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St. Gregorius auf dem Steine

Es war einmal ein reicher und edler Mann in Aquitanien, das im Welschland liegt, der hatte zwei Kinder von seiner Frau, einen Sohn und eine Tochter, die beide sehr schön waren. Leider aber verloren die Kinder ihre Mutter sehr früh, und wenige Jahre später wurde auch der Vater krank und schickte sich zum Sterben an. Da ließ der Kranke seine besten Freunde kommen, um diesen seine Kinder anzuvertrauen. Da die Kleinen bitterlich weinend an seinem Bette standen, sprach er zu seinem Sohne:

«Warum weinst du, mein Söhnlein, da dir doch ein großes Erbe zufällt? Du wirst reich sein und keine Not leiden. Ich sorge mich mehr um deine Schwester als um dich. Halte stets treulich zu ihr, mein Sohn. Sei ihr immer ein Beschützer und hab sie lieb. Vor allem aber bewahre Gott in deinem Herzen. Das empfehle ich dir, mein Sohn, und auch dir, meine Tochter. Und gedenkt auch meiner Seele im Gebet.»

Mit diesen Worten verabschiedete sich der Vater von seinen Kindern und schloß seine Augen für dieses Leben.

Die Freunde des Mannes sorgten nun für die Kinder, bis sie erwachsen waren. Dann aber begann der Jungherr in seinem Hause allein mit seiner Schwester zu leben. Sie war liebenswürdig und schön, und ihr Bruder tat ihr alles zu Gefallen, so daß es ihr an nichts fehlte. Der böse Feind aber neidete den beiden die reine geschwisterliche Liebe, indem er dem Jungherrn die Sinne verwirrte, so daß dieser in verbotener Leidenschaft nach seiner Schwester begehrte. Beide erlagen der Versuchung, fielen in große Sünde, und eines Tages merkte das Mädchen, daß es von seinem Bruder schwanger war. Da fiel es in Schwermut und weinte gar viel.

Der Jungherr fragte: «Liebste Schwester, sag mir, warum du so traurig bist. Was fehlt dir?»

Da seufzte sie und sprach:

«Ach Bruder, ich habe einen Mord an meiner Seele begangen. Durch dich habe ich die Gnade Gottes verloren und auch vor den Menschen werde ich ewig geschändet dastehen, denn ich trage ein Kind von dir unter meinem Herzen. Ach, wozu bin ich geboren? Ich, Ärmste und Elendeste unter den Weibern!»

Da wurde auch der Jungherr tiefbetrübt, und seine Sünde kam ihm klar und groß in den Sinn. Es tat ihm aber mehr leid um seine Schwester als um sich selber. Beide weinten eine Weile zusammen und überlegten dann miteinander, was jetzt zu tun sei und wie sie sich vor allzu großer Schande vor den Menschen hüten konnten. Der Jungherr sagte zu seiner Schwester:

«Es wird das beste sein, wir lassen den treuesten Freund unseres seligen Vaters entscheiden. Was er uns rät, das wollen wir tun.»

Da ließen die Geschwister ihn rufen, und er kam auch sogleich, sich nach den Wünschen seiner Schützlinge zu erkundigen. Zaghaft begann der Jungherr:

«Niemandem anderem als dir wage ich unsere Not anzuvertrauen. Du bist der Freund unseres seligen Vaters gewesen. Wir bitten dich inständig, sei jetzt auch unser Freund, da wir dir ein Unglück zu klagen haben, das unsere Ehre angeht.»

Da sagte der Freund zum Jungherrn, der sein Anliegen nur zögernd vorbringen mochte:

«Ja, was ist denn das? Sagt mir rasch, was euch bedrückt?»

Da anvertraute ihm der Jungherr, daß seine Schwester von ihm schwanger sei, und bat den Freund, ihnen zu raten, wie die Schwester heimlich davonkommen könne, denn die Geschwister schämten sich vielleicht noch mehr vor den Menschen als vor Gott.

Da riet der kluge Freund dem Jungherrn eine Wallfahrt zum Heiligen Grabe zu machen, um seine und der Schwester Sünde zu büßen. Für die junge Frau versprach er, sorgen zu wollen, damit sie heimlich vom Kinde käme.

Da nahmen die Geschwister mit Herzeleid voneinander Abschied: Der Jungherr fuhr übers Meer, während die Schwester ins Haus des älteren Freundes kam, bei dem sie heimlich ein schönes, liebes Kind, einen Knaben, zur Welt brachte. Danach wurde hin und her überlegt, was mit dem Kinde zu geschehen habe, und nach und nach kam es den Leuten in den Sinn; das zarte Knäblein dem Wasser anzuvertrauen. Der kluge Mann besorgte sich heimlich ein Fäßlein, das recht solide und fest war. In dieses Fäßlein legte er weiche Kissen und das in Seide gekleidete Kind darauf. Eine elfenbeinerne Tafel, die mit Gold und Edelsteinen verziert war, wurde in das Fäßlein gelegt. Auf der Tafel stand geschrieben, daß das Kind von edlem Geschlecht sei, von zwei Geschwistergatten stamme, und daß das Kind noch nicht getauft worden, sei. Ferner wurde darum gebeten, das Kind in der Heiligen Schrift und im christlichen Glauben unterrichten zu lassen, und wenn das Kind herangewachsen sei, möge man ihm die Tafel zu lesen geben, damit es für seines Vaters und seiner Mutter Seele bete. Dies alles wurde ausführlich niedergeschrieben. Ferner wurden noch zwanzig Mark in reinem Golde, was damals viel Geld war, in das Faß gelegt. Dann bekam das Kleine noch ein Decklein über sich, damit es nicht kalt habe, und so wurde das Namenlose in dunkler Nacht dem unsicheren Wasser übergeben. Gott aber schützte das arme, ungetaufte Kind.

