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Drittes Kapitel,

worin der Leser einen Lunch mitmacht und einen Herrn aus Holland kennenlernt

Der Lunch wurde bei offenen Fenstern in dem alten Speisesaale eingenommen, dessen Möbel den Betrachter warnend daran erinnerten, daß alles einst ein Raub der Würmer werden wird. Auguste servierte stumm Joaquins vegetarische Horsd'oeuvres, und dann die leckeren, in Wasser und Wein gekochten Mittelmeermuscheln, die Don Ramons Entzücken waren.

Darauf folgten die Kaninchen, wovon Don Ramon seinem Finanzminister eine reichliche Portion vorlegte, doch verschmähte er sie auch für seine eigene Person nicht. Weder er noch Señor Paqueno schienen geneigt, das Gespräch aus dem Arbeitszimmer fortzusetzen. Der Großherzog aß schweigend, während Señor Paqueno seiner Portion wenig Ehre antat; er spielte mit den Brotkrumen auf dem Tischtuch und nahm nur pflichtschuldigst hie und da einen Bissen. Der Großherzog schenkte ihm seinen vortrefflichen Bordeaux ein – eine Erinnerung an die letzte Anleihe – und sagte:

»Nun aber, Paqueno, verlieren Sie doch nicht gleich den Mut. Die Spannung zu sehen, wie es geht, gibt doch einer solchen Seiltänzerexistenz wie der unseren den größten Reiz. Wir haben doch einen ganzen Monat vor uns! Natürlich wird es gut gehen. Minorca hat schon zweihundert Jahre kein Geld und hat sich immer fortgewurstelt. Warum sollte es gerade 1910 umschmeißen? Überdies verlasse ich mich auf unseren Schutzpatron, den heiligen Urban von Majorca, der unsere Familie noch nie im Stich gelassen hat. Nebenbei der einzige Einwohner von Majorca, von dem man das sagen kann, außer unserem Joaquin und seinem Onkel, der uns heute ein Kalb geschickt hat.«

Auguste erschien mit Käse und Feigen, die er auf den Tisch stellte, nachdem der Großherzog eine weitere Portion der Kaninchen abgelehnt hatte. Don Ramon widmete sich schweigend dem Käse, dem Bordeaux und den Feigen. Dann ließ er Kaffee kommen und zündete eine seiner ewigen Zigarren an. Die Hände hinter dem Kopf verschränkt, starrte er lässig auf das Mittelmeer, über dem die Möwen in ebenso launenhaften Kreisen schwebten, wie der Rauch seiner Zigarre in der leichten Zugluft des Fensters. Sein großes offenes Gesicht drückte nun wieder die gründlichste Zufriedenheit mit dem Dasein aus. Niemand, der ihn gesehen hätte, hätte ihn für das gehalten, was er war – absoluter Tyrann von Majorca und ein Mann, dem in einem Monat Ruin und Entehrung drohte. Señor Paqueno, der nach seinen Worten vorhin den aussichtslosen Versuch unternommen hatte, die Haltung seines Herrn nachzuahmen, betrachtete ihn mit stummer Bewunderung. Auguste kam mit dem Kaffeeservice und einer geschliffenen Karaffe, und nachdem Seine Hoheit sich von beiden bedient hatte, wendete er sich wieder Señor Paqueno zu.

»Der Magen ist der Mittelpunkt der Welt,« sagte er in philosophischem Ton. »Sehen Sie mich an, Paqueno, wie wahrhaft gut ich augenblicklich bin! Ich bin zu den edelsten und exzentrischesten Handlungen bereit – beispielsweise allen zu verzeihen, denen ich etwas schuldig bin, oder meinem Volk eine Konstitution zu geben. Das letztere verweigere ich ihnen nur, weil sie viel zu gut dafür sind. Unter meinem Zepter leben sie ruhig und zufrieden wie ihre Väter, und denken nur an das, was ihr Magen braucht. Bekämen sie eine Konstitution, so würden sie anfangen, an andere Dinge zu denken, die vollkommen unnötig sind. Darum werde ich es solange als möglich vermeiden, ihnen eine zu geben. Habe ich nicht recht, Paqueno?«

»Hoheit haben ganz recht. Der Parlamentarismus ist ganz im Widerspruch mit unserer Geschichte, und nach allen Sorgen, die Hoheits Familie an das Volk verschwendet hat, haben Sie es wahrhaftig verdient, es absolut zu regieren.«

»Wie Sie daherreden, Paqueno, meine Familie hat sich meistens ganz niederträchtig gegen das Volk benommen. Denken Sie nur an Luis X., der sie an Westindien verkauft hat. Ich halte am Absolutismus nicht mir zuliebe, sondern dem Volk zuliebe fest. Ich liebe es mit der Liebe, die aus langem Besitz folgt, tief, wenn auch nicht auf der Oberfläche. Ich will es glücklich sehen. Ich weiß, daß sie gegen die Steuern murren – nicht so sehr, aber doch immerhin. Aber ich weiß, daß es viel besser für sie ist, mir Steuern zu bezahlen, als eine Konstitution auf den Hals zu bekommen. Denn damit bekämen sie die Industrie auf den Hals, und dann erst wären sie wirklich unglücklich. Dafür habe ich auf meinen Reisen Beispiele genug gesehen. Jetzt leidet in Minorca niemand Not. Sie haben gerade genug ökonomische Schwierigkeiten, um dem Leben eine Würze zu geben, und ich bin der gekrönte Sündenbock, der alle Schuld des Volkes trägt, in Ihrer Gesellschaft, Paqueno. Aber ich tue es gern, denn ich liebe sie, Paqueno, namentlich nach dem Frühstück.«

Der Großherzog verstummte und betrachtete Señor Paqueno mit einem leisen Lächeln. Man sah es dem Gesicht des alten Finanzministers deutlich an, daß seine Gedanken meilenweit von Don Ramons Einfällen entfernt waren, und daß er dies mit seiner gewohnten Höflichkeit in jeder Weise zu verbergen bestrebt war.

»Paqueno,« sagte der Großherzog, »Sie sind zu liebenswürdig gegen Semjon Marcovitz. Er verdient es nicht, daß Sie sich soviel mit ihm beschäftigen. Denken Sie sich lieber jemanden aus, den wir noch schröpfen könnten, das ist entschieden eine bessere Verwendung für Ihre Seelenkräfte. Was würden Sie dazu sagen, irgendein altes Edikt herauszusuchen und Herrn Bekker, der nun schon über einen Monat hier wohnt, eine Blutsteuer aufzuerlegen? Don Jeronimo ließ gewiß alle Ausländer fünfzig Prozent ihres Vermögens bezahlen, als er den Krieg gegen die Ungläubigen begann. Vielleicht gibt es noch andere Präjudikate.«

Señor Paqueno schüttelte mißmutig den Kopf, aber ehe er noch antworten konnte, öffnete sich die Tür und Auguste kam herein. Der Schatten eines diskreten Lächelns lag um seine Domestikenmundwinkel.

»Draußen ist ein Mann,« sagte er, »der um eine Audienz bei Eurer Hoheit bittet.«

»Ein Mann, Auguste? Was für ein Mann? Sie meinen, ein Herr?«

»Nein, ein Mann, Hoheit.« Augustes Tonfall war unbeschreiblich. »Er hat keine Visitenkarte. Aber er sagt, er heißt Bekker aus Holland.«

Der Großherzog sprang auf und starrte Auguste an.

»Bekker aus Holland! Ja, wenn man den Teufel nennt ... Hören Sie, Paqueno, Bekker will Audienz bei mir haben – das Lamm sucht den Löwen auf!«

Das Gesicht des alten Finanzministers drückte reines, unverhohlenes Staunen aus. Es kam wahrlich nicht jeden Tag vor, daß man eine Audienz beim Großherzog von Minorca wünschte – und wenn, dann war es höchstens ein allzu hart geprüfter Gläubiger. Dieser Bekker ... der für reich galt ...

