Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band X
Unbekannte Autoren

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sindbads sechste Reise

»Wisset, meine Brüder, meine Lieben und Freunde, als ich nun nach meiner Heimkehr von der fünften Reise bei allerlei Kurzweil und Vergnügungen in heller Lust und Freude alles, was ich auszustehen gehabt hatte, wieder vergessen hatte, da begab es sich nach längerer Zeit, als ich vergnügt und fröhlich und in heiterster Stimmung dasaß, daß mich eine Anzahl Kaufleute besuchten, denen man es ansah, daß sie von einer Reise kamen. Bei ihrem Anblick gedachte ich der Tage meiner Heimkehr von der Reise und meiner Freude beim Wiedersehen meiner Angehörigen, meiner Freunde und Lieben und beim Betreten meines Heimatlandes, und Sehnsucht ergriff mich wieder zu reisen und Handel zu treiben. Und so entschloß ich mich denn wieder zur Fahrt, kaufte wertvolle und feine Waren ein, wie sie für eine Seereise erforderlich sind, lud meine Lasten auf und zog von Bagdad nach Basra, wo ich ein großes Schiff antraf, auf dem sich Kaufleute und Patricier mit kostbaren Handelsgütern befanden. Infolgedessen ließ ich meine Waren zu ihnen aufs Schiff bringen, und bald darauf fuhren wir wohlbehalten von Basra ab. –

Fünfhundertundsechzigste Nacht

Ununterbrochen segelten wir von Ort zu Ort und von Stadt zu Stadt, überall kaufend, verkaufend und uns das Land der Menschen besehend; und Glück und Fahrt waren uns günstig, so daß wir großen Profit machten, bis eines Tages mitten auf der Fahrt der Kapitän laut schrie, seinen Turban vom Kopf zu Boden warf, sich vors Gesicht schlug und, sich den Bart ausraufend, vor Kummer und Aufregung in den Schiffsbauch fiel. Als sich nun alle Kaufleute und Passagiere um ihn drängten und ihn fragten: »Kapitän, was ist los?« Da erwiderte ihnen der Kapitän: »Wisset, ihr Leute, wir sind vom Kurs abgekommen und sind in ein fremdes Meer geraten, dessen Wege ich nicht kenne; und, so uns nicht Gott noch Mittel gewährt, aus diesem Meer zu entkommen, so sind wir allzumal verloren. Betet daher zu Gott, dem Erhabenen, daß er uns aus dieser Not errettet.« Hierauf erhob sich der Kapitän und kletterte auf den Mast, um die Segel loszumachen, aber der Sturm packte das Schiff mit doppelter Gewalt und warf es rückwärts, so daß sein Steuer nahe bei einem hohen Berg brach. Da stieg der Kapitän wieder vom Mast herunter und rief: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen! Keiner kann sein Verhängnis abwenden; wir sind an einen Ort geraten, wo uns sicheres Verderben droht, ohne daß uns irgend ein Weg zur Rettung und zum Entkommen übrig geblieben ist.« Während nun alle Passagiere über ihr Schicksal weinten und voneinander Abschied nahmen, dieweil ihr Leben abgelaufen und jegliche Hoffnung abgeschnitten war, neigte sich das Schiff gegen jenen Berg und zerbrach, so daß die Planken auseinandergingen und die Kaufleute und alles, was sich sonst auf dem Schiffe befand, ins Meer sanken. Ein Teil von ihnen ertrank; ich aber und eine Anzahl der anderen, wir klammerten uns an den Berg und kletterten auf ihn hinauf, von dessen Gipfel wir gewahrten, daß wir uns auf einer großen Insel befanden, neben welcher viele Schiffswracke lagen, und deren Strand so dicht von den Habseligkeiten und Gütern zerbrochener Schiffe, deren Passagiere ertrunken waren, bedeckt war, daß sich der Verstand und die Gedanken davon verwirrten. Ich stieg nun ins Innere der Insel und durchwanderte sie, bis ich zu einer Quelle süßen Wassers gelangte, welche vorn am Fuße jenes Gebirges entsprang und unter dem Höhenzug auf der andern Seite wieder verschwand; die andern Passagiere aber drangen über die Berge weiter ins Innere der Insel vor und zerstreuten sich in ihr, verwirrt von allem, was sie zu sehen bekamen, und sich wie Verrückte beim Anblick aller der Güter und Schätze, die am Meeresstrand verstreut lagen, gebärdend. In dem Quell nun gewahrte ich viele Hyazinthen, große Königsperlen, Edelsteine und Juwelen allerlei Art, die wie Kies in den Wasserläufen jener Fluren dalagen, so daß der Boden jenes Quells von allem Edelgestein, das in ihm lag, blitzte und blinkte. Ferner gewahrten wir auf der Insel eine Menge wertvollster chinesischer und komoriner Aloe, und einen Quell von rohem Ambra, welches infolge der großen Sonnenglut wie geschmolzenes Wachs über den Rand des Quells hinab zum Meeresstrand läuft, wo es die Seeungeheuer verschlucken. Sind dieselben aber wieder ins Meer untergetaucht, so müssen sie das Ambra, da es in ihren Leibern brennt, wieder ausbrechen, worauf es auf der Meeresoberfläche erstarrt und infolgedessen seine Farbe und Beschaffenheit ändert, bis es schließlich die Wellen wieder an den Strand werfen, und nun die Reisenden und Kaufleute, die es kennen, sammeln und in den Handel bringen. Das rohe Ambra aber, welches nicht verschlungen wird, fließt über den Quell und erstarrt an seinem Rand, bis es in der Sonnenglut zerschmilzt und das ganze Wadi mit moschusartigem Duft erfüllt, worauf es, wenn die Sonne von ihm gewichen ist, wieder hart wird; und niemand vermag zu dem Orte, an welchem sich dieses rohe Ambra befindet, gelangen, da das Gebirge die Insel von allen Seiten einschließt, und keiner das Gebirge zu erklimmen imstande ist.

