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Der heilige Christophorus

Man hält den hl. Christophorus vielfach für eine zwar überaus imposante, aber doch rein mythologische Gestalt, und vergißt dabei, daß nur dort gedichtet wird, wo einmal unmittelbares Leben und Wirken war. Der Name Christophorus ist in den Märtyrerakten zu finden. Er wurde unter dem Kaiser Decius als Christ verfolgt. Was wir von seinem Opfertode wissen, konnte sogar genügen, sein vorangegangenes Heiligenleben zu erahnen. Er war nicht leicht zu töten. Er war ein Riese schon seiner körperlichen Gestalt nach. Groß, stark und mächtig war Christophorus, und wie ein sehr kräftiger, grünender Baum, der sich nicht leicht fällen läßt. Wir wollen es uns gern versagen, die vielen Grausamkeiten aufzuzählen, die man angewandt hat, um den Riesen zu stürzen. Die göttliche Natur selbst scheint ein herrliches Werk, bei dessen Erschaffung sie vielleicht lange liebend verweilt hat, eine gute Weile vor der Zerstörung beschützt, verteidigt zu haben. Es wäre ein Unrecht, wenn wir nicht auch das einmalige, diesseitige Leben des großen Heiligen anerkennen wollten. Wie undankbar wäre das, wenn wir sein letztes, ergreifendes Fürgebet für alle kommenden Geschlechter vergessen wollten, jenes Gebet, das der Heilige im Sterben aussprach. Er bat nämlich wie in eine unabsehbare Zukunft hinein. Er bat Gott zum voraus um Erhörung seiner künftigen Fürbittgebete. Kein Bittender, der ihn als Mittler bei Gott anrufen würde, dürfe vergeblich um Hilfe gefleht haben. Gott gab ihm die Zusage, die selige Gewißheit im Augenblick des Abschieds von dieser Welt, und seit jener Zeit gehört Christophorus zu den zuverlässigen Nothelfern derer, die ihn im Vertrauen anrufen.

Vor seiner Bekehrung wurde Christophorus Reprobus genannt, was etwa der Böse oder der Verdammte bedeutet. Er gehörte zum Volksstamm der Kananiter, von denen man sagte, es laste ein Fluch auf ihnen. Es kann wohl sein, daß der junge Reprobus darunter früh gelitten hat und gern die Verwünschung in Segen verwandelt sehen wollte.

Er trachtete danach, einem mächtigen Herrscher dienstbar zu sein, und ging auf die Wanderschaft, um diesen hohen Herrn zu suchen. Da nannte man ihm eines Tages einen bedeutenden König, der überall in der Gegend als mächtig anerkannt würde. Reprobus ging zu ihm, bot ihm seine Dienste an und blieb eine Zeitlang beim König, der den jungen schönen Riesen seiner Treue und Zuverlässigkeit wegen so hoch schätzte, daß er ihn am liebsten für immer bei sich behalten hätte. Es sollte jedoch anders kommen.

Eines Tages nämlich kam eine Schar Gaukler an den königlichen Hof, um der vornehmen Gesellschaft zur Kurzweil ihre Künste vorzuführen. Bei dieser Unterhaltung war auch Reprobus zugegen, der sich als Günstling des Königs in dessen nächster Nähe aufhalten durfte. Nun wurde unter anderem ein Lied zum Vortrag gebracht, in dem der Teufel eine bestimmte Rolle spielte. Vielleicht war es ein leichtes, lockeres Liedchen, wie es deren viele gibt, und war vielleicht harmlos gemeint. Dem König jedoch schien das Lied ganz und gar nicht zu gefallen. So oft er das Wort «Teufel» hörte, machte er, ein wenig verstohlen, über sich das heilige Kreuzzeichen, das Reprobus noch nicht kannte. Sogleich fragte er:

«Mein König, was bedeutet es, daß du dieses Zeichen machst, wenn vom Teufel die Rede ist?»

Der König, der sogleich wußte, was Reprobus mit seiner Frage festzustellen gedachte, bezeigte wenig Lust zu antworten. Er war nicht mutig genug, einzugestehen, daß er selbst einem anderen König Untertan war. Da er verlegen schwieg, sagte Reprobus zu ihm:

«Herr König, leider muß ich sehen, daß es mit deiner Macht nicht so weit her ist. Weil du den Teufel fürchtest, muß dieser mächtiger sein als du. Ich aber kann nur dem Mächtigsten dienen.»