Bald danach jedoch vernahm die Mutter, daß ihr Gatte und Bruder auf seiner Pilgerreise umgekommen sei. Da schrie die junge Frau verzweifelt auf und kam in ein Herzeleid, das wie ohne Ende war. Das große Besitztum ihres Brudergatten fiel ihr zu. Sie hatte Land und Leute unter sich, und der Ruf ihres großen Reichtums lockte viele Edelleute an, die sich um die Hand der schönen Frau bewarben. Sie aber dachte nur an ihre unsagbar arme, sündige Seele und konnte sich nicht genug tun, ihr Vergehen zu sühnen. Sie betete und fastete, gab Almosen, wo immer sie Dürftige sah. Sie linderte überall die Not, doch tat es ihr weh, als Wohltäterin angesehen zu werden, da ihre Sünde ihr stets vor Augen war und sie sich ganz der Reue und Buße hingegeben hatte.

Nun hatte die junge Frau einen vornehmen, reichen Nachbarn in der Nähe, der sie gar zu gern zur Frau gehabt hätte. Sie aber wollte ihn nicht, und lehnte seine Werbung ab. Das verdroß den Mann sehr, und da er merkte, daß er die schöne Frau nicht für sich gewinnen konnte, verwüstete er ihr Land und nahm ihr kriegerisch die besten Schlösser ab, so daß ihr am Ende nur eine Hauptstadt verblieb, eine Heimat, die Gott in seiner Güte für die junge Frau beschützte.

 

Nun aber wollen wir nach dem Kinde sehen, das von den Wellen und Winden dahin geführt wurde, wo die göttliche Vorsehung es haben wollte. Zwei Nächte und einen Tag lang war das Knäblein auf dem Wasser unterwegs, und nun wollen wir erzählen, wie es an Land kam und wie es gefunden wurde. Am Ufer nämlich war ein Kloster, in dem ein frommer Abt lebte, der einige Fischer beauftragt hatte, ihm für das Kloster eine gute Portion Fische zu fangen. Die Fischer hatten sich vor Tag aufs Meer hinausbegeben, aber der Wind war so heftig, daß sie ihre Netze nicht auswerfen konnten und sich genötigt sahen, ohne Beute wieder an Land zu fahren. Da sahen sie ein Fäßlein auf dem Wasser treiben, zogen es in ein Boot und kamen mit ihrer Fracht ans Ufer. Hier erging sich aus Kurzweil der Abt, ging den Fischern entgegen und fragte:

«Nun, wie steht's? Ihr seid früh zurückgekommen. Und wie ist es euch ergangen? Habt ihr mir ein paar Fische mitgebracht?»

«Nein, leider nicht», antworteten die Fischer, «der Wind ging viel zu stark.»

«Nun, dann danket Gott, daß ihr glücklich ans Gestade gekommen seid.»

Dann sah der Abt, wie die Fischer das Fäßlein ans Land bugsierten und fragte etwas neugierig:

«Was habt ihr denn da für ein nettes Fäßlein? Wo habt ihr es gefunden?»

«Draußen auf dem Wasser sahen wir es treiben.»

«Und was ist darin?» forschte der Abt weiter.

Aber das wußten die Fischer auch nicht, wollten es auch nicht gern in Gegenwart des Abtes feststellen, weil sie irgend etwas Kostbares für sich im Faß erhofften. Da begann plötzlich das Kind im Faß zu weinen, so, als habe der liebe Gott gewollt, daß es sich vor dem guten Abt bemerkbar machen sollte.

Der Abt sprach:

«Es ist ein Kind im Faß.» Und eilends half er selbst die Bänder lösen, und dann lag plötzlich das schönste Kind, das er je gesehen, vor ihm. Es streckte sogleich die Händchen nach dem Abt aus und lächelte ihm freundlich zu. Da kniete der Abt nieder und neigte sich entzückt dem holden Kindlein zu, es spielerisch mit zarten Worten ansprechend:

«Woher kommst du denn? Wer bist du, Kindlein Gottes?»

Das Kind lächelte nur, denn es konnte ja noch nicht sprechen. Aber der Abt fand die Elfenbeintafel, die ihm Auskunft gab. Der Abt las, was geschrieben stand, behielt es aber für sich. Er dankte Gott in seinem Herzen, daß er das süße, unschuldige Kind gefunden hatte und nahm es an sich. Die Fischer mußten ihm versprechen, daß sie niemanden vom Fund erzählen würden. Es war aber ein Fischer dabei, der sehr arm war und viele Kinder hatte. Diesen nahm der Abt beiseite und sagte ihm: «Nimm dich vorerst dieses Kindes an, und auch deine Frau soll gut für das Kleine sorgen. Sollte dich jemand fragen, wessen Kind es sei, so antworte, es sei das Kind von deines Bruders Tochter. Nach der Vesper komm zu mir mit dem Kinde ins Kloster, weil ich es selbst taufen möchte.» Der Abt gab fürs erste dem Fischer zwei Goldmark als Kostgeld für das Kind, und die seidenen Tücher und Decken überließ er ihm auch. Der Fischer tat, wie ihm der Abt geheißen, brachte das Kind heim zu seiner Frau, wo es gelabt wurde, und nach der Vesper trug er es zum Kloster, um für den Knaben die heilige Taufe zu erbitten.

Als die Brüder das schöne Kind sahen, freuten sie sich gar sehr und alle waren in der Kirche zugegen, als der Abt es aus der Taufe hob und es nach seinem eigenen Namen Gregorius nannte.

Nach der feierlichen Handlung sagte der Abt zum Fischer: «Weil ich der geistliche Vater dieses Kindes sein will, wird es mir besonders lieb sein. Daher bitte ich dich um Gottes willen, zieh mir das Kind gut auf. Ich will dir dankbar sein dafür.»

