Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band X
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Sindbads siebente Reise

»Wisset, Gesellschaft, als ich von meiner sechsten Reise mit großem Gewinn und reichem Profit heimgekehrt war und längere Zeit wie zuvor herrlich und in Freuden und fröhlich und vergnügt Nacht und Tag gelebt hatte, da erwachte in meiner Seele wieder die Sehnsucht, fremde Länder zu schauen, die Meere zu befahren, mich den Kaufleuten beizugesellen und Neuigkeiten zu erfahren. Und so entschloß ich mich hierzu, emballierte feine, für eine Seereise geeignete Waren und zog mit ihnen von Bagdad nach Basra, wo ich ein Schiff, auf welchem sich angesehene Kaufleute befanden, zur Abfahrt bereit antraf. Da stieg ich zu ihnen aufs Schiff und befreundete mich mit ihnen, während wir gesund und wohlbehalten absegelten und mit günstigem Wind unsere Fahrt bis zu einer Stadt zurücklegten, welche den Namen Medînet es-SînDie Stadt Chinas. führte. Fröhlich und vergnügt und miteinander über das Reisen und den Handel plaudernd, hatten wir bisher den Weg zurückgelegt, als mit einem Male ein mächtiger Sturm von vorn her gegen uns losbrach und ein starker Regen auf uns niederkam, daß wir samt unsern Ballen durchnäßt wurden und die Ballen mit Filz und Sacktuch bedeckten, damit sie nicht durch den Regen verdorben würden. Zugleich begannen wir zu Gott, dem Erhabenen, zu flehen und uns vor ihm zu demütigen, auf daß er uns aus unserer gefährlichen Lage befreite. Der Kapitän aber erhob sich und stieg, nachdem er sich fest gegürtet und seine Ärmel zurückgeschlagen hatte, auf den Mast, von wo er nach rechts und links ausspähte, bis er mit einem Male zu uns aufs Schiff niedersah und sich vors Gesicht schlug und den Bart ausraufte. Auf unsere Frage: »Kapitän, was ist los?« rief er uns zu: »Flehet zu Gott, dem Erhabenen, um Errettung aus der Gefahr, in die wir geraten sind, beweinet euch und nehmet Abschied voneinander! Wisset, der Sturm ist stärker als wir gewesen und hat uns ins entlegenste Meer der Welt getrieben.« Hierauf stieg der Kapitän wieder vom Mast herunter, öffnete seine Kiste und holte aus dieser einen baumwollenen Beutel hervor, aus welchem er, ihn aufbindend, ein Pulver, das wie Asche aussah, zum Vorschein brachte. Dieses Pulver machte er mit Wasser naß und wartete ein wenig, worauf er daran roch. Dann holte er aus derselben Kiste ein kleines Buch hervor und sprach zu uns, nachdem er darin gelesen hatte: »Wisset, ihr Fahrgäste, dieses Buch enthält eine wundersame Sage, die darauf hinweist, daß jeder, der in diese Gegend gelangt, verloren ist; diese Gegend heißt nämlich das KlimaKlima gleich Zone, Gegend. der Könige, und es befinden sich hier das Grab unseres Herrn Salomo, des Sohnes Davids, – Frieden auf beide! – und Schlangen von gewaltiger Größe und entsetzenerregendem Anblick; und auf jedes Schiff, das in diese Gegenden gerät, fährt ein Fischungeheuer los und verschlingt es mit Mann und Maus.