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Viertes Kapitel,

worin der heilige Urban Gelegenheit hat, sich auszuzeichnen

Das Hotel Universal lag an der Plazuela de San Christobal in Mahon und war das eine der zwei besseren Hotels der Stadt. Es wurde von den wenigen Handlungsreisenden bewohnt, die Anlaß hatten, die Insel zu besuchen; hie und da von einem exzentrischen Engländer, zuweilen von einem Künstler auf der Jagd nach Sonnenscheinmotiven. Im Februar des Jahres 1910 wohnte da Herr Bekker aus Holland.

Herr Bekker war ein ungebildeter Mann mit einem großen, nie versiegenden Gelddurst; absichtlich unverschämt, wo er es sein konnte, unverschämt, aber vorsichtig, wo er keine Gewaltmethoden anwenden zu können glaubte; und starrköpfiger als irgendein Esel, wenn er sich einmal ein Ziel gesetzt hatte. Wir brauchen nicht erst hinzuzufügen, daß dieses Ziel sich immer in Ziffern ausdrücken ließ. Daß es oft schwer zu erreichen war, schreckte, wie gesagt, Herrn Bekker nicht ab; daß es zuweilen auf recht dubiosen Wegen erreicht werden mußte, verursachte ihm keine Seelenkämpfe; aber eine Sache aufzugeben, bei der er Geld verdienen konnte, war etwas, das Herr Bekker nicht früher tat, als bis die Chancen gegen ihn so groß waren, daß er unbedingt Verlust gewärtigen mußte.

Der Sonnabend des dritten Februar, der Tag, an dem wir ihn auf Besuch bei Don Ramon gesehen, hatte schlecht angefangen; Herr Bekker wäre der erste gewesen, das zuzugestehen. Man kann von ihm nicht sagen, daß er etwas zu bereuen pflegte, was er getan, wenn er kein Geld dabei verloren hatte; darum kann man auch nicht behaupten, daß er sein Interview mit dem Großherzog bereute; aber er erkannte mit kalter Erbitterung, daß er für den Augenblick geschlagen war – fühlbar, wie diverse Körperteile bezeugten. Aber sowenig er dieses Interview bereute, sowenig ließ seine Niederlage ihn auch nur einen Augenblick daran denken, seine Pläne aufzugeben. Punta Hermosa war eine Fundgrube, eine große Fundgrube, eine einzig dastehende Fundgrube sogar, wenn seine Witterung ihn nicht irregeführt hatte. Der Schwefelgehalt der Proben, die er angestellt hatte, hatte sich als erstklassig erwiesen, der Zugang an Rohmaterial war großartig, die Arbeitskräfte in Minorca so billig, als man nur wünschen konnte, und die Lage ausgezeichnet: keinerlei Eisenbahnkosten und in Reichweite von Dutzenden von Frachtlinien. Mit einem Worte, ein Geschäft, mit dem Hunderttausende zu verdienen waren, ein kolossales Geschäft – das er auf ein Haar für lumpige 300 000 Pesetas ergattert hätte. Bei diesem Punkte seiner Betrachtungen angelangt, brach Herr Bekker ein Mal ums andere in die furchtbarsten Flüche auf Don Ramon aus. Der listige Schurke! Der heuchlerische Teufel! Sich das Geheimnis gegen Ehrenwort erzwingen, ihm sein eigenes Herzensgeheimnis abzulisten und dann abzulehnen, unter dem Vorwand einer solchen Idiotie wie dem Gedanken an die Arbeiter! Ja, und in einer Weise ablehnen, die Herrn Bekkers Gesichtszügen das Doppelte ihres Umfanges verliehen hatte. Aber warte nur, warte, das würde ihm nicht geschenkt bleiben! Verflucht nochmal, das würde er ihm schon heimzahlen, dem verdammten Armenhausprinzen! Versuchte er sich anderweitig Geld zu verschaffen, um die Gruben in Betrieb zu setzen – und natürlich war das seine Absicht – dann würde er das Vergnügen teuer bezahlen müssen; er konnte noch froh sein, wenn man ihm zehn Prozent des Gewinnes gönnte. Zehn Prozent, und Herr Bekker hatte fünfundzwanzig geboten! Und hatte die Gruben entdeckt – aber gab es denn Recht und Gesetz in diesem Lande? Das hätte in seiner Heimat passieren sollen – aber wenn nun auch der verdammte Prinz, falls er sich das Kapital von anderer Seite verschaffte, nur zehn Prozent bekam, so bekam Herr Bekker nichts! Nichts! Und er war es doch, der ... Herrn Bekkers Wut bei diesem Gedanken war mehrere Male nahe daran, ihn zu ersticken, er machte vor Aufregung kleine Sprünge auf dem Heimweg zum Hotel Universal. Aber als er an der Plazuela de San Christobal angelangt war, war sein Kopf wieder kalt, innerlich, denn seine Ohren und Backen brannten wie Feuer; er schob sein Mißgeschick und seine Rachegedanken bis auf weiteres von sich und konzentrierte sich nur auf eine Sache: wie konnte er Punta Hermosa für sich selbst retten?

Man muß zugeben, daß das Problem schwer zu lösen schien. Minorca, mit allem, was darauf war, gehörte Don Ramon oder seinen Gläubigern; ohne die fiel kein Sperling vom Dache. Punta Hermosa gehörte freilich diesem alten Rindvieh Paqueno, aber Herr Bekker hatte sein ausdrückliches Wort, daß er es lieber verbrennen sehen wollte, als es ihm verkaufen. Er mußte es haben, gleichviel mit welchen Mitteln, aber ... Er befand sich in einem absolut regierten Fürstentum – solange er sich überhaupt noch da befinden durfte! Er war ein rechtloser Mann in Minorca, ganz abgesehen davon, daß er es auch in der Heimat war ... Und lange Zeit hatte er nicht vor sich, denn natürlich würde der Großherzog schon morgigen Tages die Unterhandlungen mit irgendeiner Wucherfirma einleiten, um den Betrieb in Gang zu setzen. Hol' ihn der und jener! Solange er in Minorca regierte, hatte Herr Bekker keine großen Aussichten! Tod und T ... Herr Bekker fuhr zusammen, ohne seinen Fluch abzuschließen. Da hatte er ja die Idee, nach der er gefahndet hatte!! Solange Don Ramon regierte, hatte Herr Bekker keine Aussichten, Punta Hermosa zu bekommen; was blieb also Herrn Bekker übrig, wenn er Punta Hermosa trotz alledem haben wollte?

Daß Don Ramon aufhörte zu regieren.

Mit anderen Worten eine kleine Revolution.

Herrn Bekkers Lebensbahn war, wie wir schon angedeutet haben, nicht ohne ihre Stürme gewesen, auch die eine oder andere kleine Revolution hatte darin nicht gefehlt. Etliche Jahre in den mittelamerikanischen Staaten lassen ein solches Ereignis mehr oder weniger als eine Banalität erscheinen, als ein selbstverständliches Hilfsmittel, wenn die anderen versagen. Herr Bekker hatte sich lange genug in besagtem Teil der Welt aufgehalten, um sich diese Anschauung zu eigen zu machen; und wenn ihn auch der Gedanke, daß er nunmehr in Europa war, etwas einschüchterte, brauchte er doch nicht lange, um sich an Portugal und die Türkei zu erinnern. Hatte etwa jemand bei deren kleinen Auseinandersetzungen mit ihren Regenten eingegriffen? Soweit Herr Bekker sich erinnerte, niemand; und war es da wahrscheinlich, daß man aus dem kleinen Minorca viel Aufhebens machen würde?

Herr Bekker beantwortete diese Frage mit einem ausdrücklich verneinenden Fluch, trat in das Hotel, aß sein Lunch und zog sich auf sein Zimmer zurück. Nach einer halben Stunde einsamer Reflexionen ließ er Señor Luis Hernandez rufen.

