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Viertes Kapitel,

worin der Bestand der Republik Minorca stark bedroht erscheint

»Einen Freund?« wiederholte Señor Hernandez verständnislos. »Ich glaubte, Sie wären allein in dem Boote. Haben Sie Freunde in Minorca?«

»Ich habe einen,« sagte Philipp mit einem unwillkürlichen Beben in der Stimme und faßte die Hand des Großherzogs hinter der Türhälfte. »Einen, der Ihnen seine Huldigung darzubringen wünscht, Herr Präsident.«

Señor Hernandez retirierte in das Zimmer und betrachtete ihn mit plötzlich mißtrauischen Blicken.

»Wie sind Sie an der Wache vorbeigekommen?« rief er. »Zeigen Sie sofort Ihren Freund und sagen Sie seinen Namen!«

»Sein Name,« sagte Philipp und stürzte in das Zimmer, »ist Don Ramon XX. von Minorca, den Sie und Ihre Freunde für 200 000 Pesetas kontant zu ermorden übernommen haben, und der jetzt wiedergekommen ist, um Ihnen in die Suppe zu spucken!«

Während er mit immer lauter werdender Stimme diese Worte hinausrief, hatte Señor Hernandez rasch kehrtgemacht und stürzte nun auf einen Schreibtisch zu, auf dessen äußerster Kante ein kleines schwarz blinkendes Ding lag, das Philipp sofort als einen Revolver erkannte. Es hatte eine Zeit gegeben, wo Philipp als der beste Fußballspieler einer schwedischen Universitätsstadt gegolten hatte; es war lange her; aber beim Anblick von Señor Hernandez und dem Ziele, dem er zustürzte, erwachten blitzschnell langschlummernde Instinkte in Philipps Seele. Er machte drei Sprünge, deren er sich auch vor zwölf Jahren nicht hätte zu schämen brauchen; und im selben Augenblick, in dem der präsumtive Präsident von Minorca am Schreibtisch angelangt war und die Hand ausstreckte, um den Revolver zu packen, fuhr Philipps rechter Fuß in einem prächtigen Kick in die Höhe; im nächsten Moment sauste der kleine Browning in einem Bogen von zehn Metern an das andere Ende des Zimmers. Leider ist hinzuzufügen, daß Philipps Fuß, vermutlich gewissen physikalischen Gesetzen gehorchend, nach dieser schönen Leistung nicht innehielt, sondern weiter hinaufflog, eine leichte Abweichung machte und plötzlich der Nase des Präsidenten von Minorca begegnete, die im nächsten Augenblick die Marmorplatten des Bodens rot zu färben begann. Philipps Fuß sank wieder zu Boden, und während der Großherzog vor Lachen und Wut brüllend herbeistürzte, sank der Präsident der Republik Minorca mit einem Schmerzensgeheul über dem Schreibtisch zusammen.

» Well done, Professor! Well done!« rief der Großherzog. »Sie, Kerl, schweigen, oder ich töte Sie auf der Stelle, ohne viel Federlesens! Keinen Ton, sage ich!«

Seine Stimme war so furchtbar, daß Señor Hernandez' Schmerzgeheul so plötzlich verstummte, als hätte man ihm die Kehle abgeschnitten; an allen Gliedern zitternd, erhob er sich vom Schreibtisch, betrachtete einen Augenblick seinen Herrscher und sank im nächsten auf dem Boden in die Knie, während das Blut noch immer unaufhaltsam aus seiner Nase strömte:

»Gna ... Gnade, Hoheit!« keuchte er, »Gnade! Ich ... ich bin verlockt worden ... ich hatte keinen Teil an der Verschwörung ... ich schwöre es ...«

Der Großherzog betrachtete ihn mit flammender Verachtung.

»Dann schwören Sie falsch, verdammter Schurke. Wie kommt es, daß Sie sich hier eingenistet haben, in meinem Palast! Antworten Sie! Weil Sie keinen Anteil an der Verschwörung hatten?«

»Ma ... man dachte mich zum P ... Präsidenten zu wählen,« murmelte Señor Hernandez schluchzend.

