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Sechstes Kapitel.
Häßlichkeit und Entartung.

Teufelsschönheit. – Fehlende Kraft. – Muskelschwund. – Die schönen Arme der Königin Olga. – Verkümmerung und Perversität. – Geschlechtskalte Ehefrauen. – Entartungsmerkmale. – Fliehende Reize. – Kurzer Hals.


Ein alter Spruch lautet: »Schönheit vergeht, Häßlichkeit besteht.« Aber es gab in unserer Heimat eine Zeit, als auch die Frauenschönheit Bestand hatte. So unterschied Karl Gutzkow noch in seinem »Zauberer von Rom« (um 1860) zwei Arten deutscher Blondinen. Die einen blühten wie ein flüchtiger Maientag und welkten dann schnell; ihnen war nur die Schönheit eigen, die angeblich jedes junge Mädchen einen Tag in ihrem Leben zeigt, jene Teufelsschönheit, die nichts Dämonisches an sich hat, sondern die so rasch »der Teufel holt«. Die andern hingegen seien die »Dauerblondinen«, die siegreich dem Wandel der Zeiten trotzten, durch kein Kindbett, keine Nachtwachen, keine Mühen zu erschöpfen, und uns als Großmütter wohl etwas üppiger in den Formen, doch immer noch begehrenswert in frischer Anmut oder, wie die Alten das nannten, »im Gürtel der Venus« entgegenträten. Dies war einst der den deutschen Frauen eigentümliche Reiz neben den so schnell in ihren Zügen hartwerdenden oder ganz auseinandergehenden Südländerinnen. Doch wie selten sind solche Dauerblondinen unter uns geworden, wieviel häufiger ist jene vergängliche, die nach einer einzigen Anforderung schon zusammenbricht oder gar den selbstverständlichsten ehelichen Pflichten nicht gewachsen ist.

Den Verliebten mag wohl ein hübsches Gesicht über manchen körperlichen Mangel hinwegtäuschen; den Biologen müssen solche Mängel stets zu unbedingter Ablehnung führen. Er wird keine zu strengen Forderungen in bezug auf Regelmäßigkeit stellen, wo er Gesundheit und Frische bemerkt; dagegen erblickt er in fehlender Kraft die wahre Häßlichkeit. Keinen besonderen Wert legt er auf den Schönheitskanon. Denn wer einen solchen – sei er nun von Lysippos, von Dürer oder Sargent – im Kopfe hat, wird stets geneigt sein, mit dem Zollstock nach der nötigen »Symmetrie« zu fahnden, und auf diese Weise womöglich dahin gelangen, die Note eins an ein schwächliches Exemplar der Gattung ohne Rundung und ohne Saft zu vergeben, nur weil er hier die einzelnen Gliederabstände dem Kanon gemäß gefunden hat. Allein die schöne Madame Tallien, die durch ihren entschlossenen Übergang zur griechischen Tracht eine ganze Frauen- und Mädchengeneration in die unbeschreibliche Wohltat eines freien, unverschnürten Brustkorbes einsetzte, hatte, wie allgemein bekannt war, etwas zu lange Beine bei zu kurzem Oberleib und blieb darum doch die Zierde der Pariser Gesellschaft. Der Biologe denkt genau so. Er wird sogar eine gewisse Kurzbeinigkeit, die Empfindlicheren leicht als ein Beweis geringer Abkunft gilt, gern in den Kauf nehmen, sobald eine dralle Muskulatur, ein flinker Gang und blühende Farben ihm den Beweis der Kernfrische liefern.

Übler schon steht es mit krummen Beinen. Sie sind ein sicheres Zeichen einstiger Knochenweichheit, also dessen, was der Volksmund englische Krankheit nennt, und wo sie in großer Menge auftreten, ein Beweis für abwärts gleitende Rasse. Die langen Röcke verdecken diesen Mangel bei unseren Mädchen und spielen hierin die Rolle der Regenmäntel, die von unordentlichen Hausfrauen für den Marktgang angezogen werden, als Elendshülle. Maler, Bildhauer und Anthropologen, die in die Lage gekommen sind, verschiedene Völker untereinander zu vergleichen, sagen den reichsdeutschen Städterinnen nach, daß sie dünne Oberschenkel haben. Und das ist ganz natürlich bei einem Frauengeschlecht, das Jahrhunderte hindurch »im Hause« festgehalten wurde, ohne daß ihm die geringste wirkliche Zumutung in bezug auf Schnelligkeit oder sonstige Athletik gemacht worden wäre.

