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Tausend und eine Nacht. Band X
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Sindbads vierte Reise

»Wisset, meine Brüder, als ich nach der Stadt Bagdad heimgekehrt und wieder mit meinen Angehörigen, Freunden und Gefährten vereinigt war und ein Leben herrlich und in Freuden und in reichstem Behagen führte, daß ich völlig in Kurzweil, Musik und lustiger Gesellschaft mit Freunden und Gefährten aufging und bei diesem herrlichen Leben aller Drangsale, die ich ausgestanden hatte, vergaß, da gab es mir meine ruchlose Seele ein, wieder ins Land der Menschen auszuziehen, und meine Sehnsucht ward lebendig nach dem Verkehr mit den Menschenrassen und nach Handel und Profit. So entschloß ich mich hierzu, kaufte mir kostbare, für eine Seereise geeignete Waren, packte noch mehr Ballen als zuvor und reiste von Bagdad nach Basra, wo ich die Waren verschiffte und mit einer Gesellschaft von Großkaufleuten aus Basra absegelte. Unter Gottes, des Erhabenen, Segen zog das Schiff mit uns auf das wogende, wellenbrandende Meer hinaus, und in guter Fahrt segelten wir eine Reihe von Tagen und Nächten von Insel zu Insel und von Meer zu Meer, bis sich eines Tages ein Gegenwind erhob, worauf der Kapitän, aus Furcht auf hoher See unterzugehen, die Anker auswarf und uns mitten im Meer zum Stehen brachte. Während wir nun in dieser Lage zu Gott, dem Erhabenen, beteten und uns vor ihm demütigten, brach ein gewaltiger Sturm über uns herein, der die Segel kurz und klein riß, und die Leute versanken mit all ihren Lasten und ihrem Hab und Gut im Meer. Zu den ins Meer Gefallenen hatte auch ich gehört, doch schwamm ich den halben Tag über, bis Gott, der Erhabene, mir, als ich mich bereits verloren gab, ein Stück von einer der Schiffsplanken gnädiglich in den Weg sendete, auf das ich mich nebst mehreren andern Kaufleuten schwang.

