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Fünftes Kapitel,

der Großherzog soll gehängt werden – es lebe der Großherzog!

Als Don Ramon sich auf den Sessel sinken ließ, war ihm durchaus nicht so wohl zumute, als er Philipp hatte glauben lassen. Der Kampf mit dem schwarzen Sergeanten hatte ihn ermattet; der verstauchte Fuß schmerzte ihn, nun er allein war, doppelt so stark als früher, und sein verstümmeltes Ohr brannte wie Feuer. Es war beinahe, als hätte der Sergeant Gift in den Zähnen gehabt, so schmerzte die Wunde.

Don Ramon warf einen Blick auf die beiden Gefangenen in der Halle; sie lagen noch in derselben Stellung, in die sie placiert worden waren. Der wahnsinnige Gesang des Priesters hatte aufgehört, und er hatte jetzt den Kopf dem Großherzog zugekehrt und fixierte ihn mit starren, brennenden Blicken. Der Sergeant schien noch ohnmächtig zu sein. Don Ramon machte ein paar Schritte auf ihn zu und sah nach, ob die Bande sich nicht gelockert hatten. Dann kehrte er zu seinem Sitz zurück, den er weiter vorgeschoben hatte, und zündete sich eine Zigarre an, die er so ziemlich unversehrt in seiner Tasche gefunden hatte.

Verwirrte Bilder all dessen, was sich in der letzten Zeit zugetragen, tauchten in seinem Kopfe auf: die Abreise mit Paqueno, das Telegramm von dem Börsencoup, das sie in letzter Minute erreichte, die Ankunft in Barcelona und die vergeblichen Versuche, das Mysterium dieses Börsencoups zu ergründen ... dann Marseille und die Nachricht von der Revolution, als sie gerade auf dem Wege waren, nach Paris abzureisen, zu Semjon Marcovitz ... die Revolution ... sie mußten sie gerade für den Tag nach seiner Abreise aus Minorca geplant haben; wahrhaftig, der Zufall hatte ihnen da einen Streich gespielt! Er konnte sich ihr Gesicht denken, als sie das Schloß leer fanden, bis auf Joaquin und Auguste. Wußte das Volk, daß er entkommen war? Oder hatte man es geheimgehalten, um seine eigene Stellung zu festigen? Ja, wußten überhaupt die Revolutionsführer von seiner Abreise? Es war nicht ausgeschlossen, daß sie nichts davon erfahren hatten, daß sie glaubten, er hielte sich irgendwo in Minorca verborgen, und daß sein Auftauchen heute abend sie um so mehr erschreckt hatte ... Sein Auftauchen heute abend ... dank diesem Professor ... Ein schwedischer Professor mit einem französischen Namen und einer russischen Frau! ... Wieder hatte er plötzlich die Überzeugung, daß der Professor mehr wußte, als er gesagt hatte – daß das Mysterium sich vielleicht in ihm konzentrierte; doch dann verjagte er diese Gedanken. Freilich hatte der Professor ihn erkannt, aber darin lag ja nichts Merkwürdiges ... Und freilich bekundete seine Frau ein erstaunliches Interesse für den Großherzog von Minorca ... Don Ramon unterbrach seinen Gedankengang: auf dieses Thema durfte er nicht kommen. Er war nicht das, was man einen homme à femmes nennt – war es nie gewesen; aber in den kurzen Stunden, die er dieses junge Geschöpf kannte, hatte er mit Bestürzung bemerkt, wie rasch sie von seiner Gedankenwelt Besitz ergriffen hatte. Sie war so primitiv, so unschuldig, so unzusammengesetzt, sie hatte den Charme eines wilden Vogels ... und dann war sie so schön ... und dann war sie die Frau eines anderen ... die Frau des Mannes, dem er nächst sich selbst seinen Erfolg heute nacht zu danken hatte ... Don Ramon zuckte zusammen. Die Zigarre war erloschen; er zündete sie wieder an.