So durchwanderten wir die Insel und staunten, verwirrt von allem, was wir zu sehen bekamen, die Dinge an, die Gott, der Erhabene, hier erschaffen hatte; doch bedrückte uns unsere Lage schwer, und wir lebten in banger Furcht. Wir hatten am Gestade ein wenig Lebensmittel aufgelesen und gingen sehr haushälterisch mit ihnen um, indem wir nur täglich oder alle zwei Tage einmal aßen, da wir besorgten, die Nahrung könne uns ausgehen, und wir müßten dann elendiglich vor Hunger und Angst umkommen. Jeden, der von uns starb, wuschen wir, worauf wir ihn in einige der Kleider und Linnenstücke, welche das Meer an den Strand der Insel warf, einwickelten, bis schließlich eine große Anzahl von uns gestorben und nur noch ein kleines Häuflein übriggeblieben war. Und nur kurze Zeit, da waren alle meine Freunde und Gefährten einer nach dem andern gestorben, – wir litten aber an Leibweh, das von der See herrührte, – und einen nach dem andern hatten wir begraben, bis ich allein mit geringen Lebensmitteln nach all der Menge zuvor übriggeblieben war. Da weinte ich über mich und rief: »Ach, wäre ich doch vor meinen Gefährten gestorben, daß sie mich wenigstens gewaschen, in das Totenlaken gewickelt und begraben hätten! Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen!«