Damit nahm Reprobus Abschied, verließ auf der Stelle das königliche Schloß, und begab sich auf die Wanderschaft, um den Teufel zu suchen. Er fragte die Vorübergehenden, er fragte jeden, der ihm begegnete, ob er ihm nicht sagen könne, wo der Herr Teufel wohne, aber das wollte keiner gern wissen, und viele hatten gewiß auch Angst vor dem riesenhaften Wanderer, der solch unmittelbare Auskunft über den Teufel wünschte. Er hat ihn kennengelernt, den Teufel. Christophorus wird zu jenen Heiligen gehören, die durch das Dunkle, über die Schattenseite des Lebens hinweg zum göttlichen Lichte gelangten. Noch war er so unberührt, noch nicht wissend, was gut und böse ist. Noch kannte er weder Gott noch Teufel. Ein noch ganz erdgebundenes Geschöpf, ein Stück Natur in seiner herrlich blühenden Einfalt. Er war noch gar nicht eigentlich geboren. Er wuchs, er grünte nur wie ein Baum. Und so kam er in eine ungastliche Gegend, in eine schauerliche Wüste, allwo ihm plötzlich eine schreckliche Gestalt begegnete, die ihn ansprach:

«Nun, wohin des Weges?»

Reprobus kannte keine Furcht. Vielmehr war er es und ist es heute noch, vor dessen Größe uns beinahe ein Grauen anwandeln kann, und einmal ist es die Größe, die Stärke seines Glaubens, die uns mit Ehrfurcht erfüllt. Wie mutig er war! Gleich einem unerschrockenen Ritter ohne Furcht und Tadel gab er dem Teufel Bescheid:

«Ich suche den Herrn Teufel. Denn ich habe sagen hören, daß er der mächtigste Herrscher der Welt sein soll, und wenn es sich so verhält, daß er tatsächlich der Mächtigste ist, will ich ihm dienen.»

«Abgemacht! Ich bin es, den du suchest», antwortete der Teufel, bot ihm die Hand, und Reprobus schlug ein. Der Bund schien geschlossen. Reprobus trat in die Dienste des Teufels, mit dem er fortan durch die Wüste, aber auch durch lieblichere Gegenden ging. Reprobus fragte nicht nach Lohn und Gewinn. Es war ihm nur darum zu tun, dem Mächtigen zu dienen, weil er selbst so stark war und die eigene Macht des Glaubens, die keimend in ihm lag, noch nicht kannte.

Da er nun eines Tages mit seinem gefährlichen Meister über Land ging, stand da plötzlich ein Kreuz am Wege. Das machte Reprobus nichts aus, weil er das Kreuz noch gar nicht kannte. Der Teufel selbst aber hatte vor dem Kreuz noch viel mehr Angst als jener befangene König vor dem Teufel. Reprobus bemerkte an seinem Herrn und Meister ein Zittern und Zagen, das ihn sofort stutzig machte. Der Teufel blieb stehen, hielt, beinahe wie Hilfe suchend, Reprobus am Rockärmel fest, und machte den Vorschlag einen anderen Weg einzuschlagen. Er wollte und konnte einfach nicht am Kreuz vorübergehen.

«Was bedeutet das?» fragte Reprobus.

Der Teufel, der seinen Mann ganz genau kannte, murmelte etwas von bequemeren Straßen, aber mit solchen Ausreden gab Reprobus sich nicht zufrieden. Er ging immer aufs Ganze, wollte den Kernpunkt der Wahrheit. Und wie hatte ihm da der Vater der Lüge Auskunft geben können, der sich nur vor dem einen, vor dem Kreuze fürchtet? Reprobus drohte:

«Wenn du mir nicht auf der Stelle ehrlich eingestehst, warum du das Kreuz scheust, verlasse ich dich sofort für immer.»

Das war noch ein Ultimatum! Wohl nicht jedem gegenüber ist der Teufel so ehrlich, wie er in diesem Falle war, indem er hier kleinlaut bekannte, er könne nicht am Kreuz vorüber, seitdem Jesus Christus an ihm gelitten habe. Reprobus hatte genug gehört. Wie Schuppen fiel es von seinen Augen. So eifrig er den Teufel gesucht, so eifrig verließ er ihn, und schon war es der künftige Heilige, der dem Kreuz am Wege entgegeneilte. Vielleicht hing nicht einmal die Gestalt Christi am Kreuz. Es war nur das Zeichen, das Christophorus erblickte. Und zum Zeichen rief er empor: «Wo ist Christus, der Gekreuzigte?»