« Als wir dies vom Kapitän vernahmen, verwunderten wir uns aufs höchste; ehe aber noch der Kapitän ausgeredet hatte, wurde das Schiff hoch übers Wasser gehoben und fuhr dann wieder hinunter in die Tiefe, worauf wir einen fürchterlichen donnerähnlichen Schrei vernahmen, so daß wir uns entsetzten und, zu Tode erschrocken, unsers augenblicklichen Untergangs gewiß waren. Mit einem Male kam ein Fisch so groß wie ein hoher Berg auf das Schiff los, so daß wir, entsetzt vor ihm, bitterlich über uns weinten und uns zum Sterben anschickten, wobei wir jedoch den Fisch immer im Auge behielten und uns über seine grausige Gestalt verwunderten; plötzlich kam ein zweiter Fisch auf uns los, wie wir bisher noch keinen größeren und fürchterlicher gestalteten gesehen hatten, und wie wir nun voneinander Abschied nahmen und über unser verlorenes Leben weinten, kam auch schon ein dritter Fisch heran, der noch größer als die beiden andern war. Da verloren wir Verstand und Besinnung und wurden von Furcht und Grausen völlig verstört, während die drei Fische rings um das Schiff schwammen. Schon machte sich der dritte Fisch daran, das Schiff mit Mann und Maus zu verschlingen, als plötzlich ein heftiger Windstoß das Schiff hoch hob, worauf es auf ein großes Riff stürzte und zerbrach, daß alle seine Planken auseinanderfielen und alles, was sich an Bord befand, Ballen, Kaufleute und Passagiere, ins Meer sank. Was mich anlangt, so zog ich alle Sachen bis auf ein Stück aus und schwamm eine kurze Strecke, bis ich eine der Schiffsplanken zu fassen bekam; dann schwang ich mich auf dieselbe, setzte mich rittlings auf sie und hielt mich an ihr fest, während Wind und Wellen mit mir spielten und mich bald hoch hoben, bald wieder in die Tiefe warfen. In elendester Verfassung und von Furcht, Hunger und Durst gequält, schalt ich mich, nach einem Leben voll behaglicher Ruhe in der Seele ermüdet, über mein Unterfangen und sprach zu mir: »O Sindbad, o Seemann, du bereust nicht, wiewohl du auf jeder Reise Widerwärtigkeiten und Mühsal auszustehen hast; du läßt das Reisen zur See nicht sein, und so du es wirklich bereust, so ist deine Reue erlogen. Ertrag daher alle deine Leiden, denn du verdienst alles, was dich betroffen hat, –

Fünfhundertundvierundsechzigste Nacht

und alles dies ist von Gott, dem Erhabenen, über mich verhängt, daß ich von meiner Habgier ablasse; meine Gier allein hat diese Leiden über mich gebracht, da ich genug Reichtümer besitze.« Hierauf kam ich wieder zur Besinnung und sprach bei mir: »Fürwahr, diesmal bereue ich das Reisen in aufrichtiger Reue vor Gott, dem Erhabenen, und mein Leben lang soll der Gedanke ans Reisen mir hinfort weder auf die Zunge noch ins Herz kommen.« So demütigte ich mich unter Thränen unablässig vor Gott, dem Erhabenen, indem ich bei mir meiner frühern Ruhe, Gemächlichkeit und Fröhlichkeit, der Heiterkeit, Zufriedenheit und all der Freuden gedachte, und verharrte zwei Tage lang in dieser Weise, bis ich zu einer großen Insel mit vielen Bäumen und Flüssen gelangte. Ich stieg hier an den Strand und aß von den Früchten der Bäume und trank aus den Flüssen, bis ich mich wieder erholte und Leben in mich zurückkehrte, mein Lebensmut sich stärkte und meine Brust sich ausdehnte. Dann wanderte ich auf der Insel umher, bis ich auf der andern Seite einen großen Strom mit süßem Wasser fand, der mit starker Strömung dahinschoß; da gedachte ich des Flosses, das ich mir zuvor gemacht hatte, und sprach bei mir: »Ich muß mir hier wieder solch ein Floß machen, vielleicht rette ich mich dadurch aus dieser Lage. Entkomme ich heil, so habe ich meinen Wunsch erreicht und ich entsage vor Gott, dem Erhabenen, für immer dem Reisen, komme ich jedoch um, so hat mein Herz von all der Mühsal und Plackerei Ruhe gefunden.