»Was kann er von Eurer Hoheit wollen?« stammelte er.

»Uns photographieren, vermute ich. Sie sagten doch, das sei seine Branche. Aber daraus wird nichts. Da hätten die Zeitungen ein zu gutes Signalement, wenn wir in einem Monat verduften.«

Señor Paqueno zuckte zusammen.

»Lassen Sie den Menschen herein, Auguste,« sagte der Großherzog lachend. »Sagen Sie ihm, Seine Hoheit erteilt heute im Speisesaal Audienz, da es Sonnabend ist.«

Auguste eilte in den Vorraum zurück, und eine halbe Minute später introduzierte er Herrn Theodor Bekker in den Speisesaal des Großherzogs und in diese Geschichte.

Herrn Theodor Bekkers Laufbahn ist zu nicht unbeträchtlichem Teile in Dunkel gehüllt. Was man nach den Ereignissen in Minorca 1910 über ihn erforschen konnte, ist nicht viel, aber wir teilen hier das mit, was einigermaßen festzustehen scheint.

Herr Bekker scheint 1876 in Amsterdam geboren zu sein. Wenigstens ist im Juli des besagten Jahres ein Adolf Theodor Bekker im Kirchenbuch verzeichnet. Jener Herr Bekker, der eine Hauptrolle in den Ereignissen in Minorca spielte, trug allerdings nur den Namen Theodor, aber da es bekannt ist, daß er mehreremal seinen Zunamen geändert hat, dürfte es ihm nicht allzu große Überwindung gekostet haben, eine Verkürzung des Taufnamens vorzunehmen.

Dieser betreffende Adolf Theodor Bekker erhielt die Erziehung, die Knaben seiner Klasse gewöhnlich zuteil wird – der Vater war ein kleiner Schneider –, er machte die Volksschule und eine Unterrealschule durch. Dann wurde er (vermutlich infolge der schlechten ökonomischen Lage der Familie) aus der Schule genommen und als Laboratoriumsvolontär zu der großen chemischen Firma Grootmann & Cie. gegeben. In den Lokalen dieser Firma verfloß Herrn Bekkers Leben bis zu seinem dreiundzwanzigsten Jahre hinter dem Buchstaben S, der sich in einem gigantischen Bogen über das Fenster schlang, an dem er arbeitete. Durch die untere Schlinge dieses Buchstabens hatte er die Aussicht über eine enge schmutzige Gasse, von einer unbarmherzigen Sommersonne gebraten oder von Regenwasser triefend, das von den Abfällen aus Grootmanns Arbeitslokal blau gefärbt wurde. Hinter dem Fenster beschäftigte sich Herr Bekker mit einfacheren Kontrollanalysen, während seine Nase beständig von dem scharfen Gestank der Chemikalien erfüllt war, und seine Augen, die sehnsüchtig durch den Buchstaben S hinausstarrten, so allmählich alles in S-förmiger und krummer Weise zu sehen begannen. Vermutlich infolge davon verließ er 1899 Grootmann & Cie. und erhielt eine Anstellung bei einer neu gestarteten Gruben- und Bergwerksfirma Altenhuus & Meyers. Bei dieser fungierte er (nach dem Eingeständnis der Chefs beim Polizeiverhör) als Experte für Grubenanalysen, denn Altenhuus & Meyers beschäftigten sich vorzugsweise mit Grubenspekulationen. Auf jeden Fall scheint Herr Bekker zur Zufriedenheit der Firma gearbeitet zu haben, denn er blieb die ganze Zeit ihres Bestandes, ein volles Jahr, in ihren Diensten. Dann, gerade als die Polizei eine Kontrollanalyse von Altenhuus & Meyers' Geschäften vornehmen wollte, kam Adolf Theodor Bekker sowohl ihr wie seinen Chefs zuvor, indem er an einem schönen Samstagabend die Kassenschranktür mit Säure analysierte und stumm aus Amsterdam verschwand. Die Herren Altenhuus & Meyers, die erst am nächstfolgenden Sonnabend ihr Heimatland zu verlassen beabsichtigt hatten, wurden durch sein Vorgehen gezwungen, sich überstürzt und beinahe ohne Kasse auf den Weg zu machen. Die Flüche, die ihre Klienten ihnen in der nächsten Zeit nachsandten, wurden von den beiden verarmten Schwindlern getreulich für Herrn Bekkers Rechnung repetiert. Die Polizei, der es bald gelang, sie zu fassen, spähte hingegen vergeblich nach Adolf Theodor Bekker aus. Erst viel später gelangte man zu dem Schlusse, daß er seine Schritte nach Mexiko und Nicaragua gelenkt hatte, sicherlich in der Absicht, die wunderbar ergiebigen Gruben zu inspizieren, die Altenhuus & Meyers in Holland propagieren wollten. Wie es damit weiter ging, ist jedoch unbekannt und ebenso unbekannt sind Herrn Bekkers weitere Schicksale in der Neuen Welt. Seine Gewohnheit, den Namen stets zugleich mit dem Aufenthaltsort zu ändern, machte es äußerst schwer, ihm zu folgen. Im Oktober 1909 finden wir ihn jedoch unter dem Namen Abraham Schildknecht als Passagier erster Klasse auf der »Franconia« wieder. Herr Schildknecht, der sich hauptsächlich durch seine Zurückhaltung in Trinkgeldern und sein unerhebliches Gepäck auszeichnete, verließ den Dampfer rasch in Cherbourg, zur großen Enttäuschung einiger Herren, die ihn in Southampton erwarten zu können glaubten. Unter dem schon lange nicht getragenen Namen Bekker, aber ohne einen lange getragenen Vollbart, beeilte sich der schneidige Grubenspekulant, von Cherbourg aus neue Himmelsstriche aufzusuchen.

So waren Herrn Bekkers Antezedentien. Was seine Eigenschaften betrifft, so wird Herr Bekker von Personen, die ihn gekannt haben, als nicht unbegabt geschildert, ziemlich rücksichtslos und überaus hartnäckig. Im Hinblick auf das Leben, das er nach der Entweichung von Altenhuus & Meyers in Amerika geführt haben dürfte, paßt diese Beschreibung nicht schlecht auf den Herrn Theodor Bekker, der 1910 in Minorca auftauchte. Seine Rücksichtslosigkeit und Hartnäckigkeit sind über jeden Zweifel erhaben, und man muß ihm auch eine gewisse Schlauheit, wenn auch nicht gerade Begabung zugestehen. Nur wenn diese Schlauheit in Konflikt mit seiner Rücksichtslosigkeit kam, beging er solche faux pas wie bei der Audienz bei Don Ramon, von der wir jetzt sprechen wollen.

Herrn Bekkers Aussehen verleugnete sein Leben und seinen Charakter nicht, als er an Auguste vorbei in den Speisesaal des Großherzogs trat. Das scharfe Sonnenlicht blendete ihn zuerst nach dem Dunkel der Vorhalle, er blinzelte eine Weile, um seine Augen der neuen Beleuchtung anzupassen, und in kleinen Zwischenräumen zuckte es spasmodisch um seine Mundwinkel. Es sah aus, als ob der Mund nicht ganz unter seiner Kontrolle stünde. Sein Kopf hatte eine gewisse grobzügige Energie; man hätte ihn nie schön nennen können, aber er wurde noch dadurch entstellt, daß er das Haar millimeterkurz geschoren trug. Die Augenbrauen waren dicht, beinahe borstig, aber so blond, daß sie kaum sichtbar wurden. Unter den Augen hatte er zwei aufgeschwollene Säcke, die von einem ausschweifenden Leben sprachen. Er trug Augengläser ohne Fassung. Im übrigen war er in einen abgetragenen Bonjour gekleidet, graue Beinkleider und dazu gelbe Schnürschuhe. Seine Gestalt, die untersetzt war, zeigte Anlage zur Korpulenz, und die Hände, die von etlichen Ringen geschmückt wurden, waren klein und dick.

