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Und Tante Rikchen sollte in allem recht behalten ... denn nicht erst um zwölf, sondern mit dem Schlag halb hielten nicht einer, sondern zwei Wagen an der Ecke Rosinenstraße, ein Landauer, groß, viersitzig, und ein Phaethon, klein, zierlich und einspännig.

Im gelben Landauer, mit den beiden Füchsen vor, saßen im Vorsitz, ihn ganz füllend mit ihrer schönen Breite, Ferdinand und Hannchen. Ferdinand hatte zur Feier von Salomons Rückkunft unternehmungslustig weiße Nankinghosen angezogen und einen neuen englischen Strohhut auf den sommerlich kurz geschorenen Kopf gesetzt. Hannchen trug sich auch in Weiß, weiß Krepp, tief ausgeschnitten mit lichtblauen Blümchen. Dazu hatte sie eine gelbe Strohschute mit ebensolchen lichtblauen Bindebändern. – Blau, meinte Tante Hannchen, stände ihr von je am besten, – aber Tante Minchen sagte immer, für das Blau müßte ihre Nichte Hannchen wenigstens zwanzig Jahre jünger sein. Und magerer wäre sie wohl in der letzten Zeit auch nicht gerade geworden.

Im Rücksitz lehnten Max und Wolfgang. Max mit der stolzen Gleichgültigkeit eines einziehenden Fürsten, der die unterworfene Stadt siegessicher betrachtet, und Wolfgang ganz blaß und verweint, denn es hatte zwischen ihm und Jenny einen Prätendentenzwist gegeben, wer den Thron neben Johann besteigen dürfe. Und Jenny hatte hierbei dank väterlicher Einmischung, die stets Töchter Söhnen gegenüber bevorzugt, den Sieg davongetragen; während Wolfgang eine Niederlage erlitten hatte und wortwörtlich aufs Haupt geschlagen worden war.

Und in dem zweiten, leichten Wägelein, dem Einspänner mit dem Falben, der gleich eine Pferdelänge dahinter kam, saßen Eli und Minchen. Eli hatte einen großen Schirm in der Hand, einen blauen mit einem Palmenrohrstock und dicken gelben Knöpfen auf jeder Spange, und der alte Herr knurrte und nörgelte mißvergnügt darüber, was für einen spatigen Krippensetzer Ferdinand da hätte vorspannen lassen, damit führe man vielleicht Kartoffeln, aber nie honette Menschen. Seine Nachbarin knuffte ihn die ganze Fahrt lang; er solle doch still sein, die vorn könnten jedes Wort hören; Eli jedoch ließ sich nicht beirren: es wäre ein Skandal und eine Mißachtung.

Drüben auf dem schmalen Klappsitz hockte Jason, der seltsam schweigend die Zeit über gewesen war und sich sogar manchmal dabei ertappt hatte, daß er in Gedanken halblaut vor sich hin sprach; aber als Bekrönung oben auf dem Bock schwankte der neue Vetter Julius, schräg auf einem schmalen Eckplätzchen mit einem Bein fast draußen auf dem Kutschtritt. Und er erklärte dem Stallburschen, wie er kutschieren müsse; hier in Berlin verstände man das nicht; bei ihm zu Hause jedoch, das solle er mal sehen, wie man da führe, da würde er ja staunen.

Und als nun die Wagen auf Anruf Onkel Ferdinands hielten, da kamen sie alle heraus und herunter, je nach dem Platz, je nach Alter und Temperament, schnell und hurtig auf jungen Beinen, gemächlich und vorsichtig tappend, und jeder reckte sich und streckte sich und versuchte seine Füße wieder. Und Ferdinand gab Bescheid, wo die Kutscher ausspannen sollten und daß sie ja gut nach den Pferden sehen sollten. Und wie Jettchen drinnen das Stimmengewirr hörte, band sie schnell die Schürze ab und lief ihm entgegen; und wie sie die Tür aufstieß, da drängten sie sich schon alle Mann hoch das Holztreppchen hinauf, voran Onkel Eli mit seinem großen blauen Schirm in der Faust – dann Minchen im Schwarzseidenen, Ferdinand und seine Sippe und endlich Jason und der neue Vetter.

Jettchen bekam einen gelinden Schrecken, als sie sie da alle vereint sah – aber dann dachte sie, daß es wohl reichen würde.

»Guten Tag, meine Herrschaften«, rief sie ganz munter, denn das Herumwirtschaften hatte ihr gut getan.

»Tag, Jettchen, willkommen ins Jrüne«, brüllte Ferdinand und klatschte sich auf die weißen Nankinghosen.

»Na, Onkel Eli«, stichelte Jettchen gutmütig. »Du hast doch einen so großen Schirm mitgebracht!«

»Weil's eben regnen wird, mei Tochter«, versetzte Eli sehr ernst.

»Ach nein«, gab Jettchen ungläubig zurück und sah in den weißblauen, windklaren Himmel.

»Nu, wenn ich dir sage, kannste dich schon drauf verlassen. Erstens habe ich nämlich mein Reißen gehabt; und zweitens sehe ich immer bei Petitpière aufs Barometer,... und wenn der auf ›schön Wetter‹ steht, weiß ich, es wird regnen; und drittens, mei Tochter, – wie du auch selbst gelesen haben wirst – hat der Feuerwerker Böhme für heute abend in de Zelten ä Monsterfeuerwerk angekindigt! Hast du schon mal gesehen, daß es da nich regnet? Nu, Jettchen!?«

Aber Jettchen hatte keine Zeit zu erwidern, denn die anderen drängten sich um sie.

Jenny wollte Jettchen küssen und muschelte sich sofort an sie; sie ging ihr fast schon bis an die Achseln.

Ferdinand machte sogleich von seiner onkelhaften Rechtsanmaßung Gebrauch. Tante Minchen war zu sehr von sich erfüllt, um Jettchen förmlich zu begrüßen, »ich sag' dir, Jettchen«, rief sie, »ich sag' dir, mit dem Mann ist überhaupt nicht mehr auszukommen!« Und das war bei ihr ebensoviel wie guten Tag.

Tante Hannchen meinte, Jettchen sähe unberufen blühend aus. Aber sie zog die Herdhitze nicht in Betracht. Max und Jettchen mieden sich vorerst noch vom letzten Male her. Wolfgang kam auch heran, und Jettchen erschrak, wie blaß und grün der Junge war.

»Willste 'n haben, Jettchen!« rief Ferdinand, der glaubte, damit einen feinen, strafenden Scherz zu machen, und er wähnte dazu im Recht zu sein, weil doch Wolfgang einen Platz auf dem Bock beansprucht hatte.

»Ja, gewiß, er kann gleich hier bei mir bleiben«, antwortete Jettchen und zog den Jungen an sich. »Willst du?«

»Nun, ich habe gar nichts dagegen«, meinte Hannchen in einem Ton, als ob sie Jettchen einen besonderen Gefallen erwiese.

»Ja«, sagte Jettchen, »abgemacht. Du bleibst von jetzt ab bei mir, ich werde dich schon wo unterbringen. Aber die Herrschaften muß ich doch bitten, zuerst in den Garten zu gehen. Onkel und Tante sind hinten in der Laube.«

»Sieh einer Jettchen!« rief Jason, »Manieren hat sie wie eine Frau Hofrätin.«

»Ach, Tag, Onkel.«

»Na, wie geht's, meine liebe Freundin«, sagte Jason und klopfte ihr die Backen.

»O danke, gut«, versetzte Jettchen langsam und sah Jason dabei fragend an.

Aber Jason wich dem Blick aus, und das erschreckte Jettchen.

»Nun, meine schöne Kusine Jettchen, gestatten Sie vielleicht auch mir, Sie zu begrüßen. Ich wollte ja schon immer mal zu Ihnen herauskommen – aber als Kaufmann kann man nicht über die Zeit bestimmen –«, und damit drängte sich mit tiefer Verbeugung der neue Vetter Julius an Jettchen, die an der Tür stand und die Gäste vorüber ließ. Julius trug sich ganz englisch, hatte eine weiße Weste, einen ziemlich kurzen flaschengrünen Rock, einen dicken Leinenschlips mit roten Punkten und einen grauen steifen Hut. Berlin bekam ihm; es hatte ihn noch kleiner, feister und noch breiter gehämmert.

»Oh«, sagte Jettchen, »ich weiß. – Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen.«

Jason stand immer noch bei ihnen, als warte er auf etwas.

»Nach Ihnen, Herr Gebert«, dienerte Julius und wollte Jason den Vortritt lassen.

»O bitte, nach Ihnen«, sagte Jason spitz. Denn er hatte sich schon den ganzen Weg über Julius Jacoby geärgert, »ich hoffe immerhin, daß ich hier noch mehr zu Hause bin wie Sie.«

Der neue Vetter Julius lächelte verbindlich, als hätte ihm jener die feinste Schmeichelei gesagt. Er hatte nämlich die lobenswerte Art, alles, was ihm irgendwie peinlich sein konnte, zu überhören, – und er war hiermit bisher immer recht gut gefahren.