»Und Sie haben die Würde gleich vorweggenommen! Aber woher kommt es (die Stimme des Großherzogs wurde wieder furchtbar), daß Ihr Name zu oberst auf diesem Kontrakt steht?«

Er riß plötzlich das Papier heraus, das Herrn Bekker aus der Tasche gefallen war, und hielt es Luis Hernandez vor die Augen.

Dieser wurde bleicher als der Tod, und einen Augenblick sah es aus, als hörte sogar das Blut aus seiner Nase zu fließen auf. Dann warf er sich, ohne etwas zu sagen, vornüber und versuchte, die Knie des Großherzogs zu umfassen, um um Gnade zu flehen. Mit einer heftigen Bewegung machte sich Don Ramon frei und sagte zu Philipp:

»Wollen Sie in das Zimmer am äußersten Ende der Halle gehen? Ich glaube, Sie werden da Stricke finden.«

»So ... soll ich gehängt werden?« stammelte Señor Hernandez, während große Tränen über seine geschwollene Nase kollerten und sich mit ihrem Blute mischten.

»Ja, später,« sagte der Großherzog, »wenn der Gerichtshof es beschließt. Ich bin kein Mörder, Señor Luis, wie Sie und Ihre Freunde. Unterdessen sollen Sie gefesselt werden. Da, verbinden Sie Ihre Nase damit!« Er warf ihm ein Taschentuch hin und fuhr fort:

»Sagen Sie mir jetzt eines, aber sprechen Sie die Wahrheit, das rate ich Ihnen! Wann erwarten Sie Ihre Freunde?«

Señor Hernandez' Weinen hatte aufgehört, als er vernahm, daß seine Hinrichtung nicht unmittelbar bevorstand. So lange Leben war, war ja auch noch Hoffnung ... Er warf einen scheuen, vorsichtigen Blick auf Don Ramon und begann:

»Ich weiß nicht ... in einer Stunde ...«

Die Stirne des Großherzogs umwölkte sich wie ein Gewitterhimmel. Es war sonnenklar, daß der Bursche log, daß er irgendeinen Coup plante, und daß seine Freunde vermutlich jeden Augenblick kommen konnten.

»Luis Hernandez,« sagte er. »Ich hatte beabsichtigt, für den Fall, daß der Gerichtshof Sie zum Tode verurteilt, von meinem Begnadigungsrecht Gebrauch zu machen. Nach den sechs Worten und zwei Lügen, die Sie eben geäußert haben, ist Ihr Schicksal besiegelt.«

Er wandte sich an Philipp, der eben mit einem Strick gekommen war und sagte:

»Professor, ich muß Sie bitten, mir bei einer unangenehmen und schmierigen Arbeit behilflich zu sein: einen Verräter zu binden, der so feig und falsch ist, daß er nicht einmal die Wahrheit spricht, wenn er eben dem Tode entgangen ist. Sie sehen ihn hier, er nannte sich heute Präsident von Minorca und wird, ehe viele Tage verflossen sind, als Namenloser vor dem Friedhof in Mahon liegen ...«

Während er diese Worte zwischen den Zähnen murmelte, hatten er und Philipp rasch und mit jener Fertigkeit, die die Übung mit sich bringt, den Präsidenten von Minorca in ein leicht hantierliches Paket verwandelt, das, mit einem Knebel versehen, im Nebenzimmer untergebracht wurde. Dann schloß der Großherzog die Tür zur Halle und sagte:

»Vermutlich können wir Señor Luis' Freunde jeden Moment erwarten. Ich fürchte, wir werden schwerere Arbeit mit ihnen haben als mit dem Präsidenten. Haben Sie Ihre Ansicht über Ihre Beteiligung nicht doch geändert?«

Philipp schüttelte lächelnd den Kopf.

