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Früher Gegenwind

1

»Holla, du, Fredrik, an welchem Tag hat Gott die Sonne erschaffen?«

»Am vierten!« antwortete eine helle Jungenstimme aus einem Heckenrosenstrauch heraus, der eben seine ersten grünen Zweiglein um ein eingefallenes Grab her entfaltete.

»Und die Pflanzen und Bäume?«

»Am dritten Tag.«

»Ganz richtig. Die sind früher erschaffen worden. Wie willst du das erklären? Meinst du, das Unkraut, das du eben herausziehst, hat ohne Sonne gedeihen können? Und wie stellst du dir das Licht vor, das er am ersten Tag erschaffen hat? Also, wenn du etwas davon begreifst, dann sag's!«

»Nei–ein«, kam nachdenklich die Antwort, und ein erdiger Fingernagel kraute in seines Besitzers zottigem Nacken.

»Ja, mein liebes Kind, auch ich kann dir das nicht erklären. Dumme Leute behaupten, es ist so eine Art von elektrischem Licht gewesen, weißt du, das er zuerst hervorbefohlen hat. Manche Pflanzen sollen in solchem Licht gedeihen können, unter anderen die Farnkräuter, die, wie man weiß, in der Vorzeit riesengroß waren und die Erde erfüllten. Ich aber meine, solches Kannegießern ist nicht bloß unnütz, sondern beinah Lästerung. Ich glaube, es war sein eigener Geist, den er zu Anfang über seine unvollendete Schöpfung strahlen ließ. Dies Licht, ja, hätte ich wohl sehen mögen!«

Barhaupt, die Weste bis zum Halsbündchen aufgeknöpft, wandelte Pfarrer Rosius auf seinen kurzen Beinen in der herrlichen Frühlingssonne umher, die er gleichsam kaute, während er die graubuschigen Augenbrauen in die Höhe zog und vor Behagen blinzelte. Er war keiner von den gelehrtesten Schriftauslegern; aber er liebte beschauliche Gedankenübungen im Freien, nur kurz mußten sie sein. Seine Laufbahn hatte er als Militärpfarrer begonnen und dabei sogar den Feldwebelrang erreicht. Völlig am Platz war also, was der alte Bussar, der Wortführer des Ortes, von ihm sagte: »Der Herr Pfarrer hat ein Herz wie reines Pulver und einen Willen, unbeugsam wie ein Flintenlauf.«

In diesem Jahr hatte sich die Vorbereitung zur Konfirmation durch Wiederherstellungsarbeiten in der Kirche sehr verzögert. Oder eigentlich nicht dadurch, denn den Unterricht gab er daheim im Pfarrhaus; aber er konnte doch die Kinder nicht ins Haus des Herrn treten lassen, ehe dieses inwendig fertig und gereinigt war. Eben jetzt hatte er bestimmt, daß die Konfirmation am Mittsommertag stattfinden sollte, mochten die Bauernstoffel sagen, was sie wollten. Und heute hatte er die ganze Schule zur Arbeit auf den Kirchhof befohlen; es sei ja eine Schande, wie der aussehe. Hier sei es wirklich notwendig, zu reden und zu reinigen, ehe das Unkraut im Sommer wieder überhand nahm. Löwenzahn, Gänsefuß, Primeln, gelbe Schlüsselblumen blühten natürlich in Massen, aber einige Ordnung müßte sein, sie sollten den heiligen Anger doch nicht zur Schafweide werden lassen.

Hier wanderte also Pfarrer Rosius im herrlichsten Sonnenschein umher, während zwanzig kleine Hände zwischen den Gräbern jäteten und scharrten. Zuweilen blieb er stehen und warf einem von seinen Konfirmanden eine Frage zu. Dabei ließ er seine Blicke gern an dem pyramidenförmigen Kirchturm hinaufgleiten, dessen Spitze kein Hahn zierte, sondern ein im blauen Himmel segelndes Schiff mit nur einem Mast und einer Rah, die zusammen ein Kreuz bildeten. Dann glitten seine Blicke wieder den Turm hinunter und den Dachlinien entlang und umfaßten zärtlich den ganzen alten Tempel aus dem zwölften Jahrhundert. Er hatte immer denken müssen, aus größerer Entfernung betrachtet sähe dieses Bauwerk genau so aus wie eine Kirche, die sich ein liebes großes Kind aus seinen Spielklötzchen aufgebaut habe. So von nah gesehen aber bezeugten die gewaltigen Feldsteinblöcke der Mauern, daß man vor etwas stand, was ursprünglich eine Festung gewesen war. Die rauhen, später immer wieder breiter und höher ausgehauenen Fensterbogen waren ursprünglich Schießscharten für Bogenschützen gewesen. Aus ihnen waren christlich schwedische Pfeile gegen die heulenden Tavaster gesaust, gegen Esthen, und wie sie alle hießen, diese heidnischen Volksstämme. Oh, damals hätte man dabei sein sollen!