Fünfhundertundeinundfünfzigste Nacht

Indem wir so auf der Planke rittlings saßen, ruderten wir einen Tag und eine Nacht lang mit unsern Füßen im Meer, und Wind und Wellen halfen uns während dieser Zeit; am zweiten Tage um die Frühstückszeit erhob sich dann der Wind, die See ging hoch, Wind und Wellen wuchsen, und die brandende Flut warf uns halbtot vor Mattigkeit, Schlaflosigkeit, Kälte, Hunger, Durst und Furcht an den Strand einer Insel. Wir wanderten am Gestade entlang, und da wir daselbst eine Menge Gras fanden, aßen wir etwas von ihm, um unsern letzten Lebenshauch festzuhalten und uns zu stärken, worauf wir die Nacht am Strand der Insel verbrachten. Am andern Morgen in der Frühe, als es hell ward und tagte, standen wir auf und durchwanderten die Insel nach rechts und links, bis wir in der Ferne ein Wohnhaus erblickten. Da gingen wir auf dasselbe zu und hielten erst an seiner Thür an, als mit einem Male, während wir vor der Thür standen, ein Haufen nackter Leute herauskam, die uns, ohne ein Wort zu sprechen, packten und vor ihren König schleppten. Der König befahl uns niederzusitzen, und als wir uns gesetzt hatten, brachte man uns eine Speise, die wir nicht kannten, und wie wir nie zuvor in unserem Leben eine ähnliche gesehen hatten. Während meine Gefährten von der Speise aßen, enthielt ich mich derselben aus Ekel und aß nichts; und dies geschah aus Gottes, des Erhabenen, Güte, damit ich noch bis heute am Leben bliebe. Als nämlich meine Gefährten von der Speise gegessen hatten, verloren sie den Verstand, so daß sie wie Verrückte drauf los fraßen und ihr Benehmen gänzlich veränderten. Hernach brachten sie ihnen Kokosnussöl, reichten ihnen davon zu trinken und rieben sie damit ein; sobald sie aber von dem Öl getrunken hatten, verdrehten sie die Augen im Kopf und aßen von der Speise in ganz anderer Weise als sie sonst zu essen pflegten. Bei diesem Anblick wurde ich bestürzt und bekümmert über sie, wiewohl ich mich vor jenen nackenden Menschen nicht weniger fürchtete und um mein Leben bangte. Indem ich dieselben genau betrachtete, gewahrte ich, daß es Magier waren, die zum König einen Ghûl hatten. Alle, die in ihr Land kamen, oder auf die sie im Wadi oder auf den Wegen stießen, schleppten sie vor ihren König, gaben ihnen von jener Speise zu essen und rieben sie mit jenem Öl ein, worauf sich ihr Bauch ausdehnte, damit sie gefräßig würden, während ihr Verstand wich, ihr Denkvermögen schwand, und sie wie Blödsinnige wurden. Dann fütterten sie sie mit der Speise und dem Öl so lange, bis sie dick und fett geworden waren, worauf sie sie abschlachteten und für ihren König brieten, während sie selber Menschenfleisch ungebraten und ungekocht fraßen. Wie ich nun solches sah, bekümmerte ich mich schwer über mich und meine Gefährten, während sie so blödsinnig geworden waren, daß sie gar nicht mehr merkten, was mit ihnen geschah, und daß sie von den Menschenfressern einem übergeben wurden, der sie alle Tage auf der Insel wie Vieh auf die Weide trieb. Ich wurde infolge von Furcht und Hunger so schwach und krank, daß mir das Fleisch an den Knochen dürr ward; die Menschenfresser aber ließen mich, als sie mich in solchem Zustande gewahrten, unbeachtet und vergaßen mich völlig, daß ich ihnen eines Tages entwischte und weit von ihnen fort die Insel durchwanderte, bis ich ans Meer gelangte, wo ich einen Hirten auf einem hohen Gegenstande mitten im Wasser sitzen sah. Wie ich ihn genauer ins Auge faßte, erkannte ich in ihm den Mann, dem sie meine Gefährten zum Weiden anvertraut hatten, und gewahrte auch bei ihm viele andere in ähnlichem Zustande. Als mich jener Mann erblickte und erkannte, daß ich Herr meiner fünf Sinne war und unbetroffen von allem, was meinen Gefährten widerfahren war, winkte er mir von ferne zu als wollte er sagen: »Kehr um und schlag den Weg zu deiner Rechten ein, der dich auf die Sultansstraße führen wird.« Infolgedessen kehrte ich um, wie er es mich durch Zeichen geheißen hatte, und schlug den Weg zu meiner Rechten ein, indem ich aus Furcht bald lief bald wieder langsam ging, um mich auszuruhen, bis ich den Augen des Mannes, der mich auf diesen Weg gewiesen hatte, entschwunden war, und keiner von uns beiden mehr den andern gewahrte. Da nun aber die Sonne unterging und die Finsternis hereinbrach, setzte ich mich, um mich auszuruhen, und wollte schlafen, doch vermochte ich es nicht vor Furcht, Hunger und Müdigkeit. Ich erhob mich deshalb wieder um Mitternacht und durchwanderte die Insel weiter bis der Morgen anbrach, und es licht ward und tagte, und die Sonne auf die Gipfel der Berge und die Kiesgründe schien, worauf ich in meinem Hunger, meinem Durst und meiner Müdigkeit so lange von den Kräutern und Gräsern, die auf der Insel wuchsen, aß, bis ich satt geworden war und meine letzten Lebensgeister noch einmal versammelt hatte. Alsdann erhob ich mich wieder und wanderte in dieser Weise Nacht und Tag sieben Tage und Nächte lang weiter, immer, wenn ich Hunger bekam, von den Gräsern essend, bis ich am Morgen des achten Tages in der Ferne einen undeutlichen Gegenstand erblickte. Da ging ich auf ihn zu, bis ich ihn nach Sonnenuntergang erreichte; und, wie ich nun mit vor Furcht zitterndem Herzen, indem ich an alles, was ich zum ersten und andern Male erlitten hatte, dachte, meine Augen von fern auf den Gegenstand richtete, siehe, da war es eine Anzahl Leute, welche Pfefferkörner einsammelten. Als ich ihnen nahe gekommen war und sie mich erblickten, kamen sie auf mich zugelaufen und fragten mich, von allen Seiten mich umringend: »Wer bist du und woher kommst du?« Ich antwortete ihnen: »Wisset, ihr Leute, ich bin ein armer Fremdling,« und erzählte ihnen meine Geschichte und alle die Schrecken und Drangsale, die ich auszustehen gehabt hatte.

