenn man unter Arabern ist, muß man tun wie die Araber tun.

Dann hockte er sich mir gegenüber, drehte Zigaretten aus einem schönen, langgeschnittenen, goldgelben persischen Tabak und gab sie mir. Seine kleine Schwester brachte arabischen Kaffee in fingerhutgroßen Porzellantäßchen. Es war schon mehr ein dicker süßer Kaffeesatz, aber von herrlichem Wohlgeschmack. Dann kamen wundervolle frische Datteln, dann wieder Kaffee und Zigaretten. Ich kam mir vor wie im Schlaraffenlande und ließ mich nicht lange nötigen. Wußte auch schon aus Reisebeschreibungen, was bei diesen Leuten Gastfreundschaft heißt, und daß man nichts Angebotenes ausschlagen darf. Dabei unterhielten wir uns vorzüglich. Er war wißbegierig, wollte über europäische Verhältnisse, besonders über deutsche, etwas hören. Schließlich brachte er einen Brief von seinem Freunde. Der hieß allerdings Heinz; das klang weniger japanisch als Haintis.

Ich wollte schon nach seinem Vater fragen; da kam er selbst. Ein alter Graubart mit lebhaften, ein wenig listig blickenden Augen und fast schwarzer Gesichtsfarbe, auf ein Stück Zuckerrohr als Spazierstock gestützt. Er fragte mich in gutem Englisch zwölfmal nach meinem Befinden, ich dankte ebenso viele Male und fragte nach dem seinigen.

»Willst du etwas essen?«

»O, ich danke, aber ich habe schon –«

»Ja salam! Das ist nichts! Gib mir die Ehre!« Er klatschte in die Hände.

Im Nu stand gebratenes Hammelfleisch und Reis mit Rosinen auf der Matte. Dann wieder Datteln, Weintrauben und Brot. Schließlich brachte das kleine Mädchen noch drei Tücher und drei kleine Messingnäpfe mit Wasser. Ich Greenhorn hielt's für Servietten und Trinkwasser. Ein Glück, daß ich's nicht als das benutzte.

Ich erhielt Messer und Gabel, die beiden aßen mit den Händen. Der Alte interessierte sich für Politik; er schimpfte auf die Engländer, am meisten auf die Italiener, wegen Tripolis, und sagte, daß er das Ende des Krieges nicht erleben würde, und er hoffe, noch sehr alt zu werden. Sein Sohn sprach kein Wort dazwischen.

Dann wuschen sie sich die Zähne und die Hände und trockneten sich an den Tüchern ab. Ich tat das gleiche, würdevoll und selbstverständlich.

Schließlich gab's nochmals Kaffee und einen Vorrat von fünfzig Zigaretten. Sie drehten sie gemeinschaftlich und blitzschnell. Als der Alte erfuhr, daß ich Matrose war, mußte ich ihm von den großen Passagierdampfern und ihren Einrichtungen erzählen. Sie waren ganz Ohr und wollten immer mehr wissen. So verging die Zeit.

Plötzlich fuhr ich hoch. Rief da doch wahrhaftig hier in einem Beduinenhause eine Schwarzwälder Uhr zwölf mal Kuckuck!

»Ja,« lachte der Alte, »Haintis Effendi hat sie geschickt.«

»Aber ich muß nun gehen, die Stadt ist weit.«

»Nein,« sagte er schnell, »ich bitte dich, bleib über Nacht hier. Die Tramway fährt nicht mehr.«

Ich klärte ihn darüber auf, daß die nur für Leute sei, die besser situiert daständen als ich, und daß ich hergelaufen war und auch wieder zurücklaufen wollte. Da fiel der Beduine aus einem Erstaunen ins andre.

»Gelaufen, gelaufen? Ja salam, ja Rabuna!«

Er war in seinem Leben noch nicht eine Viertelstunde weit gelaufen. Seiner Meinung nach hatte der Mensch die Beine, um sie über ein Pferd oder Kamel zu hängen. Und daß ich so wenig Geld hatte! Er sprach einige Worte mit seinem Sohne, der nickte und legte mir den Frank wieder hin. Ich protestierte, aber ich mußte ihn zurücknehmen und auch versprechen, dazubleiben.

Dann stand der Alte auf, wünschte mir gute Nacht und murmelte einige Worte in seiner Sprache über mich. Er ging hinunter, kam aber gleich wieder herauf, mit einem Kästchen unter dem Arme.