Der Fischer versprach es und hielt treulich Wort. Der gute Abt aber besuchte jeden Tag sein Kindlein. So lieb war es ihm.

Sechs Jahre über blieb Gregorius bei den armen Fischersleuten. Dann nahm der Abt ihn ins Kloster, ließ den Knaben schön kleiden und unterrichtete ihn selbst in der Heiligen Schrift. Der junge Gregorius hätte keinen besseren Lehrer finden können, aber dafür hing er auch mit inniger Liebe an seinem Meister. Dieser wiederum hatte die größte Freude an seinem aufmerksamen, klugen Schüler, der besonders in der frommen Wissenschaft rasch große Fortschritte machte. Auch die Brüder im Kloster wunderten sich über den Knaben und sagten untereinander: «Der kleine Gregorius ist noch ein rechtes Kind, und doch zeigt er schon den Geist des reifenden Mannes.» Als Gregorius elf Jahre alt war, gab es keinen besseren Grammatiker als ihn. Drei Jahre später jedoch begann die Gottheit ihn zu erleuchten und er zeigte von dieser Zeit an nur noch Sinn für die Gottesgelehrsamkeit, die Theologie.

Inzwischen ergab es sich, daß die Frau des Fischers, von Neugierde geplagt, ihren Mann eines Tages nach der Herkunft des Kindes befragte. Zunächst wollte der Fischer keine Auskunft geben. Aber die Frau plagte ihren Mann und ließ ihm keine Ruhe. Sie wollte es gewiß niemandem erzählen, aber er möge ihr wenigstens mitteilen, von wem er das Geld für das Kind erhalten habe. Nun ja, das Geld sei vom Abt Gregorius, aber die Frau müsse unbedingt darüber schweigen.

«Gewiß kann ich das verschweigen», sagte die Frau, «aber wie kommt nur der Abt dazu, dir Geld für den Knaben zu geben. Das nimmt mich doch wunder.»

«Kann es dir nicht gleichgültig sein, von wem das Geld kommt?»

«Nein, ganz und gar nicht. Ich möchte es gar zu gerne wissen, woher der Knabe kommt. Du brauchst vor mir doch kein Geheimnis zu haben. Ich sage es gewiß nicht weiter, wenn du es mir sagst.»

So bedrängte die Frau den Mann immer wieder, bis er schließlich nachgab und ihr sagte, wie es um Gregorius stand und wie man ihn im Wasser gefunden hatte. Das verschwieg die Frau lange Zeit über, bis sie eines Tages das Geheimnis verriet. Das kam so:

Gregorius war fünfzehn Jahre alt geworden und spielte eines Tages mit den Kindern des Fischers. Da wollte es ein ungeschickter Zufall, daß er bei einer kleinen Balgerei einem der Kinder am Nacken weh tat. Das Kind lief weinend zu seiner Mutter und behauptete, Gregorius habe es geschlagen. Da wurde die Frau böse und rief im Zorn aus: «Habe ich deswegen den Jungen erzogen, daß er mein eigenes Kind mißhandeln soll? Er ist doch einer, den man im Wasser gefunden hat, und niemand weiß, wo er hergekommen ist.»

Nun hatte Gregorius das Kind heimbegleitet und hörte wie von ungefähr von der erzürnten Frau, daß er ein Findling und aus dem Wasser gezogen worden sei. Das ging ihm sehr nahe. Er dachte eifrig darüber nach, ob die Rede der Frau wohl der Wahrheit entspräche oder nicht. Er ging ins Kloster und klagte dem Abt die Worte seiner Pflegemutter, die ihm schwer zu Herzen gingen. Er erklärte dem Abt:

«Ich will kein Findelkind sein. Ich mag solche Reden nicht hören! Ist es die Wahrheit und hat man mich im Wasser gefunden, als ein ausgesetztes, von Vater und Mutter verlassenes Kind, so will ich in die weite Welt laufen, dorthin, wo niemand weiß, wer ich bin und woher ich kam. Mit dem, was ich gelernt habe und was ich kann und weiß, werde ich mich schon durchzubringen wissen. Ach, ich darf kein Kind der Schande sein! Ich will es nicht. Und heute hat die Frau es gesagt und einer hat es gehört. Sie wird es wieder sagen und andere werden es vernehmen, was ich zu meinem Gram jetzt weiß.»

Da tat es dem guten Abt gar weh um seinen geistlichen Sohn und er sprach milde zu ihm:

«Hör mich an, mein Sohn. Ich will dir raten als meinem lieben Kind. Sieh, Gott hat dir viel Vernunft, hat dir einen guten Geist gegeben, daß du dein Schicksal wohl fügen magst zu Ehren oder zu Schanden. Darum folge meiner Lehre, die dir nützlich sein wird: du sollst nie etwas im Zorne tun, was dich später gereuen kann. Du hast unter uns, unter der Geistlichkeit gewohnt und von ihr gelernt. Darum bleibe dabei, mein Sohn, weil ich die Hoffnung hege, du wirst dereinst in der Schrift ein kluger Mann sein. Alle werden dir gut gesinnt sein. Und sieh, ich bin alt und werde bald sterben. Wie schon wäre es, wenn du nach meinem Tode dereinst Abt in diesem Kloster würdest. Wie könnte dir das Geschwätz einer bösen Frau schaden? Ich will es auf mich nehmen, daß sie in sich geht und nie wieder sagt, was dir weh tun kann.»