Auguste, der Herrn Bekkers Namen mit ironischer Betonung hinausgeschleudert hatte, zog sich mit einem letzten Blick auf ihn zurück. Herr Bekker verbeugte sich blinzelnd vor dem Großherzog. Don Ramon winkte nonchalant mit der Zigarre als Erwiderung.

»Sie haben um eine Audienz gebeten?« sagte er. – »Das ist mein Freund, Señor Paqueno.«

Señor Paqueno, der sich bei Herrn Bekkers Eintritt erhoben hatte, verbeugte sich artig, und Herr Bekker quittierte seinen Gruß mit einem leichten Nicken, das dem alten Finanzminister die Röte in die Wangen trieb. Don Ramon lächelte. Diese Spezies Europäer waren ihm neu. Was konnte der Mann auf dem Herzen haben? Es war klar, daß er dem Großherzog gegenüber sein Gesicht so artig und vertrauenerweckend als möglich zu gestalten suchte, aber wenn Don Ramon recht las – und obgleich absoluter Fürst, war Don Ramon doch kein schlechter Psychologe –, war sein untertäniges Lächeln eine sehr lose Maske. Stirn und Mund sprachen von Brutalität, und die knappe Art, wie er Señor Paquenos Gruß quittiert hatte, bestätigte dies.

Er war offenbar zu sehr von seinem Anliegen an den Großherzog ausgefüllt, um für irgendeinen anderen Zeit zu haben. Die Natur dieses Anliegens? Don Ramon brauchte kaum die Linien um Herrn Bekkers Augen und Mundwinkel anzusehen, um sie zu ahnen; sie sagten so deutlich als nur möglich: Geschäft. Ein Geschäft mit dem Großherzog von Minorca! Es kam nicht oft vor, daß man eines machen wollte – aber wenn es geschah, so war es ziemlich sicher ein schlechtes Geschäft, bei dem besagter Herzog prädestiniert war zu verlieren. Mit einem inneren Lächeln beschloß Don Ramon, Herrn Bekker das Spiel so schwer als möglich zu machen.

Während der kurzen Sekunden, die der Großherzog diesen Gedanken gewidmet hatte, hatte Herr Bekker den Saal mit ein paar raschen Seitenblicken gemustert; es war ergötzlich zu sehen, wie er sich bemühte, die Gefühle zu verbergen, die die wurmstichige Einrichtung in ihm erregte. Don Ramon biß sich auf die Lippen, um nicht über sein Mienenspiel und die Blicke, mit denen Señor Paqueno es verfolgt hatte, laut aufzulachen. Nun tat Herr Bekker zum ersten Male den Mund auf. Er schien in Verlegenheit zu sein, wie er beginnen sollte.

»Ich habe um eine Audienz gebeten, um ... um Eurer Hoheit meine Huldigung darzubringen ... ich bin jetzt einige Zeit in Minorca ... und da fand ich es passend ...«

Sein Spanisch war ganz korrekt, aber er sprach mit einem dicken Nebenton, dabei war es deutlich merkbar, daß er seine Stimme ebenso untertänig zu machen suchte, wie sein Gesicht.

»Ah,« sagte Don Ramon artig, »Sie sind zu liebenswürdig, Herr Bekker. Es kommt nicht oft vor, daß Fremde sich nach Minorca verirren, und noch seltener, daß sie so taktvoll sind wie Sie.«

Herr Bekker lächelte zustimmend und sah sich rasch um. Es war klar, daß er auf die Aufforderung wartete, sich zu setzen. Da sie jedoch ausblieb, ergriff er selbst einen der alten Mahagonistühle, die um den Speisetisch standen, und ließ sich nieder. Der alte Señor Paqueno wurde blutrot – bis in die tiefste Misere hatte er den alten Hofton bewahrt. Santiago di Coruña! Dieser Kerl setzte sich mir nichts dir nichts, wo er doch selbst stehengeblieben war, um daran zu erinnern, was die Etikette verlangte. Er war schon im Begriff etwas zu sagen, als Don Ramon ihn mit einer Handbewegung zurückhielt. In seinen Augenwinkeln war ein lustiges Funkeln. Herr Bekker machte ihm offenbar Spaß.

»Paqueno,« sagte er, »setzen Sie sich doch um Gottes willen!«

Herr Bekker, der ein Bein über das andere geschlagen hatte, ergriff wieder das Wort:

»Ich bin sehr zufrieden mit meinem Aufenthalt in Minorca,« sagte er. »Eine reizende Insel – ungewöhnlich schöne Lage. Ich bewundere sie sehr. Und das Klima ...«

»Das freut mich wirklich,« sagte Don Ramon mit seinem herzlichsten Tonfall. »Menschen, die die Natur lieben, sind nie ganz schlechte Menschen. Und wie Sie bemerkt haben werden, Herr Bekker, ist die Natur so ziemlich das einzige, was wir hier in Minorca haben!« –

»Ja, ja, mit dem Rest soll es ja windig aussehen.« Herr Bekker lächelte bedauernd.

Señor Paqueno zuckte zusammen, als hätte er eine Ohrfeige bekommen. Madre de Dios! Eine solche Unverschämtheit! Das war unerhört, unglaublich! Wie konnte Don Ramon so etwas dulden? Hatte er denn nicht gehört? Wagte dieser hergelaufene Kerl nicht, ihnen ihr Unglück ins Gesicht zu schleudern. Er starrte seinen Herrn an, der wieder eine kleine Handbewegung machte, um ihn zu beruhigen. Don Ramons Gesicht war freundlicher denn je.

»Sie sympathisieren mit uns, Herr Bekker? Das ist zu liebenswürdig. Darauf wollen wir trinken,« sagte er, und ohne eine Antwort abzuwarten, schenkte er einen großen Becher voll Kognak. Herr Bekker sah unschlüssig aus. Aber als der Großherzog sein Spitzglas hob, um ihm zuzutrinken, hob er das seine und leerte es. Don Ramon rückte seinen Sessel so, daß er dem Fenster den Rücken kehrte.

»Sie kommen aus Holland, Herr Bekker?«

Es war klar, daß Herr Bekker sich nach dem Kognak fester im Sattel fühlte. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück, und sein Lächeln war weder so konstant noch so devot.

»Nein, aus Mex... aus Amerika,« sagte er. »Ich bin lange drüben gewesen – mal da, mal dort – und habe in allerlei ›gemacht‹. Häuser, Gruben, Aktien. Nichts zu verachten, wobei man Geld verdienen kann. Nicht wahr?«

Herr Bekker lachte herzlich über seine eigenen Worte.

»Und Sie haben bei allerlei Geld verdient, nicht wahr, Herr Bekker?«

Der Großherzog beeilte sich, seinen ironischen Tonfall zu kaschieren, indem er einen neuen Kognak einschenkte, den Herr Bekker schweigend genehmigte. Der Kognak des Großherzogs war so wie sein Wein ein Andenken an die letzte Anleihe, und ebensogut als seine Finanzen schlecht. Er war dafür bekannt, ungeheure Quantitäten Alkohol zu vertragen, wenn es darauf ankam, aber Señor Paqueno, der ihn noch nie mehr als ein Spitzglas nach dem Lunch hatte trinken sehen, betrachtete seinen Herrn mit Staunen, ja mit etwas, das beinahe wie ein Vorwurf aussah. Wie konnte der Großherzog einen solchen Menschen dulden, und wie konnte er sich herablassen, mit ihm zu zechen?

Herr Bekker lächelte bei der Frage des Großherzogs geheimnisvoll.