Señor Luis war siebenundzwanzig Jahre alt und der Sohn des Porfirio Hernandez, des Inhabers des Hotels Universal; aber größere Gegensätze als dieser Vater und dieser Sohn ließen sich nicht denken. Der alte Porfirio, der das Hotel seit dreißig Jahren inne hatte, war ein phlegmatischer Minorcaner vom alten Schlage; in seinem sechzigjährigen Leben hatte er sich daran gewöhnt, jeden Tag zu sehen, wie die Sonne an dem wolkenlosen Himmel aufging, die Winde in den Palmen säuselten, und das Haus Ramiros das Land mit mildem Zepter und schweren Steuern regierte. Das eine erschien ihm ebenso selbstverständlich wie das andere, und der Gedanke an eine Veränderung des Programms in irgendeinem Punkte war sicherlich nie in seinem Kopfe aufgetaucht. Das Leben war einförmig und die Einkünfte gering, aber solange man sich nicht anzustrengen oder zu hungern brauchte, war es gut, wie es war. Erfüllt von dieser Lebensphilosophie, die er sicherlich nie hätte formulieren können, betrachtete der alte Porfirio mit etwas, das väterlicher Sorge nahe kam, seinen Sohn Luis, so genannt nach dem Großherzog, der bei seiner Geburt regierte. Luis' Jugend war nach minorcanischen Begriffen stürmisch gewesen. Er war unzufrieden mit allem. Minorca war elend und versumpft. Da war nirgends Geld, nur drückende Steuern. Das Hotel konnte nie in die Höhe gebracht werden, solange es war, wie es war, und es gab nichts, worauf ein Mann mit Tatendrang sich werfen konnte. Denn seltsam – es war genug, um Señor Porfirio manchmal dazu zu bringen, an der ehelichen Treue der seligen Frau Hernandez zu zweifeln –, Luis besaß einen unauslöschlichen Tatendrang. Geld zu verdienen, das war es, wovon er Tag und Nacht träumte. Nur das Alter des alten Porfirio hielt ihn davon ab, nach Amerika zu gehen. Er mußte jederzeit darauf gefaßt sein, daß der Alte starb, und er fürchtete, um sein Erbteil zu kommen, falls er nicht am Platze war. So blieb er denn in Minorca und verbrachte seine Zeit damit, große Pläne zu schmieden. Er hatte sich mit einigen Gleichgesinnten zusammengetan, und mit ihnen pflegte er geheime Zusammenkünfte abzuhalten, bei denen sie ihre Geburtsinsel verfluchten und unfruchtbare Pläne entwarfen, reich und mächtig zu werden. Die Bazillen der Unzufriedenen schienen endlich mit den Festlandswinden nach Minorca hinübergeweht worden zu sein.

Von den Besuchern des Hotels hatte Luis ein paar fremdsprachliche Brocken aufgeschnappt, und es war seine besondere Wonne, seine Herzensbitterkeit vor ausländischen Gästen ausschütten zu können. Herr Bekker aus Holland hatte sofort sein Interesse erregt; er beneidete ihn um seinen Reichtum, und er grübelte unablässig darüber nach, wie nur ein reicher Ausländer wie er es solange in Minorca aushalten konnte. Er hatte einige Annäherungsversuche gemacht, die jedoch von Herrn Bekker kurz abgewiesen worden waren. Mit um so größerer Spannung beeilte er sich jetzt, Herrn Bekkers Ruf, auf sein Zimmer zu kommen, Folge zu leisten.

Er fand diesen Herrn gemächlich in dem einzigen Lehnstuhl des Zimmers ausgestreckt, eine Zigarre hing aus seinem Mundwinkel, und seine Hände waren in den Hosentaschen vergraben.

Auf dem Tische neben ihm lag ein Scheckbuch und ein großer Haufen Goldmünzen, bei deren Anblick Luis die Augen weit aufriß. Beim Eintritt des jungen Minorcaners erhob sich Herr Bekker aus seinem Fauteuil und murmelte ein »guten Tag«, das dafür, daß es von ihm kam, ungewöhnlich höflich genannt werden mußte; Luis merkte, daß sein Gesicht rot und verschwollen war.

»Guten Tag, Herr Bekker,« erwiderte Luis auf holländisch mit einer Verbeugung, stolz, seine Sprachkenntnisse zeigen zu können.

»Ja richtig,« sagte Herr Bekker, »Sie sprechen ja meine Sprache, Señor Hernandez!«

Nun redet man einen Minorcaner nie mit Señor und dem Zunamen an, wenn er nicht das Oberhaupt der Familie ist; Herr Bekker wußte das ganz genau. Und in seinem Gruße lag also die Andeutung, daß er den jungen Luis als das wirkliche Oberhaupt der Familie Hernandez betrachtete. Luis errötete leicht bei dieser Schmeichelei und schwieg, vielleicht in dem Bewußtsein, wie weit seine holländischen Kenntnisse reichten.

Herr Bekker bemerkte sein Zögern.

»Señor Hernandez,« sagte er, »wenn Sie gestatten, ziehe ich es vor, spanisch zu sprechen. Ich war so lange im Auslande, daß ich meine Muttersprache schon fast vergessen habe. Aber es ist erfreulich, einen jungen Mann zu sehen, der sich wie Sie, Señor Hernandez, sogar in Minorca in Kontakt mit der großen Welt erhält.«

Luis plusterte sich auf.

»Man tut sein möglichstes, Señor,« sagte er, »aber Sie haben recht, es ist schwer hier in Minorca.«

»Sie sind ehrgeizig, Señor Hernandez? Sie wollen in die Höhe kommen, nicht wahr? Das ist der Eindruck, den ich von Ihnen habe,« sagte Herr Bekker in demselben höflichen, vertraueneinflößenden Tone.

Luis wurde lebhafter.

»Ich habe es mein Leben lang versucht, Señor,« sagte er. »Aber was wollen Sie, was soll man hier in Minorca anfangen? Es ist unmöglich, irgend etwas anders zu machen, als es seit zweihundert Jahren gemacht worden ist. Es ist unmöglich, etwas zu verdienen, unmöglich, etwas zu werden. Alles ist unmöglich in Minorca, Señor, weil es eben Minorca ist.«

»Ja, dann, Señor Hernandez,« sagte Herr Bekker langsam, »bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als Minorca zu verlassen oder es zu verändern.«

Luis lachte bitter.

»Minorca verändern! Sie scherzen, Señor. In Minorca verändert sich nichts! Die Häuser, die Landwirtschaft und alles andere ist genau so, wie vor fünfhundert Jahren. In Minorca verändert sich nichts, und am allerwenigsten Minorca selbst.«

»Sie irren,« sagte Herr Bekker ernst. »Etwas muß sich doch in Minorca verändert haben, da es da junge Männer gibt wie Sie. Wer weiß, was Sie alles tun könnten, um die Lage auf Ihrer Insel zu verbessern!«

Luis wurde noch lebhafter.

»Señor,« sagte er mit selbstzufriedener Stimme, »ich bin nicht dumm, das weiß ich, und ich will nicht leugnen, daß ich geradeso gedacht habe wie Sie. Aber sagen Sie mir, Señor, was kann ich tun?«

»Wenn Sie mit Ihrer Denkweise allein stehen,« sagte Herr Bekker und betrachtete den jungen Mann genau, »können Sie wohl nicht viel tun. Aber ist das der Fall? Haben Sie keine Freunde, die so denken wie Sie? Die Minorca aus seiner Versumpfung aufrütteln wollen? Wenn Sie das haben, begreife ich nicht, daß Sie den Mut sinken lassen, Señor Hernandez!«

»Freunde,« rief Luis heftig. »Gewiß habe ich Freunde, Señor, und nicht so wenige, die so denken wie ich. Sie können überzeugt sein, wir haben viele Pläne entworfen, um einen besseren Zustand herbeizuführen. Viele, sagte ich Ihnen, Señor, und vielleicht nicht einmal so dumme; die Hindernisse, die wir zu überwinden hätten, wären vielleicht geringer, als man glauben könnte. Wir haben Energie, Klugheit und Zusammenhalt. Aber wir haben die Menge gegen uns und den Stumpfsinn des Volkes. Sehen Sie, Señor, das sind zwei Dinge, die man nur mit zwei anderen überwinden kann, Macht oder Geld. Und hat man nur Geld, so ist es keine Kunst, sich die Macht zu verschaffen. Aber wer hat in Minorca Geld? Niemand, nicht einmal der Großherzog, obwohl er uns die unerhörtesten Steuern auferlegt.«

Herr Bekker räusperte sich und sagte langsam:

»Sie interessieren mich mehr und mehr, Señor Hernandez. Sie sind der erste sympathische Mensch, den ich hier getroffen habe, Sie sind sehr klug für Ihr Alter, sehr klug. Ich freue mich, Señor Hernandez, ich freue mich sehr, wenn Sie mir sagen, daß Sie in Ihrer Art nicht allein dastehen. Macht und Geld, sagen Sie. Ja, das ist freilich wahr. Aber wäre denn soviel Geld nötig, um Ihre Pläne auszuführen? Ich ...«

Luis unterbrach ihn unvermittelt. Das mehrmals wiederholte Wort Geld hatte seine Gedanken zu seinem Lieblingsthema zurückgeführt und zugleich seine Vorsicht geweckt. Was er Herrn Bekker eben gesagt, hatte er freilich auch zu vielen anderen Ausländern gesagt, denen er Minorcas Not geklagt hatte, aber dieser Herr Bekker erschien so mysteriös – und das Regime des Großherzogs war zwar milde, aber er wünschte es durchaus nicht, daß seine Untertanen politische Interessen betätigten.

