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Und es kam, wie es kommen mußte. Alles, wie es kommen mußte.

Der Flieder, der junge, schöne Flieder mit seinen blauen Dolden wurde braun und trocken, der Goldregen schwenkte bald statt seiner Goldfahnen nur noch grüne Schoten im Wind, die Rotdornblüten versanken im Laub, und an den Kirschbäumen blitzten dafür, daß man sie schon von weitem sah, kleine rote Korallen auf. Die Vögel aber, die erst so fleißig gesungen, sie piepten nur noch fett und faul und zänkisch in der Morgenfrühe.

Und statt der Tausende von Blüten von ehedem am Flieder und am Goldregen und am Rotdorn und an all den Büschen ringsum blieben nur die ungezählten gelben, honigduftenden Tropfen an den vier breiten Ketten der Linden wegauf und wegab. Und bis spät in den Abend hinein summten die Bienen in dem Laubwerk, so daß Jettchen, die jetzt viel still am Fenster saß, immer glaubte, es werde irgendwo in der Ferne in einem großen Kessel Wasser gekocht, das nun so sänge und brodelte.

Und auf die schönen Frühlingstage, von denen jeder es dem andern zuvortun wollte, kamen Tage mit wilden Winden, die die Bäume kämmten, und mit klatschendem Regen, der ordentlich das Laub von den Ästen abriß und, als wäre er ein ungezogener Junge, es auf dem Boden zerstampfte.

Und dann folgten Tage mit unerbittlicher Glut, an denen alles welk und schlaff hing und man gar nicht Wasser genug heranschaffen konnte, um den Garten zu letzen. Tage, wo Jettchen kaum vor die Tür gehen konnte vor Abend, so heiß war es. Und jeder Wagen brachte dann neue Wolken von Staub, und jeder Windstoß wirbelte sie vor sich her, und sie legten vorn im Gärtchen vor Jettchens Augen eine graue Kruste auf das dunkelgrüne Blattwerk der Büsche. Und wenn nun selbst einmal in diesen heißen Tagen wirklich dann ein widerwilliger Abendregen auf die Blätter mit ein paar schweren Tropfen trommelte, dann nahm er diese Kruste keineswegs fort, sondern er sprenkelte nur die Blätter, daß sie ganz bunt und scheckig wurden.

Aber hinten im Obstland, da merkte Jettchen nur wenig vom Staub, da blieb alles blank und grün, wenn auch das erste Hell des Frühlings längst gewichen und alles schon ins Üppige und Derbe ausgewachsen war, so daß an Stelle des zarten Buschwerks der Frühlingstage sich feste und undurchdringliche Schanzen um Jettchen türmten.

Und immer neue Sommerblumen kamen krautig und bunt in hohen, dicht gedrängten Stauden, Kopf bei Kopf, Fuchsschwanz und Levkoien, Studentenblumen, Lobelien und Winden, und schon mischten sich die ersten frühen Astern in den Chor. Und immer neue Früchte reiften da von Tag zu Tag, tropfende Perlen an den Johannisbeerbüschen, dicke Blutstropfen unten an den Erdbeerpflanzen und rote Tränen an den Himbeerstauden. Die Quitten hingen grün und samtig in den Büschen, die Birnen wurden schon rot und braun, und nur die Äpfel warteten grün und gelb auf ihre späten, sonnigen Herbsttage. Und wenn in der Mittagsglut das Kraut einmal müde und schlaff sich senken mochte – sie alle, diese Erfüllungen, wärmten sich dafür nur desto wohliger in den grellen, unerbittlichen Gluten.