Jettchen geleitete die Karawane bis auf den Hof, und sie hörte noch, wie Ferdinand auf die Nankinghosen klatschte und Salomon und Rikchen gleichfalls »Willkommen ins Jrüne« entgegenrief; dann ging sie wieder zurück, die Schürze vorbinden und nach dem Braten sehen und dem Aushilfsmädchen, das mit decken und bedienen mußte, alles herauszugeben ... von dem durchbrochenen weißen Porzellankörbchen bis zu den Britannialöffeln, denn das Silber war im Geschäft im eisernen Schrank.

Und als Jettchen das letztemal in die Braten gestochen und gesagt hatte, daß sie ja noch fleißig begossen werden müßten, als sie noch einmal die dicke Suppe mit den Markklößchen – sie konnte nicht aus den Augen gucken, so viel war darin – abgekostet hatte, und als sie noch einen Schuß Salz und eine Prise Pfeffer an den Salat getan hatte, weil er sonst zu nüchtern war, und als sie sich überzeugt hatte, daß die Schlagsahne auch gut kühl stände – denn es war ein recht heißer Tag –, ging sie hinaus und rief alle zusammen. Vorher aber bat sie noch Frau Könnecke, daß sie und Emilie vielleicht währenddessen Tische auf dem Rasenfleck vor den Akazien zusammenstellen und Bänke aus Hockern und Latten improvisieren möchten, denn da wollten sie nachher Kaffee trinken.

Jenny und Wolfgang waren nicht zu finden, und endlich entdeckte man sie ganz hinten in den Stachelbeeren und bei den Johannisbeerbüschen. Und Ferdinand setzte ihnen knapp und schallend auseinander, daß man in fremden Gärten kein Obst pflücken dürfe, und am wenigsten unreifes; – denn das erste brauche zwar nicht gesehen zu werden, das zweite aber hätte immer Folgen. Auch Jason hatte sich in irgendeinen Winkel verirrt und kam auf Jettchens Ruf heran mit einem paar langkrautigen Mohrrüben in der Hand, die er sich ausgezupft hatte. Jettchen wollte ihn nach Kößling fragen, aber da schoß auch schon der neue Vetter Julius hervor, ob er mit ihr zur Tafel gehen könnte.

Allen voran begab sich wieder Onkel Eli nach oben mit dem blauen Schirm in der Faust. Tante Hannchen kam zuletzt mit Salomon und Minchen. Sie war ganz aufgelöst und sagte, draußen wäre es ihr noch gar nicht so heiß vorgekommen, aber das liege wohl an dem Garten. Im Wagen wäre es sogar ganz angenehm kühl und luftig gewesen. Aber hier könne man gar nicht atmen, so stickig wäre es. Für sie wenigstens wäre das nichts. Sie zöge Schöneberg von je vor.

Aber Minchen sprang ein und sagte, daß sie es hier hundertmal vornehmer fände als draußen bei den Schöneberger Kartoffelbauern – das Wort »Kartoffelbauern« verzieh ihr Hannchen bis über das Grab hinaus nicht –, und sie merkte auch gar nichts davon, daß es heiß sei. Kein Wunder, denn die gute Tante Minchen hatte ja kein Fleisch auf den Knochen und war wirklich so klein, dürr und verhutzelt wie ein Heimchen.

Aber Salomon meinte, der eine fände das hübscher, der andere das, da könne man gar nicht entscheiden.

Oben in dem halbdunkeln, kühlen, grüngoldendurchschatteten Eßzimmer, dessen Fenster weit offen waren, so daß die Fliegen hereingesummt kamen und man von draußen her die Hühner gackern hörte, war eine lange Tafel gedeckt. Und Jettchen hatte, damit es kühler würde, über den Flur die Tür zu ihrem Zimmer geöffnet, so daß die tiefen Zweige der Kastanien auf dem Hof und die Linden draußen sich einander durch das ganze Haus zuwinken konnten. Sie hatte auch aus dem Garten Grün heraufgeholt, lange Zweige, und sie in die Mitte auf das Damasttuch gelegt. Auch ganze Sträuße von blauem Eisenhut hatte Jettchen auf den Tisch gestellt in hohe, geschliffene Gläser, die sonst oben auf dem Eckschrank ihren Platz hatten.

Onkel Eli war der erste, der hereinkam – seinen Schirm ließ er draußen –, und er war ganz begeistert, wie Jettchen das gemacht hätte: bei Königs selbst könnte die Tafel nicht schöner sein. Dann kam Julius und fragte, wo Jettchen säße; aber Jettchen meinte, das wüßte sie noch nicht.

Jason war länger als gerade nötig in der Küche geblieben, die Mohrrüben abspülen, die er, weiß Gott weshalb, mit nach Hause nehmen wollte. – Denn wenn ihn auch heute ernste Dinge bewegten, so war das doch kein Grund, für Schönheit blind zu sein. Und darin war Jason nicht stolz; er freute sich ihrer, wo er sie traf, und war es selbst bei einem schlichten Dienstmädchen. Und langsam, zu zweien und dreien, kamen die anderen; und die ersten, die sich setzten, waren Jenny und Wolfgang, die über die gemeinsame Zurechtweisung im Garten ihre Feindseligkeiten aus dem Thronstreit um den Kutscherbock vergessen hatten.

Hannchen aber war noch nicht in der Tür, als sie schon rief, man müsse in Jettchens Zimmer die Fenster zumachen. Man könne ja den Schlag bekommen, wenn man in den Zug käme, heiß, wie man vom Garten her sei – oder noch besser, man solle die Fenster nach dem Hof schließen, damit es beim Essen nicht so röche.

Aber da wurde Jason ärgerlich, das bißchen Luft würde nicht schaden, es wäre ja sonst nicht zum Aushalten. Und Eli fragte, ob vielleicht in Benschen die Höfe mit Kölnischem Wasser gesprengt würden; er merke nichts. Ferdinand mischte sich auch darein, so daß es fast aussah, als ob die Fensterfrage als Vorwand für einen Familienkrieg dienen sollte: da kamen die beiden Mädchen mit den Terrinen herein, um herumzureichen, und alle setzten sich schnell, und keiner dachte mehr daran, die Fenster zu schließen.

Jason hatte Tante Minchen aufgefordert, war aber nur für links zugelassen worden, da sie beim Essen, wie sie sagte, auf ihren Mann achten müsse. Salomon ging mit Hannchen, und Ferdinand mit Rikchen, und Julius und Jettchen saßen an einem Ende des Tisches; während die Kinder am anderen Ende untergebracht waren.

Heute war man ganz unter sich, denn Julius gehörte ja zur Familie, – und es gab kein fremdes Gesicht, auf das irgendwer irgendwelche Rücksicht genommen hätte.

Eli wollte keine Suppe nehmen. »Man gibt jetzt keine warmen Suppen«, sagte er beleidigt.

»Hast du so was gehört?« fragte Minchen, »dein Onkel, Jason, wird jetzt alle Tage komischer. Und haste gesehen, was er da auf dem Kopf hat? So 'n Knubbel, – wirklich, ich ängstige mich drum.«

»Ach«, erwiderte Jason und betrachtete die kleine wulstige Erhöhung auf Elis Stirn, »das wird schon wieder weggehen.«

»Mei Sohn«, mischte sich Eli ins Gespräch, der heute keineswegs so taub war, wie Minchen glaubte, sondern bei der klaren Luft sogar recht gut hörte. »Mei Sohn, das eine sag' ich dir, wenn de mal alt wirst, verstehste, brauchst du dich nicht mehr zu wundern, wenn dir eines schönen Tages e Pomeranzenbäumchen auf den Kopf wächst. – So ist's.«

Alles lachte, selbst der neue Vetter Julius lachte aus Höflichkeit mit, trotzdem ihm jeder Sinn für Witze fehlte.

»Nun«, meinte Salomon, und wer ihn kannte, hörte seiner Stimme an, daß seine Rede doppelsinnig war. »Sie haben sich ja, wie mir gesagt wurde, bei uns so nützlich gemacht. Das ist ja sehr freundlich von Ihnen gewesen.«

»Ja, Herr Gebert«, erwiderte Julius verbindlich, »man lernt eben, wo man lernen kann, und es lag mir mal dran, die Seidenbranche ein bißchen kennenzulernen. Wir haben ja in Posen sehr viel Kattun und Manchester geführt; und den möchte ich mal sehen, wer mir da was vormacht – aber mit de Seidenwaren – – –«

»Findest du nicht auch, Ferdinand«, unterbrach Tante Rikchen ziemlich laut und absichtlich, »daß Salomon jetzt ganz vorzüglich aussieht. Ich sage immer: wie 'n richtiger englischer Lord.«

»Nu, das wäre dann ja der zweite englische Lord in unserer Familie.«

»Wieso?« rief Rikchen erstaunt, die hoffte, ein interessantes Stück Familiengeschichte zu erfahren. »Wer ist der erste?«

»Weißt du denn nicht?«

»Nein! –«

»Aber Rikchen!« – –

»Ich auch nicht«, meinte Salomon.