»Señor,« sagte er mit Würde, »ich muß mich falsch ausgedrückt haben, wir haben keine Pläne, die wir ins Werk zu setzen gedenken. Wir haben nur so ganz allgemein diskutiert, ob es wohl möglich wäre, die Lage Minorcas zu verbessern. Und da sind wir immer zu dem Schluß gekommen, daß dazu eine ganze Menge Geld nötig wäre, Señor.«

Er betrachtete Herrn Bekker mit einem Blick, der deutlich sagte: Mich kriegen Sie nicht dran! Sie scheinen nach irgend etwas aus zu sein, aber wenn Sie ein Spion sind, so werden Sie mich nicht fassen, und wenn es sich um etwas anderes handelt, dann wird nicht geknausert.

Herr Bekker erwiderte seinen Blick einige Sekunden lang, dann sagte er:

»Gewiß, Señor. Ganz im allgemeinen. Das meinte ich ja eben. Diskutieren wir auch ganz im allgemeinen über die Möglichkeit, Minorca aufzurütteln. Sie glauben, daß das vom Gelde abhängt. Nun – und wenn Sie Geld hätten, was würden Sie dann tun?«

Er zog wie in Gedanken sein Scheckbuch etwas näher heran und stieß an den Goldhaufen auf dem Tisch, so daß er klirrte. Unter halbgesenkten Augenlidern beobachtete er Luis. Der junge Minorcaner hatte den Kopf zur Seite gewendet, um den Kampf zu verbergen, der sich in seinem Innern zwischen Vorsicht und Geldgier abspielte. Plötzlich begegnete sein Blick dem Herrn Bekkers, ein Lächeln flog über sein schwärzliches Gesicht, und er sagte:

»Aufrichtigkeit ist das beste, Señor, wie mein alter Vater sagt. Ich glaube nicht, daß Sie spionieren, und übrigens kann ich mich auch in diesem Falle noch immer frei schwören oder durchbrennen. Sie fragen, was wir tun könnten, wenn wir Geld hätten. Ich sage Ihnen: alles. Die Unzufriedenheit ist aufgehäuft, und es gilt nur, sich ihrer zu bedienen. Aber warum fragen Sie, Señor? Sollten Sie vielleicht Lust haben, Geld für unser kleines Unternehmen einzusetzen?«

Nun war es an Herrn Bekker, verlegen den Blick zu senken. Die Frontattacke des jungen Mannes überrumpelte ihn, und er wußte nicht, was er auf seine plötzlich hinausgeschleuderte Frage antworten sollte. Luis fuhr ganz gelassen fort, ohne ihm Zeit zur Überlegung zu geben.

»Genieren Sie sich nicht, Señor! Ich bin nicht dumm, und ich verstehe schon, daß Sie selbst nach etwas aus sind!«

Herrn Bekkers Zaudern hörte mit einem Male auf. Wie die Katze um den heißen Brei herumzugehen, sagte ihm ohnehin nicht sonderlich zu. Er zog einfache und brutale Methoden vor, und so antwortete er kurz:

»Ganz richtig, Señor. Ihr Vater hat in diesem Falle recht. Aufrichtigkeit ist das beste. Ich könnte ja sagen, daß ich Ihr Land aus seiner Bedrückung befreien will – das will ich ja natürlich auch, aber nur, weil dies zufälligerweise mit meinen eigenen Interessen zusammenfällt. Ich habe etwas in petto, das das Volk aufrütteln und euch Arbeit und Geld bringen könnte. Aber wie die Dinge nun liegen, habe ich keine Aussicht, damit durchzudringen. Eure wahnsinnige Regierungsform ist der Ursprung eures ganzen Unglücks. Wenn Sie und Ihre Freunde diese ändern wollen, ist es nicht ausgeschlossen, daß ich Ihnen mit Geld unter die Arme greife. Verstehen Sie? Aber sie gründlich ändern, Señor. Na, was sagen Sie? Ist es das, was Sie wollen? Und eignen Sie sich dazu?«

Luis fixierte ihn ernst.

»Señor,« sagte er, »wenn es uns nun gelingt, eine solche Veränderung wie die, von der Sie sprechen, herbeizuführen, was hätten wir für einen Vorteil davon?«

»Aber, Hernandez, sprachen Sie nicht eben davon, was für große Pläne Sie ins Werk setzen wollten, wenn nur Minorca anders wäre? Ich bin vielleicht geneigt, Ihnen die Mittel zu geben, die Verhältnisse hier zu ändern. Dann haben Sie doch das Feld frei.«

Luis ließ sich durch Herrn Bekkers Beredsamkeit nicht irremachen.

»Das ist schon möglich,« sagte er kalt. »Aber ich bin überzeugt, daß Sie das Feld noch freier hätten und bedeutend größeren Nutzen aus der Veränderung ziehen würden als wir. Ich fürchte, wir würden Ihnen nur die Kastanien aus dem Feuer holen.«

»Wir, sagen Sie höchstens, die anderen! ...« Herrn Bekkers Stimme war meisterlich in ihrer überredenden Listigkeit. »Alle können nicht gleich verdienen, Hernandez. Kooperative Geschäfte sind nie nach meinem Geschmack gewesen. Einer muß der Führer sein, mit anderen Worten, Sie, und den ganzen Profit teilen.«

Luis betrachtete ihn mit klugen schwarzen Augen.

»Sie sprechen einleuchtend, Señor,« sagte er, »aber Sie haben mir noch nicht gesagt, was für ein Geschäft es ist, das Sie in petto haben, und wobei der Führer die Einkünfte mit Ihnen teilen sollte.« Herrn Bekkers borstige weißliche Augenbrauen sträubten sich drohend, und seine Wangen wurden noch röter, als sie schon waren. Wollte dieser junge Laffe versuchen, ihm denselben Streich zu spielen wie der verdammte Großherzog am Vormittag? Verflucht noch einmal, da wollte er rasch einen Riegel vorschieben. Es konnte genug sein, sich sein Geheimnis einmal im Tag stehlen zu lassen.

»Mein Lieber,« sagte er mit kaum beherrschter Wut. »Ich will Ihnen vor allen Dingen eines sagen: versuchen Sie nicht, mir Fragen über das zu stellen, was ich in petto habe, denn dann ist es mit meiner Hilfsbereitschaft sofort aus. Das bleibt meine Privatsache, verstehen Sie, bis Sie Ihren Teil des Programms ausgeführt haben. Meine Privatsache, verstanden, und damit Punktum. Ich will Ihnen nur eines sagen, es ist ein Unternehmen, das der ganzen Insel Profit bringen wird – und am meisten uns beiden, Ihnen und mir. Mit diesem Bescheid müssen Sie sich vorderhand begnügen, und wollen Sie das nicht, dann muß ich mich eben nach jemandem anderen umsehen, der klüger ist als Sie. Und das wäre schade, nicht wahr? Sie sind ja wie geschaffen für eine Präsidentenuniform.«

Luis errötete, aber sah noch unentschlossen drein.

»Eine Unternehmung, die der ganzen Insel Profit bringt,« sagte er, »es ist nur alles so sonderbar, Señor. Weshalb müßten Sie dazu erst die Regierung stürzen? Wir sind hier nicht mit Unternehmungen verwöhnt, die irgend jemandem Profit bringen, und wenn Sie so etwas gefunden haben, bin ich sicher, daß der Lahme dort oben mit beiden Händen zugreifen würde. Geld ist nicht seine starke Seite, das werden Sie ja ohnehin wissen. Ich finde, daß Ihre Geheimniskrämerei mir gegenüber ganz unnötig ist – und sie macht mich ängstlich, Señor.«

Herr Bekker betrachtete ihn rasch, dann beugte er sich vor und ergriff ihn am Knopfloch.