Der junge Gregorius antwortete:

«Mein Herr, Ihr habt Gott geehrt, indem Ihr mir das Beste angetan und geraten habet. Meine Taubheit oder Torheit ist aber so groß, daß ich Euch diesmal nicht zu folgen vermag. Ich weiß wohl, daß ich nicht eines Fischers Sohn bin. Ich bin von edlem Geschlecht und ich kann ein Ritter werden. Ach, wäre ich hochgeboren, und hätte ich das Gut, könnte ich ein Ritter sein!»

Da entgegnete ihm der Abt betrübt:

«Mein Sohn, du irrst dich, und deine Rede ist nicht gut. Wenn einer sich zuerst um die göttliche Wissenschaft bemüht und danach sich der Ritterschaft zuwendet, der hat sein Heil verwirkt. Du wirst dir an Leib und Seele schaden. Ich habe mir so sehr gewünscht, einen Gottgeweihten in dir zu sehen. Gehofft habe ich, du würdest Priester werden. O, wie sehr würde mich das gefreut haben!»

Gregorius antwortete feurig:

«Mein Vater, ich bin noch jung und habe gewiß noch Zeit, die Ritterschaft zu erlernen. Wahrlich, ich sage Euch: seitdem ich begriffen habe, was gut und was böse ist, trug ich das Verlangen, ein Ritter zu sein. Was ich in den Schriften gelernt habe, wird mich niemals reuen. O nein. Ich wüßte gern noch viel mehr. Alle frommen, klugen Bücher mochte ich gelesen haben. Hatte ich ein gutes Buch in meiner Hand, dann dachte ich oft: dies ist ein Schild. Und führte ich selbst den Griffel, dann fiel mir ein: o, wäre dieser Griffel ein Speer! Auf einem Roß möchte ich sitzen und vorwärtsstürmen, den Schild vor der Brust, das Schwert in meiner kühnen Hand und den Speer unter dem Arm! So, so möchte ich es, mein Vater! O, helft mir, liebster Herr, verhelft mir zur Ritterschaft, und ihr werdet wohl getan haben an mir!»

Da sah der gute Abt seinem Findelkind traurig und mit großer Zärtlichkeit in die jungen Augen und sprach:

«Mein Sohn, du hast mir viel gesagt, was mich wundert, aber ich sehe wohl ein, daß du kein Klostermann sein wirst. Ich kann dich nicht zurückhalten, wenn du gehen willst. Gott gebe, daß es dir wohl gehen möge mit deiner Ritterschaft.»

Der Abt seufzte zwar, ließ aber doch seinem Schützling ein schönes Rittergewand anfertigen. Das stand dem jungen Gregorius recht gut. Da er sich nun vom Abt verabschieden wollte, hatte dieser ihm noch nichts von der Tafel und vom Gold gesagt, welches ja dem Jüngling gehörte. Der Abt wollte ihm das Geld nicht vorenthalten, zögerte jedoch gleichwohl, es ihm auszuhändigen. Er sagte sich: wenn Gregorius zur Ritterschaft keinen Pfennig hat, wird er bei mir bleiben, meinem Rate folgen und ein Priester werden, und er hatte den Jüngling, der noch halb ein Knabe war, so sehr lieb, daß er sich nicht an den Gedanken gewöhnen mochte, ohne seinen Schützling zu bleiben. Noch einmal bat er:

«Liebster Sohn, bleibe doch bei mir. Sieh, du wirst den Namen eines Ritters führen und dich schämen, daß du rein gar nichts hast, weder Freunde noch Gut.»

«Ich habe meine Tapferkeit und meinen guten Willen. Was bedarf es mehr? Ich werde geharnischt und wohl bewehrt sein. Herren und Damen werden mich freundlich grüßen. Ich werde die Unterdrückten beschützen, und für Recht und Wahrheit will ich kämpfen. Lebt wohl, mein Vater. Ich kann nicht länger bei Euch weilen.»

«Gut, mein Sohn. Ich sehe, es ist dir ernst. Komm mit mir. Ich will dir zeigen, was ich noch von dir habe.»

Dann gab der Abt ihm die elfenbeinerne Tafel in die Hand, und Gregorius las, daß er das in Sünde geborene Kind vornehmer Geschwistergatten war. Er erstarrte vor Schreck, und begann sogleich die Sünde seiner Eltern zu beweinen. Und während die Tränen seinen Augen entströmten, las er noch von den zwanzig Goldmark, die man ihm mitgegeben hatte. Der Abt überließ ihn eine Weile sich selbst, und nachdem Gregorius sein Gemüt etwas beschwichtigt hatte, sprach der Abt zu ihm:

«Du hast jetzt gelesen, mein Sohn, wie es um deine Herkunft bestellt ist. Und des Geldes wegen will ich dir noch sagen: Ich habe den Fischersleuten, die dich erzogen haben, drei Goldmark gegeben. Mit den siebzehn Goldmark dagegen habe ich einhundertundfünfzig dazu gewonnen, was ich dir hiermit überreiche.»

Da warf sich Gregorius seinem geistlichen Vater ans Herz und rief bewegt aus:

«Nur Gott selbst kann Euer Lohn sein, mein Vater. Wieviel Güte, wieviel Treue habt Ihr mir erwiesen! Wie könnte ich Euch je genug danken!»

Und Gregorius fiel vor dem Abt auf die Knie, der bewegt den Segen über ihn sprach. So nahmen die beiden weinend und betend voneinander Abschied.

Danach bestieg Gregorius ein Schiff und fuhr lange übers Meer, wie in ein Ungewisses hoffend, die Winde mochten ihn zu guten Freunden führen. Die Wellen führten ihn an seiner Mutter Land vorbei, das von Fremden versengt und erobert war. Doch als er an jener Stadt vorbeikam, in der seine Mutter lebte, fühlte er sich gar seltsam angezogen und bat den Schiffsmann, hier anzulegen. So betrat der künftige Ritter seine Vaterstadt und einige Bürger erzählten ihm, daß es hier große Feindschaft gebe. Gregorius reckte sich hoch auf und erwiderte:

«Das trifft sich gut, denn ich will gerne streiten und kämpfen.»