Fünfhundertundzweiundfünfzigste Nacht

Als die Kaufleute meine Erzählung vernommen hatten, versetzten sie: »Bei Gott, das ist eine wunderbare Geschichte! Wie aber entkamst du den schwarzen Menschenfressern, die doch so zahlreich auf der Insel sind, und wo niemand ihnen zu entkommen und entrinnen vermag?« Da erzählte ich ihnen, wie es mir mit ihnen ergangen war, und wie sie meine Gefährten genommen und ihnen Speise vorgesetzt hatten, während ich davon nichts aß, und, verwundert über meine Abenteuer, wünschten sie mir Glück zu meiner Rettung und ließen mich bei sich sitzen, bis sie ihre Arbeit beendet hatten. Dann holten sie mir etwas Gutes zu essen, und ich aß davon, da ich hungrig war. Hernach ruhte ich mich eine Weile bei ihnen aus, worauf sie mit mir ein Schiff bestiegen und zu ihrer Insel fuhren, wo sie mich ihrem König vorstellten. Nachdem ich ihm den Salâm geboten hatte, hieß er mich willkommen und nahm mich ehrenvoll auf, und ich erzählte ihm auf seine Frage nach meiner Geschichte alles, was mich seit dem Tage, da ich Bagdad verlassen hatte, bis zu meinem Eintreffen bei ihm betroffen hatte. Der König und alle Anwesenden verwunderten sich höchlichst über meine abenteuerliche Geschichte, und er befahl mir an seiner Seite Platz zu nehmen. Nachdem ich mich gesetzt hatte, befahl er dann das Essen aufzutragen, und als sie es gebracht hatten, aß ich so viel, bis ich genug hatte, worauf ich mir die Hände wusch und Gott, dem Erhabenen, für seine Huld dankte und ihn lobte und pries. Hierauf verließ ich den König und spazierte durch seine Stadt, welche blühend, stark bevölkert und reich an Gut, Nahrungsmitteln, Bazaren und Waren war und von Käufern und Verkäufern wimmelte. Erfreut, hierher gekommen zu sein, ward mein Herz getröstet und ich befreundete mich mit den Bewohnern der Stadt, so daß ich bald in höherem Ansehen und größeren Ehren bei ihnen und dem König stand als die Großen des Reiches aus seinem Stadtvolk.

Hier bemerkte ich nun, daß alle Städter, Groß und Klein, auf edlen und hübschen Pferden ohne Sättel ritten; verwundert hierüber, fragte ich den König: »Aus welchem Grunde, mein Gebieter, reitest du nicht mit Sattel? Der Reiter sitzt doch so bequemer und gewinnt mehr Kraft.« Der König versetzte: »Was ist ein Sattel? Wir haben solch ein Ding unser Leben lang weder gesehen noch zum Reiten benutzt.« Da sagte ich: »Möchtest du mir wohl erlauben, dir einen Sattel zum Reiten zu machen, daß du seinen Wert schaust?« Der König erwiderte: »Thu's;« und nun sagte ich zu ihm: »Laß mir etwas Holz bringen.« Da befahl er, mir alles, was ich verlangte, zu bringen, und so verlangte ich nach einem tüchtigen Schreiner, dem ich, indem ich mich neben ihn setzte, die Kunst Sattelgestelle zu machen beibrachte. Dann nahm ich Wolle, zerzupfte sie und machte Filz aus ihr, worauf ich Leder herbeischaffte und es, nachdem ich das Sattelgestell damit bekleidet hatte, polierte; dann brachte ich die Riemen für die Steigbügel und den Gurt an und ließ einen Schmied kommen, dem ich die Steigbügel beschrieb, worauf derselbe ein Paar prächtiger Steigbügel machte. Nachdem ich dieselben gefeilt und verzinnt und mit seidenen Fransen verziert hatte, erhob ich mich, holte eins der besten Rosse des Königs heraus, sattelte es, hängte den Steigbügel an den Sattel, zäumte es auf und führte es so dem König vor. Dem König gefiel es, und, eingenommen von der Sache, bedankte er sich bei mir; dann saß er auf und ritt, wobei er von mächtiger Freude über den Sattel erfaßt wurde, so daß er mich für mein Werk reich belohnte. Wie nun sein Wesir sah, daß ich für den König jenen Sattel gemacht hatte, verlangte er von mir einen gleichen; und nach ihm kamen auch alle Großen des Reiches und alle Würdenträger und verlangten Sättel von mir. So machte ich ihnen denn die Sättel, nachdem ich einen Tischler in der Anfertigung des Sattelgestells und einen Schmied in der Kunst Steigbügel zu machen unterwiesen hatte, und verkaufte sie den Großen und Herren, so daß ich hierdurch viel Geld verdiente und bei dem König, seiner Umgebung und allen Vornehmen und Granden in hohen Ehren und großem Ansehen stand.

