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Der Soldat und das Jesuskind

Es war einmal ein Soldat, der im Kriege von Gehorsam wegen viel [mördern] und plündern mußte, darüber jeder denken mag, wie er will, und das soll hier nicht erörtert werden. Als tapferer Kämpfer erhielt er von seinen Oberen eine Auszeichnung, ein Kreuzlein auf der Brust, darauf er nicht wenig stolz war, aber seiner braven Frau daheim konnte das nicht imponieren, weil sie nämlich bemerkte, daß der Krieg ihrem Manne gar nicht gut getan hatte. Er hatte rauhe Manieren angenommen, die der Frau nicht zusagten. Besonders das Fluchen konnte sie nicht an ihm vertragen.

«Ein Mund, der flucht, darf nicht küssen» sagte sie, und zog sich scheu vom Manne zurück.

«Ach was, ich denk' mir doch nichts dabei» suchte der Mann die Frau zu beschwichtigen.

«Aber unsere Kinder denken sich was dabei. Sie werden wie du das Fluchen lernen. Und das dulde ich nicht. Lieber Mann, tu mir den Gefallen und höre auf, Gott zu beleidigen, damit ich dich wieder gern haben kann. Oder willst du es nicht?»

«Ja, ich will es», antwortete der Mann, denn es war ihm viel an seiner braven Frau gelegen.

Nachdem sich nun der Mann das Fluchen abgewöhnt hatte, und die Kriegsferien sich dem Ende näherten, sprach die Frau zu ihrem Mann:

«Höre mich an, mein Lieber. Ich will dich lieb behalten und dir treu bleiben, wenn du mir versprechen kannst, an keiner Kirche vorbeizugehen ohne einzutreten, um ein «Ave Maria» zu beten. Hast du keine Zeit, die Kirche zu besuchen, magst du das «Ave Maria» im Vorübergehen sprechen. Nur vergessen darfst du es niemals. Willst du mir das geloben?»

Der Mann sah seine junge Frau an, die ihr jüngstes Kind grad auf dem Schoße hielt, gab ihr über den Tisch hinweg die Hand und versprach ihren Wunsch zu erfüllen. Nach diesem nahm er Urlaub von seiner Liebsten, um wieder in den Krieg zu ziehen, der mit Unterbrechung dreißig Jahre lang gedauert hat.

Seit dem Versprechen jedoch, das der Soldat seiner Frau gemacht hatte, fand er mehr Zeit denn je zuvor, eine Kirche zu betreten, um noch viel mehr als nur ein «Ave Maria» zu beten. Eines Tages nun betrat er eine Kirche, in der sich ein besonderes Bild befand. Da war wohl die Mutter Gottes in ihrem blauen Schutzmantel so zu sehen, wie unsere Augen dies gewohnt sind. Das Kind auf ihrem Schoße jedoch war verwundet dargestellt. Schon ließ das zarte Kind den Schmerzensmann ahnen, der an der Geißelsäule blutig geschlagen wurde, dessen Haupt mit Dornen gekrönt, dessen Hände und Füße von Nägeln durchbohrt, dessen Herzseite von einer Lanze durchstochen wurde. Es war der kommende Erlöser, der hier als verwundetes Kind gezeigt wurde.

Der Soldat sah es, kniete betroffen nieder und anstatt sein versprochenes «Ave Maria» zu beten, stellte er bestürzte Fragen an die Gottesmutter.

«O, heilige Mutter, wer hat dein Kind so sehr verletzt? Wer war's, der dein Söhnlein so grausam schlug? Wer brachte ihm und dir diese Wunden bei?»

Da sah ihn das Bild an, und war wie lebend. Der Mund öffnete sich und sprach, während die Augen sich mit traurigem Vorwurf in die Augen des Soldaten senkten:

«Du bist es. Du hast es getan.»

Da besann sich der Soldat auf seine Taten. Und es fielen ihm Geschehnisse ein, die so schaurig und grausam sind, daß die Feder sich sträubt, sie niederzuschreiben. Der Soldat hatte unschuldige Kinder getötet und war doch selbst Vater von Kindern, an denen er seine Freude hatte.

