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Zweites Kapitel,

welches der Anfang von sehr abenteuerlichen Begebenheiten ist

Der Wind nahm in der Nacht und am folgenden Vormittag an Stärke zu; das Meer ging hoch, und erst um die Mittagszeit beruhigte das Wetter sich wieder. Gegen ein Uhr wagte sich sogar der alte Señor Paqueno auf das Verdeck, auf das die Sonne aus einem tiefblauen Himmel strahlte, und über dem die Möwen in den schönsten Monoplanflügen kreisten.

Die Luft war lau und appetitanregend.

»Wir können anfangen, Ihnen eine Vorstellung von dem Besten zu geben, Madame,« sagte der Graf von Punta Hermosa, »was es in Minorca gibt, dem Klima.«

Gegen sechs Uhr passierte man die südöstliche Landzunge von Minorca, und kurz darauf kam Mahon in Sicht. Die kleine Stadt erhob sich ebenso weiß und ruhig wie sonst über den Hafenterrassen; in der Kathedrale läutete man das Angelus, und die Abendschatten senkten sich tief über Häuser und Palmen. Die Mondsichel war nur eine feine Silberritze in dem opalblauen Abendhimmel, und auf dem durchsichtigen Wasser des Hafens ruhten die Möwen wie weiße Seerosenknospen.

Langsam umschiffte der »Storch« den Molo und lief mit halber Maschine in den Hafen ein; er war ganz leer bis auf die Möwen, die bei seiner Ankunft kreischend aufflatterten.

Dann warf der »Storch« die Anker aus, und einige Zeitlang hatte es den Anschein, als sollte sich nichts ereignen.

Plötzlich schoß jedoch ein Boot aus dem inneren Teile des Hafens und näherte sich rasch der kleinen Yacht.

Es wurde von einem Hafenbootsmann gerudert und enthielt außer diesem zwei Herren, die uniformiert und reich mit Tressen geschmückt waren. Um den linken Rockärmel trugen sie eine weiße Binde.

Auf dem Deck der Yacht war nur Professor Pelotard, seine Gattin und der Kapitän zu sehen. Als man in Sicht von Mahon gekommen war, hatte Philipp den Grafen von Punta Hermosa und dessen Freund beiseite genommen und gesagt:

»Meine Herren, es ist meine Absicht, in der Hauptstadt selbst zu landen. Ich bin da unbekannt und glaube, daß ich es tun kann. Aber wenn ich mich nicht irre, waren Sie doch schon früher dort? Und haben da Grundbesitz?«

»Ganz richtig.«

»Dann fände ich es klug, ja, das einzig Kluge, daß Sie unsichtbar bleiben, bis ich mich überzeugen kann, wie die Dinge stehen. Ihr Erscheinen könnte vielleicht Anlaß zu Gewalttätigkeiten von seiten der Aufständischen geben ... man weiß ja nie!«

»Sie haben recht,« sagte der Graf. »Wir werden es so machen, wie Sie sagen.«

Infolgedessen standen Philipp und seine Gattin jetzt als alleinige Passagiere des »Storchs« auf dem Verdeck, als das Boot mit den galonierten Herren an der Seite der kleinen Yacht anlegte. In zehn Minuten hatten sie diese beiden Herren an Bord. Der eine von ihnen, ein junger Mann von kaum dreißig Jahren, der die glänzendste Uniform und die breitesten Tressen hatte, kam auf sie zu und salutierte militärisch.

»Guten Abend,« sagte er in gebrochenem Englisch. »Mit wem habe ich das Vergnügen zu sprechen?«

Mit wem habe ich das Vergnügen zu sprechen? Philipp betrachtete ihn belustigt.

»Mein Name ist Professor Pelotard,« sagte er. »Das ist meine Frau, und das ist Kapitän Dupont, der diese Yacht für mich führt. Mit wem habe ich das Vergnügen zu sprechen?«

Der junge Mann richtete sich auf.

»Mein Name ist Luis Hernandez,« sagte er. »Er ist Ihnen vielleicht nicht unbekannt?«

Philipp unterdrückte ein Lachen: das war also der künftige oder schon ernannte Präsident von Minorca! Der sofort an Bord kam, um sich den distinguierten ausländischen Gästen zu zeigen ... Offenbar war das seine Gewohnheit: er hatte ja auch bei Kapitän Simmons von der Lone Star Besuch gemacht. Und vielleicht zehn Schritte von ihm, in einer Kajüte des »Storchs«, saß der Mann, dessen Nachfolger er werden wollte.