»Na, – Jason ist es doch.«

»Jason? Warum Jason?!« fragte Minchen ganz hoch.

»Nu?« sagte Ferdinand nach einer ganzen Pause. »Er ist doch der reine Lord Byron – er hinkt, und die Frauensleute laufen ihm nach.«

Das gab ein Gelächter. – Besonders am Tischende, wo die Kinder saßen. Jenny trampelte mit den Füßen vor Vergnügen.

»Stillsitzen!« rief Ferdinand dazwischen. »Sonst gibt's eins auf die Erziehungsfläche.«

Man konnte sich gar nicht beruhigen, und alle fanden den Scherz vorzüglich, – außer Jason. Denn wenn ihm auch die Erwähnung des zweiten nicht unangenehm war – wer hörte nicht freudig das Lied seines Erfolges –, so wurde er doch durchaus nicht gern an das erste erinnert.

»Weißt du, Ferdinand«, sagte Salomon, als sich der Sturm ein wenig gelegt hatte – und Salomon kluckerte noch einmal so still vor sich hin –, »geh zu Bette, einen besseren Witz machst du heute nicht mehr.«

»Habt ihr schon gehört«, begann Eli schmunzelnd, »mein Minchen hat doch jetzt e taubes Dienstmädchen genommen.«

»Unsinn«, unterbrach Minchen. »Sie hört eben ein bißchen schwer, – das kann doch mal vorkommen.«

»Ich find's sehr richtig«, fuhr Eli fort, »Minchen kann schimpfen mit ihr, soviel es ihr Freude macht; – se hört doch nischt. De letzten sind immer deswegen weggegangen. Die wird schon bleiben.«

Minchen saß da – ganz erstarrt; eines so heimtückischen Überfalles war sie von Seiten ihres Eli nicht gewärtig gewesen. »Nu, wenn sie dir nicht gefällt«, brachte sie endlich hervor, »kann sie ja wieder gehen.«

»Im Gegenteil, Minchen. Wir beide verstehen uns sogar sehr gut. Wir brauchen nur mit de Augen zu blinzeln, da weiß jeder schon, was der andere will.«

Das genügte, um Minchen in ihrer Überzeugung zu bestärken, daß es mit der tauben Auguste auch nichts wäre. Und daß das Mensch ihr aus dem Hause müsse, weil es doch, wie er selbst ganz ruhig zugäbe, ihrem Eli nachstelle.

Aber da man schon draußen auf dem Flur die Mädchen hörte, die das Zwischengericht brachten, ging man von dem Dienstbotengespräch auf Wolfgang über.

Rikchen sagte, das ließe sich wohl machen, daß er draußen bliebe, er brauche gar nicht wieder mit zurückzufahren, er solle nur heute abend gleich hierbleiben; seine Sachen könnten ja morgen geschickt werden.

Und Ferdinand sagte zu Wolfgang, er müsse ihm dankbar sein, daß er ihm das erlaube, und er hoffe, Wolfgang würde keinen Grund zur Klage hier draußen geben und ihm so sein väterliches Wohlwollen schlecht lohnen.

Aber Jenny war gekränkt und sagte, sie hätte sich schon so gefreut, draußen zu bleiben.

»Einer nach dem anderen!« schlichtete Ferdinand, der immer großmütig war, wenn es um anderer Leute Geld ging.

Julius versuchte Jettchen zu unterhalten, aber sie hatte auf so viel zu achten und den Mädchen Winke zu geben, daß sie gar nicht recht antwortete. Auch hatte sie zufällig bei der Suppe einmal auf seine kurzen dicken Finger gesehen, und der ganze natürliche Widerwillen, den sie gegen den neuen Vetter Julius empfand, kam plötzlich wieder über sie und preßte ihr fast die Kehle zu.

»Wie finden Sie die Uhr, liebe Kusine«, sagte der neue Vetter Julius und zog eine dicke silberne Uhr mit Goldrand und goldenem Zifferblatt aus der Westentasche. »Sehen Sie hier den Rosenstrauß drauf, es war die schönste, die ich finden konnte.«

Jettchen, die durch Überlieferung in all diesen Dingen Kenntnis und Geschmack hatte, denn sie, Eli, Salomon, Ferdinand und Jason trugen ja noch Uhren aus dem großväterlichen Geschäft; kleine emaillierte, perlenbesetzte Uhren mit zierlichen Miniaturen im Schildchen, die viel bewundert wurden – Jettchen sah mit einem Blick, daß das badische Marktware war, wie sie jetzt zu Tausenden auf dem Markt verschleudert wurden.

»Oh, recht hübsch«, sagte sie höflich.

»Nu, was meinen Sie, was se kost?!«

Jettchen war nicht gewohnt, daß ihr solche Fragen vorgelegt wurden, und sie schüttelte nur unwillig den Kopf – aber Julius merkte nichts; er war zu eingenommen von sich, um überhaupt die Möglichkeit einer Kritik seiner Person in Frage zu ziehen.

»Wissen Sie!« fuhr er fort, »ich würde mir ja so was auch nicht aus dem Stegreif kaufen; aber ich habe nämlich in allerletzter Zeit sehr gute Geschäfte gemacht. Hören Sie zu, Jettchen; da war doch jetzt ein Ausverkauf in der Königstraße von M. Zacharias – gerade wie Sie 'raus zogen, muß der Mann kaputt gegangen sein. Und wie ich da de Königstraße lang gehe und draußen die Zettel sehe, denke ich: Gehste mal 'rein. Ich lasse mir also zeigen, was der Mann am Lager hat – ich weiß doch genau, was wir in Posen brauchen können –, und lasse mir Proben geben von Kattun und auch von Wachstuch und sage, die Stücke möchte er mir acht Tage reservieren. Ich sagte schon: ich weiß doch genau, was wir in Posen brauchen können; schicke also die Proben an meinen alten Chef, und – was soll ich da noch lange erzählen: es hat Stücke gegeben, wo ich fünf und sieben Taler bar und netto dran verdient habe.«

Jason hatte die Unterhaltung mit angehört. »Erinnerst du dich, Jettchen, an unser Gespräch vom letzten Abend?!« rief er über den Tisch.

»O ja, ganz genau«, meinte Jettchen – »aber höre doch mal, Onkel Jason, was macht denn dein Freund?« Und das Herz schlug Jettchen bis hinauf in den Hals, als sie das sagte.

Hannchen steckte neugierig den Kopf vor, um beide zu beobachten, denn sie saß sechs Plätze von Jettchen entfernt.

»Ich habe ihn auch jetzt wenig gesehen«, meinte Jason gleichgültig, »aber hoffentlich bekommen wir ihn doch jetzt bald öfter zu Gesicht.«

Bei den letzten Worten sah er Jettchen voll an mit seinen großen, grauen Augen, und Jettchen fühlte, wie er sie mit seinen Blicken freundlich streichelte, und sie lächelte dankbar.

Indes aber war drüben am anderen Ende des Tisches ein eifriger literarischer Disput entbrannt, in dem vor allem Max Sprecher war. Es drehte sich darum, wer größer wäre, Goethe oder Schiller.

Goethe, meinte Max, wäre kein großer Mensch gewesen und könne deshalb auch kein großer Dichter sein. – Vor allem wäre sein Lebenswandel ––

»Haste den Jungen gesehen, Hannchen?! Er redet, als ob er davon wirklich was versteht«, unterbrach Ferdinand; aber er war doch stolz auf Max, das hörte man, »wirklich, er redet!«

»Während der Lebenswandel Schillers ein Vorbild makelloser Reinheit wäre«, fuhr Max belehrend fort.

»Nu«, sagte Onkel Eli, der den Kopf schräg über den Tisch hielt, um besser zu hören. »Woher weißte? Wer hat das kontrolliert?!«

»Aber das steht doch überall«, warf Max ganz von oben herab dem alten Herrn zu.

»Nu, Max, will ich dir mal was sagen!« Onkel Eli beschrieb mit dem Finger ein Häkchen. »Schiller hat sehr wohl mit de Weiber sich abgegeben; er hat sogar so zu sie geredt, daß sie ihn gar nischt verstanden haben! – Frag' Jason.«

Jason lachte laut, und auch Jettchen mußte lachen, das erstemal an diesem Tag.

