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Hiermit, Leser und Freund – denn ich hoffe, du bist mir ein Freund geworden –, hiermit also endet sie, die Geschichte der Jettchen Gebert; – und von ihr allein versprach ich vorerst zu erzählen. Die andere Geschichte aber, von der mir noch zu sprechen bleibt, die der armen Henriette Jacoby, will ich mir ersparen, bis auch meinem unruhvollen und zerrissenen Leben wieder einmal erlösende Tage kommen, in deren stillen Stunden die liebgewonnenen Schatten mir von neuem vor die Seele treten werden.

So lange aber geben wir ihnen ihre altgewohnte Ruhe zurück, ihnen allen, die uns hier in buntem Reigen geleitet haben: Salomon und seinem mit vielen Tugenden geschmückten Eheweib; Jason, der ein wenig abseits von den anderen begraben wurde, so wie er ein wenig abseits von den anderen gelebt hat; Ferdinand und dem kleinen Wolfgang, der sich scheu beiseite schlich, bevor ihm noch das Verständnis für das wunderfeine Uhrwerk der griechischen Sprache erblüht war, und der keine Lücke hinterließ, nirgends – nicht einmal in seiner Klasse, denn keiner seiner Mitschüler brauchte auch nur um einen Platz heraufzurücken, als es hieß, daß Wolfgang nun andauernd und in alle Ewigkeit dem Unterricht fernbleiben würde. Und auch Eli und Minchen, deren Leben sich bald vollendete, und die fast zu gleicher Zeit abgeschirrt wurden – denn die brave Minchen konnte den schweren Wagen des Lebens nicht mehr allein ziehen – auch ihnen wieder ihre altgewohnte Ruhe. Der alte Heide zwar, wenn er vielleicht, wie ich annehme – man weiß leider solche Dinge nie genau! –, in den Heidenhimmel gekommen sein sollte, so wird er wohl nun jeden Mittag um zwölf mit seinem Zylinder von Anno dazumal und seinem Palmrohrstock an der Ecke stehen und die Rosse des Sonnengottes einer ebenso vernichtenden Kritik unterziehen wie weiland Naglers Wallache vor den Prenzlauer Wagen. Und auch ihr, die dieser Geschichte den Namen gab, warum wollen wir ihr nicht die Ruhe geben, die sie sich mit einem harten Lebensjahr noch erkaufte und erkämpfte? Denn mit ihrer Ehe, da ist die Sache nicht wieder so recht ins Lot gekommen, und auf dem Stein, den ihr der Onkel setzen ließ, wird Jettchens nur als Nichte und nicht als Gattin gedacht. Doch selbst dieses letzte Zeichen der Anhänglichkeit ist nunmehr schon morsch und brüchig geworden, und aus den geschwungenen Buchstaben haben Wind und Wetter, Regen und Schnee längst die letzten Spuren von Vergoldung gewaschen und gerieben, haben sie ganz ausgelöscht und fast unleserlich gemacht; sie sind verblichen und erloschen, so wie das Andenken Jettchen Geberts bei den Menschen erloschen ist.

Ich aber will noch einmal, später in stillen Stunden, neues Gold über die krausen und geschwungenen Buchstaben ihres Lebens bringen, daß sie wieder leuchten sollen, klar, weithin, und allen lesbar. Aber auch ihm, der in den Strudel hinabgezogen wurde, und dem man keinen Stein setzte und der auf keinem umgrenzten Friedhof ruht ... auch die Runen seines Lebens, die verschollenen, unentzifferbaren, will ich dann mit Gold umziehen.


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