... Seinen Erfolg heute nacht. Ja, der war jetzt so ziemlich gesichert. Bekker, Luis Hernandez, Posada und Vater Ignazio waren die tatsächlichen Führer, daran zweifelte er keinen Augenblick. Nach ihrer Unschädlichmachung konnten die anderen ihnen keine nennenswerten Schwierigkeiten bereiten. Amadeo, zum Beispiel! Das kleine, widerliche Gewürm, war ja jetzt entwischt, aber das würde ihm morgen nichts helfen! Die drei anderen Namen auf dem Papier, Vatello und wie sie sonst hießen, waren ihm völlig unbekannt, aber sicherlich waren sie von Bekker und den drei Herren, die er schon unschädlich gemacht hatte, in das Unternehmen hineingezogen worden ... Armer Joaquin und Auguste – wie lange der Professor fortblieb!

Wieder fuhr Don Ramon zusammen: Er war fast auf dem Stuhle eingeschlafen! Das ging nicht. Er mußte doch so lange Wache halten, bis der Professor wiederkam. Wie war es doch? Hatte nicht früher einmal eine Flasche Kognak in Joaquins Serviceraum gestanden?

Ein Glas Kognak, das war es gerade, was er brauchte, um sein Blut in Umlauf zu bringen und die Schmerzen in Kopf und Fuß zu vergessen. Er erhob sich schwankend, warf den Zigarrenstummel weg und begab sich in den Teil der Halle, durch den er und der Professor hereingekommen waren. Dort hatte sich Joaquin einen kleinen Verschlag als Serviceraum eingerichtet. Er öffnete die Tür und warf einen Blick hinein: es war dunkel wie im Grabe. Er beugte sich vor und tastete mit der Hand, denn er hatte schon vergessen, wie es dort drinnen aussah. Der Verschlag schien nur einen kleinen Tisch vorne und einen Schrank an jeder Seite zu enthalten. Der Tisch war leer; er begann nun in der Dunkelheit die Schränke zu untersuchen. Auf den oberen Brettern stand nichts. Er kniete nieder, wobei seine Beine teilweise aus dem Verschlag herausragten, und begann mit der Hand die unteren Fächer zu durchsuchen; es stand eine ganze Reihe leerer Flaschen da, vermutlich nach Präsident Hernandez' Einzug hinzugekommen, denn der kleine ordentliche Joaquin hätte sie sich nie in dieser Weise anhäufen lassen.

Endlich bekam er eine Flasche in die Hand, in der es bei der Berührung schwappte; er erhob sich halb aus seiner gebückten Stellung und roch an der Flasche. Ja, ganz richtig, es schien Kognak darin zu sein.

Langsam rutschte er rücklings aus dem Kämmerchen heraus und wollte eben aufstehen. Zuerst führte er jedoch die Flasche an den Mund, um noch rasch einen Schluck zu nehmen ...

Im selben Augenblick fühlte er, wie ihn ein betäubender Schlag irgendeines harten Gegenstandes am Hinterkopf traf, die Flasche fiel aus seiner Hand, alles drehte sich rings um ihn im Kreise, und mit den Händen vor sich durch die Luft tastend, fiel er kopfüber in die Dunkelheit. – –

Als er wieder zum Bewußtsein erwachte, war das einzige, was er zuerst spürte, sein Kopf; der summte und flammte wie ein Induktionsapparat, und tausend rote und weiße Punkte tanzten wie Sternschnuppen vor seinen Augen. Dann wurde er sich noch einer Sache bewußt: er saß an einen Stuhl festgebunden; die Stricke schnitten in seinen Hals und in seine Fußgelenke, von denen das rechte so schmerzte, als wenn es in einen Block geschraubt wäre; und rings um ihn, undeutlich wie Meeresrauschen, summten viele Stimmen. Noch halb vom Schmerz betäubt, hob er müde das eine Augenlid und sah sich um.

