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Vom heiligen Johannes Goldmund

Zu Rom lebte einmal im vierten Jahrhundert nach Christi ein sehr frommer Papst, der es liebte, selbst auf Spaziergängen zu beten. Da er einst auf einem einsamen Wege ging, drang eine klagende Stimme an sein Ohr. Er wendete sich in die Richtung, aus der das Wehklagen kam, aber es war niemand zu sehen. Da das Jammern nicht aufhörte, sprach der Papst:

«Im Namen Gottes befehle ich dir, mir zu sagen, wer du bist.»

Da vernahm er folgende Worte:

«O, weh mir! Ich bin eine arme Seele, die schon so lange in der Pein des Fegefeuers lebt, und noch nie ist meine Qual auch nur eine Stunde lang gelindert worden.»

Das tat dem Heiligen Vater leid und er fragte:

«Sage mir, arme Seele, wie ich dir helfen kann.»

«Ach, du kannst mir nicht helfen», erwiderte die arme Seele betrübt.

Sprach der Papst:

«Daß ich dir nicht helfen kann, tut mir herzlich leid. Und doch hat mir der allmächtige Gott viel Macht verliehen, da ich von Sünden lossprechen darf. Drum sage mir, ob dir wirklich niemand helfen kann.»

Sprach die arme Seele:

«Es lebt ein frommer Mann in Rom, der hat eine liebe Frau, die ein seliges Kind erwartet, das man Johannes nennen und das einmal ein Priester sein wird. Wenn dieser Johannes einst als Priester sechzehn heilige Messen für mich gelesen haben wird, kann ich arme Seele von meiner Qual erlöst sein.»

«Sage mir den Namen und die Straße, wo der Vater des Kindes wohnt.»

Da gab die Seele dem Papst genaue Auskunft, begann jedoch bald wieder zu klagen und zu weinen wie vorher, und der Papst schritt in tiefes Nachdenken versunken traurig seiner Wohnung zu.

Gleich am nächsten Tage ließ er die Eheleute, von denen die arme Seele gesprochen hatte, zu sich kommen. Er begrüßte besonders die junge Frau und sprach zu ihr:

«Liebe Frau, ich habe vernommen, daß du ein Kind empfangen wirst. Selig wird die Frucht deines Leibes sein, und dein frommes Kind wird Johannes heißen.»

Sprach die Frau:

«Heiliger Vater, ich kann es nicht wissen, aber Gottes Wille möge geschehen.»

Sprach der Papst:

«Ich bitte euch beide, lasset mich wissen, wann euer Kind geboren sein wird, weil ich es selbst aus der Taufe heben und sein geistlicher Vater sein möchte.»

Da dankten ihm die Eheleute ehrerbietigst und gingen glücklich miteinander nach Hause.

Als nun das Kind geboren war, hob der Heilige Vater es aus der Taufe, und da es heranwuchs, sah er oft nach dem Kinde. Und als der kleine Johannes sieben Jahre alt geworden war, ließ man ihn in die Schule gehen. Er zeigte sich aber gar wenig begabt, und lernte so gut wie nichts. Weil nun die andern Kinder ihn seiner Dummheit wegen auslachten, schämte sich das Schülerlein gar sehr, und ging alle Tage in die Kirche, um Unserer Lieben Frau seine Not zu klagen, wie schwer er begreifen könne, was in der Schule gelehrt wurde.

Einmal betete der junge Johannes wieder vor dem Bildnis der Gottesmutter, und bat sie kindlich und innig, ihm doch beim Lernen ein wenig behilflich zu sein. Da er nun demütig ganz unten zu Füßen des Altares kniete, rief ihm die Mutter Gottes freundlich zu: «Kleiner Johannes, komm ein wenig näher zu mir.»

Da stieg Johannes, angezogen von der süßen Güte der Gottesmutter, die Stufen zum Altare hinan und hatte nun das heilige Antlitz Unserer Lieben Frau ganz nahe vor sich. Da war es der Sitz der Weisheit und der Spiegel der Gerechtigkeit und die heilige Mutter des guten Rates, das Heiligste, das zum Kinde sprach:

«Küsse meinen Mund, so lernest du alle Kunst und du wirst klug und weise werden.»

