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Severus, der heilige Erzbischof von Ravenna

Bevor der hl. Severus zum Bischof geweiht wurde, war er ein armer, einfacher Laie. Er war verheiratet mit einer Frau namens Vincentia, und hatte eine Tochter, welche Innocentia hieß. Die Familie gewann ihr Brot mit Spinnen, Weben und Wolle-Zubereiten, und daher wurde Severus im Volk allgemein der Wollpflücker genannt. So führte Severus ein recht armes, doch zufriedenes Leben.

Es begab sich eines Tages, daß der Bischof zu Ravenna gestorben war und ein neuer gewählt werden sollte. Da wurden viele geistliche Würdenträger sowie die Vornehmen der Stadt zusammenberufen, um die Bischofswahl zu treffen. Es war befohlen worden, daß jeder drei Tage fasten und sich innerlich recht vorbereiten sollte, um zu erkennen, wer würdig sei, den Bischofsstuhl einzunehmen.

In den Tagen der Beratung lief alles Volk zur Kirche, um dabei zu sein, und auch Severus sprach scherzhaft zu seiner Hausfrau: «Ich hätte auch wohl Lust, in die Kirche zu gehen, um mir den neuen Bischof zu betrachten.»

Frau Vincentia erwiderte spöttisch:

«Ja, das wäre recht passend, wenn du mit deinen armseligen, mürben Kleidern dich unter die vornehmen Herren mischtest, die in Sammet und Purpur daherkommen. Die werden gewiß gern auf deinen Rat hören. Nein, nein, laß das lieber bleiben. Man würde dich mit Prügeln traktieren und zur Kirche hinauswerfen. Bleib du daheim und zupf die Wolle. Ob du nämlich hingehst oder nicht, sei versichert, mein Lieber, dich werden sie nicht zum Bischof wählen.»

«Nun ja, aber deswegen kann ich doch gleichwohl in die Kirche gehen», gab Severus zurück.

Die Frau spöttelte und höhnte weiter, und sagte zum Schluß: «Geh nur in die Kirche, du armseliger Wollsack. Du wirst schon sehen, wie man dich dort behandeln wird.»

Severus achtete nicht auf die Reden seiner Frau, ging ruhig in die Kirche und bekam in seinem unziemlichen, schäbigen Gewand sogar einen Platz in der Nähe des Fürsten von Ravenna, der die Einberufung der Würdenträger bestellt hatte.

Als nun die Versammelten um ein Zeichen von Gott beteten, damit offenbar wurde, wer Bischof sein sollte, siehe, da kam eine weiße Taube vom Himmel geflogen und ließ sich auf das Haupt des Severus nieder. Jedermann war höchst erstaunt. Manche hielten es für ein sicheres Zeichen, daß Severus von Gott selbst zum Bischof auserkoren war. Andere dagegen meinten, es könne ein Zufall sein und es wäre nicht möglich, dem armen, schlechtgekleideten Laien ein solch hohes, geistliches Amt anzuvertrauen. Einige waren so unwillig und verärgert über den armen Severus, daß sie ihn zu puffen und zu schlagen begannen und ihn zur Kirche hinauswerfen wollten. Es wurde beschlossen, die Bischofswahl auf den nächsten Tag zu verlegen.

Severus ging am folgenden Tage abermals in die Kirche, doch verbarg er sich im schattigen Winkel eines Beichtstuhles. Wieder wurde um ein göttliches Zeichen gebetet, und siehe, wieder kam die Taube und flog auf das Haupt des Severus, den man kniend im Winkel entdeckte. Man verwunderte sich gar sehr, kam aber doch übereins, die endgültige Bischofswahl auf den nächsten Tag zu verlegen. Als aber das gleiche geschah, die himmlische Taube sich zum drittenmal auf dem Haupte des armen Severus niederließ, sichtbar und strahlend vor allem Volk, riefen alle mit lauter Stimme: «Wen könnten wir gerechter erwählen als denjenigen, den Gott selbst dreimal auserkoren und uns bezeichnet hat!»

Und obwohl Severus sich sträubte, wurde er ergriffen, in die Sakristei geführt, in die priesterlichen Gewänder gekleidet und noch in gleicher Stunde zum Bischof geweiht.