»Mein Gott,« sagte er. »Ich habe ja mein Auskommen. Schlecht ist es mir nicht gegangen. Man muß doch für sein Alter sorgen, nicht? Schwere Zeiten heutzutage.«

Sein Blick, der womöglich noch offenherziger war als sein Tonfall, überflog wieder den wurmstichigen Prunk des Saales, während er an seinem Glase nippte. Der Großherzog erhob das seine, um ihm zuzutrinken.

»Sie haben leider nur zu recht, Herr Bekker. Und von hier reisen Sie wieder in Ihre Heimat zurück?«

Herr Bekker leerte rasch sein Glas.

»Nun,« sagte er, »das kommt darauf an. Ich weiß noch nicht. Was soll man daheim anfangen? Ich habe mir ja eine Kleinigkeit zurückgelegt und kann mir schon etwas leisten. Und hier in Minorca habe ich etwas gefunden, das ich vielleicht Lust hätte, mir beizubiegen.«

»Ja, was denn, um Himmels willen?« sagte der Großherzog ganz ernst. – »Das Klima ist nicht verkäuflich, Herr Bekker.«

Herr Bekker lachte geräuschvoll. Er hatte jetzt seine anfängliche kriecherische Artigkeit ganz abgestreift, und eine leichte Röte auf seinen Wangen schien anzudeuten, daß der Kognak seine Wirkung getan hatte.

»Nein, und das übrige ist verpfändet, meinen Sie? Haha! Ich weiß schon. Ich habe meine kleinen Untersuchungen angestellt, für den Fall, daß ich hier ein Geschäft abschließen sollte. Man muß immer wissen, wie es mit den Leuten steht, bevor man ein Geschäft mit ihnen macht.«

Der Großherzog errötete. Dieser Herr Bekker war ein böser Fall. Zum dritten Male winkte er Señor Paqueno ab, der bereit schien, den Gast für ihn zu ermorden. Wenn dieser die Wirkung merkte, die seine Worte hatten, was zweifelhaft ist, so zeigte er jedenfalls keinerlei Besorgnis darüber, sondern fuhr in demselben ungenierten Ton fort:

»Ich weiß ja auch, daß aller Grund und Boden hier der Regierung gehört.«

»Und die Regierung, das bin ich,« schaltete der Großherzog trocken ein.

»Nun ja, so daß, wenn man etwas kaufen will, man sich hierher wenden muß, alleiniger Chef der Firma, was? Darum bin ich ja gekommen. Ich war dieser Tage in Punta Hermosa, sehr schöne Natur, feine Lage, und habe mir das alte Schloß da angesehen.«

»Don Jeronimo des Glücklichen altes Schloß,« murmelte der Großherzog zwischen den Zähnen. »Nun, Herr Bekker?«

»Was kostet es?«

Der Großherzog betrachtete Herrn Bekker einen Augenblick mit so nachdenklicher Miene, daß dieser Herr geniert auf dem Stuhle hin und her zu wetzen begann; es sah aus, als überlegte Don Ramon, ob er Herrn Bekker lieber auf der Stelle erschießen oder ihn nur zur Tür hinauswerfen sollte. Nach einer Minute sagte er jedoch ganz ruhig:

»Sie haben sich ja nach uns erkundigt, Herr Bekker. Haben Sie da nicht auch eine gewisse Eigentümlichkeit in bezug auf das Schloß Punta Hermosa entdeckt?«

»Für Antiquitäten und historische Sachen habe ich mich nun nie interessiert,« sagte Herr Bekker gleichgültig. »Mir gefällt der Blick, und ich bin in der Lage, das Ding zu kaufen.«

»Das bezweifle ich,« sagte der Großherzog trocken. »Wenn Sie es nicht selbst herausgefunden haben, kann ich Ihnen sagen, worin die Eigentümlichkeit des Schlosses Punta Hermosa besteht. Sie ist eigentlich zweifacher Art. Punta Hermosa ist einerseits frei von allen Hypotheken und gehört andererseits nicht mir. Es ist das einzige Stück Erde in Minorca, das frei von Hypotheken ist und das einzige, das nicht mir gehört – Ursache und Wirkung, könnte man sagen.«

»Verflucht nochmal,« sagte Herr Bekker, »da haben Sie recht. Das Schloß ist ganz hypothekenfrei. Aber wenn es nicht Ihnen gehört, wem gehört es denn dann?«

»Es hat mir gehört, aber ich habe es einem Freunde geschenkt – habe mir Freunde gemacht, mit dem ungerechten Mammon, wie die Schrift sagt. – Ich habe es ihm geschenkt, damit er in meinen Diensten bleibt.«

»Ich verstehe,« sagte Herr Bekker mit einem Schmunzeln.

»Nein, Sie verstehen nicht, Herr Bekker. Mein Freund wäre sonst nicht in meinen Diensten geblieben, weil ich es nicht hätte zulassen können, daß er seine Zeit in so undankbarer Weise vergeudet. Das Schloß Punta Hermosa gehört Señor Paqueno hier.«

Herr Bekker drehte sich rasch zu Señor Esteban um und betrachtete ihn mit plötzlich erwachtem Interesse.

»So,« sagte er. »Und was sagen Sie zu meinem Vorschlag? Wollen Sie das Ding verkaufen? Wieviel wollen Sie dafür haben?«

All die Empörung, die sich langsam in dem alten Señor Esteban angesammelt und die er bisher aus Rücksicht für seinen Herrn unterdrückt hatte, nahm mit einem Male freien Lauf. Er sprang von seinem Sitz auf, und indem er Herrn Bekker mit dem lebhaftesten Abscheu betrachtete, rief er mit heiserer Stimme:

»Was ich sage? – Ob ich will? – Was ich will? ... Señor, wie können Sie es wagen herzukommen und uns mit Ihren Anerbietungen zu beleidigen? Verkaufen? Nie im Leben – und Ihnen! Lieber will ich Punta Hermosa verbrennen sehen ...«

Er verstummte bei einer plötzlichen Handbewegung von Don Ramon, der wartete, bis er sich zu beruhigen schien, um dann zu Herrn Bekker zu sagen:

»Señor Paqueno ist etwas ungewohnt an derartige Geschäfte, Herr Bekker. Er hat sich meist mit schlechteren befaßt – er ist nämlich mein Finanzminister. Auf jeden Fall wissen Sie jetzt, daß das Schloß nicht zu verkaufen ist.«

»Ich gedachte 100 000 zu bieten,« sagte Herr Bekker ruhig. »Aber ich könnte auch bis zu 125 000 gehen. Nun, was sagt man dazu?«

Er ließ den Blick von Señor Paqueno zum Großherzog wandern, um die Wirkung seiner Worte zu beobachten. Das Gesicht des Finanzministers war noch immer voll unterdrückten Abscheus, das des Großherzogs ebenso ruhig und beherrscht wie zuvor, als er sagte:

»Ich bedaure, Herr Bekker, daß wir diese Konferenz abschließen müssen. Es war sehr liebenswürdig von Ihnen, daß Sie uns aufgesucht haben und obendrein unsere schlechte Lage verbessern wollen. Aber Sie vergeuden Ihre Zeit, und, verzeihen Sie mir, auch meine! Sie sind business-man, und wenn auch mein Beruf nicht allzuviel Arbeit mit sich bringt, so habe ich doch auf jeden Fall allerlei zu tun.«

Er erhob sich, um Herrn Bekker zu verstehen zu geben, daß die Audienz beendet war; aber ohne sich daran zu kehren, rief der unermüdliche Geschäftsmann:

»Nun also, 150 000, in Jesu Namen! Bedenken Sie, 150 000! 150 – sagen wir also 175 000! 175 000! Machen Sie sich nur klar, was das für Sie bedeutet! Ich sage Ihnen, machen Sie es wie Castro, nehmen Sie meine 175 000 und was Sie sonst noch aufbringen können, reisen Sie von hier fort und ...«

