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Drei Marienlegenden

Vom Ritter, der die Schönheit liebte

Es war einmal ein junger Ritter, der eine schöne Frau schier über die Maßen liebte. Er meinte, sie sei die Schönste und Liebste und wenn er sie nicht ehelichen könne, müsse er vor Kummer zugrunde gehen. Es war ihm so ernst mit der Frau, daß er ihr eines Tages klar machte, wie es um ihn stand. Die schöne Frau aber verschmähte den Ritter, weil er ihr nicht recht gefiel.

Da wurde der Ritter tief betrübt, ging zu seinem Beichtvater und klagte diesem seine Not. Der Beichtvater sagte:

«Geh ins Kloster zum Abt, der kann dir einen guten Rat geben. Und was er dich heißen wird, das sollst du tun. So wirst du schon aus deinem Elend herauskommen.»

Da ging der Ritter stehenden Fußes zum Abt, der sogleich bereit war, dem Leidenden zu helfen, und zu ihm sagte:

«Du sollst drei Monate hindurch alle Tage fünfzig Ave Maria beten. Befolgst du dieses, wirst du entweder die eine oder andere Frau bekommen, jedenfalls aber jene, die dir lieb ist.»

 

Von dieser Zeit ab betete der Ritter täglich seine Ave Maria mit zunehmender Innigkeit. Am letzten Tage erschien ihm Unsere Liebe Frau in ihrer himmlischen Klarheit und Schönheit. Sie trug einen weiten, langen, blauen Mantel, der mit vielen goldenen Sternen bedeckt war. Sie sah den Ritter freundlich an und sprach zu ihm:

«Ich bin gekommen, weil du mich gerufen hast. Du sollst empfangen, was du begehrst. Sieh, die Sterne an meinem Mantel sind deine Gebete, deine Grüße und dein Ave, das du mir geschenkt hast. Und jetzt sieh mich an, ob du mich willst oder eine andere.»

Da sah der Ritter Unsere Liebe Frau an, und sein Herz ward in reinster Liebe zu ihr entflammt. Er sprach zu ihr:

«O liebe Mutter Gottes, ich will dich über alles liebhaben.»

Und die andere Frau vergaß der Ritter so sehr, als habe es sie niemals gegeben. Die Mutter Gottes aber sagte zu ihm:

«Ich will, daß du deine Keuschheit bewahrest, und über ein Jahr will ich wieder zu dir kommen und dich mit mir nehmen, damit du immer bei mir bleibest.»

Über dieses Versprechen freute sich der Ritter unsäglich und fühlte sich recht getröstet, ging zum Abt, dankte ihm herzlich für seinen guten, klugen Rat und erzählte ihm genau, wie es ihm mit Unserer Lieben Frau ergangen sei. Dann bat der Ritter noch den Abt, ihn in seinen Orden aufzunehmen, was ihm gern gewährt wurde. Von dieser Zeit an lebte der Ritter als Mönch glücklich im Kloster. Und als das Jahr vergangen war, kam die Mutter Gottes, um den seligen Liebhaber ihrer himmlischen Schönheit mit sich zu nehmen.

 

Das Jesuskind als Geisel

Es war einmal eine arme Witwe, die auf der Welt kaum ein anderes Glück kannte als ihren einzigen Sohn, den sie, wie wohl jede Mutter ihr Kind, sehr lieb hatte. Nun war aber ihr Sohn von Feinden gefangengenommen und unschuldig ins Gefängnis gebracht worden. Darüber war die arme Frau tief betrübt, und sie ging oft in die Kirche, und bat die Mutter Gottes mit großer Andacht, ihr doch den gefangenen Sohn wieder frei zu machen. Es verging jedoch eine lange Zeit und der Sohn der Witwe war immer noch im Gefängnis, so daß die Frau recht unglücklich war, weil sie mit ihrem Gebet so gut wie nichts zu erreichen schien.