Mit Riesenschritten eilte er vorwärts, und jeden Vorübergehenden hielt er fragend an: «Wo? Wo ist Christus, der Gekreuzigte? Er muß mächtiger sein als der Teufel. Ich will ihm dienen. Dem Mächtigsten will ich angehören.»

Oh, die gewaltige Kraft des Umsturzes, die dem Riesen innewohnte! Vielleicht wußte er noch nicht, da er als Gottsucher durch die Länder lief, daß jener ihn erwartend die Arme am Kreuze ausgebreitet hielt, bereit, ihn zu empfangen, bevor er sich auf den Weg gemacht hatte.

Christophorus kam zu einem Einsiedler, den er befragte: «Kannst du mir nicht sagen, wie und wo ich Jesus, den Gekreuzigten, finde? Man hat mir gesagt, er sei der Mächtigste nicht nur auf Erden, sondern auch im Himmel. Dienen will ich ihm, wenn ich ihn gefunden habe. Wo wohnt er? Wie komme ich zu ihm? Wie kann ich ihn sehen?»

Der Einsiedler sah, wie gewaltsam Reprobus war. Wie er Sturm lief auf das Höchste, auf Gott selbst. Vielleicht sprach der Einsiedler etwas kühl und besonnen zum jugendlich Glühenden. Er unterrichtete ihn über den christlichen Glauben und erzählte ihm vom König der Könige.

«Ja. Aber wie finde ich ihn? Was soll ich tun? Wie kann ich ihm dienen?» So drängte Reprobus.

Da schlug ihm der Einsiedler mancherlei vor. «Kasteie deinen Leib. Bete und faste.»

Das paßte dem Riesen nicht so ganz, und er meinte treuherzig, zu alldem würde er ungeschickt sein. Das Beten wolle er gewiß erlernen, doch zu den strengen, körperlichen Übungen um des Geistes willen, fühle er sich nicht tauglich. Er war ja auch körperlich so kerngesund, und in diesem gesunden, starken Körper wohnte eine sehr gesunde Seele. Was für den einen gelten mag, eignet sich nicht für den andern. Christophorus taugte nicht zum Asketen. Das Geheimnisvolle seines Wesens, seiner Natur ist die Kraft, die ungebrochene Kraft des Körpers und der Seele. Der Einsiedler mag dies erkannt haben, da er den jungen Hünen vor sich sah, und sprach zu ihm also:

«Siehst du dort unten den rauschenden, gefährlichen Fluß, der recht heimtückisch sein kann und oftmals hohe Wellen schlägt?»

Sprach Reprobus:

«Ja, ich sehe den Fluß.»

Sprach der Einsiedler:

«Gar viele, die dieses Wasser zu durchschreiten versuchten, haben ihr Leben dabei eingebüßt. Du aber, Christophorus, bist stark. Eine große Kraft wohnt in dir. Du könntest die Reisenden von einem Ufer zum andern tragen. Wie ist es damit? Meinst du, daß du es kannst?»

«O ja, das kann ich schon», entgegnete Christophorus und reckte sich hoch auf, als sei er schon gleich, in diesem Augenblick, bereit, jeden über das Wasser zu tragen, der das andere Ufer erreichen will.

Ferner sprach der Einsiedler zu ihm:

«Du willst dienen, Christophorus. Diene jedem Menschen, der zu dir kommen wird und deine Hilfe in Anspruch nimmt. Sei jedem dienlich und du wirst dem mächtigsten König dienen. Du wirst deinen Herrn sehen, deinen König Jesus Christus.»

Damit entließ ihn der Einsiedler, und Christophorus ging an das Ufer des wilden Flusses, allwo er sich eine Hütte baute, in der er fortan wohnte.

Jeden Tag trug Christophorus auf seinen starken Armen oder auf seiner Schulter die Reisenden über den Fluß, so daß sie sicher ans andere Ufer gelangten. Eine lange Stange diente ihm als Stab, auf den er sich bei hohem Wellengang stützen konnte. Fest und stark war der Stab, wie der Glaube des Heiligen, und es kann sein, daß der Stab als Stütze nichts anderes bedeutet als den unerschütterlichen Glauben, der dem schwachen Menschen im Strom des Lebens Halt bietet, damit er nicht versinkt, wenn Gefahr ihn bedroht. Christophorus aber diente und half jedem um Christi willen. So reichte die Kraft seines Glaubens für viele Schwache, die sich ihm anvertrauten.