»Ich habe von der Regierung die Erlaubnis, nach Altertümern zu graben. Ich handle damit. Hier nimm einiges als Andenken. Alles, was ich dir gebe, kannst du in Kairo für drei Piaster auf der Straße kaufen. Nur mit dem Unterschiede, jenes ist »made in England«, das aber hier ist echt. Von mir selbst gefunden, draußen bei Sakkaras Stufenpyramide.«

Er kramte einige Stücke altägyptisches Geld, eine Tonfigur, Cheops darstellend, und einen braunen, tönernen Skarabäus mit Hieroglyphen auf der Rückseite aus. Eine große Holzmaske schlug ich aus, sie war zu schwer zum Schleppen; ich bat statt dessen um einen sehr niedlichen kleinen Skarabäus von blauer Farbe.

»Diese haben, wenn sie echt sind, einen Wert von einem Pfund das Stück. Aber wenn du den gerade haben willst, nimm ihn!« sagte er lachend und schob ihn mir in die Tasche.

Er wehrte alles ab und fragte mich, ob ich einen Derwisch beim Gebetstanz sehen wollte. Den wollte ich allerdings sehen. So wünschte er mir gute Nacht, und ich ging mit seinem Sohne nach einem großen unbewohnten Hause an einem Platze mitten im Dorfe.

Hier waren sämtliche erwachsene Männer des Dorfes versammelt. In dem einzigen Raume des Hauses lag ein großer Teppich. Zwei Reihen Männer standen darin. Zwischen den Reihen am Ende derselben stand ein Derwisch mit grünem Turban. Der sang mit monotoner, näselnder Stimme Koranverse und klatschte dazu im Takte in die Hände. Die Männer warfen im gleichen Takte die Oberkörper unaufhörlich links und rechts, und bei jeder Bewegung keuchten sie mit dumpfer Stimme ein »Allah«. Unaufhörlich ging das, bald langsam und feierlich, bald rasend schnell und leidenschaftlich, wie der Derwisch klatschte. Manchmal hob er seine Stimme zu schrillem Kreischen, die Körper der Tanzenden flogen blitzschnell herüber und hinüber; »Allallallallah!«. heulte einer in Ekstase auf, ein andrer brach zusammen, schlug lang hin. Die an den Wänden stehenden Zuschauer zogen ihn aus der Reihe, er lag einige Augenblicke röchelnd da, sprang bald wieder auf und reihte sich wieder ein. Ich stand draußen am offenen Fenster und sah dem fremden, eigenartigen Schauspiele zu. Um mich herum drängten sich andre Bewohner des Dorfes. Sie waren alle sehr freundlich; alle sprachen Englisch, denn alle sind professionelle Fremdenführer.

Länger als eine Stunde sah ich zu. Dann kam mein Freund heraus. Er keuchte und sah bleich aus, aber seine Augen glänzten in einem seltsamen Feuer.

»Hat es dir gefallen? Well, come on, du sollst die Sphinx noch einmal im Mondschein sehen!«

Ich war dabei, und wir stiegen hinauf. Vor dem ungeheuren Steinbilde setzten wir uns in den Sand. Er rauchte und schaute schweigend in die leeren und doch so sprechenden Augen des Götterbildes. Mildes, weißes Mondlicht floß um das gewaltige Haupt und die steinernen Züge. Sie schaut hinaus in die Einöde und lächelt, es ist ein fast schmerzliches, undefinierbares Lächeln. Sie hat Jahrtausende überdauert, sah Reiche und Religionen entstehen, blühen und untergehen und lächelt, lächelt ...

Ich verbrachte eine gute Nacht auf einem Teppichlager. Früh nahm ich mit herzlichem Dank Abschied von dem Alten, ich versprach ihm zu schreiben und ging, begleitet von seinem Sohne und einigen andern Beduinen zur Elektrischen. Ich wollte mit dem Frank bezahlen, aber Osmar litt es nicht und löste mir ein Billett. Ich mußte ihm in die Hand versprechen, zu schreiben, und fragte, was ich ihnen für ein Gegengeschenk machen könnte.

»Well, wenn du durchaus willst, so schicke mir und meinem Vater eine Taschenuhr. Und wenn du doch in Ägypten bleibst und kommst einmal in Not, so komm zu uns. Die Tür von meines Vaters Hause steht für dich immer offen!«

Er küßte mich zum Abschiede, dann rollte der Wagen fort. Wir winkten uns noch lange zu, dann verschwanden ihre Gestalten und die Pyramiden in der Ferne. Ich wußte, daß ich dort draußen Freunde fürs Leben gefunden hatte.


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