Da trat Johannes hinzu und küßte den Mund der allerweisesten Jungfrau, und von dieser Zeit an lernte er ganz leicht. Da sprachen die andern Schulkinder:

«Wie ist dir nun geschehen, daß du plötzlich so klug geworden bist? Vorher hat man doch nichts in dich hineinbringen können, weder in Güte noch mit Strenge, und jetzt verstehst du mehr als wir alle.»

Und da die Kinder ihn ansahen, bemerkten sie, daß er einen goldenen Ring um seinen Mund trug, der wie Licht und Stern um ihn schimmerte. Da nannten ihn seine Gespielen «Goldmund», und dieser Name blieb ihm zeitlebens, wie auch der schimmernde Goldring um seinen Mund. Später aber wurde von ihm gesagt: «Er heißt mit Recht Goldmund, denn die Worte, die aus seinem Munde kommen, sind lauter und rein und leuchtend wie edles Gold.» Doch hatte er seine Weisheit erst am Altare Unserer Lieben Frau erlernt.

 

Der Papst, dessen Liebling Johannes blieb, ließ ihn schon mit sechzehn Jahren zum Priester weihen. Dies geschah so früh, weil der Heilige Vater aus Mitleid mit der armen Seele nicht länger warten mochte und wünschte, Johannes möge jene sechzehn Messen bald gesungen haben. Johannes Goldmund sang seine erste Messe mit großer Andacht, dachte sich aber doch ein wenig, er sei noch zu jung und nicht reif, nicht würdig genug, das allerheiligste Gut in seinen kindlichen Händen zu erheben. Auch machte er sich Sorgen, da er so jung zu einer reichen Pfründe gekommen war. Er wäre so sehr gerne ganz arm geblieben, weil er fürchtete, das zeitliche Gut könne seiner Seele schaden. Als Johannes Goldmund sein erstes Meßopfer beendet hatte, wurde er von vielen geistlichen Würdenträgern zu Tische geführt und mit vielen Freundlichkeiten bedacht, weil alle den jungen Priester sehr lieb hatten.

Johannes Goldmund aber wollte sich nicht verwöhnen lassen und gab einem unabwendbaren Verlangen nach Einsamkeit nach. Er zog sich nach dem Fest, das man ihm zu Ehren veranstaltet hatte, in seine Kammer zurück, legte Bettlerkleider an, nahm etwas Brot mit sich, und so gelang es ihm, unerkannt zu entfliehen.

Tagelang hielt er sich in einem stillen, dichten Walde und genoß die schöne Ruhe des Waldes. Er kam an eine kleine Quelle, die so munter und unschuldig zu plaudern schien. Da dachte Johannes Goldmund: ach, hier möchte ich wohnen, wo alles so heiter grünt, und wo das klare Wasser der Quelle mir so gut mundet. Hier ist ein hohler Stein, der meine Wohnung sein könnte, schon mit Moos bewachsen. Hier hätte ich rechte Muße, an den lieben Gott zu denken, der gewiß auch meiner gedenken wird. Noch ist Sommer und es gibt Beeren im Walde, von denen ich mich nähren kann, und fürs erste habe ich ja auch noch etwas Brot.

So blieb Johannes Goldmund im Walde und es gefiel ihm gut, in der schönen grünen Einsamkeit mit Gott Zwiesprache zu pflegen oder ein kleines Loblied zu singen, das vom Echo der hohen Bäume leise beantwortet wurde. In Rom allerdings und besonders vom Heiligen Vater wurde er recht vermißt, und man suchte vergeblich nach ihm, doch wissen wir nicht, ob Johannes Goldmund sich darüber Gedanken machte.

