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Nächtlicher Spuk

Über die dunkelgrünen Maisfelder wehte warme Abendluft. Aus einem Tümpel erklang das tiefe, dröhnende Quaken eines Ochsenfrosches, und aus Feld und Wald stieg ein bläulicher Hauch von Erde, Morast und Wasser und ungeheurer Fruchtbarkeit.

Unter einer großen alten Korkeiche lagen zwei Tramps und knurrten sich gegenseitig an wie hungrige Tiger. Sie hatten jugendliche, verwegene und verhungerte Gesichter und sahen ziemlich heruntergekommen und verwildert aus.

»Ich hab's gleich gesagt, diese Nigger gehen uns keine Brotrinde. Wir konnten auf den Güterzug springen und mit nach St. Louis fahren. Aber du wußtest ja wieder alles besser«.

»Wärest du doch mit dem Güterzuge gefahren!« brummte der andere.

»Allein?« fragte sein Gefährte ganz erstaunt

Der andere sah ihn schweigend an, diese Anhänglichkeit die sich ein Alleinfahren gar nicht ausdenken konnte, rührte ihn.

»Heiliger Nepomuk, hab ich 'nen Hunger,« winselte sein Kamerad und kaute mit hochgezogenen Lippen an einem halbreifen Maiskolben.

»Halt's Maul mit deinem Lamentieren, davon wirst du auch nicht satt«

»Weiß ich, du altes Rauhbein. Aber verdamm' die knickerigen Niggerseelen in dieser sogenannten Stadt. Ich habe meine Hälfte gewissenhaft abgegrast und kein elendes Biskuit gekriegt«

»Ja, sie sind zäh wie ein alter Stiefelschaft,« brummte sein Gefährte und spuckte grimmig aus.

»Da war eine dreizentrige Niggerin da drüben auf der Tomatenfarm,« erzählte sein Kamerad und zeigte auf ein paar erleuchtete Fenster in den dunklen Feldern, »sie schlachtete gerade einen Truthahn zum Abendbrot, und auf dem Tische standen Brot und Schinken und Marmelade, daß es mir gleich ganz schlecht vor Hunger wurde.

»Es ist nichts fertig,« sagte der alte Schwabbelbauch und nahm wahrhaftig gleich ein kleines, schwarzes, verschrumpeltes Ding aus dem Schürzenlatz. Es war wahrscheinlich ein Totenfinger, ein Talisman. Sie dachte, ich könnte einen Raubanfall auf sie begehen.« Er lachte hell auf.

»Ja, abergläubisch ist die Bande, daß es einen dauern könnte. Das ist ja hier die Gegend, wo voriges Jahr, als die beiden Kreuzer den Strom heraufdampften und nachts die Ufer mit ihren Scheinwerfern beleuchteten, die schwarze Bevölkerung aus sämtlichen Dörfern ausriß. Eine alte Frau schrie: »Das ist das jüngste Gericht!« und fiel tot um; vor Schreck hatte sie der Schlag getroffen. Sollte sich denn eine Dummheit, wie sie hier ins Kraut schießt, nicht ausnützen lassen, um zu einem Abendbrote zu kommen ...« sagte der Gefährte nachdenklich und rieb sich sein unrasiertes Kinn.

»Hm, ja; hast du schon eine Idee?« fragte sein Kamerad eifrig und machte Augen wie ein Wolf. »Strenge mal dein struppiges Haupt ein bißchen an.«

»Rede du ja nicht von Struppigkeit und so weiter. Ich kann dir versichern, wenn dich ein Polizeirichter der östlichen Staaten in deinem Aufzuge sähe, er würde dich schon rein gefühlsmäßig zu neunundneunzig Tagen verdonnern,« gab der andere giftig zurück.

Sein Kamerad lachte leise und ungerührt und beobachtete gespannt das nachdenkliche Gesicht des anderen.

»Du, Heinrich, hast du das Stückchen Kreide noch?« fuhr der plötzlich hoch.

»Ich weiß nicht ... ja, hier ist's, Und ...?«

»Wart's ab! Komm', zeig' mir mal die Tomatenfarm. Ich habe einen Gedanken.«

Eilig liefen die beiden würdigen Kameraden durch die Maisfelder. An dem niedrigen, halb umgesunkenen Zaune der Farm machten sie Halt.

»Leise, Hans, es ist ein Hundevieh da.«

»Warte mal hier. Ich will erst das Terrain auskundschaften,« sagte Hans und stieg vorsichtig über den knackenden Zaun.

Nach zehn Minuten kam er zurück und rieb sich lachend die Hände.

»Jetzt halte still, ich will dir dein edles Antlitz bemalen.«

Sein Kamerad ließ sich grinsend beschmieren.