Fünfhundertundeinundsechzigste Nacht

Nachdem ich so eine kurze Weile dort verbracht hatte, erhob ich mich und grub mir ein tiefes Grab am Strand der Insel, indem ich bei mir sprach: »Wenn ich krank werde und den Tod mir nahen fühle, dann will ich mich ins Grab legen und dort sterben; und der Wind wird den Sand über mich wehen und mich bedecken, so daß ich darin begraben werde.« Dann schalt ich mich wieder über meine Dummheit, daß ich mein Land und meine Stadt verlassen hatte und nach all dem Elend, das ich auf meinen fünf ersten Reisen erduldet hatte, trotzdem wieder in die Fremde gezogen war, zumal wo ich auf jeder Reise immer größere Schrecknisse und härtere Drangsale als zuvor durchgemacht hatte; und, ohne noch an mein Entkommen und meine Rettung zu glauben, bereute ich es bitterlich wieder, aufs Meer hinausgefahren zu sein, zumal wo ich des Geldes nicht bedurfte, da ich genug und übergenug besaß und nicht einmal die Hälfte davon in meinem ganzen Leben hätte ausgeben können. Hierauf dachte ich wieder nach und sprach bei mir: »Bei Gott, dieser Fluß muß doch ebenso ein Ende haben, wie er einen Anfang hat; er muß unbedingt irgendwo in einem bewohnten Lande wieder ans Tageslicht treten, so daß es das Richtige ist, daß ich mir ein kleines Fahrzeug mache, gerade groß genug, um darin sitzen zu können; dann will ich es in den Fluß setzen und von der Strömung forttragen lassen; rette ich mich, so rette ich mich mit Gottes, des Erhabenen, Erlaubnis, und komme ich um und ertrinke im Fluß, so ist das immer noch besser als an dieser Stätte mein Leben zu lassen.« Mit solchem Entschluß erhob ich mich, über mich seufzend, schaffte fleißig Hölzer von der chinesischen und komoriner Aloe herbei und band sie am Strande mit Seilen von den Schiffswracken zusammen, worauf ich Planken von gleicher Länge holte, sie zwischen die Aloehölzer fügte und alles fest und gut zusammenband. Nachdem ich in dieser Weise das Floß fertiggestellt und ein wenig schmaler als den Fluß gemacht hatte, belud ich es mit einem Teil der Edelerze und Juwelen, der großen Perlen, die wie Kiesel dalagen, und der sonstigen Schätze, die sich auf jener Insel befanden, nebst einer Quantität von jenem feinen rohen und reinen Ambra. Dann packte ich noch alles, was ich sonst auf der Insel zusammengelesen hatte, und den Rest der Lebensmittel darauf, und ließ es in den Fluß, worauf ich, nachdem ich an beiden Seiten ein Stück Holz als Ruder angebracht hatte, nach den Worten eines Dichters that, die da lauten:

Verlaß die Stätte, an welcher dir Übel droht,
Und laß das Haus des Erbauers Tod verkünden.
Für das alte findest du leicht ein neues Land,
Doch ein Leben für deines findest du nicht.
Sorge dich nicht um der Nächte lauerndes Unheil,
Alles Leid nimmt einmal ein Ende hier.
Wem das Schicksal ein Land zum Sterben bestimmte,
Der stirbt auch in keinem andern Lande als dort.
Und betrau keinen Boten mit wichtigem Auftrag,
Denn die Seele hat zum Vertrauten nur sich.