»Seelenvolle Harmonien wimmeln,
Ein wollüstig Ungetüm,
Aus den Satten, wie aus ihren Himmeln
Neugebor'ne Seraphim«

deklamierte Jason mit schwülem Pathos. »Nun, wo steht denn das bei deinem Herrn von Schiller, Max?«

»Er wird schon wissen«, meinte Ferdinand, der es als Vater nicht gern sah, daß sein Sohn Max bloßgestellt wurde. »Aber Kinder, was wollen wir denn nachher machen?!«

»Fürs erste gibt's doch was«, rief Rikchen.

»Ich für meinen Teil kann bei der Hitze gar nichts essen«, sagte Ferdinand und tat sich vom Hammelrücken drei Scheiben auf. Mit der Ente hatte er sich schon vorher tätlich auseinandergesetzt.

»Na«, meinte Eli, »man sieht wenigstens, du zwingst dich, um nicht unhöflich zu sein.«

»Gestatten Sie, Fräulein, ich nehm' mir noch ein Stückchen«, sagte Julius und hielt das Mädchen an, das sowieso noch zu ihm gekommen wäre. »Seit heute früh, Fräulein Jettchen, geh' ich auf einem Stückchen Brot und einem grünen Jäger.«

Aber Jettchen antwortete nicht und sprach mit Jason über die Bücher, die er ihr geliehen. Einiges wollte sie ihm mitgeben, und ob sie Neues bekommen könnte. – Wirklich, dieser neue Vetter Julius war ihr höchst lästig. Eigentlich, was ging er sie an, aber wenn sie nur das unangenehme Gefühl ihm gegenüber losgeworden wäre, ein Gefühl von etwas Naßkaltem, ähnlich, wie sie es bei einem Frosch oder bei einer glatten grünen Raupe empfand.

»Ach«, mischte sich der neue Vetter Julius ein. »Richtig, ich wollte Ihnen auch Bücher mitbringen, ich hatte sie mir schon hingelegt, liebes Jettchen.«

Aber das liebe Jettchen gab keine Antwort und sprach weiter mit Jason.

»Wirklich der Kirschkuchen«, sagte Tante Hannchen und schob Wolfgang ein großes Stück auf den Teller, »man sollte gar nicht glauben, daß er aus Charlottenburg ist.«

Salomon erzählte wieder von vornehmen englischen Badebekanntschaften; und Eli schimpfte auf die »Pitisten«. In seiner Jugend hatte man das nicht gekannt; und der Alte Fritz hätte einen Hengstenberg schon längst zum Teufel gejagt, wo er auch hingehörte. Er hätte früher immer geglaubt, die Welt ging weiter, statt dessen fände er, sie käme immer mehr zurück.

Dagegen erhoben Ferdinand und Max Einspruch und sagten, daß sich doch alles entwickle. Sie hätten jetzt englisches Gas und künstliches Mineralwasser und die Sinumbralampen – die Eisenbahn erwähnte Ferdinand nicht – und den Bürgersteig und die Wehrpflicht.

»Ja, wißt ihr«, sagte Eli, »die Sach ist wie mit de englische Stahlfedern. Se sind vielleicht billiger wie die Gänsekiele und vielleicht auch haltbarer – aber die Leut können nich mehr mit schreiben.«

Das konnte Eli schon sagen, denn er schrieb noch mit seinen achtzig Jahren eine so kunstreiche und schöngeschwungene Schrift, daß es eine Freude war, es zu sehen.

Julius erzählte, er hätte sich jetzt etwas von Glasbrenner gekauft: »Der Guckkasten auf achtzehnhundertneununddreißig«, »Herrn Buffeys schönster Tag« und auch »Die Landpartie nach Französisch-Buchholz« – weil alle so viel davon hermachten –, aber er hätte nicht darüber lachen können.

Jason meinte, daß in diesen Sachen doch eine gewisse volkstümliche Lustigkeit stecke, die vielleicht sehr roh, aber auch sehr wirkungsvoll sei, und wenn Glasbrenner eben feiner organisiert und künstlerischer wäre, so hätte er bei seiner natürlichen Anlage das Zeug zu einem Humoristen großen Stils haben können. Ihm persönlich wären diese Hefte aber vor allem lieb wegen der Umschläge und Kupfer von Hosemann, die weit vornehmer und wertvoller wären wie der ganze Glasbrenner in eins.

Jettchen meinte, daß sie sich immer sehr mit Brennglas belustigt hätte, besonders das Berliner Blumenorakel hätte ihr gefallen. F-Fenchel –

»Sanfter Schneider laß die Schmeicheleien,
Sonst empfängst du bald von mich ein ›Nein‹.«

Jason und Ferdinand lachten darüber und wiederholten im Duett:

»Sanfter Schneider laß die Schmeicheleien,
Sonst empfängst du bald von mich ein ›Nein‹.«

Aber Jettchen fing einen mißbilligenden Blick Tante Rikchens auf, der nicht ihr galt, sondern dem neuen Vetter Julius, und sie verstand mehr, als ihr lieb war.

»Nun«, fragte Salomon, »entschuldigt, gibt's noch etwas?«

»Hier nicht«, meinte Jettchen, »Kaffee trinken wir wohl nachher im Garten.«

»Ach«, sagte Hannchen, »da fallen einem ja so eklige Raupen in die Tasse, und hier ist es auch viel kühler.«

»Wir haben keine Raupen im Garten«, sagte Jettchen. »Und ich habe auch schon auf dem Rasenplatz decken lassen.«

»Weißt du, Hannchen, du willst auch immer was anderes«, rief Ferdinand mißbilligend und erhob sich.

Minchen war ärgerlich. »Solche Person«, tuschelte sie Jason zu, »hier ist ihr nichts gut und fein genug, und wenn man zu ihr kommt, kann man sich noch freuen, wenn sie einem noch grade eingemachte Mohrrüben vorsetzt.« Die eingemachten Mohrrüben, die Minchen einmal bei Hannchen bekommen hatte, verzieh sie ihr nie.

»Na«, sagte Ferdinand, »was machen wir denn Nachmittag?«

»Ich denke, wir spielen in der Laube einen Robber«, antwortete Salomon.

»Ich schlaf' erst e bißchen«, sagte Eli. »Wo kann man das hier, Jettchen?«

»Ach, du gehst nachher mit uns in den Schloßpark«, bettelte Jenny.

»Darf ich mich Ihnen dann anschließen, Fräulein Jettchen«, warf Julius ein. »Ich kenne den Park auch noch nicht.«

»Ich glaube, man wird Sie hier beim Whist besser brauchen können.«

»Ich spiele aus Prinzip keine Karten«, erwiderte Julius. »Ich wer' mich hinsetzen, um meine Zeit und mein Geld zu verlieren. Und haben Sie schon mal einen Spieler gesehen, der zu was gekommen ist? Ich nicht. Da haben wir in Posen einen gehabt, einen jungen Mann, ich hab' mit ihm zusammen gelernt –«

Da kam Jason.

»Na«, sagte Jettchen, »erzähle mir doch noch etwas, was dein Freund jetzt macht.«

Jason sah sie an und lachte.

»Kannst du mir das nicht sagen«, und dann klopfte er ihr die Backen. »Jettchen, Jettchen, wenn das nur gut wird.«

Jettchen wurde blutrot und sah zu Boden.

»Na, wir woll'n mal nachher sehen, woll'n mal sehen«, setzte Jason begütigend hinzu.

Jettchen hob den Kopf wieder und hatte nasse Augen, aber da trat Hannchen zu ihnen, die aus den Vorderzimmern kam.

»Ganz nett«, sagte sie und pustete, »ganz nett, wie ihr hier wohnt, aber doch ein bißchen sehr beschränkt.«

Onkel Eli kam noch einmal. »Sag mir doch, Jettchen, wo schläft mer hier.«

Und Jettchen brachte ihn nach vorn ins Zimmer von Onkel und Tante, wo er zwischen einem Kanapee und einem Lehnstuhl die Wahl hatte. Eli nahm vorsichtig seine weiße Perücke ab und hing sie über die Lehne, nahm ein Käppchen aus der Seitentasche und stülpte es sich über den kahlen Kopf; und Jettchen hatte ihm noch nicht eine Reisedecke übergedeckt, da war er auch schon mit offenem Munde eingedruselt. »Nur e paar Minuten«, wie er schon halb im Schlafe sagte.

Draußen im Garten, der ganz grün und goldig in der Sonne unter dem weißblauen Nachmittagshimmel lag, ging der hierhin und der dorthin. Die Kinder zogen wieder ins Obst, und sie verschwanden schnell in den dichten Gängen von Himbeerstauden und Stachelbeersträuchern; und nur ihr freudiges Rufen und das helle Kleid Jennys, das durch die Büsche blitzte, gab von ihrer Anwesenheit Kenntnis.