« So erhob ich mich und beschaffte mir Holz von jenen Bäumen, welches alles Sandelbäume der geschätztesten Art waren, wie es ihresgleichen nirgends giebt, ohne daß ich es wußte, flocht Zweige und Gras zu Seilen und band die Hölzer damit zu einem Floß zusammen. Mit den Worten: »Rette ich mich, so geschieht's durch Gottes Hilfe,« stieg ich dann aufs Floß und ließ mich von der Strömung forttragen, bis ich mich von der Insel entfernte. Einen Tag und noch einen und einen dritten währte meine Fahrt, während welcher Zeit ich, ohne etwas zu essen, dalag, und nur meinen Durst mit dem Wasser jenes Stromes stillte, so daß ich vor Müdigkeit, Hunger und Furcht einem schwindeligen Küchlein glich. Endlich gelangte das Floß mit mir zu einem hohen Berge, unter den der Strom seinen Weg nahm. Als ich dies gewahrte, fürchtete ich für mein Leben, indem ich der engen Schlucht gedachte, durch welche ich auf der vorigen Reise gefahren war, und wollte das Floß anhalten und am Bergabhang absteigen; die Strömung riß mich jedoch fort und trieb das Floß unter den Berg, so daß ich nun, meines Unterganges gewiß, rief: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen!« Nach kurzer Fahrt trat das Floß jedoch wieder ins Freie hinaus, und ich befand mich in einem breiten Wadi, in welches sich der Strom mit Donnergetöse und Sturmesschnelle ergoß. In meiner Furcht vom Floß zu fallen, klammerte ich mich fest an dasselbe, während mich die Wellen mitten auf dem Strom nach rechts und links schleuderten. So wurde das Floß von der Strömung immer weiter durchs Wadi fortgetragen, ohne daß ich es weder aufzuhalten noch ans Land zu steuern vermocht hätte, bis es mit mir an einer reichbewohnten, hübsch erbauten und prächtig anzuschauenden Stadt vorüberkam. Als mich die Bewohner derselben mitten im Strom auf meinem Floß auf den Wellen treiben sahen, warfen sie ein Netz und Stricke über das Floß und zogen es an den Strand, wo ich nun erschöpft von Hunger, Wachen und Furcht wie ein Toter zwischen sie fiel. Da trat ein alter ehrwürdiger Scheich auf mich zu, hieß mich willkommen und warf eine Menge hübscher Kleider über mich, mit denen ich meine Blöße bedeckte. Hierauf nahm er mich und führte mich ins Bad, wohin er mir stärkende Getränke und würzige Wohlgerüche brachte. Nachdem wir das Bad verlassen hatten, nahm er mich zu sich in sein Haus, wo er mich, während seine Hausgenossen mir ihre Freude über meinen Besuch bezeugten, an einem feinen Platz sitzen ließ und mir köstliche Speisen vorsetzte. Als ich mich sattgegessen und Gott, dem Erhabenen, für meine Rettung gedankt hatte, brachten mir seine Pagen heißes Wasser zum Händewaschen und seine Sklavinnen seidene Handtücher, mit denen ich mir die Hände abtrocknete und den Mund wischte. Hierauf erhob sich der Scheich und ließ mir in seinem Hause ein Zimmer für mich ganz allein zurechtmachen, indem er seinen Pagen und Sklavinnen befahl mich zu bedienen und alle meine Anliegen und Bedürfnisse zu erledigen. Während mich dieselben nun aufmerksam bedienten, wohnte ich bei gutem Essen, gutem Trank und guten Wohlgerüchen drei Tage lang in der Gastwohnung bei ihm, bis wieder neues Leben in mir einkehrte, meine Furcht sich legte, mein Herz Ruhe und meine Seele Frieden fand. Am vierten Tage kam dann der Scheich zu mir und sprach: »Du hast uns durch deinen Besuch erfreut, mein Sohn, und Gott sei gelobt für deine Rettung! Möchtest du nun aber nicht mit mir an den Strand gehen und auf dem Bazar deine Ware verkaufen, um für den Erlös dir etwas anderes zu kaufen, womit du Handel treiben kannst.