Von allem aber, was den Biologen durch Häßlichkeit abstößt, ist Muskelschwund am ärgerlichsten. Man kann ihn allenfalls begreifen und verzeihen an älteren Frauen, die für Berufsarbeit und Ehe bereits ihr Letztes drangegeben haben. Doch in den Jahren der Blüte, bei sechzehn-, achtzehn-, zwanzigjährigen Mädchen, läßt er stets auf einen tiefen Verfall, auf schlechte Abkunft, schlechte Aufzucht, auf böse Gewohnheiten und Vernachlässigung schließen. Gewiß wird mancher Leser, der noch bessere Zeiten gekannt hat, sich des Entsetzens erinnern, als ihm die saftlosen Unterarme, die er bis dahin nur auf den Karikaturen von Th. Th. Heine mit einem leichten Schauder belacht hatte, zum erstenmal in der Wirklichkeit begegneten; Unterarme, die sich bei der Ellenbeuge wie ein flaches Lineal an den Oberarm anlegen.

Es sind jedoch oft nicht eigentlich die klassischen Schönheiten, die das Auge durch einen hübschen »molligen« Arm, das Herz des glücklichen Besitzers durch die gesunde Behaglichkeit ihres Wesens erfreuen. Meist handelt es sich um kleinere Frauen von lieblicher Fülle, während die weiblichen Gestalten, die den alten Hochwuchs erreichen, heutzutage leider keine Rundung der Formen mehr aufzuweisen pflegen. Noch vor fünfzig Jahren war es anders; da gab es, zumal im preußischen Osten bei gewissen alten Siedlerfamilien mit Enakskindern, aber auch in Schleswig-Holstein, in Westfalen, am Niederrhein, im badischen Unterland und anderwärts hochgewachsene Mädchen und Frauen, die mit reicher Plastik einen seltenen Adel der Bewegung vereinigten. Damals schmückte den württembergischen Thron eine Königin, Olga mit Namen, deren Porträt wir um der vollendet schönen Arme willen bringen (Tafel IX). Sie war eine russische Prinzessin aus dem deutschen Hause Holstein-Gottorp, eine Urenkelin der großen Katharina (geborenen Prinzessin von Anhalt-Zerbst), eine Enkelin der unvergeßlichen Königin Luise von Preußen (Tafel X) durch deren schöne Tochter Charlotte, die Olgas Mutter wurde.

Die Wissenschaft unterscheidet bekanntlich Verkümmerung, die erworben sein kann, von Entartung, die angeboren ist. Wenn also eine einzelne Frau, die als kleines Kind gesund und kräftig gewesen war, doch leider in schlechte Wohnverhältnisse geriet und in einer schlechten Schule verdorben wurde, nach der Niederkunft nicht fähig ist, ihr Kind zu stillen, so braucht das nicht schon Entartung zu sein, es ist Verkümmerung. Wenn aber in einem großen Volksteil der weiße Strom der Güte ganz versiegt und nur noch Flaschenkinder aufwachsen, so muß von Entartung gesprochen werden.

Ein völlig sicheres Zeichen dieser ist die perverse Richtung des Geschlechtstriebes auf die eigene Gattung. Man kann die Ärmsten bedauern, in deren Keim schon diese Regelwidrigkeit angelegt war; aber häufig ist sie das erworbene Ergebnis langjährigen Mißbrauchs, und nie sollte man vergessen, daß sie den Völkern das Grab schaufelt. Herodot erzählt von den Persern ausdrücklich, nicht etwa, daß sie von den Göttern durch das, was heute mit einem übeln Kauderwelsch aus Griechisch und Lateinisch »Homosexualität« benannt wird, gestraft gewesen seien, sondern daß sie, jedem Vergnügen leidenschaftlich ergeben und auf Neues erpicht, »die Knabenliebe von den Hellenen gelernt« hätten. Die alten Hellenen aber und Römer sind von der Bildfläche verschwunden, weil ihre führenden Kreise keinen Nachwuchs mehr hatten. Welch eine Verirrung des Urteils, wenn gerade die Deutschen, die mit ihrem keuschen Familienleben als die großen Reiniger in die Weltgeschichte eintraten, auf ihrem eigensinnig festgehaltenen Wege zu immer weiterer Verfeinerung dieses Schicksal teilen wollten! Da im Frauenlager die »Betätigung« keinen gesetzlichen Strafbestimmungen unterworfen ist, kann man die Ausdehnung des Übels nur durch gewisse Rückschlüsse vermuten. Eine gute Beobachterin ist unlängst bis zu der Behauptung gegangen, daß von hundert deutschen Frauen nur noch etwa zehn so warmsinnlich seien, daß sie zu begreifen vermöchten, weshalb eigentlich Leander über den Hellespont schwamm; was in der Tat die ehelichen Pflichten zur unerträglichen Last machen müßte. So zweifelhaft diese Behauptung in bezug auf den deutschen Mittel- und Kleinstand erscheint, dessen biologische Wichtigkeitsverhältnisse von mir auf S. 68 angegeben wurden, so wertvoll bleibt das Eingeständnis an sich. Denn für die überfeinerten Kreise, in denen jene Dame sich bewegt, ist sie gewiß eine durchaus glaubwürdige Berichterstatterin. Wir wollen es uns also merken, daß neun Zehntel unserer gebildeten Ehefrauen von einer Kennerin als »kalt« hingestellt werden. Die Schätzung ist sicher auch mit der von mir gemachten Einschränkung für heute noch übertrieben und mit Vorsicht aufzunehmen. Weil aber Geschlechtskälte nicht sowohl angeboren als vielmehr durch Mißbrauch in den Jahren der Entwicklung erworben wird, mag die hohe Zahl mit jedem Tag, wenn alles bleibt, wie es ist, der Wahrheit näher kommen.