Hannchen, Rikchen, Minchen saßen in der Laube sehr ruhig und sehr bequem, und Salomon war bei ihnen; Ferdinand ging mit Julius auf und ab; Max hatte sich an Jason gehängt und sagte ihm, daß er ihm nächstens einmal etwas Bedeutendes von sich zu lesen geben wollte. Aber Jettchen hatte genug zu tun, um die Kaffeetafel ordentlich zu machen; denn Frau Könnecke und Emilie hatten die Tische mitten in die Sonne gestellt, und Jettchen mußte sie nun an die Büsche in den Schatten bringen lassen. Auch ging sie mit einer Schere von den Heckenrosen Zweiglein abschneiden, um sie über das Leinentuch zu streuen. – Denn seit wenigen Tagen blühten die Heckenrosen nämlich, und die runden Büsche waren dicht bestickt mit flatternden, rosig-zarten Kelchen. Ferner mußte Jettchen sorgen, daß man genug Weißbier in den Wasserzuber an der Laube tat, daß die Karten, die Spielmarken, die Zigarren und Liköre herunterkamen – Anisette für die Damen, Benediktiner, Curaçao und Kognak, um jedem etwas zu bieten. Und endlich mußte sie das Eis in ein Tischtuch einschlagen und die hohen Gläser und die Zitronen für Limonade sich zurechtstellen. – Es gab genug für sie zu tun. Auch mußte sie den Schnittkuchen auf den Schüsseln noch einmal zurechtlegen, denn so, wie ihn Weiße geschickt hatte, mochte Jettchen ihn nicht auf den Tisch stellen. Und die Sahne mußte ebenso in die eigenen Kristallschalen umgefüllt werden, da die gepreßten Glaskrausen vom Konditor Jettchen zu ärmlich und gewöhnlich erschienen.

Und als Jettchen nun damit fertig war, ging sie herum, alle aus allen Winkeln zusammenzuholen, und wie sie sie in der Nähe der Tische wußte, ging sie herauf und weckte Eli, der ganz verdattert auffuhr, und beorderte zugleich die Mädchen mit den großen Meißener Kannen hinunter.

Hannchen sagte, sie könne nicht so sitzen, und man brachte ihr ein Kissen und einen tiefen rohrgeflochtenen Stuhl aus der Laube; auch wären Mücken hier im Garten, und eine hätte sie schon hinten in den Hals gestochen.

Die Kinder griffen beim Kuchen zu, daß Jettchen fürchtete, es möchte nicht reichen; und von der Schlagsahne machten sie sich noch einen Kranz um die Untertasse. Der neue Vetter Julius saß neben Jettchen, und Jason saß auf ihrer anderen Seite. Minchen fand den Gedanken mit den Rosen reizend – auf so etwas käme auch nur Jettchen –, aber Hannchen, die die bloßen Arme breit auf den Tisch legte, schrie, daß sie sich gestochen hätte, und so etwas wäre ihr wirklich noch nicht vorgekommen. Eli war bei seiner Jugend und erzählte Reiterstücke. Tante Rikchen sagte, sie freue sich wirklich, daß Salomon wieder hier sei, so nett wäre es hier draußen noch nie gewesen, und sie sollten nur alle recht oft kommen, – wenigstens einen Sonntag um den anderen.

»Verschwör es nicht«, rief Salomon.

Jettchen war jetzt ganz schweigsam geworden und ängstlich, denn sie fühlte, was ihr bevorstand. Ferdinand meinte, sie hätte sich verändert; früher hätte sie ebenso schön wie interessant ausgesehen, jetzt wöge das Interessante etwas bei ihr über.

Julius sprach von seinen Geschäftsaussichten. Die Lage wäre für Rohleder jetzt gut, und wenn es mit dem Lokal in der Alten Leipziger Straße etwas würde – sie seien nur noch achtzig Taler auseinander –, dann hoffe er am 15. August sich eintragen zu lassen.

Jason saß sehr still, und man merkte, daß er etwas überlegte. Hannchen, Minchen und Rikchen waren bei Kleidern und Dienstboten und warteten nur, daß sie allein waren, um als drittes die Männer in den Kreis des Gespräches zu ziehen.

Jenny drängelte schon, daß Jettchen mit ihnen in den Schloßpark ging, und Ferdinand rief: »Nu, Salomon, halt's Spiel nich auf«, und dann, als das nicht verfing, sang er:

»Warum jeht's denn jar nicht, jar nicht,
Warum jeht's denn jar nicht, jar nicht.«

– – – Aber wenn Ferdinand sang, war er unwiderstehlich, und deshalb stand Salomon auf und rief: »Ich denke, wir legen einen Robber.« Das war das Zeichen, daß die Zwischenmahlzeit beendet war.

Max, Jenny, Wolfgang und Julius scharten sich um die Fahne Jettchens, um sich ihrer Führung anzuvertrauen, – wie das Heer der Burgunder um die Jungfrau von Orleans. Aber Jettchen hatte erst noch nach diesem und jenem zu sehen und Anweisungen zu geben, daß in ihrer Abwesenheit auch nichts versäumt würde; – und sie mußte sorgen, daß der Spieltisch in die Laube kam, daß Weißbier, Liköre, Zigarren zur Hand waren, daß in zwei Stunden noch einmal Brötchen herumgereicht wurden – ehe sie mit ihrem Heere das Lager abbrechen konnte. Es war ihr ganz lieb, daß sie die Kinder von hier fortzogen, denn es war eine unerträgliche Unruhe über sie gekommen und eine Beklemmung und eine Angst, die ihr mit tausend Nadelstichen aus der Haut schlug.

Die Frauen gingen in eine Laube auf der anderen Seite des Gartens, in der erst das Mädchen die welken Blätter und die vertrockneten Akazienblüten wegkehren mußte, die auf dem morschen Bretterboden, auf Stühlen und Bänken lagen, während es sich Eli, Salomon, Ferdinand und Jason unter dem breiten Dach und den üppigen und hellgrünen Gewinden der Pfeifenkrautblätter bequem machten. Unter den grünen lichten Blattscheiben, die von gelben Strahlen durchwirkt waren, war die Luft schön kühl, kühl, als ob man diese Blätter selbst berührte.

Ferdinand mischte mit der Linken und schob mit der Rechten sich die Spielmarken zurecht.

»Sag mer mal, Salomon, was ist der junge Mann eigentlich«, fragte Eli.

»Welcher junger Mann«, fuhr Jason auf.

»Er ist doch ein Neffe von mir«, meinte Salomon.

»Das weiß ich ja, Salomon – ich meine was für e Branche.«

»Er will sich in Leder etablieren.«

»So, so – Ledder – Ledder is e gute Branche!« sagte Eli und dachte an Sättel und Zaumzeuge.

»Wie findest du ihn denn?« fragte Ferdinand nicht ohne Absicht.

»Was fragste mich?! Für mich is er nischt. Der junge Mann is e verkrochener Charakter, sag' ich dir.«

»Ach«, warf Salomon ungläubig ein.

»Nu, ihr werd's ja sehen!«

»Na, Onkel«, rief Ferdinand, »kommen Se auf mer ßu!«

»Ich hab' mer noch selten in die Leute getäuscht.«

»Na, – nu ne Karte oder ein Stück Holz«, rief Ferdinand unwillig.

Eli suchte in seinem Blatt hin und her und spielte endlich aus. Jason stach mit einem niedrigen Trumpf.

»De Kleinen ziehen de Großen«, sagte er, denn Salomon war Elis Aide.

»Nu«, sagte Eli langsam, als er verloren hatte, »wenn ich statt der Schellenachte die Herzdame gegeben hätte?«

»Keine Leichenreden!« rief Ferdinand und markierte.

»Der steht wie Blücher vor Roßbach«, meinte Salomon, meldete einen Singleton und warf polternd einen hohen Trumpf auf den Tisch.

Aber das Spiel drehte sich, weil Jason geschickt schnitt.

»Das war e Schlag ins Kontor«, meinte Ferdinand.

Er selbst meldete nichts und war mißmutig.

»Hier kommt den ganzen Nachmittag kein Blatt her«, sagte er einmal über das andere.

»Ja, ja, Ferdinand«, meinte Salomon. »In diesem Jahr klagen alle Whistspieler.«

Eli verlor wieder ein bombensicheres Spiel, das ihm Ferdinand mit einer Schundkarte aus der Hand drehte.

»Wie de Raben sind se! Wie de Raben sind se!«

Jason korkte die Weißbierkruken auf und goß kunstvoll in die flachen großen Gläser – er verstand das.

»Hört mal«, sagte er, »hör mal, Salomon. Ich möchte mal mit euch über etwas reden.«

»Dazu hast du doch auch noch nachher Zeit«, rief Ferdinand und mischte.