Er saß in der Halle, wo er eben noch Vater Ignazio und den schwarzen Sergeanten bewacht hatte, und auf demselben Sessel, auf dem er früher gesessen. Rings um ihn, ihn beobachtend, schreiend, lachend und fluchend, drängte sich eine Schar Menschen, die seine verwirrten Augen zuerst nicht erkannten; dann, teils mit Hilfe seiner Augen, die so allmählich klarer wurden, teils mit Hilfe der Rufe, die auf ihn niederprasselten, sah er, was für Menschen es waren! Und den er zuerst erkannte, war der Mann, den er vor zwei Stunden festgebunden und mit einem Knebel versehen in einem verödeten Hause in einer Hafengasse zurückgelassen hatte: Herr Bekker aus Holland.

Aber es war nicht Herrn Bekkers Stimme, die ihm die Erklärung für das Vorgefallene gab; es war die des Schankwirts Amadeo. Mit glühenden Augen und gesträubtem Haar tanzte der kleine Buckel vor den anderen auf und nieder. Don Ramon konnte sie jetzt allmählich zählen. Es waren ihrer sechs, aber nur drei von ihnen erkannte er außer Herrn Bekker: Luis Hernandez, den Sergeanten und Vater Ignazio.

»Ich war es, Kameraden, ich Señores, ich, Amadeo vom ›Kommandanten‹! Wäre ich nicht gewesen – was wäre dann aus euch geworden? Was, frage ich! Vor morgen abend wärt ihr alle erschossen gewesen, alle miteinander, Vater Ignazio, Eugenio, der große Luis und Señor Bekker auch! Ja, Señor Bekker auch! Wißt ihr, wo ich Señor Bekker gefunden habe? In meinem Werkzeugschuppen, gebunden, in meinem alten Werkzeugschuppen: gebunden, ganz hilflos!«

»Ach was,« ertönte Herrn Bekkers Stimme, barsch und hart wie gewöhnlich. »Lassen Sie diese Dummheiten, Amadeo! Wer hat euch denn die Courage wiedergegeben und euch dazu gebracht, unsere Freunde hier aufzusuchen (er wies auf die drei Personen, die Don Ramon nicht kannte). Das war Señor Bekker, den Sie so hilflos fanden, mein Bester. Und wer hat euch den Weg hierhergeführt und diesen hier zu Fall gebracht.« (Er wies auf den Großherzog.)

Don Ramon fühlte plötzlich, wie ein wenig Spannkraft in seinen zerbrochenen Körper kam, als er diese letzte Prahlerei seines Feindes hörte. Mit einer krampfhaften Anstrengung setzte er seine Zunge in Bewegung.

»War es Señor Bekker,« sagte er, »so verspreche ich, daß er dafür noch vor morgen abend hängen wird.«

»Hängen!« Herr Bekker, der jetzt erst bemerkte, daß Don Ramon das Bewußtsein wiedererlangt hatte, stürzte auf den gefangenen Großherzog los. »Hängen, sagten Sie? Nur einer wird hängen, mein Lieber, und das sind Sie!«

Er verstummte einen Augenblick, von Wut überwältigt, und fixierte seinen Feind mit blutunterlaufenen Augen, über denen seine blonden Augenbrauen sich sträubten.

»Sie,« schrie er, »Sie verdammter Armenhausherzog! Sie werden hängen – wie nur irgendein gemeiner Verbrecher. Wissen Sie noch, was Sie mir einmal angetan haben? Sie haben mich ins Gesicht geschlagen – da haben Sie dafür! Da haben Sie! Und für heute abend!«

Außer sich vor Wut, begann er seinen gefangenen Gegner ins Gesicht zu schlagen, auf die Wangen, das verstümmelte Ohr, von dem die Bandage, die Philipp angelegt hatte, abgerissen war. Unter den anderen wurde es stumm. Trotz allem hatten sie noch etwas von dem durch Jahrhunderte ererbten Respekt vor dem fürstlichen Hause im Blute; nur Amadeo lachte schrill. Endlich kam Luis herbei und versuchte Herrn Bekker wegzuziehen. Luis bewegte sich halb wie ein Schlafwandler.