Wie ich nun eines Tages in höchster Freude und Fröhlichkeit dasaß, sprach der König zu mir: »Wisse, du da, du stehst in Ansehen und Ehren bei uns, bist einer von uns geworden, und wir vermögen uns nicht mehr von dir zu trennen noch könnten wir dich aus unserer Stadt ziehen lassen; ich wünsche daher, daß du mir in einer gewissen Sache Gehorsam leistest und meinem Worte nicht widersprichst.« Ich versetzte: »Was ist's, o König, das du von mir wünschest? Ich werde deinem Worte nicht widersprechen, da ich dir wegen deiner Huld, Güte und Freundlichkeit verpflichtet bin; und, gelobt sei Gott, ich bin einer deiner Diener geworden.« Da sagte er: »Ich will dich bei uns mit einem schönen, anmutigen, klugen und reichen Weib verheiraten, daß du bei uns ansässig wirst, und will dich bei mir im Schloß wohnen lassen. Widersprich mir nicht und weise mein Wort nicht ab.« Als ich des Königs Rede vernommen hatte, schwieg ich verlegen und gab ihm in meiner Verlegenheit keine Antwort. Da fragte er: »Warum giebst du mir keine Antwort, mein Sohn?« Und nun erwiderte ich ihm: »O mein Herr, der Befehl ist der deine, o König der Zeit.« Da ließ der König zur selbigen Zeit und Stunde den Kadi und die Zeugen holen und vermählte mich unverzüglich mit einer vornehmen, edelgeborenen Dame, reich an Geld und Gut und von stolzem Stamm, von wunderbarer Schönheit und Anmut, und Herrin von Häusern, Grundstücken und Gütern.