Der Pfarrer war ein strenger Lutheraner, und seine erste jugendlich rasche Tat hier auf dieser Stelle war gewesen, daß er eine alte katholische holzgeschnitzte Gruppe, die heilige Anna und die Jungfrau Maria mit dem Kind im Arm darstellend, von der Orgelempore weg ins Beinhaus hatte versetzen lassen. Doch rasch flogen jetzt seine Gedanken auf breiten Schwingen über die Fehden der späteren Jahrhunderte hin, bis zu dem ersten großen Kampf, und er dachte mit zustimmendem Kopfnicken: Ja, ja, damals hätte man dabei sein sollen!

»Gsch – gsch – ihr gottlosen Racker! Meint ihr, wir brauchten euch hier als Gärtner? Fort mit euch – gsch!«

Mit ausgebreiteten Armen fiel der Pfarrer eine Schar von Hühnern an, die durch ein Loch in der verfallenen Kirchhofmauer eingedrungen waren, aber nun gackernd und flatternd die Flucht ergriffen.

Auf jeden Fall war es doch schön, gerade jetzt zu leben und nicht seit dem zwölften Jahrhundert, der Auferstehung harrend, tot zu liegen. Wahrlich ein wunderbarer Tag! Am Himmel segelten ein paar leichte Schleierwolken dahin; es war, als strahle der Himmel von zauberhaften Träumen, deren Schatten wie Atemzüge über die Felder glitten, wo Kälber ihre Sprünge machten. Der weiche Wind war erfüllt vom Duft der dampfenden Erde und der noch klebrigen Blätter; Lerchen, Buchfinken, Stare und Dohlen gossen aus verschiedener Höhe in der Luft oder von den Pappeln ringsum eine ganze Flut von Trillern, Flötentönen und munterem Krächzen auf die Erde herunter. Weit im Westen ahnte man das Meer durch ein Gewimmel von Strahlen, die einem Wald von blitzenden Silberspeeren gleich am Horizont standen.

Um Kreuze und Grabsteine her jäteten die jungen Hände, von denen einige schon recht breit und braun, andere aber noch blaß und schmal waren. Doch merkwürdig: die Mädchen machten im allgemeinen ihre Sache besser, und ihre Unkrauthaufen hatten etwas Ordentliches! Zum Beispiel das flinke Ding dort – wie hieß sie gleich – ja, Tuva, Leuchtturmwächters Tuva. Ein verflixter Name! Weder Grete, noch Liese, noch Anne, sondern ausgerechnet Tuva – ja, eine Blüte, ein Krausköpfchen! Er konnte sich's vorstellen, wie sie zu diesem Namen gekommen war. Nachdem zwei glückliche Eltern eine Woche lang den Kalender durchblättert hatten, war für ihr Wunderkind kein Name poetisch genug gefunden worden, und so hatten sie wie gewöhnlich auf eigene Faust zu dichten angefangen. Ach, richtig, die Mutter war vor fünfzehn Jahren gleich bei der Geburt dieses Kindes gestorben, und der hochmütige Stark allein war für die Dichterei verantwortlich ... Der Pfarrer warf einen kleinen beschämten Blick zur Seite, wo sich der Mutter Grab befand. Und das bedurfte keiner Behandlung, es war eines der bestbepflanzten und -angesäten von allen.