»Dann danke ich Ihnen, während ich es zugleich bedauere, daß Sie Ihr Leben für eine so undankbare Sache wie die meine riskieren.«

Philipp lächelte innerlich wie Odysseus; er wußte besser als sein Kampfgenosse, wie wenig undankbar diese Sache sich für ihn gestalten konnte. Fünfzigtausend verlorene Pfund, ja mehr, tauchten schon vor ihm auf. Er ahnte wenig, welche Abenteuer seiner noch harrten, bevor er sie erreichen sollte.

Der Großherzog betrachtete ihn gedankenvoll.

»Sie sind ein tapferer Mann, Professor,« sagte er. »Verzeihen Sie mir, sind Sie Franzose oder Engländer?«

»Meine Mama war Französin,« sagte Philipp, »aber ich bin weder Franzose noch Engländer, Hoheit. Ich bin ein Schwede.«

»Schwede, beim heiligen Urban. Mein Kompliment! Sie sind der erste dieser Nation, den ich noch getroffen habe, aber hoffentlich nicht der letzte. Die lex Bekker wird nie für Sie gelten!«

»Verzeihen Sie mir, Hoheit,« unterbrach Philipp mit einem leisen Lächeln, »sollten wir uns nicht lieber darauf vorbereiten, unsere Gäste zu empfangen, als diplomatische Höflichkeiten auszutauschen? Da ich unbewaffnet bin und der Besitzer ja keine Verwendung mehr dafür hat, werde ich vor allen Dingen Präsident Hernandez' Revolver übernehmen. Dann, glaube ich, müssen wir uns einen strategischen Plan ausdenken. Glauben Sie, daß wir viele Besucher zu erwarten haben?«

»Ich habe keine Ahnung. In anbetracht von Señor Hernandez' angeborener Lügenhaftigkeit hat es keinen Zweck, ihn zu befragen. Hier in dem Kontrakt stehen sechs Namen, von denen der seine einer ist. Also können wir fünf Herren erwarten, wenn alle Führer kommen und niemand sonst. Und einer der fünf ist ein sehr gefährlicher Bursche. Posada heißt er, Sergeant bei der Leibwache.«

»Glauben Hoheit, daß wir hier drinnen warten sollen? Wäre es nicht besser, draußen in der Halle?«

»Beim heiligen Urban, Sie haben recht! Es ist besser in der Halle. Wir können unsere Feinde zählen, wie sie hereinkommen, und unsere Gelegenheit selbst wählen.«

Der Großherzog und Philipp eilten in die Schloßhalle und sahen sich nach einer strategischen Operationsbasis um. Nach kurzer Überlegung beschlossen sie, die Lampe, die den rückwärtigen Teil der Halle erleuchtete, an einen Punkt zwischen der Eingangstür und dem Zimmer des Präsidenten zu stellen. Dann nahmen sie selbst in dem jetzt in Dämmerung ruhenden rückwärtigen Teile Platz und warteten die Ereignisse ab.

Mehrere Minuten lang geschah nichts und wurde kein Wort gesprochen; dann beugte sich der Großherzog zu Philipp vor und flüsterte:

»Sie sind Schwede – ist Ihre Frau auch Schwedin?«

»Nein, Hoheit, Madame ist Russin.«

»Und Sie haben keine Angst, mir bei diesem Vorhaben zu helfen, nach dem, was ich im Boote über mich selbst sagte?«

Über Philipps Gesicht huschte ein Lächeln, das die Dunkelheit dem Herzog verbarg. Doch ehe er noch antworten konnte, ertönten die Laute, auf die sie gewartet hatten.

Von draußen ließen sich Schritte vernehmen; zwei, vielleicht drei Personen kamen im Gespräch an das Schloß heran. Ein anderer Laut folgte sofort: der Soldat hatte die Herankommenden angerufen, und einige hastige Worte wurden zwischen ihm und ihnen gewechselt.