»Hören Sie mich an,« sagte er. »Sie sind vernünftig genug, um zu verstehen, was ich sage. Gerade weil Ihr jämmerlicher Herzog in einer solchen Patsche ist, komme ich zu Ihnen. Der würde ja alles für seine eigene Rechnung wegschnappen wollen, das können Sie sich doch denken, und überhaupt ist der Mann total verrückt! Ich war heute bei ihm, ich gab ihm zu verstehen, was für Pläne ich habe, und bot ihm vernünftige Bedingungen. Wissen Sie, was er sagte? Er ziehe es vor, sein Geld so zu bekommen, wie er es jetzt bekommt, und auf das Volk pfeift er – denen braucht es gar nicht besser zu gehen, rief er ein Mal übers andere! Vergessen Sie ja nicht, das Ihren Freunden zu berichten! Was sagen Sie, Hernandez, was sagen Sie zu einem solchen Regenten?« Herr Bekker zitterte vor Empörung. »Aber ich werde mit diesem Schurken schon abrechnen! Ich werde ... entweder mit Ihrer Hilfe oder der irgendeines anderen. Ich habe, hol' mich der Teufel, Geld genug, um eure ganze schundige Insel zu kaufen und eure Regierung zehnmal zu stürzen, und Leute, die mir dabei helfen wollen, brauche ich nicht erst zu suchen, falls Sie das glauben. Aber mein Geheimnis behalte ich für mich, verstehen Sie, und nun will ich sofort von Ihnen Bescheid haben.«

Herr Bekker betrachtete Luis mit blitzenden Augen, wieder ganz außer sich bei der Erinnerung an das Benehmen des elenden Herzogs. Luis überlegte rasch. Herr Bekker war nicht mehr so imponierend, nun er seine Karten teilweise aufgedeckt hatte, aber Luis hatte noch immer Angst, von ihm genasführt zu werden. Sich blind für einen Fremdling ans Werk zu machen, sagte ihm durchaus nicht zu, aber andererseits hatte er bei einem Coup selbst alles zu gewinnen, Gold, Ehre und Würden ... Ja, und hatte er es einmal soweit gebracht, dann würde es auch nicht schwer sein, Herrn Bekker zu überlisten ... Aber wenn er nein sagte, konnte dieser leicht einen anderen finden, daran war nicht zu zweifeln. Sein Entschluß war gefaßt.

»Nun wohl, Señor,« sagte er, »das geht zwar etwas zu rasch für meinen Geschmack, aber Sie werden Ihre Gründe zur Eile haben. Ich bin Ihr Mann, Señor. Aber wir werden ein schweres Stück Arbeit haben. Das Volk ist ganz stumpfsinnig aus lauter Respekt vor der Obrigkeit, doch wenn Sie mir freie Hand und Geld genug geben, schwöre ich, daß wir bald Erfolg haben werden. Aber Geld, das ist das wichtigste, Señor!«

Er warf einen bedeutungsvollen Blick auf das Scheckbuch und das Gold, das vor Herrn Bekker lag, einen Blick, halb Habsucht, halb Respekt. Aber Herr Bekker sagte ganz kurz:

»Das wichtigste! Vielleicht für Sie, Luis. Steht die Sache so, dann fürchte ich, werden wir nichts miteinander zu tun haben. Ich weiß schon, daß man für eine Revolution Geld braucht, aber bevor Sie mir nicht mit klaren Plänen kommen, was Sie zu tun gedenken, gebe ich nicht eine Peseta her. Oder haben Sie den Plan vielleicht schon fertig?«

»Teilweise, Señor. Ich habe Ihnen ja schon gesagt, daß wir, ich und meine Freunde, allerhand Pläne entworfen haben, die nur an dem Mangel an Kapital gescheitert sind. Ich werde mich jetzt sofort an sie wenden, und es wird nicht lange dauern, so kann ich Ihnen das Ergebnis mitteilen, Señor.«

Luis sprach mit großer Würde, seine Stimme war leicht vorwurfsvoll, und seine Augen fügten deutlicher hinzu als Worte: Und ein kleiner Vorschuß, Señor, ist überaus angezeigt, wenn man Revolutionen inszeniert. Aber Herrn Bekkers Augen waren kalt und zeigten keinerlei Verständnis für diese stumme Sprache.

»Es ist gut,« sagte er, »besprechen Sie sich also mit Ihren Freunden und kommen Sie dann zu mir. Ich gebe Ihnen nur einen Rat: je früher Sie fertig werden, desto besser. Haben Sie einen Plan, der etwas taugt, so ist hier Geld genug (er nickte nach dem Tische hin) und auch die Mittel, es zu behüten (eine Revolvermündung schimmerte plötzlich aus seiner rechten rückwärtigen Tasche).«

Luis fuhr zusammen, ob unangenehm überrascht oder weil ihm eine plötzliche Idee kam, blieb ungewiß.

»Señor,« sagte er, »etwas hätte ich beinahe vergessen. Waffen müssen wir unbedingt haben. Sie begreifen, daß ...«

»Ich begreife, daß eine Revolution ohne Pulverrauch ein Unding wäre. Seien Sie beruhigt, Luis, in einer Woche werde ich Ihnen Waffen in die Hand geben. Morgen telegraphiere ich einem Bekannten in Barcelona. Aber beeilen Sie sich inzwischen mit den Vorbereitungen. Je früher Sie fertig werden, desto besser, merken Sie sich das, Luis.«

Herrn Bekkers Ton, der zu Beginn des Gespräches ganz vorsichtige Höflichkeit gewesen war, war plötzlich knapp und gebieterisch geworden. Aus Señor Hernandez war zuerst Hernandez und schließlich Luis geworden. Jetzt, wo er mit seinem Mann im klaren war, hielt er offenbar alle Umschweife für unnötig. Luis schien von dieser Veränderung nicht gerade angenehm berührt und wollte schon dagegen protestieren; aber nach einem Augenblick des Zögerns verbeugte er sich verbindlich, flüsterte: sobald als möglich, Señor, und verschwand. Herr Bekker verriegelte die Tür hinter ihm. Einen Augenblick später hörte Luis ein anderes Schloß in seinem Zimmer einschnappen, vermutlich hatte er sein Gold eingesperrt. Die Treppen halb heruntergekommen, blieb Luis stehen, es war ihm etwas eingefallen.

»Ich möchte doch wissen,« murmelte er, »warum Herrn Bekkers Wangen so verschwollen waren. Sollte der Lahme ...«

Seine Grübeleien endeten mit einem hellen Auflachen, das in dem alten Treppenhaus des Hotel Universal widerhallte.

 

Dies war am 13. Februar. Vier Tage später hatte Herr Bekker eben an seinem Mittagstisch im Hotel Universal Platz genommen, als Luis in den Speisesaal trat und mit einer Verbeugung vor ihm stehenblieb.

»Señor,« flüsterte er, »wir sind fertig.«

»Na, beeilt haben Sie sich gerade nicht,« sagte Herr Bekker kühl. »Ich dachte schon halb und halb daran, meine Pläne zu ändern.«

Luis wurde sichtlich unruhig.

»Señor,« sagte er, »Sie müssen schon entschuldigen, aber die Verzögerung kam daher, daß einer meiner Freunde abwesend war, einer der wichtigsten. Wollen Sie mir heute abend zu unserem Versammlungsort folgen, können Sie sich selber überzeugen, was ich ausgerichtet habe.«

»Der gewöhnliche Mumpitz bei solchen Geschichten,« sagte Herr Bekker hohnvoll. »Ist das in Minorca wirklich nötig? Nun, wo soll ich Sie also treffen?«

»Draußen auf dem Marktplatz, wenn Sie mit Ihrem Mittagessen fertig sind, Señor. Paßt Ihnen das?«

Herr Bekker nickte, und Luis verschwand.

Eine halbe Stunde später fand Herr Bekker Luis auf der Plazuela di San Christobal, auf ihn wartend. Es war schon seit ein paar Stunden dunkel, denn in diesen Breitengraden folgt die Nacht unvermittelt auf den Tag, im Februar schon gegen fünf Uhr; doch der Himmel war vom Mondschein blauweiß porzellanfarben. Es war ganz ruhig, und die Palmen auf dem kleinen Marktplatz standen regungslos da; aber aus der Ferne hörte man das sachte Rauschen des Mittelmeeres, das auch bei ruhigem Wetter selten ganz still ist. Im Osten erhob sich die dunkle Linie des Schlosses gegen den Nachthimmel.

»Gut, daß der Mond uns leuchtet, Señor,« sagte Luis und verbeugte sich tief vor seinem Arbeitgeber. »Das Gaswerk gibt schon seit einer Woche kein Gas. Die Steuern sind schwer, und niemand bezahlt seine Abgaben. Diesen Weg, Señor.«

Er begann ein paar Schritte vorauszugehen, und Herr Bekker folgte ihm, seine Zigarre paffend, ebenso selbstsicher wie gewöhnlich. Es ging ins älteste Viertel Mahons, das sich an der nördlichen Hafenseite am Fuße der alten Bastion erhob. Die Straßen waren kaum mehr als meterbreit; die Häuser hatten klaffende schwarze Eingänge, wo man im Mondlicht die untersten Stufen steiler Treppen sah, die zu den oberen Stockwerken führten. Die Fenster, die überall saßen, nur nicht da, wo man sie zu finden erwartete, waren von graugrünen Jalousien verdeckt, die der ganzen Straße das Aussehen eines Gefängniskorridors gaben.