Nicht gar weit vom Walde entfernt lag eine Burg, in der der Kaiser mit seiner Familie wohnte. Und eines Tages nun ging des Kaisers Tochter mit ihren Freundinnen zur Kurzweil im Walde spazieren. Als die jungen Mädchen fröhlich beim Blumenpflücken waren, erhob sich plötzlich ein starker Wind, der des Kaisers Tochter mit sich nahm und sie hoch hinauf und weit fort in die Lüfte entführte, so daß die andern Mädchen nicht mehr wußten, wo die Prinzessin geblieben war. Es wurde lange vergeblich nach ihr gesucht. Schließlich jedoch mußten die Jungfrauen auf die Burg zurückgehen, um dem Kaiser die Mitteilung zu machen, ein starker Wind habe seine Tochter mit sich genommen. Da tat es dem Kaiser sehr leid um sein Kind, doch hoffte er zu Gott, es könne ein günstiger Gegenwind sie auch wieder nach Hause bringen.

Doch sehen wir uns selbst einmal nach des Kaisers Tochter um. Der Wind nämlich hatte sie bei jenem hohlen Stein niedergelassen, bei der Waldzelle des Johannes Goldmund. Da kam die Jungfrau wohlbehalten an. Und da stand sie nun in ihrem vornehmen Gewande und sah den Wald hinauf und hinab, ob sie nicht eine menschliche Seele erblicken könne. Dann aber entdeckte sie die Steinhöhle, dachte vielleicht daran, hier in der Nacht ruhen zu können, und da sie in die Höhle blickte, sah sie Johannes Goldmund auf der Erde ausgestreckt im Gebete liegen. Da wurde des Kaisers Töchterlein gar froh und rief mit heller Stimme:

«Ach, lieber Herre, verzeiht, wenn ich Euch störe, aber seid barmherzig und laßt mich ein wenig eintreten.»

Johannes Goldmund erschrak, stand auf, ging vor die Höhle und sah die Jungfrau vor sich stehen, die ihn abermals bat, sie doch gütigst aufzunehmen. Johannes Goldmund sah das Mädchen an und schwieg.

Da sprach es:

«Ich sehe wohl, daß du ein guter Christ bist, und darum bitte ich dich, mir beizustehen. Würde ich mein Leben im Walde verlieren, wäre es deine Schuld und du hättest es bei Gott zu verantworten. Würden mich die wilden Tiere anfallen und zerreißen, würdest du es sühnen müssen.»

Da sprach Johannes Goldmund:

«Wer bist du und wie kommst du hierher?»

Sprach des Kaisers Tochter:

«Es ist Gottes Wille, daß ich hier bin. Mehr sag ich nicht, und das mag dir genügen.»

Johannes Goldmund wäre freilich lieber allein geblieben, aber er konnte und durfte die Jungfrau nicht ohne Schutz lassen. Wenn ihr etwas Böses im Walde geschieht, wird der Allmächtige mir zürnen, weil ich mich der Hilflosen nicht angenommen habe. Goldmund dachte in diesem Punkte ähnlich wie die Prinzessin. Daher ließ er sie, wenn auch etwas beklommenen Gemütes, in seine Zelle eintreten, doch machte er sogleich mit seinem Stab einen Strich, der den Raum teilte, und sagte zur Jungfrau:

«Bleibe du hier in deinem Teil, und ich will im meinigen bleiben. Und ich bitte dich dringend, mir zu versprechen, daß du meinen Wunsch achten willst.»

Das Mädchen sagte: «Das will ich gerne tun.»

Die Kaiserstochter schlief nicht viel in der ersten Nacht und als der Morgen anbrach, dachte sie besorgt: eine Quelle gibt es freilich, aber vom klaren Wasser allein kann der Mensch nicht leben. Mein Wirt hat mir nichts anzubieten, und wie es mit seinen Bedürfnissen bestellt ist, kann ich nicht wissen. Ich werde wohl rechten Hunger leiden müssen. Sie sah Johannes Goldmund sich von seinem Laublager erheben, und da er sogleich zum Gebet niederkniete, tat des Kaisers Töchterlein leise für sich das gleiche, und nahm somit gleich die fromme Sitte ihres Gastgebers an.