»Und fangen Sie ein neues Leben an, meinen Sie, Herr Bekker,« sagte der Großherzog trocken. »Danke! Wäre der Rat von einem anderen als von Ihnen gekommen, ich wäre handgreiflich geworden. Nun bitte ich Sie aber, sich zu entfernen und uns nicht weiter zu belästigen.«

Er legte eine eisenharte Hand auf die rundliche Schulter Herrn Bekkers und schob ihn ruhig aber bestimmt der Tür zu, während sechsziffrige Zahlen über Herrn Bekkers Lippen zu strömen begannen, immer höhere und höhere, je näher sie der Schwelle kamen. Als sie diese erreicht hatten, war Herr Bekker schon in den 300 000, und der Großherzog drehte sich um, denn jemand hatte ihn am Rockärmel gezupft. Es war der alte Señor Esteban, der die wildesten Grimassen schnitt und mit den Lippen unaufhörlich dasselbe Wort formte: »300 000 – Semjon Marcovitz – Hoheit, verkaufen!« Don Ramon zuckte zusammen. Während des Gespräches mit Herrn Bekker hatte er das drohende Damoklesschwert vergessen, an das Señor Esteban ihn nun erinnerte. Jetzt stand die Lage ihm wieder klar vor Augen, und einen Moment zögerte er. Señor Paqueno hatte ja recht – 300 000, das war genug, um Semjon Marcovitz zu bezahlen und wieder ein unantastbarer Mensch zu sein, 300 000 – und dieser Herr Bekker bot 300 000 für Punta Hermosa ... Wenn er zugriffe ... Es würde schwer sein, das Geld in anderer Weise aufzubringen, vielleicht unmöglich. Eine halbe Minute lang zögerte er, die Hand auf Herrn Bekkers Schulter, während dieser Herr ihn unter gespanntem erwartungsvollen Schweigen betrachtete. Seine Augen blinzelten unter den ungefaßten Augengläsern, und es zuckte unaufhörlich um seine Mundwinkel. Plötzlich huschte ein Lächeln über das Gesicht des Großherzogs, er zog Herrn Bekker in das Zimmer zurück und winkte ihm, Platz zu nehmen. Der alte Señor Esteban stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und versank schwer in einem Fauteuil.

Einige Augenblicke lang war es still in dem Raum, der Großherzog fixierte gedankenvoll Herrn Bekker. Dann sagte er:

»Herr Bekker, wissen Sie, was Punta Hermosa für mich und Señor Paqueno bedeutet? Es ist besser, wenn Sie es wissen, damit wir miteinander ins klare kommen. Das Schloß dort – Don Jeronimo des Glücklichen Schloß – und die umliegenden Gründe sind unser Zufluchtsort, Herr Bekker, ein Notausgang aus der Höhle für zwei arme hartverfolgte Füchse. Sie kennen unsere Lage, sagen Sie, und wissen also, daß wir jeden Augenblick de jure Staatsbankerott machen können, wie mein Freund Paqueno sagt, de facto ist es schon längst geschehen. Als ich die Regierung antrat (Herr Bekker kicherte unwillkürlich bei dem Worte Regierung aus diesem ruinierten Munde), war das Schloß Punta Hermosa als Sicherheit für ein Darlehen bei Apelmann in Barcelona verpfändet.«

»Apelmann y Hijos,« warf Herr Bekker ein. »Ich weiß.«

»Nein, beim alten Apelmann – er hatte damals seine Hijos noch nicht in der Firma,« fuhr der Großherzog fort. »Die Firma ist unser größter Gläubiger.«

»Nebst Domingo Huelvas in Madrid und Viviani in Marseille,« fügte Herr Bekker trocken hinzu.

»Ich sehe, Sie sind wirklich gut unterrichtet. Nun, schön – wir brachten also die 60 000 auf, die notwendig waren, um Punta Hermosa von Apelmann zu befreien, es war mit 40 000 belehnt, das übrige waren Zinsen und Verwaltungskosten aus meines Vaters Zeit. Dann schenkte ich es Señor Paqueno hier zum Erb- und Eigentum. Werden wir nun zu Staatsbankerott, Abdizierung usw. gezwungen, so haben wir immer noch Punta Hermosa, wohin wir uns zurückziehen können, Herr Bekker. Und ebenso, wenn wir es müde werden, das Geschäft weiterzuführen, was merkwürdigerweise noch nicht eingetreten ist.«

Herr Bekker lachte schlau.

»Ich verstehe den Kniff,« sagte er. »Scheinabtretung und schädigendes Verfahren gegen Gläubiger – derlei strafen wir bei uns zulande sehr streng.«

»Sie irren. Von Scheinabtretung und schädigendem Verfahren könnte nur die Rede sein, wenn ich dies in letzter Minute getan hätte, um meine Gläubiger zu betrügen. Aber ich habe es vor fünfzehn Jahren getan – und meine Gläubiger sind von besonderer Sorte, wie Sie gehört haben. Und schließlich und endlich haben wir Großherzoge von Minorca schon vorher einen schlechten Ruf gehabt.«

Der Großherzog reichte über den Tisch hinweg Señor Paqueno die Hand, die dieser gerührt küßte. Mit bedeutend gesteigerter Achtung betrachtete ihn Herr Bekker aus Holland, als er sagte:

»Nun, worauf wollen Sie also hinaus?«

»Sie wissen jetzt, Herr Bekker, was Punta Hermosa für uns beide wert ist; wissen Sie aber auch, was es im übrigen wert ist? Ich ließ es nach dem Freikauf von Apelmann unparteiisch schätzen. Der höchste Wert, den man ihm gab, war 125 000 Pesetas. Das ist jetzt fünfzehn Jahre her. Sagen wir also 150 000, des Münzkurses wegen. Nun gut, Herr Bekker, und Sie, ein smarter Geschäftsmann aus Amerika, bieten 300 000?«

Herr Bekker, der ohne um Erlaubnis zu fragen, eine Zigarre angezündet hatte, legte sie rasch weg.

»300 000,« sagte er, »ja, aber man muß doch zugeben, daß ich vollkommen überrumpelt worden bin – Sie haben ja förmlich Gewalt angewendet, ich bot doch zuerst nur 100 000 ... ich ...«

Der Großherzog erhob sich. Der Schatten eines Lächelns lag um seine Mundwinkel.

»Sie nehmen also zurück, Herr Bekker,« sagte er. »Das habe ich mir gedacht. Sie sind ein unbedachter Mensch, und wahrscheinlich meinen Sie ebensowenig 100 000 wie 300 000. Sie haben vermutlich überhaupt nicht die Absicht, den Besitz zu kaufen. Sie wollten sich mal auf unsere Kosten amüsieren. Ich bedaure, daß ich Sie auch nur einen Augenblick ernst genommen habe, und ich wünsche Ihnen einen guten Morgen.«

Er machte ein paar Schritte auf die Tür zu, wie um Herrn Bekker hinzubegleiten. In die Züge dieses Herrn trat ein jäher Ausdruck des Schreckens.