Einige, die solches mit ansahen, eilten zu Frau Vincentia, um ihr zu erzählen, daß ihr Mann nicht heimkommen könne, da er Bischof geworden sei. Vincentia, die wohl eine gutmütige, brave Person war, nur etwas spottlustig, brach in helles Lachen aus, da sie die Neuigkeit über ihren Mann hörte.

Sie sprach im Scherz also:

«Ja, ja, das hab' ich mir schon gedacht, daß es so kommen würde. Severus ist ein gelehrter Mann und er wird sein Bischofsamt gut ausüben.»

Wir wissen zwar nicht, ob die Frau wirklich meinte und dachte, was sie sagte, doch sprach sie gleichwohl die erste Wahrheit über den künftigen Bischof, da sie in ihrer Rede fortfuhr:

«Severus, der bis jetzt Wolle gezupft hat, wird uns ein edles Beispiel geben, wie man fromm lebt. Er wird vieler Menschen Vater sein.»

Danach ging die Frau mit ihrer Tochter selbst in die Kirche, und da sie ihren bisherigen Gatten im Bischofsornat erblickte, wurde ihr gar seltsam zumute. Sie kniete nieder und begann andächtig zu beten für den soeben geweihten Bischof, doch auch für sich selbst, da sie nunmehr ihr künftiges Leben als Witwe zu verbringen hatte. Innozentia verblieb im jungfräulichen Stand.

 

Severus aber wurde ein heiliger Bischof, der überaus gütig war und viele Wunder verrichtete, so daß sein Lob noch bei seinen Lebzeiten durch das ganze Land Italien ging. Er machte auch in der Gelehrsamkeit erstaunliche Fortschritte, was vielen Menschen ein unbegreifliches Wunder blieb. Unser Herr Jesus aber hat den Mund der armen Fischer beredt gemacht, jene einst unwissenden Jünger, die das Evangelium in weisen, edlen Worten verkündigt haben, und den Wollpflücker von Ravenna hat er sich als frommen, klugen Hirten auserkoren. Im Konzil von Sardonia, das Severus unter vielen Bischöfen aus verschiedenen Ländern leitete, hat der Heilige viel getan für die Läuterung des christlichen Glaubens.

 

Als die frühere Frau des Severus, Vincentia, und Innocentia gestorben waren, legte der Heilige die beiden in ein Grab, das er für sich selbst hatte errichten lassen. Da er nun alt war und ans Sterben kam, da er vorher um die Stunde seines Todes wußte, legte er sein priesterliches Gewand an, und sang noch einmal am Altar die heilige Messe. Danach ging er zum Grabe, das er hatte öffnen lassen und in dem er die beiden Särge erblickte, die seine frühe Jugendliebe bargen. Da sprach der Heilige also:

«Ihr beiden Lieben, Vincentia und Innocentia, ich habe euch dieses Grab nur geliehen. Darum wäre es freundlich von euch, wenn ihr auch mich neben euch ruhen lassen würdet. Wie wir einmal in der Welt eine Weile lang unsere Zeit miteinander verbracht haben, wollen wir auch hier im Schoß der Erde eine Weile beisammen sein bis zur seligen Auferstehung.»

Dann trat Severus in das Grab, wie einst der Evangelist Johannes tat, machte über sich das Zeichen des heiligen Kreuzes und gab seinen Geist auf.

 

Ein Schülerlein jedoch, das ihm bei der heiligen Messe gedient hatte, war zugegen gewesen, als Severus noch lebend ins Grab gestiegen war. Da man nun später den Stein über das Grab legte, geschah es, daß der Stein sich ein wenig öffnete und ein Stück des Meßgewandes zu erblicken war. Da rief das Schülerlein in großer Sorge klagend aus: «Oh, kommt zu Hilfe. Mein Herr, der Bischof ist ins Grab gegangen. Oh, helft ihm doch, damit er nicht erstickt!» Die Menschen aber verstanden wohl, daß hier Gottes Wunderhand am Werk gewesen war, knieten nieder und begannen das Lob des Allgütigen zu singen, der ihnen Severin, den heiligen Bischof, geschenkt hatte.

*


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