»Señor Bekker,« sagte er, »Señor Bekker, später! Zuerst müssen wir ein Verhör abhalten ...«

Der andere ließ ab, noch außer sich vor Wut, und Don Ramon, der titanische Anstrengungen gemacht hatte, um sich aus seinen Banden zu befreien, folgte ihm mit einem furchtbaren Blick seiner Augen, über die das Blut floß.

»Herr Bekker,« sagte er, »ich wußte ohnehin, daß Sie feig sind, jetzt habe ich die Bestätigung dafür. Vor morgen abend werden Sie das mit dem Tode sühnen.«

Seine Stimme und sein Aussehen waren so erschreckend, daß die anderen verstummten und einander für einen Augenblick scheu betrachteten. Hatte der Großherzog Hilfsmittel zu seiner Verfügung, von denen sie nichts ahnten? Kam er mit Hilfe vom Festland? Wo kam er überhaupt her? Die unter ihnen, die schon an den Ereignissen des Abends teilgenommen hatten, hatten ihn plötzlich wie einen Racheengel auftauchen sehen, nur von einem Freunde begleitet, und im Laufe von zwei Stunden hatte er die Revolution auf Minorca beinahe erstickt. Auf die anderen, die nur davon erzählen gehört hatten, hatte diese Erzählung zum mindesten ebenso erschreckend gewirkt. Ließ sich dieser Trotz, während er an Händen und Füßen gefesselt dasaß, anders erklären, als dadurch, daß er noch mehrere Bundesgenossen hatte, von denen sie nichts wußten? Amadeo und eine der drei Personen, die Don Ramon nicht kannte, wechselten rasch einige Worte und eilten zur Hallentür, die sie versperrten und verriegelten.

Unterdessen hatten Luis, noch immer mit demselben abwesenden Ausdruck, der Sergeant, dessen Augen hie und da wie die eines Raubtieres über den Großherzog hinstrichen, und Herr Bekker eine kurze Beratung begonnen. Vater Ignazio, der noch ebenso exaltiert schien, murmelte weiter in sich hinein, wobei er hie und da wilde Gesten mit den Armen machte. Nun kam Luis auf den Großherzog zu, von den anderen gefolgt, die sich in einem Halbkreis aufstellten.

»Wir wünschen zu wissen,« sagte Luis, »wer der andere war, der sich an dieser Sache beteiligt hat?«

Don Ramon sah ihn an und erwiderte kalt:

»Sie werden es noch vor morgen abend erfahren, wenn ihr alle gehängt werdet.«

Luis fuhr erbleichend fort:

»Wir wissen, daß er heute nachmittag mit einer kleinen Yacht angekommen ist. Ich habe die Yacht selbst besucht, aber verabsäumt, mich zu überzeugen, ob noch mehr Passagiere darauf waren ...«

»Verdammter Esel,« schaltete Herr Bekker ein.

»Waren Sie auch darauf?« schloß Luis.

»Sprechen Sie zu mir, Luis?« fragte der Großherzog.

»Ja. Antworten Sie auf meine Frage!«

Luis' Stimme war nichts weniger als sicher. Man merkte, daß er sich der anderen wegen zusammennahm.

»Dann nennen Sie mich Hoheit, Luis, wenn Sie eine Antwort erwarten. Gnade haben Sie von nun an nicht zu erwarten.«

Luis begann plötzlich am ganzen Körper zu zittern, doch im nächsten Augenblick wurde er von dem schwarzen Sergeanten beiseite gestoßen.

»Waren Sie mit auf der Yacht oder nicht? Antworten Sie,« brüllte er, »und keine Ausflüchte!«

Der Großherzog warf ihm einen verachtungsvollen Blick zu und war im Begriff, ihm in gleicher Weise zu antworten wie Luis, als ihn plötzlich ein Gedanke packte.