Eines Tages nun lag Christophorus ruhend in seiner Hütte. Da schlief er ein und vernahm im Schlafe die helle Stimme eines Kindes:

«Christophorus, komm und trage mich über den Fluß.»

Sogleich erwachte der Heilige, stand eilends auf, ging vor die Hütte, doch konnte er nirgends ein Kind erblicken. Er meinte, sich getäuscht zu haben, kehrte in seine Hütte zurück, um sich abermals hinzulegen. Kaum aber war er eingeschlafen, als er die gleiche Stimme noch einmal vernahm:

«Christophorus komm und trage mich über den Fluß.»

Christophorus erhob sich zum zweiten Male, hielt draußen vor der Hütte abermals nach allen Seiten Umschau, vermochte jedoch niemand zu entdecken. Dann aber, in der Hütte, vernahm er zum dritten Male den hellen Ruf des Kindes:

«Christophorus, komm und trage mich über den Fluß.»

Was war das nur für eine drängende Stimme. Noch einmal ging Christophorus hinaus, und dieses Mal fand er ein zartes Knäblein, ein kleines Kind, das bat, ans andere Ufer getragen zu werden.

Christophorus blickte das zarte Kind gerührt an, das ihm freundlich bittend zulächelte. Oh, wie leicht erschien dem Heiligen die süße, zarte Last! Behutsam nahm er das Kleine in seine starken Hände, hob es empor und da saß es dann recht bequem auf der breiten Schulter des Riesen, schien sich darauf zu freuen, vom großen Manne getragen zu werden. Christophorus blickte zum Kinde empor, und eine Freude über sein Amt, tragen zu dürfen, durchströmte ihn. Mit fester Hand ergriff er seinen Stab und begann den Fluß zu durchwaten.

Noch war das Wasser ganz ruhig und das Kind auf der Schulter war leicht, so leicht wie Licht und Rose. Rüstig und heiter schritt Christophorus voran. Als er jedoch ein Stück Wegs zurückgelegt hatte, wurde der Fluß plötzlich unruhig, schlug Wellen und – seltsam genug – das zarte, leichte Kind schien schwerer geworden zu sein. Oh, die Wasser rauschen und die Wellen, vom Sturm bewegt, steigen höher. Und das Gewicht des Kindes wird immer größer. Immer drückender wird die Last und der starke Christophorus umklammert fester seinen Stab, um sich bei dem Unwetter aufrecht zu halten. Wie er sich durch das Wasser kämpft! Was aber mag das sein, daß ein kleines Kind so schwer ist und noch immer schwerer wird? Der Schweiß rinnt Christophorus von der Stirne und er keucht vor Anstrengung. Immer aber behält er das Ziel, das andere Ufer im Auge. So strebt er dem Jenseits zu und mit dem Aufwand der letzten Kraft erreicht er endlich das ersehnte Ufer.

Ermattet und erschöpft nimmt er das Kind von seiner Schulter, fällt vor dem Kinde auf die Knie und spricht zu ihm:

«Oh, Kindlein, wie gut, daß wir am Ufer angelangt sind. Wie schwer du warst. Mir ist, als hätte ich dich nicht viel länger noch tragen können. Es war, als trüge ich den Erdball, als trüge ich die ganze Welt auf meiner Schulter.»

Da antwortete das Kind:

«Christophorus, du hast mehr getragen als die Welt, weil du den Schöpfer des Himmels und der Erde getragen hast. Du bist Christophorus, der Christusträger, und ich bin der König, dem du gedient hast. Jetzt nimm den Stab, auf den du dich stütztest, und pflanze ihn in die Erde.»

Christophorus tat es. Der Stab schlug Wurzeln tief im Erdboden, und über der Erde erwuchs aus dem Stab ein herrlicher Palmbaum mit großen, grünen Blättern und mit Früchten behangen.

In wie vielen Nöten der hl. Christophorus den Menschen schon geholfen hat, kann nur Gott selbst wissen.

In Glaubenszweifeln, in Anfechtung und Versuchungen wird er ein besonders gütiger Helfer sein, und wenn der Strom der Welt uns zu verschlingen droht, rufen wir den Heiligen nicht vergeblich an: «Komm, Christophorus, trage uns über den Fluß.»

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