An der einen oder anderen Straßenkreuzung schimmerte es aus den Fensterluken irgendeiner Schenke, und von innen drang Mandolinenzupfen und Stimmengewirr; sonst hörte man keinen Laut, es war, als sei die Stadt ausgestorben.

»Dieses Nest hat es aber verflucht nötig, ein bißchen aufgepulvert zu werden, Luis,« sagte Herr Bekker zu seinem Begleiter.

»Das wollen wir schon besorgen, Señor,« erwiderte Luis artig. »Jetzt sind wir gleich am Ziel.«

Zwei Minuten später öffnete er das Tor eines kleinen, weißgetünchten Hauses, das ebenso öde und ausgestorben aussah wie die Straßen, durch die sie eben gekommen waren. Es lag ganz für sich in einem kleinen Gärtchen, wo der Mondschein auf ein paar Zitronenbäume mit grüngelben Früchten fiel, und auf einige Kohlpflanzen, die in der Mondbeleuchtung abgehauenen Menschenköpfen glichen. Ringsumher waren leere Baugründe, auf denen niemand zu bauen gedachte, dicht hinter dem Hause stieg die Felswand, eisgrau im Mondschein, an, und auf ihrer Spitze erhob die Bastion ihre verwitterten Mauern und ihre klaffenden Kanonenlöcher. Im Flur angelangt, bog Luis in einen steingepflasterten Korridor ein, der an der linken Seite kleine numerierte Türen hatte. Plötzlich blieb er vor einer breiteren Tür rechts stehen, klopfte fünfmal und flüsterte: »Ich bin es, Luis Hernandez.« Dann öffnete sich die Tür von innen, und Herr Bekker und sein Wegweiser traten ein.

Sie kamen in einen länglichen Saal mit weißgetünchten Ziegelwänden, die sich an einem Ende zu einer apsisartigen Vertiefung verschmälerten. Davor hing eine schwarze Draperie, die die Füße von zwei großen Girandoles sehen ließ. Im übrigen hatte das Zimmer nur ein paar kleine vergitterte Fenster an der Außenwand. Das Ganze erinnerte am ehesten an den Andachtssaal in einem Gefängnis. Ein großer Tisch aus ungehobeltem Holz war offenbar für den Anlaß hingestellt, mitten darauf stand ein dreiarmiger Leuchter mit qualmenden Kerzen, und ringsherum befanden sich sechs Personen, die Herr Bekker in der schwachen Beleuchtung nur undeutlich unterscheiden konnte. Aber drei davon fielen ihm sogleich auf. Der erste war ein kleiner, grinsender Buckliger mit Spinnenbeinen und einer hohen, kahlen Stirne über einem bartlosen Gesicht. Er mochte etwa 40 Jahre sein und hatte eine frappante Ähnlichkeit mit einem Schneider, an den sich Herr Bekker aus seiner Heimat erinnerte. Bei Herrn Bekkers Eintritt lächelte er kriecherisch und vollführte mit seinem eiförmigen Körper eine tiefe Verbeugung. Der andere war ein dicker, schulterbreiter Mann mit einem schwarzen Bart, der das halbe Gesicht bedeckte, und aus dem die Zähne hie und da auffunkelten wie der Schaum auf den Wogen eines dunklen Meeres. Sein Blick war ebenso kalt und düster, wie der des Buckligen einschmeichelnd und kriecherisch. Er machte nur eine unmerkliche Bewegung mit dem Kopfe, um anzudeuten, daß er Herrn Bekkers Eintritt bemerkt hatte. Herr Bekker, der eine Despotennatur derselben Art wie seine eigene ahnte, faßte sofort eine herzliche Antipathie gegen ihn – ein Gefühl, das sich beinahe in Angst verwandelte, als er von ihm den Blick seinem Nachbarn zuwandte. Dieser war ein noch junger Mann, dessen Gesicht in dem Grade hohl und bleich war, daß es mehr dem Antlitz eines Toten als eines Lebenden glich; die Augen lagen tief in den Höhlen und glühten in einem Feuer, das Enthusiasmus, aber auch Haß und Gier sein konnte. Er war ganz schwarz gekleidet; als bei einer plötzlichen Bewegung das Licht der Kerze auf ihn fiel, sah Herr Bekker zu seiner Überraschung, daß seine schwarze Tracht eine Mönchskutte war, aber unter den Knien abgeschnitten.

Luis hatte die Tür geschlossen und machte nun einen Schritt auf seine Freunde zu. Mit einer theatralischen Geste auf Herrn Bekker weisend, sagte er:

»Kameraden, ich habe die Ehre, euch dem edlen Freunde vorzustellen, durch den wir hoffen dürfen, unsere Pläne bald verwirklicht zu sehen, den Tyrannen gestürzt und das arme Minorca befreit. Kameraden, dies ist Herr Bekker aus Holland, der schon früher in Amerika für die Sache der Freiheit gekämpft hat. Wenn nicht Gründe der Vorsicht dagegen sprächen, ich würde euch bitten, ein Hoch auf unseren uneigennützigen Gönner auszubringen. So aber will ich mich darauf beschränken, euch ihm vorzustellen, so daß wir dann gemeinsam unsere großen Pläne besprechen können.

Señor Bekker, Sie sehen hier die sechs beherzten Männer, die so wie ich geschworen haben, unser Vaterland aus seiner Erniedrigung zu retten, und zwar möchte ich Ihnen ganz besonders die drei verstellen, die neben mir das Ganze leiten sollen.«

Luis, der mit seiner besten Stimme sprach, machte eine Pause, wie um abzuwarten, ob jemand bei den Worten »neben mir das Ganze leiten sollen« protestieren würde, aber niemand sagte etwas. Er legte seine Hand dem Buckligen auf die Schulter.

»Dies hier,« sagte er an Herrn Bekker gewendet, »ist unser Freund Amadeo, der ein Gasthaus im Hafenviertel hat, die Schenke zum Kommandanten, die Sie wahrscheinlich nicht kennen, Señor. Hier neben ihm sehen Sie drei seiner Freunde, Señor Quelejas, Señor Garcia und Señor Vatello, alle redliche Freunde der Freiheit. Amadeo, Señor, ist der wirkliche Führer in seinem Viertel, sein Gasthaus ist das einzig besuchte, und er kennt alle seine Gäste in- und auswendig, er weiß, was sie trinken, er weiß, was für Unrecht ihnen widerfahren ist, wie ihre Geschäfte gehen ... Amadeo, Señor, ist unschätzbar, denn durch ihn erreichen wir die ganze untere Bevölkerung von Mahon und haben sie auf unserer Seite.«

»Aber das wird Geld kosten, Señor,« sagte der Bucklige mit einem einschmeichelnden Grinsen. »Ich bin ein armer Mann, und will für die Freiheit tun, was in meinen Kräften steht, Señor. Aber ganz Mahon zu freier Verzehrung einladen, das kann ich nicht. Darum sage ich, es wird Geld kosten, Señor.«

Herr Bekker nickte kalt. Amadeo zog sich mit einer Verbeugung zurück, und Luis fuhr fort, auf den Mann mit dem Barte weisend:

»Dies, Señor Bekker, ist unser Freund Eugenio Posada, Sergeant der Leibwache. Señor Posadas Familie ist von der Obrigkeit sehr übel mitgespielt worden, und er ist voll Eifer für unsere Sache ...« Luis schien im Begriffe, die Verunrechtungen Señor Posadas näher zu spezifizieren, aber verstummte bei einem kurzen Blick des Sergeanten. – »Durch seine Stellung, Señor Bekker, kennt unser Freund Eugenio die ganze Leibwache, zweihundert Mann, deren Aufgabe es ist, in Mahon und der Umgegend zu patrouillieren. Die Verhältnisse in der Truppe sind schlecht, die Leute haben allen Anlaß zur Unzufriedenheit. Der Sold wird höchst unregelmäßig ausgezahlt, und es war sogar der Wunsch des Großherzogs, die ganze Wache zu verabschieden.«

»Ganz vernünftig von ihm,« murmelte Herr Bekker. »Wozu braucht der sich eine Leibwache zu halten! Lächerliche Protzerei.«

»Auf jeden Fall werden Sie verstehen, Señor, daß die Wache ihre Bedeutung für uns hat. Zweihundert Mann sind ja nicht viel, aber sie sind doch immerhin bewaffnet, und wir können es nicht riskieren, sie gegen uns zu haben, wenn Sie uns auch Waffen beschaffen, wie Sie versprochen haben. Aber wenn Sie es möglich machen, Señor, können wir durch unseren Freund Eugenio das Hindernis beseitigen. Bedenken Sie, Señor, daß die Leibwache von der alten Bastion hier oben die ganze Stadt beherrscht!«

»Der alte Schutthaufen,« murmelte Herr Bekker voll Verachtung.