Dann sagte eine tiefe Baßstimme: Es ist gut, du kannst die Wache unten übernehmen. Wir besorgen sie schon hier oben. Der kleine Soldat verschwand mit einem: soll geschehen, Señor! und im nächsten Augenblick öffnete sich die Tür zur Schloßhalle.

Drei Personen traten über die Schwelle, versperrten das Tor und gingen rasch auf das Zimmer zu, das der Großherzog und Philipp eben verlassen hatten. Philipp, der seine Augen anspannte, um sich zu überzeugen, wie die modernen Erben eines Danton, Marat und Robespierre aussahen, hätte vor Verblüffung fast einen Pfiff ausgestoßen. Größere Kontraste als diese drei Gestalten hatte er nie im Leben gesehen. Der eine war ein breiter, sehr kräftiger, untersetzter Mann mit einem großen, schwarzen Vollbart, der andere mager, hohläugig, von fanatischem Typus und in eine Art Mönchskutte gehüllt, die lebhaft an die Feiertagsgewandung eines schwedischen Pastors erinnerte: anstatt bis zum Boden zu reichen wie Mönchskutten gewöhnlich, ging sie ihrem Besitzer nur bis zu den Knien; darunter waren seine schwärzlichen Beine nackt. Neben diesen beiden ging die dritte Gestalt, die bei dem unsicheren Lampenlicht am ehesten einem verwachsenen Insekt glich; es war ein Buckliger, nicht größer als ein zwölfjähriger Knabe, mit eirundem Körper und langen, schmalen Spinnenbeinen. Philipp ließ die Blicke noch einmal über das wunderliche Trio schweifen und sah den Großherzog an, um zu fragen, was geschehen sollte.

Im selben Augenblick hob dieser die Hand mit Herrn Bekkers Revolver und feuerte ihn mit einem Knall ab, der in der kleinen Schloßhalle von einem Kanonenschuß zu kommen schien. Die drei Verschwörer zuckten wie vom Blitz getroffen zusammen und drehten sich um: was sie sahen, war der Mann, den sie für 200 000 Pesetas zu ermorden übernommen hatten, und Herr Philipp Collin, die sie beide mit ihren Revolvern bedrohten. In der nächsten Sekunde donnerte die Stimme des Großherzogs:

»Hände hoch, sofort, oder ihr seid des Todes!«

Für den Bruchteil einer Sekunde sah es aus, als ob der Schwarzbärtige und sein hohläugiger Freund trotz der auf sie gerichteten Revolver zögerten; der Bucklige war dem Befehl des Großherzogs mit einer Geschwindigkeit nachgekommen, die nichts zu wünschen übrig ließ. Als nun die Finger des Großherzogs leicht auf den Revolverhahn drückten, flogen auch die Hände der beiden anderen in die Luft, während ihre Augen alles ausdrückten, was sie für Don Ramon empfanden. Der Großherzog wendete sich Philipp zu und sagte:

»Professor, wollen Sie so gut sein, diese Herren zu visitieren und nachzusehen, ob sie Waffen bei sich haben. Beginnen Sie mit dem ehrwürdigen Vater Ignazio in dem pittoresken Mantel. Oder ziehen Sie vor, daß ich es tue?«

»Gewiß nicht, Hoheit.«

Philipp eilte auf den abgesetzten Priester zu und begann fingerfertig seine Taschen von ihrem Inhalt zu befreien, er war bunt und erstreckte sich von dem für Revolutionäre unentbehrlichen Revolver, den Philipp in seine eigene Tasche steckte, auf ein Paket Banknoten und eine ausgewählte Reliquiensammlung, die er zurücklegte.