»Hoheit,« sagte er hastig, »Sie mißverstehen mich völlig. Wenn ich scherzte, so war es jetzt, als ich von Übereilung und Gewalt sprach. Es ist ja möglich, daß das Ding nicht mehr als 150 000 wert ist, wie Sie sagen, aber zum Teufel, ich habe nun mal ein faible dafür, scharmante Lage, für mich ist es 300 000 wert. Ich bin reich, und ein paar Lappen mehr oder weniger ... ich stehe zu meinem Wort.«

Er betrachtete den Großherzog mit einem Ausdruck gespannter Erwartung. Dessen Gesicht war undurchdringlich, als er erwiderte:

»Verzeihen Sie mir, Herr Bekker. Ich sehe ein, daß Sie ein ernster Geschäftsmann sind und daß es ja möglich ist, daß Punta Hermosa für Sie 300 000 wert ist. Ich bin sogar davon überzeugt, und nehme also Ihr Anerbieten in dem Geiste auf, in dem es gemacht wurde ... (es zuckte unwillkürlich um Herrn Bekkers Lippen), aber es gibt ein ›aber‹. Aus den Gründen, die ich Ihnen eben auseinandersetzte, ist das Schloß für Señor Paqueno und mich viel mehr wert als 300 000. Sollten wir es verkaufen, so wäre der niedrigste Preis, hören Sie wohl, der niedrigste, nicht 300, sondern eine halbe Million.«

Aus Señor Paquenos Brust erhob sich ein schwerer Seufzer der Verzweiflung. Schon hatte er sich frei von Semjon Marcovitz und dem Ruin, der von ihm drohte, gesehen, und er war darüber so glücklich gewesen, daß er kaum zuhörte, was Don Ramon sagte, sondern nur darauf wartete, daß er das unbegreiflich freigebige Angebot des verfluchten Kerls annahm. Was schadete es, wenn sie ohne Zufluchtsort dastanden? Sie hatten ja immer das Kloster in Barcelona – und nun verdarb seine Hoheit alles, indem er den Bogen zu straff spannte. Natürlich würde diese unerhörte Forderung den Mann zu einem glatten Nein reizen. Eine halbe Million – schon der bloße Gedanke war lächerlich. Er betrachtete vorwurfsvoll seinen Herrn, dessen Gesicht hart und unerforschlich war wie eine Eisenmaske. Dann wandte er seine Blicke Herrn Bekker zu, um seine düsteren Ahnungen bestätigt zu finden ... und zuckte vor Staunen zusammen.

Die Züge des Mannes waren eine Studie der menschlichen Leidenschaften. Seine kleinen, blinzelnden Äuglein hingen wie verhext an Don Ramons kaltem Gesicht, seine dicken Finger zerknüllten das Tuch unter dem Tisch, und es zuckte unaufhörlich um seine Mundwinkel, bald aus Enttäuschtheit und Wut, bald aus Unschlüssigkeit, bald aus augenblicklich aufflammender Energie. Eine Minute sah es aus, als wollte er mit einem kalten Hohnlachen über die Unverschämtheit des Großherzogs aufspringen; in der nächsten schien er anderen Sinnes geworden zu sein und auf halbem Wege, ja zu sagen, um wieder unschlüssig zu werden und den Großherzog in enttäuschter Wut anzustarren. Señor Paqueno traute seinen Augen nicht. Er zögerte, er hatte noch nicht nein gesagt.

Plötzlich machte der Großherzog eine kleine Bewegung, wie um sich zu erheben, und zog die Augenbrauen in die Höhe, als wollte er sagen: Ich wußte ja, der Preis wird Ihnen zu hoch sein. Im selben Augenblick erstarrte Herrn Bekkers Antlitz zu einer Maske der Entschlossenheit. Er räusperte sich und sagte mit schlecht gespielter Überlegenheit:

»Na wahrhaftig, mit Ihnen ist nicht gut Kirschen essen! Eine halbe Million, das ist keine Kleinigkeit. Mir scheint, Sie glauben, Sie müssen den ersten ehrlichen Spekulanten, mit dem Sie es seit langer Zeit zu tun haben, tüchtig aussackeln? Haha, es ist Ihr Glück, daß Sie da auf einen so gutmütigen Menschen stoßen wie mich. Der Preis ist lächerlich, absurd, mein Lieber, kein anderer würde eine Minute daran denken, ihn zu bezahlen, aber wahrhaftiger Gott, ich werde mir die Sache überlegen. Ja, Sie glauben mir wohl nicht. Aber hol' mich der Teufel; ich gebe Ihnen Ihre halbe Million für das Schloß. Was sagen Sie jetzt dazu, was? Das heißt sich ordentlich in Ihre Insel vergaffen, wie?«

Señor Paqueno hörte nicht mehr zu, er sank keuchend in seinen Fauteuil zurück: Madre de Dios, die Zeit der Wunder war also noch nicht vorbei! Eine halbe Million – eine halbe Million, Semjon Marcovitz bezahlt und das Großherzogtum mit 200 000 Bargeld! Im nächsten Augenblick fuhr er in die Höhe.

Der Großherzog hatte sich zurückgeworfen und schüttelte sich vor Lachen. Der Boden zitterte förmlich unter seinem schweren Körper. Herr Bekker, der plötzlich verstummt war, starrte ihn voll Entsetzen an, offenbar überzeugt, daß er einen Wahnsinnigen vor sich hatte – einen Menschen, der vor lauter Freude überschnappt war. Er schien schon im Begriffe, sein übereiltes Versprechen rasch zurückzunehmen, aber ehe er noch etwas sagen konnte, hörte der Großherzog zu lachen auf, und indem er sich an den freigebigen Käufer wendete, sagte er ganz ernst:

»Herr Bekker, Herr Bekker, warum haben Sie sich Ihren Bart und Ihren Schnurrbart abnehmen lassen?«

Herr Bekker wurde vor Wut feuerrot. Er sprang auf und brüllte zornig:

»Was kümmert das Sie? Tausend Teufel, ich frage, was kümmert das Sie?«

Der Großherzog betrachtete ihn ernst.

»Aber, Herr Bekker, nur keine Erregung! Ich frage ja nur aus Interesse für Sie. Sie haben eine kapitale Dummheit als Geschäftsmann gemacht, als Sie sich so glatt rasieren ließen. Es ist möglich – ich bin nicht neugierig – es ist möglich, daß Sie Ihre Vergangenheit dadurch zu verbergen suchen – aber dafür enthüllen Sie Ihr Inneres allzusehr. Nach dem, was ich von Ihren Lippen gesehen, nicht, was ich von ihnen gehört habe, erkläre ich, daß für Sie weder eine halbe noch eine ganze Million hinreicht, um Punta Hermosa zu kaufen. Nur reinen Wein, Herr Bekker! Hier steckt etwas dahinter. Es ist sonnenklar, daß Punta Hermosa einen Wert für Sie besitzt, der nichts mit der Lage zu tun hat. Sie sehen mir wahrhaftig nicht nach einem Naturschwärmer aus, Herr Bekker – sagen Sie mir nun, um was es sich handelt, dann können wir vielleicht ein Geschäft miteinander machen.«

Herr Bekker war noch immer feuerrot vor Wut an seinem ganzen kurzhaarigen Kopfe.

»Der Mensch redet irre,« schrie er. »Hol' mich der Teufel, der Mensch redet irre! Ich gebe einen Preis, der wahnsinnig ist, und er antwortet mit einer Beleidigung. Eigentlich sollte ich ihn fordern! Ich frage Sie zum letztenmal: wollen Sie den Preis nehmen, den ich biete, oder wollen Sie nicht?«

Bei jedem Worte, das Herr Bekker sprach, erzitterte Señor Paqueno in seinem Fauteuil wie bei einem elektrischen Schlag. Der Großherzog fuhr ebenso ruhig lächelnd fort:

»Soll ich Ihnen vielleicht ein bißchen nachhelfen? Naturschwärmer sind Sie nicht, Herr Bekker, und Sie sagten vorhin selbst, daß Sie sich nicht für Geschichte und Antiquitäten interessieren. Aber wie war es doch? Haben Sie drüben in Amerika nicht ein bißchen in allerlei spekuliert – unter anderem auch in Bergwerken? Wie ist es, haben Sie vielleicht auf Ihren kleinen Touristenausflügen einen Fund in Punta Hermosa gemacht?«

Herr Bekker erbleichte, aber er machte einen letzten Versuch, an seinem Tone festzuhalten.

»Zum Geier,« begann er. Dann verstummte er plötzlich. Der Großherzog hatte sich erhoben und betrachtete ihn in einer Weise, die seine Seele mit Schrecken erfüllte.