»Nein«, sagte Jason, »die Sache ist nämlich ziemlich wichtig.«

»Und meinst du, das Spiel hier etwa nicht?!« fragte Ferdinand gekränkt und ordnete seine Trümpfe.

»Sag mal, Salomon, weißt du, der Doktor Kößling, der mal bei dir war –«

»Ach der«, meinte Ferdinand.

»– der interessiert sich für Jettchen.«

»Nun – und –«, erwiderte Salomon ernst.

»Ja, das Wichtigste aber mal zuerst, daß sich auch Jettchen für ihn interessiert, sogar mehr wie nur interessiert.«

Salomon zog die Stirn kraus und hielt die Karten ans Kinn.

»Ja, ich weiß nicht, wo du da hinauswillst, Jason?!«

»Ich meine, Salomon, es wäre unrecht, einer solchen Neigung, die von beiden Seiten ganz ehrlich ist, im Wege zu stehen.«

Da fuhr Salomon auf. »Nein, Jason, weißt du, ich finde es vielmehr unrecht, einer solchen Neigung das Wort zu reden.«

»Das begreife ich nicht, Salomon, du willst doch ebensogut Jettchens Bestes wie ich.«

»Gerade deswegen kann ich so etwas nicht dulden.«

»Laß mich mal reden«, warf Eli ein. »Meinste denn wirklich, Jason, daß ihn Jettchen mag?«

»Ich weiß es, Onkel.«

»Nu, – und was ist er denn, der junge Mann?«

»Jedenfalls ein sehr tüchtiger und guter Mensch.«

»Ein guter Mensch gehört auf 'n guten Ort«, sagte Ferdinand, der ganz unbeteiligt dabei saß und ein Gesicht machte, das deutlich sagte: wie kann man nur so etwas überhaupt in Frage ziehen.

»Laß mich mal reden, Ferdinand, ich meine, was er ist, der junge Mann.«

»Was soll er denn sein! Doktor der Philosophie.«

»Nu scheen, er hat doch wenigstens e Titel. Aber was is er denn sonst?«

»Er schreibt für Zeitschriften, weißt du, er schlägt sich wohl gerade so durch.«

»Also er ist nischt – scheen, Jason! – Aber was hat er denn?«

»Gar nichts, was soll er denn haben? Er ist aus Braunschweig, – kommt aus ganz kleinen Verhältnissen«, sagte Jason unwillig.

»Lächerlich!« meinte Salomon, und das war stets der Ausdruck seines stärksten Mißfallens.

»Laß mich mal reden, Salomon«, unterbrach ihn Onkel Eli schroff, ganz wider seine Art. »Also er is nischt, und er hat nischt. Du meinst aber, Jason, er is sonst e ordentlicher Mensch?«

»Wenn ich das nicht wüßte, würde ich ja nicht für ihn hier eintreten.«

»Richtig«, sagte Eli. »Mir hat er, wie er mal bei mir war, auch sogar sehr gut gefallen, e bescheidener und gediegener Mann und keiner von de Großsprecher wie der Herr Jacoby.«

»Ja – aber.«

»Laß mich mal reden, Salomon. Du hast zwar ganz recht, er is nischt und hat nischt. – Aber was schad' denn das, Salomon, du hast doch gewiß was und bist doch auch was. – Ich an deiner Stelle würde ihm ruhig Jettchen geben. In unserer Familie haben's doch alle ausgerechnet als mit de Liebe. Wülste vielleicht das Mädchen mit Gewalt unglücklich machen?! Das mußte dir doch auch überlegen, Salomon – so e Prachtmädchen, wie unser Jettchen ist.«

»Na – und daß er Christ ist«, meinte Ferdinand, weil Salomon die Lippen zusammenkniff und nichts antwortete. Man wußte nicht, war es aus Unwillen, oder schwankte er innerlich. »Na und das?«

»Kann er was dafür, Ferdinand?! So was war fürs alte Jahrhundert gut. Heute soll man sich doch um solche Lächerlichkeiten nicht mehr kümmern, – das ist mein voller Ernst«, kollerte rot wie ein Puter Eli, dem die Revolutionsideen seiner Jugend in Fleisch und Blut übergegangen waren.

»Na«, meinte Ferdinand spöttisch, »willst du das nicht mal vielleicht für die ›Biene auf dem Missionsfeld‹ ausarbeiten?«

»Nein, Eli hat ganz recht«, fiel Jason ein, trotzdem er eigentlich hierin ganz anderer Meinung war.

»Höre mal, Jason«, sagte jetzt Salomon sehr ernst und mit der Überlegenheit des reichen Mannes und des Kaufherrn, der gewohnt ist, Verhandlungen zu führen, in denen es sich um Dinge von Wichtigkeit, um Geld und Geldeswert dreht. »Höre mal, Eli, wir wollen uns mal gar nicht ereifern, sondern in aller Ruhe die Sache besprechen. Du mußt aber nicht glauben, daß du mich damit überrascht hast, Jason.«

»Ah – so!« meinte Ferdinand.

»Denn ich wußte es schon. Ich dachte bloß nicht, daß gerade du dafür Sprecher sein würdest.«

»Wirklich, ich begreife das auch nicht«, pflichtete Ferdinand bei.

»Meine Antwort, die ich dir jetzt gebe, Jason, hätte ich dir schon vorher geben können. Daß der junge Mann sich für Jettchen interessiert, ehrt ihn, aber damit ist es auch gut. – Und das ist das einzige, das ich hierbei verstehe. Für alles andere bin ich eben zu unmodern. Wer ist er denn – der Doktor Kößling? Wenn er nur irgend was in die Waagschale zu legen hätte! Aber er kommt einfach her: gib mir deine Nichte Jettchen. Er ist Schriftsteller. Ja, was heißt denn das? Wenn er noch einen sicheren Beruf hätte! Aber so 'n Mann, der heute ein paar Groschen verdient und morgen nichts, solch einem Menschen soll ich – –«

»Lieber Salomon«, unterbrach Jason, »du magst ja vom Kaufmannsstand sehr viel verstehen, aber von der Lage des Schriftstellers heute verstehst du gar nichts, das höre ich aus deinen Worten. Schätze und Reichtümer kann er nicht schaffen, das gebe ich zu, aber ein Schriftsteller, der Geld hinter sich hat, wird immer genug verdienen und immer sein reichliches Auskommen haben.«

»So ist's«, drückte Eli seinen Stempel auf.

»Ein Kaufmann aber kann sein ganzes Vermögen und das seiner Frau, Salomon, in zwei Spekulationen verputzen.«

»Er muß 's ja wissen«, meinte Ferdinand brüsk, wie er stets war, und das brachte Jason in Harnisch, aber der hielt noch einmal an sich.

»Ja, weil es immer noch größere Gauner gibt wie er!« sagte er nur. »Es ist durchaus irrtümlich, anzunehmen, daß man selbst der größte ist.«

Salomon, der Diplomat war, stand auf. »Dann brechen wir wohl am besten die Unterhaltung ab.«

»Nein«, sagte Jason, und er dachte an Kößling. »Laß mich weiterreden. Gerade bei einem Schriftsteller ist das kleinste Risiko, denn sein Geschäft kennt keine Spesen, er braucht nichts hineinzustecken; er arbeitet nur mit seiner Gesundheit, seinem Hirn und seiner Nervenkraft; und es gibt in seinem Geschäft keinen Seidencoupon, der nachher zum halben Preis verramscht werden muß.«

»So is 's Salomon! Recht hat Jason«, rief Eli.

»Jeder gute Groschen Verdienst ist bei ihm Reinverdienst, während der Kaufmann bei zehntausend Talern Verkauf noch nicht einen Groschen wieder eingebracht zu haben braucht.«

»Ja«, sagte Salomon, der wieder Platz genommen hatte, »beim Kaufmann bleiben aber vielleicht von den zehntausend Talern viere hängen; – der Schriftsteller wird aber immer nur den guten Groschen verdienen.«

»Gewiß, gewiß«, rief Ferdinand.

»Nu höre mal, Salomon, du brauchtest doch wirklich nicht so zu sein«, meinte Eli. »E Mann wie du, der gar nicht mehr weiß, wieviel er eigentlich hat.«

»Nein«, sagte Salomon. »Ich wäre auch gewiß nicht so, wenn das andere mir passen würde.«

»Na, Eli, spiel aus«, rief Ferdinand. »Hören wir doch schon endlich auf damit.«

»Aber wer ist denn dieser Doktor Kößling?! Irgendein hergelaufener Mensch. Ich will ja gar nichts Schlechtes gegen ihn damit sagen. Aber frag mal in Berlin herum, wer wir sind. Ja, bitte, frag mal. Ich weiß nicht, wie du dir das vorstellst.«

»Nein, Salomon, ich finde, das ist eigentlich genug, was Kößling ist. Wir haben nämlich das, was wir sind, als Geschenk mit auf den Weg bekommen, und der Mann ist das, was er ist und wird, aus eigener Kraft. Das ist mehr.«

»So is 's, Salomon!« sagte Eli und nahm mit beiden Händen das Weißbierglas an den Kopf.