«Wir sollten wohl miteinander nach Speise ausgehen», schlug Goldmund vor.

Sie folgte ihm, aber die Speise, die sie fanden, bestand nur aus Kraut und Wurzeln und ein paar Walderdbeeren. Das aßen sie gemeinsam und dankten Gott für die Nahrung in großer Demut. Es war ein gar frommes und gutes Mägdlein, das zu Johannes Goldmund gekommen war, und es hätte so recht die Mitgenossin seiner Tugend sein können, wenn nicht der böse Feind diese unschuldige Gemeinsamkeit und Freundschaft gestört hätte.

Der Dämon führte nämlich Johannes Goldmund in Versuchung, und eines Tages betrat er den Kreis der Jungfrau, überschritt die Grenze, die er selbst gezeichnet hatte, und kam zu ihr, zu der er eine Liebe verspürte, an der schon einmal die Schlange im Paradiese ihre unselige Freude hatte. Sie war es, die Goldmund das Verlangen nach der Sünde eingab, und das arme, verblendete Mädchen gab nach. Kaum aber hatte es seine Unschuld verloren, als es auch schon von Scham und Reue ergriffen war, und auch Johannes Goldmund sprach sogleich gegen sich: «Ach, was ich je Gutes getan habe, dazu mir Gott verhalf, das habe ich alles verloren.» Das Mägdlein aber weinte bitterlich und hatte gar viel darum gegeben, wenn es die Sünde hätte rückgängig und ungeschehen machen können.

Johannes Goldmund aber fürchtete fortan die Gesellschaft der Frau und dachte bei sich: sollte sie länger bei mir weilen, könnte ich Gefahr laufen, noch öfter mit ihr zu sündigen. Da führte er sie auf einen hohen Felsen und stieß sie hinab, so daß sie in den Abgrund stürzte. So wähnte er, mit einer Sünde die andere getilgt zu haben, sich vor kommenden Versuchungen schützend. Kaum aber war er in seine einsame Zelle zurückgekehrt, als das böse Gewissen ihn überfiel, weil er eine junge Menschenblüte zerstört hatte. Er sprach zu sich selber:

«O ich Unseliger! Ich habe einen Mord begangen an der armen Frau und an meiner Seele. Sie hätte niemals an eine Sünde gedacht, wenn ich sie nicht mit meiner Leidenschaft verführt hätte. Ich nahm ihr die Unschuld, aber ich nahm ihr noch mehr, da ich ihr das Leben nahm. Gott wird sich ewig an mir rächen.»

Und verzweifelt verließ Johannes Goldmund den Wald und meinte, er brauche Gott nie mehr zu dienen, es wäre doch alles verloren, und in solchem Kummer meinte er, es wäre gerecht, wenn Gott seiner vollkommen vergessen würde. Dann aber kam ihm wieder jene tiefe Sehnsucht nach Gott, die selbst den größten Sünder befällt und die von Gott selbst stammen muß. Johannes Goldmund besann sich und dachte an die frühen Tage seiner Kindheit zurück, da er den allerreinsten Mund der Gottesmutter hatte berühren dürfen, und es ergriff ihn eine Trauer, die keinen Namen kennt, wie die Liebesreue unaussprechlich und unbeschreiblich ist. Er ging aus dem schönen Wald und kam wieder zum Heiligen Vater nach Rom, dem er seine Sünden beichtete. Der Papst erkannte seinen einstigen Liebling nicht und sprach wie erschrocken von der großen Schuld:

«O geh mir aus den Augen. Du hast zu böse an dieser Frau gehandelt.»

Da ging Johannes Goldmund wieder in den Wald, suchte seine einsame Zelle auf und legte sich eine Buße auf, die uns in ihrem Ausmaß nicht bekannt ist. Er wußte nur um das eine: Gottes Barmherzigkeit muß viel größer sein als die Sünde. Wie anders wäre die Verzeihung möglich?