»Herr Bekker,« sagte er kalt, »haben Sie die Güte und legen Sie sofort diesen Ton ab, er paßt möglicherweise nach Mexiko, aber durchaus nicht nach Minorca. Gestatten Sie mir, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß man mich Hoheit nennt und daß ich absoluter Tyrann auf dieser Insel bin. Sie verstehen – Alleinherrscher. Alleiniger Chef der Firma, wie Sie sich auszudrücken beliebten. Ich bin ein milder Tyrann, aber wenn ich will, kann ich Sie binnen zehn Minuten über die Grenze schaffen lassen – ohne Boot, Herr Bekker – oder Sie ins Gefängnis werfen, wegen grober Verunglimpfung des Staatsoberhauptes. Unsere Kasematten sind von der Zeit etwas mitgenommen, aber Ihre Lebensdauer können sie schon noch aushalten.«

»Unterstehen Sie sich,« begann Herr Bekker, aber verbesserte sich rasch, »d ... das würden ... Hoheit nicht wagen. Ich – ich ... wende mich sofort an unseren Konsul.«

Der Großherzog lächelte verbindlich.

»Sie bessern sich, Herr Bekker. Aber ach, – Ihr unglückseliger Bart! Warum haben Sie sich ihn abrasieren lassen? Ich brauche nur Ihr Kinn anzusehen, um gar nicht so überzeugt zu sein, daß Sie sich an irgendeinen Konsul wenden können.«

Herr Bekker wurde noch bleicher, und der Großherzog fuhr artig fort:

»Sie sehen, ich versuche ein vernünftiges Wort mit Ihnen zu reden – nichts wäre leichter für mich, als einen Grubenexperten aus Barcelona kommen zu lassen. Wollen wir also aufrichtig sein, Herr Bekker? Bedenken Sie, Geschäft ist Geschäft. Entweder mit mir oder gar nicht. Alleiniger Chef der Firma, Herr Bekker. Und kommt es zu einem Geschäft, so werde ich Sie trotz Ihres Auftretens loyal behandeln – darauf haben Sie mein Wort.«

Herrn Bekkers Gesicht war wieder eine Studie, eines Forain würdig. Unschlüssigkeit, Angst und Gier kämpften um die Herrschaft in seiner Seele. Tausend Teufel! Er seufzte auf. Es blieb ihm doch wenigstens eines übrig. Die besten Bedingungen herauszuschlagen, die zu erreichen waren.

»Nun,« sagte er mühsam – »es ist vielleicht so, wie Sie ... so wie Hoheit sagen. Das heißt ...«

»Das heißt,« ermunterte ihn der Großherzog.

»Ich glaube, daß ich einen kleinen Fund in der Umgegend von Punta Hermosa gemacht habe ...«

»Wenn ein Mann wie Sie so etwas glaubt,« sagte Don Ramon höflich, »dann verhält es sich gewiß so.«

»Hm ja, es ist ja möglich, ich hoffe, daß ich mich nicht irre. Sicher bin ich ja meiner Sache noch nicht – ich hatte ja gedacht, mich später davon zu überzeugen ... nach dem Kauf ...«

»Und mir eine kleine Überraschung zu bereiten, nicht wahr,« warf der Großherzog hin.

»Ja gewiß, ganz wie Sie ... ganz wie Hoheit sagen. Nun will ich aufrichtig sein, wie Hoheit es wünschen.«

»Vortrefflich, Herr Bekker. Das ist entschieden das beste, was Sie tun können. Beeilen Sie sich nur ein bißchen damit.«

»Ich habe ja in letzter Zeit einige kurze Besuche in Punta Hermosa gemacht ...«

»Ich bin ganz Ohr.«

»Die Gegend erinnert mich an andere, die ich in Amerika gesehen habe – nicht das Schloß natürlich, aber einige Partien an der Küste, an diesem Berge – wie heißt er doch?«

»Monte Cartagen?«

»Ja gewiß, Hoheit haben ganz recht. Monte Cartagen, entzückende Lage im Walde!«

»Verlieren Sie sich nicht in Naturschwärmereien, Herr Bekker. Zur Sache!«

»Ich habe da einige Untersuchungen vorgenommen – ganz flüchtig, durchaus nicht maßgebend ...«

»Sie sind zu bescheiden, Herr Bekker, und?«

»Ich war höchst enttäuscht.«

»So? Und in Ihrer Enttäuschung beschlossen Sie, Punta Hermosa zu kaufen?«

»Haha! Ich hatte erwartet, Silber zu finden – Silber ist immer meine Spezialität gewesen, Hoheit.«

»Sie sind beneidenswert. Ich wünschte, ich könnte dasselbe von mir sagen.«

»Aber ich fand kein Silber, sondern – aber Hoheit verstehen, daß ich meiner Sache nicht sicher bin?«

»Ich verstehe es und bewundere noch einmal Ihre Selbstunterschätzung.«

»Sondern ich glaube vielmehr, Schwefel gefunden zu haben.«

»Schwefel, Herr Bekker! Pech und Schwefel ... Ich begreife, daß Sie überrascht waren. Sie glaubten natürlich noch lange nicht zum Fundort dieser Dinge zu kommen.«

»Na, Hoheit begreifen, daß das durchaus nicht sicher ist. Aber wenn ich mich nicht irre, muß diese Ader schon bearbeitet worden sein.«

»Sie überraschen mich, Herr Bekker.«

»Ja, vor sehr langer Zeit. Es finden sich Spuren einer sehr altmodischen Bearbeitung, Calceronen, wie man es nennt, Gruben, wo der Schwefel bearbeitet wurde, wie es manchmal noch heutzutage geschieht. Aber sie sind von der Zeit so gut wie verwischt. Sie müssen schon sehr lange nicht mehr in Gebrauch gewesen sein.«

Der Großherzog betrachtete Herrn Bekker gedankenvoll.

»Sie sind ein eigentümlicher Typus,« sagte er. »Sie kommen hierher – warum wissen die Götter – machen Ihre kleinen Ausflüge in der Umgegend und finden, bums, etwas, was uns Jahrhunderte vor der Nase gelegen ist. Schwefel! Monte Cartagen ... Eine alte vulkanische Gegend – so wie Sizilien. Und Monte Cartagen ... Haben Sie von Carthago etwas gehört, Herr Bekker?«

»Carthago, gewiß ... Carthago ...« Herrn Bekkers Stimme deutete an, daß seine Kenntnisse über Carthago nicht gerade überwältigend waren.

»Die Einwohner von Carthago waren die ersten, die diese Insel hier kolonisierten, Herr Bekker. Sie legten Portus Magonis an, – die heutige Stadt Mahon und trieben da einen umfassenden Handel. Sie machten auch in Sizilien Geschäfte. Und eine der Waren, in denen sie spekulierten, war Schwefel. Und ihr alter Fundort, der schon zur Römerzeit in Vergessenheit geraten sein muß, ist also jetzt von Herrn Theodor Bekker wieder entdeckt worden ...«

Der Großherzog fuhr fort, Herrn Bekker mit demselben gedankenvollen Blick zu betrachten, und dieser, der seinen Schreck von eben erst schon wieder vergessen hatte, machte einen Versuch, seinen früheren Ton wieder anzuschlagen.