Fünfhundertunddreiundfünfzigste Nacht

Nachdem mich der König mit jener vornehmen Frau vermählt hatte, gab er mir ein hübsches und großes, alleinstehendes Haus, Eunuchen und Dienerschaft und setzte mir Gehalt und Einkünfte fest. So lebte ich in höchster Gemächlichkeit, Zufriedenheit und Heiterkeit, vergaß all der Mühsal, Plage und Drangsal, die ich erlitten hatte und sprach bei mir: »Wenn ich in mein Land heimreise, nehme ich sie mit mir mit.« Doch alles, was über den Menschen verhängt ist, muß geschehen, und niemand weiß, wie es ihm ergehen wird. Beide liebten wir uns gleich innig, und in Eintracht führten wir lange Zeit das angenehmste und bequemste Leben, bis Gott, der Erhabene, meines Nachbarn Weib zu sich nahm. Da er mein Freund war, besuchte ich ihn, um ihm zu den Verlust seiner Frau zu kondolieren, und traf ihn in übelster Verfassung an, tiefbetrübt und niedergeschlagenen Herzens und Gemütes. Ich tröstete ihn und suchte ihn aufzurichten, indem ich zu ihm sprach: »Gräme dich nicht um deine Gattin, Gott wird dich mit einer bessern entschädigen, und lange soll dein Leben währen, so Gott will.« Da aber weinte er bitterlich und sagte zu mir: »O mein Freund, wie soll ich eine andere heiraten, und wie kann mir Gott ein besseres Weib zum Ersatz geben, wo ich nur noch einen Tag zu leben habe?« Ich versetzte: »O mein Bruder, nimm doch wieder Verstand an und verkünde dir nicht selber den Tod; siehe, du bist gesund und wohl und munter.« Er erwiderte jedoch: »Mein Freund, bei deinem Leben, morgen wirst du mich verlieren und wirst mich dein Leben lang nicht wieder schauen!« Nun fragte ich ihn: »Wie sollte das zugehen?« Und er erwiderte mir: »Heute werden sie meine Gattin begraben und mich zugleich mit ihr in demselben Grab; es herrscht nämlich in unserm Lande die Sitte, daß, wenn die Frau stirbt, der Mann mit ihr lebendig begraben wird, und umgekehrt das Weib lebendig mit dem Mann, damit keiner von beiden nach dem Tode seines Gatten das Leben noch weiter genießt.« Da rief ich: »Bei Gott, das ist eine ganz schändliche, unerträgliche Sitte!« Während wir noch miteinander redeten, kam mit einem Male der größte Teil des Stadtvolkes an und tröstete meinen Freund über den Verlust seiner Gattin und sein eigenes Geschick; alsdann machten sie sich daran, den Leichnam seiner Frau nach ihrer Sitte herzurichten, worauf sie denselben auf eine Bahre luden und mit ihr und dem Mann vor die Stadt hinaus zogen, bis sie zu einem Ort an der Seite eines zum Meer abfallenden Gebirges gelangten. Hier hoben sie einen großen Felsblock auf, unter dem ein steinerner Rand wie der eines Brunnens sichtbar wurde, der die Öffnung einer großen unter den Berg hinabreichenden Höhle umschloß. Nachdem sie die Frau in die Höhle hinuntergeworfen hatten, holten sie den Mann und ließen ihn an einem Seil aus Palmenfasern, das sie ihm um die Brust gebunden hatten, ebenfalls hinab, nebst einem großen Krug süßen Wassers und sieben Broten als Zehrung. Sobald sie ihn niedergelassen hatten, band er sich von dem Seil los, worauf sie das Seil herauszogen, die Cisternenöffnung wieder wie zuvor mit dem großen Stein zudeckten und ihres Weges gingen, meinen Freund bei dem Leichnam seiner Frau in der Höhle zurücklassend. Da sprach ich bei mir: »Bei Gott, diese Todesart ist schlimmer als die erstere.« Hierauf begab ich mich zum König und fragte ihn: »Mein Herr, warum begrabt ihr in eurem Lande die Toten mit den Lebendigen?« Er versetzte: »Wisse, das ist unsere von den Vorvätern ererbte Sitte, das Weib mit dem verstorbenen Mann und den Mann mit seinem verstorbenen Weib lebendig zu begraben, auf daß beide weder im Leben noch im Tode voneinander getrennt sind.« Da fragte ich ihn: »O König der Zeit, wird es auch also mit einem fremden Mann, wie ich es bin, geschehen, wenn seine Frau bei euch stirbt?« Er erwiderte: »Jawohl; wir begraben ihn mit ihr und verfahren mit ihm, wie du es gesehen hast.« Als ich diese Worte von ihm vernahm, platzte mir fast die Gallenblase aus Gram und Kummer über mich selber, mein Verstand verstörte sich, und ich lebte fortwährend in der Furcht, daß mein Weib vor mir sterben könnte und ich mit ihr lebendig begraben werden würde. Nach einiger Zeit tröstete ich mich jedoch wieder und sprach bei mir: »Vielleicht sterbe ich vor ihr, denn niemand weiß, wer früher oder später an die Reihe kommt.« Daneben suchte ich mich durch mehrfache Beschäftigungen zu zerstreuen, doch ehe noch eine längere Frist verstrichen war, erkrankte meine Frau, und nach Verlauf von wenig Tagen war sie tot. Da kamen der König und der größte Teil des Volks zu mir, mir und ihren Angehörigen zu ihrem Verlust zu kondolieren, wie es ihr Brauch war; dann holten sie eine Leichenwäscherin, schmückten den Leichnam, nachdem sie ihn gewaschen hatten, mit ihren prächtigsten Kleidern und reichsten Schmucksachen, Halsbändern und Juwelen und legten ihn auf die Bahre, worauf sie mit ihr nach jenem Berge zogen, den Stein von der Öffnung der Höhle hoben und sie hinunterstürzten. Alsdann umringten mich alle meine Freunde, und die Angehörigen meiner Frau traten an mich heran und nahmen von mir Abschied, während ich schrie: »Ich bin ein Fremdling und füge mich nicht eurer Sitte.« Sie aber packten mich, ohne auf meine Worte zu hören oder sich an sie zu kehren, banden mich mit Gewalt und ließen mich nach ihrem Brauch zugleich mit sieben Brotlaiben und einem Krug süßen Wassers in die Cisterne hinunter, die sich als eine große unter jenem Berg gelegene Höhle erwies. Als ich unten angelangt war, sagten sie zu mir: »Binde dich vom Seil los;« ich weigerte mich jedoch dies zu thun, und nun warfen sie das Seil auf mich herunter und verschlossen die Öffnung der Cisterne mit dem großen Stein, der auf ihr gelegen hatte, worauf sie ihres Weges gingen.