Durch Predigt und Redensarten zu »bekämpfen«, wie sich unsere sittlichen Hüter schmeicheln, ist hier gar nichts. Das einzige, das Erfolg verspricht, wäre: der weiblichen Jugend, und zwar von klein auf, natürlichere und bekömmlichere Gewohnheiten beizubringen, als die sind, mit denen sie heute wohl oder übel aufwachsen muß. Wie manches blühende Kind, das aber schon in den Sofaecken zu träumen beginnt, also gefährdet ist, könnte selbst in Berlin durch das rechtzeitige Geschenk von ein paar Rollschuhen aus der Schlinge gezogen werden, wo asphaltierte Straßen die Betätigung dieses Sportes zulassen. Dann würde die Kleine nur noch hinaus an die Luft wollen, sofort nach dem Essen und so lange wie möglich! Sie könnte eine geschickte Fahrerin, dann Schlittschuhläuferin werden, von hier aus Interesse für Turnübungen und, weil sie sich auszeichnete, auch das Wichtigste bekommen: körperlichen Ehrgeiz, der sie dauernd vor Abwegen behüten dürfte.

Was die weiteren Entartungszeichen am weiblichen Körper anlangt, so seien sie in einer kurzen Übersicht zusammengestellt.

Mehrfach erwähnt wurde in diesen Blättern schon die Rhachitis. Sie ist es, die frühes Stehen und Gehen der Säuglinge verhindert, ihnen mühsames Zahnen beschert, ihnen die Knochenenden an Hand- und Fußgelenk unförmlich auftreibt, die langen Röhrenknochen verkrümmt, den Brustkorb entstellt, die Wirbelsäule verbiegt und auch den Schädel mißförmig macht. Wie selten trifft man unter uns noch wirkliche Langschädel, so wie sie von unseren Vorvätern getragen wurden, mit mächtig ausladendem Hinterkopf! Heute genügt bei der Knochenweichheit unserer Säuglinge das bloße Aufliegen auf dem Kopfkissen, um Hunderttausenden eine flache Wand als Hinterkopf zu verleihen. Da man bemerkt hat, daß gerade bei rhachitischen Kindern die geistigen Fähigkeiten gut entwickelt zu sein pflegen, werden wir in der englischen Krankheit weniger irgendein Mißverhältnis in der Kalkaufnahme als vielmehr ein unmittelbares Zivilisationserzeugnis anzuklagen haben. Von englischen Ärzten stammt die Beobachtung, daß Kinder, die im Erdgeschoß leben und am leichtesten aus den Stuben heraus an die Luft kommen können, von Rhachitis weniger heimgesucht sind als ihre Kameraden aus höheren Stockwerken, die zu verlassen schon jedesmal eine Anstrengung gemacht werden muß. Dasselbe Verhältnis kehrt wieder zwischen Landkindern und Stadtkindern.

Welch einen köstlichen Schmuck bildet für hübsche Frauengesichter eine lückenlose, beim Lächeln sichtbar werdende Zahnreihe! Einst wurden den gefangenen Germaninnen ihre herrlichen Zähne ausgerissen, damit entartete Römerdamen mit diesen Ersatzstücken prunken könnten. Doch schon Kardinal d'Aragona, der kurz vor der Reformation Süddeutschland bereiste, hatte an den sonst hübschen deutschen Mädchen die vielfach schlechten Zähne zu tadeln. Er machte übertriebenen Butter- und Biergenuß dafür verantwortlich. Und sicherlich wirkt auch, wie der Genuß von Süßigkeiten für die Milchzähne, so der übermäßige Verbrauch stark zuckerhaltigen Bieres verschlechternd auf die Zähne der ganzen deutschen Rasse, die hierin von den Polen in den Schatten gestellt wird.