Die Strömung trug mein Floß mit sich fort, während ich meinen Gedanken über den Ausgang dieses Unternehmens nachhing, und ich fuhr dahin, bis ich zu der Stelle kam, an welcher der Fluß unter dem Berge verschwand. Ich ruderte das Floß dort hinein, und bald umgab mich tiefe Finsternis unter dem Berg, während das Floß von der Strömung immer weiter getragen wurde, bis ich zu einer engen Kluft gelangte, in welcher das Floß mit beiden Seiten an die Flußufer und ich mich mit dem Kopf an die Decke über mir stieß, ohne daß ich wieder umkehren konnte. Da schalt ich mich, daß ich mein Leben durch dieses Wagnis aufs Spiel gesetzt hätte, und sprach: »Wenn diese Schlucht noch enger wird, so bleib ich mit dem Floß drin stecken, ohne wieder umkehren zu können, und muß hier unvermeidlich auf die elendeste Weise umkommen.« Dann warf ich mich wegen der Enge der Schlucht auf mein Gesicht und wurde in dieser Lage auf dem Fluß, der bald breit, bald wieder enge wurde, immer weiter getrieben, ohne daß ich in der Finsternis, welche mich hier unter dem Berge umgab, und bei meiner Todesangst die Nacht von dem Tage unterscheiden konnte. Schließlich machten mich die Finsternis und meine Aufregung so matt, daß ich von Müdigkeit befallen wurde und auf dem Floß, so wie ich auf meinem Gesicht dalag, einschlief. Als ich wieder erwachte, ohne zu wissen, ob ich lange oder kurze Zeit geschlafen hatte, fand ich, daß es Tag um mich her war, und, meine Augen öffnend, schaute ich über eine weite Gegend und sah, daß mein Floß an einer Insel festgebunden war, während eine Anzahl Indier und Abyssinier mich rings umgaben. Als dieselben sahen, daß ich wach geworden war, kamen sie zu mir heran und redeten mich in ihrer Sprache an, ohne daß ich verstand, was sie sagten, und alles für einen Traum haltend, den ich infolge meiner Angst und Aufregung zu träumen wähnte. Wie sie nun sahen, daß ich sie nicht verstand und ihnen keine Antwort gab, trat einer von ihnen an mich heran und sprach auf Arabisch zu mir: »Frieden sei auf dir, mein Bruder! Wer bist du, von wannen kommst du und weshalb bist du hierher gekommen? Wir sind Ackersleute und Feldbebauer und waren hierher gekommen, um unsere Felder und Saaten zu bewässern, als wir dich hier auf dem Floß schlafend fanden; da hielten wir es an und banden es bei uns fest, daß du gemächlich aufwachen könntest. Nun sag' uns, weshalb du hierher gekommen bist.« Da sprach ich zu ihm: »Um Gott, mein Herr, bring mir etwas zu essen, denn ich habe Hunger; hernach frag mich, was du willst.« Er holte mir nun schnell etwas zu essen, und ich aß, bis ich mich gesättigt hatte und, beruhigt und frei von aller Furcht, neues Leben in mir verspürte. Nachdem ich dann Gott, den Erhabenen, für all seine Huld gelobt und gepriesen hatte, erzählte ich ihnen, erfreut aus dem unterirdischen Fluß zu ihnen gelangt zu sein, alle meine Abenteuer von Anfang bis zu Ende und besonders meine Fahrt auf dem schmalen Fluß.