Fünfhundertundvierundfünfzigste Nacht

Wie ich nun unten in der Höhle steckte und dort viele Tote liegen sah, die einen abscheulichen Gestank verbreiteten, schalt ich mich über mein Unterfangen und sprach: »Bei Gott, ich verdiene alles, was mir noch widerfahren wird!« Ich vermochte die Nacht nicht vom Tage zu unterscheiden und verzehrte nur wenig, indem ich nur dann aß und trank, wenn mich Hunger und Durst übermäßig quälten, da ich fürchtete, Brot und Wasser könnten mir ausgehen. Dabei rief ich: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen! Was verführte mich auch nur dazu, daß ich mich in dieser Stadt verheiratete! So oft ich aus einem Unglück entkommen zu sein glaube, gerate ich in ein noch schlimmeres. Bei Gott, solch ein Tod, wie ich ihn hier sterben muß, ist ein unseliger Tod! Ach, daß ich doch im Meer ertrunken oder in den Bergen umgekommen wäre! Das wäre besser für mich gewesen als dieses gemeine Ende.« In dieser Weise schalt ich mich fortwährend und flehte bald Gott, den Erhabenen, um Hilfe an, bald wünschte ich mir den Tod, ohne ihn in meiner Verzweiflung zu finden, bald lag ich auf dem Totengebein und schlief, bis Hunger und Durst mein Herz verbrannten und mich in Flammen setzten. Dann saß ich da, tastete nach dem Brot, aß einen Brocken und schluckte nach ihm ein wenig Wasser hinunter, worauf ich mich erhob und die Höhle durchwanderte, welche sich sehr weit erstreckte und leere Ausbauchungen hatte, doch lagen auf ihrem Boden viele Leichen und viele verfaulte Knochen aus alten Zeiten her. Ich machte mir nun an der Seite der Höhle fern von den frischen Leichen einen Platz zurecht und schlief daselbst, wenn ich müde wurde, doch gingen meine Lebensmittel bereits auf die Neige, und war mir nur noch sehr wenig übrig geblieben, wiewohl ich täglich oder alle zwei Tage nur einmal aß und trank, aus Furcht, mein Brot und Wasser könnten ausgehen, bevor ich gestorben wäre. Wie ich nun eines Tages brütend dasaß, was ich wohl beginnen sollte, wenn mein Wasser und Brot ausgegangen wäre, wurde mit einem Male der Stein von seinem Platze genommen, und das Licht fiel zu mir herein. Da sprach ich: »Was mag es nur geben?« Und siehe, da standen die Leute an der Öffnung der Grube und ließen einen toten Mann herunter zugleich mit einer lebenden Frau, welche weinte und über sich jammerte und schrie, und viel Wasser und Brot. Ich sah die Frau, ohne daß sie meiner gewahr wurde; und, wie nun die Leute die Öffnung wieder mit dem Stein geschlossen hatten und fortgegangen waren, erhob ich mich, packte den Schenkelknochen eines Toten und schlug ihr damit mitten auf den Schädel, daß sie ohnmächtig zu Boden stürzte; dann versetzte ich ihr noch einen und einen dritten Hieb, bis sie tot war, und nahm ihr Wasser und Brot, wobei ich viele Schmucksachen und Gewänder, Halsbänder, Juwelen und Edelsteine an ihr bemerkte. Hierauf schaffte ich die Brote und das Wasser an den Platz, den ich mir an der Seite der Höhle zum Schlafen zurechtgemacht hatte, und verzehrte, dort