»Schutthaufen! Sie scherzen, Señor! Eugenio sagt mir, daß mehrere der Kanonen vollkommen verwendbar sind, und daß sich gar nicht so wenig Pulver und Kugeln in den Magazinen vorfindet. Aber mit Señor Posadas Hilfe haben wir von dieser Seite nichts zu befürchten. Der Tyrann verliert seine letzte Stütze, Señor.«

»Gut, gut, Luis,« sagte Herr Bekker kurz. »Und der Herr im Bonjour?«

»Der Herr im Bonj..., Señor Bekker! Das ist der hochwürdige Vater Ignazio. In seinem Hause befinden wir uns. Vater Ignazio hatte es früher als eine Freistatt der Forschung eingerichtet und eine Anzahl Schüler hier unterrichtet. Der Saal, in dem wir uns befinden, war Gebetskapelle und Refektorium zu gleicher Zeit. Leider wurde die Anstalt vom Freunde des Großherzogs, Paqueno, geschlossen, der selbst im Jesuitenkollegium in Barcelona studiert hat und behauptete ...«

»Kümmern Sie sich nicht darum, was Paqueno behauptete, Luis,« rief der bleiche Mann in der Mönchskutte mit erregter Stimme. »Ein elender Laie, Señor, ohne jeden Begriff von religiösen Dingen. Ich hasse ihn, und die Zeit wird noch kommen, wo ich mich an ihm rächen werde. Man sagt mir, Señor, daß Sie unsere Plane zu unterstützen wünschen. Sie hätten keine besseren Männer finden können als uns drei, die Sie hier sehen ...«

»Und mich,« schaltete Luis rasch ein, »mich und Sie drei, Vater Ignazio!«

»Wir drei«, fuhr der Hohläugige fort, ohne Luis' Unterbrechung zu beachten, »können alle Schichten der Bevölkerung bearbeiten, Amadeo die Stadtbevölkerung, Eugenio die Leibwache, und ich, Señor, die Landbevölkerung. Ich war früher Priester der heiligen Kirche, Señor, bis dieser Paqueno, der Einfluß beim Erzbischof hat, mich absetzen ließ. Gleichviel, Señor, in meinem Herzen bin ich noch Priester der Kirche, und ich habe mich auch, wie Sie sehen, geweigert, meine Tracht abzulegen, wenn ich sie auch gekürzt habe. Die Schäflein in Minorca, unter denen ich gewirkt habe, lauschen noch immer der Stimme des wahren Hirten, namentlich auf dem Lande, Señor. Sie haben sich über vieles zu beklagen. Aller Grund und Boden gehört dem Großherzog, die Landwirtschaft ist von ungeheuren Steuern bedrückt, ebenso der Obstbau. Meine Schäflein, Señor, gehen wohin ich will, aber sie sind arm, und wenn ich sie in Bewegung setzen soll, so wird das Geld kosten ...«

Vater Ignazio legte auf die letzten Worte seiner Ansprache besonderes Gewicht und heftete den Blick unverwandt auf Herrn Bekker. Es war klar, daß sowohl er wie die anderen erwarteten, daß dieser sich jetzt äußern würde. Herr Bekker nahm den Zigarrenstummel aus dem Munde, wo er ihn bis jetzt gehalten und warf ihn in die Richtung der Apsis mit dem schwarzen Vorhang (Vater Ignazios Augenbrauen zogen sich unheilverkündend zusammen), dann begann er in seinem gewöhnlichen kurzen Kommandoton:

»Nun gut, meine Herren, ich habe Ihnen mit Aufmerksamkeit zugehört. Es kommt mir nicht unmöglich vor, daß Sie die rechten Männer für dieses Unternehmen sind, wenn Sie Geld in die Hand bekommen. Luis hier hat Ihnen wohl gesagt, daß ich geneigt bin, Sie mit Kapital zu unterstützen. Aber zuerst will ich ein paar Sachen klargestellt sehen. Vor allen Dingen, was ist Ihr Ziel? Wie weit gedenken Sie zu gehen, wenn sich Ihnen die Gelegenheit bietet?«

Herr Bekker verstummte und fixierte Luis' Freunde. Ein Sturm von Ausrufen brach in der eigentümlichen Versammlung los. Jeder suchte den anderen in freiheitlichen Vorschlägen zu überbieten. Zum Schluß gelang es Luis, der die ganze Zeit lauter geschrien hatte als die meisten, seine Freunde vollends zu übertönen, und er rief, indem er sich theatralisch bald an diese, bald an Herrn Bekker wandte:

»Kameraden, unser edler Gönner, Señor Bekker, wünscht zu wissen, wie weit wir gehen wollen, wenn sich uns die Gelegenheit bietet, er will wissen, was unser Ziel ist! Ich glaube, ich kann für uns alle antworten: unser Ziel ist, den furchtbaren Alpdruck zu beseitigen, der auf Minorca lastet, die wahnsinnige Regierungsform, die jeden Fortschritt verhindert. Laßt uns tun, was die Portugiesen vor zwei Jahren mit ihrer elenden Regierung taten. – Aber setzen wir die Axt an die Wurzel ... Lassen wir nicht soviel ungeschehen wie sie!«

Luis' Ton, als er diese Worte rief, war von bedeutungsvollem Pathos. Er war kein schlechter Redner; und nachdem seine Zuhörer für einen Augenblick vor den Konsequenzen seiner Worte zu zaudern schienen, brach ein schriller Jubelsturm der Zustimmung los. Luis hörte errötend vor Befriedigung zu und betrachtete selbstzufrieden Herrn Bekker. Nur der abgesetzte Priester und der Sergeant verhielten sich bei dieser Demonstration kalt. Herr Bekker, dem nichts entging, fragte:

»Sie stimmen nicht ein, meine Herren? Sie billigen die Worte Ihres Freundes nicht?«

Der abgesetzte Priester nickte ein kurzes »doch«, und der Sergeant folgte seinem Beispiel, aber mit einem raschen Blick auf Señor Luis Hernandez, der Herrn Bekker in seinem Schlangenherzen lächeln ließ. Unser Freund Luis, dachte er, mag ein vortrefflicher Redner sein, aber ich fürchte, seine Präsidentenwürde ist etwas wacklig.

Er ließ den Lärm durch eine Gebärde verstummen und ergriff wieder das Wort:

»Ich sehe, Sie gedenken gründlich zu Werke zu gehen, Señores. Das ist gut, das ist das einzig Richtige. Bedenken Sie, daß Manuel den Portugiesen noch immer Scherereien macht, während Alexander von Serbien schon längst vergessen ist. Luis hat recht: Sie dürfen nicht soviel ungeschehen lassen wie die Portugiesen, und das ist überhaupt die einzige Bedingung, unter der ich Ihnen das Geld gebe.«

Herr Bekker machte eine kurze Pause, um seine Worte wirken zu lassen und fuhr dann fort:

»Aber eine andere Sache ist noch zu erledigen. Ich bin Geschäftsmann, und Sie werden also verstehen, daß ich nicht so ohne weiteres Geld in ein solches Unternehmen wie das Ihre stecke. Ich bin bereit vorzuschießen, was ich für notwendig halte, aber ich verlange Sicherheit dafür. Die einzige Sicherheit, die Sie haben, und mit der ich mich einverstanden erklären kann, ist Grundbesitz. Ich habe mich auf der Insel umgesehen, und da ist ein Platz, der mir zusagt. Nämlich das Schloß Punta Hermosa. Das verlange ich als Sicherheit für das Geld, das ich Ihnen vorschieße.«

Herr Bekker wurde durch ein dumpfes Lachen unterbrochen. Es kam von dem hohläugigen Vater Ignazio. Herr Bekker runzelte die Stirne und betrachtete ihn fragend.

»Verzeihen Sie mir, Señor,« sagte der abgesetzte Priester, »aber als Sie von Punta Hermosa sprachen, fiel mir eine Stelle in der Heiligen Schrift ein, die sehr gut auf diesen Fall paßt. Darum habe ich gelacht.«

»Was für eine Stelle?« fragte Herr Bekker kalt.