»Nein – das macht es nicht aus –, die Familie ist doch mehr wie du glaubst. Der Gelbgießerjunge, der mit bloßen Füßen rumgelaufen ist, kommt immer wieder heraus – und wenn er auch später Professor und Hofrat wird.«

Jason stutzte. »Bei Kößling aber nicht«, warf er ein.

»Und wenn ich auch selbst in meinem Herzen über die Religion genauso denke wie Eli. Mit unserer Einwilligung heiratet Jettchen keinen Christen. Mit unserer Einwilligung nicht, – verstehst du.«

»Ich begreife nicht, Salomon, wie du überhaupt über solche ausgefallenen Sachen dich aufregen kannst. – Ich lege Herzen«, meinte Ferdinand.

»Na, willst du sie vielleicht an irgend so e faulen Posenschen Schnorrer verheiraten?!« rief Eli und setzte das Glas hin, daß der Tisch zitterte.

Aber Salomon ging auf den Ton nicht ein.

»Ich brauche dir das ja nicht erst zu erklären, Jason. Es sind nicht die paar Gebräuche, oder ob sich einer vielleicht nachher in der Chausseestraße und nicht in der Hamburger Straße begraben läßt – das ist es nicht, sondern du weißt es ja ebensogut wie ich, weswegen wir am Judentum hängen und uns dagegen sträuben, daß es in unserer Familie ausstirbt.«

»Höre mal, Jason, ich würde es sogar lieber sehen, meine Jenny heiratet mal überhaupt nicht, ehe sie einen Christen nimmt«, sprang Ferdinand ein. »Wie du nur solcher Sache das Wort reden kannst, begreife ich nicht. Und meinst du vielleicht, das wäre im Sinne unseres armen Moritz?!«

»Nein«, sagte Jason, »aber das meine ich, es wäre in seinem Sinne, daß alles getan wird, sein einziges Kind glücklich zu machen – damit können wir auch sein Andenken viel besser ehren als durch falsche Sentimentalität und Engherzigkeit.«

»Ganz, was ich sagen wollte! Ich habe ihn doch gekannt, als er noch so e Jüngelchen war, ich weiß noch wie heute, wie er immer zu mir gekommen ist, wenn er Geld brauchte«, meinte Eli und nickte mit dem Kopf.

»Ja«, begann wieder Salomon, »und ich sehe auch nicht ein, warum man sein Lebtag nun für irgendsolchen hergelaufenen Menschen gearbeitet haben soll!«

»Glaube doch nicht, Salomon, daß du Kößling mit den sechzig- oder siebzigtausend Talern, die du vielleicht Jettchen gibst – – –«

»Es mögen auch hundert sein! Nicht wahr, Salomon?« unterbrach Eli und wühlte zwischen den Zigarren.

»Daß du ihm damit ein Geschenk machst. Glaube doch das nicht, Salomon! Der Mann braucht dein Geld nicht, und er hat es noch nie bisher vermißt. Er will nur Jettchen – und wenn Jettchen eben nicht hier in deinem Hause aufgewachsen wäre, wo alles so aus dem vollen geht und Geld keine Rolle spielt, wenn ich denken würde, daß sie sich, ohne dabei äußerlich und innerlich zu leiden..., sich in ein ganz kleines unsicheres und ärmliches Leben schicken würde, so würde ich, ich selbst ihr raten, von hier fortzugehen.«

Jason und Salomon waren beide aufgesprungen und blickten sich in die Augen. Mit roten Köpfen und im hellen Zorn standen sie da.

»Gott, sind aber hier in Charlottenburg die Pfropfen kurz!« sagte Ferdinand verlegen und spielte mit dem Korken einer Weißbierkruke.

Im Augenblick jedoch war auch wieder die Welle leidenschaftlichen Unmuts, die beide durchbraust und ihre Augen blitzen und ihre Hände zitternd gemacht hatte ... war auch wieder verebbt.

»Du brauchst dich nicht zu ängstigen, Salomon«, sagte Jason leise und wie entschuldigend, »ich tue es nicht – ich denke nur, auch du wirst darin schon anderen Sinnes werden.«

»Das glaube ich nicht, Jason.«

»Auch nicht, wenn du mal gar nicht an Doktor Kößling und nur an Jettchen denkst?«

»Lieber Jason«, sagte Salomon, und es klang fast weich. »Sei versichert, ich denke die ganze Zeit über nur an sie. Ich habe die Sache schon vorher nach allen Richtungen mit meiner Frau durchgesprochen.«

»Immer de Frauensleute! Er muß mit de Frauensleute reden!« polterte Eli und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.

»Und ich würde es für unverantwortlich halten, wenn ich es unterstützte, ich glaube auch nicht, daß es bei Jettchen Ernst ist –«

Jason zuckte die Achseln. »Gut! – sage aber dann nicht, daß ich dich nicht vorher gewarnt hätte.«

»Und selbst wenn es das wäre, so könnte das mich auch nicht bestimmen, etwas zuzugeben, von dem ich überzeugt bin, daß es schlecht für sie ist. Unser Jettchen ist viel zu vernünftig, als daß sie nicht darüber hinwegkäme.«

Salomon war jetzt wieder ganz der überlegene reiche Mann und der Kaufherr, der eine Besprechung mit den Fabrikanten hat und ihnen auseinandersetzt, warum für ihn die Foulards acht Pfennig die Elle billiger sein müssen.

» Viel zu vernünftig ist Jettchen! Da kenne ich sie doch besser, der ich seit zwanzig Jahren täglich mit ihr zusammen bin. Wir werden uns aber Mühe geben, – nicht wahr –, daß wir recht bald einen tüchtigen und ordentlichen Mann für sie finden, und dann sollst du mal sehen, Jason, wie Jettchen nicht mehr an Doktor Kößling denkt.«

»Sage mal, Salomon, soll Doktor Kößling noch mal selbst mit dir sprechen?« fragte Jason sehr förmlich.

»Wozu soll sich der Mann den Weg machen.«

»Das ist also dein letztes Wort!«

»Ich könnte ja sagen, Jason: komm noch mal wieder! Aber ich liebe das nicht. Wenn ein Reisender zu mir kommt, so kaufe ich ihm etwas ab oder ich kaufe nicht; wiederkommen lasse ich nicht ... das ist bei mir Geschäftsprinzip.«

Jason hatte sich von neuem schwer wieder erhoben mit jenem harten Ruck im Kreuz. Er war jetzt ganz weiß im Gesicht, so daß Salomon erschrak.

»Dann adieu.«

»Na, was heißt denn das, Jason? Wollen wir nicht mal die Runde zu Ende spielen«, rief Ferdinand beleidigt.

»Nu siehste, Salomon, – das haste davon. Er geht«, meinte Eli.

»Aber Jason«, lenkte Salomon ein, »die Sache ist doch wirklich nicht von der Bedeutung.«

»Ich finde sie ernst genug, Salomon.«

»Nu setz dich schon wieder hin«, bat Ferdinand.

»Ich begreife ja Salomon auch nicht«, warf Eli dazwischen, »wo er doch so e ordentlicher Mensch ist, von dem man nur das Beste weiß, und e hübscher Mann ist er doch auch. Se waren doch mal bei mir, wirklich, wie se da standen, – wie de Fürsten!«

»Nein, Jason, du glaubst vielleicht, ich bin hartherzig und rücksichtslos, und dabei denke ich doch nur weiter wie du. Du wirst mir schon später recht geben.«

»Wir werden da nicht zusammenkommen, Salomon; – adieu!«

»Ja, Jason, es tut mir leid, daß du schon gehen willst; aber es wäre mir doppelt leid, wenn ich dir persönlich damit zu nahe getreten wäre. Das habe ich nicht gewollt.«

»Aber er wird dir doch nichts übelnehmen; unter Brüdern tut man das doch nicht«, beschwichtigte Ferdinand.

»Nein«, sagte Jason leise und müde. »Beleidigt hast du mich nicht, aber wir reden eben jeder unsere eigene Sprache, und wir werden uns nie verstehen, wie wir uns eigentlich nie verstanden haben. Doch wer weiß, vielleicht würde ich, wenn ich der reiche Seidenwarenhändler Salomon Gebert wäre, ebenso denken und handeln, – aber bitte, haltet mich nicht länger auf.«

»Willst du nicht Rikchen noch adieu sagen«, rief ihm Salomon nach.

Aber Jason Gebert hinkte, so schnell ihn seine lahmen Füße trugen, den schattigen Weg hinunter nach dem Hause zu; denn er fürchtete, daß, wenn er noch länger bliebe, er Jettchen in die Arme liefe, die jetzt bald zurückkommen mußte, – und davor graute ihm.