»So,« sagte Hans und bog den Kopf prüfend zurück, »wenn jetzt nicht jeder Nigger Louisianas hei deinem Anblicke schwört, er habe den Geist seines Großvaters gesehen, will ich heute noch gehangen werden. Nun paß auf, du Sohn eines Narren: du stellst dich an das kleine Fensterchen dort, wo nur ein Vorhang und keine Scheibe ist, und verhältst dich ruhig. Ich steige auf das Dach und brülle irgendeinen Blödsinn in den Schornstein. Im selben Augenblicke schiebst du deinen Dickschädel durchs Fenster und brummst und stöhnst wie eine kranke Kuh. Ich denke, das, sowie die liebliche Stimme aus der Höhe werden genug sein, um sämtliche Söhne Hams aus dieser noblen Villa hinauszujagen. Wenn sie fort sind, springst du sofort hinein, packst den Truthahn und die Schüssel mit dem Brote und kommst hier an den Zaun. Ich erwarte dich hier. Es muß natürlich fix gehen; denn wenn sich die Nigger nach dem ersten Schreck besinnen, nehmen sie vielleicht ein paar Zaunknüppel und kommen zurück, um die Geister zu besehen. Sind wir dann noch nicht mit der Beute fort, so sind wir in den nächsten fünf Minuten die beiden verprügeltsten Geister der Vereinigten Staaten. Hast du alles gut verstanden?«

Der andere lachte. »Ja, komm' schnell, sonst futtern sie unterdessen den Truthahn auf.«

Die beiden Kumpane schlichen an das Haus heran. Es war niedrig und verwahrlost wie alle Niggerhäuser.

»Hoffentlich breche ich nicht durch; das Dach scheint morsch wie Pfefferkuchen zu sein,« brummte Hans mißtrauisch.

»Schmiere dir nicht in der Visage herum,« zischte er plötzlich wütend seinen Spießgesellen an, »sonst denken sie, du bist ein Zebra und kein Geist.«

Dann stieg er vorsichtig auf den Hühnerstall. Eine Latte krachte, und ein Huhn gackerte unruhig. Heinrich fuhr aufgeregt mit den Händen in der Luft herum.

Beide lauschten einen Augenblick; aus dem Hause tönte das Klappern von Geschirr und undeutliche Stimmen. Hans turnte auf allen Vieren höher, seine Gestalt sah gegen den Nachthimmel wie die eines riesigen Affen aus. Oben richtete er sich langsam am Schornsteine auf, holte tief Atem und bückte sich hinein.

Er hatte sich aber ein bißchen zu fest daran gelehnt, plötzlich brach der Ziegelkranz ab und polterte krachend in die Esse.

Heinrich am Fenster machte einen gewaltigen, erschrockenen Satz rückwärts wie ein Ochsenfrosch und starrte entsetzt auf das Dach. Doch sein Gefährte faßte sich im Augenblicke und schrie mit fürchterlicher Stimme: »Nebukadnezar Sardanapal!« in die Esse.

Ein furchtbares Rumoren begann im Hause; ein paar Stimmen schrien gellend. Heinrich besann sich auf seine Pflicht und fuhr in einem Schusse gleich mit halbem Körper durchs Fenster.

Das Gebrüll, das er jetzt erhob, klang erstaunlich echt; er war sich nicht sicher, in der nächsten Sekunde statt des erhofften Abendbrotes einen Stuhl über den Schädel gehauen zu bekommen. Mit vor Angst weit aufgerissenen Augen sah er sich im Zimmer um, bereit, sofort zurückzufahren. Doch es war niemand mehr drin.

Von draußen klang eine Stimme:

»Himmlischer Heiland, sei mit mir!« und das Getrappel von Schritten, die in die Nacht rasten. Drin quoll eine Rauchwolke aus dem Ofen.

»So mach' doch, daß du hineinkommst, du langweiliger Idiot!« schrie Hans mit unterdrückter Stimme vom Dache. Doch der Idiot kam aus dem Lachen nicht heraus, und das Fenster zwängte ihn ein.

Hans rutschte blitzschnell herab, trat im Vorbeilaufen seinem Gefährten in den Rücken und rannte ins Haus. Er riß den halben Truthahn aus der Pfanne, stopfte sich schnell die Taschen voll Maisbrot und sprang draußen mit einem Satze über den Zaun und in das Maisfeld.

Heinrich war endlich aus dem Fensterrahmen; er lauschte eine Sekunde und stürzte auch hinein. Er erwischte noch ein Truthahnbein von einem Teller, eine Glasbüchse mit Marmelade und einen Maiskuchen.

Als er aus der Tür sauste, fuhr ihm ein kläffender kleiner Hund zwischen die Beine. Es war einer jener dürren Niggerhunde, die hauptsächlich mit Prügeln und Fußtritten ernährt werden. Er schüttelte ihn ab und stieg auf den Zaun. Doch der Hund packte ihn beim Hosenhoden und zerrte wütend daran. Es krachte und riß dahinten, und er kam nicht über den Zaun. Das Truthahnbein und die Marmelade wollte er nicht loslassen. Da erleuchtete ihn ein Gedanke.

Er hielt mit der freien Hand den Maiskuchen an die gefährdete Stelle. Der Hund schnupperte an dem warmen Kuchen, nahm den fettigen Bissen und ließ die trockene Hose los. Er verzehrte ihn noch leise knurrend, und der Tramp brach durch die hohen Maisstauden seinem Spießgesellen nach. Ein weißes Hemdzipfelchen leuchtete aus der zerrissenen Hose, als er mit der Beute durch die Dunkelheit rannte.

Unter der Korkeiche trafen sich die beiden Ehrenmänner und aßen Truthahn und Maiskuchen.

Da erscholl fernes Geheul aus der Nacht.

»Aha, die Hasenfüße sind zurückgekommen und prügeln nun den Hund.«

»Ja, auf dieser Welt bekommt immer der Unschuldige die Prügel,« sagte Hans und wischte sich den fettigen Mund ab.


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