Fünfhundertundzweiundsechzigste Nacht

Hierauf pflogen sie miteinander Rat und sagten: »Wir müssen ihn mit uns nehmen und unserm König vorstellen, damit er ihm sein Abenteuer erzählt.« Alsdann nahmen sie mich und das Floß samt allem Geld und Gut und den Juwelen, Edelerzen und Schmucksachen mit sich und führten mich vor ihren König, dem sie das Geschehene mitteilten. Der König begrüßte mich, hieß mich willkommen und fragte mich, wer ich wäre, was ich triebe und was mir zugestoßen sei; und ich erzählte ihm meine Geschichte und alle meine Abenteuer von Anfang bis zu Ende, worauf er mich in höchster Verwunderung zu meiner Errettung beglückwünschte. Dann erhob ich mich und holte eine große Menge Edelerze, Juwelen, Aloe und rohes Ambra vom Floß als Geschenk für den König, der es von mir annahm und mich mit hohen Ehren auszeichnete. Ich mußte bei ihm im Palast wohnen und verließ ihn nie, die Vornehmen und Großen der Insel verkehrten mit mir und bewiesen mir hohen Respekt, und die Fremden, die jene Insel besuchten, erkundigten sich bei mir nach den Verhältnissen in meiner Heimat, worauf ich ihnen über alles Auskunft gab und dann meinerseits mich nach den Verhältnissen in ihrem Lande erkundigte, und sie mir alles berichteten. Eines Tages nun traf es sich, daß sich der König ebenfalls bei mir nach den Verhältnissen in meiner Heimat und nach der Regierung des Chalifen im Lande der Stadt Bagdad erkundigte, worauf ich ihm seine gerechte Regierung schilderte. Verwundert hierüber, sagte er zu mir: »Bei Gott, des Chalifen Regierung ist klug und löblich und nach dem, was du mir erzählt hast, muß ich ihn lieben; ich will ihm daher ein Geschenk zurüsten und es durch dich an ihn senden.« Ich antwortete: »Ich höre und gehorche, o mein Gebieter, ich will es ihm überbringen und ihm mitteilen, daß du ihn aufrichtig liebst.« So lebte ich bei dem König geraume Zeit in höchsten Ehren und in größtem Ansehen und führte das schönste Leben, als ich eines Tages, als ich im Palast saß, hörte, daß eine Anzahl Kaufleute aus jener Stadt ein Schiff zur Fahrt nach Basra ausrüsteten. Da sprach ich bei mir: »Ich kann nichts besseres thun als mit diesen Leuten mitreisen;« und mich sofort eilig aufmachend, küßte ich des Königs Hand und teilte ihm mit, daß es mein Wunsch wäre, mit jenem Schiff abzureisen, da ich mich nach meinen Angehörigen und meiner Heimat sehnte. Der König antwortete mir: »Du hast zu beschließen; willst du jedoch bei uns bleiben, so sei es, auf Kopf und Auge! denn du bist uns ein lieber Freund geworden.« Da versetzte ich: »Bei Gott, mein Herr, du überhäufst mich mit deiner Huld und Güte, jedoch sehne ich mich nach meinen Angehörigen und meiner Heimat und Familie.« Als er meine Worte vernommen hatte, ließ er die Kaufleute, die das Schiff ausgerüstet hatten, vor sich entbieten und empfahl mich ihnen, worauf er mir reiche Geschenke aus seinem Schatz machte und für mich die Reise bezahlte. Nachdem er mir dann noch ein prächtiges Geschenk für den Chalifen Hārûn er-Raschîd in Bagdad mitgegeben hatte, verabschiedete ich mich von ihm und allen meinen Bekannten, mit denen ich verkehrt hatte, und stieg mit den Kaufleuten an Bord. Gleich darauf segelten wir ab im Vertrauen auf Gott – Preis Ihm, dem Erhabenen! – und Wind und Fahrt waren uns günstig, so daß wir, von Insel zu Insel und von Meer zu Meer ziehend, schließlich mit Gottes, des Erhabenen, Erlaubnis wohlbehalten in Basra anlangten, wo ich das Schiff verließ und mich einige Tage und Nächte aufhielt, bis ich mich zurecht gemacht und meine Lasten aufgeladen hatte. Alsdann zog ich nach Bagdad, der Stätte des Friedens, suchte den Chalifen Hārûn er-Raschîd auf und überreichte ihm das Geschenk, indem ich ihm zugleich alle meine Erlebnisse berichtete. Hierauf brachte ich mein ganzes Hab und Gut in meinen Magazinen unter und suchte mein Quartier auf. Bald darauf kamen meine Angehörigen und meine Freunde zu mir, und ich verteilte unter meiner ganzen Familie Geschenke, teilte Almosen aus und machte Spenden. Nach einiger Zeit schickte der Chalife zu mir und fragte mich nach der Ursache des Geschenkes, das ich ihm überbracht hatte, und woher es sei. Da antwortete ich ihm: »O Fürst der Gläubigen, bei Gott, ich weiß nicht den Namen der Stadt, von der das Geschenk ist, und kenne auch nicht den Weg zu ihr. Als nämlich mein Schiff untergegangen war und ich mich auf eine Insel gerettet hatte, machte ich mir ein Fahrzeug und ließ mich in ihm auf einen Fluß mitten auf der Insel stromabwärts führen.« Hierauf erzählte ich ihm meine abenteuerliche Fahrt auf dem Fluß, bis ich zu jener Stadt gelangte, und meine Erlebnisse daselbst sowie die Veranlassung der Übersendung des Geschenkes. Der Chalife war über meine Geschichte aufs äußerste verwundert und befahl den Chronisten sie aufzuschreiben und sie als Lehre für alle, die sie lesen, in seine Schatzkammer zu legen. Mit hohen Ehren von ihm ausgezeichnet, lebte ich dann wieder in Bagdad so wie in früherer Zeit und hatte bald in einem Leben voll lauter Lust und Fröhlichkeit alle meine Leiden und Drangsale gänzlich vergessen. Solches, meine Brüder, sind die Abenteuer meiner sechsten Reise, und, so Gott will, der Erhabene, erzähle ich euch morgen die Geschichte meiner siebenten Reise, welche noch wunderbarer und merkwürdiger ist als meine früheren Reisen.«