« Da schwieg ich einen Augenblick, indem ich bei mir sprach: »Woher sollte ich Waren haben, und was ist die Ursache dieser Worte?« Der Scheich aber sagte nun: »Mein Sohn, sorge dich nicht und hänge nicht deinen Gedanken nach, sondern komm mit auf den Bazar; bietet dir dort einer einen annehmbaren Preis, so verkaufe deine Ware, bekommst du jedoch kein passendes Angebot, so bewahre sie bei mir in meinen Magazinen bis zu einer bessern Geschäftszeit.« Da überlegte ich die Sache, indem ich bei mir sprach: »Folg' ihm und sieh nach, was das für Waren sind;« dann sagte ich zu ihm: »Ich höre und gehorche, mein Oheim Scheich, ich kann dir in nichts widersprechen, denn auf all deinem Thun ruht Segen.« Wie ich nun mit ihm auf den Bazar ging, fand ich, daß er bereits das Floß, auf dem ich gekommen war, und das aus lauter Sandelhölzern bestand, auseinandergenommen hatte und durch den Makler ausbieten ließ, –

Fünfhundertundfünfundsechzigste Nacht

während die Kaufleute herbeikamen und, die Pforte des Angebotes öffnend, einer den andern überboten. Als das Gebot die Höhe von zehntausend Dinaren erreicht hatte, und die Kaufleute nunmehr zu bieten aufhörten, wendete sich der Scheich zu mir und sagte: »Höre, mein Sohn, in Zeiten wie diesen ist dies der Preis dieser Ware. Willst du sie dafür verkaufen oder willst du noch warten, und soll ich dir das Holz in meinen Magazinen aufbewahren, bis der Preis dafür gestiegen ist, und wir es dann für dich verkaufen?« Ich erwiderte ihm: »Mein Herr, du hast zu befehlen, thue daher, was dir gut dünkt.« Da sagte er: »Willst du mir das Holz verkaufen, wenn ich dir noch zweihundert Golddinare über das Gebot der Kaufleute hinaus gebe?« Ich versetzte: »Ja, ich verkaufe es dir und nehme das Geld in Empfang.« Nun befahl er seinen Burschen das Holz in seine Magazine zu schaffen und kehrte mit mir wieder nach Hause zurück, wo er mir, nachdem wir uns gesetzt hatten, den ganzen Kaufpreis für das Holz auszahlte; dann packte er das Geld in Beutel, verwahrte es in einem Raum, legte ein eisernes Schloß davor und übergab mir den Schlüssel. Einige Zeit später sagte er zu mir: »Mein Sohn, ich habe dir einen Vorschlag zu machen und ich wünschte wohl, du nähmest ihn an.« – »Was ist's?« fragte ich. Da sagte er: »Wisse, ich bin ein alter Mann und habe keinen Sohn; doch habe ich eine junge Tochter von eleganter Erscheinung und dabei sehr reich und hübsch. Ich möchte dich mit ihr verheiraten, daß du bei ihr in unserm Lande bleibst, und möchte dir all mein Gut und allen Besitz, den ich unter meiner Hand habe, übergeben; denn siehe, ich bin ein alter Mann und du sollst an meinen Platz treten.« Als ich hierzu schwieg und keine Antwort gab, sagte er zu mir: »Gehorche mir, mein Sohn, denn siehe, ich habe Gutes mit dir vor. Wenn du mir gehorchst, so verheirate ich dich mit meiner Tochter, und du sollst wie mein Sohn gehalten werden und all mein Gut und Eigentum besitzen; und so du Handel treiben und in dein Land reisen willst, wird dich niemand daran hindern; dieses dein Gut steht unter deiner Hand, thue demnach, was du willst und erwählst.« Da sagte ich zu ihm: »Bei Gott, Oheim Scheich, du bist mir wie ein Vater geworden, und ich habe so viele Schrecknisse durchgemacht, daß mir weder Urteil noch Einsicht geblieben ist; der Befehl ist daher in allem der deine.