»Ja, und ich werde es auch verstehen, die Sache auszunützen. Ich habe die Gruben gefunden. Sie haben mir Ihr Wort gegeben, und ohne mich können Sie sie nicht in Betrieb setzen, und wenn Sie zehnmal Großherzog von Minorca sind. Wo würden Sie eine Peseta zu annehmbaren Bedingungen dafür herbekommen? Wenn man überhaupt noch Geld an Sie riskieren will. Ich bin Geschäftsmann, aber ich bin bereit, Ihnen – sagen wir mal zwanzig Prozent des Reingewinns zu geben. Aber den Betrieb will ich selbst einrichten – geschäftsmäßig, sonst wird nichts aus der Sache, nichts, verstehen Sie mich?«

Herrn Bekkers Sicherheit wuchs, während er so sprach, und er fixierte nun den Großherzog mit einem herausfordernden Blick, offenbar höchst zufrieden mit sich selbst trotz des Mißgeschicks eben erst. Ohne seine Art zu beachten, fragte der Großherzog: »Geschäftsmäßig? Was verstehen Sie darunter?«

Herr Bekker kicherte heftig bei dieser Frage. Was man unter geschäftsmäßig verstand!

»Das können Sie ruhig mir überlassen,« sagte er kurz. »Das Kapital muß sich verzinsen, das ist die erste Bedingung. Die Arbeitskräfte dürften hier billig sein.«

Ohne etwas zu erwidern, sagte Don Ramon:

»Sind Sie in Sizilien gewesen, Herr Bekker?«

»Nein. Also bringen wir jetzt die Sache so rasch in Gang, als es in diesem verschlafenen Lande möglich ist.«

»Soso. Sie sind nicht in Sizilien gewesen? Ich war hingegen dort, Herr Bekker. Und ich hatte das Vergnügen, die Schwefelgruben dort in vollem Betriebe zu sehen. Wissen Sie, was ich damals zu Paqueno sagte?«

»Nein.« Herrn Bekkers Stimme war ein Gemisch von Geringschätzung und Ungeduld.

»Ich sagte ihm: jetzt brauchen wir nicht mehr nach Neapel zu fahren, Paqueno, denn das hier ist genug, um sterben zu wollen.«

»Haha!« Herrn Bekkers Lachen war von der Art, wie man es an einen langweiligen Menschen wendet, um eine Anekdote zu quittieren und weiteren zu entgehen.

»Der Betrieb der sizilianischen Gruben«, fuhr der Großherzog fort, »ist in einer, wie Sie sagen würden, ganz geschäftsmäßigen Weise eingerichtet. Die Arbeitskraft ist dort auch billig – sehr billig. Es sind Tausende von Arbeitern – Männer, Frauen und Kinder, Kinder, Herr Bekker; keiner dieser Tausende ist über fünfunddreißig Jahre alt – sie werden nicht älter – und keiner von ihnen sieht wie ein Mensch aus. Ihr Körper wie ihre Seele ist von den Schwefeldämpfen zerstört und vergiftet – sie haben ihre Hölle mit allen Ingredienzien schon hier auf Erden, Herr Bekker, und wenn wir unserer Religion glauben dürfen, erwartet sie nachher eine andere, denn sie sind alle aufrührerisch gegen die Obrigkeit, liederlich, und versuchen zu stehlen, wenn sie es können. Aber der Betrieb ist sicherlich das, was Sie geschäftsmäßig nennen, und der Ertrag so, wie man ihn nur wünschen kann.«

Herr Bekker betrachtete den Großherzog mit einem listigen Lächeln.

»Hoheit sind sentimental,« sagte er. »Ich verstehe. Hoheit finden zwanzig Prozent zu wenig, um vor den kleinen Ungelegenheiten, die es mit sich bringt, Schwefelgruben auf seinem Grund und Boden zu haben, ein Auge zuzudrücken? Nun, ich lasse mit mir reden – sagen wir also fünfundzwanzig, aber nicht einen Centime mehr, so wahr ich Bekker heiße, nicht einen Centime ...«

Die Erinnerungen Herrn Bekkers an das, was zunächst auf diese Worte folgte, sind äußerst verworren. Ohne daß er wußte, wie es zuging, begannen zwei eisenharte Hände auf seinen glattrasierten Schädel zu hämmern, alles drehte sich um ihn im Kreise, in der nächsten Sekunde fühlte er sich vom Boden aufgehoben, und ein kurzes, aber riesenstarkes Bein fügte ihm einen sehr schmerzhaften Stoß an jener Stelle des Körpers zu, wo Herrn Bekkers Rücken das tat, was Herr Bekker selbst sooft getan – den Namen änderte.

Im nächsten Augenblick flog er mit der Geschwindigkeit einer Kanonenkugel zu einer Tür hinaus, die in ursprünglich goldenen, jetzt verblichenen Farben das Wappenschild des Großherzogtums Minorca trug: zwei heraldische Löwen mit Hellebarden zwischen den Tatzen unter einem fünfzackigen Stern. Dann schlug er schwer auf den steingepflasterten Boden der Halle auf; in seinem Kopfe schwirrte es, als wären zehn Bienenschwärme darin, und es vergingen gut drei Minuten, bevor er sich mit zitternden Gliedern aus seiner erniedrigenden Lage erheben konnte. In der Tür, die er eben verlassen, sah er Don Ramon stehen, der sich eine Zigarre anzündete und ihn ruhig beobachtete. Dahinter wurde das Gesicht des alten Señor Paqueno, von stummer Verzweiflung erfüllt, sichtbar. Aus einem entfernter liegenden Raume eilte ein Bedienter herbei und betrachtete seinen Gebieter fragend.

»Hilf diesem Herrn heraus, Auguste,« sagte der Großherzog, auf Herrn Bekker weisend. »Wenn er es wagen sollte, sich in der Nähe des Schlosses zu zeigen, hast du das volle Recht, auf ihn zu schießen. Du kannst der übrigen Dienerschaft sagen, daß für sie dasselbe gilt. Und jetzt sieh zu, daß er rasch von hier wegkommt.«

Aber bevor noch der Bediente Herrn Bekker in die Nähe gekommen war, hatte dieser mit unglaublicher Geschwindigkeit das Bewußtsein wiedererlangt und stürzte mit flatternden Rockschößen auf den Eingang der Halle zu. In einer Sekunde hatte er das schwere Eingangstor aufgebracht und flog fast ebenso rasch hindurch wie eben erst durch die Tür des Speisesaales. Man hörte das Echo seiner gelben Stiefel auf den Hofsteinen, dann wurde es still.

Der Großherzog winkte Auguste ab und zog sich mit Señor Paqueno in den Speisesaal zurück.

»Der verdammte Schurke,« sagte er. »Es hat mir die ganze Zeit Spaß gemacht, ihn zu studieren, um zu sehen, wie weit er sich in seiner Frechheit wagen würde. Schwefelgruben in Punta Hermosa anlegen – die Atmosphäre und mein ganzes armes Volk vergiften – und fünfundzwanzig Prozent, um ein Auge zuzudrücken! ... Der verdammte Schurke ...«

»Aber Hoheit,« wendete Señor Esteban mit zitternder Stimme ein, »könnte es nicht einen Ausweg geben? ... Die Hygiene macht ja solche Fortschritte ... Und denken Sie an Semjon Marcovitz, Hoheit ... Denken Sie an Semjon Marcovitz!«

»Ach, Paqueno,« sagte der Großherzog wieder lächelnd, »Sie sind und bleiben ein braver alter Jesuit. Gerade weil ich an Semjon Marcovitz denke, kann ich mich nicht mit einem Herrn Bekker einlassen. Soll ich mich nach der Affäre mit Marcovitz nicht zu tief verachten, muß ich wenigstens mein Volk vor Herrn Bekker und seinen Giftdämpfen schützen. Und weil wir gerade davon sprechen, wie war es doch, haben Sie nicht gestern einer englischen Firma wegen eines Darlehns auf die Oliven geschrieben?«

»Ja, Hoheit, einer englischen Firma, namens Isaacs; sie soll auch Serbien geliehen haben, so daß ... aber Hoheit, Hoheit!«

»Na, was denn aber, Paqueno? Beruhigen Sie sich. Wir schlagen uns schon durch. Wir haben doch den heiligen Urban mit uns und einen ganzen Monat vor uns.«


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