»Schade«, sagte Ferdinand nachdenklich. »Na, spielen wir eben mit Strohmann.«

Aber die beiden anderen hatten keine rechte Lust mehr.

Salomon zog und biß an seiner Zigarre und gab immer die falsche Farbe zu, nahm zurück und warf eine noch schlechtere Karte. Und Eli spielte sogar um ein kleines Stück sinnloser wie sonst und redete mehr wie sonst, noch mehr wie sonst hinter jedem Stich her, so daß Ferdinand endlich wütend die Karten auf den Tisch warf und sagte, solch eine Partie wie diese wäre ihm – und er spiele jetzt beinahe an vierzig Jahre Whist – überhaupt noch nicht vorgekommen; er hätte keine Lust, mit Kadetten und ähnlichen Militärwaisen zu spielen. Damit steckte er ärgerlich den Gewinn ein und legte die Füße auf den Stuhl, den ihm Jason vorsorglich frei gemacht hatte.

Es war auch heiß und dumpfig in der Laube geworden, das Weißbier hatte den Spielern die Hitze nur noch unerträglicher gemacht, und so saßen sie bald jeder breit und bequem in einem Korbsessel in der hellgrünen Dämmerung – denn die Sonne, die erst die grüne Laube durchglüht hatte, war schon hoch in die Baumwipfel emporgestiegen –, und sie rauchten ganz still und nachdenklich vor sich hin. Besonders froh war keinem zumute.

»Aber, Eli, hast du gehört, wie er geredet hat, mein Bruder Salomon – der reine Mirabeau?« sagte Ferdinand endlich in der Erinnerung an vorhin. »Man merkt doch gleich den Ofener Schüler.«

Doch Eli kam nicht dazu, zu antworten, denn da standen plötzlich wie die drei Parzen Rikchen, Hannchen und Minchen vor der Laube, Arm in Arm; rechts und links in ihrer hellen Fülle die beiden Schwestern und in der Mitte ganz klein und zusammengedrückt Tante Minchen in ihrem Schwarzseidenen.

»Na«, sagte Hannchen, »wie ist denn das mit dem Spiel? Wohl zu heiß?«

»Ja«, meinte Salomon mißmutig.

»Was gibt's denn?« meinte Rikchen, sah um sich und schnüffelte kopfschüttelnd nach rechts und links. »Es riecht doch hier so angebrannt? Und wo ist denn Jason?«

»Jason hatte noch eine Verabredung für den Nachmittag«, antwortete Ferdinand schnell. »Er läßt dich auch grüßen. Aber er wollte es nicht so auffällig machen.«

»Soo –«, sagte Rikchen und suchte den Blick ihres Mannes.

»Natürlich Jason, echt Jason«, rief Hannchen.

»Weißt du, er hat es ja eigentlich sehr gut gemeint«, sagte Salomon.

»Was! Was!« rief Minchen neugierig und ganz hoch.

Aber da hörte man Jenny und Wolfgang rufen, und Jettchen kam mit Max und Julius hinten den Weg herunter.

»Daß de nie still sein kannst, Minchen, daß de das nicht lernst«, polterte Eli. Und die arme Minchen wußte gar nicht, wie ihr geschah. Das war doch noch schöner, nicht einmal fragen sollte sie!

»Aber hast du denn hinten schon unsere Birnen gesehen?« tuschelte Rikchen und nahm das verdutzte Minchen unter den Arm und zog sie fort, denn Rikchen mochte gerade jetzt nicht gleich Jettchen gegenübertreten.

Jettchen trug einen Strauß roter Rosen in der Hand, und eine rote Rose, die ihr Jenny eingesteckt hatte, hing ihr im Haar an der Schläfe; und Max und der neue Vetter Julius hatten ebenfalls rote Rosen am Rock stecken. Jenny aber ging mit einem zierlichen schmalen Kränzchen von zarten Sandnelken in den schwarzen, geöffneten Flechten, und man kann nicht sagen, daß sie nicht wußte, wie gut sie das kleidete. Und auch Wolfgang war sommerlich geschmückt. Er trug um die Brust ein stolzes Bandelier, das aus grünen Lindenblättern gefertigt war, die Jettchen mit Kiefernnadeln und Dornen kunstvoll zu einer Kette aneinandergereiht hatte; und diese grüne Zier machte das Köpfchen über dem breiten, weißen Klappkragen noch blasser und kränklicher.

Jettchen sah mit ihrer hohen, stolzen Schönheit in dem weißen Linonkleid mit den goldenen Ähren – sie trug es jetzt auf – wie eine Königin mit ihrem Gefolge aus, – denn auch den neuen Vetter Julius überragte sie um gut einen Kopf.

»Nun sieh dir an, wie sie da kommt!« sagt Eli und stand auf.

»Aber Jettchen, von wem hast du denn die prachtvollen Rosen«, rief ihr Hannchen entgegen.

»Von unserem Julius«, kicherte Jenny vorlaut und knuffte Wolfgang.

»Nu?! – Is er nich ein reizender Mensch, – Jettchen? Ein vollendeter Gentleman, ganz wie mein verstorbener Bruder Nero«, sagte Hannchen.

Julius Jacoby lächelte geschmeichelt.

»Die paar Rosen«, sagte er, »waren doch schon das wenigste, was ich für Fräulein Jettchen tun konnte. Aber teuer sind sie hier, – unerhört – –«

Jettchen sah sofort, daß sich hier inzwischen etwas abgespielt hatte. Sie sah es an der erkünstelten Gleichgültigkeit Ferdinands und an den Unmutsfalten Salomons, und sie las es an den freundlichen, mitleidigen Blicken des alten Onkel Eli.

»Na«, fragte sie, »warum spielt ihr denn nicht mehr? Kann ich euch irgend etwas kommen lassen?«

»Ach nein«, sagte Eli, »du hast ja sowieso schon so freundlich für alles gesorgt, aber wenn de vielleicht noch e paar Mürbekuchchen im Haus hättest?!«

»Ich hole sie, ich glaube, es sind noch welche da«, sagte Jettchen. »Aber wo ist denn Jason?!«

»Jason! Du kennst doch Jason! Meinste – er wird sie warten lassen«, antwortete Ferdinand.

»Wo dient se eigentlich?« fragte Eli lustig.

»Jason ist schon fortgegangen?!« Und Jettchens Stimme zitterte, und sie schluckte, um nicht laut loszuweinen.

»Ja«, sagte Salomon ruhig und gleichgültig, »er muß irgendeine Verabredung gehabt haben.«

»Er sagte mir gleich, daß er nicht zum Abend bliebe«, meinte Hannchen. »Hat er dir nicht auch davon gesprochen?!«

»Nein«, antwortete Jettchen, und sie war ganz blaß geworden, so daß die rote Rose im Haar noch greller aufflammte. »Nein – ich – hoffte – er – würde hierbleiben –«

Und damit drehte sich Jettchen um und lief mehr als sie ging – ohne auf die Zurufe zu achten – schnell den Weg hinunter nach dem Hause.

»Du mußt mal nach Jettchen sehen«, sagte Ferdinand zu Rikchen, die eben wieder mit Minchen von den wunderbaren Birnen zurückkam. »Ich glaube, sie ist raufgegangen.«

»Nu siehste, Salomon, – das haste davon«, meinte Eli.

»Herr Jacoby, spielen Sie Whist?« rief Ferdinand, um wieder ein wenig Stimmung in die Partie zu bringen. »Na, denn mal schnell rangewienert!«

»Eigentlich spiele ich aus Prinzip nicht«, sagte Julius und setzte sich auf den Stuhl, den ihm Jason frei gemacht hatte. »Ein Kaufmann –«, aber er besann sich, und schon flogen die Karten über den Tisch, von Ferdinands lockerer Hand wie von einem Wirbelwind ausgestreut. Klatsch, klatsch, immer zu dreien, immer zu dreien. Ferdinand vergab sich nie.

Und bei der ersten Runde – Julius gewann Stich auf Stich, denn er hatte bald herausgefunden, daß es mit Elis Spielkenntnissen nicht weit her war – kam das Mädchen und brachte Mürbekuchen für den alten Herrn Gebert.

»Siehste, Salomon, so is Jettchen: – se hat den Kopf voll und denkt dabei noch an meine faulen Mürbekuchen.«

»Halt 's Spiel nich auf«, rief Ferdinand mit Betonung.

»Was macht denn Fräulein Jettchen?« fragte Salomon das Mädchen.

»Sie ist gleich in ihre Stube gegangen, Herr Gebert.«

Aber Julius ordnete ruhig und geschäftig seine Karte. Er pflegte aus »Grundsatz« das, was er nicht sehen wollte, nicht zu bemerken.

 


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