Man sagte ihm, die Regentin sei eine alleinstehende, schöne junge Dame.

«Um so besser», gab Gregorius zur Antwort, «ich werde ihr beistehen.»

Dann begab sich Gregorius zu seiner Mutter und von ihrer großen Schönheit und Verlassenheit bewegt, bot er ihr sogleich höflich und feurig seine Dienste an.

Nun trug der junge Ritter ein Gewand, das mit einem Seidentuch verziert war, das der Frau merkwürdig bekannt vorkam. Es kam ihr vor, als habe sie einmal einen ganz ähnlichen Stoff, ja, das vollkommen gleiche Muster mit eigener Hand gewoben. Sie blickte aufmerksam auf das Gewand des jungen Ritters, dachte dabei an das Seidentuch, das sie ihrem kleinen Kinde einmal mitgegeben hatte auf seine erste Reise. Dann wieder sah sie sich den jungen Ritter an, der ihr gefiel wie noch kein Mann zuvor. Und auch Gregorius sah zum erstenmal ein weibliches Wesen an und fühlte sich stark und unwiderstehlich hingezogen zu der Frau, von der er schon gehört hatte, wie fromm und ehrbar sie sei. Ja, für diese Frau wünschte er zu kämpfen.

Noch hatte er nicht eigentlich gelernt, ein Ritter zu sein, aber das Ritterliche lag ihm im Blute, und so kam es, daß der Jüngling männlich stritt und kämpfte. Seine Begierde war so sehr auf Schwert und Speer gerichtet, daß er wie ein Meister der Ritterschaft aus jedem Kampfe siegreich hervorging.

Gegen jenen Herzog, der der Stadt feindlich gegenüberstand, hegte Gregorius einen um so größeren Haß, da er erfuhr, daß dieser die edle schöne Frau begehrt hatte, und so war Gregorius nur von einem Verlangen beseelt, diesen Herzog zu besiegen, ihn zu Fall zu bringen, ihn gefangenzunehmen. Mein Leben will ich wagen und vielleicht glückt es mir, diesen Mann, den Feind, mir zu unterwerfen. So dachte Gregorius und nichts anderes. Er ritt heimlich vor das Zelt des Herzogs. Da dieser das Kommen Gregorius bemerkte, wappnete er sich, ließ sein Pferd bringen und ritt Gregorius entgegen. Da Gregorius ihn erblickte, tat er, als wolle er fliehen, und ritt zurück bis zum Stadttor. Der Herzog kam ihm nachgesprengt und Gregorius war froh, den Gegner allein vor sich zu haben. Beide kämpften mit Schwertern. Aber Gott und das Glück war mit Gregorius und es gelang ihm, den Herzog zu bezwingen und ihn mit Gewalt zum Brückentor zu treiben. Da ließen die Bürger Gregorius mitsamt seinem Gefangenen in die Stadt ein und schlossen dann sogleich das Tor.

Innerhalb der Stadt kam es noch zu einem heftigen Streit. Gregorius aber setzte sich durch, blieb Sieger und brachte den gefangenen Herzog ins Schloß zur Frau, der er diente. Und hier zwang er den Herzog, sich zu ergeben. So gelang es Gregorius durch seinen Mut, durch seine große Geschicklichkeit und durch seinen eisernen, jugendlichen Willen, das Land seiner Mutter zu erlösen und freizumachen.

Das Volk jubelte ihm zu, und alle Bürger waren der Meinung, ein Land könne nicht von einer Frau allein regiert werden und die Regentin solle sich jetzt einen Mann nehmen. Dieses mußte sie ihren Untertanen versprechen, was sie willig tat, zumal ihr heimlicher Wunsch mit dem offen ausgesprochenen Verlangen des Volkes gut zusammenfiel.

Ihr Blick fiel auf Gregorius, und sie sagte zu ihm:

«Du hast mein Land erlöst. Du bist es, den ich haben will. Und du?»

«Ich will dich. Ich liebe dich», bekannte Gregorius und war glücklich, die schöne Frau sein eigen nennen zu dürfen.

Von dieser Zeit an beschützte er das Land, und wurde von allen seinen Untertanen geschätzt und hoch geehrt. Herren und Damen grüßten ihn freundlich, so, wie er es sich einmal gewünscht hatte.

In seinem Schloß hatte er eine Kammer, in die er manchmal heimlich ging, weil er hier jene Tafel aufbewahrt hielt, auf der das Geheimnis seiner Herkunft geschrieben stand. Er las die wenigen Zeilen immer wieder, weinte um die Sünde seiner Eltern und betete für deren Seelenheil. Nun hatte Gregorius eine Magd, die mehrmals bemerkt hatte, daß er zwar frohen Mutes und ruhigen Gesichtes die Kammer betrat, nach einer Weile jedoch mit betrübtem Gesicht, und noch Tränenspuren in den Augen, die Kammer wieder verließ. Das wunderte die Magd und sie suchte hinter das Geheimnis zu kommen. Sie verbarg sich daher eines Tages in der Kammer und sah, wie Gregorius die Tafel aus einem Schaft hervorzog, traurig zu lesen und zu weinen begann. Dann kniete er nieder, um zu beten. Und nach dem Gebet verbarg er wieder die Tafel. Da ging die Magd zur Frau und erzählte ihr alles, was sie beobachtet hatte, und zeigte ihr, wo die Tafel war. Da las die Frau jene Inschrift, die ihr wohl bekannt war, und sie erschrak, weil sie abermals, wenn auch ohne ihr Wollen und Wissen in schwere Sünde gefallen war. Jetzt wußte sie, daß es ihr eigener Sohn war, den sie geliebt und dem sie angehört hatte. Sie klagte Gott ihre große Pein und ihr Leiden.