»Es ist mir ein Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen, Herr Präsident,« sagte er mit einer Verbeugung. »Die Weltpresse widerhallt seit vier Tagen von Ihrem Namen, seit das Telegramm von Kapitän Simmons Barcelona verließ.«

»Ah, hat er telegraphiert! Ich hoffte es, aber fing schon an, unruhig zu werden ... man merkte gar nichts ... und unser Telegraphenkabel funktioniert nicht. Niemand weiß, warum. Es freut mich, daß er telegraphiert hat. Also spricht man von mi ... von uns in Europa?«

»Seien Sie überzeugt davon, Herr Präsident! Man spricht von nichts anderem. Und die Zeitungen sind des Lobes voll für Sie und Ihre mutigen Landsleute. Ich selbst als Repräsentant der Presse ... komme, um Ihnen ihre Huldigung zu bringen und Ihnen ihren Einfluß zur Verfügung zu stellen, Herr Präsident!«

Philipp sprach langsam, um jedes Wort in jenes dankbare Erdreich sickern zu lassen, das Señor Luis Hernandez' Herz offenbar war. Der präsumptive Präsident von Minorca lauschte mit leicht geöffneten Lippen und vorgeneigtem Kopfe, während er sich hie und da mit der Hand über den goldgestickten Rockärmel fuhr. Es war Philipps Wunsch, sich für den Augenblick so gut als möglich mit ihm zu stellen, und offensichtlich hatte er einen geglückten Start gemacht. Señor Hernandez räusperte sich und sagte mit Oratorstimme:

»Das freut mich, Monsieur Pelotard! ... Es freut mich. Es beweist, daß die Presse ihre Aufgabe erkennt, für die Wahrheit und den Sieg des Rechtes zu kämpfen. Es freut mich ... aber nennen Sie mich nicht Präsident, wenn ich bitten darf. Ich bin es noch nicht ... Die Wahlen finden erst in einigen Tagen statt.«

»Ah,« sagte Philipp mit seinem liebenswürdigsten Lächeln, »ich habe gehört, daß man zuweilen den ersten Konsul Bonaparte Sire nannte, ohne daß er es übelnahm!«

Señor Hernandez errötete vor Befriedigung über das ganze Gesicht, aber warf einen raschen Blick auf seinen Begleiter, wie um zu sehen, ob dieser verstanden hatte. Dann sagte er:

»Dies, M. Pelotard, ist der Hafeninspektor, mein Freund Emiliones. Er wird Ihnen in jeder Weise behilflich sein ...«

Er verstummte und warf einen langen Blick auf die Fenster des Speisesaales, wie um anzudeuten, daß der Präsident von Minorca sich nicht sträuben würde, wenn man auf die Idee käme, ihn zum Souper einzuladen; aber Philipp, der seine eigenen Pläne hatte, tat nichts dergleichen.

»Morgen, Señor,« sagte er, »werde ich mir die Freiheit nehmen, Sie aufzusuchen, wenn Sie es gestatten, um mich mit Ihnen zu beraten, was wir am besten in der Presse veröffentlichen sollen.«

»Sie sind sehr willkommen, herzlich willkommen, Señor,« beeilte sich Luis zu versichern. »Sie können mich, wann Sie wollen, nach zwölf Uhr treffen. Von zehn bis zwölf inspiziere ich die Truppen.«

»Und wo,« fragte Philipp, »kann ich Sie treffen?«

»Im Schloß, Señor. Im Palast ...«

Philipp hätte fast laut aufgelacht. Señor Hernandez war nicht faul, von den äußeren Insignien der Macht Besitz zu ergreifen; der Repräsentant des Volkswillens hatte ganz einfach die Residenz des gestürzten Tyrannen übernommen.

»Ah,« sagte Philipp, »im großherzoglichen Schloß ... Darf ich Sie eines fragen?«

»Natürlich, Señor, mit Vergnügen?«

»Was ist aus dem früheren Mieter geworden?«

Señor Hernandez starrte verblüfft und forschend den Repräsentanten der europäischen Presse an ... Dann faßte er sich und murmelte:

»Darüber werden wir morgen sprechen, Señor. Ich wünsche Ihnen einen guten Abend.«

Er sprang in sein Boot, mit Señor Emiliones, der die ganze Zeit kein Wort gesprochen hatte, vielleicht weil er kein Englisch verstand; und nach ein paar Minuten war ihr Fahrzeug in der immer tiefer werdenden Dämmerung verschwunden. Kaum waren sie außer Sehweite, stürzte Philipp von seiner angeblichen Gemahlin weg, die noch mit mörderischen Blicken dem Präsidenten der Republik Minorca nachstarrte, in die Kajütenabteilung hinunter und klopfte beim Grafen von Punta Hermosa an.

