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Das Haus von Frau Könnecke war nur sechs Fenster breit und einstöckig. Es hatte ein schräges, braunes Dach mit breiten Schweifungen, in denen schwarz die runden Augen der Mansardenfenster saßen. Das Haus steckte ganz unter Bäumen. Erst kamen die vier Reihen alter Linden, die jetzt mit ihren breiten Fächern von Blättern aus schlaffem, grünem Seidenpapier noch die Sonne durchließen und ihr gestatteten, ihre goldenen Gewebe über den Sandweg zu breiten. Erst kamen diese gelbgrün gekleideten, schwarzstämmigen Kolosse, die ganz mitleidig auf das kleine Haus heruntersahen, und dann hinter dem vergrünten Holzzaun mit der knarrenden Tür der kleine Vorgarten, verwildert, beengt und überfüllt.

Büsche von Flieder und Goldregen lehnten sich gegen die Hauswand, gleichsam, als wollten sie sie mit den Schultern wegschieben, und die Rotdornhecken streckten sich, als müßten sie in die Fenster hineinschauen, und es dürfe ihnen ja nichts von dem entgehen, was da drinnen vorging. Und selbst, wenn man die paar Stufen hinaufging zu dem kleinen Holzbau der kleinen Plattform, die vor der Haustür ein Warte- und Ruheplätzchen bot, schlugen einem Ligusterbüsche um die Füße. Die kleinen Rasenfleckchen, das kleine schwarze Beet mit den Hyazinthen und der dickbauchigen Kugel aus Spiegelglas, die, wo man auch stand, eine Miniaturwildnis, von einem blauen Himmel überspannt, zurückwarf, sie waren alle ganz eingeengt von den Büschen und schienen von ihnen nur bis auf Widerruf geduldet zu sein.

Links wohnte Frau Könnecke mit der Schar ihrer Kinder. Der Mann war bei ihr längst Sage geworden. War er gestern oder vor zehn Jahren gestorben? Kam er heute abend wieder? Man hörte nichts von ihm. Rechts vom Hausflur, die beiden Zimmer nach vorn und das eine nach dem Hof, hatten Geberts gemietet, und die Küche gehörte dazu und die Mansarde für das Mädchen auch. Jettchens Fenster sah gerade auf das Hyazinthenbeet und die Kugel aus Spiegelglas. Ihr Zimmer war mattblau getüncht und hatte oben einen kleinen silbernen Streifen. Die Fenster waren weiß und mit zierlich gerafften Mullgardinen bespannt Und in der Ecke stand ein weißer, runder Gipsofen. Aber trotzdem mochte man nicht glauben, daß je im Winter hier jemand wohnen könnte. Es war so recht für den Frühling geschaffen, das Zimmerchen mit seinen paar hellpolierten Birkenmöbeln. Im Frühling drang das Trällern und Zwitschern von draußen herein bis in den Ofenwinkel, und vom mattblauen Frühlingshimmel schien ein Stück Licht sich an den Wänden gefangen zu haben.

Im Sommer, wenn das Laub dunkler war, dichter und üppiger, dann war das Zimmer ein Fleckchen für angenehme, nachdenkliche Zurückgezogenheit, und kühle Stille mochte von den blauen Wänden strahlen. Im Herbst, wenn das Laub wieder dünn und spärlich wurde, wenn es goldgelb, braun und purpurn in der mattblauen Luft hing, dann schienen sich hier noch ein paar vergessene Träume von Vogelgezwitscher gefangen zu haben, aber im Winter, wenn die Schneehauben auf den Zaunpfählen lagen, wenn das Buschwerk mit tausend feinen Krallen die Wattetupfen hielt, die sich in Ästen und Gabelungen verfangen hatten, und wenn die weiße Decke und der weiße Himmel in ewiger Umarmung ineinander sanken, dann mochte man auch nur im Gedanken an dieses hellblaue Zimmer mit dem Silberstreifen und den gelblichen Birkenmöbeln, auch nur im Gedanken daran, frösteln und traurig werden.

Nicht so das zweifenstrige Zimmer für die Tante, das daneben lag. Das war ein rechter Winterwinkel, mit seinen tiefen Mahagonimöbeln und seinem schweren Anstrich von pompejanischem Rot an den Wänden, mit seinen farbig gemalten Kartuschen über den beiden Betten – Bacchantinnen, die mit Panthern spielten – eine Symbolik, die hier immerhin schon etwas platzwidrig erschien.

Und dann war noch über dem Flur das Zimmer nach hinten heraus, ganz schlicht weiß, mit ein paar hochlehnigen Stühlen, einem Tisch, einem Anrichter und etwas Porzellan im Eckschrank. In ihm aßen Jettchen und die Tante. Rechtes Licht bekam es nie; es war den ganzen Frühling, den ganzen Sommer in eine lichte, grüne Dämmerung getaucht von den breitblättrigen Kastanien auf dem Hof, die ihre Zweige vor dem Fenster verschränkten. Erst im Herbst, wenn die Sommergäste fort waren, dann mochte dieser dichte, grüne Schleier von Boden, Decke und Wände weichen und das weiße Licht durch das schwarze Gezweig frosteln. Und des Abends sah dann der rote Himmel durch das scharf gezeichnete Netz der Äste in das stille Zimmer.

 


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