Dann bat sie ihren Mann, er möge zu ihr kommen. Gregorius sah in das todbleiche Gesicht der Frau und fragte erschrocken:

«Was ist Euch, meine Liebe? Warum seht Ihr so bleich und elend aus?»

Da seufzte die Frau tief und sprach:

«O, ich bin so sehr bedrückt, mein Herr. Gott im Himmel sei es geklagt. Ich bitte Euch, sagt mir sogleich, wer Ihr seid. Euren wahren Namen, Eure Herkunft muß ich wissen. O, verzeiht mir, daß ich danach frage ... Seid Ihr derjenige, von dem die Tafel hier Auskunft gibt?»

«Ich bin es», erwiderte Gregorius und wurde bleich vor Schreck.

«Dann bin ich Eure Mutter und Euer Weib.»

«Oh, Mutter!» rief Gregorius und sah die Frau hilflos an wie ein Kind.

Da rief die Frau verzweifelt:

«Oh, lieber Herr und Sohn, wollt Ihr mich nicht trösten, damit ich meine Sünde büßen kann? Ich liebe, liebe Euch allenfalls und ich fürchte, ich muß in den Abgrund der Hölle.»

Da sprach Gregorius leise:

«Du sollst nicht verzweifeln, denn ich weiß und habe gelesen, daß Gott verzeihen kann, wo wahre Reue und Buße ist. Gott ist barmherzig. Wir haben nicht gewußt, daß wir sündigten, Mutter. Wir haben wider unseren Willen gesündigt. Was ließ uns schuldig werden? Mutter, ich will meine Pein tragen. Trag du die deine. Gott wird dir gnädig sein. Meine liebe, geliebte Mutter, dies sei mein letztes Wort an dich. Leb wohl, du siehst mich niemals wieder.»

Damit schied Gregorius von seiner Mutter und seinem Weibe und verließ das Land, das er seiner Mutter zuliebe befreit hatte, und bat, daß ihm Gott eine Wüste schenken möge, um seine Sünde bis an seinen Tod zu büßen.

*

Dann ging Gregorius einen schmalen Weg an einem See entlang, wurde müde vom Gehen, und kam zu einem Fischer, den er bat, ihn um Gottes willen für eine Nacht zu beherbergen. Der Fischer sah, daß Gregorius stark und groß war von Gestalt, wurde mißtrauisch und böse und sagte zu ihm:

«Du bist ein Betrüger. Wenn ich und mein Weib heute nacht schlafen, nimmst du uns das Leben und unser Geld dazu. Darum geh deiner Wege.»

Da antwortete Gregorius mit einem seltsamen Lachen:

«Jawohl, Ihr habt recht, so einer bin ich. Gute Nacht.» Und schon wollte er weitergehen, als die Frau des Fischers Mitleid mit dem Wanderer hatte und zu ihrem Manne sagte:

«Höre, mein Lieber, ich glaube, daß dies ein guter Mensch ist. Wo soll dieser Mann sein Haupt niederlegen? Unser Haus steht fern von den Leuten. Und wenn dir der liebe Gott des Nachts einen Gast schickt, solltest du ihn um Gottes willen freundlich aufnehmen. Erlaube, daß ich den Mann zurückrufe.»

Der Mann erlaubte es, und die Frau lief auf die Straße und rief Gregorius zurück, er möge doch kommen und mit ihnen essen und trinken. Die Frau wollte gern die Unhöflichkeit ihres Mannes wieder gutmachen, und setzte Gregorius ein gutes Essen vor. Er aber dankte und wollte nichts zu sich nehmen. Er hatte weder Hunger noch Durst. Er wünschte nur, ein wenig zu schlafen, zu ruhen und zu vergessen.

Da fragte der Fischer seinen Gast:

«Wer seid Ihr?»

Gregorius antwortete:

«In Sünde bin ich empfangen worden und bin selbst ein großer Sünder. Ich suche eine Stätte in der Wüste, wo ich meine Sünde büßen kann bis an das Ende meines Lebens. Wisset Ihr eine solche Stätte in der Wüste oder eine Höhle in einem Stein, dann zeiget mir dieses, und ich will Euch um Gottes willen dankbar dafür sein.»

Der Fischer antwortete:

«Nun, wenn du nichts anderes verlangst, sei froh und zufrieden. Dir kann geholfen werden. Wenn es nur ein Stein ist, den du suchst, gut, ich weiß einen Stein. Wenn ich dich auf diesen Stein bringe, kannst du des Elendes und der Sühne für deine Sünde sicher sein. Ich habe auch ein Eisen, das ich dir schenken will, damit wir deine Füße an den Stein schließen. Dort magst du büßen solange es dir gefällt.» Dies war nun freilich vom Fischer recht unheimlich und boshaft gemeint, doch Gregorius dankte ihm gleichwohl innig.

Am nächsten Morgen trat der Fischer an das Lager, auf dem Gregorius schlief und sprach:

«Steh auf und komm mit mir.»

Gregorius aber, der in der Nacht lange gebetet hatte, schlief fest und tief, so daß er den Fischer nicht hörte. Der lachte und sagte zu seiner Frau:

«Ich habe mir gleich gedacht, daß es dem Manne nicht ernst war. Der träumt so gut und sieht nicht danach aus, als suche er eine Wüste.»

Damit ging der Fischer fort. Der Frau aber gelang es, den Schläfer zu wecken, und als Gregorius vernahm, daß der Fischer fortgegangen war, lief er ihm, ohne vorher Nahrung zu sich genommen zu haben, eilends nach, sah ihn von weitem und rief ihm mit lauter Stimme zu:

«Warte doch auf mich, und nimm mich mit um Gottes willen!»