»Die Stelle im Evangelium Markus, wo davon die Rede ist, die Teufel mit Beelzebub auszutreiben, Señor. Punta Hermosa gehört Paqueno, und es ist der einzige Fleck Erde in Minorca, der nicht bei den Juden verpfändet ist. Nun nehmen Sie es als Pfand, um die zu vertreiben, die das andere verpfändet haben.«

»Schön, schön,« schnitt Herr Bekker ab, »ich habe einen Kontrakt mitgebracht, der von Ihnen allen als Führern des Unternehmens unterzeichnet werden soll. Darin erkennen Sie das Ziel dieser Verschwörung an, und bestätigen, daß Sie mir für die Beträge, die ich Ihnen vorstrecke, Punta Hermosa verpfändet haben. Die Summe habe ich nicht ausgefüllt. Lassen Sie mich hören, was Sie Ihrer Ansicht nach brauchen.«

Es wurde still, in alle Gesichter der wunderlichen Versammlung trat ein und derselbe Ausdruck, der der Geldgier, ein jeder ging mit sich selbst zu Rate, welchen Betrag er wagen sollte zu nennen. Luis' Augen brannten vor Habgier, ebenso die des abgesetzten Priesters und des Schankwirtes Amadeo. Nur der schwarzbärtige Sergeant schien unberührt. Er hatte vielleicht andere Beweggründe für seine Beteiligung als nur Gewinnsucht. Nach ein paar Augenblicken zog Luis den Geistlichen beiseite und begann mit ihm eine Unterredung im Flüsterton, so allmählich wurden auch die anderen hineingezogen. Luis schrieb und notierte Ziffern auf ein Papier, wobei er offenbar einen jeden nach seinen Forderungen befragte. Hie und da entstand ein kurzer aber heftiger Wortwechsel zwischen ihm und den anderen. Es sah aus, als versuchte er, ihre Forderungen herabzudrücken, und als wäre jetzt keiner so recht geneigt, seine Führerrolle anzuerkennen, die doch eben erst nach seiner Rede eine gegebene Sache zu sein schien. Zu allerletzt winkte Luis Señor Posada, aber dieser ignorierte seine Aufforderung gänzlich und zog nur die Oberlippe über die Zähne. Luis errötete und schien im Begriff aufzubrausen, als Herr Bekker in seinem gewöhnlichen befehlshaberischen Tone sagte:

»Na, sind Sie noch nicht fertig? Ich kann doch nicht die ganze Nacht dastehen und warten. Was ist Ihre Forderung?«

»Señor Bekker,« sagte Luis einschmeichelnd, »wir haben überlegt, was für die Sache unumgänglich notwendig ist. Und wir sind zu dem Resultat gekommen – Sie müssen das Risiko für uns alle bedenken, Señor – daß 100 000 Pesetas ...«

»Hol' euch der Teufel,« unterbrach Herr Bekker. »Hol' euch alle miteinander der Teufel! 100 000 Pesetas! Warum nicht gleich eine Million? 100 000, um dieses Dreckfürstentum zu stürzen! Glaubt ihr, ich bin verrückt? Verflucht noch einmal, die glauben, ich bin wahnsinnig! Und dieser Herr,« er wies auf Señor Posada, »der ist wohl noch gar nicht auf dem Register? Wieviel bekommt denn der? Auch 100 000? Was?«

Herr Bekker fixierte herausfordernd den schwarzen Sergeanten, dessen Brauen sich tief über die Augäpfel senkten, während er langsam erwiderte:

»Ganz recht, Señor. 100 000 Pesetas ist das mindeste, was ich beanspruche, um mich an Ihrem Unternehmen zu beteiligen. Warten Sie, Señor, unterbrechen Sie mich noch nicht! Bedenken Sie, ohne mich können Sie nichts ausrichten, nichts, Señor! Die Bastion beherrscht die Stadt, und unsere Kanonen sind gottlob in Ordnung. Und bedenken Sie, Señor, daß zweihundert Mann in Waffen immer einige Chancen gegen Amadeos Gesindel und Vater Ignazios Freunde vom Lande haben. 100 000 Pesetas, Señor. Antworten Sie mir, wenn Sie das zuviel finden!«

Herr Bekker erfüllte diesen Wunsch sofort, in einem Spanisch, das von den pittoreskesten Flüchen strotzte, doch der schwarze Sergeant brachte ihn mit einer drohenden Geste zum Schweigen und sagte:

»Nur keine großen Worte, Señor! 200 000 wären ein billiger Preis für Punto Hermosa – meinen Sie nicht selbst? Wer weiß, ob Sie es vom Großherzog für eine halbe Million bekommen könnten – mein Schwesterssohn ist Küchenjunge bei Joaquin auf dem Schloß, Señor. Und er war der gegenteiligen Ansicht. Nicht für eine Million, sagte er – Sie wissen ja, diese Jungen stecken ihre Nase in alles, Señor!«

Señor Posada sprach mit boshafter Betonung, und Herr Bekker erbleichte jäh. Zum Teufel! Hatte dieser Sergeant von seiner Vormittagsvisite im Schloß Wind bekommen? Verdammt! Hatten die anderen verstanden, was er meinte? Er starrte sie nervös an, um sich davon zu überzeugen. Gott sei Dank, sie schienen nicht zu kapieren. Hatte der elende Sergeant recht? War es richtig, daß der alte Schutthaufen dort droben die Stadt beherrschte? Ja, tausend Teufel, unmöglich war es nicht, und auf jeden Fall konnte der Sergeant den Plan verraten. Aber 200 000, zweimalhunderttausend, für diese Verbrecherbande! Und alles wegen des Besuchs beim Großherzog und Paqueno – der Teufel sollte sie und den Schwesterssohn des Sergeanten holen! Aber Punta Hermosa – er mußte Punta Hermosa haben – da lagen Millionen und warteten darauf, eingesteckt zu werden. Seien Sie ganz ruhig, Herr Sergeant, und Sie, Luis, und ihr anderen, Herr Bekker wird sie einstecken – und die zweimalhunderttausend auch – aus euren Taschen zurück! Verlaßt euch drauf, ihr Halunken! Jetzt gibt er 200 000, weil er muß, aber es wird nur auf kurze Zeit sein.

Herr Bekker, dessen Erwägungen kaum mehr als eine halbe Minute in Anspruch genommen hatten, zündete sich ruhig an einer der qualmenden Kerzen eine Zigarre an und ergriff wieder das Wort. Er erklärte kurz und bündig, daß er 200 000 für einen lächerlichen Betrag ansehe, um ein solches Herzogtum wie Minorca zu stürzen (die Versammlung murrte); aber ehe er riskierte, daß sie sich blamierten, wollte er darauf eingehen, ihnen 200 000 vorzuschießen. Was die Verteilung betraf, mochten sie das selbst nach bestem Wissen und Gewissen ordnen (ein wilder Lärm erhob sich unter den Versammelten); wenn sie damit fertig wären, könnten sie ihn wieder hereinrufen; er ziehe es vor, unterdessen seine Zigarre in Vater Ignazios Gärtchen zu rauchen. Noch einmal, 200 000, aber auch nicht eine Peseta mehr!

Herr Bekker, vielleicht ein besserer Diplomat, als er wußte, verschwand in einer Tabakswolke und überließ es den Wölfen, die Beute selbst zu teilen. Seine Promenade im Mondschein währte zwanzig Minuten, dann erschien Luis, rot und erhitzt, um unter vielen unschmeichelhaften Ausdrücken über Señor Posada 250 000 vorzuschlagen. Offenbar war der schwarzbärtige Führer nicht so leicht herumzukriegen. Herr Bekker weigerte sich aufs entschiedenste, einen Centime mehr als 200 000 zu geben. Luis hörte seine Weigerung mit mürrischem Schweigen an.