»Gut,« rief der Großherzog, nachdem sich Philipp noch einmal vergewissert hatte, daß Vater Ignazio aller Giftzähne beraubt war, »gehen wir zu Sergeant Posada über.«

Dessen Taschen enthielten nur zwei Revolver und etliche Goldmünzen. Philipp verfuhr mit ihm wie mit dem Geistlichen und wendete sich dann dem Buckligen zu, der ihm mit blutunterlaufenen Augen folgte, während Philipp aus seinen Taschen einen vierten Revolver und ein respektables Messer zog. Dann wendete sich Philipp an den Großherzog:

»Ich hole Stricke, Hoheit, damit wir diese Herren fesseln können, und der Präsident in seiner Einsamkeit Gesellschaft bekommt.«

Er brachte die Strickrolle und binnen fünf Minuten war Vater Ignazio, mit dem er aus Respekt für die Kirche den Anfang machte, so hilflos, als man nur wünschen konnte, und Philipp war eben im Begriff, zum Sergeanten überzugehen, als die Ereignisse plötzlich einen anderen Lauf nahmen.

Der bucklige Gastwirt am äußersten linken Flügel hatte bald bemerkt, daß seine Mitbrüder den Löwenanteil der Aufmerksamkeit des Großherzogs in Anspruch nahmen. Leise und unmerklich hatte er sich von dem Sergeanten fortgeschoben, an dessen Seite er stand. Die Entfernung zwischen ihnen war größer und größer geworden, und der Großherzog schien nichts zu merken. Nun Philipp sich Vater Ignazios bemächtigte, und diesen heiligen Mann achtungsvoll auf den Boden placierte, um zum Sergeanten überzugehen, fand Señor Amadeo die Gelegenheit für einen kleinen Coup günstig. Rasch und lautlos wie eines der Insekten, denen er glich, machte er drei oder vier Sprünge in der Richtung des Ausgangs; im selben Augenblick, in dem der Großherzog sein Manöver bemerkte und rasch den Revolver auf ihn richtete, hatte er auch schon die schwere Tür geöffnet; im nächsten war er draußen, und die Kugel aus Don Ramons Revolver traf keinen anderen Widerstand als die alte Türfüllung.

Was nun folgte, ging noch rascher. Der schwarzbärtige Sergeant, der die ganze Zeit, die Philipp dazu verwendet hatte, die Taschen der Verschwörer auszuräumen und Vater Ignazio zu binden, keuchend wie ein Königstiger und bereit zum Sprunge dagestanden hatte, trotz des Revolvers des Großherzogs, brauchte nicht mehr als Amadeos Flucht, um zur Tat überzugehen. Wie eine große Wildkatze stürzte er sich im selben Augenblick, in dem der Gastwirt die Tür erreichte, mit gefletschten Zähnen und einem heiseren Brüllen auf Don Ramon. Bevor dieser sich noch nach dem Schusse auf den Gastwirt umdrehen konnte, hatten ihn die Arme des Sergeanten schon umklammert, und sie rollten miteinander über den Steinboden der Halle. Der Revolver entfiel der Hand des Großherzogs, und der Kampf war nur zwischen Muskeln und Muskeln. Aber es waren Muskeln, die einander würdig waren. Und war der Großherzog etwas stärker, so wurde dieses Übergewicht mehr als genügend durch die Raserei des schwarzbärtigen Sergeanten wettgemacht. Er wußte, daß er nicht nur für sein Leben, sondern auch für den Erfolg seines und seiner Freunde Plan kämpfte. Siegte der Großherzog jetzt, so waren sie verloren, denn wenn die Truppen und die Bevölkerung sich jetzt ohne Führer sahen, würde die Revolution gar bald aufhören, und was dann das Los dieser Führer sein würde, war nicht schwer zu erraten. Aber siegte der Sergeant, dann war nicht alle Hoffnung verloren.