Da führte der böse Fischer ihn in eine wilde, unzugängliche Felsenschlucht und hier ließ sich Gregorius willig auf einen rauhen Stein binden, die Beine fest in Eisen geschlossen. Danach sprach der Fischer in rohem Spott:

«Sieh, ich werde den Schlüssel hier in den tiefen See werfen, und sollte ich den Schlüssel je wiederfinden, wirst du deine Sünde gebüßt haben.»

Und dann verließ der Fischer Gregorius, der einsam auf dem Stein zurückblieb. Da lag er schutzlos und preisgegeben dem Schnee und Frost, dem Wind und Regen, jeglichem Wetter ausgesetzt und ohne Nahrung. Er hatte nur ein wenig Wasser zum Trinken, das rann aus dem Stein Tag und Nacht in ein Grüblein und von diesem Wasser ernährte sich der Büßer siebzehn Jahre lang. Doch wird es nicht eigentlich das kahle, leere Wasser gewesen sein, das den hl. Gregorius am Leben erhielt, sondern die unbegreifliche, wundertätige Gnade Gottes, die mit ihm war. Dies ist die geheimnisvolle Geschichte des Gregorius, die wirklich war und an die wir glauben können und die sich dennoch nicht beschreiben läßt: das Wunder, das dem Ausgewanderten in der Wüste begegnete. Da er so hilflos von allem in der Welt verlassen war, lebte er einzig und allein durch Gottes allmächtige Liebe.

In Rom war der Papst gestorben und alle Christen beteten zu Gott um eine neue glückliche Papstwahl. Da waren auch zwei sehr fromme Römer unter den Betern, und obwohl der eine nichts vom andern wußte, hatte doch jeder für sich eine gleiche Eingebung. Es war die Stimme Gottes, die in der Stille der Nacht zu jenen Betern kam und ihnen von Gregorius auf dem Steine sprach, der sich seit siebzehn Jahren in der Einöde von Aquitania befand.

«Sagt allen Römern, daß man diesen Gregorius zum Papste wählen soll.» So sprach die göttliche Stimme zu jenen beiden Römern, die es am nächsten Morgen den Bischöfen erzählten. Diese schickten die beiden Männer auf die Reise, um Gregorius zu suchen. Sie suchten ihn in der Wüste bis an den dritten Tag, und kamen dann nach Gottes Willen an das einsame Fischerhaus, das am See lag. Die beiden Männer waren müde von der langen Wanderung und freuten sich auf ein Nachtlager. Da sie vornehm gekleidet waren, empfing der Fischer sie viel höflicher, als er einmal Gregorius empfangen hatte. Weil er auf eine gute Bezahlung hoffte, bot er den Fremden einen prächtigen Fisch als Nachtessen an. Damit waren diese recht zufrieden und baten, man möge ihnen doch gleich den Fisch zubereiten.

Noch bevor der Fischer sich daran machte, den Fisch abzuschuppen, fragten die Reisenden, ob der Fischer nicht vielleicht einem Einsiedler, einem gewissen Gregorius auf dem Steine, begegnet sei. Der Fischer erschrak, erwiderte rasch «nein, nein», doch um seine Verlegenheit zu verbergen, ergriff er ein Messer, beugte sich über den Fisch und da er ihn öffnete, fiel ihm der Schlüssel in die Hand. Da erzitterte und erbleichte der Fischer und bekannte den beiden Römern seine Sünde, die er vor siebzehn Jahren begangen hatte. Er sagte ihnen alles, wie es mit Gregorius ergangen sei, und wie er sich auf den Stein habe anschließen lassen.

«Sobald morgen der Tag erwacht sein wird, mußt du uns zu Gregorius führen.» So baten die Männer. Der Fischer aber entgegnete verzweifelt:

«Ach, das wird wenig nutzen. Ich weiß es, er wird längst verhungert sein. Wir werden ihn gar nicht mehr finden. Nur der Stein, der Stein wird noch da sein. Oh, ich fühle meine Sünde wie einen Stein auf meiner Brust.»

«Du wirst deine Sünde bereuen und beichten. Du wirst dein Unrecht sühnen und Gott möge dir barmherzig sein. Aber du mußt uns morgen zum Steine führen.»

Das versprach der Fischer, obwohl es ihn schwer ankam, noch einmal an die Stätte seiner Untat zurückkehren zu müssen. Als die Männer am nächsten Morgen an den Stein kamen und Gregorius erblickten, fielen sie auf die Knie und weinten vor Schmerz und Freude. Der Heilige lag nackt vor ihnen, und nur sein Haar hatte der gütige Gott wachsen lassen, und das Haar war der Mantel, der die Gestalt einhüllte.

Die Männer sprachen ihn unter Tränen an und beschworen ihn, er möge ihnen doch um Gottes willen sagen, ob er Gregorius sei.

Da antwortete der Heilige:

«Ja, ich bin Gregorius.»

Da jedoch die Männer ihm sagten, weswegen sie gekommen seien und daß man ihn als Papst, als Heiligen Vater der Christenheit erkoren habe, erschrak Gregorius gar sehr und bat flehend unter Tränen:

«Oh, lasset mich hier. Meine Sünde war so groß und ich will sie beweinen und sühnen bis an meinen Tod. Seit siebenzehn Jahren habe ich keinen Menschen mehr gesehen. Und wie sollte ich mich also zu einem Papst eignen? Wenn Gott mir meine Sünde verziehen hat und er nicht will, daß ich länger büße, dürfte er mir gnädig ein Zeichen geben. Ihr seht wohl, ich bin angeschlossen an diesen Stein. Bevor der Schlüssel nicht gefunden wird, habe ich meine Schuld nicht genügend gesühnt.»