Dann sagte er:

»Aber, Señor, Sie vergessen doch nicht das Versprechen, das Sie mir gegeben haben?«

»Was für ein Versprechen?«

»Daß ich als Führer mittun und das Erträgnis des Unternehmens, das Sie planen, mit Ihnen teilen werde, Señor.«

»Hm, nein, nein, ich erinnere mich sehr wohl daran, aber davon zu sprechen wird Zeit sein, wenn Sie Ihren Teil des Programms erledigt haben. Lassen Sie mich Ihnen eines sagen, Sie müssen Ihre Leute viel besser im Zaum halten, wenn Sie als Führer gelten wollen, Luis.«

»Señor Posada ist sehr ... Sie haben ja gesehen, wie er ist.«

»Das habe ich, Luis,« sagte Herr Bekker, der es politisch fand, Luis als Gegengewicht gegen den Sergeanten zu behalten, den er im Innersten fürchtete. »Ich habe es gesehen. Diese Sache werden wir später ordnen; augenblicklich brauchen wir ihn (Luis' Gesicht strahlte bei der bedeutungsvollen Betonung von Herrn Bekkers Stimme); und wer weiß, Luis, ich habe schon oft gehört, daß Geld rasch und munter seinen Besitzer geändert hat – zum Beispiel, wenn der frühere Inhaber starb, ohne ein Testament zu hinterlassen. Aber mehr als 200 000 kann ich nicht riskieren; unmöglich, mein Lieber, ganz ausgeschlossen. Und jetzt haben Sie die Güte und ordnen Sie die Sache rasch.«

Luis ging, bedeutend vergnügter, und eine Viertelstunde später wurde Herr Bekker wieder hereingerufen. Die Gesichter, die er drinnen sah, zeigten, daß die Debatte über sein Geld nicht zu den ruhigsten gehört hatte. Nur der Sergeant stand etwas abseits, ebenso kalt und überlegen wie zuvor. Vater Ignazio hingegen zitterte noch vor Erregung, und die Augen des buckligen Schankwirtes waren so rot wie die eines Kaninchens. Herr Bekker beachtete jedoch ihre heimtückischen Blicke nur wenig. Er zog ein Papier aus der Tasche und sagte kurz:

»Das ist ein Kontrakt, den ich aufgesetzt habe, um unsere Angelegenheit zu ordnen. Verlesen Sie ihn, Luis!«

Luis nahm das Papier, das Herr Bekker ihm reichte, starrte es einige Sekunden an und las dann:

»Wir Unterzeichneten, die wir erkennen, daß die unerträgliche Lage, in der unsere geliebte Heimatinsel Minorca sich befindet, nicht früher aufhören wird, bis nicht die jetzige Regierungsform aufhört, schwören samt und sonders, alles zu tun, um diese Regierung zu stürzen und uns nicht eher Ruhe zu gönnen, bis eine andere Ordnung eingetreten ist.

Möge der Tyrann und seine Werkzeuge sterben und die Freiheit leben!

Dem Inhaber dieses Kontraktes, von dem wir die Geldmittel erhalten haben, die wir für die Verwirklichung unserer Pläne benötigen (200 000 Pesetas), versprechen wir, als Führer der freiheitlichen Bewegung, das Schloß Punta Hermosa als Sicherheit für sein Geld zu geben.

Mahon, den 17. Februar 1910.«

Luis war fertig und sah seine Freunde an.

»Nun, darf ich Sie bitten zu unterschreiben,« sagte Herr Bekker ungeduldig. »Ich kann doch nicht die ganze Nacht hier verbringen.«

Eine klägliche Stimme erhob sich:

»Weshalb muß denn unterschrieben werden? Wozu ist denn dieser Kontrakt überhaupt gut? Wenn er jemandem in die Hände fällt ...«

Es war der Schankwirt Amadeo.

»Mein bester Señor Amadeo,« sagte Herr Bekker kalt, »eben deshalb sollen Sie unterzeichnen. Es könnte sonst geschehen, daß ich meine 200 000 für nichts und wieder nichts hergebe. Sollten Sie sich auf die faule Haut legen, Señor, so können Sie sicher sein, daß der Kontrakt bald genug jemandem in die Hände fallen wird. Darf ich Sie also bitten zu unterschreiben.«

In der Versammlung wurde es still, alle starrten sich an, und keiner schien geneigt, Herrn Bekkers Wunsch zu erfüllen. Dann spuckte der schwarzbärtige Sergeant nachdrücklich auf den Fußboden; mit einem verachtungsvollen Blick auf die anderen nahm er Herrn Bekkers Füllfeder und schrieb mit plumper, aber kräftiger Handschrift Eugenio Posada, Sergeant der Leibwache, auf die Stelle, auf die Herrn Bekkers Finger wies. Luis, der abwechselnd errötete und erbleichte (offenbar fand er seine Führerstellung gefährdet), riß die Feder an sich und schrieb seinen Namen unmittelbar darüber, direkt unter den von Herrn Bekker ausgefüllten Teil des Kontraktes. Vater Ignazio folgte seinem Beispiel.

»Jetzt kommen Sie daran, Señor Amadeo,« sagte Herr Bekker.

»Ich kann nicht schreiben, Señor,« sagte der Schankwirt mit seiner weinerlichen Stimme. »Die Madonna sei mir gnädig, ich habe nie schreiben gelernt, Señor.«

Herr Bekker betrachtete ihn mit der tiefen Verachtung des volksschulgebildeten Mannes für den Analphabeten.

»Aber rechnen können Sie?« fragte er. »Sie können sich ausrechnen, daß auf den, der nicht unterschreibt, auch nichts kommt?«

»Genügt mein Handzeichen, Señor?« fragte der Bucklige hastig.

»Einen Augenblick,« sagte Herr Bekker und ergriff die Feder: Für den Schankwirt Amadeo, der nicht schreiben kann, sein Handzeichen, schrieb er, indem er jedes Wort laut vorlas. »Also bitte!«

Der Schankwirt warf ihm einen bösen Blick zu und kratzte rasch einen Schnörkel auf das Papier. Die anderen, die still zugehört hatten, machten keine Schwierigkeiten mehr, sondern schrieben ihren Namen oder ihre Handzeichen, welch letztere von Herrn Bekker sofort mit einem Kommentar versehen wurden. Nachdem er dann den Kontrakt mit sämtlichen Unterschriften verlesen hatte, zog Herr Bekker eine Brieftasche heraus.

»Verlesen Sie die Posten,« sagte er zu Luis. »Sie haben ja ein Register.«

Alle nahmen ihr Geld entgegen, aber ohne jeden Enthusiasmus. Der Sergeant war der letzte, der seine hunderttausend einstrich, die Luis zu verlesen unterließ. Herr Bekker steckte die Brieftasche wieder ein und sagte:

»Also meine Herren, diese Sache wäre perfekt. Jetzt flott an die Arbeit! Wann kann ich Nachrichten von Ihnen haben?«

Wieder wurde es still, alle starrten einander an, durch Herrn Bekkers geschäftsmäßige Art, Revolutionen anzuordnen, offenbar etwas aus dem Gleichgewicht gebracht.

»Je früher desto besser,« sagte Herr Bekker, »für Sie – und für Minorca, nicht wahr?«

»In einem Monat oder so,« begann der Schankwirt Amadeo vorsichtig.

»Ja, vielleicht auch früher,« sagte Luis langsam, aber er wurde vom Sergeanten unterbrochen, der nun zum zweiten Male den Mund auftat.

»Vierzehn Tage sind mehr als genug, Señor. Im Notfall kann ich die Sache allein machen. Heute ist der 17. Februar. Spätestens am 1. März, Señor.«

»Vortrefflich,« sagte Herr Bekker. »Sehen Sie zu, daß Sie Wort halten, und treiben Sie Ihre Freunde an.«

Señor Posada fixierte ihn und fügte hinzu:

»Ich möchte noch eine Kleinigkeit in den Kontrakt aufgenommen wissen.«

»Ja, was denn?« Herrn Bekkers Augenbrauen wurden borstig.

»Keine Angst, Señor. Es handelt sich nicht um Geld. Ich habe noch andere Gründe, mich an dieser Sache zu beteiligen. Ich will ein Amt haben, wenn alles gelungen ist und die Schuldigen bestraft werden sollen.«

»Die Schuldigen?«

»Der Hinkende und Paqueno.«

»Was für ein Amt? Wollen Sie vielleicht Richter werden?«

»Nein, Señor, Scharfrichter.«

Herr Bekker starrte den Sergeanten an. Gott im Himmel, mit dem war nicht gut Kirschen essen. Er mußte den Großherzog noch mehr hassen als Herr Bekker selbst. Scharfrichter! Vermutlich drückten Herrn Bekkers Augen aus, was er dachte, denn der Sergeant warf einen kurzen Blick auf ihn und sagte:

»Vor vier Jahren, Señor, hatte ich einen Bruder, der auch bei der Leibwache angestellt war. Er beging einen kleinen Fehltritt, und der Lahme ließ ihn vor der Truppe hängen.«

Er brach ebenso plötzlich ab, als er begonnen hatte. Herr Bekker betrachtete ihn noch einmal mit einem erstaunten Blick und ging dann, von Luis gefolgt, langsam auf die Tür zu.

Die Nacht draußen war kalt; ein letzter Strahl des Mondlichtes ruhte auf dem Dachgesims des alten Schlosses.

Hinter Herrn Bekker und Luis hörte man das Trappeln der übrigen Verschworenen, die wieder der Stadt zuwanderten. Diese schlief ruhig wie die Dörfer und Häuser ringsum in Minorca, ruhig, wie sie tausend Jahre geschlafen hatte.

Sollte ihr Schlummer von Herrn Bekker und seinen Freunden gestört werden?

Das wollen wir eben sehen.


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