Aber der Hügel, vor dem das Mädchen auf den Knien lag, ihn rein zu machen, war einer von den vergessenen und vergrasten, obgleich der Pfarrer diesen schiefen, moosbewachsenen Grabstein immer im Herzen trug. Ja, so sollte nach seiner Meinung eine Grabschrift lauten; und wieder las er die beinah überwachsenen Worte:

 

»Hier ruht
der Schiffer Matts Mattsson Bram
der jämmerlich zu Grunde ging
wie eine morsche Brigg.
Aber der am Jüngsten Tage auferstehen
und mit fester gefügten Spanten
und besseren Segeln
wieder ausfahren wird.«

 

»Mach hier ordentlich rein, Tuva!« sagte der Pfarrer. »Der Stein da, siehst du ... Ja, ich weiß, du kannst deinen Katechismus.«

Das lutherische Herz hoch in der Brust, stiefelte er zu einem kleinen Benjamin hinüber, stellte an ihn eine Frage über Daniel in der Löwengrube und begab sich dann ans nächste Grab. Da lag ein langbeiniger Bengel, der anscheinend faulenzte.

»Lied 116!« kommandierte der Pfarrer. »Und nachher faß richtig zu und nimm was zwischen die Finger!«

Der Junge leierte das Lied herunter. Es ging ordentlich, darum setzte der Pfarrer seinen Rundgang fort. Über die Inschrift dieses letzten Grabes mochte er nicht nachdenken, sie war ihm zu gefühlvoll. Aber der Junge, der hier reinmachte, tat es an seiner Statt. Über seinem Kopf erhob sich ein schwärzliches Kreuz aus Gußeisen, das wie ein Vogel mit ausgebreiteten Flügeln vier kleine Kreuze trug, auf jeder Schulter zwei, und darunter stand:

 

»Lebt wohl, meine Kleinen, lebt wohl!
Ihr steht an ewigen Lebens Strand,
Die Kron im Haar, die Goldharf' in der Hand!

Eine glückliche Mutter.«

 

Nicht als ob Valfrid noch an dieses Kindergeschwätz von Engeln geglaubt hätte, obgleich man allerdings da nie ganz sicher sein konnte, und der Konfirmationsunterricht hatte ihn gelehrt, doch manchmal an die letzten Dinge und das Jenseits zu denken. Nun versuchte er sich vorzustellen, wie Engel aussehen müßten, falls es doch welche gäbe ... Eine goldene Harfe, weiße Kleider und lockiges Haar von derselben Farbe wie die Schlüsselblumen hierherum ... Ja, leuchtend mußten sie sein, das war klar, so hatten sie auch auf allen Bildern ausgesehen, an die er sich erinnerte. Er blinzelte in die Sonne und versuchte, unter seinen Lidern, durch die der Sonnenschein schimmerte und sie zu blutroten Wölbungen vor seinen Augen machte, ein Engelsbild hervorzurufen; aber keine leuchtende weißgekleidete Gestalt wollte von dort oben her zu ihm niedersteigen. Statt dessen sah er immer deutlicher ein anderes Bild vor sich, eines in einem rotgestreiften Kleide, und das Haar nicht golden, sondern so braun wie Haselnüsse vom vorigen Jahr. Das war ein verteufeltes Engelchen! Tuva Stark – sollte wohl die versuchen, ein heiliges Wesen für ihn zu werden, die Hexe, die wahrhaftig wußte, daß sie lebte und nicht tot war?

Er kannte sie gut von der Schule in Askvik her, aus den zwei Wintern bei der Großmutter. Zu jener Zeit war sie so hochmütig gewesen wie ihr Vater, der Leuchtturmwächter, und hatte auf gewöhnliche Leute herabgesehen, obgleich sie sich dazu auf die Zehen stellen mußte, klein, wie sie war. Jetzt schien sie ja ein bißchen in die Höhe geschossen zu sein und sich mehr zum Volk herabzulassen, obgleich sie immer noch kein Engel war trotz ihrer Katechismusweisheit.

Er machte die Augen auf und starrte ärgerlich nach einem der nächsten Grabhügel hin. Dort lag sie und kratzte so eifrig, wie die neue Dreschmaschine auf Storgrinda schaffte. Und natürlich hatte sie den Ankaröjunker, ihren Vetter, beinah in ihren Rockfalten ...

Als der Junge dann wieder die Augen schloß und versuchte, in seinem Innern einen richtigen Engel hervorzurufen, fiel der Pfarrer wie der Blitz über ihn her und kommandierte: »Lied 116!« Nachher durfte er ruhig weiterjäten. Dieses Engelsgrab aber war rasch gereinigt, es wuchs ja kaum mehr darauf als etwas Stichelgras, das leicht mit den Wurzeln auszureißen war.