Es war ja dumm, sie unnötig zu reizen. Noch war nicht alles verloren, solange der Professor frei war! Der Professor und seine beiden Diener. Wenn sie Zeit vor sich hatten, konnte das Blatt sich noch in letzter Minute wenden. Es galt, Zeit zu gewinnen! Zeit zu gewinnen! Im selben Moment kam ihm eine Idee.

Mit einem ruhigen Blick auf den Kreis vor sich sagte er:

»Ich war mit auf der Yacht. Aber es war noch etwas da, das Ihr Freund Hernandez nicht bemerkt hat.«

»Was denn?« rief der Sergeant.

»Daß das Fahrzeug drahtlose Telegraphie hat. Haben Sie schon etwas von drahtloser Telegraphie gehört?«

Ein paar Sekunden blieb es still. Die Verschwörer starrten einander an, halb unsicher, was Don Ramon meinte, halb die unbekannte Drohung fürchtend, die in seinen Worten zu liegen schien.

Herr Bekker war wohl der einzige, der genau verstand, was sie bedeuteten, und zu ihrem Schrecken merkten die anderen, daß er plötzlich einen Teil seiner Sicherheit eingebüßt zu haben schien.

»Bevor wir ans Land gingen,« fuhr der Großherzog fort, indem er jedes Wort betonte, »setzten wir uns mit einem englischen Panzerkreuzer in Verbindung und berichteten alles. Sie werden ihn noch vor morgen da haben, meine Herren, und dann gratuliere ich Ihnen!«

Wieder wurde es für einige Sekunden ganz still im Zimmer. Der Großherzog schien sein Ziel über alles Erwarten erreicht zu haben. Alle hatten sie schon einen der britischen oder französischen Panzerkolosse die Insel bei ihren Kreuzfahrten durchs Mittelmeer anlaufen sehen, und sie hatten haarsträubende Dinge über ihre Schießfähigkeit gehört. Sprach der Großherzog die Wahrheit, würde es also nicht lange dauern, bis die Strafe kam – und nach seinem ganzen Auftreten hatten sie keinen Zweifel daran, daß er die Wahrheit sprach ... Luis war bleich wie der Tod geworden, und die anderen fixierten mit scheuen Blicken zuerst einander, dann den Großherzog, dessen Gesicht, blutig und mißhandelt, wie es von Herrn Bekker war, erschreckender denn je wirkte; zuletzt Herrn Bekker, den Urheber dieser ganzen Revolution, die jetzt einen so unglücklichen Ausgang zu nehmen schien.

Es dauerte vielleicht ein paar Minuten, dann begann Herr Bekker sich darüber klar zu werden, welches Los den gescheiterten Revolutionsführer erwartet. Es begann mit einem Gemurmel des Schankwirtes Amadeo und der drei Männer, die Don Ramon nicht kannte; dann mischte sich Luis' Stimme halb schluchzend vor Angst in dieses Gemurmel, und zuletzt kam der grollende Baß des schwarzen Sergeanten. Nieder mit dem Kerl! – Er ist an allem schuld! Der Teufel soll ihn holen – geizig und feig! Was haben wir von der ganzen Revolution? – Wer hat daran gedacht? ... Für einen Augenblick sah es aus, als ob Don Ramon das Spiel rascher gewonnen hätte, als er zu hoffen gewagt; einzelne Rufe: Gnade, Hoheit! ließen sich vernehmen. – Doch dann gelang es Herrn Bekker durch einen wilden Stimmaufwand, Gehör zu finden.

»Kameraden,« rief er, »keine Feigheit! Keine Angst! Bettelt ihr um Gnade bei diesem hier? So behandle ich ihn (er hob die Hand, um Don Ramon ins Gesicht zu schlagen, aber ließ sie vor dem neuen Ausdruck in den Zügen seiner Mitverschworenen wieder sinken), wenn ich will,« fügte er hinzu. »Laßt ihr euch von ihm und seiner drahtlosen Telegraphie ins Bockshorn jagen? Er lügt! Er lügt ganz einfach! Er versucht euch einzuschüchtern, das ist alles! Und wenn er schon die Wahrheit redete! Wenn ein englischer Panzerkreuzer vor morgen käme – werden wir besser behandelt werden, weil wir um Gnade betteln? Hat er nicht versprochen, daß wir alle vor dem Abend gehängt werden? Wollt ihr das verhindern, Kameraden – so gibt es nur ein Mittel: daß wir ihn gleich hängen! Die Toten plaudern nichts aus. Wenn wir ihn hängen, und das Boot, mit dem er gekommen ist, in den Grund bohren, möchte ich den englischen Panzerkreuzer sehen, der uns etwas nachweisen kann. Hängen wir ihn sofort und begeben wir uns dann zum Hafen!«

