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3

»So, du willst also nicht mit ins Dorf zum Johannisfest?« sagte Janne, der sich, schon halb festtäglich gekleidet, vor dem Spiegel in der Schlafkammer die grauen Bartstoppeln rasierte.

Und aus der Stube antwortete Elfridas Stimme:

»Nein, ich hab' keine Zeit. Ich muß noch aufräumen und die Sachen für Valle herrichten, damit alles fertig ist, wenn wir aus der Kirche heimkommen. Bedenk doch, Janne, der Junge wird morgen konfirmiert!«

»Dann muß ich also allein fahren?«

»Ja, und ich weiß schon, wie du aussiehst, wenn du wiederkommst.«

»Das kann wohl sein«, meinte Janne sanftmütig. »Gewiß, Bussar und Glad und ...«

»Und vielleicht der Leuchtturmwächter Stark?«

Jetzt hatte er genug und machte die Tür zu, aber mit sanfter Hand.

Janne war in seiner Ehe nicht befriedigt. Er hatte nicht aus Neigung geheiratet, sondern hauptsächlich aus Pflichtgefühl. Als sein jüngerer Bruder umkam, war es seine Pflicht gewesen, für die Witwe und das Kind zu sorgen, denn die Mutter in Askvik hatte nichts zu geben. Diese Verpflichtung stand ihm ebenso klar vor Augen wie das Bewußtsein, daß er jetzt der einzige Mann auf dem Holm war, und daß das Unglück nicht geschehen wäre, wenn die Leute auf Ankarö als Christen gehandelt hätten. Aber wie die Verhältnisse jetzt lagen, mußte er wohl oder übel Frau und Vaterschaft als Erbschaft seines Bruders übernehmen, weil man eben auf diesen dreizehn Morgen Steinen gelandet war und hier weiterleben mußte. Und da war es am einfachsten, nach dem Trauerjahr vor aller Welt einen regelrechten Ehestand zu stiften. Nach langem Überlegen fuhr Janne an einem Spätherbsttag übers Wasser nach Bysund und löste eine langjährige Verbindung mit einer älteren sogenannten »Amerikaner-Witwe« (deren Mann in Amerika lebte) mit folgenden Worten: »Ich brauch dich nun nicht mehr, ade!« Kurz darauf fuhren er und Elfrida in aller Stille zum Pfarrer – zwei gehorsame Menschen, die sich ins Unabänderliche fügten.

»Der Ehestand ist, wie wenn einer Flöhe mit den Zehen fangen will; wenn's glückt, so glückt's«, pflegte der Bussar zu sagen. Aber Janne hatte niemals angenommen, sein Zusammenleben mit Elfrida könne je etwas anderes bedeuten als zwei Boote nebeneinander in demselben engen Nothafen, und so kam es auch. Kühl war das Ehebett, das sie ihm bereitete; er fühlte, daß er für die zwanzig Jahre jüngere Frau niemals der Mann werden konnte, dem sie richtige Wärme gab, sondern daß er immer der unvermeidliche Nachfolger blieb. Und Kinder konnte sie ihm auch nicht schenken; weiter als zu einem armen Totgeborenen hatte sie es in dieser Hinsicht nicht gebracht. Irgend etwas in ihrem Weibtum war in Unordnung geraten. Es war, als sei mit den vielen Tränen nach dem Unglück alle Lebenskraft aus ihr geflossen. Sie pflegte ihren Kummer, wie man eine heilige Krankheit pflegt, nicht um wieder gesund zu werden, sondern um die Krankheit für immer festzuhalten. Immer noch sah sie ständig verweint aus, obgleich die Tränen längst getrocknet waren; und ins Dorf oder zu andern Menschen fuhr sie selten, nicht einmal auf den Kirchhof. Janne versuchte jederzeit väterlich freundlich gegen sie zu sein, da konnte sie nicht klagen. Streit gab es auch nicht zwischen ihnen, höchstens, wenn er zu tief ins Branntweinglas geguckt hatte, aber das kam nicht allzu häufig vor. Er gedieh nur nicht neben ihrer trübseligen Natur.

So war die Zeit gegangen. Elfrida tat, was bei der Kuh, den Schafen und dem Kartoffelacker zu tun ihre Pflicht war, und in den ersten Jahren hatte sie ihm auch gewissenhaft beim Fischen geholfen. Sonst aber war mit dem früher fröhlichen und gesunden Mädchen nicht mehr viel los. Immer überdrüssiger wurde er ihres ewigen Gewimmers. Was hatte sie zum Beispiel heute früh für einen Grund dazu? Und dann diese lästige Vornehmtuerei, wie wenn sie, ja sie alle drei, feinfühliger und etwas Besseres wären als andere Leute. Weiß Gott, warum! Wie viele reiche Bauern hatten kein eigenes Badhaus! Auf den Tveholm aber mußte eins hin, obgleich da schon eine unbewohnte Kate stand. Er hatte versucht, sich mit seiner österbottnischen Weisheit zu wehren: »Wenn der Körper gesund ist, reinigt er sich von selbst.« Aber das half nichts, er bekam keine Ruhe, bis ein Badhaus gebaut war. Nein, es war einem nicht mehr wohl daheim, aber wenn man von Hause davonlief, war es auch nicht gut.

In Jannes schlichtem Denken hatte sich all dies, was ihn bedrückte, zu einer einzigen unvernünftigen Anklage verdichtet. In seinem Bruder vermißte er nicht nur den Verstorbenen. Wenn dieser Bruder lebte, hätte er selbst niemals eine Kette um den Fuß gehabt, noch sich mit einer Last schleppen müssen, die er sich niemals hatte aufladen wollen. Und wer war schuld an alledem? Geh und frag dort im Norden nach, auf Ankarö!

Jannes Anklage verstummte nicht mit den Jahren; sie wurde zu einem gewaltigen Haß.

Aber etwas Gutes hatte Elfrida ins Haus gebracht. Den Jungen, Valle – ihn hatte Janne vom ersten Augenblick an lieb gehabt. Und gleich nach der Hochzeit hatte er gesagt: »Wenn ich der Vater des Jungen sein soll, will ich es auch ganz sein, von außen und von innen, verstehst du? Niemals darf er etwas andres meinen, als daß ich ...«

Janne bedurfte dieses Ersatzes für einen lustlosen Ehestand. Er hatte Elfrida zu dem Versprechen gezwungen, dem Jungen niemals etwas von dem Unglück zu offenbaren. Als der größer wurde, gab es einen kurzen Kampf zwischen den Eltern. Die Mutter wollte ihn hinter sieben Schlössern vor allen Fährlichkeiten, und besonders denen auf dem Meere, schützen, während Janne einen tüchtigen Mann aus ihm machen wollte. Und da er alles, was verlocken konnte, auf seiner Seite hatte – Boote, Büchsen, Fischereigerät –, trug er mit Leichtigkeit den Sieg davon. Aber trotz aller Bitterkeit hatte Elfrida ihr Versprechen unverbrüchlich gehalten; und sie und Janne wachten auch noch auf andere Weise über dem Geheimnis. Länger, als Janne zu hoffen gewagt hatte, war es gut gegangen, aber für immer konnte es so doch nicht weitergehen. Jetzt war Valle beinah erwachsen, und eines Tages mußte er in die düstere Wahrheit eingeweiht werden. Sie hatten beschlossen, daß es nach der Konfirmation geschehen solle. Und das war morgen ...

Das Rasiermesser zitterte in Jannes Hand, und er schnitt sich ins Kinn, als er die grauen Bartstoppeln rasierte.


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