Der Junge begab sich zu einem andern Grabhügel dicht an der Mauer in einem verborgenen Winkel des Kirchhofs. Hier sah es schlimmer aus. Zwar schlechter gepflegt als die andern war dieses Grab kaum; es war auch irgend einmal angesät und bepflanzt worden, das sah man noch; aber durch die Mauerritzen drangen von beiden Seiten her Nesseln und anderes Unkraut herein und breiteten sich auf dem Grabe aus. Er mußte aus dem alten Eisenzeug im Mittelgang etwas hervorsuchen, was sich als Hacke gebrauchen ließ, und nun hackte er in das Unkraut hinein, daß ihm Erdklumpen und Wurzelwerk um die Beine flogen. Was für eine Inschrift auf dem alten Holzkreuz stand, um das herum er wühlte, das beachtete er nicht, er hatte anderes zu bedenken.

Plötzlich hörte der Junge eine Stimme hinter sich, die sagte:

»So, so, sachte, sachte! Mach hier sorgfältig rein, Valle, du weißt ja, wer ...«

Verwundert starrte der Pfarrer auf die Hacke, die in die Schollen um das Kreuz herum mit einer Heftigkeit niederfuhr, als wolle sie am liebsten den ganzen Hügel einebnen. Was war das ums Himmels willen! Hatte der Junge denn keine Spur von Gefühl im Leib? Oder war es möglich ...? Konnte es sein, daß er wirklich nichts wußte?

Er sah, wie die Hacke gleichsam unwillig und verwundert stillstand. Der Junge fuhr sich in die kurzgeschnittenen Haare, starrte zuerst mit runden Augen seinen Religionslehrer an und dann lange das Kreuz, dessen Anstrich da und dort schon abfiel, dessen Inschrift aber noch gut zu lesen war. Dann setzte er sich taumelnd auf den Grabhügel nieder und sah starr zu Boden. Auf dem Kreuz hatte er seinen eigenen Namen gelesen. Es war schwer zu sagen, was sich in dem Dickschädel des Jungen regte. Er blieb ganz still ...

Dem Pfarrer war die Lage peinlich, denn offenbar war hier irgend etwas verkehrt. Hatte er an eine allzu empfindliche Stelle gerührt? Oder, noch ungereimter – hatte er wirklich mit einem einzigen Wort vielleicht ein wenig unbedacht eine bittere Neuigkeit enthüllt? Na ja, dies Wort war einmal gesagt, nun mußte wohl noch ein Wort mehr gesagt werden. Er räusperte sich und fügte sanft hinzu: »Ja, mein Junge, hier liegt also dein Vater. Er war ein braver Mann. Gott hab' ihn selig! Ja, ich weiß, daß du deinen Katechismus kannst.«

Damit drehte er sich um und ging. Es war am besten, den Jungen seinem Nachdenken zu überlassen, wie das auch ausfallen mochte.

Auf dem aufgewühlten Grabhügel saß Valfrid vom Tveholm im Sonnenschein und starrte zwischen seinen grauen Strümpfen durch zu Boden. Verworrene Gedanken kreisten in seinem Kopf. Hier unter ihm, zwei Meter tief in der Erde, lag also sein richtiger Vater ... Aber diese Gewißheit tat ihm nicht sehr weh, veranlaßte ihn weder dazu, zu weinen, noch die Hände zu einem Gebet zu falten, das merkte er selbst. Er wunderte sich nur über die Maßen, ungefähr so, wie wenn er vom Kirchturm heruntergefallen wäre, ohne sich weh zu tun. Und zugleich schämte er sich fast bis zu Tränen – und war empört, daß es ihm förmlich weh tat, gerade weil er keinen Schmerz empfand. Ein Gedanke drehte sich um den andern, wie eine Schaukel, die zu hoch geschwungen ist und sich in der Luft überschlägt, daß man nicht mehr weiß, was oben und was unten ist; da heißt es dann, sich festhalten und nicht schwindlig werden.