In der Stadt aber war es in diesem Sommer unerträglich eng und schwül, und es lag immer wie ein Dunst über den Straßen. Das Wasser der Spree und der Kanäle hauchte einen ungesunden Atem aus, und man hörte schon wieder hier und da, wie jedes Jahr zur heißen Zeit, von Krankheiten, von Nervenfieber und von Typhus, und die Zeitungen schrieben von Seuchen, die weit draußen in der Welt umherschlichen wie hungrige Wölfe und die Kreise immer enger zogen. Auch über den schlechten Gesundheitszustand des Königs wurde gleichfalls viel gesprochen. Die meinten, er könnte jeden Tag sterben, und die anderen munkelten, daß, da das nächste Jahr 1840 sei, sich unheilvolle Dinge vorbereiteten. Ganz Berlin war im Fieber. Wünsche und Aussichten, die man sonst kaum heimlich geäußert hatte, wurden jetzt überall öffentlich besprochen. In den Konditoreien, in den Hörsälen der Studenten und sogar versteckt und verstohlen in den Zeitungen. Die erwarteten alles und die nichts. Ja, sie sagten, es wäre schon ein böses Zeichen, daß auf Gans wieder Savigny das Haupt höbe, und in Berlin liefen Witze und Spottverse um über Hengstenberg und die Pietisten und über den Kronprinzen, den neuen Dom und das Trottoir nach Jerusalem. Was der eine Tag brachte, warf der andere um. Und je freiheitlicher die Aussprüche wurden, die man sich von oben erzählte, desto fester zogen Polizei und Zensur die Knebel an.

Jason hatte, wie schon erzählt wurde, um eine Busennadel aus Karlsbader Sprudelsteinen reicher – sie war groß wie ein Daumennagel – und als Besitzer eines Trinkbechers aus Rubinglas, wieder auf ein Jahr den bunten, seidenen Westen Valet gesagt und von den seidenen Schalkragen und den seidenen Umschlagtüchern Abschied genommen, und er schwamm nun ganz mit dem Strom. Er hatte den Tag über vollauf zu tun, um herumzuhören, mit anderen zu diskutieren, alle Journale durchzustöbern und die Chancen und Möglichkeiten abzuwägen. Denn, wenn er auch im Herzen roter Republikaner war, so war er doch klug genug, nur mit dem Gegebenen zu rechnen.

Nach Charlottenburg zu Jettchen jedoch kam all das einzig wie ein Geräusch einer ganz fernen Meeresbrandung, von dem man noch nicht recht weiß, ob es vielleicht doch nur von einem Wagen herrührt, der über einen Bohlenweg rollt. Und wenn Jettchen selbst einmal nach Berlin hereinkam, so merkte sie von dem, was sich vorbereitete, auch nur wenig, denn die Leute liefen dann ebenso gleichgültig und mit sich selbst beschäftigt durch die Straßen wie immer. Und hätte nicht Onkel Jason manchmal ein wenig Brennstoff herausgetragen, so hätte Jettchen auch von Onkel Salomon und Onkel Ferdinand, der, weiß Gott, weshalb, jetzt in Gemeinschaft mit dem neuen Vetter Julius so oft in Charlottenburg zu tun hatte, kaum etwas gehört. Die beiden besprachen auch manchmal etwas, aber der neue Vetter Julius erklärte schroff die Politik für verderblich und sagte, daß ein anständiger Mann genug im Geschäft zu tun hätte und über solche Dinge nur dazu käme, sein Geschäft zu vernachlässigen. Wenn man sich auch der Wahrheit dieser Maxime nicht ganz verschließen konnte, so nahm sie sich doch gerade im Munde des neuen Vetters Julius etwas sonderbar aus. Denn die Sache mit seinem eigenen Geschäft war keineswegs so völlig im klaren, wie man annehmen konnte, und immer, wenn er mit apodiktischer Bestimmtheit sagte, daß nun endgültig die allerletzten Schwierigkeiten beseitigt wären, dann hatte sich gerade das nächstemal wieder eine ganze Kette neuer, unerwarteter Hindernisse eingefunden, die er nun auch wieder geschickt umsegeln mußte wie der Walfischjäger den sich türmenden Zug von zackigen Eisbergen. Aber der neue Vetter Julius ließ sich dadurch nie bestimmen, den Mund etwas weniger voll zu nehmen, und die Mißerfolge schadeten weder seinem inneren noch seinem äußeren Menschen. Er sah dabei immer gleichmäßig frisch und rot aus, auch sagte er, er verlöre gar nichts, ja, es wäre vielleicht besser so, da für ihn die Saison doch erst mit dem Winter recht anfinge ... Und darin sollte er ja recht behalten.