Man sagt, Johannes Goldmund sei wie ein Tier auf Händen und Füßen gekrochen und habe nur gebetet: sollte ich je meine Sünde gebüßt haben, laß mich innewerden deiner Gnade. Es war dem Büßer nicht um die Seligkeit zu tun, und Gottes Verzeihung allein war ihm das Paradies. So kroch Johannes Goldmund jahrelang wie ein Tier im Walde, während sein Gewand an ihm verfaulte und er rauh am Leibe wurde. Niemand sah ihn hier, doch hatte ihn niemand, der ihn gesehen hatte, mehr zu erkennen vermocht. Nur Gott sah Johannes Goldmund, und Gott kannte ihn.

Nachdem er fünfzehn Jahre lang im Walde büßend gelebt hatte, bekam jene Kaiserin, deren Tochter einst vom Winde entführt worden war, ein Kind. Und da dieses Kind getauft werden sollte, brachte der Kaiser es zum Papst nach Rom, damit er das Kind aus der Taufe hebe.

Das unmündige Kind aber sprach:

«Ich will nicht von dir getauft werden.»

Da staunte der Papst und fragte:

«Sag mir, Kind, ob du von mir getauft werden willst.»

Sprach das Kind abermals:

«Ich will nicht von dir getauft werden.»

Da stand nun der Papst am Taufbecken, und mit ihm die anderen Herren von der Geistlichkeit, mitsamt den Verwandten des Kindes, alle schon gekleidet und wohlvorbereitet, und nur das renitente Kind verzögerte die heilige Handlung. Alle waren aufs höchste erstaunt, und der Kaiser obendrein wenig zufrieden mit seinem bockigen Sprößling, und hatte ihn am liebsten mit Gewalt taufen lassen. Der Papst aber versuchte es in Güte:

«Sieh, Kind, wir wollen dich gern im Paradies des Glaubens wissen. Darum sag mir, von wem du getauft sein willst.»

«Ich will vom hl. Johannes getauft werden, den der liebe Gott aus seinem Elend zu mir senden wird.»

So sprach das kleine Kind und dabei blieb es und man war genötigt, unverrichteter Sache wieder nach Hause zu gehen, da man sich zunächst keinen besseren Rat wußte, zumal niemand eine Ahnung hatte, welcher hl. Johannes wohl gemeint sein könne.

Nun ließ wenige Tage später der Kaiser seine Jäger in den Wald reiten, damit sie für die Hofküche etwas Wild fangen sollten. Da nun die Jäger im dichten Walde jagten, erspähten sie im Dickicht ein ruppiges, greuliches Tier und wußten nicht, zu welcher Gattung es gehörte. Noch nie hatten sie ein solch unheimliches Wesen gesehen, und wagten nicht recht, sich ihm zu nähern. Sie gedachten, es frei laufen zu lassen, aber einer der Jäger meinte, man habe ohnehin kein Jagdglück gehabt und es wäre wohl doch nicht recht, ganz und gar ohne Beute vor dem Kaiser zu erscheinen. So begann man also das Tier zu jagen, um es möglichst rasch zur Strecke zu bringen. Das gehetzte Tier warf sich zu Boden, und blieb still liegen, und da es sich längere Zeit über nicht regte, wähnte man, es sei tödlich getroffen worden. Da liefen die Jäger zum Tier, warfen einen Mantel darüber, banden ihm alle Viere zusammen, knüpften es mit einem Gurt auf ein Pferd, und ritten mit ihrer Jagdbeute der Burg zu. Da kamen viele Leute herbeigeeilt, um das ungewöhnliche Tier zu betrachten, das verängstigt sich unter einer Bank im Burghof verkroch. Man stieß es mit einer Stange wieder hervor, und jetzt stand es mit gesenktem Kopf still und ließ sich betrachten:

Da rief das kleine, ungetaufte Kind des Kaisers, das auf dem Arm seiner Amme saß laut:

«Oh Johannes, mein allerliebster Herr Johannes Goldmund, du bist gekommen, um mich zu taufen.»