« Infolgedessen befahl der Scheich seinen Burschen den Kadi und die Zeugen zu rufen, und, als sie erschienen waren, verheiratete er mich mit seiner Tochter und richtete uns ein prächtiges Hochzeitsbankett und ein großes Fest aus. Als er mich dann ihr zuführte, fand ich, daß sie über die Maßen schön und anmutig und von ebenmäßigem Wuchs war und allerlei Schmuckstücke und Gewänder, edle Steine, güldene Kleinodien, Halsbänder und kostbare Juwelen trug, deren Wert sich auf Millionen belief, und deren Preis niemand erschwingen konnte. Sie gefiel mir, wir gewannen uns gegenseitig lieb, und ich lebte in größter Freude und Fröhlichkeit mit ihr, bis ihr Vater zu Gottes, des Erhabenen, Barmherzigkeit abschied, worauf wir ihn herrichteten und bestatteten. Alsdann legte ich meine Hand an all sein Eigentum, alle seine Sklaven wurden meine Sklaven und dienten mir unter meiner Hand, und die Kaufleute setzten mich in sein Amt eines Ältesten und Scheichs ein, ohne dessen Wissen und Erlaubnis niemand etwas nehmen durfte. Und so trat ich nun an seine Stelle. Als ich aber mit dem Volk jener Stadt in nähern Verkehr trat, fand ich, daß sie sich in jedem Monat verwandelten und Flügel bekamen, auf denen sie bis zu den Wolken des Himmels emporstiegen, und daß niemand außer den Kindern und Säuglingen in der Stadt zurückblieb. Da sprach ich bei mir: »Zu Beginn des nächsten Monats will ich einen von ihnen bitten, mich mitzunehmen.« Wie nun der folgende Monat anhob und sich ihre Farbe veränderte und ihre Gestalt verwandelte, besuchte ich einen von ihnen und sprach zu ihm: »Um Gott, ich beschwöre dich, nimm mich mit, daß ich mein Vergnügen mit euch habe und dann mit euch wieder heimkehre.« Er erwiderte mir: »Das ist unmöglich;« doch drang ich so lange in ihn, bis er hierin einwilligte. Nachdem ich mich mit ihnen verabredet hatte, hängte ich mich an ihn und flog mit ihm auf seinen Schultern, ohne daß einer meiner Hausgenossen oder Sklaven und Freunde etwas davon wußte, so hoch in die Luft, daß ich den Lobgesang der Engel im Himmelsdom vernahm. Verwundert hierüber rief ich: »Preis sei Gott! Gelobt sei Gott!« Kaum aber hatte ich die Worte gesprochen, da fuhr ein Feuer aus dem Himmel und hätte sie fast verbrannt. Infolgedessen flogen sie wieder alle erdwärts und warfen mich auf einen hohen Berg nieder, worauf sie in höchstem Zorn von mir fortflogen, mich auf jenem Berge allein lassend. Da schalt ich mich über mein Unterfangen und rief: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen! So oft ich aus einem Unglück befreit werde, gerate ich in ein größeres.« Wie ich mich nun auf jenem Berge befand und nicht wußte, wohin ich gehen sollte, kamen mit einem Male zwei Jünglinge des Weges daher, schön wie Monde, von denen jeder eine goldene Rute in der Hand hielt, die sie als Stab benutzten. Da trat ich auf sie zu, begrüßte sie und fragte sie, nachdem sie mir den Salâm erwidert hatten: »Um Gott, wer seid ihr und was ist euer Geschäft?« Sie erwiderten: »Wir gehören zu Gottes, des Erhabenen, Dienern;« hierauf gaben sie mir eine der Ruten aus rotem Gold, die sie bei sich hatten, und zogen, mich allein lassend, ihres Weges, während ich nun über den Gipfel des Berges schritt, wobei ich mich auf die Rute als Stab stützte und meinen Gedanken über jene beiden Jünglinge nachhing. Mit einem Male kam eine Schlange unter dem Berg hervor, aus deren Rachen ein bis unter den Nabel verschluckter Mann heraussah, welcher laut schrie: »Wer mich errettet, den wird Gott auch aus aller Drangsal erretten.« Da trat ich an die Schlange und schlug ihr mit der goldenen Rute übers Haupt, worauf sie den Mann aus ihrem Rachen ausspie.