Hierauf ließ er die Tische auftragen, und, nachdem seine Gäste das Abendessen bei ihm eingenommen hatten, befahl er, Sindbad dem Lastträger wieder hundert Goldmithkâl einzuhändigen. Alsdann gingen die Gäste, höchlichst verwundert über die Geschichte, die sie vernommen hatten, heim, und Sindbad der Lastträger trollte sich ebenfalls mit seinem Geschenk.Die Kalkuttaer Ausgabe der ersten zweihundert Nächte ist hier bei weitem ausführlicher. Sie schildert nicht nur die Insel so genau, daß wir in ihr Ceylon erkennen, sondern giebt auch ihren Namen Sarandîb an. Der Passus lautet: »Nun liegt aber die Insel Sarandîb unter dem Äquator, so daß Tag und Nacht auf ihr beide zwölf Stunden zählen. Sie mißt achtzig Parasangen in der Länge bei einer Breite von dreißig und ist in der Breite von einem hohen Berg und einem tiefen Wadi begrenzt. Der Berg ist in einer Entfernung von drei Tagen sichtbar, und viele Rubine und andere Mineralien finden sich dort, sowie Gewürzbäume allerlei Art. Die Oberfläche der Insel ist mit Schmirgel bedeckt, womit Edelsteine geschnitten und geformt werden; Diamanten liegen in den Flüssen und Perlen in den Flußthälern. Ich bestieg jenen Berg und erfreute mich durch den Anblick der unbeschreiblichen Wunder der Insel, worauf ich zum König zurückkehrte.
Ferner schreibt der König von Sarandîb an Hārûn er-Raschîd einen Brief auf Châwipergament (welches feiner als Lammpergament und von gelber Farbe ist), mit Ultramarintinte, folgenden Inhalts: Auf dich komme der Salâm von dem König von Indien, vor welchem tausend Elefanten sind, und auf dessen Palastzinnen tausend Edelsteine schimmern. Des Ferneren – Lob sei Gott und Preis seinem Propheten! Wir senden dir eine winzige Gabe, die du belieben mögest anzunehmen. Du bist uns wie ein Bruder und ein treuer Freund, und groß ist die Liebe, die wir zu dir im Herzen tragen; beehre uns deshalb mit einer Antwort. Die Gabe schickt sich nicht für deine Würde, jedoch bitten wir dich, o unser Bruder, du wollest sie huldvollst annehmen, und Frieden sei auf dir!
Das Geschenk bestand aus einem Becher aus Rubin, eine Spanne hoch und eine Fingerlänge breit, welcher im Innern mit kostbaren Perlen besetzt war; ferner aus einem Bett, bedeckt mit der Haut jener Schlange, die Elefanten verschluckt, deren Haut Flecke von der Größe und Farbe eines Dinars hat und jeden, der auf ihr sitzt, vor Krankheit schützt; ferner hunderttausend Mithkâl indischer Aloe und dreißig Kampferkörner, von denen jedes die Größe einer Pistazienfrucht hatte, und eine Sklavin mit voller Ausstaffierung, ein reizendes Geschöpf gleich dem leuchtenden Mond.
Nachdem Sindbad das Schreiben Hārûn er-Raschîd überreicht und dieser es gelesen hat, fragt er ihn: »Sindbad, ist das wahr, was der König schreibt?« Sindbad antwortet: »O mein Herr, ich sah in seinem Königreiche viel mehr als er geschrieben hat. Bei Staatsprozessionen wird ein Thron für ihn auf einen riesigen Elefanten gestellt, elf Ellen hoch, auf welchem er sitzt, während die Großen seines Reiches, die Beamten und Gäste zu seiner Rechten und Linken in zwei Reihen stehen. Vor ihm steht ein Mann mit einem goldenen Speer und hinter ihm ein anderer mit einer großen Keule aus Gold, deren Knauf von einem Smaragd von einer Spanne Länge und eines Mannesdaumens Dicke gekrönt ist. Und wenn er zu Pferd steigt, steigen tausend Reisige in Seide und Goldbrokat zugleich mit ihm auf; und wenn der König einherzieht, schreitet ihm ein Mann voraus und verkündet: »Dies ist der König, reich an Macht und Herrlichkeit!« Hierauf lobpreist er ihn mit Worten, die ich nicht behalten habe, und schließt seine Lobrede mit den Worten: »Dies ist der König, der eine Krone trägt, wie ihresgleichen weder Salomo noch der Mihrâdsch (= Maharadscha) je besaß.« Dann verstummt er, worauf einer hinter ihm anhebt und ruft: »Er muß sterben, und wieder sag' ich: Sterben muß er!« Und der andere setzt hinzu: »Preis dem Lebendigen, der nimmer stirbt!« Ferner giebt es wegen seiner Gerechtigkeit, seiner trefflichen Regierung und Einsicht keinen Kadi in seiner Stadt, und alle seine Unterthanen unterscheiden wahr und falsch.« Da rief der Chalife: »Wie groß ist dieser König! Sein Brief hat es mir gezeigt, und was seine Macht und Herrlichkeit anlangt, so hast du uns erzählt, was du mit eigenen Augen geschaut hast. Bei Gott, er ist ebenso mit Weisheit wie mit weiter Macht begabt!«

Fünfhundertunddreiundsechzigste Nacht

Am nächsten Morgen machte sich Sindbad der Lastträger nach dem Frühgebet wieder zur Wohnung Sindbads des Seemanns auf, welcher nach der Ankunft all seiner andern Gefährten das Wort ergriff und also zu erzählen anhob:

 


 << zurück weiter >>