»Wir haben Besuch gehabt, Graf, feinen Besuch.«

»Wen denn?«

»Präsident Hernandez! Ich und er sind die besten Freunde der Welt, und morgen werde ich ihn in seiner Wohnung im großherzoglichen Schloß besuchen.«

»Im großherzoglichen ... der verdammte Schurke ... soso, Sie wollen ihn da besuchen? Ich gratuliere. Kommt Madame mit?«

»Madame? Ich hatte alle Mühe der Welt, sie abzuhalten, den Präsidenten bei seinem Besuch zu ermorden. Sie wissen, daß sie royalistisch ist.«

»Ich weiß es, und es freut mich.«

»Soso, Graf! Ich habe auf jeden Fall dem Präsidenten eines zu danken.«

»Eine Einladung ins großherzogliche Schloß?«

»Nein, daß er Minorca vom Großherzog befreit hat! Wäre Don Ramon noch am Ruder, sagten Sie doch, ich hätte Minorca ohne meine Frau verlassen müssen. Aber unter uns gesagt: ich gedenke mit meinem Besuch nicht bis morgen zu warten.«

»Sie haben es sehr eilig, Ihren Freund, den Präsidenten wiederzusehen.«

»Hm, ja. Auf jeden Fall will ich mir seine Hauptstadt ansehen, und darum denke ich, heute abend ans Land zu gehen.«

»Viel werden Sie da nicht sehen. Das Gaswerk der Hauptstadt zeichnet sich durch seine Unzuverlässigkeit aus.«

»Ich werde mich ohne Gasbeleuchtung behelfen. Au revoir, Graf!«

»Nicht so eilig, Professor! Ich möchte mitkommen, wenn Sie nichts dagegen haben.«

Philipp lachte innerlich.

»Ah, Sie wollen mitkommen ... das ist aber sehr unvorsichtig. Und wenn ich etwas dagegen hätte?«

»Dann schwimme ich ans Land.«

»Um alles in der Welt, Graf, das brauchen Sie nicht. Kommen Sie mit, wenn Sie mir versprechen, daß Sie Ihre Eindrücke nicht einer Konkurrenzzeitung telegraphieren! Kennen Sie Mahon?«

»Ein wenig.«

Der Ton des Großherzogs war ganz kurz – es lag ein eigentümlicher Ausdruck der Entschlossenheit in seinem Gesicht, und mit einem Freudenschauer sagte sich Philipp, daß dies hier nach großen Abenteuern aussah.

Von dem Augenblick an, in dem er erwähnt hatte, wo Präsident Hernandez logierte, war das Gesicht des angeblichen Grafen von Punta Hermosa zu einer Maske erstarrt; und wenn Philipp sich im Charakter seines Gastes nicht sehr irrte, bedeutete dies, daß eine gefährliche Zeit für die Revolutionsführer im Lande bevorstand – und auch für sie selbst. Aber er billigte das Gefühl des Großherzogs, er liebte Abenteuer, und sagte sich im übrigen, daß das, was geschah, ganz und gar zu seinen eigenen Plänen paßte.

Als er und der Großherzog auf das Deck kamen, fanden sie, daß die Dämmerung schon in Nacht übergegangen war. Der Großherzog hatte recht gehabt: nicht eine einzige Gaslaterne war in Mahon angezündet. Sie mußten sich mit dem schwachen Licht behelfen, das der nächtliche Frühlingshimmel spendete.

Kapitän Dupont rauchte an der Schiffsbrüstung seine Pfeife. Philipp rief ihm zu, eine Jolle herabzulassen, der Kapitän gab etwas erstaunt die entsprechenden Weisungen.

»Sie wollen ans Land, Professor?«

»Ja, Kapitän. Halten Sie gegen elf Uhr nach uns Ausschau. Mehr als zwei Stunden werden wir uns wohl nicht dort aufhalten. Aber wenn wir bis – sagen wir, bis zwölf Uhr ausbleiben sollten, so passen Sie auf, ob Sie irgend etwas Verdächtiges hören. Man weiß ja doch nicht, was in einem Revolutionslande alles passieren kann.«

»Sie haben recht, Professor. Obgleich sie ihre Revolutionen hier verdammt still machen. Das ist nicht wie in Frankreich. Hier hätte meiner Seel' jeder Dampfer anlegen können!«

»Sie sind ja mit der Revolution schon fertig, Kapitän. Sie haben doch heute nachmittag den neuen Präsidenten gesehen.«

Kapitän Dupont spuckte zur Bestätigung energisch aus.

»Ja, pfui Teufel,« sagte er.

» Au revoir, capitaine,« rief Philipp lachend.

Der einer Republik angehörende Kapitän Dupont schien im Auslande nicht republikanisch gesinnt zu sein.

Er und der Großherzog stiegen in die Jolle. Philipp ergriff die Ruder, und das Boot setzte sich in Bewegung.


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