Als der Fischer diese Worte hörte, da er sich etwas fern gehalten hatte, kam er schreiend herbeigeeilt, fiel vor Gregorius nieder und rief:

«Sieh, sieh, ich habe den Schlüssel. In den tiefen See habe ich ihn einmal geworfen, und habe seit jener Zeit nie mehr an Euch gedacht bis gestern. Denn ich habe den Schlüssel in einem Fisch gefunden. Seht, hier ist der Schlüssel!» Und dann öffnete der Fischer das Schloß und löste weinend die Eisenbänder.

Da hoben die Männer ihn von dem Stein und hüllten ihn in einen Mantel und später in ein schönes, kostbares, geistliches Gewand. Dann wurde er nach Rom geführt. Bevor aber noch Gregorius die Ewige Stadt betrat, begannen alle Glocken von selbst zu läuten. Wie von Engelshänden berührt, läuteten die vielen Glocken Roms, um die Ankunft des heiligen Papstes zu verkünden. Viel Volk aber kam ihm grüßend entgegen und mit Freude und Jubel wurde er durch die Straßen Roms getragen bis in das Heiligtum der Kirche, in der er feierlich gekrönt wurde.

 

Es zeigte sich, daß der Heilige Geist Gregorius auch in der Einsamkeit der Wüste, auf rauhem Steine liegend, nicht verlassen hatte, denn seine hohe Wissenschaft, die er als Kind im Kloster erlernt hatte, war leuchtend und lebendig in ihm geblieben. Inbegriff und Grund aller Weisheit aber bleibt die Demut, jene edle Tugend, die nur der wahrhaft Liebende kennt. Gregorius blieb auch in seiner hohen Würde als Papst ein Vorbild der Demut, und darum hatten besonders die armen Sünder, die er zu trösten und aufzurichten wußte, ein großes Vertrauen zu ihm. Es war ihm gegeben, vor allem die gefährdeten Seelen zu Gott zurückzuführen, und so kam es, daß diese sich drängten, dem hl. Gregorius zu beichten.

Da geschah es, daß es auch Gregorius' Mutter zu Ohren kam, der Heilige Vater sei ein großer, milder Trost für die Sünder, und sie beschloß, zu ihm nach Rom zu gehen, um bei ihm zu beichten. Sie wußte aber nicht, daß es ihr eigener Sohn war, dem sie ihre Sünden bekannte. Auch Gregorius erkannte seine Mutter nicht, da ihr Antlitz vor Gram und Reue schmal und bleich geworden war. Da sie ihm jedoch nicht nur ihr Vergehen mit allen Umständen sagte, sondern sogar ihm ihren wahren Namen, ihren vornehmen Stand bekannte, um sich tiefer noch zu verdemütigen, dankte Gregorius Gott in seinem Herzen für die Bußfertigkeit seiner Mutter.

Nach der Beichte fragte er sie bewegt:

«Wisset Ihr nicht, ob Euer Sohn noch lebt, oder ob er inzwischen schon gestorben ist?»

Da seufzte die Frau gar sehr, neigte betrübt ihr Haupt und gab zur Antwort:

«Ach nein, ich weiß nichts von ihm. Ich weiß nur, daß er eine große Reue über seine Sünde hatte, obwohl er doch nicht wissen konnte, daß es seine Mutter war, die er zum Weibe nahm. Sobald er dies erfuhr, verließ er mich. Ach, aber warum nur, Heiliger Vater, kann er so schwer gesündigt haben?»

«Auch Ihr wußtet nicht einmal um das Geheimnis und klagt Euch doch so hart der Sünde an.»

Da flüsterte sie noch einmal mit schneebleichen Lippen und mit zu Boden gerichtetem Blick:

«O, ich liebte, wie man nie lieben darf.»

Der Papst gab leise zurück:

«Vielleicht war dies auch die Sünde Eures Sohnes. Er liebte, wie man nicht lieben darf.»

«Ach, wo immer er weilen mag, möge Gott ihm gnädig sein! Immer will ich darum beten. Er ist ja mein Sohn, den ich einmal unter meinem Herzen trug. Mein Kind, mein einziges Kind.»

«Und würdet Ihr Euren Sohn gerne wiedersehen?» So fragte der Papst mit bebender Stimme

«Oh, wie gern! Es könnte mir nichts Lieberes, nichts Schöneres in meinem Leben begegnen, als meinen Sohn noch einmal wiedersehen zu dürfen. Ach, zu wissen, daß es ihm gut geht.»

Da antwortete Gregorius:

«Ich sah Euren Sohn vor wenigen Augenblicken. Ich kann Euch sagen, daß er mir ganz nahe war. Es geht ihm gut. Hört, edle Frau, er befindet sich in Eurer Nähe.»

«Oh, Heiliger Vater, liebster Herre, ich bitte Euch, helft mir! Führt mich zu ihm!»

Da blickte der Papst die Frau an, die reinste Kindesliebe lag wie Licht auf seinem schönen Antlitz.

«Mutter, liebste Mutter, seht mich an! Ich bin Gregorius, Euer Sohn. Gott war uns beiden barmherzig.»

Die Freude aber, das Glück der Mutter und ihres Sohnes war namenlos schön; wer vermag die Seligkeit derjenigen zu beschreiben, die sich mit Gott ausgesöhnt haben?

Nun wollen wir den hl. Gregorius bitten, daß er uns stets zu einer wahren, lauteren Reue über unsere Schuld verhelfen möge, damit wir dereinst die Erben der Unschuld und des ewigen Lebens sein dürfen. So möge es sein um Jesu Christi willen. Amen.

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