Da sprang das Tier auf und war ein Mensch in seiner edlen Würde. Es war Johannes Goldmund, der die Augen zum Himmel emporhob und ausrief:

«O Herr, tu mir aus des unschuldigen Kindes Mund kund, ob ich meine Sünde gebüßt habe.»

Rief das Kind mit heller Stimme:

«Johannes Goldmund, du sollst froh sein, weil Gott dir verziehen hat. Du sollst mich taufen in seinem Namen.»

Da fiel Kraut, Haar und Moos, das an seinem Leib gewachsen war, von ihm ab und Johannes Goldmund stand da in der Schönheit seiner Jugend wie einst. Eilends wurde er mit dem geistlichen Gewand bekleidet, und der Papst empfing ihn sowie alle hohen Würdenträger. Und Johannes Goldmund taufte das Kind des Kaisers mit großer Andacht.

Doch erst als er die heilige Messe sang, erkannte ihn der Papst und ließ sich alles, was dem Büßer begegnet war, berichten. Da sagte der Papst:

«Du sollst einige meiner Diener, zu denen ich Vertrauen habe, zu jenem Felsen führen, an dem die arme Frau ihr Leben verlor, und sollten wir ihre Gebeine noch finden, wollen wir sie in geweihter Erde bestatten.»

Mit diesem Vorschlag war Johannes Goldmund zufrieden und ritt mit den Dienern des Papstes sogleich in den Wald. Da sie aber an den Felsen kamen, sahen sie in einer kleinen Vertiefung eine wunderschöne, junge Frau, die schöne, königliche Kleider trug.

Johannes Goldmund glaubte, seine Augen trügten ihn, und es sei eine Erscheinung, die er erblickte. Er rief der jungen Frau zu: «Sage mir im Namen Gottes, wer du bist.»

Da antwortete die Jungfrau:

«Ich bin jene Frau, die einmal zu Eurer Zelle kam.»

«Wie ist es möglich?» rief Johannes Goldmund staunend aus, «wer half dir? Wer erhielt dich am Leben?»

Sprach die schöne Frau:

«Bei Gott ist kein Ding unmöglich. Er hat mich in meiner Not gnädig beschützt und mir auf wunderbare Weise geholfen. Du aber, Johannes Goldmund, führe mich zum Kaiser und du selbst brauchst ihm nichts zu sagen, weil ich ihm berichten will, wie Gott mir gnädig war. Du mußt wissen, daß ich des Kaisers Tochter bin.»

Da brachte Johannes Goldmund sie zum Kaiser, der überglücklich war, seine Tochter wieder zu haben. Sie aber führte fortan ein heiligmäßiges Leben.

 

Johannes Goldmund ging als Priester nach Rom zurück, wo ihn der Papst bat, jene sechzehn heiligen Messen für die arme Seele zu lesen, die danach zu den ewigen Freuden erlöst eingehen durfte. Johannes Goldmund wurde später zum Bischof geweiht, wo er seines hohen Amtes treu waltete und durch seine herrlichen Predigten berühmt wurde. Er wurde allerdings durch Haß und Mißgunst nochmals von seinem Bistum vertrieben und mußte in eine Wüste wandern, aber denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge, selbst die härtesten und bittersten, zum besten dienen. Denn hier in der Wüste, in seiner letzten Einsamkeit, schrieb Johannes Chrysostomus seine kostbaren Bücher, die göttlichen Worte, an denen wir noch heute den heiligen Goldmund erkennen.

Wir feiern das Fest des hl. Johannes Chrysostomus am 27. Januar, und im Graduale wird die Kostbarkeit seines Lebens also erhoben:

«Siehe, ein Hoherpriester, der in seinen Tagen Gott gefiel. Keiner ist ihm gleich erfunden worden, der das Gesetz des Allerhöchsten so gehalten hatte. Selig der Mann, welcher Anfechtung erleidet, weil er, wenn er bewährt worden ist, die Krone des Lebens empfangen wird. Alleluja.»

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