Das Jesuskind wandte sich erschrocken ab, und verbarg sein Gesicht an der Brust seiner Mutter. Der Soldat sah bestürzt das Wunder, das sich vor seinen Augen vollzog und ging tiefbetrübt seiner Wege.

In der darauffolgenden Nacht fand er keine Ruhe. Sein Gewissen ängstigte und verfolgte ihn. Alles, was er Böses getan und womit er das heilige Gesetz der Menschlichkeit verletzt hatte, stand vor seinen Augen. Er sah die verzweifelten Mütter vor sich, die nach ihren Lieblingen schrien, nach der süßen gesegneten Frucht ihres Leibes. Er sah die klaren, unschuldigen Kinderaugen vor sich, die zarten, jungen Menschen, die den Tod noch nicht kannten und ihn doch so früh und grausam erfahren mußten. Da war der Soldat entsetzt über sich selbst und er wähnte, seine eigene Seele für immer getötet zu haben.

Er wagte nicht, noch einmal in die Kirche zu gehen, aber das Bild stand immer vor ihm: die betrübten Augen der Mutter, das abgewandte Gesicht des verwundeten Kindes. Aber wenn ich nicht in die Kirche gehe, um das «Ave Maria» zu sprechen, kann ich auch nicht mehr nach Hause kommen, heim zu Frau und Kindern. So dachte der bedrängte Mann, und sein Mund flüsterte, so, als wollten die Worte wie von selbst aus ihm heraus. «Gebenedeit ist die Frucht deines Leibes.» Es ging nicht anders: er mußte noch einmal in die Kirche zurück. Wieder sah er, wie das Jesuskind sein Gesicht scheu verborgen hielt. Weinend warf sich der Soldat zu Füßen der Gottesmutter nieder, die ihn in stummem Schmerz anblickte.

«O Mutter, heilige Mutter, wenn du kannst, verzeih mir», flehte der Soldat und blickte erwartungsvoll hinan.

Da öffnete die Gottesmutter ihren Mund, und das Bild begann zu sprechen: «Ich will meinen Sohn für dich um Verzeihung bitten.» Und dann sprach sie auf ihr Kind ein, das sich immer noch vor dem Soldaten zu fürchten schien und sein Gesichtlein tiefer noch in den Mantelfalten verbarg. Der Soldat jedoch wagte das Jesuskind nicht anzurufen, aber die Mutter Gottes sah die Tränen des Soldaten für Bitten an, und sprach zu ihrem Söhnlein: «Höre, du bist nicht zum Bösesein geboren worden. Warum verbirgst du dein Gesicht vor dem Beter?»

«Er hat mir zu weh getan. Wie kann ich ihm da gut sein? Er soll weggehen.» So sprach das Kind und zeigte sich recht störrisch. Da sprach die Mutter in strengem Ton:

«Nein, nein, er soll nicht weggehen. Er soll bei uns bleiben. Weißt du nicht, daß ich die Mutter der Barmherzigkeit bin und die Zuflucht der Sünder? Und du, mein Kind, wirst du nicht einmal sprechen: liebet eure Feinde? Segnet, die euch fluchen? Tut wohl denen, die euch hassen? Besinne dich gut, mein heiliges Kind, oder ich nehme dich von meinem Schoße und werfe mich vor dir nieder, um für den armen Sünder die Vergebung zu erflehen.»

So sprach die große Fürbitterin, die Mutter der ewigen Liebe. Und ihr Kind wollte in ihrem Schoße bleiben. Und auch der arme Soldat war jetzt recht in der Kirche daheim, als er sah, wie das Kind sich ihm freundlich zuwandte, ihn liebreich ansah, und während es dem Soldaten verzieh, heilten die Wunden des göttlichen Kindes. Da wurde auch die Seele des Soldaten wieder gesund und heil, so daß er wieder getröstet und beglückt zu seiner Frau und seinen Kindern heimkehren konnte.

*


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