sitzend, nur immer gerade so viel als nötig war mich am Leben zu erhalten, damit die Lebensmittel nicht zu schnell zu Ende gingen, und ich vor Hunger und Durst sterben müßte. In dieser Weise lebte ich geraume Zeit in der Höhle, indem ich jeden, den sie mit einer Leiche lebendig begruben, totschlug, worauf ich sein Wasser und Brot nahm, bis ich eines Tages, als ich schlief, durch ein Scharren und Kratzen in einem Winkel der Höhle geweckt wurde und bei mir sprach: »Was mag das nur sein?« Dann erhob ich mich und schritt, mit einem Schenkelknochen in der Hand, drauf los; und siehe, da war's ein wildes Tier, das vor mir ins Innere der Höhle fortlief, sobald es mich bemerkte. Ich folgte ihm und gewahrte nach einiger Zeit ein fernes kleines Licht, ähnlich einem Stern, bald aufblitzend und bald wieder erlöschend. Als ich es erblickte, ging ich darauf los, und, je näher ich ihm kam, desto größer und heller wurde es, woraus ich mit Gewißheit entnahm, daß es ein Spalt in der Höhle war, welcher ins Freie führte, und bei mir sprach: »Sicherlich hat diese Sache einen Grund, sei es, daß es eine zweite Öffnung ist, ähnlich der, durch welche sie mich hier hinunterließen, oder daß der Fels einen Spalt hat.« Nach längerer Überlegung ging ich auf das Licht zu, und siehe, da war es ein Loch auf der andern Seite des Berges, welches die wilden Tiere ausgehöhlt hatten, um in der Höhle aus- und eingehen und sich an den Leichen satt fressen zu können. Als ich dies gewahrte, kehrten Ruhe, Frieden und Stille in mein Herz, meine Seele und mein Gemüt ein, und ich ward nun wieder meines Lebens gewiß, nachdem ich bereits den Tod erlitten hatte. Wie im Traume mühte ich mich so lange ab, bis ich aus dem Loch herausgekrochen war, worauf ich mich auf dem Abhang eines zur See abfallenden hohen Berges befand, welcher zwischen dem Meer und der Stadt lag, daß niemand von der Insel an dasselbe gelangen konnte. Da lobte ich Gott, den Erhabenen, und dankte ihm in mächtiger Freude; dann aber stärkte ich mein Herz, kehrte ich noch einmal durch das Loch in die Höhle zurück, schaffte alles Brot und Wasser, welches ich dort aufbewahrt hatte, heraus, zog mir über meine Sachen einige von den Kleidungsstücken der Toten an und nahm eine große Menge von all den Halsbändern und -Schnüren, den Juwelen und Perlen, den goldenen und silbernen mit mannigfachen Steinen besetzten Schmucksachen und andere Kostbarkeiten, nachdem ich alles in die Kleidungsstücke der Toten gebunden hatte, mit mir aus der Höhle auf die Rückseite des Berges an den Meeresstrand. Tag für Tag kroch ich jedoch wieder in die Höhle hinunter und erschlug jeden, den sie dort lebendig begruben, sei es Mann oder Weib, worauf ich mit seinem Brot und Wasser wieder herauskam und am Strande wartete, bis Gott, der Erhabene, mir Trost gewähren und ein Schiff vorüberziehen lassen würde. Nachdem ich so in einem längeren Zeitraum aus der Höhle allen Schmuck, den ich dort gesehen hatte, herausgeschafft und in die Sachen der Toten gebunden hatte, –