Fünfhundertundsechsundsechzigste Nacht

Nun trat der Mann an mich heran und sagte: »Dieweil ich durch deine Hand von dieser Schlange losgekommen bin, will ich mich niemals mehr von dir trennen, und du sollst auf diesem Berge mein Gefährte sein.« – »Gern,« erwiderte ich, und nun wanderten wir zusammen in die Berge, als ich mit einem Male eine Menge Volks auf uns zukommen sah, unter denen ich den Mann erblickte, der mich auf seine Schultern genommen hatte und mit mir aufwärts geflogen war. Da ging ich auf ihn zu, entschuldigte mich bei ihm und gab ihm gute Worte, indem ich zu ihm sprach: »O mein Freund, so handeln doch nicht Freunde gegeneinander.« Er erwiderte jedoch: »Du bist's, der uns beinahe ins Verderben gestürzt hätte, als du Gott auf meinem Rücken lobpreistest.« Da sagte ich: »Nimm's nicht übel; ich wußte ja nichts davon, doch will ich hinfort kein Wort mehr sprechen.« So ließ er sich denn herbei, mich wieder mitzunehmen, doch verpflichtete er mich dazu, auf seinem Rücken weder den Namen Gottes auszusprechen noch ihn zu lobpreisen; dann nahm er mich auf und flog mit mir wie zuvor, bis er mich zu meinem Hause gebracht hatte. Hier empfing mich meine Gattin, und sagte zu mir, nachdem sie mich begrüßt und beglückwünscht hatte: »Hüte dich noch einmal mit diesen Leuten auszuziehen und noch ferner mit ihnen zu verkehren, denn es sind Satansbrüder, die nicht wissen den Namen Gottes, des Erhabenen, auszusprechen.« Da fragte ich sie: »Wie hielt es denn dein Vater mit ihnen?« Sie erwiderte: »Mein Vater gehörte nicht zu ihnen und that nicht wie sie. Nun aber, wo mein Vater gestorben ist, ist es das beste, du verkaufst all unsern Besitz, kaufst für den Erlös Waren ein und nimmst mich mit in dein Land und zu deinen Angehörigen, da mich nach dem Tode meiner Eltern nichts mehr in dieser Stadt zurückhält.« So verkaufte ich denn Stück für Stück von dem Eigentum des Scheichs, wobei ich zugleich sorgsam ausschaute, ob nicht einer von dieser Stadt reiste, daß ich mit ihm ziehen könnte. Da vernahm ich eines Tages, daß eine Anzahl von den Bewohnern der Stadt, welche fortfahren wollten und kein Schiff gefunden hatten, sich Holz gekauft hatten und ein großes Schiff bauten. Auf diese Nachricht mietete ich bei ihnen Plätze zur Überfahrt und brachte, nachdem ich ihnen den Fahrpreis voll ausbezahlt hatte, mein Weib und alle meine fahrende Habe aufs Schiff, alle Häuser und Liegenschaften zurücklassend, worauf wir mit günstigem Wind von Meer zu Meer und von Insel zu Insel fuhren, bis wir wohlbehalten in Basra anlangten, wo ich mir, ohne mich weiter aufzuhalten, sofort ein anderes Schiff heuerte, mit dem ich, nachdem meine Sachen umgeladen waren, nach Bagdad zog. Hier angelangt, suchte ich mein Quartier auf und betrat mein Haus, worauf ich meine Angehörigen, meine Freunde und Lieben empfing und meine Waren in meinen Magazinen unterbrachte. Meine Angehörigen, welche bereits alle Hoffnung auf meine Heimkehr aufgegeben hatten, da sie die Zeit meiner Abwesenheit während meiner siebenten Reise auf siebenundzwanzig Jahre berechnet hatten, verwunderten sich alle höchlichst, als ich wieder zu ihnen zurückkehrte und ihnen alle meine Abenteuer erzählte, und beglückwünschten mich zu meiner wohlbehaltenen Heimkehr. Ich aber gelobte Gott, dem Erhabenen, nach dieser siebenten und letzten Reise, die mir alle Reiselust benommen hatte, nie mehr wieder sei es zu Land oder Wasser zu reisen, und dankte Gott – Preis Ihm, dem Erhabenen! – lobte und pries ihn, daß er mich wieder zu meinen Angehörigen und in mein Land und meine Heimat hatte zurückkehren lassen. Betrachte demnach, o Sindbad, o Landmann, alle Fährlichkeiten und Abenteuer, die ich durchzumachen hatte.« Da sagte Sindbad der Landmann zu Sindbad dem Seemann: »Um Gott, vergieb mir mein Vergehen gegen dich.«

Und so lebten sie von nun an fürder in aller Freude, Fröhlichkeit und Zufriedenheit als treue Freunde und Gefährten, bis sie heimsuchte der Zerstörer aller Freuden und der Trenner aller Vereinigungen, der Verwüster der Schlösser und der Bevölkerer der Gräber, der da ist der Becher des Todes. Preis dem Lebendigen, der nimmer stirbt!

 


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