Onkel Ferdinand jedoch hatte wirklich allen Grund, bei Laune zu sein, denn sein Frühjahrsgeschäft und sein Sommerumsatz, so weit es sich übersehen ließ, waren über jede Erwartung gut gewesen, und nun schwamm er obenauf wie ein Holzapfel. Seine Familie hatte er in Schöneberg untergebracht, in einem so kleinen Haus, daß nach Aussage Onkel Jasons man die Hand auf den Schornstein legen konnte, so daß alle, die drin waren, den Husten bekamen und schnell die Fenster aufreißen mußten. Aber immerhin, das Haus hatte doch einen schönen und weiten Garten, der auch gleich in die Wiesen überging, – keineswegs so stickig wie der in Charlottenburg, meinte Tante Hannchen. Und das war überhaupt ganz unbezahlbar, äußerte Ferdinand, der sich nämlich nun ob dieser Fürsorge als Mustergatte und Mustervater und aller Verpflichtungen gegen die Seinen los und ledig fühlte.

Die alte Tante Minchen dagegen erzählte Jettchen eine geheimnisvolle Geschichte von einer Person, einer richtigen »Person«, die wie eine Bachstelze getrippelt wäre und aus einem Haus – sie sage nicht, aus welchem Haus – in der Klosterstraße gekommen wäre, und dann drüben von der anderen Seite immer nach oben nach einem Fenster – sie sage nicht, nach welchem Fenster –, einem Fenster dieses Hauses herauf gewinkt hätte. – Ja! Mehr wollte sie ja nicht sagen. Aber ihr käme das nicht richtig vor, und wenn sie Tante Hannchen wäre, würde sie dem schon einmal nachspüren. Aber sie, Tante Minchen – würde sich natürlich hüten, sich den Mund zu verbrennen.

Wie schon einmal bemerkt, – die gute Tante Minchen wußte eben von nichts Bösem, und sie wäre baß erstaunt gewesen – die gute Tante Minchen –, wenn sie mit ihrer scharfsinnigen Beobachtung ihrer Nichte Hannchen nicht einmal etwas Neues gesagt hätte, denn die wußte sogar, wie die richtige Person hieß und wo sie wohnte.

So gut standen also diesen Sommer die Aktien »Ferdinand Gebert« zu Buch.

Aber auch die Salomon Geberts waren nicht schlecht im Kurs. Salomon war, wie schon erzählt wurde, vollauf befriedigt aus Karlsbad und Leipzig heimgekommen, und sein gutes Aussehen blieb unverändert bis weit in den Herbst hinein, bis die Berliner Kontorluft so langsam den Überzug von Frische und Gesundheit schwinden machte. Und er freute sich, jeden Mittwoch und Sonnabend von neuem zu hören, daß Tante Rikchen behauptete, er gliche zum Verwechseln einem richtigen englischen Lord, so vornehm und so elastisch wäre er. Salomon war nämlich die ganze Woche über im Geschäft und kam nur meist am Mittwoch und regelmäßig am Sonnabend und Sonntag nach Charlottenburg, denn er haßte die Fahrerei. Und, da sich so die Eheleute selten sahen, so war ihr Zusammenleben bedeutend friedfertiger, und ihre Meinungsverschiedenheiten waren bei weitem geringer als im Winter und in den Frühlingstagen. Aber – was die entzückte Tante Minchen sagte, daß Salomon und Rikchen nun wirklich – ganz im Gegensatz wie Ferdinand und Hannchen, – wie Braut und Bräutigam lebten, das entsprach vielleicht doch nicht so ganz der Wirklichkeit.

Sie selbst, Tante Minchen nämlich, war unglücklich in ihrer Ehe. Nicht daß ... wie bei Hannchen und Ferdinand – Gott bewahre! –, aber ihr Eli wurde immer wunderlicher. Mal redete er nichts, und mal hörte er nichts. Und da das beides nie zusammenfiel und er nach Aussage Tante Minchens gerade an seinen tauben Tagen viel redete, und deswegen an seinen redseligen Tagen schlecht hörte, und an seinen hellhörigen Tagen wenig sprach, so war mit ihm schon gar nicht mehr auszukommen. Und außerdem wurde der Knubbel auf dem Kopf bei Eli immer größer. Gerade da oben auf dem Kopf – und das ängstigte Minchen. Man könnte nie wissen, meinte sie. Der Arzt hätte zwar gemeint, das hätte nichts auf sich, – aber was weiß so 'n Doktor?!

 


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