Am deutschen Frauenskelett sind außerdem mehr und mehr zu beklagen: einwärtsgedrehte Füße und ein flacher Brustkorb. Jener Schaden betrifft seltsamerweise fast immer das rechte Bein. Ohne die dem Auge so wohltuende Auswärtsstellung der Fußspitze – die wieder nur eine Folge des lieblichen, von der Natur beabsichtigten und erleichterten Zusammenschlusses der weiblichen Oberschenkel gegen die Knie hin ist, wie wir ihn bei der Mediceischen Venus (Tafel XI) beobachten – verläuft solch ein rechtes Bein von der Hüfte aus geradlinig nach unten und kommt beim Gehen jedesmal mit einem häßlichen Schlenkern um den linken Innenknöchel herum zu Boden. Der flache Brustkorb wieder ist eine Entartung, die gleichfalls nur das Ergebnis fortgesetzter Verkümmerungen bildet. Hermann Brehmer in Görbersdorf hat uns davon unterrichtet, daß die Schwindsüchtigen ein zu kleines Herz haben. Wenn ganzen Geschlechtern nacheinander eine hinreichende Herzübung durch Muskeltätigkeit an freier Luft vorenthalten wird, so bildet sich schließlich der von den Ärzten früher sogenannte »phthisische Habitus« aus, und es kommen, zumal in staubreichen Industrien, die schon beklagte Inzucht der Schwindsüchtigen, das Stuben- und Bettklima mit seiner verseuchten Luft hinzu, um den flachen Brustkorb in weiteren Kreisen heimisch zu machen.

Stets zieht er auch jenen Reiz in Mitleidenschaft, der eine so große Rolle in der schönen Literatur spielt, die gern, wenn von der Heldin die Rede ist, von deren »Reizen« spricht. Aber dieses einstige Meisterstück der auf Anziehung und Arterhaltung bedachten Natur ist von der Hochzivilisation in so greulicher Weise verpfuscht worden, daß es mehr und mehr die Verborgenheit sucht.

Der flache Brustkorb spielt hier insofern mit, als er die Reize zu tief nach abwärts »fliehend« ansetzt, so wie man es bei der Botticellischen Venus (Tafel XI) beobachtet, die ja in der Tat das Porträt einer fürstlichen Geliebten gewesen sein soll, die jung an der Schwindsucht starb. Die deutsche Brust hatte von je ihre besondere Schönheit durch eine leichte Achsenstellung nach außen, wie sie ihrer mehr ovalen Form entspricht. Der Hygieniker, in dessen Schönheitsforderungen funktionelle Güte obenan steht, wird aber hier so strenge Scheidungen nicht machen und auch die Brüste der bekannten Kapitolinischen Venus (Tafel XI), obwohl sie zu dicht nebeneinander stehen und, allzu rundlich, dem deutschen Ideal nicht entsprechen, ohne weiteres der ersten Klasse zurechnen. Die hohe Frau von Milo (Tafel XII) zeigt jene Formen, die auch Luther in seinen Tischgesprächen rühmte: nicht überladen mit Fettpolster, zugleich zart und kernig.

Die Verkümmerung der Brust hat viele Spielarten. Wo schon das erste Kindbett schlecht vertragen wird und von den Brüsten nur die Warzen übrigbleiben, war die Rasse bereits gesunken. Der Ästhetiker mag entscheiden, was den Preis der Häßlichkeit verdient: ein völliger Schwund oder eine Fülle, die tatsächlich keine ist und nur durch allerlei Stützen daran verhindert wird, jede Bewegung der Eignerin zu stören.

Sehr häßlich ist ein zu kurzer Hals, der bei jeder Seitenbewegung Falten und Nischen zeigt und gleichfalls eine Entartung infolge hockender Lebensweise bedeutet. Wie hohe Anforderungen die Hellenen in dieser Hinsicht an ihre Frauen stellten, beweisen die Tanagrafiguren, denen heute in bezug auf Schlankheit des Halses Amerikanerinnen und Französinnen am nächsten kommen. Schöne Engländerinnen haben bekanntlich, infolge jugendlichen Liegens auf dem Brett seit Jahrhunderten, eine vom Hinterkopf bis zum Kreuz steil abfallende Senkrechte. Die deutsche Form ist hier konturenreicher; wir bringen als Beispiel das Bildnis der berühmten Wilhelmine Schroeder-Devrient (Tafel VI). Da sehen wir eine leise Neigung des Nackens nach vorn, der eine leichte Vorwölbung der Wirbelsäule in der Schulterpartie zu entsprechen pflegt. Das kann sehr schön und reizvoll aussehen. Aber noch ein paar Schritte weiter, und wir haben eine zusammengesunkene Figur mit Buckel.


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