Warum hatten sie ihm das niemals gesagt – weder die Mutter noch der Vater ... also der Alte, der mit ihr verheiratet war ... und auch nicht die Großmutter in Askvik? Warum hatte er das nicht früher erfahren? Oder hatte er es gewußt? Sonderbar, er konnte das selbst nicht bestimmt sagen. Daß Janne auf Tveholm sein Vater sei, war ja von Anfang an ebenso sicher gewesen, wie daß er eine Mutter, aber keine Geschwister hatte. Niemals hätte er sich etwas anderes denken können, denn grade so mußte wohl ein Vater gegen seinen Sohn sein. Aber wenn er richtig genau nachdachte, dann erinnerte er sich von langer Zeit her, als er noch klein gewesen war, wie oft da Worte gefallen waren, die er jetzt erst verstand. »Als Valle noch lebte«, hatte es geheißen, oder: »In dem Jahr, wo das Unglück geschah«. Er hatte nur nicht begriffen, daß dies auch ihn etwas anging, hatte nicht gefragt und vielleicht alles vergessen, bis es zu spät war und daheim kein Wort mehr von dieser Sache gesprochen wurde. Und wozu waren zwei Katen auf dem Tveholm, da man doch nur eine brauchte und die am Nordstrand unbewohnt war und verfiel? Das hatte er Janne einmal gefragt; aber da war der Alte stumm geworden wie ein Fisch. Nein, auf irgendeine Weise und ganz undeutlich hatte er immer gewußt, daß sich früher einmal noch ein Mensch auf dem Holm befunden hatte, aber wann und wer das gewesen war, darum hatte er sich nie gekümmert. Sonderbar ... Hatten auch alle andern im Ort seinen Vater ganz vergessen, oder warum wurde er niemals mehr erwähnt? » Verunglückt am Heiligen Abend«, stand auf dem Kreuz, und dazu die Jahreszahl. Er überlegte einen Augenblick. Das war ja beinah gleichzeitig mit seiner eigenen Geburt gewesen, nur vier Tage nachher! ... War das am Ende etwas, wovon die Leute nicht gern sprachen?

Valfrid stand auf, langsam und wirr im Kopf.

»Wenn der Tveholm-Janne nicht mein richtiger Vater ist, wer ist er dann eigentlich?« fragte er sich selbst. »Doch einerlei, ich will nicht tauschen. Aber Mutter und er könnten wohl hier auf dem Grabe besser Ordnung halten.«

Er fing wieder an, rein zu machen, jetzt vorsichtiger; aber lange, ehe er fertig war, klatschte dort drüben der Pfarrer in die Hände. Für heute war Schluß, sie sollten noch gemeinsam ein geistliches Lied singen und dann heimgehen.

Heute nacht sollte er mit dem Großnetzboot hinausfahren, und er hatte auch heute früh mit einigen andern dazu Urlaub vom Konfirmationsunterricht bekommen; übermorgen aber war er wieder hier und machte vollends rein. Er warf noch einen Blick auf das Kreuz. »Verunglückt am Heiligen Abend.«

Sollte er schon heute von dem reden, was er nun wußte, und Auskunft verlangen, überlegte er sich, als er mitten in der lärmenden Konfirmandenschar der Straße entlang ging. Er mußte ja heim nach dem Tveholm, um sich für den Fischfang fertigzumachen. Aber nein, er wußte wohl, daß man eine solche Frage nicht nur so beiläufig hinwarf – die war zu groß und ernsthaft.

Die Lerchen in der Luft barsten beinah vor lauter Trillern, von den Pflanzen um die Kirche wehte ein leichter Blumenduft herüber, die Kameraden liefen voran und pufften einander unter fröhlichem Rufen in den Rücken, und über alledem stand der Frühlingshimmel weit offen und goß sein wärmendes Nachmittagslicht nieder. Valle aber achtete nicht darauf. Erst als der Weg in den dämmrigen Föhrenwald führte, fühlte er sich in der Umgebung mehr zu Hause. Nein, eine weite, sonnige Welt war es nicht, die sich heute für ihn aufgetan hatte. Er war auf einen neuen Weg geraten, einen unbekannten und ernsten Weg.

Jetzt näherte er sich schon Bredby, von da hatte er nicht mehr weit nach Hause. Aber jener andere Weg – das sagte ihm eine jäh gereifte Ahnung – war krumm und weit.


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