Und es sah wirklich aus, als sollte der Sergeant siegen; Philipp, der das Schauspiel wie gelähmt betrachtete, wagte nicht, von seinen Revolvern Gebrauch zu machen; die Kämpfenden rollten so rasch durcheinander, daß er mit seinem Schuß ebensogut den letzten Sprossen des Hauses Ramiros treffen konnte wie seinen Feind. Außerdem war die Beleuchtung so schwach, daß er kaum unterscheiden konnte, wer es war. Vater Ignazio zu seinen Füßen ermunterte seinen Bundesgenossen mit heiseren Rufen und stimmte eine Art Verschwörungsgesang an, der in der wunderlichen Beleuchtung doppelt unheimlich klang. Endlich stürzte Philipp, dessen Untätigkeit vielleicht eine Minute gedauert hatte, auf die Kämpfenden los, um einzugreifen; aber als er herankam, warf der Großherzog ihm einen raschen Blick zu und murmelte heiser:

»Lassen Sie das, Professor! Den expediere ich schon selbst.«

Für den Augenblick schien er die Oberhand zu haben, dann änderte sich die Situation wieder, und der Sergeant, dessen Augen vor Mordgier halb aus ihren Höhlen getreten waren, kam zu oberst. Gerade als Philipp trotz des Verbotes des Großherzogs eingreifen wollte, gab Don Ramon seinem gewaltigen Körper einen heftigen Ruck; im nächsten Augenblick hatte er wieder die Oberhand und preßte den Sergeanten zu Boden. Doch in der letzten Sekunde schlängelte sein Gegner sich halb frei, und sein schwarzbärtiges Raubtiergesicht flog Don Ramon an den Hals, mit gefletschten Zähnen, bereit, zuzubeißen. Philipp stieß einen Schrei aus, und Don Ramon machte eine rasche Bewegung; die Zähne glitten an dem Ziel, das sie sich gesetzt, vorbei und schlugen sich anstatt dessen in das rechte Ohr des Gegners, das sie halb abrissen, bis Don Ramon mit einer letzten Riesenanstrengung den Hals des Sergeanten umklammerte und seinen Kopf dreimal hintereinander auf die Steinfliesen schlug.

Die Muskeln des Raubtiermenschen erschlafften plötzlich, und nach ein paar Zuckungen lag er regungslos da. Der Großherzog erhob sich, das Blut strömte über seine Wange, und die Brust hob und senkte sich in stürmischen Atemzügen.

»Ein gefährlicher Kerl, wie ich Ihnen sagte, Professor! Wollen Sie den Strick bringen, so daß wir ihn binden können?«

»Aber Ihr Ohr, Hoheit?«

»Das hat Zeit.«

Philipp holte rasch den Strick und ließ im Vorbeieilen Vater Ignazios Beschwörungsgesang durch eine drohende Geste mit dem Revolver verstummen. Der Großherzog und er banden den Sergeanten rasch mit doppelten Stricken. (Philipp schlug vor, sie ihm lieber direkt um den Hals zu legen und ihn in angemessener Entfernung vom Boden zum Fenster hinauszuhissen.)

Dann holte Philipp Wasser und half dem Großherzog die klaffende Wunde zu waschen, die die Zähne des Sergeanten ihm beigebracht hatten, und einen provisorischen Verband anzulegen. Kaum waren sie damit fertig, als Don Ramon einen leisen Schrei ausstieß.

»Was gibt es, Hoheit?« fragte Philipp unruhig.

»Meine Diener, meine beiden prächtigen Diener,« rief der Großherzog. »Die hatte ich ganz vergessen! Ich möchte doch wissen, was die Elenden mit ihnen angefangen haben. Haben sie sie ermordet, so erschieße ich sie auf der Stelle, ohne Urteil und Verhör. Mein prächtiger Joaquin, mein ehrlicher Auguste! Ich will hoffen, daß sie euch nichts getan haben!«

Er ging auf Vater Ignazio zu, der jetzt ganz stumm und regungslos dalag und nur hie und da in sich hineinmurmelte.

»Wo sind Joaquin und Auguste? Was habt ihr mit ihnen angefangen? Antworten Sie, Sie Zierde der Kirche!«

» Maledictus in aeternum, maledictus, maledictus,« murmelte der Geistliche psalmodierend, während er Don Ramon mit brennenden Augen betrachtete. » Maledictus in nomine patris et filii et spiritus sancti. Nefaste princeps, perinde, perinde ac cadaver!«

Der Großherzog betrachtete ihn mit einem Achselzucken und ging dann weiter in den Raum, wo Präsident Hernandez untergebracht war.