Fünfhundertundfünfundfünfzigste Nacht

sah ich, als ich eines Tages, in Gedanken versunken über meine Lage, am Meeresstrande saß, mit einem Male mitten im wogenden, wellenbrandenden Meer ein Schiff vorüberziehen. Da nahm ich eins der weißen Totenlaken, band es an einen Stock und lief, ihnen mit dem Laken zuwinkend, den Strand entlang, bis ihr Blick auf mich fiel, und sie mich oben auf dem Berge gewahrten. Wie sie nun näher kamen und mein Rufen hörten, schickten sie ein Boot mit einer Anzahl Matrosen nach mir aus, die mich, als sie nahe herangekommen waren, fragten: »Wer bist du? Warum sitzest du hier und wie kamst du auf diesen Berg, auf dem wir, so lange wir leben, noch keinen sahen?« Ich erwiderte ihnen: »Ich bin ein Kaufmann; das Schiff, auf dem ich mich befand, ging unter, doch rettete ich mich mit meinen Sachen auf eine der Schiffsplanken, und Gott ließ mich gnädiglich nach großer Mühsal durch meine Anstrengung und Geschicklichkeit mit meinem Hab und Gut hierher gelangen.« Hierauf nahmen sie mich zu sich ins Boot nebst allem, was ich aus der Höhle geschafft und in die Gewänder und Laken der Toten gebunden hatte, und ruderten mich zu ihrem Schiff zurück, dessen Kapitän mich fragte: »Mann, wie gelangtest du dort auf jenen hohen Berg, hinter dem eine große Stadt liegt? So lange ich lebe, befahre ich dieses Meer und segele an diesem Berge vorüber, doch sah ich niemals irgend ein lebendes Wesen außer wilden Tieren und Vögeln.« Ich versetzte: »Ich bin ein Kaufmann und reiste auf einem großen Schiff, doch zerbrach dasselbe, und alle meine Sachen versanken mit Ausnahme dieses Linnenzeugs und dieser Kleider, die du hier siehst. Ich packte dieselben auf eine große Schiffsplanke, und Gottes Allmacht und das Schicksal standen mir bei, so daß ich hierher getrieben wurde und diesen Berg erstieg, von wo ich nach einem vorübersegelnden Schiff ausschaute, daß es mich aufnähme.« So verschwieg ich ihnen meine Erlebnisse in der Stadt und in der Höhle, aus Furcht, es könnte sich jemand aus der Stadt bei ihnen auf dem Schiffe befinden. Dem Schiffsherrn aber bot ich eine Menge von meinem Gut an und sprach zu ihm: »Mein Herr, dir hab ich meine Rettung von diesem Berge zu verdanken, nimm dies daher als Entgelt für deine mir bewiesene Güte von mir an.« Er wollte jedoch nichts von mir annehmen, sondern sagte zu mir: »Wir nehmen von niemand etwas an, und wenn wir einen Schiffbrüchigen am Meeresgestade oder auf einer Insel sehen, so nehmen wir ihn zu uns auf, geben ihm Speise und Trank, kleiden ihn, wenn er nackend ist, und geben ihm auch noch ein Geschenk, wenn wir einen sicheren Hafen erreichen; solche Güte und Freundlichkeit erweisen wir ihm um Gottes Willen.« Ich erflehte ihm hierfür langes Leben von Gott und freute mich, voll Hoffnung auf meine Heimkehr, über meine Rettung; so oft ich aber an meinen Aufenthalt in der Höhle bei meinem toten Weibe dachte, schwand mir der Verstand. Wir segelten nun weiter von Insel zu Insel und von Meer zu Meer, bis wir durch Gottes, des Erhabenen, Allmacht sicher und wohlbehalten in Basra anlangten, von wo ich nach einem Aufenthalt von wenig Tagen nach Bagdad zog. In meinem Viertel angelangt, suchte ich meine Wohnung auf, erkundigte mich nach meinen Freunden und Angehörigen und empfing alle bei mir, die sich über meine Rettung freuten und mich dazu beglückwünschten. Dann speicherte ich alle meine Güter in meinen Warenhäusern auf, verteilte Almosen und milde Gaben, kleidete die Waisen und Witwen und hob ein Leben in eitel Freude und Fröhlichkeit an, indem ich wieder wie zuvor mit Brüdern, Freunden und Gefährten schmauste, zechte und allerlei Kurzweil trieb. Das sind die wunderbarsten Abenteuer, die ich auf meiner vierten Reise erlebte; du aber, mein Bruder, iß bei mir zur Nacht, nimm das übliche Geschenk in Empfang und komm morgen wieder zu mir, damit ich dir die Abenteuer meiner fünften Reise erzähle, die noch wunderbarer und außerordentlicher sind als die früheren.«

Hierauf befahl Sindbad dem Lastträger wieder hundert Goldmithkâl zu überreichen und bestellte das Essen, worauf alle zur Nacht speisten und dann, höchlichst verwundert über das Gehörte, da eine Geschichte immer abenteuerlicher als die andere war, ihres Weges gingen. Auch Sindbad der Lastträger ging heim und verbrachte die Nacht in höchster Freude, Fröhlichkeit und Verwunderung in seiner Wohnung. Am andern Morgen aber in der Frühe, als es licht ward und tagte, erhob er sich und begab sich, nachdem er das Frühgebet verrichtet hatte, nach der Wohnung Sindbads des Seemanns. Beim Betreten derselben wünschte er ihm guten Morgen, worauf Sindbad der Seemann ihn willkommen hieß und ihn einlud an seiner Seite Platz zu nehmen, bis seine anderen Freunde gekommen wären. Hierauf aßen und tranken sie, und als sie nun vergnügt und fröhlich dasaßen, während die Unterhaltung hin und her ging, nahm Sindbad der Seemann das Wort und erzählte:

 


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