Da wurde sie eines Tages etwas stürmisch, ging wieder in die Kirche, und sah sich kniend die Statue der Gottesmutter an, die ihr Kind nahe bei sich auf dem Schoß hielt. Sie sprach die Mutter Gottes eindringlich an:

«O Mutter der Barmherzigkeit, wie oft schon habe ich dich um Hilfe gebeten für meinen gefangenen Sohn und du hast mich nicht erhört. Und du sitzest ruhig da mit deinem seligen Kinde auf dem Schoß. Du müßtest doch wissen, wie mir zumute ist, denn auch dein heiliger Sohn war unschuldig gefangen. Und hör, liebe Mutter, auch mein Sohn hat nichts Böses getan. Warum also befreist du ihn nicht, du mächtige Mutter der Güte? Ach, weil man mir meinen Sohn geraubt hat, muß und will ich mir deinen Sohn zum Pfande nehmen. An dein heiliges Kind will ich mich halten, bis du mir das meine zurückgibst.»

Dann stieg die Frau die Stufen zum Altar empor, machte noch eine Kniebeuge, sah die Gottesmutter mit flehendem, weinendem Blick an und hob mit großer Zärtlichkeit und Andacht das Jesuskind vom Schoße der Gottesmutter. Danach hüllte sie das Kind in feines Linnen und ging zufrieden mit ihrem Pfand nach Hause.

In der folgenden Nacht aber erschien dem Jüngling im Gefängnis die Mutter Gottes. Sie schloß ihm die Kerkertür auf, tat das für den Sohn einer anderen Mutter, was sie für den eigenen Gottessohn nicht hat tun dürfen. Sie befreite den Sohn der armen Witwe aus seiner Gefangenschaft. Sie sagte aber zu ihm:

«Geh jetzt heim zu deiner Mutter, mein Sohn, und sage ihr, sie soll mir jetzt mein Kind wieder herausgeben, weil ich ihr den Sohn auch wiedergegeben habe.»

Da ging der junge Mann fröhlich heim zu seiner Mutter, erzählte ihr seine wunderbare Befreiung und richtete den Auftrag Unserer Lieben Frau aus. Am nächsten Tage kam die Witwe glückstrahlend mit dem Jesuskinde in der Kirche an, legte es wieder in den Arm der Gottesmutter und sprach zu ihr in überströmender Dankbarkeit:

«O liebe, liebste Gottesmutter, du hast an mich gedacht. Du hast mir meinen Sohn wiedergegeben. Und hier hast du jetzt auch dein liebes Kind wieder zurück.»

 

Wie die Mutter Gottes die Speisen würzt

Es war einmal ein Mönch, der wollte immer etwas besser und reichlicher essen, als es im Kloster üblich ist. Er suchte und fand stets die Gelegenheit, zu einem besonderen Schmaus zu kommen, weil er nun einmal ein Liebhaber von Braten, Fischen und Wein war.

Die Mönche an der Klostertafel jedoch bekamen durchwegs recht magere Kost. Das tat Unserer Lieben Frau vielleicht doch ein wenig leid, denn sie erschien eines Tages bei Tisch und gab jedem der Mönche ein wenig Gewürz auf den Teller, wodurch die Speise plötzlich wunderbar gut und süß schmeckte. Jenem Naschhaften aber gab sie so wenig Gewürz auf den Teller, daß es kaum zu sehen war. Da war der Mönch nicht vollkommen zufrieden, daß er so knapp abgefertigt wurde, aber die Mutter Gottes sagte:

«Du hast die sündige Speise lieber als die meinige. Du trachtest mehr nach einer anderen Kost.»

Da schämte sich der Mönch sehr, ging in sich und gelobte Unserer Lieben Frau, daß er fortan bescheiden sein wolle. Da gab sie dem Mönch bereitwillig ein bißchen von ihrem Gewürz und von der Süßigkeit ihrer Gnade.

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