»Ich fürchte, Vater Ignazio wird seine Verbrechen im Irrenhaus sühnen, Professor. Wir müssen den Präsidenten ins Gebet nehmen.«

Als er dies sagte, merkte Philipp zum erstenmal, daß er stärker als sonst hinkte, und fragte besorgt:

»Haben sich Hoheit den Fuß verletzt?«

»Ganz unbedeutend. Ich muß ihn mir verstaucht haben, als dieser Sergeant auf mich fiel. Machen Sie sich keine Sorgen, Professor! Es ist nichts. Ich bin jetzt symmetrischer, da ich auf beiden Beinen hinke.«

Sie fanden Señor Hernandez, der sie mit stumpfen Blicken anstarrte, auf dem Boden des Zimmers. Er schien von den Ereignissen des Abends völlig betäubt zu sein und machte anfangs nicht Miene, die Fragen des Großherzogs zu verstehen.

»Hernandez,« sagte der Großherzog, »Sie haben einen alten Vater, der immer das Gegenteil von Ihnen war – ein ehrlicher, fleißiger Mann. Ihm zuliebe werde ich mir Ihr Schicksal noch einmal überlegen, aber nur unter der Bedingung, daß Sie mir augenblicklich sagen, was Sie mit Auguste und Joaquin angefangen haben! Verstehen Sie?«

Es dauerte mehr als eine halbe Minute, bis der ehemalige Präsident zu verstehen schien. Doch dann begannen große Tränen über seine Wangen zu rinnen, und er schluchzte:

»Im kleinen Jagdpavillon, Hoheit, im kleinen Jagdpavillon ...«

»Ihr verdammten Schurken!« brüllte der Großherzog. »Im kleinen Jagdpavillon, der seit dreißig Jahren unbewohnbar und von den Ratten verpestet ist! Was hatten Joaquin und Auguste euch getan? Ihr verdammten Schurken! Wahrhaftig ...«

Der Präsident schien ihn nicht zu hören; die Tränen flossen in Strömen über sein Gesicht. Der Großherzog schnitt eine Grimasse und verließ mit Philipp das Zimmer.

»Professor,« sagte er, »wenn Sie mir einen großen Gefallen erweisen wollen, so suchen Sie meine armen Diener auf und befreien Sie sie. Ich fürchte, es wäre mir unmöglich, mit Ihnen zu gehen. Ich bin etwas schwindlig im Kopfe nach diesem Ringkampf, und mein Fuß schmerzt mich doch mehr, als ich zuerst glaubte. Wenn Sie hingehen und sie befreien wollen, so warte ich hier auf Sie. Vermutlich kommen Sie ohne weitere Schwierigkeiten zu ihnen hinein.«

»Sonst eben mit,« sagte Philipp. »Aber wo liegt der kleine Jagdpavillon?«

»Wenn Sie gerade durch den Schloßgarten, den wir bei unserem Kommen passierten, hinuntergehen, so finden Sie ihn. Er ist weiß, Sie werden ihn sogar in diesem nächtlichen Dunkel sehen können. Haben Sie einen guten Ortssinn?«

»Vortrefflich,« sagte Philipp. »Auf Wiedersehen, Hoheit.«

Mit einem Händedruck eilte Philipp davon.

Als er zu der Tür hinausging, durch die vor einer kleinen Weile der Schankwirt Amadeo verschwunden war, sah er den Großherzog müde auf einen Sessel in der Halle sinken. Zwei Meter von ihm psalmodierte der abgesetzte Geistliche noch immer auf dem Boden liegend. Im rückwärtigen Teil der Halle lag der schwarzbärtige Sergeant ebenso regungslos wie zuvor.

Philipp ahnte wenig, wie der Raum aussehen würde, wenn er wiederkam.


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