Herr Bekker verstummte, und der Großherzog sah mit einem aus Erbitterung und müder Gleichgültigkeit gemischten Gefühl, daß er seine Absicht erreicht hatte; aller Gesichter hatten bei seinen Worten aufgeleuchtet – sie sahen ein, daß er recht hatte! Der Großherzog hatte versprochen, daß sie alle gehängt würden, und war er am Leben, wenn der Panzerkreuzer kam, so konnten sie sicher sein, daß er Wort halten würde. Herr Bekker hatte recht: er mußte gehängt werden gleich, und seine Yacht mußte man in den Grund bohren! Mochte dann der Panzerkreuzer kommen!

Ein wildes Gemurmel erhob sich und wuchs an; man riß Don Ramon von seinem Sitz los und begann sich nach einer Stelle umzusehen, wo man die Exekution bewerkstelligen konnte. Der schwarze Sergeant hatte den Waffenrock abgeworfen; es war kein Zweifel, daß er die Funktion des Henkers zu übernehmen gedachte. Hätte seine Geste es nicht gezeigt, so hätte man es ihm vom Gesicht ablesen können. Er wendete sich an Vater Ignazio, der noch in einer Ecke in sich hinein sang und murmelte, und rief:

»Hierher, Ignazio, Ihr Beistand ist hier nötig! Kommen Sie her und lesen Sie die Totenmesse für den letzten Großherzog von Minorca! Nehmen Sie ihm die Beichte ab, Ignazio!«

» Maledictus, maledictus in aeternum!« sang der abgesetzte Priester, » Nefaste inter homines, perinde ac cadaver! Maledictus!«

Plötzlich, gerade als der Schankwirt Amadeo und einer seiner Helfershelfer sich bereit machte, eine Leiter aufzustellen und den Strick an einem Nagel der Decke zu befestigen, hörte man durch all den Lärm und die Erregung drei harte Schläge an die Tür.

Für einen Augenblick wurde es still, und das Herz des Großherzogs schnürte sich vor Grauen zusammen, das war der Professor, der gerade zur rechten Zeit zurückkehrte, um der Exekution beizuwohnen. Was würde sein Schicksal sein?

Der schwarze Sergeant lief zur Tür und rief mit erhobener Stimme:

»Wer da?«

»Ich, der Wachtposten,« erklang die undeutliche Antwort. »Ich habe jemanden da, der nach dem großherzoglichen Palast fragt.«

Der Sergeant schob langsam den Riegel zurück und öffnete, offenbar ohne recht zu verstehen.

Dann drehte er sich um und brach in ein schallendes Gelächter aus.

»Eine kleine Señorita,« rief er, »die um diese Zeit auf Besuch in den Palast kommt! Gott sei Dank, daß wir ihr etwas zeigen können, was der Mühe wert ist!«

Kaum seinen Augen trauend, sah der Großherzog die Tür weit geöffnet, ein Mann in Uniform wurde draußen sichtbar, und eine Dame trat über die Schwelle. Im nächsten Augenblick, als sie das Licht der Halle erreicht hatte, glaubte Don Ramon den Verstand zu verlieren.

Es war Madame Pelotard.

Sie trat in die Halle, langsam, verständnislos, und sah sich um. Alle starrten sie an.

Niemand bemerkte, daß Luis Hernandez stumm durch die Tür schlüpfte und in die Nacht hinaus verschwand.


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